Die Welt im Wandel von Nochnoi (Oneshot-Sammlung zu "Dunkelheit/Vergeltung") ================================================================================ Kapitel 5: Angelus Mortis ------------------------- Salzburg, Fürsterzbistum Salzburg (1704): „Nein, bitte nicht! … Bitte nicht!“ Das Betteln der jungen Frau dröhnte in Alecs Ohren. Ihre Stimme, so leise und flüsternd und gleichzeitig so ohrenbetäubend laut, als würde sie ihm direkt ins Ohr schreien. Als würde sie versuchen, sein Trommelfell zu zerreißen. Alec betrachtete das Mädchen, das vor ihm auf dem Boden kniete. Katarina war ihr Name, ein blutjunges Ding, das gerade dem Kindesalter entwachsen war und noch nicht so recht wusste, wie man damit umzugehen hatte. Man merkte es an ihren Bewegungen, ihren Gesten, an unbedeutenden kleinen Dingen. Sie registrierte die wachsende Aufmerksamkeit der Männer, fühlte sich geschmeichelt und sichtlich wohl angesichts all des Interesses, aber zur gleichen Zeit war sie unsicher und offenbar von all den Neuerungen in ihrem Leben überfordert. Man sah ihr dies nicht direkt an, aber einem Vampir wie Alec entging es ganz gewiss nicht. Er bemerkte die verstohlenen Blicke, die sie immer wieder durch den Raum schickte, und den geradezu unauffälligen Rückzug, wenn sich ein Mann ihr zu sehr näherte. Alec hatte all dies beobachtet und es überaus genossen, diesem unerfahrenen Ding dabei zuzusehen, wie es eine völlig neue und überwältigende Welt entdeckte. Dieses ahnungslose und winzige Geschöpf, das sich nach außen hin so selbstbewusst und gewandt gab, doch im Grunde kaum mehr war als ein verschrecktes Mäuschen. „Bitte … nicht.“ Ihre Stimme war inzwischen nur noch ein Hauch. Ohne Kraft und Energie. Tränen benetzten ihr Gesicht, liefen ihre Wangen hinab und tropften auf den teuren Teppich. Ebenso wie das Blut, das aus der Wunde an ihrer Kehle strömte. Fast schon fasziniert betrachtete Alec, wie der rote Lebenssaft sich langsam über ihre rosige Haut bewegte. „Mein … Vater … er kann dir alles geben“, flüsterte sie schluchzend. Ihr Blick war gen Boden gesenkt, während sich ihre Hände zu Fäusten verkrampften und ihr ganzer Körper zu beben begann. „Er … ist reich.“ Alec legte seinen Kopf schief. „Ich weiß, mein Herz“, meinte er. „Aber materielle Dinge interessieren mich nicht. Ich kann mir alles nehmen, wonach es mir beliebt.“ Er hockte sich neben sie und strich ihr leicht über das helle Haar. Bei der Berührung spannte sie sich nur noch mehr an, ihr Atem ging schnell und stoßweise. Sie rechnete wohl mit einem weiteren plötzlichen Angriff. „Hübsche, kleine Katarina“, wisperte er. „So voller Angst. Wie ein Lämmchen auf der Schlachtbank.“ Es war ein leichtes gewesen, sie zu überfallen. Keine fünfzehn Minuten zuvor hatte sie noch auf der Feier ihres Vaters getanzt. Ein Mann nach dem anderen hatte sie aufgefordert, alles unter den strengen Augen der Mutter, die wahrscheinlich bereits geeignete Heiratskandidaten ausgewählt hatte. Katarina hatte gelacht und sich ihre Unsicherheit nicht anmerken lassen, während sie sich zum Takt der Musik bewegt hatte. Brav war sie der Etikette gefolgt, hatte jedermann begrüßt, sich an Gesprächen beteiligt und versucht, so strahlend und wunderschön wie ein Stern zu sein. Alles hätte sie getan, um ihren Vater stolz zu machen. Und als ihr Blick den von Alec gestreift hatte, war sie sofort nähergetreten. Sie hatte sich nicht daran gestört, dass seine Kleidung nicht zu der schicken Abendgarderobe der anderen Gäste passte. Ebenso hatte sie sich auch nicht um sein leicht fremdländisches Aussehen gekümmert. Stattdessen hatte sie sich bereitwillig von ihm überreden lassen, eine etwas stillere Umgebung aufzusuchen. Blind war sie wie eine Motte ins Licht geflogen. Dummes, junges Ding! „Du bist es selbst schuld, Katarina“, erklärte Alec. „Weißt du denn nicht, dass die Welt ein düsterer und grausamer Ort ist?“ Weiterhin zitternd machte sie Anstalten, ihren Kopf zu heben und ihn anzusehen, unterließ es aber letztlich doch. Womöglich befürchtete sie, dass sie ihre Angst vollkommen überwältigen würde, wenn sie ihm in die Augen schaute. Und Alec vermutete, dass dies gar nicht mal so weit hergeholt war. Seine animalischen Instinkte hatten ihn übernommen, kontrollierten ihn. Er war inzwischen mehr ein blutgieriges Monster und hatte kaum noch Ähnlichkeit mit dem charmanten Mann, der Katarina zu sich in die Falle gelockt hatte. Er beugte sich näher zu ihr und leckte über die Wunde an ihrem Hals. Sofort begann sie wieder zu wimmern, doch sie rührte sich keinen Millimeter. Panik hatte ihren Körper versteinern lassen. Vielleicht hoffte ein Teil von ihr, dass das alles bloß ein furchtbarer Albtraum war und sie jede Minute aufwachen würde. Alec spürte ihr köstliches Blut auf seiner Zunge, wurde davon berauscht. Mit aller Gewalt musste er das Verlangen unterdrücken, sie hier und jetzt bis auf den letzten Tropfen auszusaugen. Alles in seinem Inneren gierte danach, machte es ihm schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Aber gleichzeitig behielt er ständig im Hinterkopf, weswegen er eigentlich wirklich hierhergekommen war. Was seine wahren Absichten waren. Es ging ihm nicht um Katarinas Tod. Es ging ihm nicht mal um das Mädchen selbst. Nein, es war etwas vollkommen anderes. Somit zog er sich langsam wieder ein Stück von ihr zurück, den Geschmack ihres Blutes immer noch auf der Zunge. „Weißt du, es ist seltsam, Katarina“, erhob er wieder seine Stimme. Er sprach zwar leise, aber die Frau an seiner Seite zuckte zusammen, als hätte er sie angebrüllt. „Seltsam, was in letzter Zeit alles anders ist. Ich bin schon sehr alt, musst du wissen. Ich hatte eigentlich angenommen, dass mich nichts mehr überraschen könnte. Dass ich auf alles vorbereitet wäre, was in Zukunft noch kommen würde.