Mal ganz sorglos von Chibichi (Fanfics rund um die Sorglospunks) ================================================================================ Kapitel 1: Ein faustisches Angebot ---------------------------------- Mir war höllisch langweilig. Damit fing eigentlich alles an. Mal zugegeben, tagein, tagaus den Leuten die Hölle heiß zu machen kann auf die Dauer doch recht eintönig werden. Sogar für mich, den einzigen und wahren Teufel. Jawohl, ihr habt richtig gelesen: Ich bin der Teufel! Die gottesfürchtigen Bibelleser unter euch werden garantiert einen Schreck gekriegt haben, aber so schlimm bin ich gar nicht. Okay, ich habe meistens zwei Hörner auf dem Kopf, ein Paar dunkle Schwingen auf dem Rücken und einen Dreizack in der Hand, trotzdem bin ich nicht so furchterregend, wie alle immer denken. Und um es mal klar zu stellen: Ich habe keinen Pferdefuß oder rote Haut (gerade mal die Haare sind rot) und einen Ziegenbart schon mal gar nicht. Wäre ja auch lächerlich, wenn die Herrscherin der Unterwelt einen Bart hätte… Ganz recht, der Teufel ist eine Frau, nun wisst ihr es endlich. Aber zurück zum eigentlichen Thema: Also, mir war höllisch langweilig. Und wenn ich eins nicht abkann, dann ist es Langeweile. Schließlich malträtiere ich damit ja auch meine Opfer hier unten. Die müssen sich dann ewiglange Dokumentationen über die Herstellung von Knöpfen ansehen. Ich musste unbedingt einen netten Zeitvertreib finden. Und der schönste Zeitvertreib für mich ist auf Seelenfang zu gehen. Irgendjemand ist immer bereit seine Seele für die Erfüllung seiner Wünsche zu verkaufen. Man denke da nur an Faust, auch wenn der alte Goethe da ein wenig rumgemurkst hatte, was meine Wenigkeit betraf. Besonders bereitwillige Seelenabtreter sind Künstler, die unbedingt reich und berühmt werden wollen. Ich kramte also in meinem Schreibtisch rum und holte die schwefelgelben Seiten hervor, eine Liste von Malern, Schauspielern, Musikern und Autoren, die auf den großen Durchbruch warteten. Nach ein wenig Herumblättern stieß ich auf einen äußerst interessanten Eintrag zu einer jungen Band, die ständig in seltsame Abenteuer schlitterte. Das schien genau das Richtige zu sein, um meine Langeweile loszuwerden. Musiker waren immer lustig und schnell dabei ihre Seele zu verkaufen. Man denke da nur an Elvis… Und der Name Sorglospunks machte mich irgendwie neugierig. Vielleicht waren sie auch so sorglos bei dem Vertragsabschluss. Also schnappte ich mir meinen Dreizack und schlenderte zum Fahrstuhl, um zur Erdoberfläche zu kommen. Während der langen Fahrt überprüfte ich noch einmal die näheren Bandinformationen. Aha, ein Zwillingspärchen für die Vocals und das Schlagzeug mit Triangel und ein Bassist/ Gitarrist. Scheinbar gab es sogar ein Bandmaskottchen, eine gewisse Kiwi. Seltsam dass nun auch Obst als Maskottchen herhalten musste. Endlich ließ der Lift ein melodisches ‚Ding‘ ertönen und ich konnte direkt vor der sorglosen Punk-WG aussteigen. Ich setzte mein charmantestes Vertragslächeln auf und klingelte an der Tür. Eine junge Frau mit braunen, langen Haaren öffnete auch prompt und sah mich fragend an. „Guten Tag, mein Name ist Chibichi und ich komme von Unterwelt Records GmbH und Co KG“, erklärte ich und drückte ihr gleich meine Visitenkarte in die Hand. „Ich bin hier wegen eines Angebots für einen Plattenvertrag.“ Ihre Augen wurden schlagartig größer und sie schrie in die WG: „Easy! Chris! Hier ist jemand von einer Plattenfirma!“ Nicht einmal in einem Sekundenbruchteil standen auch die beiden anderen Sorglospunks an der Tür. „Wahnsinn! Wir kriegen einen Plattenvertrag!“ jubilierte Easy, die punkige Frontfrau und Zwillingsschwester der fassungslosen Jack. Währenddessen führte mich Chris ganz Gentleman in die WG und stopfte meinen Dreizack in den Schirmständer. Die Sorglospunks waren wohl wirklich so sorglos wie ihr Name, denn es gab keine unangenehmen Fragen bezüglich meines ungewöhnlichen Mitbringsels oder sogar wegen meiner Flügel oder Hörner. „Nehmen Sie doch Platz“, sagte der Prince of Punk und eskortierte mich zum Sofa. Dabei versuchte er eine orangegetigerte Katze von eben diesem zu verscheuchen. „Los, Kiwi, mach mal Platz für die nette Agentin von der Plattenfirma.“ Wenigstens wusste ich nun, dass jene Kiwi nicht aus dem Obstregal stammte. Die Katze sah natürlich nicht ein ihren gemütlichen Platz zu räumen, daher pflanzte ich mich neben sie. Fünf Augenpaare waren interessiert auf mich gerichtet. Moment mal, wieso fünf? Schnell zählte ich noch einmal nach: Easy, Jack, Chris, Kiwi… Ah, da war noch ein unsichtbares Augenpaar. Aus meiner langjährigen Erfahrung heraus konnte ich selbst unsichtbare Bandmusen auf ihren Wolken ausmachen. Nach einem kurzen Nicken zur Muse und der stillen Frage, wieso sie mir so bekannt vorkam, breitete ich meine Vertragsunterlagen auf dem Wohnzimmertisch aus. „Wenn ihr bei Unterwelt Records GmbH und Co KG unterschreibt, werde ich euch reich und berühmt machen“, verkündete ich meinen gespannten Lauschern. Natürlich trat die erwartete erste Reaktion ein. Chris schrie enthusiastisch: „Wo sollen wir unterschreiben?“, während Easy schon mal einen Kugelschreiber hervorkramte. Jack sah einfach noch immer fassungslos aus und murmelte etwas von „Plattenvertrag… tatsächlich von einer Plattenfirma“ vor sich her. Nur Kiwi miaute zweifelnd und ein skeptischer Blick von einer unsichtbaren Bandmuse auf einer ebenso unsichtbaren Wolke musterte mich von oben bis unten. Mein Gewerbe brachte es nun einmal mit sich, dass gerade Katzen und Musen schneller erkannten, wer ich wirklich war. Schnell ratterte ich meinen üblichen Text herunter: „Unterwelt Records GmbH und Co KG wird euch bis an die Spitze der Charts bringen. Ihr werdet die gefeierten Stars sein und in der Bravo werden nur noch Sorglospunkposter veröffentlicht. Wir kümmern uns um die Aufnahme eurer neuen Alben und die folgenden Konzerte, die selbstverständlich dann alle ausverkauft sein werden. Natürlich übernimmt die Plattenfirma sämtliche Kosten für eure Welttournee. Ihr werdet nur in 5-Sterne-Hotels untergebracht, wo ihr in Luxussuiten mit euren Fans wilde Partys feiern könnt. Die Gegenleistung, die ich dafür erwarte, ist wirklich unbedeutend. Absolut nichtig, deswegen ist das auch im Kleingedruckten aufgelistet. Am besten überspringt ihr einfach diesen Absatz, das würde euch nur langweilen. Blablabla von wegen Seelenverkauf… Reine Formalität. Ihr könnt gleich dort unten unterschreiben.“ Ich lächelte noch einmal gewinnend und schob den Vertrag zu Easy rüber, die schon ungeduldig mit dem Kuli klickerte. Aber da flitzte die Bandmuse zu der Frontfrau hinüber, während aus ihrer Wolke Ideenblitze schossen. Mit allen Mitteln wollte sie den Vertragsabschluss verhindern und Easy die rettende Erleuchtung bringen. Plötzlich wusste ich wieder, woher mir diese Muse so bekannt vorkam: Das war doch tatsächlich Abranka, die mir anno dazumal beinahe alles vermasselt hätte, als sie Orpheus auf die Idee brachte seine Eurydike zurückzuholen. Ich gebe nämlich sehr ungern schwer eingekaufte Seelen wieder frei, aber Schwefel sei Dank hatte sich der Musikus noch einmal umgedreht … Die Ideenblitze prasselten nur so auf die Sorglospunks ein. Dabei hatte ich mir so viel Mühe gegeben. Hol’s doch der Teufel! Ach ja, das war ja ich… Bevor auch nur eine Unterschrift auf dem Papier war, rief Jack plötzlich: „Nifen! Wir müssen vorher mit Nifen reden.“ „Wieso mit Nifen?“, fragte Easy und wand langsam ihren Blick von dem Vertrag. „Na immerhin ist sie doch unsere Managerin. Da müssen wir solche Entscheidungen vorher mit ihr absprechen“, erklärte Chris, der ebenfalls aus der Reich-und-berühmt-Trance erwachte. Verdammt, verdammt, immer diese Manager… Die mischen sich bei so etwas immer zu gerne ein. Mal ehrlich, Manager sind noch schlimmer als ich, tauchen einfach so auf, wenn man mal einen kleinen Seeleneinkauf tätigen will. Triumphierend grinste Abranka von ihrer Wolke, als im selben Moment die Tür aufflog und eine blonde Frau mit Sonnenbrille hereinstürmte. „Stellt euch vor, ich verhandele gerade über ein neues Konzert in einem angesagten Club. Also haltet euch den kommenden Samstag frei“, verkündete sie und zupfte ihr Kostüm zu recht. „Nifen!“, begrüßte Jack sie. „Du kommst genau im richtigen Moment. Das ist Chibichi von Unterwelt Records GmbH und Co KG. Sie hat uns gerade ein Plattenvertragsangebot unterbreitet.“ „Tatsächlich?!“, rief die Bandmanagerin und schnappte sich den Vertrag vom Tisch. „Das ist ja klasse. Ich schaue mal schnell die Unterlagen durch.“ Und schon las sie detailiert alles durch. Ich konnte nur noch hoffen, dass das Kleingedruckte klein genug war. Schriftgröße 1,5 war schon ein Hindernis für manche Augen. Also lehnte ich mich zurück und betrachtete eingehend das Bandmaskottchen neben mir, während die Sorglospunks und Abranka über Nifens Schulter hinweg den Vertrag studierten. Kiwi schien zwar nicht zu wollen, dass ihre Band ihre Seelen an mich verkauften, aber ansonsten war sie nicht sonderlich abgeneigt von mir. Schließlich gab es schon immer eine tiefe und teuflische Verbindung zwischen mir und den Katzen dieser Welt. Wohlig schnurrend breitete sie sich noch mehr auf dem Sofa aus, als ich ihre Ohren kraulte. Wie gesagt, so fürchterlich bin ich wirklich nicht. Zu meinem Leidwesen stutze Nifen bei der Lektüre und zückte eine Superspeziallupe für Extremkleingedrucktes und las weiter. So blieb ihr auch der Absatz über das Abtreten sämtlicher Rechte und Besitzansprüche gewisser Seelen im Gegenzug für Ruhm, Reichtum und richtig viel Ehre nicht länger verborgen. Eine steile Falte bildete sich auf ihrer Stirn und sie schüttelte bei jedem Wort den Kopf. „Und?“, fragte Easy gebannt und knabberte aufgeregt an ihren Fingernägeln. „Ist das nun ein richtiger Plattenvertrag, den wir unterschreiben können?“ Nifen legte die Superlupe zur Seite und erwiderte: „Na ja, es ist schon ein Plattenvertrag. Allerdings sind die Bedingungen schlichtweg seelenraubend.“ „Hä? Was soll das denn heißen?“, mischte sich Chris ein. „Rede doch mal normal ohne den ganzen Managerkram.“ Die blonde Bandmanagerin räusperte sich: „Das heißt klipp und klar, dass ihr eure Seelen verkauft, wenn ihr unterschreibt. Und das meine ich im wörtlichen Sinne.“ „Das klingt ja voll nach Faust!“, warf Jack ein. „Das würde ja dann bedeuten, dass das da der Teufel wäre…“ Sofort waren alle Blicke auf mich gerichtet und ich versuchte so unschuldig wie nur möglich auszusehen, während ich weiter Kiwis Ohren kraulte. Warum war ich nur nicht in Verkleidung gekommen? Nun konnten meine Hörner und die Flügel doch etwas verräterisch wirken… „Wahnsinn! Der Teufel sitzt bei uns im Wohnzimmer. Sag mal, sind die echt?“ Die sorglose Punksängerin war wieder ganz aus dem Häuschen und piekte an meinen Flügeln rum. „Natürlich sind die echt“, gab ich pikiert von mir. „Was denkst du denn? Die Hörner sind übrigens auch echt.“ Denn ich konnte mir denken, dass sie als nächstens daran etwas herumprockeln wollte. So nickte sie nur ehrfürchtig und überlegte, wie sie vielleicht auch solch interessanten Körperschmuck bekommen könnte. Chris sah etwas enttäuscht aus. „Dann wird das nichts mit unserem Plattenvertrag? Und das war alles nur ein Mittel zum Zweck, um uns die Seelen abzukaufen?“ Der punkige Bassist hatte sich schon in Mitten von hübschen Groupies geträumt. „Dann unterschreibt ihr wohl nicht, oder?“, fragte ich in die Runde und streichelte noch einmal Kiwis Kopf, bevor ich mich vom Sofa erhob. „Na ja, ein Versuch war es wert und zumindest war es nicht langweilig bei euch.“ Langsam schlenderte ich in den Flur und fischte meinen Dreizack aus dem Schirmständer. „Man sieht sich garantiert noch mal irgendwann.“ „Moment mal!“ Bevor ich aus der WG schlüpfen konnte, hatte mich eine unsichtbare Hand am rechten Horn gepackt. Fragend sah ich zu Abranka auf. „Hast du das alle nur gemacht, weil du Langeweile hattest? Wenn ja, hätte ich da eine Idee…“ Breit grinste mich die Bandmuse an und ihre Wolke leuchtete vor guten Einfällen. Ja, genau so kam es, dass ich, der einzige und wahre Teufel, in die Crew der Sorglospunks und somit in den Eierkarton aufgenommen wurde. Neben meinen täglichen, höllischen Pflichten wie Höllenfeuer schüren, Leute malträtieren und Seelen einkaufen, war ich nun offizieller teuflischer Helfer der Band. Na ja, in gewisser Weise sind die Sorglospunks doch noch einen Pakt mit dem Teufel eingegangen, aber ausnahmsweise durften sie ihre Seelen behalten. Dafür müssen sie nun immer meine höllische Langeweile auskurieren. Und dann und wann verschaffe ich ihnen Auftritte durch meine guten Beziehungen weltweit. Als erstes durften sie auch ein Konzert in der Unterwelt geben, schließlich wird nirgends so höllisch gut gefeiert wie hier. Außerdem wollte ich auch Easys neuen Song „Unterschreibe nichts, was der Teufel dir gibt“ hören. Der Refrain geht mir immer noch nicht aus dem Ohr. „Ich bin nicht Faust. Ich sage nein! Meine Seele behalte ich. Hier bin ich Sorglospunk, hier darf ich sein…“ Kapitel 2: Verschneiter Punk ---------------------------- Inzwischen war es Ende Dezember geworden und jeder Sorglospunk hatte schon fleißig Adventskalendertürchen geöffnet. Ich hatte die Füße auf meinen Schreibtisch gelegt, während ich genüsslich ein paar Sorglospunk-Merchandise-Weihnachtsplätzchen in Kiwiform knabberte, die mir die Band großzügig aufgrund einer Eingebung von einer gewissen Muse hin überlassen hatten. Gerade wartete ich auf einen wichtigen Anruf, denn ich hatte meine teuflischen Beziehungen spielen lassen, um mit Nifen einen Konzerttermin am Nordpol zu organisieren. Schließlich brauchte auch die Weihnachtsfeier der Elfengewerkschaft einen Live act. Die armen Elfen bastelten und verpackten ja abertausende Geschenke, da tat ihnen etwas Abwechslung auch gut. Endlich klingelte mein schwarzes Telefon und der Oberelf bestätigte den Auftritt der Sorglospunks. Also schickte ich schnell eine Email an Nifen, die ja zu jeder Tages- und Nachtzeit ihren Posteingang überprüfte, dass sich die Band schon einmal bereit halten sollte. Geschwind eilte ich in die Unterwelttiefgarage und stieg in mein teuflisches Wunderauto. Dann brauste ich in endlosen Kurven die Ausfahrt zur Erdoberfläche entlang, um wenig später mit einem heftigen Schwindelgefühl vor der Band-WG zu parken. Die Band, Nifen, Abranka und Kiwi warteten schon ungeduldig vor der Haustür. „Ach nee, wie sollen wir denn da alle hineinpassen? Das ist ja bloß ein Corsa. Der hat ja nicht mal Platz für das Schlagzeug!“, moserte Easy, die sonst so sorglose Frontfrau. Beschwichtigend hob ich die Hände: „Nur keine Panik, das ist schließlich ein teuflisches Wunderauto. Da passen wir schon alle rein.“ Und natürlich sollte ich Recht behalten. In den Kofferraum packten wir das Schlagzeug, die anderen Instrumente, sowie alle notwendigen Geräte und Gepäckstücke. Es wäre sogar noch Platz für mindestens einen ausgewachsenen Elefanten gewesen. Wie durch Zauberei war die Rückbank groß genug für eine Punkband mit Maskottchen, so dass alle noch richtig viel Beinfreiheit hatten, während vorne eine Managerin und eine Bandmuse mitsamt Wolke Platz fanden. „Wow, ich wusste gar nicht, dass ein Corsa so geräumig ist“, murmelte Chris und lümmelte sich auf der Rückbank. „Das ist doch auch ein Wunderauto! Das passt sich den Bedürfnissen der Insassen an“, erklärte ich und trat aufs Gas. Ist ja wohl auch logisch, denn in welchen Corsa passen sonst so viele Klamotten, Fahrgäste und ein Teufel mit breiten Schwingen und Hörnern? Mein teuflisches Wunderauto raste über die Straßen immer Richtung Nordpol. Hier und da übersprang es gleich mal ein paar hundert Kilometer und düste fröhlich weiter. Easy summte währenddessen eine kleine Melodie und trällerte: „Wunderauto, Wunderauto, bring uns zu Santa Claus.“ Eine gewisse Bandmuse namens Abranka hatte ihr nämlich Motivationsschokolade als Reiseproviant zugesteckt. Leider blieb die Inspiration nicht alleine beim Summen… Gerade als wir nur noch einen Wunderautosprung vom Nordpol entfernt waren, setzte ein starker Schneeflockenreigen ein. Und genau da kam Easy eine neue Idee. „Sag mal, ist das mit den Wunderautos so wie mit den Wunderlampen? Also, wenn ich am Lenkrad reibe, erfüllt sich dann ein Wunsch von mir?“, fragte sie und beugte sich vor, um im selben Moment ins Lenkrad zu greifen. Mit quietschenden Reifen bretterten wir in eine Schneewehe. Tadelnd sah ich zu Abranka, die nur resigniert mit den Schultern zuckte und murmelte: „Guck nicht so, ich habe ja nicht das Lenkrad rumgerissen.“ Das war wohl doch zu viel Schokolade für eine Fahrt gewesen… „Falls du dir nicht gewünscht hast, dass wir in den Schnee rasen, dann verhalten sich Wunderautos scheinbar anders als Wunderlampen“, kommentierte Chris das Geschehen. Schwefel sei Dank war niemandem etwas passiert, nur mein kleines Auto steckte im Schnee fest. Also stiegen wir alle aus, um es vielleicht mit vereinten Kräften irgendwie wieder flott zu machen. Aber alles Schieben und Ziehen hatte keinen Zweck, das Auto wollte nicht. Und wenn ein teuflisches Wunderauto etwas nicht will, dann will es nun einmal nicht. „Und was nun?“, fragte Nifen und sah ratlos in die Runde. Die Bandmanagerin spielte wuselig mit ihrer Sonnenbrille und überlegte fieberhaft hin und her, wie der Termin mit den Weihnachtselfen noch eingehalten werden konnte. Jack schüttelte traurig den Kopf: „Ohne fahrbaren Untersatz kommen wir nie im Leben pünktlich zum Nordpol, dann müssen wir das Konzert wohl absagen.“ „Na ja, wir könnten ja mal dort anklingeln, vielleicht kann man uns da weiter helfen“, warf Easy munter ein und deutete auf einen Klingelzug an dem Baum neben ihr. Tatsächlich, mitten in dieser verschneiten Einöde war ein Klingelzug an einem Tannenbaum befestigt. Aufgeregt zog die Frontfrau der Sorglospunks an der Schnur und wartete, während wir anderen neugierig zu dem Baum starrten. Kurze Zeit später ging ein kleines Türchen im Baumstamm auf und heraus trat ein kleiner Wichtel ganz in grün gekleidet und mit rotweißgeringelten Socken. „Wer seid ihr? Und was wollt ihr?“, fragte er und beäugte uns misstrauisch. „Wir sind die Sorglospunks samt Crew“, verkündete Easy und beugte sich zu dem Wichtel hinunter. „Irgendwie ist unser Auto im Schnee stecken geblieben, dabei müssen wir doch zum Nordpol. Kannst du uns vielleicht helfen?