100% Sorglospunks! von abranka ================================================================================ Kapitel 1: Eine Muse, Werwölfe, Heino, Wodka und mitten drin Sorglospunks ------------------------------------------------------------------------- Was haben eine Muse, eine Horde Werwölfe, Heino und drei Tüten hochprozentiger Wodka gemeinsam? Nichts, sagt ihr? Ihr irrt euch. Zuallererst möchte ich mich vorstellen. Mein Name ist Abranka und ich bin eine Muse. Aber nicht irgendeine Muse, wie sie auf dem Olymp in Scharen herumhoppeln, auf ihre Wolken springen und über die Welt sausen, um dann den Menschen ihre Ideen ins Ohr zu flüstern. Nein, ich bin die Bandmuse der Sorglospunks, ihres Zeichens die beste imaginäre Band der Welt. Bandmuse zu sein ist an sich eine wirklich tolle Sache. Man bekommt viele geniale Ideen allein durch das Umfeld: Musik macht kreativ, auch wenn diese Musik noch in den Kinderschuhen und auf dem Weg von der Imagination zur Realität steckt. Dennoch: Ich liebe meinen Job. Allerdings... Die Muse der Sorglospunks zu sein, bedeutet aber auch, mit vollkommen unvorhersehbaren Schwierigkeiten fertig werden und die lebensrettende Idee – im wahrsten Sinne des Wortes – parat zu haben. Letzten Dienstag war wieder einer dieser Tage... Die Band spielte – wie so oft – umsonst in einer kleinen Kneipe, was durch die Reihe Blind Concerts organisiert worden war – diese sorgten dafür, dass junge aufstrebende Bands vermittelt wurde, um des Nachts zu spielen, was aber nicht zuvor angekündigt wurde, damit das potenzielle Publikum nicht fliehen konnte – und war sehr glücklich, nicht wieder mit Tomaten beworfen zu werden. Das passierte hin und wieder, wenn Easy eine zu lange Ansprache hielt oder aber Jack mit ihrer Triangel durcheinander kam... Oder Chris zu anzügliche Bemerkungen gegenüber dem weiblichen Part des Publikums machte. Aber das war harmlos. Vor allem gegenüber dem, was uns an diesem Abend bevorstand... Mir kam die ganze Sache hier ja schon spanisch vor, als ich die blitzende Leuchtreklame über der Tür sah. Ein Wolfskopf mit blutigen Fangzähnen. Daneben der Name: Die Wolfshöhle. Jeder vernünftige Mensch sollte da doch stutzig werden, nicht wahr? Aber nicht so die drei. Nein, die doch nicht. Die scheffelten schließlich in Gedanken schon die ersten Millionen und dagegen kam der kleine besorgte Gedanke, den ich Easy schickte, gar nicht an. Geld besitzt eben die größte Macht. Dummerweise. Also konnte ich die drei nur hineinbegleiten, wohlwissend, dass die ganze Geschichte nach Schwierigkeiten roch. Nur gut, dass Musen zum einen unsichtbar sind und sich zum anderen auf einer kleinen fliegenden Wolke fortbewegen, sodass ich für mich nichts zu befürchten hatte. Aber für Easy... und natürlich den Rest der Band. Aber für Easy ganz besonders – denn was ist eine Muse schon ohne ihren Menschen? Doch nichts weiter als ein Fitzelchen Ideenstaub. Wir hatten natürlich gerade Vollmond. Wenn man sich auf eines wirklich verlassen kann, dann darauf, dass ein gewisser Murphy immer eine Breitseite für die Band parat hält. Wahrscheinlich, weil er eifersüchtig ist, dass die drei Pseudomusiker zumindest den Versuch machen, das Nichtschwimmerbecken der Imagination zu verlassen, um in dem Meer der Realität zu schwimmen. Blöder Neid, blöde Eifersucht. In diesem Fall bescherte uns das einen Haufen Werwölfe in einem Werwolfsclub mit einem aufsteigenden Vollmond und drei saftigen Menschenfleischlieferanten auf der Bühne, die verzweifelt versuchten, Stimmung in die düstere Bude zu bringen. Doch wie schafft man das, wenn an der Wand eine Totenkopfsammlung hängt, Blut ausgeschenkt wird und überall steht, dass Silber verboten ist? Easy, Jack und Chris versuchten es jedenfalls. Wenn auch sehr vergeblich. „Äh... Seht ihr auch, wie die Leute immer haariger werden?“, erkundigte sich Easy schließlich mitten in einem Lied. Es hörte eh keiner wirklich zu. Die drei wurden nur sabbernd angestarrt. „Der da vorne bekommt einen Schwanz – wie ein Hund...“, murmelte Jack nicht weniger schockiert. „Ieh, ich hasse zu haarige Frauen!“, kam es in dem Augenblick von Chris, dessen zwei Angebetete gerade von einem wahren Fellschub übermannt – eher: überfellt – wurden. „Äh... Wir sind in Schwierigkeiten...“ Immerhin hatte Easy das kapiert. Wunderbar. Aber wie rettete man drei wirklich sorglose Sorglospunks aus einem verdammten Werwolfsnest? Meine Wolke leuchtete schon, so sehr dachte ich nach. Die Wand hinter mir fing langsam an zu kokeln, als die Ideenblitze aus der weißen Watte zuckte und wieder verglühten. Nichts, gar nichts. Bis auf... „Okay, ‚Enzian’!“, rief Easy in die Menge und griff nach dem Mikro. „Easy – bist du jetzt vollkommen durchgeknallt?“ Jack und Chris benahmen sich beinahe wie die Zwillinge, die sie nicht waren. „Nein. Ich rette uns den Hals! Chris, Jack – spielt!“, befahl Easy. Die beiden zuckten nur mit den Schultern und griffen nach ihren Instrumenten. „Ja, ja, so blau, blau blau blüht der Enzian Wenn beim Alpenglühn wir uns wiedersehn Mit ihren ro-, ro-, ro-, roten Lippen fing es an Die ich nie vergessen kann!“, schmetterte Easy mit aller Kraft in das Mikrofon. Ein Heulen ging durch die Menge. Pfoten flogen an zu empfindliche Ohren und hielten sie zu. Das Heulen wurde durchdringender, vermochte aber nicht, Easys Stimme zu übertönen, die von Todesangst motiviert immer lauter wurde. „Wenn des Sonntags früh um viere die Sonne aufgeht Und das Schweizer Madel auf die Alm naufgeht Bleib ich ja so gern am Wegrand stehn, ja, stehn Denn das Schweizer Madel sang so schön Holla hia hia holla di holla di ho Holla hia hia holla di holla di ho Blaue Blumen dann am Wegrand stehn, ja, stehn Und das Schweizer Madel sang so schön!“ Chris und Jack fielen mit ein, gaben dem Refrain noch mehr Stärke und brachten den Club zum Beben. „Ja, ja, so blau, blau blau blüht der Enzian Wenn beim Alpenglühn wir uns wiedersehn Mit ihren ro-, ro-, ro-, roten Lippen fing es an Die ich nie vergessen kann!“ Die ersten Werwölfe traten die Flucht an und stürmten durch die Tür. Es dauerte keine zwei Wiederholungen, da war die Kneipe vollkommen geleert. „Äh, wir sollten gehen, denke ich...“, sagte Easy und sprang von der Bühne. Diesmal hatten Chris und Jack keinerlei Einwände und keine fünf Minuten später rannten die drei durch die Straßen. „Nie wieder Wolfshöhlen! Nie wieder!“, keuchte Chris beim Laufen. „Garantiert nicht! Und nie wieder Blind Concerts!“, stimmte Jack zu. Easy nickte nur. Bloß keine unnötige Luft zum Reden verbrauchen. Okay, das war der Moment, wo ich eingreifen musste. Wenn die Sorglospunks keine Blind Concerts mehr annahmen, konnten sie ihre weitere Laufbahn so gut wie vergessen. Also mussten sie diesen Tag vergessen. Oder zumindest so weit in ihren Gedanken abändern, dass das nichts weiter war als ein komischer Traum... Oder eine alkoholvernebelte Idee... Ein Fingerschnipsen und Easy hatte wieder eine Idee. „Hey, auf den Schreck brauchen wir erst einmal einen Schluck.“ Sprach’s und der nächste Supermarkt wurde zur Zwischenstation. Um drei Plastiktüten voller Hochprozentigem reicher galt es, die nächste Bank anzusteuern. Dort saßen sie dann wie die Hühner auf der Stange, die Gesichter noch immer blass vom Schock. Wenigstens noch für fünf Minuten. Danach änderte es sich. Denn Alkohol wirkt durchdringend. Vor allem, wenn es schöner Wodka ist... Der mit dem hübschen blauen Etikett. Ihr wisst schon. Die drei waren wirklich sehr schnell vollkommen blau. Easy fing als erste an zu lachen und erzählte von lauter extrem behaarten Menschen, die Heinofans waren, und stellte eine Theorie auf, dass Enzian das perfekte Heilmittel für diese Art der Körperbehaarung war. Chris dagegen fantasierte von zwei wunderschönen Frauen, die ihm in einer Wolfshöhle zu Diensten waren, während Jack eine Werwolfsmodellshow im Fernsehen erdachte. Sorglospunks’ Next Werewolf Topmodel. Das Lachen nahm überhand und wie es so oft bei Alkohol ist, endete es in einer großen Kotzorgie und einer Nacht im Freien. Aber zumindest... Ja, zumindest hatten sie diese Geschichte vergessen. Ebenso wie die Sache mit den Elchen, den Vampiren, ach ja und den Drachen... Von den Zwergen, den singenden Pilzen und den tanzenden Kakteen wollen wir mal gar nicht erst reden. Wirklich, es gibt so Momente, da bin ich sehr sehr froh, dass es diesen Wodka mit dem blauen Etikett gibt. Es gibt kaum eine bessere Idee, um Gehirne zu verwirren und die Realität vollkommen imaginär werden zu lassen... Kapitel 2: Ideenbonbons und Motivationsschokolade ------------------------------------------------- Es war wieder einer dieser Tage. Einer von denen, an denen Easy vor einem weißen Blatt Papier hockte, den Kugelschreiber zahntechnisch misshandelte, so lange auf das Weiß starrte, bis sie darin schwarze Punkte zu erkennen meinte und keine Zeile zu Papier brachte. Ehrlich: Solche Tage sind für Musen verdammt frustrierend. Und ich konnte nichts machen, als daneben zu sitzen, ein Ideenbonbon nach dem anderen an Easy zu reichen und zu hoffen, dass es funktionieren würde... Irgendwann. Selbst Musen greifen manchmal auf Instantideen wie Ideenbonbons zurück, wenn sie mit ihrer Kreativität ein Tief erreicht haben. Die Stunden vergingen. Stunde um Stunde um Stunde um Stunde um Stunde um... Der Rest der Band schaute herein und beobachtete, wie Easys Stuhl langsam unter Bonbonpapieren versank. „Schreib doch ein Lied über Bonbons“, schlug Chris hilfreich vor. „Aber denk dran, dass die Triangel reinpassen muss“, ergänzte Jack. Gleichzeitig schlugen die beiden Easy auf die Schultern und ich wusste ganz genau, dass in ihren Gedanken wieder das Bild von der Zwillingshaftigkeit der beiden entstand. Oh ja, ich kenne Easy schon ganz gut. Und ich weiß, dass das mit Druck nichts bei ihr wird. Also... „Leute, lasst uns was unternehmen“, entschied Easy und stand auf. „Und was?“ Jack blickte sie neugierig an. „Wir entwickeln Motivationsschokolade!“ Chris und Jack starrten die Frontfrau der Sorglospunks sprachlos an. „Wir tun was???“ „Wir entwickeln Motivationsschokolade“, wiederholte Easy hibbelig und schielte zu Kiwi hinüber. Das Bandmaskottchen schlief schon seit Stunden im Sessel, ganz nach Katzenmanier eng zusammengerollt und war Easy ein Dorn im Auge. Sie wollte auch schlafen und faul sein und nichts tun, aber nein... Sie musste ja Songs schreiben. Warum eigentlich immer sie? Das war unfair! Und noch viel unfairer war es, dass Kiwi den ganzen Tag fressen und schlafen und faul sein durfte. Dem musste man doch mit etwas Motivationsschokolade abhelfen können... Ehrlich: Ich bin an dieser Idee vollkommen unschuldig! Die war nicht von mir! Manchmal... da kommen Menschen von ganz allein auf irgendwelche Ideen. Erfahrungsgemäß sind das nicht immer die besten. Aber bei Easy sind sie immer lustig. Also hatte ich – logischerweise – überhaupt kein Interesse daran, sie an irgendetwas zu hindern. Auch Musen brauchen mal etwas Unterhaltung. Also machte ich es mir auf meiner Wolke gemütlich und folgte den drei Sorglospunks in die Küche. Entschlossen kramte Easy sämtliche vorhandene Milch- und Bitterschokolade des Haushaltes hervor und stapelte sie auf der Arbeitsplatte. Alle anderen Sorten hätten den Motivationsgeschmack versaut, aber Schokolade so rein, wie in Milchschokolade und Bitterschokolade, musste einfach gut funktionieren. „Auspacken und kleinhacken“, kommandierte sie. Jack und Chris waren viel zu verblüfft angesichts ihrer Entschlossenheit und kamen der Aufforderung sofort nach, ohne irgendwelche Fragen zu stellen. Es waren immerhin zehn Tafeln Schokolade. Und wer schon einmal auch nur eine Tafel Schokolade kleingehackt hat, der weiß, dass das wirklich eine grausame Aufgabe ist, die meist mit Blasen an den Fingern und der einen oder anderen Schnittwunde endet... Easy derweil... „Wonach schmeckt Motivation?“, überlegte sie laut. Vanille. Zimt. Orange. Das waren meine Vorschläge. Himmel, wie sollte Motivation schon schmecken? Das war doch... unterschiedlich. Easy gefielen meine drei Vorschläge. Sie selbst brachte noch Kaffee – der Muntermacher schlechthin, also musste da ganz viel Motivation drin sein! – und seine Unterarten Cappuccino und Latte Macchiato mit ein. Ungeduldig lief sie durch die Küche, während Jack und Chris die Schokolade weiter zerkleinerten. Schließlich konnte die erste Ladung in eine Schüssel gegeben werden und diese landete wiederum in einem Wasserbad. „Wir brauchen noch Formen... Für die Schokolade. Und... Jack, mach das hier noch klein.“ Easy zeigte auf die restlichen Zutaten. Vanillestangen, vier Orangen und ein Paket voller Kaffeebohnen. Jack stöhnte auf. „Das Zimt, das Cappuccino- und das Latte-Macchiato-Pulver aber nicht, oder?“, fragte sie sarkastisch. „Aber nein, Dummerchen. Das ist doch schon klein!“ Jack verdrehte die Augen und machte sich an die Arbeit, allerdings nicht, ohne sich zu fragen, warum sie das hier eigentlich tat. Wahrscheinlich, weil sie einfach neugierig war, was dabei rauskommen würde. Easy war schließlich für eine ziemlich bekloppte Muse bekannt... Okay, ja... Manchmal sind meine Ideen etwas seltsam, aber sie funktionieren immer. Ich erinnere an die Heinoverteidigung gegen die Werwölfe. Bescheuert, ja, aber der Erfolg war durchschlagend. Und das war es doch letztlich, worauf es ankam, oder? Easy hatte schließlich erfolgreich einige Eiswürfelplastikdinger gefunden. Ihr wisst schon, diese Dinger, mit denen man Eiswürfel macht, aber von denen man ebenso wenig den Namen kennt wie von dem Holzstab, der an der Kasse die Einkäufe der einzelnen Kunden voneinander trennt. „Äh, Easy... Das soll funktionieren?“ Chris betrachtete die Eiswürfeldinger skeptisch. „Aber sicher! Ist doch alles easy!“ Chris zuckte mit den Schultern und gab den Rest der Schokolade zu der, die bereits langsam vor sich hin schmolz. „Fertig!“, verkündete jetzt auch Jack. „Zeit für die Fachfrau!“ Easy grinste breit und schnappte sich ihre zerkleinerten Zutaten. Nach und nach ließ sie alles in die Schokolade hineinrieseln. Immer wieder rührte sie um und passte auf, dass auch ja nichts anbrannte oder klumpte. Es dauerte – schlicht gesprochen – eine Ewigkeit. Dann war sie fertig und füllte die Schokolade langsam in die Eiswürfeldinger um. Die warmen künftigen Schokoladenwürfel landeten im Kühlschrank, wo sie erst einmal abkühlen durften. „Na, ich bin ja mal gespannt...“, murmelte Jack und fing sich ein bestätigendes Nicken von Chris ein. Ihm ging es wohl nicht anders. Einige Stunden und eine Live-Übertragung des Champions-League-Spiels VFB Stuttgart gegen Real Madrid später huschten die drei wieder in die Küche. „Wer von euch probiert?“, erkundigte sich Easy und hielt die herausgebrochenen Schokoladenstücke ihren Mitstreitern entgegen. „Äh, also... ich... eine Orangenallergie, du weißt schon...“ Chris winkte ab. „Ich vertrage keinen Cappuccino“, erklärte Jack überzeugend. „Also dann...“ Easy lächelte, zerkleinerte einen der Schokowürfel noch etwas und ging zu Kiwi ins Wohnzimmer hinüber. Die Katze lag noch immer auf ihrem Sessel und schnarchte selig vor sich hin, wurde jedoch schlagartig wach, als Easy ihr etwas zu fressen unter die Nase hielt. Schnell war die Motivationsschokolade verputzt und die drei Sorglospunks beobachteten die Katze genau. Einen Augenblick lang lag sie noch entspannt da, dann richtete sie sich auf einmal auf und begann sich energisch zu putzen. Sobald sie damit fertig war, hielt sie auf das Sofa zu und wetzte daran ihre Krallen, bis der Stoff in Fetzen herunterhing. Einen Moment später schoss sie schon weiter, um in der Küche Chaos anzurichten. „Nun, sie wirkt!“, verkündete Easy strahlend und ignorierte, dass sie eigentlich noch um das Sofa hätte trauern sollen. „Ich will auch was!“ „Ich auch!“ Jack und Chris bedienten sich. Und auch Easy hatte keine Bedenken... Es ist erstaunlich, wie schnell drei mehr oder weniger erwachsene Menschen absolutes Chaos anrichten können. Jack hatte die Wohnung in Rekordzeit geputzt, dabei jedoch eigentlich mehr verwüstet, und jagte gerade Kiwi, die die Küche in ein Schlachtfeld verwandelt hatte, weil sie sich endlich dazu aufgerafft hatte, ihr Wissen um das Öffnen des Kühlschranks anzuwenden. Chris polierte seine Gitarre zum fünfzehnten Mal und vertonte bereits den achtzehnten Songtext. Und Easy... Sie saß auf ihrem Stuhl zwischen den Ideenbonbonpapieren – ich hatte ihr noch ein paar spendiert, nur für alle Fälle. – und kritzelte Seite um Seite mit Songtexten voll. Neben ihr stapelten sich bereits die potenziellen Riesenhits... Kurzum: Alles versank im Chaos. Besonders, als Kiwi auf einmal ins Wohnzimmer geschossen kam, einen Zwischenstopp mit Krallenabdrücken auf Chris Gitarre machte, Easys Papierhaufen durcheinander wirbelte, Bonbonpapiere im ganzen Zimmer verteilte, zwei der drei halbvollen Kaffeetassen auf dem Schreibtisch umstieß, eine Zwischenstation auf Easys Schoß machte und durch das Fenster in den Garten verschwand. Dicht gefolgt von Jack, die nahezu die gleichen Stationen machte. „...die beiden vertragen offenbar keine Schokolade...