“ Er schwieg einen Moment, betrachtete das Mädchen nachdenklich, dass immer noch zu Boden starrte und seinen Blick mied. „Aber ich habe mich geirrt.“ Und wie er sich geirrt hatte. Alec gab es zwar ungern zu, aber man hatte ihn hereingelegt. Ihn in die Beute verwandelt. Er hatte es nicht kommen sehen, nicht mal im entferntesten damit gerechnet. Und das schlimmste war, dass er nicht mal genau wusste, wie es überhaupt geschehen war. Wie man ihn hinters Licht geführt hatte. Er erinnerte sich bloß an Fragmente. An verschwommene, unzusammenhängende Bilder, die ihn eher verwirrten, als dass sie ihm eine klare Antwort gaben. Als hätte er eine durchzechte Nacht hinter sich und könnte sich nur bruchstückhaft entsinnen, was am Abend zuvor geschehen war. „Ich bin in einer Gruft aufgewacht“, erklärte Alec dem zusammengekauerten Mädchen, das wahrscheinlich gerade zu seinem Gott betete und wenig Interesse an der ganzen Geschichte hatte. Der Vampir störte sich jedoch nicht weiter daran, sondern fuhr ihr stattdessen mit dem Finger wenig liebevoll über ihre Bisswunde und leckte das Blut davon ab. „In einer Gruft, kannst du dir das vorstellen? Das ist so pathetisch und klischeehaft. Ein Turm, der von einem Drachen bewacht wird, wäre wenigstens noch originell gewesen, aber ein stinkendes, feuchtes Loch tief in einem Kellergewölbe …? Bar jeglicher Kreativität!“ Katarina hatte währenddessen ihre Hände gefaltet und offenbar all ihren Mut zusammengenommen, als sie mit angsterfüllter Stimme fragte: „Und was … was hat das mit mir … zu tun?“ Alec grinste schief. „Eine ausgezeichnete Frage, Schatz“, lobte er sie wie ein Kleinkind. „Nun, im Grunde gar nichts. Du hast mich zuvor nie gesehen, kennst wahrscheinlich nicht mal meinen Namen und so oder so wärst du sicher nicht so dumm, dich mit mir anzulegen. Zugegeben, du erscheinst mir ein bisschen einfältig, aber derart nun auch wieder nicht.“ Katarina sagte hierauf nichts, presste bloß ihre Lippen aufeinander und hoffte wohl nicht zum ersten Mal an diesem Abend, dass das alles bald ein Ende finden würde. „Du warst ein braves Mädchen“, fuhr Alec fort, während er ihr eine Strähne ihres honigfarbenen Haares hinter ihr Ohr strich. „Aber dein Vater … nun, der war nicht gerade anständig.“ Darauf sah sich Katarina doch genötigt, ihren Kopf zu heben. Ihre hellblauen Augen suchten die seinen, in ihrem Blick Verwirrung und auch eine nicht zu übersehende Angst, dass ein zutiefst geliebter Mensch ebenfalls in tödlicher Gefahr schweben könnte. „Mein … Vater?“ Alec lächelte dämonisch, was Katarina offenbar überaus ängstigte, weswegen sie sich hastig wieder abwandte und sich wahrscheinlich inständig wünschte, dass das raubtierhafte Leuchten in Alecs Augen bloß eine Reflektion des Lichts war und kein Anzeichen dafür, dass sie es mit einem gottlosen Monster zu tun hatte. „Wenn man vom Teufel spricht …“, flüsterte Alec daraufhin, als er Schritte auf dem Flur vernahm. Der Geruch des Mannes, der sein eigentliches Ziel war, schlug ihm selbst durch die geschlossene Tür entgegen. So penetrant und aufdringlich, dass es einen förmlich ansprang. Geduldig wartete er, dass der besorgte Vater seine Tochter fand. Wahrscheinlich war Joseph zunächst überhaupt nicht aufgefallen, dass seine geliebte Katarina verschwunden war. Stattdessen hatte er seine Kontakte gepflegt und sich so sehr bemüht, sich auch nach außen hin als Edelmann zu präsentieren, ganz so, wie es seine Titel vorschrieben. Er hatte sich welterfahren und charmant gegeben, als ein Mann der Elite. Und man hatte an der Anerkennung der meisten Gäste gemerkt, dass er seine Rolle perfekt spielte. Nicht mal, als einer der Bedienstete einige Gläser aus Versehen hatte fallen lassen, hatte er seine Stimme erhoben, sondern stattdessen wie ein verständnisvoller Vater reagiert. Aber Alec hatte hinter die Fassade blicken können. Joseph war ein aufgewühlter und leicht reizbarer Mann, dessen Lächeln eingemeißelt wirkte. Sich derart elegant zu geben, kam ihm einen Kraftakt gleich, der ihn von Minute zu Minute schwächte. Dennoch hatte er nicht nachgegeben. Hatte all die Energie mobilisiert, die ihm zur Verfügung stand, auch wenn man ihm angesehen hatte, dass er am liebsten irgendwo anders gewesen wäre. „Katarina, bist du hier drin?“ Die Tür zu dem kleinen Salonzimmer öffnete sich und eine sanfte Brise brachte den Geruch unzähliger Menschen und die Geräusche der feierenden Meute mit hinein. Josephs dunkle Falkenaugen untersuchten mit einer einstudierten Akribität den Raum, bis sein Blick schließlich auf seine auf dem Boden kniende Tochter fiel. Sofort spannte sich sein Körper an, während er in großen Schritten auf sie zueilte. „Katarina, was ist los?“, fragte er, eindeutig aufgebracht. „Warum versteckst du dich hier so ganz allein? Du beleidigst die Gäste.“ Alec, der zuvor in die Dunkelheit getaucht war, beobachtete den Neuankömmling genau, ehe er sich langsam auf die Tür zubewegte und diese lautlos schloss. Der Lärm der Festlichkeit wurde automatisch stark gedämpft, was Joseph jedoch nicht zu bemerken schien. „Katarina, nun sprich endlich!“, verlangte er stattdessen. „Was tust du -?