“ Scheinbar wollte Easy es nicht wahrhaben, dass sie selbst dieses Irgendwie gewesen war… Der Wichtel nickte bedächtig: „So, so, die Sorglospunks also… Und ihr wollt zum Nordpol?“ „Ganz genau, dort soll die Band auf der Elfenweihnachtsfeier auftreten. Und nun kommen wir hoffnungslos zu spät“, mischte sich die Bandmanagerin ein und schaute dabei auf ihre extremgenaue Armbanduhr. „Wer ist denn da draußen, Achtzehn?“, fragte ein Stimmchen aus dem Baum. „Die Sorglospunks, Dreiundzwanzig! Sie wollen zum Nordpol zur Elfenweihnachtsfeier, aber ihr Auto steckt im Schnee fest!“, rief der Wichtel in den Baum zurück. Langsam dämmerte es mir, wer unser Gegenüber dort im Tannenbaum war. Schließlich bin ich ja nicht umsonst die Herrscherin der Unterwelt, da hört und sieht man so einiges. „Was sagst du da? Die Elfen schmeißen schon wieder eine Weihnachtsfeier und wir sind nicht eingeladen?“, brüllte eine andere Stimme aus dem Baumstamm. Sofort mischte noch ein Wichtelstimmchen mit und rief: „Was erwartest du denn, Zwölf? Wir sind ja nicht so wichtig, warum sollte man uns denn auch einladen?“ Neben dem Wichtel Achtzehn erschien noch ein weiterer Kollege von ihm und winkte uns zu: „Hallo, ich bin Eins. Ist ja wirklich großes Pech, dass ihr eine Panne habt. Leider können wir euch da auch nicht weiterhelfen. Wollt ihr nicht lieber bei uns bleiben und an unserer Weihnachtsfeier teilnehmen? Wir bezahlen euch natürlich eine höhere Gage als die Weihnachtselfen.“ Nifen riss nun endgültig ihre Sonnenbrille runter und ihre Augen blitzten vor lauter Managerenergie. „Wir müssten dann natürlich erst einmal die Formalitäten klären. Und wir müssten bei den Elfen absagen…“, fügte sie nach kurzen Zögern noch schnell hinzu. Nach kurzer Zeit waren sich Nifen und Eins einig über die Vertragsbedingungen und der Wichtel übernahm gerne den Anruf bei den Elfen. Ein hämisches Grinsen huschte dabei kurz über sein Gesicht, schließlich hatte er es gerade geschafft, den Live act der Elfenweihnachtsfeier abzuwerben. „Hast du das Grinsen gerade gesehen?“, flüsterte Abranka in mein Ohr, nachdem sie mit ihrer Wolke ganz dicht an mich herangeflogen war. „So viel Schadenfreude für so einen kleinen Wichtel …“ Ich winkte schnell ab: „Das ist nur natürlich, schließlich stehen die Weihnachtselfen in direkter Konkurrenz zu den Adventswichteln. Und wie wir gerade gehört haben, laden sie sich nicht gegenseitig zu ihren Weihnachtsfeiern ein.“ Die Beziehung zwischen den beiden Völkchen lag arg im Argen, aber das war ja ein offenes Geheimnis rund um den Nordpol. „Adventswichtel? Noch nie von gehört. Was ist das denn?“, erkundigte sich Easy neugierig und schaute zwischen der Bandmuse und mir hin und her. „Achtzehn und seine Freunde sind die Adventswichtel. Hast du dich denn noch nie gefragt, wer dafür verantwortlich ist, dass jedes Jahr zigtausend Adventskalender gefüllt werden?“, erklärte ich. „Jeder der Wichtel kümmert sich um ein Adventskalendertürchen.“ „Ah so!“, murmelte Easy anerkennend und dachte daran, was hinter ihren Adventskalendertürchen alles gesteckt hatte. Als alle vierundzwanzig Adventswichtel aus ihrem Tannenbaum stiegen, konnten die letzten Vorbereitungen für die Weihnachtsfeier getroffen werden. Abranka übernahm es, noch letzte Hand an die Dekoration eines Weihnachtsbaumes zu legen. So erstrahlte wenig später eine Tanne im musischen Glanze. Währenddessen hatte die Band den Kofferraum des eingeschneiten Wunderautos komplett geleert und ihre Instrumente aufgebaut. Und schon erklang das Weihnachtsspecial der Sorglospunks, das eigentlich gar keines war, mit allseits beliebten Songs wie „Alle Jahre bieder“ und meinem Favoriten „Schrille Nacht, höllische Nacht“. Die Wichtel stellten schnell ihre Geschenke unter den hübsch dekorierten Baum der Bandmuse und tanzten ausgelassen zur punkigen Weihnachtsmusik. Es wurde eine wilde Party. Irgendwann versuchten sich die Wichtel Achtzehn, Drei und Vierundzwanzig als rockige Punkband. So konnte Chris eine Schneeballschlacht anzetteln und Easy auf Rentierjagd gehen. Mit etwas Glück hätten die ja später vor das kleine Wunderauto gespannt werden können. Aber leider entwischte das einzige Rentier weit und breit, obwohl Easy sich nicht so leicht abschütteln ließ. Jack untersuchte unterdessen die Geschenke, bis sie auf eines mit ihrem Namen stieß. Und Nifen vergaß einfach mal ihre Managerpflichten und baute lieber einen großen Schneemann. Beinahe wäre alles aus dem Ruder gelaufen, als Kiwi auf die Idee kam Wichtel zu jagen. Die richtige Größe hatten die kleinen Kerlchen ja für das Bandmaskottchen. Aber Jack fing das orangegetigerte Energiebündel dann doch noch rechtzeitig ein, bevor etwas passieren konnte. Easy nahm den kleinen Vorfall als Anstoß für ein kleines Gedicht, das sie lautstark rezitierte: „Advent, Advent, ein Wichtel rennt, erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier, werden gejagt vom Kiwitier.“ Spät in der Nacht kurz bevor der gemütliche Teil der Feier anfing, bedankte sich Eins bei der Band: „Wirklich toll, dass ihr so spontan auf unserer Feier aufgetreten seid. Das war absolut die beste Weihnachtsfeier aller Zeiten, und bestimmt besser als alle Elfenfeiern zusammen.“ „Hört, hört!“, riefen die übrigen Wichtel zustimmend. „Ein Hoch auf die Sorglospunks und ihre Crew!“, jubelte Zwanzig und erhob sein winziges Glühweinglas. Achtzehn nickte: „Ohne euch wäre es bestimmt nicht so ausgelassen geworden. Und als Dank dafür werden wir auch euer Auto aus dem Schnee befreien, damit ihr wieder nach Hause fahren könnt.“ „Aber vorhin habt ihr doch behauptet, dass ihr da nichts tun könnt“, hakte Easy nach. Achtzehn machte eine abwehrende Handbewegung. „Vorhin war vorhin und jetzt ist jetzt. Und jetzt können wir behaupten, dass wir eine bessere Weihnachtsfeier hatten als die Elfen.“ Ein breites Grinsen lag auf dem Gesicht des Wichtels. „Und immerhin haben wir eine höhere Gage bekommen“, pflichtete Nifen bei. Alle Wichtel packten schnell mit an und in kürzester Zeit war unser Auto vom Schnee befreit und wieder fahrtüchtig. So konnten wir dann später wieder nach Hause fahren. Aber diesmal durfte Easy das Lenkrad nicht anfassen. Schließlich funktionieren die höllischen Glückskräfte eines teuflischen Wunderautolenkrads nur bei der Herrscherin der Unterwelt höchstpersönlich und wir wollten es nicht riskieren noch einmal von der Fahrbahn abzukommen... Kapitel 3: Eine grinchige Bescherung ------------------------------------ Tatsache, es war Weihnachten! Irgendwie war die ganze Adventszeit nur so an mir vorbei gerauscht: Die ständigen Telefonate mit dem Nordpol, die verschneite Autofahrt zur Adventswichteltanne, die verschiedenen Unter-Druck-Setz-Aktionen, bis der gute Petrus es endlich mal schneien ließ, und das Weihnachtsgeschäft boomte nur so. Beinahe jeder wollte seine Seele verkaufen, um das perfekt passende Geschenk für seine Lieben ohne viel Suchen zu ergattern. Da mussten viele Verkaufsgespräche geführt und Verträge aufgesetzt werden. Also war ich gelinde überrascht, als ich das letzte Schokobonbon mit Schwefelfüllung aus meinem Adventskalender fischte. Wenigstens hatte ich es geschafft sämtliche Weihnachtsgeschenke vorher zu besorgen und war nicht eiskalt von den Feiertagen erwischt worden. Okay, eiskalt war hier unten nicht möglich, schließlich heizte ich ja immer gut. Aber trotzdem, da freut man sich so lange Zeit auf etwas und dann steht es urplötzlich vor der Tür. Und ihr sollt es nicht für möglich halten, aber ich liebe die Weihnachtszeit. Ja, ja, ich weiß, es klingt seltsam, dass der Teufel die Geburt Christi feiert… Aber eigentlich verstehe ich mich ganz gut mit denen da oben. Ich schicke ihnen auch jedes Jahr ein Geschenk hinauf: Heiligenschein-Politurwachs für den Senior, neue Biolatschen für den Junior und ein Schlüsselanhänger, der piept, wenn man klatscht, für Petrus. Der verlegt nämlich immer die Schlüssel für die Himmelspforten. Dafür schickte mir der Oberboss ein Schachspiel für unsere nächste Partie und der Sohnemann einen Fressalienkorb mit Marshmallows und anderen höllenfeuergeeigneten Leckereien. Nur Petrus hielt sich bedeckt. Na ja, war wohl noch eingeschnappt wegen der ganzen Schneenerverei. Aber was tut man nicht alles, wenn man einer sorglosen Frontfrau weiße Weihnachten versprochen hat. Und was dabei herumgekommen war, konnte ich nun jeder Zeit bei youtube bewundern. Wirklich beeindruckend, dass so ein bisschen Schnee für einen echten Weihnachtshit gesorgt hat. Am ersten Weihnachtsfeiertag packte ich gerade die Geschenke für eine gewisse Band zusammen, um mit ihnen Weihnachten zu feiern. Für Easy gab es ein Miniaturlenkrad mit teuflischen Glückskräften, das aber nur für ganz kleine Wünsche gut war, denn man konnte ja nie wissen. Jack sollte bald stolze Besitzerin von neuen Zusatzglöckchen für ihr Schlagzeug werden, Chris durfte sich auf ein Extra-weich-und-flauschig-Instrumente-Poliertuch freuen, Abranka sollte ein Rezept für Inspirationskekse bekommen, Nifen konnte dann einen durchstrukturierten Managerorganizer auspacken und Kiwi würde ihre Krallen in ein teuflisches Katzenspielzeug schlagen können. Wie gesagt, alle Weihnachtsgeschenke standen schon lange bereit und ich musste sie nur noch in einer großen Tasche verstauen. Doch bevor ich Jingle Bells pfeifenderweise zum Fahrstuhl gehen konnte, klingelte mein schwarzes Telefon mit einem extra schrillem „Riiiiing“. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Leicht besorgt hob ich ab, da schrie mir gleich eine jammernde Stimme „Chiiiiiiiiiii!!!“ ins Ohr. (Easy hatte es sich angewöhnt meinen Namen stark abzukürzen und dafür die eine Silbe sehr lang zu ziehen.) „Unser Weihnachtsbaum ist weg…“ Danach folgte ein undefinierbares Schniefen und Gestammel. „Immer mit der Ruhe. So ein Baum kann doch nicht einfach verschwinden. Vielleicht hat Jack ihn nur an eine andere Stelle gerückt?“, versuchte ich zu beruhigen. Aber die Frontfrau schniefte nur steinerweichend in den Hörer und nuschelte: „Weg… einfach weg… bestimmt ein Einbrecher…“ Na ja, in der letzten Zeit hatte sie ziemlich oft bei mir angerufen wegen den seltsamsten Dingen und meistens hatte sie hinterher rumgeschnieft, bis ich versprach, etwas zu unternehmen. „Weiße Weihnacht, Chiiiii, weiße Weihnacht.“ „Mein Quietscheentchen quietscht nicht mehr.“ „Nur einmal noch am Lenkrad reiben…“ „Ich brauche unbedingt mehr Seitenaufrufe bei youtube.“ Wie sollte ich also diesen Anruf nun vollständig ernst nehmen? Kein Einbrecher der Welt klaute Weihnachtsbäume… Aber da riss Jack ihrer Zwillingsschwester das Telefon aus der Hand: „Sie hat Recht, der Baum ist verschwunden. Alles an Weihnachtsdekoration ist fort und sogar die Geschenke. Gestern Abend, als der Weihnachtsmann vorbeikam, war alles noch da, aber über Nacht ist es weggeschafft worden. Wir haben schon überall gesucht.“ Okay, die Lage war wirklich ernst. „Ich bin gleich da“, antwortete ich und hängte ein. Schnell schnappte ich mir die Geschenketasche und lief zum Fahrstuhl. Allerdings verzichtete ich auf das Gepfeife und drückte lieber den Notfall-Turbo-Liftknopf. In einem winzigen Moment schoss der Fahrstuhl aus den Tiefen der Unterwelt hoch zur Sorglospunk-WG. Als ich anklopfte, öffnete mir eine zerknirscht aussehende Nifen die Tür. „Gut, dass du da bist. Easy ist nicht mehr zu beruhigen“, begrüßte sie mich. Im Wohnzimmer war das ganze Elend sichtbar: Easy starrte von Schniefattacken durchschüttelt auf den Fleck, an dem wohl vorher der Weihnachtsbaum gestanden hatte; Jack war etwas gefasster als ihre Schwester, dennoch sah die Drummerin traurig zum Kamin, an dem vorher die bunten Strümpfe gehangen hatten; Abranka flog mit ihrer Wolke von Sorglospunk zu Sorglospunk, um sie alle ein wenig zu trösten, und Chris zappte apathisch durch die Fernsehkanäle, um sich abzulenken. Da aber auf fast jedem Sender ein Weihnachtsfilm lief, brachte es nicht wirklich viel. „Du kannst doch bestimmt etwas unternehmen, oder? Das schaffst du doch? Du bist doch die Herrscherin der Unterwelt.“ Hoffnungsvoll sah Easy mich mit rotumrandeten Augen an und ich musste schlucken. So verzweifelt hatte ich noch niemanden erlebt und normalerweise treibe ich viele Menschen zur Verzweiflung (aber nur wenn sie es auch so richtig verdient hatten). Zögerlich nickte ich: „Ich werde alles Teufelmögliche versuchen.“ Ich weiß nicht warum, aber ständig versprach ich Easy, für sie Himmel und vor allem Hölle in Bewegung zu setzen. Sorgsam sah ich mich um, ob der Einbrecher vielleicht Spuren hinterlassen hatte. Bis auf ein paar wenigen Lamettafädchen auf dem Teppich hatte er ganze Arbeit geleistet. Er war mit seiner Beute spurlos verschwunden. Was zur Hölle hatte das zu bedeuten? „Achtung, Achtung, eine wichtige Sondermeldung“, ertönte die Stimme der Nachrichtenmoderatorin aus dem Fernsehen. „Ein Unbekannter stiehlt überall in der Gegend Weihnachtsbäume, Geschenke und Dekoration. Die Polizei vermutet einen Anti-Weihnachten-Verbrecherring hinter der Tat. Die Bevölkerung wird dazu aufgerufen, besonders wachsam zu sein und Verdächtige sofort zu melden. Jemand will uns einfach Weihnachten stehlen.“ Bei mir klingelten sämtliche Alarmglocken und ich sah zur Bandmuse hinüber, die vollkommen harmlos aussehend auf ihrer Wolke saß. Scheinbar hatte mich gerade einer ihrer berüchtigten Ideenblitze getroffen, wie sonst wäre mir wohl so schnell der Tatverdächtige Nr. 1 eingefallen? Ich brauchte nur noch einen Beweis! Hektisch stürzte ich zum Kamin und untersuchte jede Ritze und jeden Winkel. Und tatsächlich, an einem Mauervorsprung hing ein einzelnes grünliches Haar. „Aha!“, rief ich aus. „Aha?“, echoten die Sorglospunks und drängten sich um mich. „Was ist das?“, fragte Jack. „Ein Indiz?“, wollte Nifen wissen. Easy betrachtete das Haar genauer und erkundigte sich: „Wer war der Übeltäter? Haben Sie ihn überführt, Chi-lock Holmes?“ „Ganz genau“, setzte ich zu einer Erklärung an. „Es war der einzige überzeugte Weihnachtshasser.“ Chris sah verwirrt auf das Beweismittel und fragte: „Aber wer ist dieser Weihnachtshasser?“ „Na, der Grinch natürlich!“, sagte ich überzeugt. „Dann auf zur Grinchhöhle! Wir holen uns unsere Sachen wieder zurück!“, rief Easy voller Elan und rannte zur Tür. Die wieder recht sorglose Frontfrau war nicht mehr zu bremsen, also folgten wir ihr einfach. Zielstrebig stapfte sie durch den Schnee, bis sie abrupt stehen blieb und murmelte: „Wo ist eigentlich diese Grinchhöhle?“ „Immer der Nase nach. Genau dort oben auf dem Berg“, schaltete sich die Muse ein und deutete auf den kleinen Berg am Stadtrand. Schließlich ist es allgemein bekannt, dass der Grinch aus Whoville fortgezogen war und sich nun hier angesiedelt hatte. (Alles nachzulesen in den höllisch-roten Seiten Band 13, welcher die Adressen sämtlicher Fabel- und sonst wie gearteten Wesen beinhaltet.) So stapften wir unter Easys und Abrankas Führung den Berg hoch, um die berühmte neue Grinchhöhle zu finden und Weihnachten wieder zu holen, das der grüne Zeitgenosse heimtückisch gestohlen hatte. Nach einem strammen Fußmarsch standen wir endlich vor der Höhle. „Und jetzt? Wie bekommen wir den Grinch dazu, uns unseren Baum zurückzugeben?“, erkundigte sich Chris behutsam. Ihm schwante natürlich, dass Easy gleich darauf einen ihrer seltsamen Einfälle bekam, und blickte vorsichtshalber zu Abranka hoch, damit sie es mit den Blitzen nicht zu wild trieb. Jack meinte nachdenklich: „Na ja, freiwillig wird er alles bestimmt nicht herausrücken, sonst hätte er es nicht vorher gestohlen.“ Aber Easy winkte ab. „Das wird ganz einfach. Wir sind doch die Sorglospunks. Und was können die Sorglospunks am besten?“ „In Schwierigkeiten geraten?“, tippte Chris. „Heilloses Chaos verbreiten?“, rätselte Nifen. „Mit einem blauen Auge davonkommen?“, war Jacks Rateversuch. Easy schüttelte vehement den Kopf. „Aber nein! Natürlich können wir am besten Musik machen. Also werden wir ihn mit einem fetzigen Song dazu bringen, uns unsere Sachen wiederzugeben.“ „Ähm, aber zufälligerweise haben wir gar keine Instrumente dabei…“ dämpfte Chris den Übermut der Frontfrau. „Dem kann ich abhelfen“, warf ich ein und zückte meine Geschenketasche, die ich noch immer mit mir herumschleppte. Schnell drückte ich Jack ihr Päckchen in die Hand und bastelte mit dem Geschenkband aus meinem Dreizack einen provisorischen Bass für Chris. Okay, er war alles andere als perfekt, aber was anderes war halt nicht zur Hand. Verdattert betrachteten Jack und Chris ihre neuen Instrumente. „Und was für ein Lied sollen wir überhaupt spielen?“, versuchte es der Prince of Punk noch einmal. „Natürlich ein Grinch-Lied!“, grinste Easy und sah zwinkernd zu Abranka. Die Bandmuse krempelte noch eben ihre Ärmel hoch und machte sich bereit, Easy mit einer Extraportion Inspiration zu versorgen. So marschierten wir in die Grinchhöhle hinein und Easy stimmte gleich den neuen Song an, als wir den griesgrämigen Grinch erblickten. Bevor dieser noch mürrisch schreien konnte: „Verschwindet, stört mich nicht!“ „Hey, gib uns uns’ren Baum zurück Und klau nicht mehr das Weihnachtsglück. Du bist echt fies und sehr gemein, dein Herz ist ja auch viel zu klein. Ist dein Kopf falsch angeschraubt, dass du uns die Geschenke raubst? Wir wollen das Lametta, wollen Winterwetter. Ein Plätzchen und den Baum zurück, ja das wär unser großes Glück. Alles wäre better, etwas mehr Lametta. Schneid den Weihnachtskuchen an, und jeder kommt mal dran. Auch wenn du Weihnachten nicht magst, wär‘s besser, wenn du vorher fragst. Weihnachten ist doch wirklich toll, die ganze Zeit nur wundervoll. Lichterglanz und Glühwein, Zimtsterne sind auch fein. Wir wollen das Lametta, wollen Winterwetter. Ein Plätzchen und den Baum zurück, ja das wär unser großes Glück. Alles wäre better, etwas mehr Lametta. Schneid den Weihnachtskuchen an, und jeder kommt mal dran. Oh-hohohohooooooooooo, oh-hohohohohohooooooooooo. Wir wollen das Lametta, wollen Winterwetter. Ein Plätzchen und den Baum zurück, ja das wär unser großes Glück. Alles wäre better, etwas mehr Lametta. Schneid den Weihnachtskuchen an, und jeder kommt mal dran.“ Der Text sprudelte nur so aus Easy heraus und erinnerte von der Art her irgendwie an Musik aus den 80ziger Jahren. Jack bimmelte mit ihren Glöckchen, während Chris alles aus dem Dreizack-Bass herausholte. Nifen, Abranka und ich klatschten den Takt und stimmten bei den Lametta-Versen lauthals mit ein. Der Grinch wusste gar nicht, wie ihm geschah. Völlig verwirrt und fassungslos starrte er die Sorglospunks an und ganz besonders Easy, die wie ein Honigkuchenpferd von einem Ohr zum anderen grinste. „Und? Bekommen wir nun unseren Weihnachtsbaum und die Geschenke und überhaupt alles zurück?