“, murmelte Easy und sah Jack nach, wie sie Kiwi weiter durch die Gärten jagte. „Halt die Klappe, Easy, und schreib! Wir müssen deinen Kreativitätsfluss nutzen!“ ...ja, das war wieder einer dieser Tage, begonnen mit Lethargie und Motivationslosigkeit, der letztlich doch mit dem üblichen sorglospunkigen Chaos endete... Kapitel 3: Der Gestiefelte Kater und die Sorglospunks ----------------------------------------------------- Es war einmal eine Band. Diese Band hieß Sorglospunks und war die imaginärste beste Band der Welt. Ihre Mitglieder hießen Easy, Jack und Chris. Easy war die dynamische Frontfrau und Leadgitarristin, Chris der Bassist und Jack wahlweise Schlagzeugerin, Triangelistin oder erste Flöte. Dann gab es noch das Bandmaskottchen, Kiwi, eine recht ungewöhnliche, eigenwillige und nur scheinbar stinknormale Katze. Diese Band hatte auch eine Muse – mich. Und ich bin es auch, die diese Geschichte erzählt, denn ich bin immer dabei. Wie es eben die Aufgabe guter Musen ist. Und die Band besaß ein geniales Management, das ihnen immer wieder Auftritte in ganz Deutschland vermittelte. Dieses Mal war es ein Auftritt in einem kleinen Szeneclub in Berlin. Das hieß: Bahnfahrt. Lange Bahnfahrt. Vor allem, wenn das Geld nur für ein Wochenendticket reichte und man vom schönen Schwabenland bis Berlin mit Regionalbahnen fahren musste. Es war Nacht und die Band war müde. Jack und Chris schliefen bereits fest, nur Easy starrte noch aus dem Fenster. Da es draußen dunkel und der Zug beleuchtet war, konnte sie nichts weiter sehen als ihr eigenes Spiegelbild und das ganze Drumherum. Sie sah die Spiegelungen von Jack und Chris, dem herrenlosen Koffer zwei Sitze weiter und – der Katze. Moment, Kiwi war doch zuhause geblieben, oder nicht? Easys Kopf flog herum. Katze? Im Zug? Eine Katze mit... Stiefeln? Und einem reichlich altmodischen... Hut? Das war eindeutig nicht Kiwi! Vor allem nicht, weil diese Katze sie angrinste. „Hallo, Easy.“ Okay, und diese Katze sprach! Das war etwas, wozu sich Kiwi bisher nicht hatte aufraffen können, obwohl Easy insgeheim vermutete, dass diese Katze zu weitaus mehr in der Lage war, als sie verriet. „Hi...“, stammelte die Sorglospunks-Frontfrau und musterte die Katze misstrauisch, die sich jetzt neben ihr niederließ, den Hut zog und ihr die Pfote freundlich entgegenstreckte. Skeptisch schüttelte sie die weiche Pfote. Zumindest hatte ihr das Tier noch keine Krallen in die Hand gerammt. Das war schon mal gut. Vermutete sie jedenfalls. „Ich bin der Gestiefelte Kater. Vielleicht hast du ja schon einmal von mir gehört.“ Der Kater grinste breit und ordnete die Federn auf seinem Hut, ehe er ihn wieder aufsetzte. „Ja... Die Kindergartenfrau hat mal von dir vorgelesen. Und du warst im Fernsehen...“ Easy war noch immer verwirrt, ein Gefühl, das einfach nicht verschwinden wollte. Sie saß hier und sprach mit einem verdammten Kater! „Nun ja... Also, wie du dich sicher erinnern kannst, gab es da einen Müllersohn, dem ich mal tierisch auf die Sprünge geholfen habe, ja?“ Easy nickte stumm. Düster kamen die Erinnerungen an das Märchen zurück. Ja, das war etwas gewesen. Der Kater hatte alle ausgetrickst und am Ende konnte der Müllerjunge die Prinzessin heiraten. „Willst du mir einen Prinzen besorgen?“ Easys Augen wurden kugelrund. Männer... Die bedeuteten doch meistens nichts als Ärger, drauf verlassen konnte man sich nicht und die guten waren eh immer besetzt. Okay, es gab da so einen Spruch: Nicht alle Männer sind Idioten, einige sind Vollidioten. Das war auch der Grund, warum sie meist die Finger von den Groupies ließ. „Nun... Wenn du willst, können wir uns auch darum kümmern.“ Der Kater grinste noch breiter und seine gelben Augen glitzerten in dem Neonlicht. „Ich dachte vielmehr daran, der Band ein wenig auf die Sprünge zu helfen. Zum Beispiel, indem ich einen Talentscount in diesen Club lotse...“ „Das würdest du tun?“ Fieberhaft suchte Easy nach dem Haken an der Sache. Irgendwo musste da doch einer sein. Definitiv musste da einer sein. Nur... wo? Okay, da war es einfacher, das direkt zu fragen, anstatt wie bescheuert danach zu suchen. „Und wo ist der Haken an der Sache?“ Der Kater hüstelte leise. „Nun ja... Ich würde es begrüßen, wenn du bei Kiwi ein gutes Wort für mich einlegen würdest. Sie hat offenbar keine besonders hohe Meinung von Katern...“ Tja, woher mochte das nur kommen? „Kein Thema!“ Easy strahlte das Felltier an. „Das mache ich jederzeit gerne!“ Kurz kratzte das schlechte Gewissen an der Tür, dass sie Kiwi gerade sozusagen verkaufte, aber andererseits würde sie ja nur ein gutes Wort einlegen – das hieß ja immer noch, dass Kiwi ihre Entscheidung selbst zu treffen hatte. Wenn Kiwi nicht wollte – das war ja dann wohl nicht Easys Problem! „Wunderbar.“ Der Kater strahlte sie an und stand dann auf. „Also werde ich mich auf den Weg machen. Bis in Berlin!“ Winkend huschte er zwischen den Sitzreihen davon. Easy schüttelte benommen den Kopf. Wow... Damit hatte sie nun nicht gerechnet... Aber Chancen musste man ergreifen, wenn sie sich zeigten. Das hatte die Bandmanagerin immer wieder betont. Und das hier war so eine Chance. Schlappe sechs Stunden später trudelten die drei in Berlin ein. Chris und Jack hatten Easy für bescheuert erklärt, als sie von dem Gestiefelten Kater berichtet hatte. Nun, aber das war etwas, woran die Frontfrau schon längst gewöhnt war. Überdrehte Fantasie war eben etwas, das nicht jeder verstand und das manche Menschen sogar mit Wahnsinn verwechselten. Was im Übrigen eine ziemliche Beleidigung für uns Musen ist, denn letztlich sind wir es ja, die die Ideen spenden und für Kreativität und Fantasie zuständig sind. Kein Wunder, dass wir solche Leute sehr schnell meiden wie die Pest. Aber ich schweife ab. Die Band krallte sich das nächstbeste Taxi und ließ sich zum Club bringen. Netterweise hatte man ihnen dort wenigstens das Schlagzeug zur Verfügung gestellt. Schon allein das Reisen mit der Gitarre und dem Bass war nicht gerade das angenehmste gewesen – vor allem, weil noch für jeden eine Tasche mit Klamotten, Futter und Co hinzukam. Und wer einmal mit vollen Zügen gefahren ist und sich mit zwei Taschen durchkämpfen musste, weiß, was für eine Qual das für die drei gewesen war. Sie schwiegen, als sie endlich vor dem Club standen. „Also los...“, entschied Chris schließlich und schob die beiden Mädels in Richtung Hintereingang. Die Begrüßung war nett, die Musterung skeptisch und die Umkleide spartanisch. Aber immerhin bekamen sie Wasser und ein paar Salzstangen hingestellt. Das war mehr als in den meisten Clubs. „Meinst du wirklich, dass da heute Abend ein Talentscout auf uns wartet?“ Jack war ein nervliches Wrack. Easy musterte ihre Zwillingsschwester und lächelte dann. „Nein, natürlich nicht. Das war wohl nur ein dummer Traum, der real wirkte...“ Angesichts von Jacks Nervosität war das wohl die beste Antwort. Sie selbst wusste natürlich, dass der Kater kein Traum gewesen war. Sie hatte schließlich sein Fell gefühlt! Und so was tat man in Träumen bekanntlich eigentlich nicht. Chris hockte auf dem durchgesessenen Sofa, aus dem die Sprungfedern schon hervorlugten, und stimmte noch einmal sicherheitshalber Bass und Gitarre. Besonders bei der Gitarre gab er sich Mühe, denn bei Easy wusste man nie. Und genauso war er sich nicht sicher, ob nicht vielleicht doch irgendetwas an dieser Talentscoutsache dran war und die Band nicht vielleicht doch ihre große Chance heute Abend hatte. Denn, so wie er von ihrer Managerin gelernt hatte, musste man Chancen ergreifen, wenn sie in Reichweite kamen. Und falls diese Chance heute Abend wirklich vorbeischaute, dann wollte er sie ergreifen. Zu verlieren gab es schließlich nichts. „Was spielen wir?“, fragte er und schaute in die Runde. Ihren Plan erstellten sie immer erst im letzten Moment. „Kapitalismus, Zeitschriftenabo und Nichts“, entschied Easy. Das waren die drei Titel, die bisher am besten standen. An allen anderen Liedern feilte sie noch immer herum. Die drei konnte man einem Talentscout präsentieren fand sie, spiegelten sie doch die komplette Bandbreite der Band wider. „Du hast die Hymne vergessen“, ergänzte Jack trocken. Easy schlug die Hand vor den Kopf. Klar, die Hymne! Wie konnte sie nur? „Und welche?“ Denn die Sorglospunks waren die einzige Band, die zwei Bandhymnen besaß. „Schillers Erben“, kam es von Chris. „Da hast du den Riff besser drauf.“ Und mit der Hymne begann die Show. Der Club war relativ klein, aber brechend voll. Die Managerin hatte einen verdammt guten Griff getan, denn dieser Club präsentierte meist die Bands von morgen. Diejenigen, die über Nacht groß werden würden. Diejenigen, die im Morgenrot als neuer Stern am Musikhimmel aufgehen würden. Wenigstens meistens. Ein paar stürzten vor Sonnenaufgang auch schon wieder ab in die Tiefen der Vergessenheit. Und die Sorglospunks hatten die Chance auch nur bekommen, weil die Managerin einige gute Kontakte hatte. Auch, um dafür zu sorgen, dass ihre Schützlinge die Chance einer anderen Band bekamen, die aufgrund akuter Krankheit ausgefallen war. Ein Schelm, der dabei böses dachte. Wahrscheinlich hatte Kiwi da ihre Pfoten mit im Spiel... Das Bandmaskottchen spekulierte noch immer auf den Durchbruch der Band, weil es dann Kaviar und Lachs en masse geben würde und kein langweiliges Dosenfutter mehr. Also, die Hymne stand am Anfang. „Wir sind Schillers Erben! Wir rocken drauflos! Bis in den Tod! Wir sind Schillers Erben! Punkig, sorglos, kreativ - Sorglospunks!“ Das letzte Wort des Refrain verhallte und leises Gemurmel machte sich breit. War die Frage, ob das eine gute Reaktion war. Irgendwer fing dann plötzlich an zu jubeln und der Rest des Publikums stimmte ein. Easys Augen suchten die Menschenmenge ab. Irgendwo hinten in der Ecke entdeckte sie einen großen Federhut. Der Kater war wirklich da. Es war kein Traum gewesen. Ganz eindeutig nicht! „Danke schön!“, rief Easy ins Mikro und fügte sofort hinzu: „Und als nächstes: Zeitschriftenabo!“ Jack gab den Takt vor und gleich darauf begann die Frontfrau mit der ersten Strophe. „Es war 'ne schöne Zeit, ich war zu allem bereit, doch du, du warst es nicht. Jetzt kommt die Wahrheit ans Licht. Deine großen Gefühle waren nichts als Show, so wie du weintest und dabei meintest, zu gewinnen - whoho.“ Die Skepsis des Publikums war greifbar. Irgendwie... fehlte noch der Funke... Der Kater grinste hinten in der Ecke und huschte zu der Beleuchtung. Keine zwei Minuten später war die Bühne düsterer als vorher und die Scheinwerfer malten einen Sensenmann an die Wand. „In der Zeitschrift meines Lebens is 'ne Todesanzeige von dir. Du versuchst vergebens, dass ich dich reanimier’...“ Der Funke kam. Die Menge zog ihre Feuerzeuge hervor und schwenkte sie im Rhythmus mit. Es passte! Es passte einfach alles! Und jetzt, wo die Scheinwerfer nicht mehr ganz so grell in ihr Gesicht stachen, konnte Easy auch zwei Männer und eine Frau ausmachen, die total schnieke gekleidet waren und sich ständig Notizen machten. Einer hatte sogar ein Handy am Ohr und ließ immer wieder irgendwen mithören. Sie spielten weiter. Es folgten noch – wie geplant – Kapitalismus und Nichts, dann zog sich die Band hinter die Bühne und in ihre Garderobe zurück. „Wir waren gut!“ Chris strahlte und bekam von Jack eine Kopfnuss. „Nein, wir waren genial!“, jubilierte Jack und hopste im Kreis herum. „Da waren drei Talentscouts...“, sagte Easy leise. „Es waren...“ Jack brach ab, weil ihre Kinnlade gen Boden wanderte. „Das ist nicht dein Ernst!“ „Doch...“ Easy nickte schwach. „Die Sache mit dem Kater ist wirklich wahr???“ Chris’ Augen waren tellergroß. „Klar. Oder glaubst du etwa, dass ich nur eine Illusion bin?“ Der Kater tauchte hinter ihm scheinbar aus dem Nichts auf und stemmte die Hände in die Taille. Die drei Sorglospunks wirbelten herum und blickten den Kater an. Chris und Jack sichtlich schockiert, Easy mehr erfreut. „Und?“, erkundigte sie sich und sah den Kater hoffnungsvoll ab, der wieder einmal an den Federn seines Hutes herumspielte. „Schaut gut aus. Sie wollen gleich vorbeikommen. Also macht einen guten Eindruck, klar?“ Der Kater grinste breit. „Wir sehen uns nachher...“ Er winkte und huschte davon. Keine drei Minuten später klopfte es an die Garderobentür und die drei schnieke gekleideten Herrschaften standen davor. „Guten Abend“, sagte der junge Mann mit den zurückgekämmten Haaren und der Nickelbrille. „Wir kommen von der Agentur“, fuhr der zweite Mann mit dem verwegenen Piratenhaarschnitt fort. „Lux, Luxis & Music“, beendete die Frau in dem roten Kostüm den Satz. „Wir fanden.“ „Ihren Auftritt.“ „Wirklich bemerkenswert.“ Easy hatte das Gefühl, dass man bei den dreien auf Dauer Kopfschmerzen bekam, wenn sie immer so weiterredeten. „Und wir haben.“ „Kontakt mit einer Plattenfirma aufgenommen.“ „In deren Konzept Ihre Band passend würde.“ „Sie haben doch noch.“ „Keinen Vertrag.“ „Oder?“ Benommen schüttelte die Band den Kopf. „Wunderbar.“ „Hier ist unsere.“ „Karte.“ Die Frau drückte Easy die Visitenkarte in die Hand. „Rufen Sie uns.“ „Morgen.“ „An.“ „Dann.“ „Besprechen wir.“ „Alles Weitere.“ Ein erneutes, benommenes Nicken, dann waren die drei Talentscouts wieder verschwunden. „Seltsame Menschen.“ Chris schüttelte sich. „Aber sie bringen uns voran!“, warf Jack ein. „Ja... Und Chancen...“, begann Easy, woraufhin ihr Satz von Jack und Chris im Chor beendet wurde: „Muss man ergreifen, wenn sie sich zeigen. Wir waren bei der gleichen Managerin in der Lehre.“ „Na, dann ist doch alles klar!“ Easy grinste breit. „Wir rufen da morgen an!“ Irgendwie war es dem Kater gelungen, ihnen ein Hotel für die Nacht zu besorgen, denn eigentlich hatten sie den nächsten Zug gen Heimat nehmen wollen. Aber so... Sie mussten das Zimmer noch nicht einmal bezahlen. Wusste der Teufel, wie der Kater das geschafft hatte. Gut, es war ein Zimmer mit Doppelbett für drei Personen, aber das passte schon. Jack wurde dazu verdonnert, als Abstandshalter zwischen Chris und Easy zu dienen und auf der berüchtigten Ritze zu schlafen. Am nächsten Morgen kam dann der Anruf bei der Agentur, wobei Easy sehr erleichtert war, nur einen der drei am Apparat zu haben. Ein solcher Wechselgesang am Telefon hätte sie wahrscheinlich noch an den Rande des Wahnsinns und darüber hinaus geschubst. „11 Uhr bei dem Label.“ Sie legte vollkommen erschlagen auf. „Die wollen uns potenziell haben!“ „Wow!“ „Wahnsinn!“ Chris und Jack sprangen wie zwei Duracellhasen auf Smiliepillen durch das Zimmer. „Hallo, Erde an durchgeknallte Sorglospunks! Wir haben eine halbe Stunde, um da anzukommen!“ Die beiden stolperten durcheinander und landeten in einem Wirrwarr aus Armen, Beinen und Köpfen auf dem Boden. „Wir müssen uns fertig machen! Bewegt euch!“ Keine fünf Minuten später verließ die Band samt Instrumenten das Zimmer. Man wusste ja nicht, ob sie nicht vielleicht doch noch mal vorspielen sollten. „Ich hoffe, die haben ein Schlagzeug“, hatte Jack noch leise gemurmelt. Keine weitere drei Minuten später saßen sie in einem Taxi, das der Kater organisiert hatte. Und so wie es schien, war er mit dem Fahrer bereits so schnell per Du und bester Kumpel, dass sie die Fahrt noch nicht einmal bezahlen mussten! „Wow...“, meinte Easy, als sie ausgestiegen waren und vor dem Hochhaus standen, in dem das Label sein Büro hatte. „Wie machst du das?“ „Oh, ich hab ihm ein paar Tipps bei seiner Katze gegeben. Was meinst du, wie viele Menschen Katzen haben und die einfach nicht richtig verstehen?“ Der Kater grinste fröhlich. „Aber jetzt... auf geht’s! Wir haben schließlich ein Label zu überzeugen!“ Sie wurden in den Räumlichkeiten des Labels bereits erwartet, sowohl von den drei Talentscouts, die noch etwas von einem Vertrag murmelten, als auch von einer Sekretärin, die sie alle in einen Raum weiterführte, in dem bereits ein Schlagzeug bereitstand und drei Herrschaften hinter einem großen Tisch saßen. Die drei besaßen akute Ähnlichkeit mit der DSDS-Jury. „Guten Tag...“, brachte Easy schließlich als erste verschüchtert hervor. „Guten Tag“, kam die Antwort von der Jury. „Also, ihr wollt in das Label? Dann spielt uns jetzt mal etwas vor... Die Agentur hat ihren Teil gemacht, jetzt seid ihr gefragt!“ Easy nickte schwach und packte die Gitarre aus. Sie suchte den Kater, doch der war irgendwie verschwunden. Mistvieh. Verschwand einfach so, wenn man ihn brauchte. Nur so als Rückversicherung natürlich... Sie sah ihre Kollegen an, die nicht weniger unsicher ihre musikalischen Werkzeuge in die Hand nahmen. „Also dann... Wir sind die Sorglospunks und spielen für Sie heute... Nichts!“ Easy haute in die Seiten. „Als du sagtest, du gehst, hab ich nicht geweint. Warum sagt man 'Nur kurz', wenn man 'Für immer' meint? Und nichts, nichts ist es, das bleibt...“ Als das Lied vorbei war, blickte die Band die Jury fragend an. „Ja, also...