“ Er unterbrach sich jäh, als er das Blut an ihrer Kehle erblickte. Entsetzt schnappte er nach Luft und schien von einem Moment auf den anderen wie eingefroren. Jeder einzelne Muskel rührte sich plötzlich nicht mehr. Stattdessen harrte er an Ort und Stelle und schaute entgeistert auf seine zu Tode verängstigte Tochter hinab. „Vielleicht solltet Ihr sie was trösten“, schlug Alec aus der Finsternis heraus vor. „Sie ist ein kleines bisschen verstört.“ Joseph wirbelte herum und betrachtete mit schreckgeweiteten Augen den Vampir, der sich behände aus dem Schatten schälte und den Mann vor sich teuflisch anlächelte. „Schön, Euch mal kennenzulernen“, fuhr Alec in einem vollkommen normalen Plauderton fort. „Ich habe schon so viel von Euch gehört.“ Amüsiert sah er dabei zu, wie in Sekundenschnelle alle Farbe aus Josephs Gesicht wich, als ihm klar wurde, mit wem er es zu tun hatte. Er wollte etwas sagen, irgendwie reagieren, das konnte man deutlich an seinen Augen erkennen. Doch kein einziges Wort verließ seine Lippen. Er brachte es nur zustande, einen kleinen Schritt zurückzuweichen. „Ihr habt sicher auch schon von mir gehört, nicht wahr?“, erkundigte sich Alec. Er spürte, wie die Bestie in seinem Inneren bei dem Anblick dieses Mannes wieder zu schreien begann. Wie sie nach Blut und Rache gierte. „Unter welchem Namen kennt ihr mich nochmal? Angelus Mortis, oder? Der Todesengel.“ Er lachte auf. „Ich liebe diese Spitznamen, die ihr Menschen mir immer wieder verpasst.“ Joseph trat noch ein Stück zurück, während er sich offenbar mit aller Macht dazu zwang, sich zusammenzureißen. Mühsam verdrängte er das Entsetzen aus seinen Zügen und machte einer harten Miene Platz. Man roch zwar immer noch die Angst an ihm, aber wenigstens äußerlich wusste er sie perfekt zu verbergen. „Was tust du hier?“, verlangte er zu erfahren. Seine Stimme war klar und fest, sodass bloß das überaus sensible Gehör eines Vampirs das Zittern darin heraushören konnte. „Du solltest doch …“ „In einer süßen, kleinen Gruft vor mich hinvegetieren, bis nicht mal mehr die Ratten an mir nagen wollen?“ Alec legte seinen Kopf schief, als würde er tatsächlich über das Ganze nachdenken. „Hm, wisst Ihr, ich habe es versucht. Diese ganze Ich-sitz-im-Dunkeln-und-hab-bloß-mich-und-meine-Gedanken-Nummer, aber ehrlich gesagt ist das nicht wirklich mein Stil. Es war … einfach viel zu langweilig.“ Joseph schluckte. Sein Blick huschte kurz zu seiner Tochter, er wagte es jedoch nicht, sich ihr weiter zu nähern. „Und wie bist du …?“ „Rausgekommen?“, half Alec ihm auf die Sprünge, nachdem Joseph seine Frage abbrach. „Tja, das liegt einzig und allein an der Tatsache, dass ihr dummen Kreaturen noch nicht sehr viel über Vampire wisst. Was habt ihr gedacht, als ihr mich da unten in den Kerker eingesperrt habt? Dass mich sowieso niemand vermissen würde? Dass so ein herzloses Ungeheuer wie mich keiner suchen würde? Dass wir bösen und grausamen Vampire allesamt hoffnungslose Einzelgänger sind?“ Er beobachtete vergnügt, wie sich Josephs Gesichtsausdruck nach und nach veränderte, als er begriff, worauf sein Gegenüber hinauswollte. „Ehrlich gesagt sind wir Vampire ausgesprochen gesellig“, setzte ihn Alec mit einem breiten Lächeln zur Kenntnis. „Und mein Fehlen ist den anderen schon sehr bald aufgefallen. Sie suchten und fanden mich.“ Joseph knirschte leise mit den Zähnen. Offenbar waren er und seine Komplizen sich ziemlich sicher gewesen, dass Vampire so etwas wie Freunde oder Gefährten überhaupt nicht besaßen und es demnach so oder so niemanden kümmern würde, wenn ein Vampir von der Bildfläche verschwand. „Und jetzt bist du hier“, stellte er fest. Er klang gefasst, fast schon völlig normal. „Und ich nehme an, die Männer in dem Kloster …“ Alec schmunzelte, was für Joseph anscheinend Antwort genug war. Kurz schloss er seine Augen und holte tief Luft. „Sie haben versucht, mich zu vernichten!“, fuhr Alec fort. Seine Stimm erhob sich, als er sich daran erinnerte, wie sehr diese Menschen ihn gedemütigt hatten. „Sie schlitzten mich auf, um das letzte bisschen Blut aus mir rauszuholen, ehe sie mir einen Pflock ins Herz rammten und die schwere Eisentür hinter sich schlossen.“ Dreiundzwanzig Tage. Bloß dreiundzwanzig Tage war er laut Aussage seiner Clanmitglieder dort unten in der Gruft gewesen. Aber Alec war es vorgekommen wie Jahre. Wie endlose, qualvolle und gleichzeitig verschwommene Jahre. Er hatte die ganze Zeit auf dem feuchten Boden gelegen, mehr tot als lebendig, und sich gefragt, was eigentlich geschehen war. Mühevoll hatte er versucht, sich an irgendwas zu entsinnen. Etwas, das all dies hätte erklären können. Doch sein Verstand war bereits viel zu angeschlagen gewesen. Er hatte bloß noch mitbekommen, dass seine Peiniger, die ihn wie ein Stück Dreck in die Gruft geworfen hatten, in Priestergewänder gehüllt gewesen waren. Die ganze Zeit über hatten sie das „Vater Unser“ auf Lateinisch gemurmelt und Alec angestarrt, als würden sie ihn für den Teufel persönlich halten. Als wäre er ein Monster, das die gesamte Welt zu verschlingen drohte. „Sie haben gejammert und geweint, als ich sie tötete“, meinte Alec schließlich, dem die Erinnerung an die Todesschreie dieser Männer wieder zum lächeln brachte. „Sie hatten gedacht, einen Dämon bezwungen zu haben, und mussten dann letzten Endes doch einsehen, dass sie stattdessen einen erschaffen hatten.“ Alec näherte sich langsam Joseph, dessen Gesicht erneut deutlich an Farbe verlor. „Wisst Ihr eigentlich, was mit einem ausgehungerten Vampir passiert?“, hakte er nach. „Mit einem, der im Grunde so gut wie keinen Tropfen Blut mehr in seinem Körper hat?