“, fragte sie keck den grünlichen Höhlenbewohner. „Ansonsten hätte ich in kürzester Zeit bestimmt noch ein Lied in petto, das dich völlig überzeugen wird. Denn es ist echt nicht okay, anderen Leuten einfach Weihnachten zu klauen, nur weil man selbst den Feiertag nicht mag.“ „Ja, nehmt euch nur den Plunder…“, knurrte der Grinch. „Nur weil ich Weihnachtsbäume klaue, wird mich trotzdem niemand zu sich über Weihnachten einladen.“ „Ähm, irgendwie gehst du die Sache auch falsch an“, bemerkte Chris und lehnte sich lässig gegen meinen Dreizack. „Man beklaut doch nicht die Leute, damit sie einen zu einer Weihnachtsfeier einladen. Das ist die komplett falsche Taktik.“ Die Frontfrau nickte. „Aber wenn du alle gestohlenen Weihnachtsdekorationen und Geschenke zurückgibst, kannst du bei uns Weihnachten feiern.“ „Wirklich?“ hakte der Grinch nach und setzte einen bittenden Blick auf. „Eigentlich finde ich Weihnachten nämlich gar nicht so schlecht. Es ärgerte mich nur, dass niemand mit mir feiern wollte.“ Inzwischen sah er ein wenig kleinlaut aus. „Klar, du kannst bei uns Weihnachten verbringen. Aber zuerst wird alles zurückgebracht“, bestätigte Jack das Versprechen ihrer Schwester. Gemeinsam verstauten wir das ganze Diebesgut aus der Höhle auf den Schlitten des Grinchs und halfen ihm, die Sachen wieder an ihre rechtmäßigen Besitzer unten in der Stadt zu verteilen. Dabei sang Easy immer noch den Refrain des Grinch-Liedes und verteilte großzügig Sorglospunk-Buttons an die glücklichen Leute, die nun endlich wieder Weihnachten zurückbekamen. Später saßen wir wieder gemütlich bei Plätzchen und Punsch im Wohnzimmer der Sorglospunks um den Weihnachtsbaum und freuten uns über unsere Geschenke. Abranka war von dem Keksrezept total angetan, während Chris gleich zum vierten Mal abwechselnd seine Gitarre und seinen Bass mit dem neuen Tuch polierte. Easy war von dem Miniaturlenkrad echt begeistert und rieb energiegeladen daran herum. Jack hatte die Glöckchen an ihrem Schlagzeug befestigt und klimperte damit eine kleine Weihnachtsmelodie. Nifen trug gleich Termine für das nächste Jahr in ihren Organizer und Kiwi wetzte mit ihrem teuflischen Spielzeug durch den Raum. Auch der Grinch sah glücklich aus und knabberte Zimtsterne. Und ich hatte es auch nicht schlecht getroffen, denn ich mampfte ein Stück Motivationsschokolade, während ich mein neues Sorglospunk-Crewmitglied-T-Shirt trug, an dem zahlreiche Sorglospunk-Buttons prangten, und betrachtete liebevoll meine knallpinke Kiwi-Alien-Plüschtier-Version. So konnte Weihnachten von mir aus jedes Jahr sein… Kapitel 4: 3, 2, 1…. Angst!!!! ------------------------------ In den tiefsten Tiefen des Internets ist alles zu finden. Aber nur die wenigsten Menschen haben dort eine Quelle für neue Einfälle entdeckt, mit denen man einer meistens recht mittellosen, dafür aber umso sorgloseren Punkband zu einem weltweiten Bekanntheitsgrad verhelfen kann. Vielleicht gab es auch nur einen Menschen, der diese Fähigkeiten besaß, und dieser Mensch war Nifen, die Bandmanagerin der Sorglospunks. Und dieses Mal hatte sie das Wunder von eBay entdeckt. Ich muss gestehen, dass ich von Nifens eBay-Erforschung nur das fertige Endprodukt mitbekam, da ich zu dieser Zeit sehr viel um die Ohren hatte. Mein schwarzes Telefon stand selten still, denn scheinbar hatte jemand einer gewissen Teenie-Boy-Band gesteckt, dass ich ihren Hit für eine interessante Schnitzeljagd zweckentfremdet hatte. (Dass der Songtext von vorneherein für eine solche Gelegenheit verfasst worden war, wollte mir Bill einfach nicht glauben…) Warum sonst hätte ich ausgerechnet Tokio Hotel unter Vertrag nehmen sollen? Bestimmt nicht weil die Jungs so „knuffig“ waren. Sie waren eher eine leichte Beute gewesen und hatten ihre Seelen für ‘nen Appel und ‘n Ei hergegeben. Aus meiner Sicht waren sie nur ein kleiner Lückenfüller, der bereits im Diesseits die Leute für mich nervte und halb in den Wahnsinn trieb. (Ein bisschen Spaß muss man sich ja ab und an mal gönnen.) Jedenfalls verbrachte ich die meiste Zeit damit, einen völlig aufgelösten und flennenden Bill einigermaßen zu trösten und wenigstens ein bisschen glaubhaft zu versichern, dass mir etwas an ihm lag. Allerdings, irgendwann nach dem zwanzigsten verheulten Anruf („Du magst uns nicht mehr… buhuuuuuuu…“), habe ich dann doch lieber mein Telefon auf stumm gestellt und mich verdrückt. Verdammt noch mal, ich bin der Teufel und keine Kummerkastentante von der Bravo! Also schneite ich mal wieder in der Sorglospunk-WG herein. Hier würde Bill mich bestimmt nicht ausfindig machen. Und außerdem hatte ich die Band seit unserem Balkonien-Urlaub nicht mehr besucht. Das lag einerseits an den nervigen Teenie-Boys und ihren Selbstmitleidskrisen, und andererseits daran, dass ich befürchten musste, dass Easy mal wieder das wechselhafte Wetter nicht passte. Ich weiß auch nicht, warum ich immer herhalten musste, wenn es um solche Angelegenheiten ging. Regen, Sonne, Schnee, Nebel… Und nie war man mit dem Ergebnis auf lange Sicht zufrieden. Nicht einmal der Einsatz meiner teuflischen Nebelmaschine an Silvester war richtig gewürdigt worden. Es war plötzlich zu nass, zu heiß, zu kalt, zu wenig Sicht. Na ja, aber was tat man nicht alles für seine Lieblingsband? (Bitte, fang jetzt nicht wieder an zu weinen, Bill…) Als ich also in der Band-WG auftauchte, sprang mich gleich eine aufgeregte Easy mit einem freudigen „Chiiiiiiiiiiiiii!“-Ruf an. „Wo hast du nur gesteckt?“ „Ach, ich hatte viel zu tun. Der Job kann manchmal echt höllisch sein“, antwortete ich grinsend und wand mich vorsichtig aus der Umklammerung, ohne dass die Schwingen unnötig zerzausten. Schließlich konnte ich ihr doch nicht sagen, warum Tokio Hotel mich so auf Trab hielten. Momentan sollte die sorglose Frontfrau ja noch glauben, dass das Konzert am Ende der Welt nur ein Traum gewesen war. Easy packte mich am Ärmel und zog mich zur Couch im Wohnzimmer, wo es sich bereits Jack und Kiwi gemütlich gemacht hatten. „Komm, setz dich, setz dich. Nimm dir doch ein Plätzchen“, quasselte die Frontfrau munter und hielt mir eine Schale mit Inspirationsplätzchen unter die Nase. Zumindest wusste ich nun, warum sie so aufgedreht war. In den Plätzchen steckten schließlich die beiden stärksten Sorglospunkwunderdrogen überhaupt: Schokolade und extra viel Kaffee. Eigentlich war das einer meiner größten Geniestreiche gewesen, als ich das Rezept entwickelt hatte. Dankend nahm ich eins der Plätzchen an, kraulte Kiwi am Ohr, die mir sofort auf den Schoss gesprungen war, und fragte erst mal nach: „Was war denn bei euch so los in der letzten Zeit?“ „Ach, Chris chattet beinahe Tag und Nacht mit dieser Barkeeperin aus Tokyo und bettelt Nifen an, ob wir nicht mal eine Tour durch Japan machen könnten“, erklärte Jack mit einem vielsagenden Blick. Easy nickte und plapperte drauf los: „Aber es ist auch etwas echt Merkwürdiges passiert. Nifen hat sich in ihrem Büro seit zehn Tagen eingeschlossen. Wir haben keine Ahnung, was sie da drinnen ausheckt. Abranka schiebt deshalb schon Wache vor der Tür, damit wir sofort erfahren, was los ist, wenn Nifen mal wieder herauskommt.“ Wenn die Bandmanagerin so geheimnisvoll tat, musste es etwas verdammt Interessantes sein, das sie da plante. Da schadete es ja nichts, wenn man vielleicht einmal an der Tür lauschte. Die Zwillingsschwestern waren natürlich sofort bereit, etwas zu spionieren. Also wurde noch Chris unter Protestrufen vom Laptop weggezerrt und wir leisteten der überaus neugierigen Muse vor der Bürotür Gesellschaft. Gleich sechs Ohren, eins von Wolkenhöhe und eins von Katzenkopfhöhe aus, wurden fest gegen die Tür gepresst. Okay, rein theoretisch hätte ich meine teuflischen Kräfte nutzen können und einfach durch die Tür schauen oder gleich direkt ins Büro schlendern können, schließlich können mich normale Türschlösser nicht aussperren, aber das wäre nicht so aufregend gewesen. Gerade als wir angestrengt versuchten, die leisen Geräusche im Büro zu deuten, wurde die Tür enthusiastisch aufgestoßen. „Hey! Ich habe einen… Sagt mal, was macht ihr denn alle dort auf dem Boden?“, wurden wir von Nifen begrüßt. Gleich drei Sorglospunks, ein Bandmaskottchen, eine Muse und ein Teufel saßen wehklagend auf ihrem Hosenboden und hielten sich den Kopf. Warum mussten Türen auch so hart sein? Als wir uns wieder, trotz Kopfschmerzen, aufgerappelt hatten, beendet Nifen ihre Ankündigung. „Ich habe einen wahnsinnig tollen Auftritt für euch. Die Leute haben sich förmlich um ein Konzert von euch gerissen.“ Die Augen der Managerin funkelten fröhlich hinter ihrer Sonnenbrille. „Die Leute haben sich darum gerissen?“, fragte Chris erstaunt. Easy hoppelte durch den Flur, vielleicht wegen dem Überschuss an Kaffee, und rief: „Hurra, ein Auftritt. Wir haben einen Auftritt!“ „Wo sollen wir denn überhaupt auftreten?“, erkundigte sich Jack vorsichtig. „Also“, setzte Nifen an. „Ich habe eine ganz neue Strategie eingesetzt und ein Konzertangebot von euch bei eBay reingestellt…“ „Bei eBay?!!?“, riefen alle drei Sorglospunks entgeistert und warfen einen vorwurfsvollen Blick Richtung einer gewissen Wolkenbesitzerin. „Das war nicht meine Idee“, verteidigte sich Abranka. „Nicht jede Idee ist automatisch von mir!“ „Genau“, bestätigte Nifen. „Da bin ich ganz alleine darauf gekommen. Ich habe intensive eBay-Forschung betrieben. Bei eBay wird ja alles angeboten: Smileys für 1.000 Euro, McDonalds Monopoly-Sticker für über 40.000 und sogar eine Seele wurde versteigert.“ Ich nickte wissend. „Das war ein echtes Schnäppchen, grad mal 5,50 Euro. Ich wüsste gerne, was die bösen Menschen, die mir mein Gebot wegnehmen wollten, damit eigentlich vorhatten“, murmelte ich. Nifen überging meinen Kommentar. „Jedenfalls habe ich mir gedacht, dass genauso gut ein Konzert versteigert werden kann. Also habe ich die ganze Auktion mit Argusaugen überwacht und der Höchstbietende war Dr.Angst.“ „Dr.Angst?“, echote Chris skeptisch. „Der Nick klingt aber nicht sehr vielversprechend.“ „Er ist ein Wissenschaftler, der Angstzustände erforscht. Schließlich habe ich ihn auch sofort gegooglet. Und er möchte das Konzert für den heute Abend anstehenden Ärztekongress auf seinem Anwesen“, erklärt die Managerin gutgelaunt. „Und die Versteigerung wird das große Loch in der Bandkasse wenigstens zeitweise etwas stopfen.“ Die Band stand noch etwas unter Schock, dass ihr Management mal wieder auf das Internet zurückgegriffen hatte, um einen Auftritt zu organisieren. Na ja, und wenn Nifen mich früh genug eingeweiht hätte, hätte ich die Schrei-Teenies sitzen gelassen und mit teuflischen Tricks dafür gesorgt, dass das Gebot schwindelerregende Höhe erreicht. Am späten Nachmittag saßen die komplette Sorglospunkband, Nifen, Abranka und ich im teuflischen Wunderauto, das ich schnell aus der unterweltlerischen Tiefgarage geholt hatte. Kiwi hatte sich geweigert mitzukommen und wollte lieber ein gemütliches Nickerchen in der neuen T-Shirt-Schublade von Chris machen. Nach dem Kleiderschrankmassaker hatte der Bassist seine Kleidungsstücke lieber in einer Kommode untergebracht. Was er allerdings nicht ahnte, war die Tatsache, dass Kiwi ganz genau wusste, wie man Schubladen öffnet. Und sie beobachtete immer sehr amüsiert, wenn Chris sich über die mysteriösen Katzenhaare beklagte, wie mir das Bandmaskottchen im Vertrauen gesagt hatte. Nach einer recht kurzen Autofahrt, schließlich hatte das Wunderauto ganze 500 Kilometer auf einmal übersprungen, erreichten wir das Anwesen von Dr. Dr. Agne Timo Angst, das mit dem umliegenden Parkgelände, um bei der Wahrheit zu bleiben, wirklich und sogar tatsächlich wirklich, absolut und uneingeschränkt gruselig war. Man hätte hier wohl eher ein Treffen mit Dr. Jekyll und Frankenstein als einen normalen Ärztekongress erwartet, wie Jacks entsetzter Blick nur bestätigte. Chris kaute nervös an seinen Fingernägeln und dachte an die zahlreichen Gruselfilme, die auf solchen Anwesen spielten. Gerade mal Easy, noch ganz unter der Wirkung der Plätzchen, und Nifen, wohlwissend, dass die Band sonst wahrscheinlich meutern würde, ließen sich nichts anmerken. Mit einem bangen Gefühl luden wir die Instrumente aus dem Kofferraum und schritten damit den Kiesweg zur Haustür hinauf. Ein schauerlicher Gong ertönte, als Easy an der Klingel zog, und wenige Augenblicke später öffnete sich die alte Eichentür knarrend. „Sie wünschen?“, erkundigte sich ein Butler mit gräulicher Gesichtsfarbe und musterte die Band blasiert. „Das sind die Sorglospunks“, erklärte Nifen mit einer ausladenden Handbewegung in Richtung der Band. „Wir sind hier, weil Dr. Dr. Angst einen Bandauftritt für den Ärztekongress bestellt hat.“ Der Butler nickte und ließ uns herein. „Der Doktor erwartet Sie schon. Bitte folgen Sie mir.“ Eilig schritt er voran durch den dunklen Flur, so dass wir Schwierigkeiten hatten, mitsamt dem Schlagzeug hinterherzukommen. Nach zahlreichen düsteren Gängen gelangten wir endlich zum Saal im westlichen Flügel des Anwesens, in den uns der Butler geleitete. Mehrere Menschen in weißen Kitteln waren dort versammelt, unterhielten sich angeregt und tranken bunte Cocktails. Ein kleiner, unscheinbarer Mann mit zerzaustem Haar stand etwas abseits. Und genau diesen steuerte der Butler zielsicher an. „Doktor?“ „Ah!“ Der kleine Mann stieß einen erschreckten Schrei aus und machte einen Satz nach vorne. Gehetzt sah er den Butler an. „Wa… was ist denn, Igor?“ „Die Band ist da, Doktor“, erklärte Igor gelassen und deutete auf Easy, Jack und Chris. Dr. Dr. Agne Timo Angst nahm eine Brille aus der Tasche seines Kittels und putzte diese hektisch. „Gut, gut, ich befürchtete schon, dass sie sich verspäten. Das hätte vielleicht zu einem Aufstand mit Mistgabeln und Fackeln unter dem Publikum führen können.“ Etwas verängstigt schaute er durch den Saal, als würden die Ärzte vielleicht wirklich einen Aufstand anzetteln. Nifen lächelte und hielt dem Doktor ihre Hand hin. „Keine Sorge, Dr. Dr. Angst, die Band ist sehr Aufstand erprobt. Aber bevor es dazu kommt, sollten wir vielleicht lieber den Auftritt vorbereiten.“ Der kleine Mann sah irritiert und beinahe erschreckt auf Nifens Hand und nickte nur leicht: „Das wäre wohl besser. Man weiß ja nie…“ Und schon trippelte er schnell zur Bühne. Die Bandmanagerin sah ihm verwundert hinterher und betrachtete dann fragend ihre Hand, ob damit vielleicht irgendetwas nicht stimmte. „Der Doktor hat Angst vor dem Händeschütteln“, raunte Igor erklärend. „Er ist ein unglaublicher Wissenschaftler und hat sich zur Erforschung der Angst selbst mit zahlreichen Phobien infiziert. Seither hat er Angst davor, das Haus zu verlassen. Daher muss der jährliche Ärztekongress hier stattfinden.“ „Ah so“, murmelte Nifen und ließ die Hand wieder sinken. Davon hatte sie natürlich nichts bei Google gefunden, obwohl sie so gut recherchiert hatte. Während die Band schnell ihre Instrumente aufbaute, um den befürchteten Aufstand der Ärzte zu vermeiden, löcherten Abranka und ich den Butler mit Fragen. Scheinbar hatte ich die Muse schon mit meiner Neugierde angesteckt. Aber Igor erwies sich als ausgezeichnete Informationsquelle. „Der Doktor hat nach jahrelanger Forschung ein ultimatives Anxiolytikum entwickelt“, sagte er anerkennend. „Ein was, bitte schön?“, erkundigte ich mich. Die Bandmuse blätterte derweil schnell in ihrem musischen Fremdwörterlexikon herum. „Ein Medikament, das jede Art von Angst bekämpft“, erklärte der Butler herablassend. „Doch leider hat er inzwischen eine Pharmacophobie entwickelt und kann daher das Anxiolytikum nicht testen. Wirklich bedauerlich…“ „Ah ja, wirklich schade…“, bestätigte ich und warf Abranka einen fragenden Seitenblick zu. Nach kurzer Suche hatte sie den Begriff im Wörterbuch entdeckt und flüsterte mir zu: „Das ist die Angst davor, Medikamente einzunehmen. Es muss wirklich schrecklich sein, als Erforscher der Angst so viele Ängste zu haben und sich nicht mehr selbst heilen zu können, weil man Angst davor hat.“ Ich nickte nur stumm, denn Easy hatte bereits das Mikrofon ergriffen und den ersten Song angestimmt. Das Konzert war ein voller Erfolg. Wer hätte gedacht, dass ein kompletter Ärztekongress den Refrain von „Melancholische Tomaten“ mitgrölen konnte und sogar bei dem Grinchsong textsicher war. Dr. Dr. Agne Timo Angst klatschte begeistert in die Hände und forderte eine Zugabe nach der anderen. Als schließlich das ganze Sorglospunk-Repertoire rauf und runter gespielt worden war, waren die Ärzte vollkommen zufrieden und Dr. Dr. Angst musste keine Aufstände mehr befürchten. Also konnten wir uns getrost auf den Heimweg machen. Erleichtert das gruselige Haus unbeschadet zu verlassen, stiegen wir in das teuflische Wunderauto und waren im Nu wieder in der Sorglospunk-WG. Easy, diesmal unter der aufputschenden Wirkung eines tollen Konzertes, wuselte gleich in die Küche, um eine Großladung Kaffee für alle zu kochen. Nifen sank mit einem Siegeslächeln auf das Sofa und murmelt: „Nach dem Erfolg sollten wir überlegen, ob wir nicht öfters ein Konzert bei eBay einstellen.“ „Na ja, heute ist ja alles gut gegangen, aber ich finde es trotzdem etwas fraglich uns zu versteigern“, antwortete Jack und setzte sich neben die Managerin. Chris nickte und polierte liebevoll seinen Bass mit dem Extra-weich-und-flauschig-Instrumente-Poliertuch. „Stellt euch mal vor, die hätten wirklich einen Aufstand angezettelt und dann vielleicht meinen Bass zerkratzt.“ „Das wäre nicht das Einzige mit Kratzern…“, vernahm ich eine Stimme aus den Tiefen der Sesselkissen. Kiwi, das Bandmaskottchen, hatte sich dort gemütlich zusammengerollt und auf uns gewartet. Schnell setzte ich mich auf die Armlehne des Sessels und zupfte ein verräterisches Garnfädchen aus Kiwis Krallen. „Na, warst du fleißig?“, erkundigte ich mich grinsend. Das orangegetigerte Maskottchen grinste ebenfalls: „Sagen wir mal, dass ein gewisses Lieblingshemd keinen einzigen Knopf mehr hat…“ Argwöhnisch schob Abranka ihre Wolke näher an den Sessel. „Was miaut ihr da eigentlich?