“ Der Dieter-Bohlen-Verschnitt zog eine Schnute. „Ich weiß nicht so recht... Gefühl war ja da, aber die Power fehlte...“ Die Anja-Lukaseder-Doppelgängerin widersprach. „Nein, finde ich gar nicht. Ich finde die drei toll! Erfrischend, gerade in ihrer Unbeholfenheit. Und sie sehen süß aus.“ „Ja, was habt ihr denn noch mitgebracht?“, erkundigte sich der Heinz-Henn-Klon bei den Sorglospunks. „Kapitalismus...?“, antwortete Easy schüchtern. „Na, dann spielt mal.“ „Okay...“ Easy blickte Jack an, die sofort den Takt anschlug. „Kapitalismus ich liebe dich, Kommerz ich find dich geil, meistens da kassiert ihr mich (ab) und zerstört mein Seelenheil... Seelenheil!!“ Die Band gab alles. Sie rockte, sie punkte. Easy rutschte über den Boden, Chris machte einen Kniefall vor der Jury und spielte den Bass eine Weile mit den Zähnen, Jack schlug das Schlagzeug zwischendurch mit den Füßen, um mehr Power reinzubringen und aktivierte gleichzeitig ihre heißgeliebte Triangel. Wenn sie ihre Blockflöte dabei gehabt hätte, hätte sie wahrscheinlich sogar versucht, die noch zusätzlich zu spielen. Sie waren vollkommen außer Atem, als sie das Lied endlich über die Bühne gebracht hatten. „Hammermäßig! Oberhammermäßig!“ „Ich sag doch, sie sind süß. Die Show hat etwas von ein paar Welpen...“ „Ja... Definitiv gut“, kamen die Antworten der Jury. Der Gestiefelte Kater lugte hinter Bohlens Stuhl hervor und grinste breit. „Ihr seid im Recall!“ „Re...call?“ Easys Augen wurden groß. „Was...“ „Easy... Easy! Verdammt, jetzt mach die Augen auf!“ Jemand rüttelte sie unsanft an der Schulter und die Frontfrau schlug die Augen auf. Ihre Wange löste sich unangenehm von der Scheibe und sie musste feststellen, dass sie dagegen gesabbert hatte. „Verdammt, Easy! Wir sind in Magdeburg! Wir müssen umsteigen! Beweg dich endlich!“ Jack ließ sie los und sprang auf. Verdattert sah Easy ihr zu, wie Jack ihre Tasche hochwuchtete und ihr den Gitarrenkoffer hinhielt. „EASY!“ „Ja, ja...“ Easy stand auf und kämpfte einen Augenblick ums Gleichgewicht, als der Zug anhielt. Sie nahm den Koffer und ihre Tasche. Langsam trottete sie hinter Chris und Jack her. Doofe Muse. Hatte die ihr doch schon wieder so einen bescheuerten Traum verpasst. Gestiefelter Kater, DSDS-Jury. Was für ein Blödsinn! Was sie nicht sah, war der Kater mit dem großen Hut und den Lederstiefeln, der sich auf einem der Sitze räkelte und leise vor sich hinschnarchte. Kapitel 4: Generation Robodog ----------------------------- Es gibt so Tage, an denen wissen selbst Sorglospunks nicht, was sie tun sollen und werden von der Langeweile in Endlosschleife überfahren. Der letzte Montag, das war einer dieser Tage. Easy hing auf dem Sessel, Kiwi hatte beschlossen, ihre Beine als Bett zu missbrauchen, Jack zappte durch die Kanäle und fand nichts, was auch nur einigermaßen ansprechend hätte sein können, und Chris stimmte seine Gitarre. Selbst mir als der ultimativen Bandmuse fiel nichts ein und so beschränkte ich mich darauf, die Band zu beobachten, Notizen zu machen und darüber zu grübeln, mit was für Ideen ich Easy und den Rest der Band mal wieder heimsuchen könnte. Ein ereignisloser Tag. Bis... Es klingelte. „Sicher die Post. Fanpost!“ Easy strahlte, sprang auf, ließ Kiwi durch die Gegend kugeln und sicher auf ihren vier Pfoten landen. Doch es gab keine Säcke voller Fanpost, sondern stattdessen einfach nur ein Päckchen. „Schaut mal!“ Easy kehrte mit einem reichlich verwirrten Gesichtsausdruck ins Wohnzimmer der Sorglospunks-WG zurück. „Gib her.“ Jack nahm ihr das Päckchen freundlicherweise ab und hatte es innerhalb weniger Sekunden ausgepackt. Ein weißes Ding saß vor ihr, das Kiwi sofort dazu brachte, einen Buckel zu machen und mit ungewohnter Energie aus dem Zimmer zu flitzen. Große schwarze Plastikaugen glänzten in einem weißen, ausdruckslosen Gesicht. „Ist das ein Kaninchen?“ Easys Augen wurden tellergroß. Einen Augenblick später bekam sie eine Kopfnuss von Chris. Der Gitarrist hatte seinen größten Schatz – seine heißgeliebte und hochgeschätzte Gitarre – beiseite gelegt und begutachtete das weiße Etwas. „Das ist ein Robodog, Easy. Hast du denn gar keine Ahnung?“ „Nicht von mechanischen Hunden!“, gab Easy patzig zurück und hob den weißen Blechhund hoch. Sie schüttelte ihn und setzte ihn wieder ab. „Toll... Machen wir was anderes.“ Missmutig wandte sie sich ab und hatte einen Augenblick später das Vieh vor den Füßen sitzen. „Hey! Der läuft ja!“ „Oh, da ist ein Zettel!“ Jack griff in die Kiste und holte das Blatt Papier hervor. „Viel Spaß mit Robodog. Eure Managerin.“ „Toll... Was die sich wieder dabei gedacht hat...“ Chris verdrehte die Augen und begutachtete den weißen Hund, der vor Easys Füßen hockte und zu ihr aufblickte. „Vergiss es. Ich kraule kein Plastikspielzeug! Ich kraule nur Kiwi!“ Der Roboterhund gab ein leises Winseln von sich. „Ich glaube, das ist nicht ganz normal...“, warf Jack ein. „Ich glaube, da hast du Recht...“, fügte Chris hinzu. „Und ich glaube, dass dieses weiße Etwas einen Abgang machen sollte.“ Easy funkelte den Robodog böse an. „Er hat Kiwi verscheucht!“ „Hey, aber man kann ihn als Trainingsmaschine für Kiwi nehmen!“ Jack strahlte angesichts dieser höchstgenialen Idee, die in diesem Falle mal nicht von mir kam. „Au ja!“ Chris grinste breit. „Das wird ein Spaß!“ „Oh nein!“, protestierte die Bandleaderin und stemmte die Hände in die Hüften. „Ihr werdet Kiwi nicht quälen!“ Das war schließlich ihr Job! „Eher schicken wir diesen Blechköter Kaninchen jagen!“ Sprach’s und der Robodog richtete sich auf die Hinterbeine, seine Metallnase witternd in die Luft gereckt. „Easy... Du hast da irgendetwas ausgelöst...“ Jack wich zwei Schritte zurück und betrachtete sowohl ihre Zwillingsschwester als auch den mechanischen Hund skeptisch. Dann blieben ihre Augen jedoch mehr an ihrer Schwester hängen. Easy konnte man nicht trauen. Vor allem, wenn man wusste, dass man zu einem Großteil die gleichen Gene intus hatte... Irgendwie neigten Dinge dazu, zu geschehen, wenn Easy irgendetwas sagte oder tat. Man landete beispielsweise in einem Werwolfclub, hatte es mit Motivationsschokolade zu tun oder aber musste sich Geschichten von einem Gestiefelten Kater anhören. Oh nein, Easy war genauso durchgeknallt, wie die Muse die ihr diese ganzen Ideen eingab. Eine Bewertung, die ich übrigens ablehne, und das aus reichlich naheliegenden Gründen, die ich hier lieber nicht ausführen möchte. Auch Easy und Chris brachten etwas Abstand zwischen sich und den Roboterhund. Man wusste ja nie... Vielleicht drehten programmierte Hunde genauso durch wie Hunde-Hunde... Der Robodog machte Männchen und tapste Richtung Fenster. Dort tat er einen atemberaubenden Satz für seinen gerade einmal kiwigroßen Körper, zertrümmerte die Fensterscheibe und landete im Garten. „Hinterher!“, brüllte Easy, stürmte hin, riss das Fenster auf und war mit einem Satz auf dem Rasen. Chris folgte ihr auf dem Fuße. „Vielleicht sollten wir... froh sein, dass er... draußen ist?“, murmelte Jack leise und zuckte dann mit den Schultern. Sie nahm zumindest noch den Wohnungsschlüssel und die Triangel mit, ehe sie den anderen hinterher lief. Schlüssel schadeten nie und die Triangel konnte eine tolle Waffe sein! „Was zum Merlin verfolgt der da vorne eigentlich?“, fluchte Chris und kam langsam ins Keuchen. „Ein weißes Kaninchen!“, gab Easy zurück. „Und das flasht gar nicht! Das ist voll unflashig! Der sollte zurückkommen und keine weißen Kaninchen verfolgen!“ „Hey, du hast ihn auf die Kaninchen gehetzt!“, fauchte Chris und wollte Easy eine Kopfnuss geben, doch die Leaderin lief schneller als er und hatte sich schon einen kleinen Vorsprung erarbeitet. Ha, da machte sich das ständige Walken wenigstens bezahlt! Sie hatten den Garten längst verlassen und hetzten nun über einen Feldweg. Die Sorglospunks liebten nämlich das Leben in der Provinz und hatten sich bisher hartnäckig gegen jegliche Ideen, doch in eine Großstadt zu ziehen, gesträubt. „Ich hoffe nur...“, keuchte Easy, der nun doch langsam die Luft ausging, „...dass das nicht das dämliche Kaninchen aus ‚Alice im Wunderland’ ist...“ „WAS?“ Chris blieb stehen und starrte der Vocalistin der Sorglospunks nach, wie sie weiter hinter dem mechanischen Hund hertrabte. „Hast du nie ‚Alice’ gelesen?“ Jack schloss zu Chris auf und schenkte dem Gitarristen ein Kopfschütteln. Chris verneinte. „Nun, da drin geht es um ein Mädchen, das einem weißen Kaninchen hinterher läuft und dann im Wunderland landet, dort ein paar komische Dinge erlebt und schließlich vor der Herzkönigin flüchten muss, weil die ihr sonst den Kopf abgeschlagen hätte“, fasste Jack knapp zusammen. Chris’ Augen wurden groß. „Moment... Das klingt nach genau den Dingen, die Easy passieren könnten!“ Jack starrte ihn an. „Verdammt!“ Sie wirbelte herum. „EASY!“ Derweil ging Easy immer noch dem Robodog hinterher, der nun deutlich langsamer dem weißen Kaninchen folgte, das wiederum regelrecht aufreizend voranhoppelte. „Hund! Robohund! Dingsda! Bleib verdammt noch mal stehen!“, versuchte sie den Hund davon zu überzeugen, artig zu sein, aber darauf wollte er natürlich nicht hören. Genau wie die echten Hunde. Hörte nur, wenn es ihm gefiel... Easy grummelte leise vor sich hin. Schließlich verschwand das Kaninchen in einem Loch. Robodog hinterher. Easy... überlegte noch. „EASY! WAGE ES NICHT IN DIESES VERDAMMTE LOCH ZU KRIECHEN!“ Jacks Stimme dröhnte auch über die große Entfernung in den Ohren der Leadsängerin und sie wandte sich langsam um. Ich hatte die Idee, dem Kaninchen zu folgen, ehrlich gesagt, auch nicht für besonders gut gehalten und wenn Jack nicht gebrüllt hätte, hätte ich Easy sicher davon abhalten können, aber so... „Du sagst mir gar nichts!“, schnappte Easy, ging auf alle Viere und zwängte sich in das erstaunlich breite Kaninchenloch hinein. „EASY!“ Jetzt brüllte auch Chris, doch die Frontfrau der Sorglospunks war bereits verschwunden. „Und jetzt?“ Ratlos blickte er Jack an, als sie vor dem Kaninchenbau zum Stehen kamen. „Hinterher.“ Jack seufzte leise „Auch wenn man sie im Stich lassen sollte...“ „Äh... drei ausgewachsene Menschen in einem Kaninchenbau... Hältst du das wirklich für eine gute Idee...?“ Doch Jack hörte ihm nicht mehr zu und war schon längst in dem Bau verschwunden. Chris seufzte leise, ließ sich auf die Knie nieder und robbte dann hinterher. Wenigstens sah er vorne den Lichtschein von Jacks kleiner Schlüsselbundtaschenlampe. Easy war in der Zwischenzeit in einer kleinen Höhle angekommen, in der sich eine komische Tür an einer Wand befand. Die war nur viel zu klein, um sie zu öffnen. Dafür stand da eine Flasche, auf der ein Etikett mit der Aufschrift ‚Schrumpf mich!’ klebte. Der Robodog sah sie erwartungsvoll an. Easy streckte schon die Hand nach der Flasche aus, da... Jack verpasste ihr eine schmerzhafte Breitseite auf die Finger. „Hey!“ Empört blickte die SP-Frontfrau ihre Schwester an. „Was soll das?“ „Meinst du, jemand will die kleinste imaginäre beste Band der Welt spielen hören? Du minderst unsere Chancen, Easy!“ Nachdenklich biss sich diese auf die Unterlippe. Okay, irgendwie... war da was dran. Als kleinste Band der Welt bekam man zwar garantiert Fernsehauftritte, aber es war sicher nicht lustig, wenn man Kaffee nur noch aus dem Fingerhut trinken konnte... „Hund, komm.“ Easy pfiff durch die Zähne und trat zu dem Tunnel zurück, aus dem sie gerade gekommen waren. In dem Augenblick purzelte Chris heraus. „Easy!“ „Hey, alles schon geklärt.“ Jack grinste cool. „Mist.“ Chris seufzte und rappelte sich langsam auf. „Aber das nächste Mal will ich uns entweder retten oder in Schwierigkeiten bringen!“ Klar... Kein Thema, Chris. Ich musste grinsen. Bandmuse zu sein, hieß schließlich, auch einen gewissen Zugriff auf sämtliche Bandmitglieder zu haben... „Ach ja... Und was den Robodog angeht“, meinte Easy, während sie durch den Kaninchentunnel ins Freie robbte – das Kaninchen hatte sie längst vergessen –, „Den versteigern wir bei Ebay! Ich habe keine Lust darauf, dass er ständig auf Kaninchenjagd geht.“ Dem hatten die anderen beiden Sorglospunks ausnahmsweise einmal nichts hinzuzufügen und ich hatte meine Arbeit für diesen Tag erledigt. Eine gute Idee pro Tag reicht schließlich... So sollte die Geschichte eigentlich enden, aber damit würde ich etwas Wichtiges unterschlagen, denn die genialste Idee dieses Tages kam von der Bandmanagerin. Langeweile ist bekanntlich das Gift, das jegliche Inspiration zerstört und das gerade bei empfindlichen Geschöpfen wie Songwriterin Easy äußerst lähmend wirken kann. Dieser Langeweile trat Nifen, die kluge Managerin, durch den Robodog entgegen und wehrte die drohende Gefahr erfolgreich ab. Noch während wir alle – ich hatte die Band natürlich unsichtbarerer Weise auf meiner Wolke begleitet, um Notfallideen spenden zu können – auf dem Heimweg waren, konnte ich in Easys Gehirnwindungen die Inspiration fühlen. Dieses Erlebnis war es definitiv wert, in einem Song verarbeitet zu werden. ‚Generation Robodog’ sollte er heißen. Und Easy summte bereits leise den Refrain vor sich... „Und ich folge dem weißen Kaninchen, das mein Robodog jagt. Und ich folge dem weißen Kaninchen, das mein Robodog jagt...“ Kapitel 5: Melancholische Tomaten --------------------------------- Es gibt kaum etwas Gefährlicheres, als dass sich Menschen verlieben. Denn das bedeutet letztlich nichts als Ärger. Absolut nichts als Ärger. Vor allem, wenn dieses Verlieben mit Liebeskummer einhergeht und alles absolut unglücklich endet. Chris war verliebt. Er starrte die ganze Zeit über Löcher in die Luft, die mittlerweile schon an Schweizer Käse erinnerte, strich gedankenverloren über die Seiten seiner Gitarre und brachte keinen einzigen Ton aus ihr hervor. „Chriiihiiis!“ Easy war langsam genervt. Da hatte sie schon mal ein paar gute Songideen – Marke Originalbandmuse Abranka – und dann sowas! „Lass ihn, Easy.“ Jack, Easys Ebenbild und Originalzwillingsschwester, schüttelte den Kopf und schnappte sich Kiwi, um an ihr eine neue Massagetechnik auszuprobieren. Diese wirkte so gut, dass das Originalbandmaskottchen und ihres Zeichens eine der fülligsten Katzen des kleinen Dorfs innerhalb weniger Augenblicke eingeschlafen war. Easy schmollte. „Das ist nicht fair... Einfach nicht fair... Und dabei hatte ich so eine gute Idee!“ Chris dagegen stand nur auf und seufzte tief. „Schreib was Melancholisches, Easy, und ich bin dabei...“ Jetzt war die Bandleaderin wirklich sauer. „Schreib was Melancholisches!“, äffte sie ihn zornig nach. „Und dabei habe ich es doch gerade erst hinbekommen, etwas Lustiges zu schreiben!!!“ Missmutig zerknüllte sie den Text zu dem neuen potenziellen Originalsorglospunkssuperhit ‚Sommerfun’. Das war’s dann wohl. Was Melancholisches... Ich brauchte ihren Blick nicht zu sehen, um zu wissen, dass ich jetzt wirklich gefragt war. Müde lenkte ich meine Wolke neben sie und jagte sie Richtung Schreibtisch. Dort bekam sie eine Ladung Ideenbonbons. Und dann musste ich dringend Konferenz mit unserer Managerin halten. Easys Frustration und Chris’ Verliebtheit waren nicht zu ertragen. Dagegen war Jacks Dienstleistungstrip, den sie die ganze Zeit über an Kiwi auslebte, harmlos. Eine Woche später hatten die Sorglospunks einen Auftritt. Der Club hieß ‚Blauer Mond’ und war der melancholische Szeneclub. Wenn schon solch eine Stimmung in der Band dominierte – und die Gefahr von Eskalationen nicht so groß war wie im ‚Zornigen Engel’ –, dann musste man die Gelegenheit einfach nutzen, fand die kluge Bandmanagerin. Und so trat die Band in dem kleinen düsteren Club auf. Alles darin war Dunkelblau. Schwarze Kerzen brannten auf den Tischen und getrocknete Rosen hingen an den Wänden. Alles troff nur so vor Melancholie. Chris seufzte tief, als er die Bühne betrat, und Easy verdrehte die Augen. Nicht, dass sie etwas gegen solche Stimmungen hatte. Manchmal ging es ihr ja auch nicht anders, aber das hier war definitiv zuviel! Dennoch stellte sie sich tapfer ans Mikro und war bereit, den neuen Song ‚Generation Robodog’ anzustimmen, als Chris sie davon abhielt. Er schnappte sich das Mikrofon und schüttete sein Herz aus. Und er redete. Und redete. Und redete. Und redete. Und redete. Und redete. Und redete. Und redete. Und redete. Und redete. Und redete. Und redete. Und redete. Und redete. Und redete. Und redete. Und redete. Und redete. Und... redete... Irgendwann hatte selbst Jack das Gefühl, dass ihr Brokkoli aus den Ohren wuchs, und sie hörte auf, Easys Schultern zu massieren, damit diese ruhig blieb. Selbst das Publikum schien langsam genervt und einige Stühle wurden immer öfter gerückt. Schließlich gab es erste Protestrufe und mir schwante Böses. Vielleicht wäre der ‚Zornige Engel’ doch die bessere Alternative gewesen. Dann flogen die ersten Tomaten. „Hör auf zu reden und sing!“ Chris blickte zu Easy hinüber, die jetzt tapfer auf die Beine sprang. „Und hier ist er! Die Weltpremiere nur für euch! Ein Originalsorglospunkshit! ‚Melancholische Tomaten’!