“ Er schnaubte. „Ich war immer bescheiden, tötete nur dann, wenn ich Lust und Laune dazu hatte. Aber nachdem, was diese Männer mir angetan haben … ich war nicht viel mehr als ein Tier, Joseph! Ein ausgehungertes, verletztes Tier! Mein Blutdurst machte mich schier wahnsinnig.“ Er schwieg einen Augenblick, bevor er hinzufügte: „Und er tut es immer noch.“ Kaum hatte er nach seiner Befreiung das erste Blut zu sich genommen, war alles vorbei gewesen. Er hatte sich nicht mehr beherrschen können, sondern war stattdessen wie eine Bestie durch das kleine Konvent gestürmt und hatte sich an jedem genährt, der ihm begegnet war. Ihm war völlig die Kontrolle entglitten, stattdessen hatten seine animalischen Instinkte Überhand genommen. Er hatte sich an dem Flehen der Sterbenden gelabt, an ihrer Angst und Panik. Es hatte ihn berauscht, eine Leidenschaft in ihm geweckt, wie er es nie für möglich gehalten hätte. Und selbst, als kurze Zeit später wieder genügend Blut in seinem Organismus gewesen war, hatte es nicht aufgehört. Nachdem er auf offener Straße beinahe ein kleines Kind angegriffen hätte, hatte er sich zunächst zurückgezogen und versucht, wieder die Kontrolle über seine niederen Triebe zu erlangen. Ein Unterfangen, das sich als ausgesprochen schwierig erwiesen hatte und vielleicht sogar noch Monate in Anspruch nehmen würde. „Es ist, als würde das Blut mich rufen“, erklärte Alec leise. „Ich kann ihm nur schwer widerstehen. Und ein Teil von mir will es auch gar nicht.“ Mit einer übernatürlicher Schnelligkeit, die Joseph erschrocken nach Luft schnappen ließ, befand sich Alec wieder bei Katarina und kniete sich neben sie. „Sie ist so köstlich“, flüsterte er, während er ihr Haar nach hinten kämmte und sich langsam der Wunde an ihrer Kehle näherte. „So unsagbar köstlich.“ Zuvor noch so versteinert wie eine Statue, erwachte nun Josephs Beschützerinstinkt. Ohne groß darüber nachzudenken, holte er einen edlen Dolch hervor, der schon die ganze Zeit an seinem Gürtel befestigt gewesen war, und stürzte sich schreiend auf den Vampir. Um nichts in der Welt wollte er dabei zusehen, wie seiner Tochter von einem Untoten das Leben genommen wurde. Aber Alec durchschaute ihn, noch bevor er überhaupt seine Waffe gepackt hatte. Flink griff er zuerst an, entriss Joseph den Dolch und schlug mit seiner Faust auf dessen Unterarm, sodass man daraufhin Knochen brechen hörte. Joseph schrie vor Schmerz und Überraschung auf, ehe er das Gleichgewicht verlor und zu Boden stürzte. Er landete unangenehm mit der Schulter auf einem Holzhocker, schaffte es aber, sich seinen Kopf nirgends anzustoßen. „Du willst mir zuvorkommen, kleiner Mensch?“, zischte Alec. „Du bist doch bloß eine Made ohne Macht und Verstand!“ Ohne das geringste Mitleid stellte er seinen Fuß auf Josephs rechtes Bein und trat fest zu. Erneut vernahm man das Geräusch von splitternden Knochen, als die schwache menschliche Hülle unter der Kraft des Vampirs nachgab. Joseph brüllte dermaßen laut, dass wahrscheinlich jeder in der prachtvollen Villa es vernommen hätte, wenn nicht im großen Saal laute Musik gespielt worden wäre und unzählige Menschen wild durcheinandergeredet hätten. Katarina war wahrscheinlich die einzige in der näheren Umgebung, die es ohne Zweifel hörte. Der Schrei ihres Vaters riss sie aus der Lethargie. Verschreckt wollte sie auf ihn zustürmen, sich an ihn drücken, seinen Schutz suchen und gleichzeitig Trost spenden, doch noch bevor sie überhaupt Joseph berühren konnte, packte Alec sie unsanft am Oberarm und schleuderte sie wieder zurück. Sie fiel zu Boden, wo sie daraufhin auch liegenblieb und sich nicht traute, sich erneut auch nur ein kleines bisschen zu bewegen. „Ihr habt es euch selbst zuzuschreiben!“, fuhr Alec derweil aufgebracht fort. „Ihr habt euch mit Mächten angelegt, von denen ihr keine Ahnung habt.“ Herausfordernd nahm er Joseph ins Visier. „Wie kommt es eigentlich, dass auch Ihr involviert seid, werter Graf? Einer der Priester nannte mir Euren Namen, kurz bevor er starb. Er behauptete, das Ganze wäre Eure Idee gewesen.“ Joseph antwortete nicht. Stattdessen drückte er schweigend seinen verletzten Arm näher an sich und wich den bohrenden Blicken des Vampirs aus. „Ihr seid einer von diesen Dämonenjägern, nicht wahr?“, hakte Alec nach. „Von diesen Lebensmüden, die in ihrem Größenwahn glauben, uns gewachsen zu sein.“ Schon immer hatte es einzelne Personen oder gar ganze Gruppen gegeben, die mehr schlecht als recht versucht hatten, sich gegen das Übernatürliche zur Wehr zu setzen. Doch seit gut einem Jahrhundert hatte es sich wie eine Krankheit auf der ganzen Welt ausgebreitet. Die Menschen organisierten sich, rotteten sich zusammen. Netzwerke und Verbindungen wurden geknüpft, kluge Köpfe und Erfinder angeheuert, die die neusten Waffen zur Dämonenbekämpfung entwickeln sollten. Alec hatte sie zwar trotz alledem nie für eine wirkliche Bedrohung gehalten, er war jedoch nun fast gewillt, seine Meinung zu revidieren. „Von wem hast du deine Befehle?“, verlangte er zu erfahren. „Von der Hauptzentrale in Wien? Ich habe zumindest gehört, dass sich dort ein Stützpunkt befinden soll.“ Als Joseph immer noch nicht reagierte, fügte er hinzu: „Vielleicht sollte ich dort einfach mal vorbeischauen und die netten Leute vor Ort ausquetschen. Womöglich sind die was gesprächiger.“ Daraufhin kam wieder Leben in Josephs Körper. Er schaute auf und erwiderte in einem beinahe verzweifelten Tonfall: „Niemand hat mir irgendwelche Befehle gegeben. Ich habe auf eigene Initiative gehandelt.