“ „Ach, ich erzähle Kiwi nur, wie toll das Konzert war“, antwortete ich mit Unschuldsmiene. Schließlich war es nicht meine Aufgabe als Teufel einfach Bandmaskottchen zu verpfeifen. Chris würde schon früh genug entdecken, dass seine Hemdknöpfe in der ganzen WG verstreut waren. Inzwischen kam die sorglose Frontfrau mit einer großen Kaffeekanne und einem Türmchen Kaffeebecher hereingestürmt. „Das Konzert war ja wirklich umwerfend. Da soll noch mal einer sagen, Ärztekongresse wären langweilig“, quasselte sie aufgekratzt und goss sich das lebensspendende Elixier ein. Jack angelte sich ebenfalls einen Becher vom Tisch und sah ihre Zwillingsschwester an. „Es wäre bestimmt ein noch viel größerer Erfolg gewesen, wenn wir noch einen neuen Song gehabt hätten. Vielleicht sollten wir dich wieder auf Kaffeeentzug setzen, damit du mal etwas schreibst.“ „Alles nur das nicht!“, rief Easy entsetzt. „Ich setze mich gleich morgen hin und schreibe einen neuen Song, aber streich mir ja nicht den Kaffee. Das überlebe ich nicht.“ Die Bandmanagerin gähnte verhalten. Die zehn Tage eBay-Forschung und –Beobachtung zeigten langsam ihre Spuren. „Dann mach das mal, Easy. Morgen stell ich dann mit dem neuen Song in der Repertoireliste eine weitere Konzertauktion ins Netz. Aber jetzt hau ich mich lieber mal aufs Ohr. Gute Nacht allerseits“, verabschiedete sich Nifen, erhob sich und schlurfte zu ihrem Zimmer. „Schlaf gut!“, riefen wir ihr nach. Aber schon im Türrahmen blieb sie schreckensbleich stehen und zitterte am ganzen Körper. Sofort sauste Abranka mit ihrer Wolke zu der entsetzten Managerin. „Was ist denn los? Alles in Ordnung?“ Nifen schüttelte langsam den Kopf und murmelte schwach: „Nein… Ich habe ganz plötzlich wahnsinnige Angst bekommen.“ „Wovor denn?“, erkundigte sich Easy verwirrt. „Vor etwaigen Kaffeeentzug vielleicht?“ „Red doch keinen Quatsch“, mischte sich Jack ein und sah besorgt zu Nifen. Die Bandmanagerin ging mit Abrankas Hilfe wieder zurück zum Sofa und sagte leise: „Ich hatte Angst davor, ins Bett zu gehen…“ „Wie bitte? Angst davor, ins Bett zu gehen? Gibt es so etwas überhaupt?“, fragte Chris verwundert. „Klar“, schaltete ich mich ein und kramte in meiner Tasche herum. Auf dem Kongress hatte ich mir einen Flyer über die Arbeit von Dr. Dr. Agne Timo Angst eingesteckt, den ich nun suchend durchblätterte. „Das nennt man Clinophobie, steht hier.“ Nifen sah sehr irritiert aus und zitterte nur noch ganz leicht. „Aber ich hatte so etwas noch nie. Was soll ich denn nun machen?“ „Na ja, vielleicht solltest du heute auf dem Sofa schlafen und morgen sieht die Welt bestimmt viel besser aus“, schlug Easy vor. Aber leider sollte sie nicht Recht behalten… Am nächsten Morgen stellte sich heraus, dass eine Nacht darüber zu schlafen absolut nichts genutzt hatte. Eigentlich hatten wir auch gar nicht geschlafen, denn Chris hatte eine schreckliche Achluophobie entwickelt. Als Easy das Licht im Wohnzimmer versehentlich ausgemacht hatte, fing der Prince of Punk an, ohrenbetäubend zu schreien. Seine Panik vor der Dunkelheit zwang uns, alle Lampen in der Sorglospunk-WG die ganze Nacht über brennen zu lassen, so dass niemand wirklich ein Auge zukam. Beim Frühstück fand Jack heraus, dass sie an Mageirocophobie litt, denn sie war nicht in der Lage sich einen Tee zu oder überhaupt etwas zu kochen. Währenddessen klagte Easy über einer Amnesiphobie und stand panische Angstzustände aus, dass sie vielleicht ihr Gedächtnis verlieren könnte. Auch Abranka blieb nicht verschont vor der grassierenden Angstwelle und musste ihren Plan, in diversen Lexika einen Ausweg zu finden, wegen akuter Bibliophobie aufgeben. Sie konnte nicht einmal in die Nähe von Büchern kommen, weshalb wir die gesamte Sorglospunk-Bibliothek in den Keller räumten. Selbst ich war nicht mehr in der Lage bei der Informationsstelle meines Büros anzurufen, um dort vielleicht etwas zu erfahren. Schließlich erkrankte ich an einer schlimmen Hexakosioihexekontahexaphobie und das machte es unmöglich, eine Telefonnummer, die mit 666 begann, zu wählen. Ebenso wenig konnte ich einfach mit dem Fahrstuhl selbst zur Informationsstelle fahren, weil ich schnell eine neu aufkommende Hadephobie feststellte. Es war einfach lächerlich. Der Teufel selbst bekam Angst vor der Hölle… Der Tag wurde noch abgedrehter, als er so schon war. Nifen entwickelte eine Xanthophobie, so dass wir alle gelben Gegenstände ebenfalls in den Keller stopfen mussten. Bei Chris kam noch zuerst eine Aulophobie hinzu, also wanderten Jacks Flöten auch in das Exil, und dann noch eine nicht minderstarke Catoptrophobie, so dass kurze Zeit später die Spiegel im Haus denselben Weg gingen. Allein zu Kiwis Freude entwickelte niemand eine Aelurophobie, eine Felinophobie oder gar eine Galeophobie, die alle eine tierische Angst vor Katzen bedeuteten. Irgendwann nachmittags wollte sich die nicht mehr ganz so sorglose Frontfrau der Sorglospunks von den seltsamen Ereignissen etwas ablenken (außerdem befürchtete sie in dieser Katastrophe noch einen zusätzlichen Kaffeeentzug) und sich an den Schreibtisch setzten, um wie versprochen einen neuen Song zu verfassen. Als sie aber vor dem leeren Blatt saß, stieß sie einen spitzen Schrei aus. Ein eindeutiger Fall von Easiophobie, der Angst zu schreiben. „Wie passend“, kommentierte Chris missmutig. „Lass dir etwas einfallen, Abranka. Wir brauchen dringend eine Lösung.“ Die Muse schüttelte nur entsetzt den Kopf und murmelte kleinlaut: „Das geht nicht.“ „Und warum nicht?“, hakte Jack erstaunt nach. Schließlich hatte die Bandmuse immer eine rettende Idee gehabt, wenn alles ausweglos schien. Abranka schaute kurz in meine schlaue Lektüre vom Ärztekongress und erklärte: „Ich habe schreckliche Ideophobie…“ „Du hast Angst vor Ideen?“, stieß Nifen fassungslos hervor. „Was sollen wir denn jetzt nur machen?“ „Ich glaube, so langsam bekomme ich eine Hellenologophobie“, sagte Jack matt und sank in den Sessel. „Diese ganzen griechischen Wörter machen mir Angst.“ Easy nickte. „Und ich leide jetzt auch noch an Neoorthographogermanophobie, aber die neue deutsche Rechtschreibung war mir ja noch nie geheuer.“ Als zum Schluss noch jeder an Musicophobie erkrankte, haute die Bandmanagerin mit der Faust auf den Tisch. „Das kann so doch nicht weitergehen. Wer hat denn von einer Punkband gehört, die sich vor Musik fürchtet?“ „Das ist alles Schuld von diesem Doktor. Wir müssen uns irgendwie bei ihm angesteckt haben“, fauchte Jack und verschränkte die Arme. Ich nickte: „Schließlich hat er sich selbst mit Angst infiziert. Am besten ruft derjenige, der noch keine Angst vor Telefonen hat, bei Dr. Dr. Agne Timo Angst an und bittet ihn um sein ultimatives Anxiolytikum. Wir bieten uns einfach als Versuchskaninchen an. Schlimmer kann es nicht werden.“ „Genau“, rief Easy zustimmend und angelte nach Nifens Organizer, um bei dem Doktor anzurufen. Spät am Abend, bekanntlich hat ja nicht jeder ein etliche Kilometer überspringendes, teuflisches Wunderauto, klopfte es endlich an der Tür. Igor, der gruselige Butler, überbrachte uns das Gegenmittel, da der Doktor selbst das Haus nicht verlassen konnte. „Jeder soll zwei dieser Tabletten mit viel Wasser einnehmen“, übermittelte er die Anweisungen von Dr. Dr. Angst. „Falls sich die Ängste nicht sofort verflüchtigen, wird eine erneute Einnahme des Medikamentes am nächsten Morgen vorgeschlagen.“ Jeder nahm seine zwei Tabletten von dem grauhäutigen Butler, der sich kurz darauf verabschiedete, entgegen und betrachtete diese zögerlich. „Okay, wir nehmen sie gleichzeitig“, schlug Jack vor und umklammerte ihr Wasserglas. „3,2,1…“ Gemeinsam konsumierten wir das Anxiolytikum und ich konnte sofort spüren, dass ich wieder eine 666 ertragen und sogar in zur Hölle fahren konnte. Die Bandmuse machte vor Freude einen Luftsprung auf ihrer Wolke und jubelte: „Ich kann wieder Ideen haben!!!“ Alle waren erleichtert und hüpften vor Freude durch die WG. Easy rannte sogar sofort zum Schreibtisch, um die neuen Ideen, die von der Muse nur so durch die Luft geschleudert wurden, auf Papier zu bringen. Nach nur fünf Minuten hielt sie strahlend ein vollgeschriebenes Blatt hoch und verkündete: „Wir sollten mal schnell testen, ob die Musicophobie noch anhält.“ Chris zückte sofort seine Gitarre und Jack holte ihre Flöten aus dem Keller. Lauthals stimmte die nun wieder sorglose Frontfrau das neue Lied an: „Wir zitterten und schlotterten Blanke Panik saß in unserem Nacken Die Angst ging um wie eine Grippewelle Aber schau ihr tief in die Augen Denn gegen Furcht gibt es eine Medizin Und die heißt Sorglospunks! 3,2,1… Angst!!! Du glaubst, du kriegst mich klein? Aber ich fürchte mich nicht! 3,2,1… Angst!!! Hörst du mich, Angst? Ich lach dir ins Gesicht! Ein Sorglospunk fürchtet nicht einmal die Furcht Wir bleiben nicht vor Angst starr Verstecken uns nicht unterm Bett Denn wir sind mutig Nur ein Sorglospunk bekämpft die Furcht Bis sie Angst vor uns hat! 3,2,1… Angst!!! Du glaubst, du kriegst mich klein? Aber ich fürchte mich nicht! 3,2,1… Angst!!! Hörst du mich, Angst? Ich lach dir ins Gesicht! 3,2,1… Angst!!! Hörst du mich, Angst? Ich lach dir ins Gesicht!“ Easy sah sich beifallserheischend um, während der Bassist leicht den Kopf schüttelte. „Eigentlich haben wir es Igor zu verdanken und die Medizin heißt Anxiolytikum, aber was soll’s…“ „Wenn soweit wieder alles in Ordnung ist, kann ich ja jetzt eine neue eBay-Auktion einstellen“, meinte Nifen fröhlich. „Dann schreib aber lieber eine Klausel hinzu, dass wir nicht mehr bei Angst erforschenden Doktoren auftreten“, bemerkte Jack spitz. Die Bandmanagerin nickte nur schnell. So einen Tag wollte keiner von uns noch einmal durchmachen. Kapitel 6: Märchenhafter Ausflug -------------------------------- Es war einmal eine sorglospunkige Band, die wahnsinnige Hits ihr Eigen nennen durfte, aber immer noch auf den großen Durchbruch wartete. Zwar hatten sie schon viele Konzerte gegeben und nach jedem eine Vielzahl von neuen Fans verbuchen können, aber sie hatten auch derbe Rückschläge erlebt: wie ein abgekartetes Spiel mit einem Bandwettbewerb und einer 100€-Teilnahmegebühr (und glaubt mir, diese Veranstalter würden dafür noch in der Hölle schmoren), fliegende Tomaten, Werwölfe, Angstzustände und die Erkenntnis, dass sie Ruhm und Ehre erneut nur im Traum erlangt hatten. Aber trotzdem gab die Band nicht auf, denn ein Plattenvertrag konnte ja bereits an der nächsten Ecke auf sie warten. Rein theoretisch hätte ich ihnen mit Leichtigkeit einen solchen beschaffen können, bin ich doch der Teufel höchstpersönlich und die Vorsitzende des überhaupt größten Plattenlabels Unterwelt Records GmbH & Co KG, aber auch ich muss mich an gewisse Regeln halten. Keine Seelen, kein Plattenvertrag, so einfach ist das. Obwohl ich gerne eine Ausnahme gemacht hätte, aber dann würde mein schwarzes Telefon niemals mehr still stehen und jeder nun seelenlose, dafür aber verdammt reiche und berühmte Star würde sich bei mir beschweren. Und dann wären die nervigen Schrei-Teenies sogar noch mein kleinstes Problem… Also musste sich die Band da doch alleine (zwar mit ein wenig teuflischer Unterstützung, aber wirklich nur auf Sparflamme) zum großen Durchbruch durchschlagen. Und so war es auch an diesem Tag in der Sorglospunk-WG. „Wir brauchen dringend ein neues Konzert“, lag Easy der Bandmanagerin in den Ohren. Immerhin wollte sie ihren neuen Song an einem richtigen Publikum testen. „Ich weiß…“, seufzte Nifen. „Aber es gibt zurzeit keine gute Angebote.“ Eine dicke Flaute, die sich als eine Bietkrise bei eBay herausstellte, hatte sich breit gemacht. Die letzte Auktion war einem Spaßbieter zum Opfer gefallen, der aber sofort nach Auktionsende auf Nimmerwiedersehen verschwunden war. Jack, das musikalische Multitalent, sah von ihrer Schlagzeug-Zeitschrift hoch und erkundigte sich: „Gibt es echt gar nichts? Nicht einmal aus dem Spam-Filter?“ Easys meist quengelig vorgetragener Wunsch, ein weiteres Konzert zu geben, sorgte dafür, dass niemand in der WG mehr seine Ruhe hatte. Und außerdem war ein gehöriges Loch in der Bandkasse zu stopfen, verursacht von einem gefaktem Bandcontest und einem vollautomatischen Dosenöffner für Katzen. Da war es besser noch einmal nachzuhaken. Die Bandmanagerin schüttelte traurig den Kopf. „Nein, auch die Spam-Mails helfen nicht weiter.“ Die Frontfrau der Band sah hoffnungsvoll zu mir herüber und bettelte: „Chiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii…“ „Nö, nö, nö, nichts Chiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii…“, sagte ich bestimmt. „Ich habe eine höllische Woche hinter mir und bin froh über ein bisschen Ruhe.“ Schließlich wusste ich genau, dass die viele Extra-Is hießen: Kannst du nicht bitte, bitte deine teuflischen Beziehungen spielen lassen und uns einen Auftritt verschaffen? Und ich hatte echt genug um die Ohren gehabt. Zig verschiedene Wahlen, den Super Bowl und Ende des Monats standen dann noch die Oscar-Verleihungen an. „Ach Mensch…“, murmelte Easy klagend. „Teufel, bitte schön“, grinste ich und nippte an meinem Pink Devil . Chris hatte nämlich einige Cocktailrezepte von Umeko bekommen und probierte diese gerade mit viel Elan und Begeisterung aus. Noch zwei Rezepte mehr und ich hatte alle Farbvarianten des Devils durch. Bevor Easy etwas erwidern konnte, rauschte ein pfeilschneller Federwusch durch das offene Fenster und stieß dabei fast mit Abranka zusammen, die erschreckt ihr Glas Great Idea fallenließ. Das gefiederte Etwas setzte zum Sturzflug über den Wohnzimmertisch an, fegte dabei die von Jack liebevoll gebastelten Cocktailschirmchen zu Boden und landete schließlich auf meinem Knie. Verdutzt erkannte ich in dem zerzausten Federwusch eine Brieftaube, die mir ungeduldig einen Brief in den Schoß schmiss und sofort wieder losflatterte. Ich konnte mir schon ausmalen, was in dem Brief stand, ehe ich überhaupt den Umschlag geöffnet hatte, und seufzte leise. „Schlechte Nachrichten?“, erkundigte sich Jack und stellte ihr Glas mit Apple Jack zur Seite. Zögerlich schüttelte ich den Kopf und faltete die dichtbeschriebenen Zettel auseinander. „Nicht direkt…“ „Was ist denn dann los?“, fragte Nifen, die bei Chris an seiner improvisierten Bar auf einen neuen Citrus Surprise wartete. „Eine na ja… Band braucht dringend meine Hilfe“, erklärte ich, nachdem ich einige Zeilen gelesen hatte. „Dann war’s das wohl mit meinem freien Tag.“ Easy zog es vor, mit leicht beleidigter Miene ihren Cocktail Easy does it zu schlürfen, als anzumerken, dass die Sorglospunks bei dieser Konzertflaute auch etwas Hilfe bräuchten. Abranka warf einen neugierigen Blick auf den kritzlig geschriebenen Brief. „Welche Band ist es denn dieses Mal? Die Killerpilze? Debbie Rockt?“ „Nein… Es sind die Bremer Stadtmusikanten“, erwiderte ich langsam. „Ach“, ließ Chris verlauten, während er gekonnt Nifens Cocktail durchschüttelte. „Gibt es jetzt auch eine Band, die sich nach einem Märchen benennt?“ Erneut schüttelte ich den Kopf. „Es ist keine neue Band, das sind die echten Bremer Stadtmusikanten.“ Jetzt konnte die sorglose Frontfrau doch nicht mehr schweigen, sondern sprang aufgeregt vom Sofa und rief: „Du meinst, die echten Stadtmusikanten? Einen Esel, eine Katze, einen Hund und einen Hahn? Die echten aus dem Märchen?“ „Jep, genau die“, bestätigte ich grinsend. „Und die sitzen gewaltig in der Patsche. Die Räuber haben eine einstweilige Verfügung erwirkt, damit sie ihr Räuberhaus im Wald zurückbekommen. Und nun müssen die Bremer Stadtmusikanten wohl einen neuen Unterschlupf finden.“ Jack sah etwas irritiert aus und fragte: „Dann sind die ganzen Märchen also wahr?“ „Wow! Bitte, nimm uns mit. Ich wollte schon immer mal echte Märchenfiguren kennenlernen“, bettelte Easy und hibbelte um den Tisch. „Na ja, okay…“, tat ich ihr den Gefallen. „Ich kümmere mich erst um die Wohnsituation der Musikanten und wenn dann noch Zeit bleibt, zeige ich euch das Märchenland.“ „Klasse!“, jubelte Easy und der Rest der Sorglospunks schien einem kleinen Ausflug ins Märchenland auch nicht abgeneigt zu sein. Wenige Minuten später saßen alle erwartungsvoll im teuflischen Wunderauto, das inzwischen den Weg zur Sorglospunk-WG ja bereits sehr gut kannte und selbstständig aus der Unterwelttiefgarage gekommen war. Schwefel sei Dank ist der Weg ins Märchenland nicht sonderlich weit, man muss nur durch Es-war-einmal fahren und bei und-wenn-sie-nicht-gestorben-sind-dann-leben-sie-noch-heut einfach links abbiegen, schon ist man da. Mit quietschenden Reifen hielten wir vor dem Räuberhaus im Wald, in dessen Vorgarten ein heftiger Streit ausgefochten wurde. Der Räuberhauptmann brüllte erbost vor sich hin und gestikulierte wild mit einem amtlichen Schreiben des Königs (keine Ahnung, welcher das beurkundet hatte, schließlich gab es im Märchenland beinahe an jeder Ecke ein Schloss, in dem ein König thronte), während der Esel laut schrie und drohend schnaubte. Die drei anderen Räuber machten Bekanntschaft mit den restlichen Stadtmusikanten, beziehungsweise mit dem Gebiss des Hundes, den Krallen der Katze und dem Schnabel des Hahns. In diesem Durcheinander mischte sofort auch Easy mit, die blitzschnell aus dem Auto gesprungen und zum Tumult gerannt war, und trat einem Räuber vor das Schienbein, weil er den pickenden Hahn mit einer Gerte abwehren wollte. „RUHE!!!“, rief ich in den Lärm. „Räuber auf die linke Seite, Musikanten auf die rechte Seite, aber mal zackzack hier!“ Wenigstens im Märchenland wurde die Autorität des Teufels noch richtig anerkannt und die Streithähne trennten sich, um auf ihre Seite des Vorgartens zu gehen. Easy reihte sich auf der rechten Seite mit ein, schließlich gehörte sie ja auch zu den Musikern. Jack, mit Kiwi auf dem Arm, und Chris stellten sich dann auch aus reiner Sympathie neben ihre Künstlerkollegen. „Also, ich werde mir jetzt dieses Dokument mal genauer anschauen und ihr gebt Ruhe, verstanden?“, bestimmte ich und riss dem Hauptmann die einstweilige Verfügung aus der Hand. Sorgfältig studierte ich das königliche Schriftstück, während Nifen und Abranka über meine Schultern mitlasen, schließlich hatten sie ja auch ihre Erfahrungen mit kleingedruckten Zusatzpassagen von Texten gemacht. Der König (scheinbar der Nachbar vom König Drosselbart) hatte unmissverständlich festgelegt, dass das Räuberhaus den Räubern zugesprochen werden sollte und die Bremer Stadtmusikanten ausziehen mussten, sollten sie nicht drei Aufgaben lösen können. „Okay, im Moment gehört euch das Haus“, wandte ich mich an den Räuberhauptmann, der sofort mit seiner donnernden, tiefen Stimme jubilierte. „Aber wenn die Stadtmuskanten drei Aufgaben erfüllen, müsst ihr wohl eine WG gründen. Und mich soll der Teufel holen, wenn sie das nicht schaffen.