“ Allein der Titel bewirkte, dass die Zuschauer und potenziellen Originalsorglospunksfans auf einmal innehielten und sich zumindest neugierig auf die Stühle fallen ließen. Dumm nur, dass dieser Song bisher nicht existierte. Also war ich gefragt. Katastrophe verhindern! Ich flüsterte Chris ein paar Riffs ins Ohr, Jack den richtigen Rhythmus für Triangel und Schlagzeug und Easy... Nun... Ich versuchte wenigstens, ihr die richtigen Worte einzuflüstern. Aber wir sprechen hier von Easy. Und da ihr vermutlich schon einige Erlebnisse der Band kennt – wie die Sache mit den Werwölfen, der Motivationsschokolade und dem Robodog –, ahnt ihr, dass das eigentlich nicht wirklich funktionieren kann. Schlichtweg, weil Easy immer noch ihren eigenen Kopf hat... „Im Garten... Da staaaaanden sie... Groß und rot Klein und grün!“ Na ja... Der Anfang ging einigermaßen. Ich hatte mir zwar etwas Philosophischeres vorgestellt, aber das war bisher noch recht akzeptabel. Und Easy ließ sich gerade von dem Blitzen durch Ideenfunken, dem Anhauchen mittels Ideenstaub und dem Anreichen von Ideenbonbons absolut nicht beeindrucken. „Und sie dachten An das Morgeeeeeeen Und sie hatten Große Aaaaaaangst!“ Chris’ Riff schlug rein. Jack hämmerte wie verrückt auf das Schlagzeug und erinnerte sich an die Muster, die sie in Kiwis Rücken geknetet hatte. „Melancholische Tomaten! Wir sind alle Melancholische Tomaten! Groß und rot Klein und grün Melancholische Tomaten! Macht aus uns doch Salat!“ Die erste Tomate traf Easy mitten ins Gesicht. „Flucht!“, beschied sie und warf sich hinter Chris in Deckung, dem der nächste Tomatenhagel galt. Offenbar waren diese Melancholiker insgeheim auch verdammt aggressiv! Mit Tomatensaft und Tomatenstücken besudelt und dem akuten Gefühl, Ketchup zu ähneln, wanderten die drei mit ihren Instrumenten durch die Straße. „Ehrlich... Ich finde, wir sollten Nifen dafür feuern!“, murrte Jack und zerrte den Originalinstrumententransportbollerwagen mit ihrem Schlagzeug schleppend die nächste Steigung empor. „Nein... Das war nicht schlimm genug...“, befand Easy. „Reicht noch nicht an die Wolfshöhle heran...“ „Das ist wahr...“ Chris seufzte leise. Er fühlte sich mittlerweile liebeskummergeheilt. In der ersten Reihe hatte seine Angebetete gestanden und eine Tomaten mitten auf seine geliebte Gitarre geschmissen! Das ließ solche Gefühle ganz schnell abflauen. Besonders, wenn man dieses klebrige Zeug irgendwie von den Saiten wieder herunterbekommen sollte. „Hey, Kopf hoch!“ Easy schlug ihren Bandmitgliedern schwungvoll auf die Schultern. „Und jetzt schreiben wir einen Riesenhit, ja? Einen Refrain haben wir ja schon...“ Strahlend begann die Frontfrau der Sorglospunks wieder zu singen. „Melancholische Tomaten! Wir sind alle Melancholische Tomaten! Groß und rot...“ „EASY! HALT DIE KLAPPE!“, tickte Jack aus und ignorierte sämtliche Dienstleistungsbegeisterung, die sie in den letzten Tagen entwickelt hatte. „WIR HABEN WEGEN DIESEM BESCHISSENEN LIED TOMATEN IN DEN HAAREN HÄNGEN! DAS IST KEIN HIT!!!“ Sie wollte auf ihre Zwillingsschwester losgehen und ließ den Bollerwagen los. „Das Schlagzeug!“ Chris starrte dem Wagen fasziniert nach. „Hinterher!!!“ Easy ergriff die Möglichkeit zur Flucht und zum Nützlichsein. Wenn sie den Bollerwagen jagte, war das ja schließlich sinnvoll, oder? Dennoch folgte ihr Jack direkt auf dem Fuße und schüttelte drohend die Fäuste. Chris trabte langsam hinterher. Und ich? Nun, ich musste zugeben, dass das vermutlich die beste Melancholie- und Liebeskummerbekämpfung war, die ich je gesehen hatte... Kapitel 6: In der Weihnachtsbäckerei ------------------------------------ Es war ein Tag wie alle anderen. Nur, dass der Dezember vor der Tür stand, genauer gesagt: der erste Advent. Und selbst im Hause Sorglospunks hatte das den einen oder anderen Effekt. Beispielsweise war der akute Schokoladenverzehr der Band noch mehr ins Unermessliche gestiegen – nach einigen schlechten Erfahrungen in dieser Hinsicht hielt sich jedoch der bandeigenen Philosoph LennStar mit jeglichen Einschränkungsvorschlägen angesichts der Bandfinanzen dahingehend zurück und die Bandmanagerin Nifen hatte diese Ausgaben eh schon als „absolut notwendig“ notiert -, vier Adventskalender hingen im Wohnzimmer, drei für die menschlichen Bandmitglieder, extra vorbereitet von der Managerin, und einer für Kiwi, vorbereitet von Easy mit den Worten „sie ist ja praktisch eine Art Mensch und entsprechend braucht sie auch einen Adventskalender“, sprach’s und füllte ihn mit Katzenleckereien. Als bandeigene Muse hatte ich natürlich den einen oder anderen Gedankenblitz dazu beigetragen. Somit hatte ich – zu Kiwis Bedauern – verhindert, dass Sahnekaramell in dem Katzenadventskalender gelandet waren und hatte diese gegen gesündere Katzenleckerli ausgetauscht. Wir wollten schließlich nicht irgendwelche Schwierigkeiten mit extremen Katzenfreunden bekommen. Die Liga der „Katzen vor unerträglichen Lärm“-Schützern stand eh schon regelmäßig vor der Tür, weil sie fanden, dass keine Katze diesen Krach – sprich: die Musik der Sorglospunks – ertragen könnte. Bisher hatte sich Kiwi allerdings geweigert, mit diesen Leuten mitzugehen und einige Kratzsouvenirs später – O-Ton Easy: „Das habt ihr davon! Die Katze steht eben auf Punk!“ – hatten sie sich zu einer beobachtenden Position entschlossen. Aber das hieß auch, dass ungewöhnliche Leckereien eher nicht auftauchen sollten. Easys Kalender war in weiser Voraussicht mit Ideenbonbons und Motivationsschokolade – beides in den unterschiedlichsten Geschmacksrichtungen – gefüllt worden. Irgendwie musste man ja den versteckten Bandmotor antreiben. Allerdings... schlug dieser jetzt in eine Richtung aus, die nicht unbedingt so vorgesehen war. „Wir brauchen Weihnachtsmerchandising!“, verkündete Easy in der gemütlichen Kaffeerunde. Drei verwirrte Augenpaare richteten sich auf sie. Zwei stammten von Chris und Jack, die mittlerweile zwar an spontane Ideenausbrüche gewohnt waren, jedoch noch nicht immer damit umgehen konnten, wenn diese derart plötzlich aus dem Nichts kamen, das dritte stammte von Kiwi, der nur der Gedanke „oh, oh“ durch den Kopf ging. Das letzte Mal hatte sie Modell für Sorglospunksplüschkatzen stehen müssen, die ihr hinterher noch nicht einmal ähnlich gesehen und sich als absoluter Ladenhüter erwiesen hatten. Da half auch das bunte Einfärben nichts. Diese Alienkatzen hatten Easy und Jack schließlich im Wohnzimmer – unter lautstarken Protesten von Chris – drappiert und zur Verzierung erklärt. Bei der ersten Homestory über die Band würde man sie dann im Fernsehen bzw. in irgendeiner Zeitschrift sehen können und dann wollte sie garantiert jeder kaufen. Tja, man musste eben einfach nur weit genug vorausplanen. „Äh... Und was?“, fragte Jack vorsichtig. „Das ist doch eigentlich Sache von Nifen“, wiegelte Chris schon einmal vorsichtshalber ab. Man wusste ja nie, was passierte. Und auch er hatte die Alienkatzenplüschis noch nicht vergessen. Eine starrte nämlich immer grässlich grün von dem Regal auf sein Lieblingssofa herab und jeder Versuch, sie umzusetzen, war von Jack direkt verhindert worden... „Ach, Quatsch. Wir dürfen auch Ideen haben!“, schmetterte Easy jegliche Einwände ab, dann ging sie auf Jacks Frage ein. „Wir backen Weihnachtsplätzchen! Sorglospunksweihnachtsplätzchen!“ „Aha.“ Jack sah zu Chris. Chris sah zu Jack. Beide sahen Kiwi an, die ein äußerst glückliches Katzengesicht zeigte. Das hieß nämlich Teig schlabbern. Jack und Chris sahen zu Easy. „Backen...“, sagte Jack langsam. „Du und... backen?“ „Nein, wir und backen! Auf geht’s!“ Und damit stürmte die Bandleaderin und Frontfrau schon gen Küche. „Äh... Vermutlich sollten wir sie das allein machen lassen...“, murmelte Chris hoffnungsvoll. „Sollten wir. Aber die Küche wird dann unmöglich wieder sauberzubekommen sein. Denk an den Mist mit der Wiederholung von dem Motivationsschokoladenrezept.“ Jack seufzte tief und stand auf. Chris schauderte. Oh ja, sie hatten drei Wochen gebraucht, um die zementharte Schokoladenmasse wieder von den Wänden zu kratzen... Blitzschnell war auch er auf den Beinen und stürmte gemeinsam mit Jack hinter Easy her. Kiwi wuselte längst in der Küche zwischen Easys Beinen herum. Ehrensache, wenn man Ende wahrscheinlich leckerer Teig stand. „Also, was tun wir in den Teig rein?“ Easy riss bereits die Schranktür auf und kramte alles heraus, was ihr interessant vorkam. Schokolade, Kakao, Mokkabohnen, Smarties, Mehl, Milch, Butter, Eier, Zucker, Schokolade, Schokoladenkuvertüre, Schokosplitter, geriebene Mandeln, Vanillezucker, Backpulver und zur Krönung noch mehr Schokolade. Jack und Chris sahen sich das Chaos an. „Und jetzt?“ „Zusammenrühren!“ Easy strahlte die beiden an, eine Rührschüssel bereits in der Hand. Sie wollte gerade loslegen, als ihr Jack sanft die Hand auf den Arm legte. „Okay... Darf ich?“ Easy nickte zaghaft. Der eigenen Zwillingsschwester widersprach man besser nicht, wenn sie diesen ernst-vernünftigen Gesichtsausdruck besaß. Wenigstens... nicht immer. „Chris, Backbuch“, kommandierte Jack und mit großer Faszination beobachtete Easy, wie sich Jack in General Jack verwandelte – und die Küche übernahm. Blatt... Block... Stift... Ihre Hände tasteten in einer Schublade herum, während ich mich grinsend auf meiner Wolke zurücklehnte. Das war doch mal eine gute Arbeit. Es kamen vermutlich vernünftige Plätzchen dabei raus und offenbar auch ein neuer Song... Eine knappe Stunde später war der Teig so weit fertig. „Welche Form sollen die Kekse denn haben, Easy?“ Jack wischte sich mit mehligen Händen das Haar aus dem Gesicht. Chris keuchte neben ihr abgekämpft und war froh, dass jetzt der Teil mit dem Ausstechen kam. Das war Easy-Sache, schließlich hatte sie die ganzen Plätzchen haben wollen. „Sorglospunks!“ Easy grinste breit. „Easy...“ Jack sprach so langsam, als wenn sie es mit einer debilen alten Dame oder mit einem überdrehten Kind zu tun hätte. „Wir haben keine Sorglospunksausstechformen. Wir haben... Herzen, Sterne, Gitarren, Schlagzeuge, Katzen...“ Sie stockte. „Siehste. Sind doch alles Sorglospunks.“ Easy lachte und machte sich an das Abenteuer Ausstechen. Eine weitere Stunde später saßen die drei mit den ersten offiziellen Sorglospunksplätzchen im Wohnzimmer und tranken wieder Kaffee. Kiwi lag mit einem kugelrunden Bauch äußerst zufrieden daneben. Natürlich hatte ihr Easy einiges an leckerem Teig zukommen lassen... „Und... was spielen wir morgen bei unserem ersten Adventskonzert?“, erkundigte sich Chris, während er einem Katzenkeks genüsslich den Kopf abknabberte. „In der Weihnachtsbäckerei!“ Easys Grinsen wollte heute so gar nicht von ihrem Gesicht weichen. „Weihnachtslieder? Klassisch-kitschige Weihnachtslieder?“ Jack starrte sie fassungslos an. „Nein, nein, nein.“ Easy winkte ab und schnappte sich ihre Gitarre. „Das Lied geht so...“ Sie spielte den ersten Akkord und legte los. Die Melodie haperte noch etwas, denn schließlich war das eigentlich Chris’ Sache, aber für einen ersten Versuch reichte es allemal. „In der Weihnachtsbäckerei ist Jack der General. Schokolade, Mehl, Kakao, Zucker, Zimt und Milch alles hört auf ihren Befehl! In der Weihnachtsbäckerei ist Chris der Feldwebel. Er hört auf Jacks Befehl, klappert die Schüsseln, rührt den Teig! In der Weihnachtsbäckerei bin ich nur der Kobold! Immer im Weg, Kiwi zu Füßen, die Finger im Teig, Schokolade im Mund. In der Weihnachtsbäckerei da gibt es Sorglospunks! Wir backen, wir backen, wir backen! Nur für euch, nur für euch! Merry X-Mas and a happy new year! In der Weihnachtsbäckerei da gibt es Sorglospunks! Wir backen, wir backen, wir backen! Nur für euch, nur für euch! Merry X-mas, merry X-mas and a happy new year!” Kapitel 7: „Ich bin Beowulf! Äh… Easy!“ --------------------------------------- „Leute, wir brauchen einen Film!“ So begann dieser eine Sonntag im späten November in der Sorglospunkswohnung. „Wir brauchen was?“ Jack kratzte sich verwirrt am Kopf und sah ihre Zwillingsschwester fragend an. Chris blickte von der zehnten Polieraktion des Tages an seinem geliebten Bass auf und legte den Kopf schräg. Die Idee der Frontfrau und Sängerin der Sorglospunks hatte die beiden weiteren Bandmitglieder eiskalt erwischt. „Einen Film!“, hibbelte Easy weiter herum. Ich ahnte so langsam, woher das kam. Das Samstagsprogramm hatte auf einem der dritten Fernsehprogramme zwei alte Beatles-Filme wiederholt, darunter die berühmte ‚Yellow Submarine’, und ich hatte Easy zum Schauen motiviert, da ich eine Chance dafür sah, dass diese nachgewiesen geniale Musik ihre Kreativitätsadapter weit öffnete. Das war offenbar auch eingetreten – nur dummerweise hatte sie danach auf einem der privaten Sender den Spice Girls-Film gesehen und der hatte nun wohl für eine eher ungeplante Umsetzung dieses Ideenschubs gesorgt. „Warum?“ Jack versuchte noch immer zu dem Grund dieser Aussage vorzudringen. „Weil alle großen Bands Filme gedreht haben! Die Spice Girls, die Beatles – die Beatles sogar mehr als einen. Und ein Film ist tolle Werbung für uns. Wir sind im Kino zu sehen und können auch gleichzeitig noch mal unsere Musik promoten. Das ist einfach perfekt, um berühmt zu werden!“ „Äh…“, wandte Chris vorsichtig ein. „Diese Bands waren aber schon berühmt, als sie diese Filme gedreht haben, wir sind es aber eher… nicht…“ „Ach…“ Easy nagte an ihrer Unterlippe. „Und was ist mit ‚Highschool Musical’?“ „Das ist keine Band!“ Jack schüttelte den Kopf. Manchmal, da fragte sie sich, wie Easy nur immer auf solch einen Unsinn kam. Sie warf einen finster-vorwurfsvollen Blick in meine Richtung – natürlich spürten die Bandmitglieder, wo ich mich aufhielt, auch wenn ich gerade mal wieder unsichtbar war und obwohl mein Musenfokus eher auf Easy lag – und ich konnte diesen unausgesprochenen Vorwurf nur heftig kopfschüttelnd von mir weisen. Direkt schuld war ich ja nicht – mein Inspirationsversuch war nur dummerweise in eine ungeplante Richtung umgeschlagen. „Weiß jemand, wie wir Steven Spielberg erreichen können? Wir nehmen natürlich nur den besten!“, plapperte Easy weiter und sorgte bei Chris für einen akuten Lachanfall. „Oh ja, klar. Erklär das Nifen und unseren Finanzen!“ Jack zuckte mit den Schultern. „Ich sage dazu nur Auftritt im Wunderland, in einer Werwolfshöhle, bei den bescheuerten Melancholikern und so weiter und so fort. Nifen erfährt mit Sicherheit nichts von dieser verdammten Idee!“ Jetzt war es an mir zu kichern. Ts, als wenn diese Auftritte schlimm gewesen wären… Es gab mit Sicherheit noch viel größere Katastrophen, die geschehen konnten… „Ha, entweder rufen wir Spielberg an oder ich rede mit Nifen!“, trumpfte Easy sofort auf, was Jack nur ein entnervtes Stöhnen entlockte. „Wag es und ich versteck den Kaffee!“ Ehe der Geschwisterstreit sich jedoch noch weiter aufwiegeln, sich Easy aus Chris’ kräftigem Griff befreien und auf ihre Schwester losgehen konnte, bemühte er sich einzulenken und zu vermitteln. „Was haltet ihr davon, wenn wir mit einem Song zu einem Film anfangen? Wir brauchen eh noch was fürs neue Album und das wäre doch eine gute Chance in das Geschäft mal reinzuschnuppern, oder?“ Beide Schwestern blickten sich an und nickten dann langsam. „An welchen Film dachtest du?“, fragten sie synchron. Ihre Zwillingsgene hatten in diesem Moment kurzzeitig die Vorherrschaft übernommen. Chris schauderte leicht. Wenn die beiden sich so benahmen, dann war das echt gruselig. Besonders, weil sie sonst ja so extrem unterschiedlich waren… „Nehmen wir doch… ‚Die Legende von Beowulf’. Der ist frisch angelaufen und beliebt… Kann also nicht schaden, oder? Und Easy – und Abranka! – lasst die Inspiration in einen Song fließen.“ Ehrensache. Dafür brauchte ich keinen Chris, um mir zu sagen, dass ich alles für einen großen Song tun würde. Nur musste Easy erst einmal mitspielen und meine Inspirationsfunken auch entsprechend umsetzen… Rund drei Stunden später kamen die Sorglospunks – samt Kiwi – aus dem Kino. Während Chris und Jack über den Film diskutierten, Kiwi konsterniert dreinschaute und überlegte, ob sich für diese Katzenquälerei so etwas wie eine Extraschüssel Sahne rausschlagen ließ, summte Easy bereits eine erste provisorische Melodie vor sich hin. Klang gar nicht so schlecht. Kaum Zuhause hängte sich Easy gleich an den Schreibtisch, während Chris ihr neugierig über die Schulter sah, Kiwi sich auf ihren Knien breit machte und Jack Kaffee und Cappuccino aufbrühte. „Also… Chris, schau mal, was du aus dieser Melodie machen kannst.“ Easy summte ein paar Töne, aus denen der Bandkomponist recht schnell einen fetzigen Punkbeat zauberte. „Leg los.“ Chris und Jack strahlten Easy neugierig an und auch Kiwi rappelte sich auf. Vielleicht bestand nach dem Song auch noch eine Chance auf eine Schüssel Sahne… „Ich bin Beowulf!