“ Bemüht unauffällig rückte er ein Stück von Alec weg. „Ich hörte, dass ein überaus gefährlicher Vampir in der Stadt wäre. Und ich entschied mich, die Sache in die Hand zu nehmen.“ „Und die Priester?“, erkundigte sich Alec. „Offiziell sind …“ Er unterbrach sich selbst und atmete einmal tief ein, als er sich rasch korrigierte: „Sie waren offiziell keine Dämonenjäger. Aber ihnen lag viel daran, die gottlosen Geschöpfe dieser Welt wieder zurück in die Hölle zu schicken. Sie haben uns oft unterstützt.“ Alec knirschte mit den Zähnen. Es war in der Vergangenheit nicht gerade selten geschehen, dass Geistliche sich im Namen Gottes gegen das Übernatürliche stellten. Bisher hatte der Vampir diesen Umstand eher amüsant gefunden, da die Versuche der Kleriker meist nicht von Erfolg gekrönt gewesen waren, doch nun war Alec mehr als je zuvor gewillt, diese Männer unter keinen Umständen zu unterschätzen. „Dämonenjäger“, zischelte er herablassend. „Weißt du eigentlich, wie unsagbar dämlich es ist, sich mit uns anzulegen? Hast du überhaupt eine Ahnung, in welche Gefahr du dich damit bringst?“ Intensiv musterte er Joseph, dessen Gesicht vor Schmerz stark verzerrt war. „Du hast doch alles, Jo. Einen Haufen Geld, eine Frau, eine Tochter. Warum gehst du dieses dumme Risiko ein?“ Joseph hob seinen Blick und starrte Alec mit einem solchen Hass an, dass so gut wie jeder andere zurückgewichen wäre. „Du und deinesgleichen, ihr seid schreckliche Monster!“, fauchte er. Er schien sogar kurz zu erwägen, Alec, der neben ihm kniete, brutal am Kragen zu packen, unterließ es dann jedoch. „Mörder und Bestien ohne Gewissen! Wie könnte ich mich da euch nicht entgegenstellen?“ Über Alecs Lippen huschte ein Lächeln, als er begriff, worauf Joseph anspielte. „Dir wurde jemand genommen, nicht wahr?“ Sein Gegenüber zuckte kurz zusammen. Einen Moment schien er sich wohl zu fragen, ob Alec Gedanken lesen konnte, ehe er schließlich schnaubte und sein Gesicht abwandte. Der Vampir packte ihn jedoch am Kinn und zwang ihn, ihn anzusehen. „Wer war es?“, hakte er grinsend nach. „Deine liebe Mami? Angegriffen und getötet, während sie unschuldig wie ein Engel in ihrem Bettchen geschlafen hat? Oder doch dein großer Bruder, den du immer so bewundert hast? Der dir Geschichten von Kriegen aus fernen Ländern erzählt hat, obwohl er eigentlich selbst nie hier aus Salzburg herausgekommen ist?“ Er lachte auf. „Komm schon, erzähl es mir!“ Die Abscheu, die Joseph erfüllte, war nun fast greifbar. Alec hatte das Gefühl, sie war kurz davor, ihn zu attackieren, ihn zu Boden zu werfen und all die Lebensenergie aus ihm herauszusaugen, bis er nichts mehr war als eine ausgetrocknete Mumie. Als eine Erinnerung. Aber Hass allein hatte bisher noch nie ausgereicht und so war es auch bei Joseph. Er konnte sosehr hoffen, dass seine funkelnden Blicke den Vampir töteten, es würde einfach niemals geschehen. „Meine Töchter“, meinte Joseph schließlich flüsternd, als Alec den Druck ein wenig verstärkte und dessen Kieferknochen bereits unheilvolle Geräusche von sich gaben. „Meine beiden ältesten. Sie waren … noch so jung und unschuldig. So voller Leben.“ Jedes einzelne Wort kam ihm unglaublich schwer über die Lippen. „Sie waren auf dem Weg zu einem Nachbarort, um ihren Onkel zu besuchen, als es geschehen ist. Der Kutscher hat mir alles berichtet. Dieses … dieses Monster hat sie einfach mitgenommen! Und sie … und sie …“ Er brach ab. Bittere Tränen rannen seine Wangen hinab. „Man fand ihre Leichen erst Wochen später.“ Alec warf einen Blick zu Katarina, die bei der Erwähnung dieses alten und gleichzeitig noch so präsenten Schmerzes ihren Kopf gesenkt hatte und ebenfalls zu weinen begann. Unwillkürlich fragte sich der Vampir, ob das Mädchen überhaupt gewusst oder zumindest geahnt hatte, was ihr Vater inzwischen trieb, um mit dem Verlust seiner Kinder irgendwie klarzukommen und seiner Rache freien Lauf zu lassen. „Hm, das erklärt natürlich so einiges“, musste Alec eingestehen. „Ich nehme mal an, den verantwortlichen Vampir hat man nie gefunden?“ Er wartete gar nicht erst auf Josephs Kopfschütteln, sondern fuhr fort: „Tja, sowas ist im Nachhinein auch ziemlich schwer. Zugegeben, ich könnte es wahrscheinlich herauskriegen, aber ehrlich gesagt verspüre ich irgendwie wenig Lust, dir zu helfen. Vielleicht noch vor der ganzen Sache mit der Gruft. Ich habe öfters Anwandlungen, weißt du, und wenn mir langweilig ist, kann sowas eine ganz nette Abwechslung sein. Aber jetzt …“ Alec hob eine Augenbraue und schmunzelte, während er Joseph dabei beobachtete, wie er langsam realisierte, dass er womöglich seine einzige Chance verspielt hatte, den wahren Mörder seiner Töchter zu finden. Doch schnell verdüsterte sich seine Miene wieder, als er erwiderte: „Du bist doch nur ein Lügner und Betrüger, wie all die anderen. Wieso hätte ich dir vertrauen sollen?“ „Gute Frage“, meinte nun auch Alec. Er richtete sich wieder auf. „Und im Grunde ist es auch gleich. Mich interessieren deine toten Töchter nicht, ebenso wenig wie dein noch halbwegs lebendes Mädchen dort drüben.“ Er deutete auf Katarina, die unwillkürlich ein Stück von ihm wegkroch. „Ich schere mich nicht um dich und dein jämmerliches Leben. Das einzige, was ich unbedingt wissen will, ist: Wie hast du es geschafft?“ Joseph rührte sich im ersten Moment nicht, immer noch viel zu überwältigt von der Erinnerung an die schmerzhafte Vergangenheit. Schließlich aber, als Alec schon kurz davor stand, erneut Gewalt anzuwenden, blickte er auf und fragte verwirrt: „Was …?