“ Diese Redewendung benutze ich gerne, wenn ich mir einer Sache sehr sicher bin, sonst müsste ich mich ja selber holen. Breit grinsend blickte ich zu den vier musikalischen Tieren hin. „Los, wir haben eine Mission zu erfüllen.“ „Wir kommen mit!“, verkündete Easy. „Schließlich müssen Musiker zusammen halten.“ „Moment, was für Aufgaben sind das denn?“, hakte Jack nach. Ihr schwante schon Schlimmes, wie riesige Haufen Stroh zu Gold zu spinnen. Chris blickte neugierig auf die Verfügung. „Müssen wir etwa gegen Drachen oder so kämpfen?“ „Nein, nein, alles Pillepalle“, antwortete ich. Abranka nickte: „Zuerst sollen wir jemanden von dem Zauber einer bösen Fee befreien und die anderen Aufgaben lassen sich auch leicht lösen.“ „Na dann aufi!“, rief Easy und setzte sich in Bewegung, so dass einen Augenblick später drei Sorglospunks, eine Bandmanagerin, eine Muse, der Teufel, ein Bandmaskottchen und vier Stadtmusikanten quer durch das Märchenland zottelten. „Wen sollen wir denn erlösen? Schneewittchen? Dornröschen? Die Schwanenprinzessin?“, löcherte Chris uns während der Reise. Scheinbar wäre er sehr froh darüber, eine Prinzessin in Nöten zu retten. Umeko hätte es bestimmt nicht gefallen, dass er nur jene Prinzessinnen aufzählte, die durch einen Kuss entzaubert wurden. „Weder noch“, bemerkte Nifen knapp. Wir behielten lieber für uns, dass wir den Froschkönig befreien oder zumindest der verzogenen Prinzessin dabei auf die Sprünge helfen sollten. Schließlich waren weder Frösche noch verzogene Prinzessinnen jedermanns Geschmack. Irgendwann erreichten wir das Schloss, auf dessen Wappen eine goldene Kugel prangte. Der Touristikverband des Märchenlandes hatte vor einiger Zeit darauf bestanden, dass die Wappen ortsunkundigen Besuchern sofort offenbaren sollten, in welches Märchen sie da gerade reinplatzten. Also war im Aschenputtel-Gebiet ein Schuhwappen, bei Schneewittchen ein Apfelemblem, bei Rumpelstilzchen eine goldene Spindel und so weiter. Allerdings konnten nun auch die Sorglospunks sofort sagen, wo wir uns befanden. „Sagt nicht, dass wir dem Froschkönig helfen sollen“, beschwerte sich Chris, der sich von seinen Prinzessinnenträumen gerade verabschiedete. „Ich werde ganz bestimmt keinen Frosch küssen“, erklärte Jack bestimmt. Easy verzog das Gesicht. „Und ich auch nicht.“ „Ihr müsst ihn ja nicht küssen“, beschwichtigte die Muse. „Bringt doch die Prinzessin dazu.“ „Wir müssen uns schließlich ans Drehbuch halten. Es heißt ja nicht: Der Froschkönig heiratete seine Jack oder seine Easy…“, mischte ich mich ein. Das musikalische Multitalent wirkte schon etwas gelassener und murmelte: „Okay, damit kann ich leben. Wo steckt denn die Prinzessin?“ Nifen zeigte zum Schloss. „Sie ist bestimmt da drin. Wo sollte eine Prinzessin denn sonst sein.“ „Überlasst das mir“, sagte Easy zu den Stadtmusikanten. „Ich bring die Prinzessin schon dazu, den Frosch zu küssen, dann müsst ihr eine Aufgabe weniger erledigen.“ Und schon stürmte sie in das Schloss, dicht gefolgt von Jack und Abranka, die Easys Einfälle in die richtige Bahnen lenken wollten. Wir anderen schauten uns kurz fragend an und liefen zur Sicherheit lieber auch hinterher. Bei Easy konnte man ja nie wissen. Die stürmische Frontfrau hatte auch die Prinzessin mitsamt Frosch im Schlafzimmer aufgestöbert, wo der verzauberte Prinz zum Austausch für die goldene Kugel ja übernachten durfte. Und gerade hielt sie den Frosch der Prinzessin unter die Nase und redete munter auf sie ein: „Los, küss ihn! Mach schon, nur ein kleiner Kuss, dann verwandelt er sich in einen schönen Prinzen. Drück ihm schon einen Schmatzer auf und ich lass dich wieder in Ruhe!“ Jack, froh darüber, dass sie so ein glitschiges Tier nicht küssen musste, feuerte sie noch weiter an. „Küss ihn! Küss ihn! Küss ihn doch!“ Die verzogene Prinzessin war kurz vor einem Nervenzusammenbruch und kreischte, während der Frosch ihr ins Gesicht gehalten wurde. „Iiiiiiiih! Igitt! Tu ihn weg! Lass mich in Ruhe! Iiiih! Bääääh!“ In ihrer Verzweiflung boxte sie wild um sich und schlug Easy dabei den Frosch aus der Hand, der mit einem lauten Flatsch gegen die Wand klatschte und zum Fussboden glitt. Allerdings lag eine Sekunde später kein ekliger Frosch auf dem weißen Teppich, sondern ein schöner, stattlicher Prinz, der seine Beule am Kopf vorsichtig betastete. Easy sprang vor Freude in die Luft und jubelte: „Geschafft!!“ „Na ja, die Aufgabe können wir wohl abhaken“, bemerkte Nifen leise, während ich den ersten Punkt der Liste durchstrich. Geplant war zwar ein Kuss, aber wenn es auch so ging. Na ja… Wir machten uns also weiter auf den Weg zur zweiten Aufgabe, die uns in eine andere Ecke des Märchenlandes führte. „Und was sollen wir nun machen?“, fragte Easy voller Tatendrang. Die Bandmanagerin schaute kurz zu meiner Liste und grinste: „Erbsenzählerei!“ „Hä?! Erbsenzählerei?“, echote Jack verwirrt. „Wir helfen Aschenputtel. Die Tauben sind krank und wir springen für sie ein. Also sortieren wir die Erbsen aus der Asche, sonst kommt das arme Ding nicht zum Ball“, erklärte ich. Der Prince of Punk war nicht so begeistert und meinte: „Das klingt aber nach einer langweiligen Aufgabe.“ Die Erweckung von Dornröschen wäre ihm da doch um einiges lieber gewesen. Als wir am Anwesen von Aschenputtels Vater ankamen, sahen wir gerade noch, wie die Kutsche mit der bösen Stiefmutter und den Stiefschwester zum Ball abfuhr. In der Küche fanden wir dann das verweinte und mit Ruß verschmierte Mädchen, das auf allen Vieren in der Asche hockte und Erbsen einsammelte. „Keine Panik, Aschenputtel, wir helfen dir und du machst dich für den Ball fertig“, tröstete Chris sie, der jetzt wenigstens ein kleines bisschen den Helden spielen konnte. Das Mädchen schaute unsere merkwürdige Truppe erstaunt an und schniefte: „Danke, ihr seid meine Rettung. Ich wäre sonst niemals bis zum Ball fertig geworden.“ Während sie sich den Schmutz abwusch und zum Zauberbäumchen eilte, das ihr ein traumhaftes Ballkleid schenkte, verteilten wir uns in der Küche und sammelten die Erbsen auf. Es war eine sehr ermüdende Arbeit, denn die böse Stiefmutter hatte es dieses Mal mit den Erbsen und der Asche sehr übertrieben. Drei Stunden später waren alle Erbsen in einem großen Korb, die Küche war aschefrei, aber wir waren umso schmutziger. Sogar jede einzelne Feder des Hahnes war mit Asche überzogen. Wenigstens hatte Aschenputtel einen schönen Abend gehabt. Und wir mussten uns nur noch um die letzte Aufgabe kümmern. „Was kommt den jetzt? Abendessen kochen für die sieben Zwerge? Frau Holle beim Betten machen helfen?“, erkundigte sich Jack unwirsch und wischte sich den Schmutz von den Händen. „Nein, viel einfacher“, bemerkte ich. „Wir brauchen nur drei goldene Haare zu besorgen.“ Chris sah deprimiert und pessimistisch zu mir herüber. „Von wem denn? Von einem bandfressenden Monster vielleicht?“ Die lange Putzaktion hatte gewaltig auf die Stimmung geschlagen. „Nein, viel, viel, viel einfacher“, grinste Abranka. Nifen nickte fröhlich: „Von jemandem, den wir kennen, und der uns die Haare einfach so überlassen wird.“ „Von wem denn?“, fragte Easy neugierig. Ich grinste breit und tippte mir an die Nasenspitze. „Von mir natürlich.“ „Wie?“ Das musikalische Multitalent blickte mich fragend an. „Von dir? Seit wann hast du denn goldene Haare? Die sind doch rot.“ „Na ja“, erklärte ich. „Vor langer Zeit waren goldene Strähnen total modern, also hatte ich auch welche. Aber nachdem dieser Glücksknabe drei meiner Haare bekommen hatte, wurde es gang und gäbe, dass ständig irgendwelche Leute die Aufgabe bekamen, drei Haare von mir zu holen. Also habe ich die Strähnen abgeschnitten und gut versteckt. Ich lass mir doch nicht ständig meine Haare ausreißen.“ Nach einiger Zeit kamen wir an das kleine Häuschen, wo ich in einer Schatulle unter dem Bett meine goldenen Haare aufbewahrte. Vor dem Häuschen saß eine ältere Frau in einem gemütlichen Gartenstuhl und sprang sofort auf, als wir näher kamen. „Mäuschen!“, rief sie und eilte uns entgegen, um mich überschwänglich zu umarmen und mir einen Kuss auf die Wange zu drücken. Irritiert blieben die Sorglospunks samt Crew und Stadtmusikanten stehen und starrten auf diese Szene. Na ja, es kommt ja auch nicht alle Tage vor, dass der Teufel höchstpersönlich Mäuschen genannt, umarmt und geküsst wird. Aber so sind Großmütter nun einmal. „Hallo Oma“, lächelte ich, als ich wieder Luft nach der erdrückenden Umarmung bekommen hatte. „Oma?!?“, wiederholten alle wie aus einem Munde. Oma lachte: „Natürlich Oma. Selbst der Teufel hat doch eine Großmutter. Und eigentlich bin ich sehr bekannt, schließlich komme ich in einigen Märchen vor.“ Das stimmte. Allerdings sind die Märchen sehr ungenau. Die Gebrüder Grimm hatten sich mehrere kreative Freiheiten genommen und mich als männlich und menschenfressend dargestellt, während Oma eine liebe Frau war, die mir in meinen Seeleneinkäufen dazwischenfunkte. Okay, das hat sie auch… Zumindest am Anfang, aber nach so langer Zeit hatte sie sich an meinen Job gewöhnt und mischte sich nur noch selten ein. „Wow, Sie sind wirklich die Oma von Chiiiii?“, fragte Easy nach und schüttelte Oma die Hand. „Freut mich, Sie kennenzulernen. Ich bin Easy.“ „Aber das weiß ich doch, schließlich…“, begann Oma, doch ich raunte ihr schnell ein „Pst!“ zu. Also beendete sie den Satz anders: „…schließlich hat Mäuschen mir schon von euch erzählt.“ Puh, gerettet. Beinahe hätte sie vom Weltendekonzert erzählt, denn Oma hatte dieses Ereignis ja in der ersten Reihe live miterlebt und später ausgiebig mit der Band geredet. Auf Omas Drängen hin betraten wir alle das Häuschen und nahmen in der Küche Platz, wo sie uns mit frischen Plätzchen und Kuchen solange drangsalierte, bis alle pappsatt waren. Mit vollem Bauch angelte ich die Schatulle unter dem Bett in meinem Zimmer hervor. Schließlich besuchte ich Oma so oft es ging und blieb dann gleich länger bei ihr. Grinsend holte ich drei goldene Haare daraus hervor und verkündete den Bremer Stadtmusikanten: „Von nun an habt ihr auch ein Anrecht auf das Räuberhaus. Alle drei Aufgaben sind erledigt.“ Also machten wir uns wieder auf den Rückweg, während Oma am Gartentürchen stand und uns nachrief: „Auf Wiedersehen. Bis bald einmal! Pass auf dich auf, Mäuschen!“ Die Räuber nahmen die Nachricht, dass sie nun eine WG mit den Stadtmusikanten gründen mussten, recht gefasst auf. Irgendwie würde man sich schon arrangieren. Die neue Wohngemeinschaft wurde gebührend mit einem Lagerfeuer gefeiert. Die Bremer Stadtmusikanten trugen auch ihren Hit „Wau, Miau“ vor. Und natürlich sah Easy das als Chance an, ein kleines Sorglospunk-Konzert zu geben. So wurden kurzerhand die Instrumente von den Stadtmusikanten ausgeliehen und Easy schmetterte den Song „Allein zu Haus“, den sie ja schon länger unbedingt einmal vor einem Publikum singen wollte. Als die letzten Töne des Songs verklungen waren, verkündigte Easy: „Und nun ein neues Lied, extra für euch!“ Und Abranka durfte daraufhin nur noch so mit Ideenblitzen und Inspirationskonfetti um sich werfen, damit die Band mit Easys Gesang auch mitkam. „Es war einmal, es war einmal so fangen alle Märchen an Es war einmal, es war einmal Was war denn mal? Was kommt dann? Frau Holle, die guckt zu ihrem Fenster raus Rotkäppchen geht mit dem bösen Wolf nun aus Spieglein, Spieglein an der Wand wer ist die beste Band im ganzen Land? Die Sorglospunks! Die Sorglospunks! Wir sind drei Musikanten und komm'n aus Schwabenland Wir sind drei Musikanten und besuchen heut das Märchenland Wir sind die wohlbekannten Sorglospunks bei den Bremer Stadtmusikanten Dornröschen schläft seit ner Ewigkeit der gestiefelte Kater quatscht die ganze Zeit lockt die Hexe ins Pfefferkuchenhaus Rapunzel kommt nicht aus dem Turm heraus Spieglein, Spieglein an der Wand wer ist die beste Band im ganzen Land? Die Sorglospunks! Die Sorglospunks! Wir sind drei Musikanten und komm'n aus Schwabenland Wir sind drei Musikanten und besuchen heut das Märchenland Wir sind die wohlbekannten Sorglospunks bei den Bremer Stadtmusikanten Der Froschkönig plantscht im See herum Aschenputtel ackert sich ganz krumm Rumpelstilzchen sitzt auf dem Dach Wer küsst nur Schneewittchen wach? Spieglein, Spieglein an der Wand wer ist die beste Band im ganzen Land? Die Sorglospunks! Die Sorglospunks!“ Kapitel 7: Kuvertüre, Kuchen, Kerzen und Kaffee ----------------------------------------------- Normalerweise war der Valentinstag der Tag der Schokolade, aber aus verschiedenen Gründen war dieser Feiertag aus der Sorglospunk-WG verbannt worden (besonders aber weil Chris auf andere Gedanken gebracht werden musste, da kein Paket von Umeko angekommen war). Dafür war der darauffolgende Tag zum inoffiziellen Schokoladentag erklärt worden, denn schließlich hatte da eine allseits bekannte Muse Geburtstag. „Jack, was brauchen wir außer Schokostreusel denn noch alles?“, rief Easy über ihre Schulter, während sie den Küchenschrank inspizierte. Ihre Zwillingsschwester studierte das Rezept aus dem Schokoladenkuchen-Backbuch kurz und antwortete: „Wir benötigen noch Mehl, Zucker, Vanillezucker, Puderzucker und Kakaopulver. Das müsste alles irgendwo im Schrank sein. Chiiii, hol du mal Butter, Sahne und die Eier aus dem Kühlschrank. Nifen, du zerkleinerst schon einmal die Kuvertüre. Und Chris, du suchst die Tuben mit dem Zuckerguss und die Kerzen!“ Jack hatte sich erneut in den Feldwebel der Küche verwandelt und scheuchte uns mit festem Befehlston durch die Gegend. Kiwi hatte sich vorsorglich in ihr Geheimversteck hinter dem Kühlschrank verzogen, damit in diesem Chaos nicht wieder jemand über sie stolperte. Wie gerne hätte ich mich geschrumpft, um ihr Gesellschaft zu leisten. Dazu blieb allerdings keine Zeit, denn wir mussten uns mit den Vorbereitungen beeilen, sonst würde Abranka noch nach Hause kommen, bevor der Kuchen fertig war. Auf Bitten der Band hin (und einem extra langen Chiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii von Easy) hatte ich Apollo aufgesucht und ihn um den Gefallen gebeten, die Bandmuse unter fadenscheinigen Vorwänden zum Olymp zu zitieren, damit wir ungestört die WG geburtstagstauglich machen konnten. Schließlich konnte man hier nicht einmal heimlich eine Rolle Geschenkpapier hervorholen, ohne dass man von einer neugierigen, unsichtbaren Muse beobachtet zu wurde. Und glaubt mir, je näher ihr Geburtstag kam, desto öfter war Abranka unsichtbar, um vielleicht einen winzigen Blick auf ihre Geschenke zu erhaschen. Langsam nahm der Kuchen unter Jacks Führung Gestalt an. Easy hatte es zwar trotzdem geschafft, dass etwas Mehl auf dem Boden und nicht in der Teigschüssel landete, aber das Chaos hielt sich in Grenzen und ein wohlig schokoladiger Duft breitete sich in der Küche aus. Das musikalische und vor allem auch kulinarische Multitalent überwachte den weiteren Fortschritt der Schokoladenköstlichkeit im Ofen, während wir anderen durch die Band-WG wuselten. Easy dekorierte das Wohnzimmer mit ausgelassenem Sorglospunk-Elan, so dass nach kurzer Zeit überall Luftballons in Gitarrenform, Luftschlangen und Geburtstagsglückwunsch-Plakate verteilt waren. Chris war zum Spülen und Abtrocknen verdonnert worden, den er nur unter Protestrufen und ein wenig Umeko-hat-den-Valentinstag-vergessen-Gejammer bewältigte. Währenddessen verpackten Nifen und ich noch schnell die Geschenke: Extra-kuschel-flauschig-Wolkenspray, Träum-süß-Lutschbonbons, phantastische Phantasielollies (natürlich alles aus dem WWWB-Markt, den Jack, Chris und Easy heimgesucht hatten), einen Satz druckfrischer Mangabände gewisser musenbevorzugter Reihen (Nifen hatte dafür extra die deutschen Manga-Verlage abgeklappert und den Übersetzern gedroht, dass teuflischer Besuch vorbeikommen würde, wenn sie sich nicht mal etwas beeilten, damit die Mangas bis zum Geburtstag gedruckt waren), eine originalsignierte CD von Johnny Hallyday (schließlich konnte ich ja meine Stammkunden immer zu einem Autogramm überreden) und ein Never-mess-with-the-Kiwi-Buttonset, das mit einem Pfotenabdruck von dem Bandmaskottchen höchstpersönlich designt worden war. „Der Kuchen ist fertig!“, verkündete Jack aus der Küche. „Ich brauch Hilfe bei der Dekoration.“ Easy hängte noch eine Luftschlange an den Apolloschrein und zischte in die Küche. „Beinahe hätten wir das Wichtigste vergessen. Wir müssen auch noch Kaffee kochen.“ Sofort machte sie sich daran, genügend Kaffee für mindestens eine Fußballmannschaft zu kochen und überhörte dabei großzügig sämtliche Hilferufe von Jack. Kuchen mit Zuckerguss zu dekorieren gehörte doch wohl definitiv in den Aufgabenbereich eines Küchenfeldwebels. Nifen erbarmte sich schließlich und nahm Jack die Tube mit dem Zuckerguss aus der Hand. „Das kann ja keiner mit ansehen. Lass mich mal“, seufzte die Bandmanagerin. „Was soll denn auf dem Kuchen draufstehen?“ „Ähm…“, überlegte das sonst so begabte Multitalent und lutschte an ihrem mit Zuckerguss verschmierten Zeigefinger. Die sorglose Frontfrau ließ kurz die Kaffeemaschine aus den Augen und strahlte: „Natürlich: Tausend liebe, wundervolle und extra sorglospunkige Glückwünsche zum Geburtstag, liebe Abranka!“ „Na ja, das soll eine Kucheninschrift und kein Roman werden“, bemerkte Nifen trocken. Der Prince of Punk legte das Trockenhandtuch zur Seite und meinte: „Dann schreib einfach: Happy Birthday. Das sagt doch alles aus und passt sogar auf den Kuchen. Übrigens, wie viele Kerzen sollen wir eigentlich auf den Kuchen stecken? Also, wie alt wird Abranka überhaupt?“ „So etwas fragt man nicht“, erwiderte ich spitz. „Man fragt nie nach dem Alter einer Dame und schon gar nicht, wenn diese Dame eine Muse ist, die bereits Orpheus zur Seite gestanden hat.“ Schließlich konnte ich es auch nicht leiden, wenn mich jemand nach meinem Alter fragte… Easy nickte: „Wir stecken einfach eine Kerze in die Mitte. Sonst haben wir hinterher mehr Wachs als Schokolade auf dem Kuchen.“ Nifen mühte sich derweilen ab, einen besonders kunstvollen Schriftzug aus Jacks Zuckergussklecksen zu machen. Und Schwefel sei Dank wurde sie gerade noch rechtzeitig damit fertig, denn das Geburtstagskind, beladen mit einem großen Postpaket, rauschte gerade durch die Eingangstür und rief fröhlich: „Der Postbote war gerade da. Da ist ein Päckchen für dich, Chris. Direkt aus Japan!