“, brüllte Easy zum Einstieg und sorgte dafür, dass Jack und Chris schlagartig zusammenzuckten und Kiwi unter dem Sofa in Deckung ging. Dann legte sie mit der Gitarre in etwa zu Chris’ Beat los. „Ich bin Beowulf - das rufst du, schreist du in die Welt hinaus. Ich bin Beowulf, habe Seemonster getötet und Grendel erschlagen! Ich bin Beowulf, bin der Verführung erlegen und habe den Drachen getötet! Ich bin Beowulf! Dann bist du eben Beowulf! Von mir aus! Ich bin Easy! Und ich lebe jetzt! Du bist Beowulf, Seemonsterausrotter, Grendelmörder, Angelina-Schänder, Drachenkiller! Du bist Beowulf, ich bin Easy! Und mein Lied ist lauter als deines, und mein Lied ist neuer als deines, und mein Lied ist punkiger als deines, und mein Lied wird noch immer gesungen! Du bist Beowulf – na und? Denn ich bin Easy!“ Nachdem sie geendet hatte, strahlte Easy in die Runde. „Und, und, und?“ „Äh…“ Jack warf einen langen Blick zu Chris, Chris schaute sie lange an und zuckte dann hilflos mit den Schultern. „Äh…“, echote dieser. „Nun ja, also, ich glaube… der Song würde nicht gerade dazu beitragen, dass wir in der Filmszene Fuß fassen…“ Kapitel 8: Looking for Kaffee! ------------------------------ „I’ve been looking for freedom...“ Fröhlich pfeifend griff Easy nach der Kaffeemaschine. Der fernsehtechnische Ausflug am gestrigen Abend in die achtziger Jahre hatte sie mit einem wenig erfreulichen Ohrwurm beschenkt. Wer mochte schon David Hasselhoff? Beziehungsweise: Gab zu, ihn zu mögen? Niemand, der bei Verstand war. Exakt. Nicht, dass Easy das gestört hätte. Ohrwürmer verlangten es, ausgelebt zu werden, damit sie auch wieder verschwanden. Ergo: Sie sang und pfiff vor sich hin. „I’ve been looking for freedom...“ „Easy, wir rationieren den Kaffee!” Jacks Stimme war ein eiskalter Wasserguss. „Was?“ Perplex starrte die Frontfrau der Sorglospunks ihre Zwillingsschwester an, die sich gerade die volle Kaffeekanne unter den Nagel riss. „Erstens haben wir ein generelles finanzielles Problem, wie du ja weißt. Zweitens trinkst du einfach viel zu viel Kaffee und gibst dafür viel zu wenig Geld in die Kaffeekasse!“ Chris war hinter Jack aufgetaucht und stemmte die Hände in die Hüften. „Moment.“ Blitzartig hatte Easy ihre Geldbörse in der Hand und zückte sie. „Das ändern wir schnell, ja? Hab ich voll vergessen...“ Einen Augenblick später kam ihr ein einzelne Motte entgegen und offenbarte die Leere des Geldbeutels. „Äh...“ „Ja?“ Jack legte den Kopf schief und lächelte süß. „Kaffee?“ Easy tat es ihr gleich. „Nein.“ Und damit rauschten die beiden anderen Bandmitglieder ab. „Mist.“ Easy schlug mit der Hand auf die Arbeitsplatte. Also: Nach anderem Kaffee im Haus suchen. Eine halbe Stunde später stand fest, dass Jack gründlich gewesen und noch nicht einmal einen winzigkleinen Cappuccinoaufgussbeutel oder einen klitzekleinen Rest Instantkaffeepulver zurückgelassen hatte. Na toll! „Super, Muse, und jetzt?“ Warum bin ich es eigentlich immer, die in solchen Situationen angesprochen wird? Ich meine, ich kann doch nichts für diese Desaster und Katastrophen... Und immer dann heißt es: Abranka, her mit einer Idee. Und das war dann eine Idee, die bei Easy immer richtig schief ging... „Mach nen Song.“ Das war schließlich die ultimative Antwort. „Was?“ „Schreib nen Song. Dann kriegste von den beiden auch Kaffee.“ „Wie soll ich schreiben, wenn ich immer an Kaffee denken muss?“ „Lass dir was einfallen.“ „Hey, bist du nicht eigentlich die Muse?“ Easy funkelte mich an, während ich mich grinsend auf meiner Wolke zurücklehnte. „Möglich...“ „Also, Hilfe bitte. Ich sterbe sonst an Entzugserscheinungen!“ „Dann schreib eben über Kaffee.“ Eine geniale Idee, denn an etwas anderes würde Easy ja jetzt sowieso nicht mehr denken können... „Pah...“ Easy knurrte leise vor sich hin, schnappte sich den Wohnungsschlüssel und marschierte los. Irgendwie musste ja wohl erstens Geld aufzutreiben sein und zweitens auch Kaffee! Drei Stunden später stand fest, dass dem nicht so war. Da sie sich weigerte, betteln zu gehen – schließlich gab es ja Menschen, die das viel nötiger hatten, und außerdem besaß sie dafür wiederum viel zu viel Stolz, bemerkenswerterweise trotz Kaffeesucht – , war es nichts mit Geld. Mit Kaffee genauso wenig. Denn auch der absolut süß-niedliche Dackelblick hatte bei dem netten Starbucksverkäufer nicht gewirkt. Mist aber auch. Und Fans waren auch keine in Sicht, wenn man sie mal brauchte... Und dann vermixte sich zur Krönung des Tages auch noch dieser doofe Ohrwurm mit Kaffee... „I’ve been looking for Kaffee...“ Wie war das noch? Abranka wollte ein Lied haben? Chris wollte doch auch dauernd welche, nicht wahr? Und Jack sowieso. Sollten sie doch eins haben! Mit einem ungehaltenen Knurren, dass selbst Kiwi in Deckung sprang, knallte Easy die Wohnungstür zu und marschierte zum Schreibtisch. „Ein Song und ich krieg Kaffee?“, fragte sie giftig Richtung Jack und Chris. „Immer doch.“ Chris grinste breit und zwinkerte Jack zu. „Scheint, als wenn die Entzugstherapie funktioniert...“, flüsterte er leise. „Abwarten“, gab Jack zurück und warf einen Blick auf die Uhr. Wollten sie doch mal sehen, wie lange Easy für den Text brauchte. Keine halbe Stunde später knallte Easy den Text auf den Tisch und griff sich eine Tasse Kaffee. Sie leerte diese in einem Zug und hangelte nach ihrer Gitarre. „Sogar mit Melodie?“ Chris ging die Kinnlade runter. „Keine halben Sachen.“ Easy grinste. „Ist doch klar, oder?“ Und dann begann sie zu spielen… „An diesem einen Morgen war ich glücklich Bis ich in die Küche kam Ich hatte alles, was ich wollte Aber Kaffee - I had none I’ve been lookin’ for Kaffee I’ve been lookin’ so long I’ve been lookin’ for Kaffee Still the search goes on I’ve been lookin’ for Kaffee Seit ich aufstand I’ve been lookin’ for Kaffee Und ich finde keinen Also ab in die Stadt, die Gitarre mit dabei Zuhause liegt weit zurück Walkin’ down the road, with my heavy load Tryin’ to find some Kaffee Jack sagte, ich kriege keinen mehr Also gehe ich und finde welchen Und wenn ich bis ans Ende der Welt gehen muss Ich komme zurück – mit Kaffee I’ve been lookin’ for Kaffee I’ve been lookin’ so long I’ve been lookin’ for Kaffee Still the search goes on I’ve been lookin’ for Kaffee Seit ich aufstand I’ve been lookin’ for Kaffee Und ich finde keinen Ich leide jetzt so sehr, habe alles verloren Ohne Kaffee fern von Zuhaus Habe kein Geld und keine Schokolade Also kann ich nur zurück Ihr wollt alle nen Song Na bitte, here we go And given some time, some day I’m gonna find The Kaffee I’ve been searchin’ for I’ve been lookin’ for Kaffee I’ve been lookin’ so long I’ve been lookin’ for Kaffee Still the search goes on I’ve been lookin’ for Kaffee Seit ich aufstand I’ve been lookin’ for Kaffee Und jetzt hab ich ihn!” Kapitel 9: Ein Schneemannkonzert auf dem Weihnachtsmarkt -------------------------------------------------------- „Es schneit!“ Easy klebte mit der Nasenspitze an der Scheibe und starrte vollkommen fasziniert nach draußen. Jack blickte ihr über die Schulter. „Mhm... Sieht so aus.“ „Ja, ich würde auch sagen“, gesellte sich Chris dazu. „Weißes Zeug, das vom Himmel fällt und dabei keinen Krach macht. Ganz eindeutig Schnee.“ „Ihr zwei seid gemein!“ Easy wirbelte herum und piekste die beiden zielsicher in den Bauch. „Was denn? Weiße Weihnachten – so gehört es sich doch, oder? Und wenn man schon einen Deal mit dem Teufel hat, dann kann man doch davon ausgehen, dass der einem einen Gefallen tut und den guten Petrus ein wenig in Bedrängnis bringt.“ Jack lachte und drückte ihrer Zwillingsschwester eine Tasse Kaffee in die Hand. Easy legte den Kopf schräg. „Ich will einen Schneemann bauen...“ „Dafür haben wir kaum Zeit. Nifen kommt doch gleich wegen unserem Auftritt auf dem Weihnachtsmarkt.“ Chris lächelte nachsichtig und ließ so etwas wie den großen Bruder raushängen. Easy, ihres Zeichens Frontfrau und Bandleaderin der Sorglospunks, schob die Unterlippe vor. „Das ist gemein.“ „Das ist das Showbusiness. Wer wollte denn noch mal berühmt werden, hm?“ Jack lachte, wuschelte ihrer Schwester durch die Haare und verschwand wieder gen Sofa. Easy seufzte leise und blickte noch einmal aus dem Fenster. Aber einen Schneemann zu bauen wäre dennoch toll... Ich konnte mir das Ganze nur von meiner Wolke ansehen und runzelte die Stirn. Nun... Das war ja ein netter kleiner Wunsch. Und irgendwie würde sich das vielleicht trotz Weihnachtsmarktauftritt organisieren lassen... Musste man doch mal schauen. Nifen erschien gerade rechtzeitig auf der Bildfläche, um einen Ausbruch akuter Auftrittsnervosität der Band zu verhindern. Der Auftritt auf dem kleinen örtlichen Weihnachtsmarkt war zwar nichts Großartiges, aber man sollte solche Chancen niemals unterschätzen. Abgesehen davon bekamen sie dafür neben einer netten Gage, die den finanziellen Krater wenigstens etwas stopfen würde, auch noch kostenlosen Glühwein. Und das sollte man bekanntlich auch nicht nicht unterschätzen. Sicherheitshalber hatte die kluge Bandmanagerin schon mal zwei große Fässer in dem Bandauto untergebracht – man wusste ja nie, wie weit man solche Angebote ausdehnen konnte... Also ging es los. Die Band im kuscheligen Auto, Easy noch immer schmollend, weil sie ihren Schneemann nicht bauen durfte, dazu Jack und Chris, die bereits heftig über die Songliste stritten und diese x-mal über den Haufen warfen. Kiwi hatte sich dagegen absolut geweigert, bei diesem Wetter aus dem Haus zu gehen. Schnee war nichts für Katzen, denn da bekam man nasse Pfoten und das war überhaupt nicht schön! Ich hatte ihr zwar angeboten, mit auf meine Wolke zu steigen, aber eine unsichtbare fliegende Wolke war ihr dann doch ein bisschen zuviel. Nun, zu einem gewissen Grad konnte ich sie ja verstehen. Außerdem sollten die Sorglospunks schließlich nicht als die Band berühmt werden, die eine fliegende Katze ihr eigen nannte... Das Konzert verlief so, wie man es auf einem Weihnachtsmarkt voller glühweingefüllter Menschen an einem frühen Dezemberabend erwarten konnte: mäßig. Weder die Bandhymne, noch das Tomatenlied oder der Kaffeesong rissen irgendwen vom Hocker. Noch nicht einmal wippende Füße waren zu sehen! Nein, stattdessen schienen alle bedacht zu sein, die Band zu ignorieren. Irgendwann hatte Easy die Schnauze voll. „Ihr könnt mich alle mal. Dann sauft doch euren blöden Glühwein und lasst mich endlich meinen Schneemann bauen! Wegen euch hab ich den ganzen Tag darauf verzichtet!“ Sprach’s, hopste von der Bühne und begann den Schnee auf dem Rasenstreifen am Rande des Platzes zu einem großen Schneeball zu formen. Jetzt hatte sie Aufmerksamkeit. Definitiv die nahezu aller Anwesender. Jack blickte zu Chris, der wiederum zu Jack. Und jetzt? „Improvisieren“, war meine Antwort. Jetzt hieß es nur noch, Easy dazu zu bringen, ihre Gedanken in einen Song zu bringen... Schneemann, Schnee und was ihr sonst noch einfiel. Denn der eine oder andere fühlte sich offenbar doch ein wenig beleidigt und zwei, drei Leute hatten sich schon gebückt, um erste Schneebälle zu formen... Ich spielte ganz lässig fliegende Mikrofonstation – für die Zuschauer sah das einfach wie ein genialer Trick aus – und hielt Easy das Ding vor die Nase. „Sing. Oder willst du eine Schneeballschlacht, bei der ihr absolut unterlegen seid?“ Easy schnaufte nur und summte leise vor sich hin. Chris bemühte sich, die Melodie aufzugreifen und Jack legte gedankenschnell einen vernünftigen Beat drunter. Ein bisschen Triangel und Glöckchen zwischendurch, dann klang das auch schön nach Weihnachten und Winter. „Es schneit! Es schneit! Hast du’s nicht gesehen? Wie ha’m Dezember und es schneit! Es gibt ne Weiße Weihnacht, ne Weiße Weihnacht. Und ich, ich will nen Schneemann bau’n.“ Erste Fußspitzen wippten zu dem improvisierten Rhythmus. Das war doch gar nicht mal so übel... Manchmal, da liebe ich ja Easys spontane Umsetzungen meiner Inspirationen. Wirklich. Auch wenn ich ihr in ihren Kreatief-Phasen manchmal etwas antun könnte, weil das das museneigene Ego doch ganz schön abstürzen lässt... „Komm schon, lass mich raus! Es schneit und ich will nen Schneemann bau’n. Einen, der nicht wegrennt, einen, der bleibt, wenigstens den Winter lang.“ Chris entschied sich zu einem waghalsigen Solo, während Easy auf die erste große Schneekugel die kleinere zweite setzte. Jack legte mit dem Schlagzeug los und fetzte den Beat über den Platz. Mittlerweile begannen die ersten Frauen in die Hände zu klatschen. Sie verstanden den Text also eindeutig besser als die Kerle, die mehr zu der Musik schunkelten. Nun, sollte uns auch recht sein. Hauptsache, wir kamen ohne Schneeballschlacht und plötzlichen Sprint hier raus. Wir konnten es uns schließlich nicht erlauben, das Schlagzeug stehen zu lassen. Ein neues konnten wir uns kaum kaufen... Ergo: Logisch denken und Easy machen lassen. „Es schneit! Es schneit! Hast du’s nicht gesehen? Komm schon, wir bau’n nen Schneemann, einen, der dann bleiben kann im Kühlschrank das ganze Jahr! Und nächstes Jahr, da hol’n wir ihn wieder raus!“ Yeah! Strike! Alle Neune auf einmal! Mittlerweile war das Publikum hin und weg und Easys Schneemann fehlte nur noch die Nase. Als Augen und Mund hatte sie ein paar Steine genommen, aber eine Nase... Ein kleiner Junge, vielleicht fünf Jahre alt, kam zu ihr getapst und drückte ihr eine Banane in die Hand. „Hab keine Karotte, aber damit kann er trotzdem was riechen.“ Große Augen strahlten sie an. „Du singst toll!“ Easy lachte und drückte ihm als Gegenleistung einen Originalsorglospunksbutton in die Hand. Solche hatte sie für alle Fälle immer mit dabei. Man wusste ja nie, wo man sie mal jemandem geben konnte, um damit Fans zu brandmarken und zu Werbezwecken zu missbrauchen. Nifen tätschelte derweil zufrieden ihre digitale Videokamera. Schien, als wenn einem neuen Marketingsprung in Sachen Videoveröffentlichung auf Youtube nicht mehr im Wege stand... Da sie außerdem noch zwei volle Fässer Glühwein abgestaubt hatte, war dieser Abend eindeutig als voller Erfolg zu werten. Insbesondere, als die drei Sorglospunks jetzt die Bandhymne anstimmten und die ersten Zuschauer tatsächlich mitgrölten. Zwar nicht immer textsicher, aber immerhin. Schneemann sei Dank. Kapitel 10: Rudolph, the red nosed Sorglospunk ---------------------------------------------- Weihnachten… Selbst für eine sonst so aufgedrehte Band voller absurder Erlebnisse, noch absurderer Songs und noch viel absurderer Ideen wie die Sorglospunks bedeutete diese Zeit eine Zeit der Ruhe und Muße. Und so saß die Band gemütlich um den Weihnachtsbaum. Easy, die Frontfrau und Sängerin, kuschelte zufrieden mit dem Bandmaskottchen Kiwi und schlürfte eine heiße Tasse Kaffee. Jack, ihres Zeichens musikalisches Multitalent und Easys Zwillingsschwester, inspizierte den neuesten Instrumentenkatalog und überlegte, wo sich ihr Weihnachtsgeld am besten anlegen ließ. Chris, Bassist und Gitarrist, polierte seine liebste Gitarre zum dritten Mal an diesem Abend. Nifen, die Bandmanagerin, löffelte in aller Seelenruhe Schokoladenmousse und summte bei den Weihnachtsliedern im Radio mit. Nun, und meine Wenigkeit, die offizielle Bandmuse Abranka, lehnte sich auf ihrer Wolke zurück und ließ die Füße baumeln. Gemütlich... Ja... Niemand, der irgendwelche Ideen erwartet. Niemand, der erwartete, dass ich Easy davon abbrachte, irgendwelchen Unsinn zu machen. Niemand, der erwartete, dass ich Easy aus ihren Kreatiefphasen herausriss und zum Songschreiben motivierte. Hach ja... Im Moment schwebte die Band noch auf dem Erfolg des Weihnachtsmarktkonzertes. Der Glühwein war mittlerweile beinahe leer, das zweite Fass war nur noch zu einem guten Sechstel gefüllt. Auf Youtube war das Video mit dem Schneemannsong zu den beliebtesten Videos der Weihnachtszeit geworden und immer mehr neugierige Zuschauer fanden ihren Weg auf die offizielle Bandhomepage und bestellten die ersten selbstgebastelten CDs. Nifen hatte somit allen Grund zufrieden zu sein, denn dieser Sprung in Richtung eines größeren Bekanntheitsgrades hatte definitiv funktioniert. Wohin dieser Weg letztlich führen würde... – Wer wusste das schon? Aber da es weitaus untalentiertere Sänger und Bands auf diesem Wege zu Ruhm und – hoffentlich! – auch Reichtum gebracht hatten, war der Schritt über die Weiten des Internets doch nur klug und naheliegend. Insbesondere, wenn man daran gewöhnt war, die nächsten Auftrittsideen aus dem Spamfilter der eigenen E-Mail-Adresse zu ziehen. Der nette, ruhige Abend bekam eine abrupte Wendung, als es auf einmal draußen krachte, irgendjemand lautstark fluchte und es einen lauten Knall gab. „Einbrecher!“ Easy war sofort auf den Beinen. „Quark.“ Jack schüttelte den Kopf. „Autounfall.“ „Ja, aber in unserem Garten!