“ „Wie habt ihr es angestellt?“, wiederholte der Vampir mit Nachdruck. „Wie habt ihr mich …“ Die Worte blieben ihm im Halse stecken, als er an die Ereignisse zurückdachte. Joseph hingegen lächelte leicht. „Du meinst, wie wir dich überrumpeln konnten? Wir kleinen, jämmerlichen Menschen?“ Ein raubtierhaftes Knurren stieg aus Alecs Kehle, ehe er Joseph am Hemd packte und unsanft näher zog, dessen gebrochene Knochen dabei völlig ignorierend. Dieser sog daraufhin vor Schmerz scharf die Luft ein, während er gleichzeitig offenbar mühevoll dagegen ankämpfte, das Bewusstsein zu verlieren. „Du solltest dich nicht über mich lustig zu machen, schwächlicher Wurm!“, drohte Alec wütend. „Ich könnte dir die Kehle aufreißen, bevor du überhaupt merkst, was passiert ist. Also sei lieber brav, wenn du den Wunsch hegst, noch länger zu leben.“ Scharf nahm er sein Gegenüber ins Visier. „Und jetzt beantworte meine Frage!“ Joseph aber schnaubte verächtlich. „Denkst du wirklich, ich verrate Geheimnisse? Ich habe immer unterbewusst damit gerechnet, dass eines Tages ein Vampir vor meiner Haustür stehen würde. Glaub mir, ich habe keine Angst vor dem Tod.“ Alec jedoch lächelte daraufhin bloß dämonisch. „Oh doch, das hast du.“ Und mit diesem Worten ließ er von dem überraschten Joseph ab und wandte sich Katarina zu. Diese registrierte sofort die sich nähernde Gefahr und unternahm einen verzweifelten Versuch, irgendwie von ihm wegzurobben, doch Alec ließ ihr keine Gelegenheit. Binnen einer Sekunde war er neben ihr, vergrub seine Hand in ihren Haaren und riss gewaltsam ihren Kopf nach hinten, sodass die Bisswunde an ihrem Hals frei lag. Katarina schrie und weinte, hatte aber nicht mal ansatzweise genügend Kraft, um sich angemessen zur Wehr zu setzen. „Vielleicht hast du keine Angst vor deinem Tod“, meinte Alec, an Joseph gerichtet. „Aber vor ihrem ganz sicher, nicht wahr?“ Joseph schnappte entsetzt nach Luft. Er wollte aufspringen und seiner Tochter augenblicklich zur Hilfe eilen, doch sein Bein erlaubte es ihm nicht. Kaum hatte er sich nur ein Stückchen nach oben gehievt, brach er auch schon wieder zusammen. „Also, was ist jetzt?“, hakte Alec herausfordernd nach. „Ist das Geheimnis derart wichtig, dass du deine süße Katarina dafür opfern würdest? Wäre es das wert?“ Um Joseph weiter zu provozieren, neigte sich Alec über das zitternde Mädchen und leckte das Blut auf, das ihr in Rinnsalen über den Hals und das Dekolleté lief. Ihr Herz raste wie wild, sich sehr wohl gewahr, dass sie dem Tod näher war als dem Leben. „Bitte …“, vernahm Alec daraufhin Josephs Flehen. „Bitte, tu das nicht.“ Der Vampir drehte sein Gesicht zur Seite und präsentierte ihm seine scharfen Reißzähne. „Sei artig und mach, was ich dir sage. Dann wird deine Prinzessin vielleicht überleben.“ Joseph zögerte einen Moment, sich offenbar nicht sicher, ob man dem Wort eines Untoten glauben sollte. Schließlich aber senkte er seinen Kopf und meinte leise: „Die Frau … in der Gaststätte …“ Alec runzelte verwundert die Stirn und wusste zunächst nicht, worauf sein Gegenüber hinauswollte. In den letzten Wochen war derart viel geschehen, dass er sich wahrlich nicht an jedes weibliche Wesen erinnern konnte, das ihm über den Weg gelaufen war. Dann jedoch rief er sich die besagte Nacht nochmal vor Augen. An viel entsann er sich nicht mehr, bloß an Bruchstücke. Er war auf der Jagd gewesen. Schon längere Zeit hatte er kein Blut mehr zu sich genommen und war dementsprechend hungrig gewesen. Und auf seiner Suche war er zu diesem Wirtshaus gekommen. In einer dunklen Ecke, mäßig besucht und perfekt geeignet, um jemanden zu entführen, ohne dass jemand es bemerkte. Und kaum war er durch die Tür getreten, war diese Frau zu ihm gekommen. Im mittleren Alter, aber immer noch schön. Sie hatte sich ihm förmlich aufgedrängt, ihn umschmeichelt und ihn ganz eindeutig zu verführen versucht. Es war so einfach gewesen, sie in eine düstere Gasse zu ziehen und von ihrem Blut zu kosten. Aber unter Umständen … zu einfach? „Sie war auf dich angesetzt“, erklärte Joseph. „Es hat uns sehr viel Zeit und Mühe gekostet, dich zu lokalisieren, doch irgendwann hat es tatsächlich funktioniert. Und die Frau sollte als Köder fungieren.“ Alec hob seine Augenbrauen. „Als Köder?“ „Du solltest von ihr trinken“, meinte Joseph. „Das war der Plan.“ Alec war ehrlich irritiert. Es passierte zwar durchaus öfters, dass sich Menschen Vampiren anboten, aus Wollust oder aus dummer Abenteuerlust. Aber noch nie hatte er davon gehört, dass ausgerechnet Dämonenjäger in so etwas verwickelt gewesen waren. „Wir haben sie … vorbereitet“, schilderte Joseph zögernd. „Ihr Blut präpariert.“ Alecs Miene verdüsterte sich, als er langsam begriff. „Ihr habt mich vergiftet?“ Ein Teil von ihm konnte es einfach nicht fassen, doch andererseits war keinerlei Lüge in Josephs Stimme zu erkennen gewesen. Er sprach die Wahrheit. Alec versuchte sich mühsam an die Frau aus der Gaststätte zu erinnern, aber ihr Antlitz war wie verzerrt. Er sah ihre ausdrucksstarken Augen, hörte ihre weiche Stimme, die ständig auf ihn eingeredet hatte, und roch das Duftwasser, das sie benutzt hatte. Aber er entsann sich nicht mehr wirklich an ihr Gesicht. An ihre Züge, an ihr Lächeln. Es war alles fort. Ebenso war es mit ihrem Blut. Vage wusste er noch, dass er von ihr getrunken hatte. Und eine Stimme in seinem Hinterkopf sagte ihm, dass ihr Blut seltsam geschmeckt hatte. Nicht unbedingt schlecht, sondern einfach nur anders. „Wie?