“ Jack erwischte Chris noch so eben an einem T-Shirt-Zipfel, bevor er aus der Küche stürmen konnte. „Pst“, zischte sie, denn der Bassist wollte lauthals „Umeko hat mich doch nicht vergessen!“ ausrufen. Leise schlichen wir mit dem Kuchen ins Wohnzimmer, während die Bandmuse im Flur nach uns rief: „Chris! Easy! Jack! Nifen! Ist denn niemand da? Wo seid ihr denn alle?“ Langsam schwebte sie auf ihrer Wolke um die Ecke und wurde gebührend von uns begrüßt. „ÜBERRASCHUNG! ALLES GUTE ZUM GEBURTSTAG!!!“ Beinahe wäre das Geburtstagskind vor Schreck von seiner Wolke gekippt, aber im nächsten Moment lachte es schon wieder. „Oh, wie lieb von euch! Danke.“ Schnell stimmte Easy das extra von ihr geschriebene Musengeburtstagslied an, das sogar mit nur einem Minimum an Motivationsschokolade entstanden war: “Happy Birthday to you, viel Schokolade dazu, Geschenke, Kuchen und auch Kerzen, das alles kommt von Herzen. Komm los, altes Haus, blas die Kerze aus und wünsch dir was, ja, ja, wünsch dir was! Happy Birthday to you, Happy Birthday, liebe Abranka, Happy Birthday to you.“ Die Bandmuse schien sehr gerührt über den kleinen Song, auch wenn sie etwas seltsam schaute, als der Vers mit dem alten Haus kam. Na ja, halt ein Original-Easy… Während sie begeistert ihre Geschenke auspackte, durfte Chris auch endlich, endlich sein langersehntes Valentinstagspaket von Umeko öffnen, das durch die Langsamkeit der Post ja nur einen Tag Verspätung hatte. Darüber war dann auch sein Gejammer vom Vortag vergessen. Und wir konnten nun ausgelassen mit viel Schokolade, Kuchen und Kaffee einen musitastischen Geburtstag feiern. Kapitel 8: Back to the 80s -------------------------- Inzwischen war es mal wieder soweit, mein kleines Wunderauto musste zum T(euflischen)Ü(berprüfungs)V(erband). Natürlich verlief alles ohne Probleme, denn das teuflische Wunderauto war absolut zuverlässig, wenn es wollte. Und wenn es mal nicht wollte, dann… na ja… dann wollte es eben nicht. Dann konnte es passieren, dass man irgendwo am Nordpol im Schnee feststeckte. Zur Feier des Tages unternahmen wir zwei eine kleine rasante Spritztour, die uns zu einer bekannten WG führte. Ich schätze, dass das Wunderauto die Abenteuer mit den Sorglospunks besonders genoss und es deshalb entschied hier einen Zwischenstopp einzulegen. Kaum hielt das teuflische Wunderauto an, stürmte eine sorglose Frontfrau mitsamt Maskottchen aus der Haustür. Kiwi, die mich meilenweit orten konnte, (schließlich stehe ich mit allen Katzen der Welt in ständiger Verbindung) hatte lautstark miauend und an der Tür kratzend meine Ankunft angekündigt. „Chiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii!“, rief Easy freudestrahlend und fiel mir um den Hals. „Sag bloß, du hast heute frei?“ Lächelnd befreite ich mich aus der Umklammerung, denn scheinbar hatte die Punkröhre Angst, dass ich gleich wieder verschwinden würde, und nickte: „Ausnahmsweise stehen für heute keine Termine an. Und da dachten wir, dass wir mal wieder vorbeischauen.“ „Wer wir?“, fragte Chris verdutzt. „Du bist doch ganz allein hier. Oder ist jemand unsichtbares bei dir?“ Der lange Chiii-Ruf hatte auch den Rest der Sorglospunks vor die Tür gelockt. „Na, das Wunderauto ist doch auch da“, erklärte ich lachend. Während ich die sorgloseste WG der Welt begrüßte, hatte Easy die Chance genutzt, um auf der Beifahrerseite ins Auto zu steigen und mit seligem Gesichtsausdruck am Lenkrad zu reiben. Sie hatte immer noch nicht die Hoffnung aufgegeben, dass das Wunderauto ihr ein paar Wünsche erfüllen würde. „Easy, jetzt komm endlich aus dem Auto raus. Du reibst nachher noch das ganze Lenkrad weg“, versuchte Jack ihre Zwillingsschwester zur Vernunft zu bringen. Nifen zuckte ergeben mit den Schultern: „Sie wird garantiert erst wieder aussteigen, wenn sich wenigstens ein Wunsch erfüllt hat.“ Schließlich kannte die Bandmanagerin ihren Schützling nur zu gut. „Ach, macht doch nichts. Eigentlich könnten wir alle einsteigen und einen kleinen Ausflug machen. Das Wunderauto ist heute richtig in Fahrlaune“, meinte ich. Und zur Bestätigung öffneten sich einladend die Autotüren. „Ein Ausflug wäre doch genau das Richtige. Und vielleicht springt sogar ein Song dabei rum“, äußerte Abranka sich hoffnungsvoll. Seit einiger Zeit hatte die Bandmuse immer wieder versucht, Easy mit Motivationsschokolade zu einem neuen Lied zu überreden. Aber alle Versuche waren gescheitert. Die sorglose Frontfrau hatte den Kopf mit allen möglichen Dingen voll, aber nicht mit einem neuen Songtext. Also nahmen die Sorglospunks mitsamt Managerin, Muse und Maskottchen die Einladung des Wunderautos nur zu gerne an. Kaum dass alle angeschnallt waren, brummte auch schon der Motor auf und das Auto setzte sich in Bewegung. Easy, die inzwischen die Finger vom Lenkrad genommen hatte, thronte neben Abranka auf dem Beifahrersitz und inspizierte neugierig die verschiedenen Anzeigen. „Sag mal, ist die Temperaturanzeige vielleicht kaputt? Die zeigt ja 84 Grad an. So heiß ist es doch nie und nimmer“, meldete sie sich fachfrontfrauisch zu Wort. Kopfschüttelnd winkte ich ab: „Das sind Höllentemperaturen. Damit ich auch unterwegs weiß, ob in der Unterwelt gut geheizt ist.“ Easy nickte anerkennend. „Aso, und was ist mit der Datumsanzeige? Die stimmt doch vorne und hinten nicht. Wir haben doch nicht mehr das Jahr 1983.“ „Ja, du hast den 14. November 1983 als Datum eingestellt. Und die Uhrzeit stimmt auch nicht“, mischte sich nun Nifen ein, die ihre exakt genaue Manageruhr zu Rate gezogen hatte. „Das hat schon seine Richtigkeit“, versuchte ich zu erklären. „Ich hatte letztens etwas Geschäftliches in den 80ern zu erledigen und danach habe ich die Datumsanzeige nicht mehr umgestellt.“ Dass etwas Geschäftliches in den 80ern erledigen für mich bedeutete, in Spielzeugläden nach Merchandise von Regina Regenbogen zu suchen, weil die eBay-Auktionen der heutigen Zeit immer so verdammt teuer wurden und ich unbedingt meine Sammlung vervollständigen musste, verschwieg ich lieber. Die Sorglospunks kannten inzwischen sowieso schon genügend Geheimnisse der Hölle. Außerdem würde mich früher oder später mein Regina Regenbogen-Klingelton eh verraten. „Moment mal, du bist mit diesem Auto einfach so in die 80er gefahren? In ein vergangenes Jahrzehnt?“ Der Prince of Punk brüllte mir von der Rückbank aus geradezu ins Ohr, so überrascht war er von den Fähigkeiten des teuflischen Wunderautos. Jack hibbelte neben ihm herum: „Das würde ja bedeuten, dass du durch die Zeit reisen kannst.“ „Ganz genau“, meinte ich beiläufig und konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. „Man muss nur das Datum bei der Anzeige einstellen und auf den blauen Knopf drücken und schon fährt man durch Raum und Zeit. Ich habe es doch schon oft genug gesagt, dass das hier ein teuflisches Wunderauto ist, oder nicht?“ Natürlich hatte ich das, dran gab es keinen Zweifel. Schließlich hörte das Wunderauto nur zu gern, wenn lange und begeisterte Lobeshymnen über seine Einzigartigkeit gehalten wurden. „Wir könnten jetzt also ohne Weiteres zur französischen Revolution fahren? Oder Jane Austen einen Besuch abstatten?“, erkundigte sich Nifen aufgeregt. Ihre Augen blitzten vor Begeisterung durch die dunklen Gläser der Sonnenbrille. Selbst Abranka hatte eigene Zeitreisepläne: „Wir könnten auch direkt in das antike Griechenland reisen. Das waren vielleicht Zeiten!“ Das stimmte, die alten Griechen wussten wirklich, wie man es krachen ließ. „Das können wir immer noch machen“, entschied Easy. „Wir belassen es einfach bei den 80ern. Das ist schließlich das Jahrzehnt, in dem die Ärzte berühmt geworden sind.“ Schon drückte sie auf den blauen Knopf. Die sorgloseste Frontfrau hielt nun mal nichts von langen Diskussionen. Und einfach Knöpfe zu drücken gehörte zu ihren Hobbies. Der Motor des Wunderautos heulte vor Freude laut auf. Die Straße verschwamm für einen kurzen Augenblick vor unseren Augen, als wir mit der Motorhaube voran durch die Zeit sausten. Wenige Sekunden später setzten die Räder wieder in der Vergangenheit auf. Aus Gewohnheit hatte das Wunderauto den Parkplatz eines Spielzeugladens in Düsseldorf für unsere Ankunft ausgewählt. „Wahnsinn! Wir sind tatsächlich in den 80ern! Schaut euch nur mal die Klamotten der Leute an!“, rief Jack fassungslos. „Leggins, Stulpen und jede Menge Neonfarben!“ „Schön und gut, die Mode ist echt augenkrebsfördernd…“, murmelte Chris missmutig, der lieber zu Kleopatra gefahren wäre. „Und was sollen wir nun hier machen?“ „Wenn wir schon mal hier sind, dann schauen wir uns auch um“, bestimmte Easy und knallte sich schon einmal ab. „So weit ich mich erinnern kann, waren die 80er verdammt toll. Schokolade, keine Sorgen und lange schlafen.“ „Kein Wunder, du warst damals noch ein kleines Kind und musstest noch nicht zur Schule“, blaffte Nifen. „Und außerdem ernährst du dich jetzt auch von Schokolade, schläfst lange und bist ein Sorglospunk.“ Die aufgedrehte Punkröhre wischte die spitzen Bemerkungen mit einer Handbewegung weg und sprang schon aus dem Auto. Wohl oder übel mussten die anderen sich fügen und darauf achten, dass Easy nicht die Vergangenheit ändern konnte. Mir persönlich kam es nur gelegen, vielleicht könnte ich hier eine der seltenen Regina Regenbogen-Plüschkatzen ergattern. Zielstrebig wandte sich Easy in Richtung Stadtzentrum und wir zottelten wie üblich hinter ihr her. „Ich hoffe, dass wir nicht zu sehr auffallen. Schließlich hat keiner von uns neonpinke Klamotten an…“, meinte Jack besorgt und drückte Kiwi an sich, die es sichtlich genoss, durch die Vergangenheit geschleppt zu werden. Abranka schüttelte den Kopf: „Keine Sorge, ihr fallt nicht sonderlich auf. Jetzt wurde der Punkstyle nämlich richtig modern.“ Wie zur Bestätigung bog weiter vorne ein junger Mann mit Irokesenschnitt und ausgefranzten Jeans in die Fußgängerzone ein. Von einer anderen Seitenstraße kam gleich eine ganze Gruppe Punks. „Wow, du hast Recht. Hier sind ja ne Menge Punks“, staunte Easy. „Findet hier vielleicht irgendein Festival statt oder so?“ „Das könnte sein“, mischte sich die Bandmanagerin ein. „Damals fanden ständig irgendwo spontane Festivals und Riesenkonzerte statt.“ Inzwischen hatte sie sich damit abgefunden, dass sie ein andermal Jane Austen die Hand schütteln könnte. Das musikalische Multitalent zuckte mit den Schultern und meinte: „Wir sollten ihnen einfach mal folgen, dann sehen wir ja, was los ist.“ Mit ein wenig Abstand liefen wir hinter den Punks her, die immer zahlreicher wurden und zielstrebig in eine Richtung strömten. Langsam konnten wir auch punkige Musik in der Ferne hören. Düsseldorf war also echt die Stadt des Punks. Easy wurde immer aufgeregter, je näher wir dem Festivalplatz kamen. Direkt am Rheinufer war eine große Bühne aufgebaut und unzählige Menschen waren rund um den Wasserturm versammelt und feierten. Die Frontfrau bekam bei dem Anblick glänzende Augen, obwohl sich ihre Hoffnung, die Ärzte oder die Toten Hosen live zu sehen, nicht erfüllen würde. Dafür traten mehrere unbekannte Punkbands auf mit so wohlklingenden Namen wie „Klirrende Sägen“ „Notorisch pleite“ oder „Die Hammerharten“. Die Stimmung war wirklich einmalig. Daher war es kein Wunder, dass die Sorglospunks nur zu gerne auch auf der Bühne stehen wollten. Man sah es ihnen geradezu an der Nasenspitze an. Nifen, Abranka und ich tauschten vielsagende Blicke aus. Da blieb nur eins zu tun: Sich durch die Massen durchzukämpfen und mal ein Wörtchen mit dem Veranstalter wechseln. Abranka hatte es wesentlich einfacher, schließlich flog sie mit ihrer Wolke einfach über den Menschenauflauf hinweg. Nifen und ich mussten dagegen ganz schön unsere Ellenbogen einsetzten, um überhaupt weiter zu kommen. Und beinahe wäre ich mit meinen Schwingen gar nicht mehr bis zur Bühne gelangt, dafür standen die Menschen einfach zu dicht bei einander. Der Aufwand hatte sich aber gelohnt, denn der Veranstalter erwies sich als sehr netter Mann, der gerne noch einer weiteren Band eine Chance auf der Bühne gab. Easy fiel uns der Reihe nach stürmisch um den Hals, als wir die frohe Botschaft überbrachten. Und selbst Chris machte vor Freude einen kleinen Luftsprung (als Prince of Punk wäre ein großer Luftsprung uncool gewesen). Begeistert quetschten sie sich zur Bühne vor und warteten nervös auf ihren Auftritt. Nach den „Rockenden Röhren“ war es endlich soweit. Easy marschierte mit Stolz auf die Bühne und brüllte ins Mikrofon: „Hallo Düsseldorf! Wir sind die Sorglospunks und dieses Lied ist extra für euch!!!“ Wir drei hinter der Bühne mussten grinsen. Schließlich kannten wir ja schon, was jetzt kommen sollte: Es sollte heftig improvisiert werden, dass die Ideenblitze nur so durch die Luft flogen. Schwefel sei dank hatte Abranka immer eine ganze Menge davon bei sich. Chris begann mit einem grandiosen Basssolo, in das Jack mit einem perfekten Schlagzeugrhythmus einsetzte. „Schlager ist out Mozart ist schon lange tot Wir leben im Jahrzehnt des Punks Punk regiert die Welt Und Düsseldorf ist unser Reich Platz da, jetzt kommen wir! Yeah, wir sind Punks! Total sorglos Immer gut drauf Oh ja, Sorglospunks! SORGLOSPUNKS!!! Überall herrscht der Punk Andere Musik hat abgedankt Wir rocken Düsseldorf Bald rocken wir die Welt Sorgloser ist keiner Sorglos sind nur wir! Yeah, wir sind Punks! Total sorglos Immer gut drauf Oh ja, Sorglospunks! SORGLOSPUNKS!!! Punk ist unser Leben Wir machen, was wir wollen Feiern jeden Tag Bis in die tiefe Nacht Immer Punk im Ohr Und alle rocken mit! Yeah, wir sind Punks! Total sorglos Immer gut drauf Oh ja, Sorglospunks! Total sorglos Immer gut drauf Oh ja, Sorglospunks! SORGLOSPUNKS!!!“ Die Menge tobte. Der Ruf nach einer Zugabe wurde immer lauter. Aber das musste man den Sorglospunks nicht zweimal sagen. Das Publikum hätte beinahe das ganze Sorglospunks-Repertoire einmal rauf und dann wieder runter gehört, wenn nicht ein heftiger Regenschauer das Konzert beendet hätte. Triefnass, aber überglücklich zogen wir wieder zurück zum Wunderauto. Der Ausflug in die 80er war extrem erfolgreich. Schließlich thronte seitdem eine knuddelige Rainbow Kitty auf meinem Regina Regenbogen-Schrein (und weitere Exemplare werden noch von mir gewinnbringend bei eBay eingestellt). Aber der beste Beweis hing an meiner Bürowand in Form von einem eingerahmten, alten Zeitungsartikel. „Unbekannte Punkband rockt Düsseldorf – Wer sind die Sorglospunks?“ Zu schade, dass nach 25 Jahren der legendärste Auftritt der Band in Vergessenheit geraten war… Kapitel 9: Himmel und Hölle --------------------------- Gerade hatte ich es endlich geschafft, mich durch den riesigen Stapel von Akten, Verträgen und den üblichen Briefen zu arbeiten. In der letzten Zeit hatte sich ganz schön was angehäuft, weil ich bei dem guten Wetter nicht im Büro versauern wollte. Jetzt lag nur noch ein fein säuberlich an mich adressierter, goldener Umschlag auf dem Schreibtisch. Vorsichtig erbrach ich das Wachssiegel und las überrascht die Mitteilung. „Himmel! Herrgott! Nochmal!“, konnte ich mir dabei nicht verkneifen. (Was soviel bedeuten sollte, wie: Von denen da oben! Vom Senior persönlich! Schon wieder!!!) Damit war es aus mit meinem schönen Faulenzernachmittag, für den ich extra so viel geschuftet und die ganze Post durchgesehen hatte. Das war ja mal wieder typisch. Schnell schnappte ich mir meine Hier-ist-die-Hölle-los-Notfall-Tasche und eilte zum Fahrstuhl. In dieser Situation konnte mir nur eine sorglos punkige WG helfen. Innerhalb weniger Augenblicke, schließlich hatte ich den Notfall-Turbo-Knopf gedrückt, schoss der Lift nach oben und ich stand vor der Tür der bekanntesten WG im Schwabenland. Ohne darauf zu warten, dass Kiwi meine Ankunft ankündigte, stürmte ich ins Haus, denn es ging hier um kostbare Sekunden. Selbst Easy, die gerade aus der Küche zwecks Kaffeenachschubs kam und mich mit einem extra langen „Chiiiiiiiiii!“-Ruf begrüßte, konnte ich nicht bis zum zwanzigsten i kommen lassen. Hektisch rief ich: „Wo sind die anderen? Ich muss dringend mit euch reden. Es handelt sich um einen absoluten Notfall!“ Okay, das klang dramatischer, als ich beabsichtigt hatte, aber dadurch hatte ich sofort Easys ungeteilte Aufmerksamkeit. „Die sind alle im Garten“, erklärte sie ebenso hektisch und eilte mir voraus, wobei sie noch schnell Kiwi unter dem Küchentisch einsammelte, damit auch alle vollzählig waren. Im Garten räkelten sich die übrigen WG-Bewohner auf Decken und Liegestühlen und genossen den sonnigen Nachmittag, wie ich es eigentlich auch vorgehabt hatte. Easy baute sich mit der verwirrten Kiwi auf dem Arm vor der Decke auf und rief theatralisch: „Chi braucht unsere Hilfe bei einem absoluten Notfall. Also Schluss mit faulenzen!“ Chris hob dösig den Kopf und blinzelte gegen das Sonnenlicht an. „Ist das wieder so ein Notfall, wo wir kopflos in die Hölle marschieren und dann niemand gerettet werden muss?“ „Ich brauche wirklich eure Hilfe“, riss ich das Wort an mich. „Sogar ganz dringend.“ Jack legte ihre neuste Ausgabe des Magazins „Die moderne Blockflöte“ zur Seite und sah mich neugierig an: „Also ist es dieses Mal ein echter Notfall? Was können wir denn für dich tun?“ „Ich hoffe, dass es nichts mit den Furien zu tun hat“, murmelte Nifen skeptisch. „Es hat nichts mit den Furien zu tun“, gelobte ich. „Und in gewisser Weise ist es tatsächlich ein Notfall, denn es kommt auf jede Minute an. Ich bitte euch am AJZHGHW teilzunehmen, damit wäre mir echt geholfen.“ „AJZHGHW?“, erkundigte sich Abranka aufgeregt. „Du meinst den AJZHGHW? Den echten AJZHGHW?“ Eine äußerst neugierige Frontfrau blickte von der Bandmuse zu mir und wieder zurück und schwor sich beim nächsten WWWB-Einkauf doch endlich mal das Lexikon der übernatürlichen Abkürzungen zu kaufen. „Was ist denn dieser AJZHGHW? Macht es doch nicht so spannend“, drängte sie ungeduldig. „Also, der AJZHGHW, auch Alle-Jubeljahre-Zufalls-Himmel-gegen-Hölle-Wettbewerb genannt, findet, wie der Name schon sagt, alle Jubeljahre nach dem Zufallsprinzip statt. Zurückzuführen ist er auf den ersten himmlisch-höllischen Betriebsausflug zum Anbeginn der Zeit, als die kleinen Partyspiele zu erbitterten Wettkämpfen ausarteten“, erklärte ich schnell und wedelte mit dem goldenen Umschlag umher. „Heute habe ich die Mitteilung bekommen, dass der nächste Wettbewerb kurz bevor steht. Nach Erhalt des offiziellen AJZHGHW-Schreibens muss ich innerhalb einer Stunde fünf Teilnehmer finden, die mit mir in sieben zufälligen Disziplinen antreten. Und ich hoffe, dass ihr diese Fünf sein werdet.