“ Und damit war Chris schon am Fenster und riss es auf. Easy, Jack und Nifen waren sofort hinter ihm, während Kiwi sich beleidigt in eine Ecke verzog, weil Easys spontane Aufspringaktion für eine unsanfte Anwendung der typischen Katzenfähigkeit, auf allen vier Pfoten zu landen, gesorgt hatte. Ich konnte es mir natürlich ebenfalls nicht nehmen lassen, nachzusehen, was dort geschehen war. Vielleicht brauchte jemand eine rettende Idee... Doch das, was wir dort draußen sahen, war wirklich unerwartet. Ein Schlitten hatte in dem schneebedeckten Garten eine Bruchlandung hingelegt. Nicht irgendeinen Schlitten. Nein, es war der Schlitten des Weihnachtsmanns höchstpersönlich. Und diese rotgewandete Gestalt stand nun fluchend aus dem umgekippten Schlitten auf und klopfte den Schnee von seinem Mantel. Acht verwirrte Rentiere schnaubten laut und eines nieste vernehmlich. Das mit der roten Nase. „Rudolph!“ Easy fiel vor Begeisterung fast aus dem Fenster. „Schaut, das ist Rudolph, das rotnasige Rentier!“ „Ja und da ist der Weihnachtsmann.“ Jack zupfte an Easys Ärmel und zeigte nachdrücklich auf die rotbemantelte Gestalt. „Und ich glaube, er könnte Hilfe gebrauchen. Beim Schlitten aufrichten zum Beispiel.“ „Au ja!“ Easy war sofort Feuer und Flamme. „Dann kann ich auch Rudolph mal streicheln!“ Keine zwei Minuten später waren Band und Managerin – und natürlich auch Muse – draußen und gingen dem Weihnachtsmann zur Hand. „Was ist denn passiert?“, erkundigte sich Nifen, während sie einige verstreute Geschenke einsammelte. „Rudolph hat Schnupfen und immer wenn er niest, dann kommen die anderen aus dem Takt und erschrecken sich. Und weil er vorne läuft, zieht er alle in eine falsche Richtung, weil er einen Augenblick lang nichts mehr sieht und seine Nase nicht mehr leuchtet...“ Der Weihnachtsmann rieb sich nachdenklich die Stirn. „Vielleicht muss er sich einfach nur mal aufwärmen und ein bisschen Kaffee trinken. Mit Kaffee wird immer alles besser!“, schlug Easy hibbelig vor und strich dem rotnasigen Rentier vorsichtig über den Hals. Einen Augenblick später nieste Rudolph wieder und das Leuchten seiner Nase erschloss für einen Moment. „Warum nicht? Schaden kann es sicher nicht. Nur die anderen müssen auch mitkommen. Wir wollen hier ja niemanden bevorzugen.“ Der Weihnachtsmann lächelte und begann die Geschirre der Tiere zu lösen. „Neun Rentiere im Wohnzimmer?“ Jack zog eine Augenbraue hoch. „Nun, das könnte interessant werden...“ „Äh... Ich gehe schon mal vor und rette meine Gitarre...“, nuschelte Chris leise und verdrückte sich bereits gen Haus. Nicht, dass eines der Tiere sie noch versehentlich kaputt machte! Eine knappe Viertelstunde später war auch das letzte Rentier in das gemütliche Wohnzimmer getrabt und stand scheu und ein wenig verloren in der Ecke herum. Easy hatte sich bereits auf das Sofa gefläzt und Rudolph gar nicht wieder losgelassen. Und dem kleinen Kerl schienen ihre Liebkosungen auch durchaus zu gefallen. An seinem Geniese änderte sich allerdings bislang nichts. Der Weihnachtsmann ließ sich nun in einen Sessel fallen und bekam von Jack prompt eine Tasse Kaffee gereicht. „Dürfte eine nette Abwechslung zu Kakao und Milch sein, oder?“ Sie grinste breit, während der Weihnachtsmann schallend anfing zu lachen. „Da sagst du was Wahres, Mädchen!“ „Entschuldige, dass wir so unhöflich sind“, mischte sich jetzt Nifen ein. „Wir haben uns ja noch gar nicht vorgestellt. Also, das hier sind die Sorglospunks, eine junge, aufstrebende und äußerst geniale Band. Die junge Dame, die Rudolph noch mal zu Tode knuddelt, ist Easy, deine Kaffeebedienung ist Jack und der junge Mann, der seine Gitarre nicht loslassen mag, ist Chris. Und die fliegende Muse, die du sicher schon längst bemerkt hast, heißt Abranka. Und das scheue Tierchen auf dem Schrank ist Kiwi, das offizielle Bandmaskottchen. Ich bin Nifen, die Bandmanagerin.“ Der Weihnachtsmann nickte freundlich in die Runde. „Mich nennt man Weihnachtsmann oder Santa Claus. Und die Rentiere... Nun, Rudolph ist euch allen wohl bekannt. Die anderen acht heißen Dasher, Dancer, Prancer, Vixen, Comet, Cupid, Donner und Blitzen.“ Nach und nach wies er auf die acht Rentiere, die sich langsam etwas heimischer zu fühlen schienen und von denen sich drei immerhin schon gemütlich auf den Teppich gelegt hatten. Zwei fingen sogar langsam an, die ersten Weihnachtsplätzchen zu futtern, die auf dem Tisch bereit standen. Für mich sahen sie alle gleich aus. In dem Augenblick nieste Rudolph wieder und das schon vertraut gewordene rötliche Leuchten im Zimmer erlosch kurzzeitig. „Okay, das Problem müssen wir angehen.“ Nifen rieb sich die Hände. „Als erstes bekommt er ein Kamillendampfbad.“ Sprach’s und verschwand in der Küche, um das Umzusetzen. Habt ihr jemals ein Rentier gesehen, das den Kopf über eine Schüssel mit heißem Kamillenaufguss senkt und dabei ein Handtuch von einem äußerst besorgten Sorglospunk – in diesem Fall: Easy, die einen absoluten Narren an Rudolph gefressen hatte – über die Schnauze gehalten bekommt, damit es nichts anderes einatmen kann? Dieses Bild ist absolutes Gold wert. Danach war Rudolphs Nase zwar schon etwas besser, als in unregelmäßigen Abständen nieste er immer noch. „Mhm...“ Nifen zog die Stirn kraus. Chris und Jack taten es ihr gleich, ich hatte sowieso schon längst sämtliche Ideenbringrezeptoren aktiviert, nur Easy war geistig vollkommen abwesend und betüddelt Rudolph, der daran ganz eindeutig Spaß hatte. Kunststück, wenn man sonst seine Streicheleinheiten mit acht anderen Rentieren teilen musste und der Weihnachtsmann sehr viel wert auf eine Gleichbehandlung legte. „Also, als nächstes bekommt er einen Schal“, entschied Chris und verschwand gen Garderobe. Neben einer guten Tag war das außerdem die beste Möglichkeit, ein altes Weihnachtsgeschenk von Easy und Jack weiterzureichen, das er nicht leiden konnte. Ein Schal in Knallpink mit gelben Sternen war nun wirklich nicht sein Geschmack... Ergo bekam Rudolph diesen Schal, was Easy ein begeistertes „Süß!“ entlockte und auch Jack zum Lächeln brachte. Perfekt. Schal losgeworden und die weiblichen Bandmitglieder damit nicht verärgert. Chris klopfte sich gedanklich selbst auf die Schulter. „Okay, her mit der Rotlichtlampe“, war Jacks nächster Beitrag. „Und wir kochen Lindenblütentee. Den muss er dann trinken.“ Keine fünf Minuten später war das organisiert, Rudolph hatte die Rotlichtlampe vor dem Gesicht stehen, wurde damit warm bestrahlt und trank in aller Seelenruhe Lindenblütentee mit Honig aus einem Suppenteller. „So, das braucht jetzt eine Weile.“ Jack blickte den Weihnachtsmann an. „Aber du hast es sicher eilig, oder?“ „Ach...“ Der Weihnachtsmann winkte lächelnd ab. „Glaubst du wirklich, für jemanden wie mich spielt Zeit eine Rolle?“ „Wie meinst du das?“, hakte Nifen neugierig nach. „Nun, ich bringe den Kindern in den traditionellen Weihnachtsmannländern – insbesondere Deutschland, den USA und noch ein paar anderen – innerhalb einer Nacht die Geschenke. Denkst du, da spielt die normale Zeit für mich eine Rolle?“ Nifen grinste. „Eher nicht. Machst du dann so eine Art Arbeitsteilung mit den anderen Weihnachtsgestalten wie dem Christkind, Väterchen Frost und so?“ „Ganz genau. Wir haben einen entsprechenden Vertrag geschlossen, sodass keine Konkurrenz mehr zwischen uns herrscht und wir stattdessen zusammenarbeiten. Das macht die regelmäßigen Teerunden auch viel gemütlicher.“ Er lachte tief, dunkel und ansteckend fröhlich. „Und ihr seid eine Band? Was haltet ihr davon, wenn ihr uns etwas vorspielt, während Rudolph an seiner Genesung arbeitet?“ „Klar doch!“ Jack war sofort Feuer und Flamme, Chris sowieso. Easy musste ein wenig überredet werden, konnte sich dann jedoch von Rudolph trennen, als Nifen ihr versprach, regelmäßig weitere Kamillendampfbäder mit ihm zu machen. Und so spielte die Band ihr erstes privates Konzert für den Weihnachtsmann. Sie begannen mit den beiden Versionen der Bandhymne und nahmen sich dann der Reihe nach ‚Träume sind Schäume’, ‚Robodog’, ‚Melancholische Tomaten’, ‚Faust’, ‚Beowulf’, ‚Looking for Kaffee’ – bei dem der Weihnachtsmann fröhlich seine Kaffeetasse schwenkte – und zum Abschluss schließlich die bisherigen Weihnachtshits ‚In der Weihnachtsbäckerei’ – woraufhin Nifen gleich die entsprechenden Plätzchen anbot – und ‚Schneemann’ vor. Chris wollte gerade die Gitarre sinken lassen, da hob Easy die Hand. „Und jetzt, ganz frisch, gerade in dieser Sekunde aus dem museninspirierten Gehirn entsprungen – ‚Rudolf, the red nosed Sorglospunk’!“ Chris und Jack verkniffen sich Murren und Aufschreien. Ja, sogar die bösen Blicke zu mir und den stummen Vorwurf, dass die Inspiration Easy immer in solchen Momenten überkam. Easys Kreativität bremste man schließlich lieber nicht, wenn sie denn mal stattfand und so warteten sie ab, was sie als Melodie und Rhythmus vorgeben würde. In Sachen Improvisation waren sie ja mittlerweile wahre Profis. Außerdem konnte man sich ja auch noch nachher bei mir beschweren – woran ich mittlerweile gewöhnt war und was ich jedes Mal geflissentlich ignorierte. Easy tickte eben so und daran passte man sich als gute Muse schließlich an. Basta. „Rudolph, the red nosed reindeer machte ne Bruchlandung bei uns! Der ganze Schlitten lag flach und Santa saß im Schnee! Wir boten Kaffee an und Tee, und Rudolph einen Schal in Pink und Gelb. Damit hat er’s warm. Und die anderen Rentiere futterten Plätzchen und Santa trank Kaffee und Rudolph seinen Tee! Denn Rudolph, der war krank. Das rote Licht wollte nicht mehr und so halfen wir ihm weiter mit Schal, Rotlicht und Tee. Und wir wissen jetzt Rudolph, the red nosed reindeer ja, Rudolph, the red nosed reindeer ist ein Sorglospunk!” Der Weihnachtsmann lacht und applaudierte begeistert, ja, selbst die Rentiere gaben ein äußerst fröhliches Blöken von sich. Und Rudolph? Der flitzte auf Easy zu, rieb den Kopf an ihrem Ärmel und nieste nicht mehr. Tja, und so retteten die Sorglospunks mal eben nebenbei den Weihnachtsmann davor, ständig mit seinem Schlitten die Orientierung zu verlieren und Bruchlandungen zu machen, befreiten das wohl berühmteste Rentier der Welt von seinem Schnupfen und gewannen neue Fans dazu. Denn der Weihnachtsmann ließ es sich nicht nehmen, einen entsprechenden Button an seinen Mantel zu pappen und einen großen Aufkleber auf seinen Schlitten zu machen... Kapitel 11: Die Botschaft hinter dem Monsun ------------------------------------------- Die Tour war vorüber. Nicht, dass es eine große Tour gewesen wäre. Die Sorglospunks hatten schlichtweg alle möglichen Kneipen und sonstigen Lokalitäten im Schwabenländle abgeklappert, die aufstrebenden Nachwuchsbands eine Chance – und meist auch einen Haufen matschige Tomaten und nicht mehr ganz so frische Eier – boten, und waren nun wieder in die vertrauten vier Wände zurückgekehrt. Doch: Was jetzt? Die Welt versank im Sommerloch, die Hitze drohte das Land vollkommen plattzumachen und eine kaum zu haltende, weil noch immer extrem aufgedrehte Band saß in ihrer Wohnung fest. Was also tun? „Ihr habt Urlaub. Zwar können wir uns keine teure Reise leisten, aber dann macht ihr eben Urlaub auf Balkonien“, entschied Nifen. „Toll, Urlaub!“, jubelte Easy und hopste begeistert auf und ab. Ihre Zwillingsschwester Jack sah die ganze Sache allerdings deutlich kritischer. „Urlaub?“ Sie zog eine Augenbraue hoch. „Ja, Urlaub, Jack-O.“ Chris grinste breit. Diesen Spitznamen hatte er Jack verpasst, nachdem sie auf eine heranrasende Tomate mit einem offenstehenden Mund reagiert hatte, der letztlich den Großteils des Gemüses aufgefangen hatte. „Was ist daran denn so schlimm?“ „Nenn mich nicht so!“, fauchte das musikalische Multitalent der Band auch schon zurück. „Urlaub, ja?“ Sie wirbelte herum und fixierte die Managerin erneut. „Eher ein Wir-haben-gerade-nichts-zu-tun, ja?“ Ein weiterer Funkelblick traf mich auf meiner Wolke, doch dieses Mal war ich wirklich unschuldig. Nifen hatte allein die Idee ausgeheckt, das Sommerloch der Sorglospunks als Urlaub zu bezeichnen. Hey, und das war wirklich eine gute Idee. „Haut euch in die Sonne, schreibt vielleicht einen neuen Song und genießt den Sommer.“ Nifen grinste breit, winkte noch einmal in die Runde und verdrückte sich, ehe Jack ihre schlechte Laune an ihr auslassen konnte. „Au ja, legen wir uns in die Sonne!“, jubelte Easy, die Frontfrau der Band, und hopste auf das Sofa, davon herunter und über Kiwi hinweg Richtung Küche. „Was willst du in der Küche, wenn du eigentlich nach draußen in die Sonne willst?“ Chris blickte ihr verwirrt nach. „Eis mitnehmen!“, kam es lautstark aus Richtung Kühlschrank. Eine knappe halbe Stunde später lag die Band einträchtig auf zwei großen Decken auf dem Rasen vor dem Haus und sonnte sich. Jack hatte sich ein gutes Buch geschnappt und schmökerte, Chris polierte seine Gitarre und Easy schlabberte ihr Eis und versuchte nebenbei ein VfB Stuttgart-Kreuzworträtsel zu lösen. War aber auch knifflig... Und ihre bettelnden Blicke zu mir brachten wirklich überhaupt nichts, weil ich absolut keine Ahnung von diesem Verein habe. Von Fußball generell ja, aber wenn es um das Spezialwissen über diverse Spieler ging, konnte ich dann nicht mehr wirklich weiterhelfen. Das Radio dröhnte nebenbei und beschallte die in Ruhe liegende Nachbarschaft, aber die Menschen dort waren ja bereits anderes von der Band gewöhnt, daher beschwerte sich niemand. „Ich muss durch den Monsun Hinter die Welt, ans Ende der Zeit Bis kein Regen mehr fällt Gegen den Sturm, am Abgrund entlang Und wenn ich nicht mehr kann, denk ich daran Irgendwann laufen wir zusamm' Durch den Monsun, dann wird alles gut“ Tokio Hotel dröhnte durch die ruhige Vorstadtstraße und brachte Jack dazu, missmutig das Gesicht zu verziehen. Sie teilte Easys Begeisterung für den Frontsänger der Teenieband absolut nicht. Wenigstens war Easy noch weit davon entfernt, zu einem Fangirl zu mutieren. „Hey, da steckt ne geheime Botschaft in dem Lied!“ Easy riss den Kopf hoch und legte ihn schräg. „Durch den Monsun, hinter die Welt, ans Ende der Zeit...“ „Was?“ Chris ließ das Poliermittel sinken und starrte Easy an. Jack blickte ebenfalls verdattert auf. „Klar. Hörst du das nicht? Das ist ne Aufforderung, durch den Monsun ans Ende der Welt zu gehen!“ „Du spinnst!“ Jack schüttelte den Kopf und vertiefte sich wieder in ihre Lektüre. Wenigstens versuchte sie es. „Nein, gar nicht!“ Easy sprang auf und drehte die Lautstärke höher. „Hör hin!“ „Ich muss durch den Monsun Hinter die Welt, ans Ende der Zeit Bis kein Regen mehr fällt Gegen den Sturm, am Abgrund entlang Und wenn ich nicht mehr kann, denk ich daran Irgendwann laufen wir zusamm' Durch den Monsun, dann wird alles gut“ „Äh... Ja, und?“ Chris zuckte mit den Achseln. „Himmel, alles wird gut, wenn wir das Ende der Welt erreichen! Da finden wir alles, was wir haben wollen! Wir können dann auch endlich berühmt sein und werden so im Radio gespielt!“ Easy hibbelte trotz der Hitze unruhig herum. „Na ja, Regen wäre schon nett...“ Jack seufzte und klappte das Buch zu. Am besten ließ man sich bereits jetzt auf diese dämliche Sache ein, dann funktionierte das alles schon irgendwie und sie waren vielleicht vor dem Abendessen wieder zuhause... „Pack den MP3-Player ein, Easy, Chris, leg die Gitarre weg, wir finden raus, was das heißt.“ „Au ja!“ Easy jubelte und rannte bereits rein, um ihre tragbare Musikuntermalung einzustecken – natürlich nicht, ohne sich vorher zu versichern, dass dieses Lied auch wirklich dort drauf war. Keine zehn Minuten später brach die Band auf, wenn auch nicht so wirklich zielgerichtet. Jack hatte mich zuvor noch angepflaumt, warum ich Easy immer solche Flausen in den Kopf setzen würde, aber ich konnte wirklich nichts dazu. Ich hatte darüber gegrübelt, wer in den fünfziger Jahren Torwart des VfB Stuttgart gewesen war – und meine Ideenblitze waren alle ganz artig angeschnallt gewesen. Ergo: Ich war unschuldig. Easy brauchte schließlich keine Muse, um Unsinn auszuhecken. Das gelang ihr auch so ganz gut. Eine halbe Stunde später, nachdem sämtliche Passanten, Taxi- und Busfahrer nach dem Weg zum Monsun und ans Ende der Welt gefragt worden waren, machte sich die Band wieder auf den Weg Richtung heimischer Garten. „Wir müssen anders vorgehen“, sagte Chris entschieden. „Logisch.“ „Oh, du sprichst von Logik?“ Jack grinste süffisant. „Hey, dann mach du doch, Jack-O!“, fauchte der Gitarrist zurück. Ihm war heiß, er hatte Durst und er fand die ganze Idee absolut bescheuert. Easy allerdings war Feuer und Flamme und ehe sie sich allein ins Abenteuer stürzte, war es doch sinnvoller, sie zu begleiten. „Wir schnappen uns den Songtext und arbeiten uns durch. Was sollten wir denn sonst tun?“, gab Jack großkotzig zurück, schmiss den Rechner an und suchte per Google die nächste Tokio Hotel-Fansite. „Okay... Also los.” Sie beugte sich vor den Monitor, Chris und Easy schauten ihr begierig über die Schulter. Das Fenster öffnet sich nicht mehr Hier drin ist es voll von dir und leer Und vor mir geht die letzte Kerze aus Ich warte schon ne Ewigkeit Endlich ist es jetzt soweit Da draußen ziehn die schwarzen Wolken auf „Und, und, und, und, und?“, hibbelte Easy, während Chris hilflos die Augen rollte. „Netter Text, schön mysteriös für Teenies, aber sonst...