“, zischte Alec. „WIE, zur Hölle?“ Joseph hatte seinen Blick auf Katarina gerichtet, als er antwortete: „Verschiedene Kräuter. Einer der Priester wusste sehr gut, was übernatürlichen Wesen schadet. Was sie schwächt und ihren Verstand vernebelt.“ Joseph seufzte. „Ich habe keine Ahnung, woher er all dieses Wissen hatte. Einer seiner Mitbrüder verriet mir, dass es Gerüchte gäbe, er wäre mit einer Hexe verwandt. Vielleicht hat er von ihr …“ Er versuchte, mit den Schultern zu zucken, ächzte jedoch leidlich, als er merkte, wie schmerzhaft dies in seiner Situation war. „Ich weiß nicht, was er alles genommen hat. Er hat dauernd die lateinischen Ausdrücke benutzt. Ich glaube, es war unter anderem Eisenhut dabei, aber ich bin mir nicht sicher. Ich kann dir wirklich nicht mehr dazu sagen.“ Alec runzelte die Stirn. Es gab tatsächlich einige Kräuter, die einen Effekt auf Vampire hatten. Manche waren berauschend, andere kräftezehrend. Aber dennoch reichte es nicht, um einen solch mächtigen Untoten wie ihn einfach auszuschalten. „Das ist nicht alles, oder?“, hakte Alec ungeduldig nach. „Du verschweigst doch etwas.“ Joseph senkte den Blick, fühlte sich ertappt. Im ersten Moment antwortete er nicht, sodass Alec sich genötigt sah, Katarina unsanft ein wenig näher an sich zu zerren, um seine Zunge zu lockern. Sofort öffnete Joseph daraufhin den Mund und erklärte: „Außerdem haben wir in die Adern der besagten Frau noch das Blut eines Werwolfs injiziert.“ Alec war über diese Aussage ehrlich überrascht. „Werwolfblut?“ Joseph nickte widerwillig. „Es war meine Idee“, fügte er hinzu. Trotz der angespannten Lage hörte man deutlich aus seiner Stimme, wie stolz er darauf war. „Ich mag vielleicht nicht so viel über Vampire wissen wie manch anderer, aber mir war klar, dass die Feindschaft zwischen euch und den Werwölfen noch viel tiefgehender ist. Ich las in einem Buch, dass der Biss eines Wolfes ungemein schmerzhaft für ein Monster wie dich ist und auch deutlich langsamer heilt als normale Wunden. Ein Werwolf kann sogar einen Vampir töten, wenn er es darauf anlegt, nicht wahr?“ Er schaute Alec direkt an, schien auf eine Bestätigung zu warten. Doch der Angesprochene schwieg. „Mir war nicht ganz klar, wie viel von dem, was ich aus Büchern herausgefunden hatte, der Wahrheit entsprach und wie viel bloß Legende war“, fuhr er fort. „Aber ich erhielt mehrere positive Antworten von Experten, die ich zu diesem Thema befragt hatte. Viele waren der Ansicht, dass sich Vampire und Werwölfe gegenseitig erheblichen Schaden zufügen können. Und deshalb habe ich entschieden, dass es einen Versuch wert war.“ Ein Lächeln umspielte seine Lippen. „Und wie es scheint, habe ich goldrichtig gelegen.“ Alec verspürte plötzlich das unbändige Verlangen, diesem Kerl bei lebendigem Leib das Herz herauszureißen. Mordlust stieg in ihm auf, seine niederen Instinkte versuchten erneut, die Überhand zu gewinnen. „Ihr habt diese Frau – den Köder – also mit all diesen netten Zutaten bestückt?“, fragte er herausfordernd nach. „Hat sie das überhaupt überlebt?“ „Sie hat sich freiwillig gemeldet“, meinte Joseph augenblicklich, als wollte er unter allen Umständen sein Vorgehen verteidigen. „Ihr Mann wurde von einem Vampir getötet, sodass sie nur allzu gewillt war, es einem von euch heimzuzahlen. Sie kannte das Risiko und war bereit, es einzugehen.“ Alec legte seinen Kopf schief. „Mit anderen Worten: Sie ist tot.“ Joseph wich dem Blick des Vampirs aus, als er widerstrebend zugab: „Die Kombination ist auch für Menschen nicht besonders gesund. Wir haben sie zwar zur Ader gelassen und versucht, die Gifte wieder aus ihrem Körper zu spülen, aber …“ Er presste seine Lippen aufeinander. „Sie starb ein paar Tage, nachdem wir dich in der Gruft eingesperrt hatten.“ „Ihr habt also diese Frau vergiftet, um an mich heranzukommen. Und dann habt ihr mich aufgeschlitzt und wie ein dreckiges Tier in dieses Loch geworfen.“ Während Alec die Ereignisse Revue passieren ließ, erhob sich seine Stimme merklich. „Und ich werde hier als Monster bezeichnet?“ „Wir dachten, du wärst tot!“, versuchte sich Joseph rasch zu verteidigen. Alec hob eine Augenbraue. „Tot?“, hakte er nach. „Meine Güte, ihr habt ja echt keine Ahnung von Vampiren!“ Joseph verzog sein Gesicht. „Es gibt so viele Legenden und Mythen“, meinte er widerwillig. „Außerdem wollte ich dich noch verbrennen. Nur, um wirklich sicherzugehen. Aber einige der anderen waren überzeugt, dass wir dadurch deine schwarze Seele befreien und vom irdischen Fleisch erlösen würden.“ Er schwieg einen Moment, ehe er anfügte: „Wir waren noch am verhandeln, was weiter mit dir geschieht.“ Alec spürte, wie der Zorn in ihm immer weiter wuchs. Er stellte es sich bildlich vor, wie diese Männer an einem Tisch zusammensaßen und darüber beratschlagten, wie sie als nächstes mit dem schwachen Vampir unten im Keller verfahren würden. Ob Feuer oder die immerwährende Dunkelheit die endgültige Lösung wäre. Alec hatte es schon immer gehasst, wenn andere über ihn bestimmten. Und noch mehr hatte er es verabscheut, wenn er nicht mal etwas dagegen hatte tun können. „Hast du es jemanden erzählt?“, wollte Alec wissen. „Die Sache mit dem Werwolfblut?“ Joseph schaute auf. „Ich …“, begann er zögerlich, sich offenbar sehr wohl gewahr, dass der Vampir unter allen Umständen eine ehrliche Antwort erwartete. „Ich habe, wie gesagt, mit den Experten darüber debattiert. Aber das war alles nur Theorie.