“ Erwartungsvoll schaute ich in die Runde und setzte meinen Betteldackelblick auf. Mit den Sorglospunks hätte ich endlich wieder eine Chance den Pokal zu holen und müsste mir nicht immer die spitzen Bemerkungen von Petrus anhören. Schließlich heimsten die da oben schon seit Jahren den Pokal ein und ein gewisser Schlüsselklimperer musste das bei jeder Begegnung kommentieren. „Ich bin auf jeden Fall dabei“, verkündete Abranka strahlend. Von einer sportbegeisterten Muse, die gerade einen Ersatz für die EM suchte, hatte ich auch nichts anderes erwartet. Auch Easy war Feuer und Flamme: „Aber klar doch, das wird bestimmt eine Menge Spaß machen. Und Bommel wird unser Maskottchen sein, dann kann nichts schief gehen.“ Optimistisch und aufgedreht hüpfte sie wie ein Flummi durch den Garten, so dass Kiwi schon empört miaute und sich über Seekrankheit beschwerte. „Was für zufällige Disziplinen wären das denn?“, hakte Chris vorsichtig nach. Ihm schwante mal wieder so etwas wie endlos in Asche rumkrabbeln und Erbsen zählen. „Na ja…“, antwortete ich gedehnt. „Das weiß ich leider auch nicht. Die werden noch ausgelost, sonst wären sie ja nicht zufällig. Aber beim letzten Mal haben wir zum Beispiel Regen gemacht, Harfe gespielt und sind auf dem Styx gerudert.“ Das musikalische Multitalent hatte bei dem Wort Harfe aufgehorcht und war nun beinahe so begeistert wie ihre Zwillingsschwester: „Vielleicht werden diese Disziplinen auch so lustig. Es klingt jedenfalls spannender als faul im Garten rumzuliegen.“ „Na dann aufi!“, rief Easy und stellte sogar für einen Moment das wilde Rumgehopse ein. Nach einer kurzen Vorbereitungsphase, die von Nifen genau überwacht wurde, waren alle notwendigen Dinge gepackt (schließlich musste man ja für jede Eventualität vorbereitet sein) und das Team Hölle hatte sich im Fahrstuhl versammelt. Ausnahmsweise war eine Fahrt mit dem Lift praktischer, da es ja nur nach oben ging. Und Baby zog nun mal festen Boden unter den Rädern vor, sonst hätte das teuflische Wunderauto garantiert schon vor der WG auf uns gewartet. „Okay, wir fahren jetzt nach oben. Dieses Mal ist der Himmel der Austragungsort. Ihr kommt nur in den Besucherbereich hinein, also keine Entdeckungstouren!“, klärte ich mein Team auf. Der letzte Punkt war besonders an eine neugierige Frontfrau gerichtet. „Kommt ja nicht auf die Idee, das Paradies zu suchen. Da kommt man eh nur mit speziellen VIP-Einladungen rein. Und keine Panik, die da oben haben alles mit Wolken ausgelegt, aber die sind ein ähnliches Fabrikat wie Abrankas Musenwolke und ihr könnt problemlos darauf laufen. Ah, bevor ich es vergesse, ihr braucht noch eure Teilnehmerausweise.“ Weit unten in meiner Hier-ist-die-Hölle-los-Notfall-Tasche fand ich endlich die Plaketten. Inzwischen war ich genauso nervös wie die Sorglospunks, die ihrem ersten Besuch im Himmel entgegen hippelten. Für Touristen war es immer eine aufregende Sache nach oben zu kommen, aber für meinen Geschmack war es dort etwas zu langweilig. Und dieses ewige Harfengezupfe konnte schnell nervig werden. Als der Fahrstuhl hielt, waren wir noch angespannter. Ich hoffte inständig, dass die diesjährigen Disziplinen nicht zu schwierig sein würden. Aber natürlich konnte ich mir nichts anmerken lassen, sonst wäre die sorgloseste Band nicht mehr ganz so sorglos beim Wettbewerb. Vor den Fahrstuhltüren erstreckte sich eine silbrige Wolkenebene, so weit das Auge reichte. Überall hatten die himmlischen Gärtner Bäume und wundervolle Blumen angepflanzt und hier und dort standen Wolkenhäuschen, in denen die Engel lebten. Beeindruckt schauten sich meine Teammitglieder um, so dass sie beinahe nicht die Gruppe von Seraphen bemerkten, die auf uns zuflogen. Selbst hier oben gab es einen ausgezeichneten Sicherheitsdienst. Allen voran landete Metatron, der himmlische Statthalter und Kopf des Sicherheitsdienstes, vor uns und nickte kurz. „Willkommen. Wir hatten schon eher mit euch gerechnet. Sag bloß, du hattest Schwierigkeiten, Teilnehmer zu finden“, meinte er spitzbübisch grinsend und raschelte mit seinen sechs Flügeln. So eine Frechheit konnte ich nur damit quittieren, dass ich ihm die Zunge rausstreckte. „Püh, von wegen. Es haben sich Tausende darum gerissen mit mir am AJZHGHW teilzunehmen, aber ich trete nur mit den Besten an.“ Irgendwie endeten meine Himmelsbesuche immer damit, dass ich mich zu einem kleinen Wortgefecht mit diesem vorlauten Engel hinreißen ließ. „Da bin ich aber mal gespannt“, grinste er noch breiter. „Dann folgt mir mal unauffällig zum Turnierplatz. Gleich werden die Disziplinen ausgelost.“ Also trotteten wir hinter unseren Reiseleitern her, während ich vor mich hin grummelte. Das fing ja gut an. Der Wettkampf hatte noch nicht mal angefangen und schon musste ich mir Bemerkungen über seinen Ausgang anhören. Auf der Turnierwolke (Wiesen gab es hier ja nicht) waren beinahe der komplette Himmel und die ganze Hölle versammelt. Mit lautem Jubel aus der Teufelsfraktion zogen wir in die Arena ein. Easy verteilte sogar Luftküsse und winkte der Menge siegessicher zu. Das himmlische Team stand bereits mitten auf dem Platz und sah eher wie ein Haufen begossener Pudel aus. Scheinbar waren sie nicht darauf vorbereitet, bei welchem Spektakel sie teilnehmen sollten. Direkt daneben stand der Oberboss persönlich, den ich auf Grund des ersten bis zweiten Gebotes nicht weiter beschreiben möchte. Aber so viel sei gesagt: Er benutzte garantiert die Heiligenscheinpolitur, die ich ihm zu Weihnachten geschenkt hatte. Und wieder einmal wurde mir der Unterschied zwischen mir und ihm bewusst. Vor lauter Respekt blieben die Sorglospunks wie angewurzelt stehen. Also ging ich allein weiter und schüttelte dem Senior die Hand. Dem Teufel kann man ja süße Spitznamen geben, aber Gott kann man vor Ehrfurcht nicht einmal die Hand schütteln. Na ja, was soll’s… In dem Moment erklang die Glocke der Jury und es wurde schlagartig mucksmäuschenstill. Die Auslosung der Disziplinen sollte endlich beginnen. Schnell eilte ich zu den Sorglospunks zurück und gemeinsam drückten wir die Daumen, dass die Aufgaben nicht zu schwierig werden würden. Michael, der Erzengel mit einer Vorliebe für Politurwachs und Haarpomade, schritt zur Lostrommel. Erst jetzt beäugte ich kurz die Richterbank, denn bei jedem AJZHGHW wurden nicht nur die Disziplinen und der Austragungstag ausgelost, sondern auch die Jury. Neben Michael stand Petrus, aber zu meinem Glück entdeckte ich auch zwei sehr bekannte Gesichter bei den Juroren: Murphy und Oma. Okay, die Juroren mussten neutral bleiben, aber es kann ja nicht schaden, wenn die eigene Oma in der Jury sitzt. Michael machte ein großes Tamtam darum endlich eine Nummer zu ziehen. Nach einigem Räuspern verkündete er: „176! Über das Wasser wandeln!“ Danach war Murphy an der Reihe. Mit seiner Pfote fischte er eine Loskugel aus der Trommel und rief: „345, der Plagenwettkampf!“ Dabei grinste er schelmisch. Es dauerte ewig, bis alle Disziplinen ausgelost waren. Aber eigentlich waren es recht gute Aufgaben: Wolken hüpfen, die Apfelverführung, Schach, der Schwefellauf und eine Partie Himmel und Hölle. Vor der ersten Disziplin beratschlagten wir uns noch einmal. Chris hatte einen Anflug von Panik, da er keine Ahnung hatte, wie er denn über das Wasser wandeln sollte. „Nur keine Panik, darauf bin ich vorbereitet“, beruhigte ich ihn und wühlte in meiner Tasche herum. „Schnell, zieht die an, dann klappt das schon. Nehmt euch einfach alle bei der Hand.“ Mit diesen Worten warf ich jedem ein Paar geflügelter Schuhe zu. Wie gut, dass die Regeln übernatürliche Hilfsmittel nicht verboten. Da erklang schon der Startpfiff. In Windeseile eilten die Sorglospunks zum See, der extra für solche Aufgaben angelegt worden war, und zogen die Sandalen über ihre Schuhe. Irgendwie sah das etwas lustig aus, wie sie versuchten, ihre Füße auf den Uferboden zu setzen, aber immer ein paar Millimeter in der Luft schwebten. Das Team Himmel war noch damit beschäftigt, sich die Schuhsohlen mit dem neuen Anti-Wasser-Spray einzusprühen, das es seit kurzem im WWWB-Markt zu kaufen gab. Den Vorsprung mussten wir nutzen. Schnell ergriff ich Easys Hand und lief auf das Wasser hinaus. Easy riss Jack hinter sich her, die wiederum Chris mitschleifte, der sich krampfhaft an Nifen klammerte, die noch schnell Abrankas Hand schnappte. So taperten wir vorsichtig über den See, denn so ganz hatten sich die höllischen Teilnehmer noch nicht an die Flügelschuhe gewöhnt. Einzig für Abranka und mich war das über das Wasser Wandeln kein Problem. Als Teufel kann ich überall herum laufen und unsere Bandmuse thronte ja wassergeschützt auf ihrer Wolke, mit Kiwi auf dem Schoss, und ließ nur die Füße etwas ins Wasser baumeln. „Ich hab doch gesagt, dass die Schuhe genial sind“, jubelte die aufgedrehte Frontfrau, während sie hinter mir über das Wasser eierte. Von Chris war ein unwohles Stöhnen zu hören: „Ich glaube, ich werde seekrank. Schaukelt doch nicht so.“ „Dann beeil dich, damit wir schnell wieder am Ufer sind“, drängte Nifen. „Die anderen holen auf!“ Tatsächlich! Es hatte zwar etwas gedauert, bis das Spray trocken war, aber das Team Himmel war nun bereits dicht hinter uns und hatte nicht solche Schwierigkeiten beim Laufen. Sie kamen immer näher. Hektisch versuchte ich die anderen anzutreiben, aber leider machte sich Jacks linker Fuß selbstständig und flog einen halben Meter hoch, so dass sie nur noch auf einem Fuß hüpfen konnte. Inzwischen war es ein Kopf-an-Kopf-Rennen geworden. Das Ufer war greifbar nahe. Auf dem letzten Meter überholte uns das himmlische Team und hatte als Erstes wieder festen Boden unter den Füßen. Die himmlischen Heerscharen jubelten und jauchzten über den ersten Sieg. Atemlos sanken die tapferen Sorglospunks in die weiche Uferwolke und entledigten sich erleichtert von den geflügelten Schuhen. Easy musste Jacks linke Sandale aufschnüren, weil der Fuß immer noch in der Luft hing. Doch Zeit zum Verschnaufen blieb nicht, die nächste Disziplin stand bevor: Der Plagenwettkampf. Schwefel sei Dank war das eine Kleinigkeit für mich. „Okay, wir müssen uns die schrecklichste, nervigste und kreativste Plage auszudenken“, erklärte ich schnell. „Kaffeeknappheit!“, schlug Easy vor. „Schokoladenrationierung!“, echote Jack. „Heino!“, meinte Abranka. „Internetausfall!“, riefen Nifen und Chris gleichzeitig. „Schon nicht schlecht“, nickte ich anerkennend. Für Plagenlaien waren das sehr brauchbare Einfälle. „daraus lässt sich was machen, wenn wir das Ganze miteinander verbinden.“ „Wie meinst du das?“, erkundigte sich die Frontfrau, die sich eigentlich nichts Schlimmeres als Kaffeeknappheit vorstellen konnte. Nachdenklich rieb ich mir das Kinn, als mich plötzlich ein Ideenblitz, den eine gewisse Muse losgelassen hatte, mit voller Wucht traf. Entzückt sprang ich in die Höhe: „Ganz einfach! Wir lassen winzig kleine Heinos auf die Menschheit los, die sich nur von Kaffee und Schokolade ernähren und ständig über blauen Enzian singen. Und jedes Mal wenn jemand das Internet benutzen will, wird er zur Heino-Fanseite weitergeleitet.“ Ich muss zugeben, dass das eine der genialsten Plagen war, die ich für die Zukunft im Hinterkopf behalten würde. Zuerst durfte das Team Himmel ihren Vorschlag unterbreiten. Sie hatten sich auf etwas Altmodisches geeinigt und wollten auf die Welt einen Regen aus tarnfähigen Kakerlaken loslassen, die kein Kammerjäger erledigen konnte. Kribbelig traten wir auf das Podest und teilten der Jury unsere Plagenidee mit. Zur Untermalung tippte ich mit meinem Dreizack auf das Podest und schon standen gleich zehn kleine Heinos dort, die lauthals sangen und dem Publikum die Schokolade klauen wollte. Die Jury beratschlagte sich kurz, während wir alle gespannt warteten. Dann ergriff Oma das Wort: „Diese Runde geht eindeutig an das höllische Team!“ Lauter Jubel brach aus. 1 : 1. Aber es sollten noch fünf Disziplinen kommen. Als Nächstes war Wolken hüpfen an der Tagesordnung. Eine recht leichte Aufgabe, bei der man durch einen Parcours von Wolke zu Wolke hüpfen musste. Leider war es so eine leichte Aufgabe, dass es ein Unentschieden wurde. Dabei hatten wir uns so reingehängt, dass Chris seine Seekrankheit und den aufkommenden Schwindel ganz vergaß. Die nächste Disziplin war die Apfelverführung. Dafür wurden wir extra hinunter zur Erde auf einen großen Marktplatz gebracht. „Und was sollen wir hier?“, fragte Jack verwirrt nach. „Lass mich raten, wir sollen Äpfel verkaufen?“, rätselte die Bandmuse und traf damit den Nagel auf den Kopf. Ich grinste breit: „Jep, du hast es erfasst. Wer in einer halben Stunde die meisten Äpfel verkauft, hat gewonnen. Also hängt euch rein, wir gewinnen diese Mal.“ „Chakka!“, schrie Easy und enterte den Tresen unseres Apfelstandes. „Hört mal her, wir haben die besten, leckersten, saftigsten, tollsten, sorglosesten und punkigsten Äpfel hier! Kauft bei uns Äpfel und wir singen für euch!“ Das war zwar eine ungewöhnliche Verkaufsaktion, aber die Leute blieben tatsächlich an unserem Stand stehen. Wie gut, dass Nifen darauf geachtet hatte, dass Chris und Jack zumindest die zusammenklappbaren Miniinstrumente mitgenommen hatten. Innerhalb kürzester Zeit war eine Menschenmasse um uns und riss uns geradezu die Äpfel aus der Hand, während Easy einen spontanen Song schmetterte. „Ah, ah, ah, Apfel Holt euch nen Apfel Den Sorglospunksapfel Und hört das Sorglospunksapfellied! Ah, ah, ah, Apfel Nicht be, be, be, Birne, nicht oh, oh, oh, Orange Nur ah, ah, ah, Apfel Kauft doch nen Apfel Und ess ihn ganz sorglos Den punkigen Apfel!“ Nach der vorgeschriebenen halben Stunde war absolut jeder Apfel verkauft. Ein Sieg in ganzer Linie für uns. Mit dem Applaus der Marktleute verließen wir den Stand und kehrten zu dem johlenden Turnierpublikum zurück. Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, dass Petrus ganz bleich geworden war. 3 : 2. Der Pokal rückte immer näher. Nun mussten wir eine Partie Schach ausfechten. Winkend schritten wir zum riesigen Schachfeld mit den lebensgroßen Figuren. Als Nifen entdeckte, dass genau sechs Figuren auf jeder Seite fehlten, zupfte sie vorsichtig an meinem Ärmel. „Sag mal, Chi, müssen wir da richtig mitspielen? Also als Bauern oder so? Das kommt mir schrecklich bekannt vor.“ „Keine Sorge, das ist nicht wie das Zauberschach bei Harry Potter. Falls wir geschlagen werden, greifen uns die gegnerischen Figuren nicht an. Dann müssen wir einfach nur das Feld verlassen“, beruhigte ich sie. Die Sorglospunks sahen erleichtert aus. „Sehr gut, mir ist schon ganz mulmig geworden, wenn ich nur dran denke, dass so ein Turm hinter mir her wäre“, murmelte Jack kleinlaut. Schnell verteilten wir uns auf unsere Positionen. Easy und Jack spielten die Springer, Nifen und Abranka waren die Läufer, der Prince of Punk wurde zum König und ich übernahm die Dame. Die ersten Züge kamen Schlag auf Schlag. Ein paar Bauern landeten außerhalb des Feldes. Dann wurde es doch schleppender, denn wir überlegten gründlich jede Möglichkeit, die ein Zug bieten konnte. Aber leider muss ich gestehen, dass der Senior schon immer ein besserer Schachspieler war als ich. Nach und nach wurden immer mehr Figuren von uns geschlagen und Chris wurde hin- und hergejagt. Es kam, wie es kommen musste: Wir wurden matt gesetzt. 3 : 3. Nach einer kurzen Verschnaufpause ging es in Runde 6: Der Schwefellauf. Ein althergebrachter Staffellauf über eine Hindernisstrecke mit Schwefelgräben. Für diesen Fall war ich auch gerüstet und verteilte Lavendelduftnasenklemmen. Schließlich kann nicht jeder den Geruch von Schwefel ohne Weiteres ertragen. Als Erstes ging Easy an den Start. In der kurzen Pause hatte sie ihre Kaffeereserven gefüllt und war nun ein echtes Energiebündel. Sie legte einen Sprint hin, dass der Bibelverkäufer des himmlischen Teams gar nicht mehr hinterher kam. Dann war Nifen an der Reihe. Behände sprang sie über die Hindernisse und rückte im Laufen wieder ihre Sonnenbrille zurecht, die ihr beinahe von der Nase gerutscht wäre. Der Stab wurde weitergereicht an Jack, die Dank Kaffee ein ähnliches Tempo wie ihre Zwillingsschwester hinlegte. Die kleine Nonne, die gegen sie antrat, konnte da nicht mithalten. Jack wurde von Chris abgeklatscht, der unter Easys „Umeko wird stolz auf dich sein!“-Rufen sein Bestes gab. Der Kantor, der einige Sekunden nach ihm losrannte, holte trotzdem etwas auf. Ich befürchtete schon das Schlimmste, obwohl ich mich nicht selbst an die Wand malen wollte. Als Chris mir den Stab übergab, rannte ich los, als wäre der Teufel hinter mir her. Zumindest stellte ich mir vor, wie ich böse hinter mir herlief und mich selbst antrieb. Atemlos sprang ich über die Gräben und erreichte mit einem wieder größeren Vorsprung die Ziellinie. Als Letztes ging Abranka an den Start und sie sauste auf ihrer Wolke nur so über den Parcours. Dabei drückte sie Kiwi an sich, damit sie nicht bei diesem Flugwind von der Wolke geweht wurde. Ab sofort waren musische Wolken die genialste Erfindung aller Zeiten für mich. 4 : 3!!! Wir lagen wieder in Führung! Dann kam die letzte, alles entscheidende Disziplin. Himmel und Hölle, ein verflixt kniffeliges Hüpfspiel. „Denkt daran, die Erde wird immer übersprungen. Das Feld, in dem der Stein landet, muss auch übersprungen werden. In der Vorhölle, der Hölle und der Himmelspost müsst ihr breitbeinig springen, sonst nur mit einem Fuß hüpfen. Und wenn der Stein in der Himmelspost ist, dürft ihr nicht sprechen oder lachen, egal was die anderen sagen. Und vergesst nicht auf dem Rückweg den Stein wieder mitzunehmen“, wiederholte ich noch einmal die Regeln. Schließlich kam es auf alles an. Sieg oder Niederlage. Nervös warf ich den Stein ins erste Feld. Grazil oder zumindest annähernd grazil hüpfte ich von Kästchen zu Kästchen. Vor lauter Konzentration biss ich mir beinahe die Zunge ab. Schwefel sei Dank war ich vor ewigen Zeiten eine echte Meisterin in Himmel und Hölle. Und gelernt war nun mal gelernt. Sogar die blöden Bemerkungen von Metatron ließen mich eiskalt, als ich den Stein in die Himmelspost warf. Sonst hätte der einiges zu hören bekommen. Zehn Punkte für uns. Für das himmlische Team trat die kleine Nonne an. Scheinbar machte sie im Kloster nichts anderes als beten und hüpfen. Fehlerfrei ergatterte sie ebenfalls zehn Punkte für den Senior. Danach hüpfte Chris. Er machte seine Sache ziemlich gut, doch nach der vierten Runde ließ er den Stein liegen. Drei Punkte für uns. Schwefel sei Dank holte der Priester nach ihm nur fünf Punkte. Es war noch alles offen. Easy war dran. Sie hüpfte sorglos, wie es sich für eine sorglose Frontfrau gehörte, über die Kästchen. Leider rief bei ihrer Himmelspostrunde ein gewisser Erzengel namens Gabriel: „Hey, Easy! Gibst du mir ein Autogramm?