“ Er zuckte die Schultern. „Mhm...“, machte Jack. „Mhm...“ „Warum machen wir das nicht einfach nach? Wir sorgen dafür, dass ein Fenster nicht mehr aufgeht, und zünden eine Kerze an, die dann ausgeht“, fragte Easy vollkommen naiv. Die beiden anderen sahen sie und grinsten dann. „Klar. Probieren wir es aus.“ Drei Minuten später war ein Fenster so verrammelt, dass sich die Griffe unmöglich bewegen lassen würden, ohne das dicke Klebeband vorher mühsam abzufummeln. Die drei hockten sich davor und beobachteten einen kleinen brennenden Kerzenstummel, der tatsächlich die letzte Kerze im Sorglospunkshaushalt war. Kiwi hatte die anderen zu Wachsschnipseln verarbeitet. Nun saßen sie dort und warteten. Und warteten und warteten und warteten. Gerade als die drei dabei waren, einzunicken, zischte es leise und die Kerzenflamme erlosch. Drei Augenpaare richteten sich auf das Fenster und sahen dort mit offenem Mund, wie schwarze Wolken über den Horizont rasten. Die dunkle Wolkenwand kam immer näher und türmte sich bedrohlich über den netten Vorstadthäusern auf. „Wow!“ Easy klebte schon an der Fensterscheibe. „Wahnsinn...“, murmelte Chris leise. „Unheimlich“, fügte Jack hinzu. „Und jetzt?“ Easy wirbelte herum und sah die beiden an. „Wie geht es weiter?“ Sie sprinteten zum Computer zurück, lasen die nächste Strophe. Ein halber Mond versinkt vor mir War der eben noch bei dir? Und hält er wirklich was er mir verspricht? Ich weiß, dass ich dich finden kann Hör deinen Namen im Orkan Ich glaub, noch mehr dran glauben kann ich nicht „Wie soll man denn bei dem Sauwetter noch nen halben Mond sehen?“ Jack schüttelte den Kopf. „Vollkommen unlogisch!“ „Ja...“ Easy ließ den Kopf hängen. Vollkommen unlogisch und unmöglich. Wie dumm... So würden sie nie den Weg zum Ende der Welt finden... „Hey!“ Chris grinste und schnappte sich eine Taschenlampe. „Schaut auf die Wand!“ Die beiden Schwestern taten, was er sagte und sahen fasziniert zu, wie ein halber Mond auf der Wand erschien. „Genial!“ „Fenster auf, Fenster auf!“, schrie Easy kurz darauf. „Wir müssen den Wind hören!“ Die drei stürzten zum Fenster und unter lautem Fluchen riss Chris das Klebeband ab und das Fenster auf. Die starke Windböe riss die drei von den Füßen und ließ sie rücklings auf den Teppich krachen. Wind heulte. „Da, ich hab’s gehört!“ Easys Stimme war in dem Sturm kaum zu verstehen. „Er hat Sorglospunks gerufen! Ich habe es ganz genau gehört!“ „Wie geht es weiter?“ Chris sah Jack an, die sich zu dem Monitor durchkämpfte. „Ich kämpf mich Durch die Mächte hinter dieser Tür Werde sie besiegen Und dann führn sie mich zu dir Dann wird alles gut Dann wird alles gut Wird alles gut Alles gut!“, brüllte sie durch den Wind zu den beiden anderen sorglosen Punks herüber. „Wir müssen raus!“, rief Easy zurück. „Und dann?“ Chris sah wieder zu Jack. „Ich muss durch den Monsun Hinter die Welt, ans Ende der Zeit Bis kein Regen mehr fällt Gegen den Sturm, am Abgrund entlang Und wenn ich nicht mehr kann denk ich daran Irgendwann laufen wir zusamm' Weil uns einfach nichts mehr halten kann Durch den Monsun Durch den Monsun Dann wird alles gut!“, zitierte Jack. Also raus und durch den Regen. Bei dem Wetter... Nun, das würde interessant werden. Schön, dass Musen Entitäten sind, die einen Mist auf das Wetter geben können. Mir würde der Regen nicht zu schaffen machen, dem Rest allerdings... Easy war schon aus der Tür und rannte los, Jack war ihr dicht auf den Fersen und Chris dachte immerhin daran, den Haustürschlüssel mitzunehmen und die Tür nach sich zuziehen. An eine Regenjacke oder einen Schirm dachte natürlich keiner der drei. Hätte mich aber auch ernsthaft überrascht. Die drei Sorglospunks rannten durch einen Regen, bei dem man die Hand vor Augen kaum noch sehen konnte. Er fiel so dicht, dass er einem schier die Luft zum Atmen nahm. Wasser war überall und die drei waren innerhalb eine Sekundenbruchteils vollkommen durchweicht. Da hätten wohl auch Schirm und Jacke kaum etwas genützt, wie ich einräumen musste. Wenigstens war es immer noch warm und nicht kalt. Ansonsten hätte ich Nifen vermutlich gleich die Eingebung eines spontanen Krankenbesuchs geben können... Der Regen rauschte, der Wind peitschte ihnen erbarmungslos entgegen, dazu die Hitze und das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Man konnte die eigenen Gedanken gar nicht mehr hören. Easy keuchte leise vor sich hin und lief weiter. Jack hatte ihr nasses T-Shirt am Saum gepackt und taumelte mehr, als dass sie lief, hinter ihrer Schwester her. Chris hatte sie wiederum ihre andere Hand gereicht, damit sie sich nicht verloren. Irgendwie... veränderte sich alles um sie herum. Das hier schien nicht mehr ihre normale Stadt zu sein. Das hier wurde jetzt langsam zu etwas anderem. Etwas vollkommen anderem. Es wurde unheimlich. Und dann hörte der Regen auf einmal auf. Jack riss Easy im letzten Moment zurück, ehe sie blinzelnd ob der plötzlichen Helligkeit den Abgrund herunterfallen konnte, der sich plötzlich vor ihnen auftat. Strahlend blauer Himmel spannte sich vor ihnen über den Horizont – dahinter lag nächtliche Schwärze, in der einzelne Sterne glitzerten. Easy blickte nach unten. „Oh.“ Donnernde Wassermassen schossen um das kleine Kliff herum und über eine Kante hinab in die Unendlichkeit. „Sieht nach dem Ende der Welt aus.“ Chris sah sich um. Die Regenwolken hatten sich etwas zurückgezogen, aber verhinderten einen weiteren Blick auf den Weg, den sie zurückgelegt hatten. Eine dichte Regenwand war das einzige, was er dort sehen konnte. „Ziemlich.“ Jack nickte und blickte sich ebenfalls neugierig um. „Und jetzt?“ „Na, jetzt wird alles gut!“ Easy strahlte in die Runde. „Äh... Ja...“ Jack zuckte die Achseln. Toll, da hatten sie das Ende der Welt erreicht und jetzt keinen Plan, was sie hier machen sollten, damit wirklich alles gut wurde. Das verriet dieses dämliche Lied nämlich nicht! „Ah, da seid ihr ja. Ich wusste doch, dass ihr meinen Hinweis verstehen würdet“, sagte plötzliche eine nur allzu vertraute Stimme hinter den dreien. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, hatte ich doch schon lange vermutet, wer hinter dieser Schnitzeljagd steckte. Es gab schließlich nur einen, der eine solche Art von Humor besaß. „Chiiiiii!“ Easy quietschte begeistert auf und fiel dem Teufel um den Hals. „Vorsicht mit den Flügeln“, sagte Chibichi, der leibhaftige Teufel, nachsichtig. Auch wenn sie eindeutig weiblich war, war sie doch der Teufel. Das war eine Sache des Rufs und des Managements, wie sie mir mal gesteckt hatte. „Und warum hast du uns dieses Puzzle beschert?“ Jack blickte den Teufel skeptisch an. Zwar hatte Chibichi ihnen schon manchmal ein paar nette Auftritt beschert, aber das hier... „Nun, hier gibt es schon einige Leute, die euch gerne mal hören würden. Allerdings... ist es zu eurer Zeit nicht unbedingt allen immer möglich, sich Zeit für ein Konzert zu nehmen, also habe ich euch mit einem kleinen Trick teuflischer Kräfte hergebracht.“ Ich runzelte die Stirn. Klar... Ein magischer Vorhang aus Regen um zu verhindern, dass die drei bemerkten, was genau mit ihnen geschah. Sehr geschickt. Ich nickte anerkennend. Wirklich sehr geschickt. Gerade Regen war ja etwas, was man nicht unbedingt vom Teufel erwartete. „Das heißt?“ Chris kratzte sich verwirrt den nassen Haarschopf. „Ihr seid durch die Zeit gelaufen. Ans Ende der Zeit, genauer gesagt. Das hier ist das Ende der Welt und das Ende der Zeit“, erklärte Chibichi. „Hä?“ Easy verstand gar nichts mehr. Dem Teufel war anzusehen, dass es ihr äußerst schwer fiel, noch einen Gang weiter runterzuschalten. „Also, ihr habt eine Zeitreise gemacht, während ihr durch den Monsun gelaufen seid. Ihr seid an das Ende der Zeit gelaufen, denn hier wird die Zeit enden und nur noch die Ewigkeit verbleibt. Außerdem seid ihr gleichzeitig ans Ende der Welt gelaufen. Dieser Ort ist hier. Und gleichzeitig ist es ein Zeitpunkt, denn die Welt hört hier auf zu sein. Klar soweit?“ Chris und Jack nickte und auch Easy bewegte den Kopf langsam auf und ab. „Und wer will uns hier hören?“, griff Jack die praktischen Dinge gleich wieder auf. „Alle.“ Chibichi grinste breit. „Einfach alle.“ „Kannst du dich ein klein wenig präziser ausdrücken?“, hakte Chris nach und runzelte die Stirn. Er kapierte noch immer nicht alles. „Ach, kommt einfach mit.“ Chibichi ging mit wehenden Flügeln voran und die Band folgte ihr neugierig. Schon nach ein paar Wegesminuten erreichten sie ein kleines Amphitheater. Sobald sie es betreten hatten, brach auf den Rängen regelrecht die Hölle los – und der Himmel gleichermaßen. Mit offenem Mund starrten die drei Sorglospunks ihre Zuschauer an. Dort saßen Dämonen, Imps und Feuergeister friedlich neben Engeln, Erzengeln, Wolkenelementen, Feen und Göttern. Zeus warf einen Blitz in die Luft, als er die Sorglospunks erscheinen sah, und Thor ließ begeistert einen Donnerschlag los. Der Sonnengott Ra schickte ein Aufgleißen der Sonne, während die Katzengöttin Bast huldvoll nickte. Die Erdgöttin Urasch und der Himmelsgott An unterbrachen kurz ihre Turtelei, um uns zuzujubeln. Virachonta sprang auf und wedelte begeistert mit beiden Händen, um auch ja einen kurzen Augenblick der Beachtung zu finden. Bishamon schnippte kurz mit den Fingern und als Zeichen seiner Wohlgesonnenheit sprossen auf einmal vierblättrige Kleeblätter um die Band herum aus dem Boden. Kali klatschte in ihre acht Hände und schuf damit schon allein einen ganz einzigartigen Effekt. Die drei berühmtesten Erzengel, Michael, Gabriel und Raphael, erhoben sich und zogen ihre Feuerschwerter als Zeichen des Respekts. Luzifer, der gefallene Lichtbringer, der stets mit dem Teufel verwechselt wurde, schenkte uns einen Regen aus leuchtenden Sternen. Selbst meine Musenkolleginnen waren da und warfen mir neidvolle Blicke zu. Auf einmal wollte jede von ihnen an meiner Stelle sein, obwohl sie sich alle ursprünglich davor gedrückt hatten, diesen Auftrag zu übernehmen, und ich als einzige bereit gewesen war, dieses Risiko einzugehen. Verdammt, das schmeichelte dem Ego wirklich. Chibichi klatschte in die Hände und schlagartig wurde es still. Aus dem Nichts erschienen die Instrumente und das sonstige Equipment der Band. Jetzt machte ich auch Nifen in der ersten Reihe zwischen Luzifer und Raphael aus. Sie grinste über das ganze Gesicht. „Und nun werden wir dem langerwarteten Konzert der Sorglospunks lauschen!“ Damit war die Bühne frei für die Band. Und sie legte mit Begeisterung los. Erst die beiden Bandhymnen, dann das gesamte Repertoire an Songs, das sie bisher aufzubieten hatten. „Und jetzt, nur für euch – ein neuer Song!“ Ich grinste breit, während Chris und Jack sich innerlich auf die übliche Spontaninterpretation einstellten. Die Ideenblitze sausten nur so aus meinen Händen, während Easy die Hände fester ums Mikro legte und dann sang. „Wir haben das Fenster geschlossen, die Kerze entzündet. Wir haben gewartet, bis sie erlosch. Wir haben die Wolken aufziehen sehn, Ganz dunkel und ganz schwarz. Einen halben Mond hat die Taschenlampe gemacht. Wir haben ihn sinken sehn. Wir haben den Wind eingelassen und ihn unsern Namen brüllen hören: Sorglospunks! Wir haben uns gekämpft mitten durch den Monsun. Gegen den Wind, gegen den Regen, Ohne Sicht und ohne Luft! Und jetzt sind wir hier! Am Ende der Welt, am Ende der Zeit und rocken die Welt! Wir rocken die Welt! Denn wir sind Sorglospunks! Wir sind immer da! Hinter dem Ende der Welt, am Ende der Zeit bis in alle Ewigkeit!“ „Ja, wir rocken die Welt!“, rief Easy und fuhr aus dem Schlaf hoch. „Was?“ Jack schaute sie irritiert an. „Wie...? Was...? Wir waren doch gerade noch am Ende der Welt.“ Easy schleckte verwirrt ihre eisverklebten Finger ab. „Du hast gepennt, Easy“, sagte Chris trocken. „Oh. Also keine geheime Botschaft in ‚Durch den Monsun’?“ Enttäuscht zog sie einen Flunsch. „Quark.“ Jack schüttelte den Kopf. „Das haben sie zum Glück noch gar nicht gespielt.“ „Schade...“ Easy seufzte tief und versenkte sich wieder in ihr VfB Stuttgart-Rätsel. Die Enttäuschung war ihr nur zu deutlich anzusehen. Doch dann ließ sie das Rätsel plötzlich Rätsel sein und notierte hektisch den Text für das Weltendelied. Das war zumindest vollkommen real! „Sie tut mir Leid“, murmelte ich leise und sah zu dem Teufel, der in geschrumpften Unsichtbarkeitszustand neben mir auf der Wolke saß. „Mir doch auch.“ Chibichi seufzte ebenfalls. „Aber noch würden die drei diesen Erfolg nicht verkraften. Oder meinst du, ihnen würden Menschen auf Dauer als Publikum reichen, wenn sie Götter, Engel und Dämonen begeistern konnten?“ Ich dachte an Aphrodite, die sich als Chris-Groupie erwiesen hatte, an Easy heftigen Flirt mit Erzengel Raphael und Jacks Diskussion mit Freya, Hera und Bast. „Nein, wohl nicht. Jetzt freuen sie sich wenigstens über jedes Publikum.“ „Eben.“ Chibichi grinste. „Und wir wissen, dass sie Götter, Engel, Dämonen und all die anderen zum Tanzen bringen können.“ Ich lächelte und prostete ihr stillschweigend mit meinem Eistee zu. Kapitel 12: Sorglos-Country-Punks --------------------------------- „Ihr habt einen Auftritt!“ Nifen stürmte voller Begeisterung in das Wohnzimmer der bisher eher mäßig erfolgreichen Band mit dem eigenwilligen Namen Sorglospunks. „Wo ist der Haken?“, erkundigte sich Jack und legte in aller Seelenruhe ihre Zeitschrift über die Heilwirkung von Plüschtieren beiseite. Sie hatte gehofft, dass man auf diesem Wege vielleicht die ganzen Alienplüschkiwiklone in der Wohnung vermarkten konnte. „Genau. Eine Werwolfhöhle? Ein Weihnachtsmarkt? Was ist es diesmal?“, hakte auch Chris nach und ließ das Poliermittel für seine Gitarre sinken. Noch nicht einmal Easy sprang vor lauter Begeisterung auf, sondern sah die Bandmanagerin skeptisch an. Nun, verdenken konnte man es der Band wirklich nicht. Nifens Durchforsten ihrer Spammails und ihrer Nicht-Spammails trug manchmal etwas seltsame Blüten... Aber andererseits hatte einer der auf diesem Wege organisierten Aufträge ja schon zu dem ersten – mittlerweile mit rund 4.000 Klicks sogar relativ berühmten – Youtube-Video geführt. Noch etwas dieser Art war definitiv erstrebenswert. „Oh, nichts weiter. Es ist ein kleines Scheunenfest rund hundert Kilometer von hier“, lautete Nifens Antwort. Nun, das war an sich nichts Schlimmes. Hundert Kilometer von hier? Scheunenfest? Klang nach irgendeinem kleinen Kaff mitten im Nirgendwo. Gut, Easys Begeisterung für Landluft konnte das ja nur entgegenkommen... Und die Band konnte einen weiteren Auftritt definitiv gebrauchen, war der letzte doch schon wieder eine Weile her. Mal ganz abgesehen davon, dass sich das finanzieller Hinsicht ganz gut machen würde. Ergo schubste ich ein paar Motivationswölkchen los, um die Band ein wenig auf die Beine zu bekommen. Allerdings nicht, ohne Nifen einen skeptischen Blick zuzuwerfen. „Wer wird da unser Publikum sein? Sprechende Kürbisse?“, fragte Jack gerade giftig. „Oh, nein, richtige Menschen.“ Nifen lächelte fröhlich. „Ihr seid allerdings nicht der Headliner, sondern die Vorband...“ „Und für wen?“, kam von Chris sofort die neugierige Gegenfrage. Vorbands waren bekannterweise auch schon unglaublich berühmt geworden. „Mhm und Mhm“, nuschelte Nifen. „Was?“ „Chuck & Chuck.“ „Sagt mir nichts.“ Chris zuckte mit den Schultern. „Ist auch nicht weiter wichtig. Hauptsache, euch hören Leute. Also: Wollt ihr?“, fuhr Nifen schnell fort. „Okay.“ Jack zuckte mit den Schultern und sah, wie auch die anderen beiden Bandmitglieder nickten. „Fein. Dann seid in fünf Minuten abfahrbereit. Das ist nämlich der Haken: Ihr spielt heute Abend.“ Eine hektischen Aufbruch, bei dem erst das Schlagzeug vergessen wurde, dann die Triangel, dann die überlebensnotwendige Gitarrenpolitur und schlussendlich das Bandmaskottchen, sowie eine hektische Autofahrt später, bei der wiederum rund jede Autobahnraststätte und später dann jeder zweite Supermarkt angesteuert werden mussten, weil irgendjemand etwas Überlebensnotwendiges brauchte, erreichte der – geliehene – Bandbulli den Bauernhof, auf dem das Scheunenfest stattfinden sollte. „DAS sind Chuck & Chuck?“ Jack starrte mit offenem Mund auf das riesige Plakat, das die Seitenwand der Scheune schmückte. „Oh“, entfuhr es Chris, während Easy einen Lachanfall bekam. „Das machen wir auch mal, ja? Ja, ja, ja, ja?“ „Vergiss es!“ Jack stemmte empört die Hände in die Hüften. „Ich renne mit Sicherheit nicht als überdimensionales Küken durch die Gegend!“ Denn exakt das war das Bühnenoutfit von Chuck & Chuck: mannsgroße, knallgelbe und äußerst flauschige Kükenkostüme. Und da sie nur eine Zweimannband waren, spielten sie nahezu alle Instrumente selber, was akut an die jungen Jahre von Bob Dylan erinnerte. „Ich find’s cool!