“ „Hast du jemanden gesagt, dass es funktioniert?“, konkretisierte Alec ungeduldig seine Frage. Joseph holte einmal tief Luft, ehe er offenbarte: „Noch nicht. Ich habe zwar schon einen Brief für die Zentrale in Wien aufgesetzt, aber bisher noch nicht abgeschickt.“ „Und die Priester?“ Joseph senkte erneut seinen Blick. „Ich weiß nicht, ob sie jemanden unterrichtet haben. Allerdings haben sie sehr zurückgezogen gelebt und wenig Kontakt zur Außenwelt gehabt. Es ist also zumindest durchaus möglich, dass sie es für sich behalten haben.“ Er seufzte. „Aber ich kann es dir nicht uneingeschränkt versichern.“ Alec nickte. Diese Information war mehr als genug. Es gab zwar immer noch ein Restrisiko, aber damit würde er leben müssen. „Wirst du mich jetzt töten?“, fragte Joseph nach. Seine Stimme war ausgesprochen ruhig, aber in seinen Augen stand die Angst. So sehr er sich auch brüstete, den Tod nicht zu fürchten, war es doch etwas völlig anderes, ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen. Da war er nicht der erste, der einknickte, und er würde ganz sicher nicht der letzte sein. Alec hatte derweil seinen Kopf zur Seite gelegt, als würde er ernsthaft über seine Worte nachdenken. Schließlich hob er seine Schultern und meinte in einem heuchlerisch-bedauernden Tonfall: „Ja, das werde ich.“ Bevor Joseph noch etwas sagen, tun oder überhaupt auf irgendeine Weise reagieren konnte, stand Alec plötzlich neben ihm und fasste ihm an Stirn und Hinterkopf. Es benötigte nur einen kurzen Ruck des Vampirs und das schwächliche Genick des Mannes brach auseinander, als wäre es bloß ein kleiner Zweig. Joseph riss die Augen auf, doch bereits in der nächsten Sekunde erlosch das Licht in ihnen für immer. Sein verkrampfter Körper entspannte sich, bevor er schließlich leblos zur Seite sackte. Nichts mehr als eine Hülle, die ebenfalls bald vom Antlitz der Erde verschwinden würde, als hätte sie nie existiert. Unbedeutend, unwichtig und vergessen. Alec betrachtete befriedigt den toten Mann zu seinen Füßen. Vor mehr als einem Monat war er derjenige gewesen, der herablassend auf den Vampir hinuntergeblickt hatte und sich absolut sicher gewesen war, gewonnen zu haben. Triumphiert über ein Wesen, das ihm eigentlich haushoch überlegen war. Er hatte im Siegestaumel geschwelgt und das Gefühl gehabt, das nichts und niemand auf der Welt ihn je würde besiegen können. Er hatte sich geirrt. Alec lächelte zufrieden, ehe er sich Katarina zuwandte, die geschockt auf den regungslosen Körper ihres Vaters blickte. Tränen rannen ihre Wangen hinunter, als sie allmählich begriff, was soeben geschehen war. „Sei mir nicht böse, Liebes“, meinte Alec amüsiert. „Er musste einfach sterben. Er war dumm und selbstgerecht. Es war sein Schicksal, auf diese Art zu enden.“ Als der Vampir sich hinkniete und dem verstörten Mädchen sanft über das Kinn strich, wich sie zurück und bedachte ihn mit einem Blick, der wie eine Mischung aus tiefsitzender Angst und leidenschaftlichen Hass wirkte. Alec genoss ihn über alle Maßen und hätte sich am liebsten den ganzen Abend darin gesonnt. „Weißt du, ich bin immer noch hungrig“, meinte Alec, seine Aufmerksamkeit auf die Wunde an ihrem Hals gerichtet. „Ich könnte dich von deinem Schmerz befreien. Hier und jetzt. Es würde nur kurz wehtun und dann wäre alles vorbei.“ Er grinste. „Ansonsten werden dich diese Bilder bis an dein Lebensende verfolgen. Nacht für Nacht wirst du deinen Vater sterben sehen, wirst die Hilflosigkeit und die Panik fühlen. Du wärst machtlos, so wie du es jetzt bist.“ Er musterte sie eindringlich. „Also, was sagst du? Soll ich dich erlösen?“ Katarina starrte den Vampir eine halbe Ewigkeit an, bevor sie sich schließlich zu Joseph wandte. Schmerz und Trauer schienen sie bei seinem Anblick schier zu überwältigen, sodass sie hastig nach Luft schnappte. Dennoch drehte sie sich nicht weg. Sie sah ihn einfach nur an. Als wartete sie darauf, dass Joseph ihr die Antwort gab. Schließlich aber atmete sie einmal tief ein. „Nein!“, meinte sie mit einer Entschlossenheit, die Alec ihr nicht zugetraut hätte. „Ich möchte leben und dich bis zu meinem Todestag hassen.“ Alec rührte sich im ersten Moment nicht, dann aber zog er seine Mundwinkel nach oben. „Gute Antwort.“ Er richtete sich auf und warf einen letzten Blick auf Joseph. „Dann erinnere dich an mich. Ich habe viele Namen, aber dein Vater kannte mich als Angelus Mortis. Einer meiner Lieblingsnamen, wohlgemerkt.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Möchtest du wissen, wie ich wirklich heiße?“ Katarina schüttelte ihren Kopf. „Du bist der Todesengel. Mehr brauche ich nicht.“ Alec lächelte, als er sich langsam in die Dunkelheit zurückzog. Dieses Mädchen würde ihn ohne Zweifel bis ans Ende ihrer Tage hassen. Sie würde ihn in ihren Albträumen sehen, ihn fürchten und verachten, und sich nichts sehnlicher wünschen, als dass sie irgendetwas gegen ihn hätte tun können. Gegen diese Bestie, die ihren Vater so grausam ermordet hatte. Sie würde ihn nie vergessen. Den Todesengel. _________________________________________________ Verzeihung, aber ich hatte einfach mal Lust, ein bisschen Evil!Alec zu schreiben *fg* Die Begebenheit mit den Priestern und der Gruft, die hier angesprochen wird, ist auch schon in Kapitel 31 von "Vergeltung" erwähnt worden. Ich wollte das Ganze mal ein bisschen ausbauen ^^ Anm.: Das Fürsterzbistum Salzburg war damals noch eigenständig. Erst im 19. Jahrhundert wurde es an Österreich angegliedert. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)