“ Easy blickte sich nach dem Engel um, grinste und rief: „Klar doch!“ Damit hatte sie gegen das Redeverbot verstoßen und neun anstatt zehn Punkte geholt. Es wurde immer spannender. Zum Schluss stand es 37 zu 35 für uns. Jack durfte noch für unser Team antreten, während ein schwereinzuordnender Priester für das himmlische Team springen sollte. „Denk ja dran, dass du nicht reden darfst, wenn du in der letzten Runde springst“, erinnerte Easy ihre Schwester eindringlich, als hätte sie eben nicht diesen Fehler begangen. Nervös warf das musikalische Multitalent den Stein ins erste Feld. Runde folgte auf Runde, während wir uns die Daumen zerdrückten, damit nichts schief ging. Inzwischen lag der Stein im Himmelsfeld, da sprang Jack versehentlich auf die Linie. Acht Punkte. „Hol’s doch der Teufel! Das ist verflucht knapp“, fluchte ich leise. Abranka nickte: „Wenn der Priester jetzt zehn Punkte holt, gibt es Elfmeterschießen.“ „Dann müssen wir noch eine Aufgabe lösen?“, jammerte Chris. „Jep und die wird nicht so einfach. Die achte Disziplin ist meistens der babylonische Turmbau, eine Art Riesen-Jenga“, erklärte ich hoffnungslos. Gebannt verfolgten wir das Gehopse des Priesters. Sollte er wirklich zehn Punkte holen, würde der Pokal wieder hier oben bleiben. Das hatte ich im Gefühl. Die erste Runde schaffte er fehlerfrei. Auch die zweite Runde verlief reibungslos. Und die dritte auch. Verflucht nochmal, wieso konnte so ein Priester so gut hüpfen? Dann endlich in der fünften Runde verlor er das Gleichgewicht und setzte beide Füße auf den Boden. Der Wettkampf war aus. Wir hatten gewonnen!!! „Die Sieger des Alle-Jubeljahre-Zufalls-Himmel-gegen-Hölle-Wettbewerbs sind die Teilnehmer des höllischen Teams!!!“, rief Michael durch das Mikro. Die unzähligen Höllenbewohner brachen in grölendem Applaus und wilden Jubel aus. Freudig fielen wir uns um den Hals. Wir hatten es geschafft! Wir hatten es tatsächlich geschafft!! Von der Jurorentribüne eilten Murphy und Oma auf uns zu. Über den ganzen Freudenlärm hörte ich sie „Mäuschen, ihr habt gewonnen!“ rufen. Wenig später drückte sie mich an sich, dass mir glatt die Luft wegblieb und immer noch rief sie: „Mäuschen, ich bin ja so stolz auf euch!“ Der Oberboss persönlich kam zu uns rüber und schüttelte uns die Hände. „War ein toller Wettkampf“, versicherte er lächelnd. Stolz schritten wir zur Tribüne und nahmen den großen Pokal entgegen. Jeder bekam noch von einem zerknirschten Petrus eine Medaille umgehängt. Ha, wie sehr ich mich jetzt freute, ihm das bei jeder Gelegenheit unter die Nase zu reiben. Statt einer Siegesrede ergriff Easy das Mikro und stimmte den zweiten spontanen Song für diesen Tag an: „Das ist Wahnsinn! Da siegt doch heut die Hölle! Hölle! Hölle! Hölle! Feurig haben wir gesiegt! Das ist Wahnsinn! Ein Sieg für das Team Hölle! Hölle! Hölle! Hölle!“ Danach fand eine rauschende Siegesfeier statt. Immer wieder wurde uns gratuliert und anerkennend auf die Schulter geklopft. Sogar Metatron verkniff sich seine spitzen Bemerkungen und beglückwünschte uns artig. Erst am frühen Morgen oder besser gesagt beinahe schon Vormittag des nächsten Tages löste sich die Feier langsam auf. Strahlend und unheimlich stolz drückte ich den Pokal an mich. Die Sorglospunks hatten ihn mir ohne Einwände überlassen, damit ich ihn direkt auf meinen Schreibtisch stellen konnte und jeder Besucher der Unterwelt ihn bewundern konnte. Und ihr könnt darauf wetten, dass ich ab sofort Petrus und Metatron öfters zu mir ins Büro zitieren werde. Kapitel 10: Jenseits der Realität --------------------------------- In einer wohlbekannten WG im Schwabenland kannte man jede Art von Katastrophe, schließlich war dort Murphy ein ständiger Besucher. Und selbst wenn der schwarze Chaoskater mal fernbleibt, schaffte es Easy immer noch im Alleingang die unmöglichsten Dinge zustande zu bringen. Gerade darum verbringe ich ja so gerne jede freie Minute in der sorglosen Band-WG, denn dort ist es nie langweilig. Aber an einem schönen Januartag lag ein klarer Fall von „Mit dem falschen Fuß aufgestanden“ vor. Easy hatte schlechte Laune. Das merkte ich schon daran, dass das Begrüßungs-Chiiiiii um einige Is kürzer und nicht so fröhlich wie sonst war. Verwundert blickte ich der normalerweise so sorglosen Frontfrau nach, wie sie missmutig in die Küche stapfte. Doch sofort wurde ich von den restlichen WG-Bewohnern ins Wohnzimmer gezogen und über diese seltsame Sachlage aufgeklärt. Seit dem Morgen lief alles, aber auch wirklich alles, was Easy anfing, total schief. Der Toast zum Frühstück war angebrannt, die Kaffeemaschine hatte den Geist aufgegeben (und das war wahrscheinlich noch der schlimmste Punkt auf der ganzen Liste, wenn man bedenkt, dass in diesem Hause Kaffee einem Lebenselixier gleichkommt), Easy war Kiwi auf den Schwanz getreten, weshalb das Bandmaskottchen mit ausgefahrenen Krallen über die auf dem Boden liegenden Ärzte-CDs gewetzt war und diese nun extreme Kratzer aufwiesen, und die Schokoladenvorräte waren zur Neige gegangen, weil irgendjemand (ich will keine Namen nennen) beim letzten Einkauf mal wieder nur die Hälfte der Einkaufsliste mitgebracht hatte. Weitere Katastrophen des Tages konnten zu dem Bericht nicht mehr hinzugefügt werden, denn Easy schlurfte gerade ins Zimmer und stolperte dabei über Chris‘ Bass, der neben dem Sofa lehnte. Doch der Prince of Punk hatte sich todesmutig in bester Bodyguard-Manier zur Rettung seines geliebten Instrumentes quer durch den Raum katapultiert, während Easy eine harte Bruchlandung auf dem Fußboden hinlegte. „Verdammt!!! Muss dein blöder Bass überall rumstehen?“, fluchte Easy lauthals und rappelte sich langsam wieder auf. „Irgendwann bricht sich hier noch einmal jemand den Hals.“ „Dann latsch doch nicht durch das Haus, als hättest du Tomaten auf den Augen“, brummte Chris und tätschelte liebevoll den so eben geretteten Bass. Ich muss anmerken, dass mir Abranka in dem Moment flüsternd mitteilte, dass die Stehlampe im Flur, der Spiegel im Bad und einer der Kaffeebecher mit dem Bandlogo schon an diesem Vormittag zu Bruch gegangen waren, weil eine gewisse Person zurzeit dazu neigte, nicht aufzupassen, wohin sie ging. Jack, die bis dahin ihre Zwillingsschwester nur kopfschüttelnd betrachtet hatte, stimmte Chris zu: „Genau, such dir lieber eine Beschäftigung. Schreib doch einen neuen Song, das wäre sowieso mal wieder fällig.“ „Ach, lass mich doch bloß damit in Ruhe. Dazu habe ich jetzt echt keine Lust“, murrte Easy herum. „Dazu hast du nie Lust“, bemerkte Nifen trocken. „Aber jede Band, die Erfolg haben will, braucht neue Lieder und die schreiben sich nun mal nicht von alleine.“ Easys schlechte Laune erreichte in diesem Augenblick ihren Höhepunkt und sie raunzte: „Von wirklichem Erfolg kann bei uns ja nicht die Rede sein. Wir haben immer noch keinen Plattenvertrag und treten ständig nur auf den seltsamsten Veranstaltungen auf. Vielleicht war es keine so gute Idee, die Band zu gründen.“ Für einige Sekunden herrschte absolute Stille im Raum und alle starrten Easy fassungslos an. Okay, dies war heute absolut nicht ihr Tag, aber deswegen gleich die Band anzuzweifeln, war echt ein starkes Stück. „Meinst du das wirklich ernst?“, fragte Jack, die endlich ihre Sprache wiedergefunden hatte. Easy zuckte stoffelig mit den Schultern. „Ja, warum nicht? Es wäre doch kein Weltuntergang, wenn es die Sorglospunks nicht geben würde…“ „Na, wenn du das meinst, Easy“, schaltete ich mich ein, „Dann können wir uns ja mal angucken, ob es einen Weltuntergang geben würde.“ Ich muss gestehen, dass ich Weltuntergangsszenarien schon immer sehr unterhaltsam fand, und deswegen nicht abgeneigt war, die Möglichkeit dazu mal näher zu betrachten. Abranka blickte mich fragend an und murmelte: „Was hast du denn schon wieder vor?“ „Das werdet ihr gleich sehen“, erklärte ich zwinkernd und zückte mein Hell-o Berry, um schnell eine alte Bekannte anzurufen. „Hey Parinas, könntest du mir einen winzigen Gefallen tun? Ich bräuchte da eine kleine Alternativsimulation. Eine typische Dreizehn-Dreizehn. Es wäre echt toll, wenn du das gleich in die Wege leiten könntest. Falls der Aufsichtsrat Zicken macht, sag ihnen, dass ich die volle Verantwortung übernehme… Danke, dafür hast du was gut bei mir. Bis dann!“ Es war immer wieder nützlich, eine gute Fee im Bekanntenkreis zu haben, besonders wenn diese sich auf Alternativleben spezialisiert hatte. Grinsend steckte ich das Handy wieder in meine Tasche und ignorierte die fragenden Blicke und die bei dem Wort „Alternativsimulation“ hochgeschnellten Augenbrauen. Denn jede Erklärung war unnötig. Ein lauter Trommelwirbel lenkte die allgemeine Aufmerksamkeit von mir ab. Bunte Lichteffekte blitzten durch das Wohnzimmer und eine Stimme verkündete donnernd: „Ladys and Gentleman, hier spricht Ihr Kapitän. Der Feenaufsichtsrat hat uns gerade die Starterlaubnis gegeben. Bitte nehmen Sie Ihre Plätze ein. Lehnen Sie sich zurück und entspannen Sie sich. Die folgende Alternativsequenz wird Ihnen präsentiert von Parinas, Ihrer guten Fee für alternative Wunscherfüllung.“ Ein heftiger Ruck ging durch den Raum und kurzzeitig hatte man das Gefühl, an zwei Orten gleichzeitig zu sein, bis ein leises Zischen zu vernehmen war. Die Simulation hatte begonnen. „Wa… was war das denn?“, erkundigte sich Chris und sah sich irritiert um. Wir befanden uns zwar immer noch im Wohnzimmer, aber der Raum hatte sich erheblich verändert. Eine altmodische Blümchentapete prangte an den Wänden und überall waren gehäkelte Spitzendeckchen verteilt. Nifen blickte alarmiert zu der Ecke, wo eben noch ein Schreibtisch gestanden hatte, und rief entsetzt: „Wo ist mein Laptop abgeblieben?“ „Nur keine Panik“, versuchte ich sie zu beruhigen, „Der Laptop ist noch bei euch zu Hause. Wir sind in einer alternativen Realität, um uns mal anzuschauen, wie die Welt ohne Sorglospunks wäre.“ „Also sind wir zwar in unserer WG, bloß wir wohnen nicht hier, weil es die Band nicht gibt“, fügte Abranka hinzu. Schließlich kennen sich Musen nur zu gut mit der Möglichkeit der Alternativrealtät aus. Ich nickte bestätigend: „In dieser Welt wohnt Frau Müller hier. Eine ältere Dame mit einem Hang zum Häkeln, wie man sieht.“ „Und wo wohnen wir?“, fragte Jack mit einem unguten Gefühl. „Das genau werden wir uns ja jetzt angucken“, erwiderte ich grinsend. Ein weiterer Ruck ging durch das Zimmer und in Sekundenschnelle standen wir in einer unaufgeräumten Studentenbude. Eine übellaunige Alternativ-Jack hämmerte auf die Tastatur ihres PCs und brüllte: „Verdammt, Easy, kannst du nicht mal ruhig sein? Ich versuche mich hier zu konzentrieren, die Hausarbeit muss ich bis Ende der Woche abgegeben haben. Und bei deinem Lärm kann ich die Statistiken nicht analysieren.“ Bergeweise Bücher über Wirtschaftswissenschaften und Unternehmenskommunikation türmten neben dem Computer und überall waren Ausdrucke von Tabellen und Diagrammen verstreut. Gerade steckte eine ganz in Schwarz gekleidete Alternativ-Easy ihren Kopf, geziert mit einer Baskenmütze, in das Zimmer. „Ich kann den Monolog aber nicht leiser einstudieren. Das ist schließlich experimentelles Theater und kein Flüstervortrag. Da muss ich auch mal aus voller Kehle schreien können.“ „Aber nicht, wenn ich hier über den Büchern sitze. Spätestens nächste Woche hast du dich eh für ein anderes Fach entschieden. Vergangenes Semester hast du Meeresbiologie angefangen und wolltest für Green Peace den Walfang beenden. Und davor wolltest du als Sozialpädagogin die nächste Super-Nanny werden“, erwiderte Jack spitz. Easy hob theatralisch die Hand. „Nur weil du jetzt so langweiligen Kram machst, musst du nicht von mir erwarten, dass ich ebenfalls über Zahlen rumbrüte. Außerdem wer hat vor einem Jahr noch Medizin studiert, um dann festzustellen, dass er kein Blut sehen kann?“ Die alternative Zwillingsschwester setzte zu einer giftigen Bemerkung an, aber in dem Moment machte es Zisch und wir wurde wieder in eine andere Szene auf einem Hinterhof hineinversetzt. Die echte Jack murmelte verwirrt: „Also das wäre passiert, wenn wir nicht die Sorglospunks gegründet hätten?“ „Ganz genau“, nickte ich, „Ihr hättet ein Studium angefangen und dann in regelmäßigen Abständen die Fächer gewechselt. Weil ihr euch nicht entscheiden könntet, was ihr eigentlich machen wollt.“ „Und was ist mit Kiwi? Ich habe sie nirgends in der Wohnung gesehen“, erkundigte sich Easy kleinlaut. „Da ist sie doch!“, rief die Bandmuse, die von ihrer Wolke aus einen besseren Überblick auf den Hof hatte. „Dort hinten den Mülltonnen steht sie mit einigen anderen Katzen.“ Langsam pirschten wir näher heran und die echte Kiwi machte große Augen, als sie ihr anderes Ich begutachtete. Die alternative Kiwi hatte ganz struppiges Fell und maunzte bestimmt zu einigen verdreckten Straßenkatzen. „Ah ja“, meinte ich, „Kiwi ist Anführerin einer Straßenkatzengang geworden. Sie benutzt nun ihren Intellekt für kriminelle Machenschaften wie zum Beispiel großen Raubzügen durch Fischgeschäfte. Schließlich war sie ohne ihre Aufgabe als Bandmaskottchen nicht ausgelastet genug.“ Nifen schüttelte den Kopf: „Das ist ja wie bei der Mafia. Ich hätte niemals gedacht, dass Kiwi zu so etwas fähig wäre.“ Ein erneutes Zischen beförderte uns mitten in einen Kindergarten. Eine alternative Nifen, bekleidet mit einem grünen Malkittel über den mit Fingerfarben vollgekleckerten Jeans, unterhielt gerade eine ganze Rasselbande von Kindern mit einem interessanten Handpuppentheaterstück zu „Stolz und Vorurteil“. „Tante Nifi, das Stück ist doof. Wir wollen lieber Rotkäppchen sehen“, quengelte ein kleines Mädchen. Fassungslos ließ Nifen die Prinzpuppe, die als Mr. Darcy herhalten musste, sinken. „Aber Jane Austen ist niemals doof. Ihre Werke gehören zur Weltliteratur.“ „Und wenn schon“, wischte ein rotzbengeliger Junge ihre Anmerkung vom Tisch. „Wir wollen lieber ein Stück zu Superman sehen.“ „Nein, ich will aber Rotkäppchen sehen“, quietsche das Mädchen. Und schon war ein handfester Streit im Gange, bei dem der vorlaute Junge dem Mädchen heftig an den Haaren zog. Tante Nifi ließ die Puppen fallen und setzte alles daran, die Streithähne von einander zu trennen. Heulend klammerte sich das Mädchen an sie und übergab sich vor Aufregung auf Tante Nifis rechten Schuh. Der Rest der Rasselbande nahm diese Begebenheit zum Anlass, komplett durchzudrehen und schreiend und kreischend durch den Raum zu rennen. Die echte Nifen seufzte erleichtert auf, als ein weiteres Zischen uns von dem Kindergarten fortbrachte. Wir waren mitten in die Frankfurter Börse geraten, wo ein anderer Chris in Anzug und Krawatte die Anzeigentafel mit den Börsenkursen anstarrte und wie ein Verrückter in gleich vier verschiedene Telefonhörer Anweisungen reinbrüllte: „Kaufen, Kaufen kaufen... Nein, sofort verkaufen!!! … Der Dax steigt wieder! … Oh mein Gott, die Aktien sind um 50 Punkte gefallen. Veranlasst sofort alles weitere!!!“ Der echte Chris verfolgte das hektische Treiben seines alternativen Ichs und war im Stillen froh, dass er in dieser Welt ein so erfolgreicher Börsenmakler war und nicht von Kindergartenkindern tyrannisiert wurde. Aber eine wichtige Frage brannte ihm nach ein paar Minuten doch unter den Nägeln. „Was ist eigentlich mit Umeko? Ich sehe gar kein Foto von ihr auf meinem Schreibtisch“, fragte er mich. Mitleidig schüttelte ich den Kopf: „Ihr seid euch hier nie begegnet. Und du hast auch keine andere Freundin, weil dir bei dem Beruf kaum Zeit für ein Privatleben bleibt.“ Ein Zischen erlöste den Prince of Punk von dieser Horrorvorstellung und verfrachtete uns auf eine sonnige Terrasse. In einem Gartenstuhl saß ein Mann mit einer dunklen Sonnenbrille und stopfte sich ein großes Stück Haselnusstorte in den Mund. Neben ihm schwebte eine Abranka auf ihrer Wolke und fluchte leise vor sich hin: „Ich habe dir doch tausendmal gesagt, dass du mal etwas komplett Neues singen sollst. Nicht immer nur von blauem Enzian und schwarzbraunen Nüssen. Verdammt, das ist ein alter Hut. Die Menschen wollen etwas Frisches hören und keine alten, ausgelutschten Kamellen…“ Zwischen zwei Bissen Torte trällerte er: „Vor der Stadt im grünen Rasen...“ „Argh, es ist zum Verrücktwerden. Was hast du bloß mit den Farben. Jeder Mensch weiß, dass Enzian blau und Gras grün ist! Warum musste ich nur dir zugeteilt werden?“, rief die Muse verzweifelt aus und verwünschte ihre Vorgängerin, die den Job geschmissen hatte und nun zurückgezogen in der Einöde lebte, weit weg von Schlager und Volksmusik. „Das kann nicht wahr sein, oder?“, jammerte Abranka, während sie sich selbstmitleidig die Haare raufte. „Wenn ich nicht bei den Sorglospunks wäre, müsste ich hier versauern? Wie konnte Apollo mir das nur antun?“ Mitfühlend tätschelte ich ihr die Schulter, während die anderen ihr aufmunternd erklärten, dass das ja alles nicht echt wäre. Ein lautes Plopp brachte uns zurück in die WG, die Alternativsimulation war abgelaufen. „Ladys and Gentleman, ich verabschiede mich von ihnen und bedanke mich, dass Sie die Realitätsreise bei Parinas gebucht haben. Vielen Dank und auf Wiedersehen“, erklang die donnernde Durchsage. „Wir sind zurück“, rief Easy froh aus, „Gott sei Dank, wir sind wieder da.“ Grinsend sah ich zur Frontfrau hinüber. „Und hast du immer noch den Gedanken, dass es keine gute Idee war, die Sorglospunks zu gründen?“ Entsetzt schüttelte sie den Kopf. „Ich werde so etwas niemals wieder denken. Die Alternative war ja viel zu schrecklich. Kiwi bei der Mafia und Abranka bei Heino…“ Und um zu zeigen, dass sich ihre Laune und ihre Ansichten gebessert hatten, setzte Easy sich brav an ihren Schreibtisch und schreib gleich ein neues Lied. „Ohne Chris ist man ganz allein. Ohne Abranka gibt’s keine Ideen mehr. Ohne Kiwi kann man nicht glücklich sein. Ohne Sorglospunks ist die Welt echt leer. Ohne Jack hat man keinen Spaß. Ohne Nifen weiß man nicht wo lang. Ohne Easy erlebt man nie was. Das, was ich will, ist Punk!!!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)