“ Easy lachte über das ganze Gesicht, während ihre Zwillingsschwester noch immer fassungslos den Kopf schüttelte und Chris zu überlegen begann, ob der Auftritt als Vorband für so etwas nicht doch eher negative Auswirkungen auf ihre künftige Karriere haben würde. Vermutlich schon. Wer trat schon als Vorband für Küken auf? „Äh... Habt ihr ein Problem mit einem Countryoutfit?“, ließ sich Nifen in dem Moment vernehmen. „Country???“ Jack wirbelte herum. „Wir sind Punks!“ Eine große Packung nervenberuhigender Schokolade sowie eine Megapackung Kaffee zwecks Aufmunterung später war die Band umgezogen – im Countryoutfit. Chris rückte missmutig seinen Cowboyhut zurecht, während Jack an ihren Stiefeln zerrte. „Die drücken“, moserte sie herum, während sich Easy vor dem Spiegel in ihrer kleinen Umkleide drehte. „Der Rock ist toll!“, jubelte sie und bewunderte den Fransenwirbel aus Türkis und Silber. Immerhin war wenigstens einer der Sorglospunks glücklich und zufrieden. „Okay... Jack, kannst du zwischendurch ein bisschen Mundharmonika spielen? Das macht den Sound etwas mehr countryig“, schlug Nifen vor, was dafür sorgte, dass Jacks Laune noch mehr in den Keller sackte. „Wir sind Punks!“ „Na und? Punk heißt auch, rebellisch zu sein – und wie kann man am besten gegen irgendwelche Schubladen rebellieren, indem man sich nicht anpasst und nicht das tut, was von einem erwartet wird?“, entgegnete Nifen. „Hä?“, kam es daraufhin von Chris, der damit zum Ausdruck brachte, was auch die beiden weiblichen Bandmitglieder dachten. „Also“, seufzte Nifen und zupfte an ihrem Jackett. „Es ist doch an sich ganz einfach: Ihr seid Punks. Sorglospunks, aber immerhin Punks. Die Leute dort drüben in der Scheune erwarten Punks – und das ist vermutlich nicht gerade die Musikrichtung, die die meisten von ihnen bevorzugen. Ihr könnt jetzt ihre Erwartungen ganz simpel über Bord werfen, indem ihr ihnen auch eine andere Seite von euch präsentiert, oder aber ihr könnt mit exakt diesen Erwartungen konform gehen und jegliche Rebellion fallen lassen.“ Meine Augenbraue wanderte nach oben. Also, das nannte man mal geniale Manipulation. Geht raus und seid Punks, dann seid ihre sture Kommerzpunks – oder geht raus und macht ein bisschen auf Country, dann seid ihr rebellische Punks, die ihre Punkmusik für ein Publikum aufgeben. Ähm, ja. „Vielleicht. Wenn wir Lust drauf haben“, lenkte Jack ein und in ihren Augen glitzerte es wissend. „Wir verkaufen uns schließlich nicht. Wir haben noch nicht einmal dem Teufel unsere Seelen verkauft und dessen Angebot war besser. Also machen wir das auch nicht bei irgendwelchen dummen Countryfans.“ „Genau!“ Easy wusste zwar nicht genau, worum es ging, aber Jacks Worte klangen gut. Nifen seufzte. „War ja nur ein Vorschlag, Mädels. Haut sie von den Socken, ja?“ Damit war also eine mögliche Anpassung der Band an irgendwelche Regeln, die jenseits ihrer eigenen lagen eindeutig von der gedanklichen Testliste zu streichen. Wieder ein Punkt, der bei der Auswahl einer möglichen Plattenfirma zu berücksichtigen war. Die drei würden sich wohl kaum jemals in irgendetwas reinreden lassen – was die Auswahl an möglichen Interessenten vermutlich drastisch reduzieren würde. Hey, aber punk sorglos! Irgendwie wurde das schon. Jack entschied sich schlussendlich doch, bei den ‚Melancholischen Tomaten’ anstelle ihres Schlagzeugsolos mit der Mundharmonika loszulegen und riss damit die Zuschauer – die übrigens alle das klassische Cowboy-Countryoutfits mit entsprechenden Stiefeln, Hüten und Hemden trugen – vollends mit. Easy ließ sich sogar darauf ein, den Refrain gefühlte zweihundertmal zu dem Mundharmonikasound zu bringen – und das Publikum klatschte begeistert mit und sang schließlich sogar aus vollem Hals. Genauso großartig kam ‚Looking for Kaffee’ an, bei dem Chris schließlich den Refrain derart lautstark mitsang, dass Easy ihm schließlich sogar das Mikro überließ und sich selbst die Mundharmonika krallte. Zwar geriet die Melodie dadurch etwas daneben, aber das machte nichts, war die Stimmung doch schließlich einfach perfekt. Entsprechend war die Band nach ihrem knapp 45minüten Auftritt vollkommen außer Atem und fiel in dem Backstagebereich vollkommen kaputt auf die einsame durchgesessene Couch. „Ihr ward großartig!“, kam da auch schon Nifen und schwenkte ihre Videokamera. „Diese Version von ‚Looking for Kaffee’ wird euer nächster Clip bei Youtube! Außerdem habt ihr jetzt euer erstes richtiges Livematerial!“ „Cool.“ Easy grinste schwach, war sie doch gerade viel zu erledigt, um jubelnd durch die Gegend zu springen, wie sie es sonst getan hätte. Die Sorglospunks relaxten noch eine Weile, bis sie sich in die Scheune schlichen und dort an einem der Tische Platz fanden. Erstens gab es hier leckeres Essen und Getränke und zweitens konnte man die potenzielle spätere Konkurrenz um die Chartränge beobachten. Wie das Plakat bereits angekündigt hatte, spielten Chuck & Chuck wirklich in Kükenkostümen – mit coolen Sonnenbrillen – und einer Bob-Dylan-Instrumentkombination. Trommel auf dem Rücken, Mundharmonika vor der Nase, der eine der beiden spielte Gitarre, der andere eine Fiedel nach bester Westernmanier. Und sie rockten wirklich, zwar countrymäßig, aber sie rockten. Über Hühner, über Eier, über Kühe, über Ziegen, über Bauernhäuser, über Sonnenuntergänge, über die Wüste, über Westernhelden... Nun, über das, was man von solch einer Band eben erwarten konnte. „Und wir möchten uns an diesem heutigen Abend bei unseren großartigen Mitstreitern bedanken!“, schallte es nach einer Weile aus dem Mikro. Chuck eins – der mit der Fiedel – hatte es sich geschnappt. „Als kleines Dankeschön möchten wir diese großartige Band zu uns bitten – und hoffen, dass sie mit uns gemeinsam ein kleines Stück improvisieren. Bitte, feuert sie an!“ Und das tat das Publikum. Drei verwirrte Sorglospunks sahen sich erst gegenseitig an, dann Nifen, dann... mich. Easy sprang schließlich auf und jubelte: „Klar! Wir sind dabei!“ Jack war wenig später auf den Beinen und dann auch Chris, der seufzend seine Pommes Pommes sein ließ. Musik ging schließlich vor. Keine zwei Minuten später stand Easy neben Chuck eins auf der Bühne und langte nach dem Mikro. „Ich kenne euer Youtube-Video, also weiß ich, was du kannst“, raunte dieser ganz leise. „Mach einfach genau das: improvisieren. Wir zwei kommen schon mit. Und bei der zweiten Runde vom Refrain bin ich dabei.“ Sprach’s und überließ Easy das Mikro. – Und mir damit die Sache mit der Inspiration. Meine Blitze sausten nur so los und in diesem Fall bezog ich die zwei Megaküken auch mit ein, schließlich sollten diese ja hier kein Desaster auslösen. „Hier sind wir jetzt In eurer Scheune Sorglospunks Hand in Hand mit Chuck & Chuck!“, stellte Easy als erstes den Refrain vor, damit Chuck eins und Chuck zwei sie auch ganz sicher nicht im Stich ließen. Schließlich bestand so eine Gemeinschaftsmusikaktion ja auch aus mehreren Stimmen! „Mitten durch das wilde Schwabenland führte uns unser Weg Zu einem kleinen, kleinen Hof! Mitten im großen Nirgendwo fanden wir, fanden wir euren kleinen, kleinen Hof! Hier sind wir jetzt In eurer Scheune Sorglospunks Hand in Hand mit Chuck & Chuck!” Easy wirbelte um ihre eigene Achse und ließ ihren Fransenrock fröhlich schwingen. Chuck eins und Chuck zwei hopsten bereits wild über die Bühne und auch Chris ließ sich langsam davon anstecken. Jack hatte dem Schlagzeug eh schon eine Ruhepause gegönnt und gab auf der Mundharmonika alles. „Yeah, wir sind hier! Haben euch gefunden, mitten im großen, großen Nirgendwo! Und in dieser Scheune, rocken wir los, punken wir los countryen wir los! Hier sind wir jetzt In eurer Scheune Sorglospunks Hand in Hand mit Chuck & Chuck!” Der Abend endete mit einer riesigen Party. Irgendwann wurde Musik aus der Dose aufgelegt und Easy lieferte sich einen lustigen Countrytanz mit Chuck eins, der unter seinem Kükenkostüm gar nicht so übel aussah. Chuck zwei nutzte die Gelegenheit, mit Chris um die Wette zu trinken, und Jack diskutierte mit Nifen heftig über die Gradwanderung zwischen Mainstream, Kommerzpunk und künstlerischer Freiheit. Selbst das Bandmaskottchen Kiwi, das sich direkt nach der Ankunft in die Wiesen verdrückt hatte, ließ sich wieder blicken – mit einem ganz kugelrunden Bauch und großen Augen, die sagten, dass sie in den nächsten Wochen freiwillig keine Ratten mehr sehen wollte. Kapitel 13: Groß in Japan ------------------------- „Juhu!“ Der laute Jubelschrei drang aus Nifens Büro durch die gesamte Sorglospunks-WG. Es war allerdings nicht Nifen, die so laut jubelte, denn diese saß neben Easy und Jack im Wohnzimmer auf dem Sofa und versuchte Chibichi klarzumachen, dass selbst Teufel keinen Freibrief zum Schummeln bei Sorglospunk-ärgere-dich-nicht hatten. Easy hatte das Spiel umbenannt, nachdem Jack in einem akuten Kreativitätsanfall kleine Spielfiguren gebastelt hatten – Chris besaß somit kleine Gitarren, Easy kleine Mikros, Jack selbst Miniaturblockflöten und Nifen Mini-Handys. Für Chibichi arbeitete sie noch an den eigenen Spielfiguren. Ich besaß keine – denn Musen spielen nicht. Vielmehr lieferte ich den Spielern immer lustige Ideen für zwischendurch. Das war meine Art mitzuspielen. „...äh“, meinte Jack, nachdem das Gejubel eine halbe Stunde andauerte. „Meint ihr, wir sollten mal nachsehen, was los ist? Nicht, dass er noch irgendein Onlinekasino aufgetrieben hat und unser schwer verdientes Geld verspielt.“ „Bloß nicht! Das ist für Kaffee und Schokolade!“ Easy war entsetzt. Doch bevor die Band gen Büro stürmen konnte, schoss Chris aus demselben. Jubelnd, jauchzend und mit derartigen Luftsprüngen, dass er mit dem Kopf gegen den Türrahmen knallte, ins Stolpern kam, Kiwi ihm zwischen die Füße geriet und er einen Bruchlandung auf dem Couchtisch hinlegte – Jack hatte gerade noch das heißgeliebte Spiel wegreißen und retten können. Doch so etwas hielt einen Chris doch nicht auf. Einen Sekundenbruchteil später hopste er schon wieder durch den Raum, diesmal allerdings ein klein wenig vorsichtiger und mit einem minimal schmerzverzehrten Gesicht. „Verrätst du uns, was dich so erfreut?“, brachte Chibichi die Sache auf den Punkt. „Wir fliegen nach Japan! Wir fliegen nach Japan!“, begann Chris in dem Augenblick zu singen und machte damit sehr deutlich, warum Easy die Frontfrau der Band war. „Tun wir?“, fragte diese auch schon verwirrt, während Jack den offenen Mund zuklappte. Sie hatte das Gleiche fragen wollen. „Äh, Chris, wie wäre es mit mehr Infos?“, bat Nifen vorsichtig. „Ich habe an einem Preisausschreiben mitgemacht und gewonnen! Wir fliegen nach Japan!“ Gut, so wirklich viele Infos waren das noch nicht und ganz behutsam zielte ich mit einem Ideenblitz auf Chris, um ihn dazu aufzufordern, doch mal endlich mit der Sprache rauszurücken. Nur einen winzigen Augenblick später sprudelten die Worte nur so aus ihm heraus und ich pustete liebevoll den Rauch von der Spitze meines Lieblingsblitzes. Ging doch. Und Chris erzählte und erzählte und erzählte. Dass er nicht warten wollte, bis er endlich genug Geld gespart hatte, um seine Internetbekanntschaft Umeko in Japan besuchen zu können und dass er daher bei einem Preisausschreiben teilgenommen und eine Reise gewonnen hatte. Für vier Personen, was wunderbar passte, denn damit war die ganze Band untergebracht – Teufel und Muse konnten natürlich unsichtbar und unentgeltlich reisen – und man könnte doch auch gleich versuchen, den japanischen Markt zu erobern. Easy würde doch sicher im Flugzeug ein paar Brocken Japanisch lernen können... Schließlich reichte es Nifen und die praktische Managerin wollte die Unterlagen sehen. Und sie fand nichts daran auszusetzen. Gerade als sie diese jedoch zur Sicherheit noch Chibichi reichen wollte – wenn sich jemand mit fiesen Vertragstricks und dem Winzigkleingedruckten auskannte, dann wohl doch der Teufel höchstpersönlich –, winkte diese bedauernd ab. „Sorry, ich muss los.“ Ihr Handy vibrierte schon die ganze Zeit äußerst hektisch in ihrer Tasche und konnte langsam nicht mehr ignoriert werden. „George W. Bush drängt mir seine Seele nahezu auf und Sonderangeboten konnte ich noch nie widerstehen. Außerdem ist da noch so ein dummes Drama mit so einer Jungband... Nevada Tan – jetzt heißen sie auf einmal wieder Panik –, die ihren Vertrag annullieren will. Nichts als Ärger.“ Der Teufel seufzte und verabschiedete sich. Es hätte ihr natürlich sehr viel mehr Spaß gemacht, mit der Band auf den Japan-Trip zu gehen, aber die Pflicht ging dummerweise vor. Und somit gab es keine teuflische Analyse der Unterlagen. Nur eine langsam ausflippende Band. Easy und Jack hatten sich mittlerweile Chris’ Jubeltanz angeschlossen und Nifen verlor wenigstens einen Teil ihrer Skepsis. Sie brauchten nur mit diesem Gewinnschein, der daraufstehenden Codenummer sowie gepackten Koffern am nächsten Tag vor zehn Uhr bei einem Reiseunternehmen ihrer Wahl auftauchen und alles vorlegen. Der Rest würde dann automatisch passieren. Und da es ihnen ja geschenkt wurde... Warum nicht? Somit brach in der Sorglospunks-WG eine recht große Kofferpackhektik aus, die dadurch unterbrochen wurde, dass immer irgendjemand zu Nifens PC hetzte, um dort das aktuelle Wetter in Japan nachzusehen. Man wollte ja entsprechend vorbereitet sein – insbesondere, wenn man ausnahmsweise mal keinen Teufel dabei hatte, der am Wetter drehen konnte. Am nächsten Morgen war die Band samt Managerin und ihrer persönlichen Muse – mir – frühmorgens um halb neun auf dem Weg zu dem einzigen Reisebüro im Dorf. Erstaunlicherweise gab es kein Problem, als Nifen dort die Unterlagen auf den Tisch legte. „Ah, ja...“ Die Angestellte rückte ihre Brille zurecht und nickte. „Nehmen Sie noch einen Augenblick Platz, ich kümmere mich um alles.“ Und so war es auch. Nach einer halbe Stunde des Wartens stand ein Reisebus vor der Tür und die Sorglospunks wurden zum Einsteigen aufgefordert. Einige Reisende saßen bereits darin und quatschten fröhlich über ihre Reise nach Japan, etwas, das die Band ein wenig aufhorchen ließ. Nun gut, aber vielleicht gab es bei diesem Preisausschreiben ja Massengewinne. Warum auch nicht? Der Bus zuckelte langsam durch die Dörfer und bog irgendwann doch endlich auf die Autobahn ab. „Ah, endlich...“, murmelte Chris, der schon die ganze Zeit auf glühenden Kohlen saß und eigentlich nur noch in den Flieger und dann nach Japan wollte. Allerdings... fuhr der Bus an der Autobahnabfahrt zum Flughafen Stuttgart vorbei. Große Augen richteten sich auf das Abfahrtsschild, bis es entschwand. Die Hoffnung, dass der Fahrer sich vielleicht einfach nur vertan hatte und die nächste Abfahrt nutzen würde, erfüllte sich nicht. Genauso wenig die Hoffnung, dass der Abflug dann eben über den Frankfurter Flughafen stattfinden würde. Pustekuchen. Dafür stieg in Frankfurt ein junger Mann ein, der sich als Reiseleiter entpuppte und wenigstens für etwas Stimmung sorgte. Man erfuhr etwas über Japan, doch auf die Frage, welchen Flughafen man denn jetzt ansteuere, schwieg er sich aus. Easy seufzte irgendwann tief. „Ich sage euch, die fahren noch mit dem Bus bis Japan – oder aber die entführen uns.“ Das brachte ihr eine Kopfnuss von Jack ein, die ziemlich genau das Gleiche dachte, aber diese Gedanken nicht ausgesprochen hatte – und gar nicht ausgesprochen wissen wollte. Mir dagegen schwante so langsam etwas anderes. Japan, hm? Ich klaute mir von Nifen die Reiseunterlagen und zog meine Supervergrößerungslupe hervor. Eigentlich hätte ich das ja schon eher tun können, aber mich hatte ja niemand gefragt... ...ja! Musen können auch schmollen! Oha. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. Ja, nach Japan ging es ja schon irgendwie. Nur nicht zu dem Japan, das sich die Band vorstellte... Der Bus fuhr schließlich in Düsseldorf ab und hielt mitten in der Innenstadt. „Willkommen in der größten japanischen Gemeinde Kontinentaleuropas!“, verkündete der Reiseleiter und machte sich sichtlich bereit, die Beine in die Hand zu nehmen. Schien, als wenn dieser Gewinn schon häufiger nicht so gut angekommen war. „Wir wollten doch nach Japan!“ Chris war den Tränen nahe. Keine Umeko! Nein, keine Umeko in Reichweite! Er seufzte zum Steinerweichen. Jack klopfte ihm tröstend auf die Schulter und blickte Easy, Nifen und mich hilfesuchend an. „Nun... Wir können wenigstens Düsseldorf unsicher machen!“ Easy strahlte über das ganze Gesicht. Sie musste kein Japanisch mehr lernen! Dem Gewinn sei dank! Und außerdem... „Wir sind hier im Pott, Leute! Hier ist alles cool! Wir sind im Pott!“ Und damit hopste sie jubelnd durch die Gegend. Nifen dagegen seufzte ebenfalls. Sie hatte hier also ein deprimiertes Bandmitglied, eins, das gerade vor Begeisterung durchzudrehen drohte und auf die Königsallee stürmen wollte, und eins, das Gefahr lief, zum Doppelmörder zu werden. „Los, wir schauen mal, dass wir hier ein Straßenkonzert geben können.“ Das schien am besten, um die Stimmung zu retten. „Und für deine Umeko filme ich das, dann sieht sich dich in Klein-Japan für sie spielen, okay?“ Damit war Chris beruhigt und Easys Hyperaktivität wurde durch die Aussicht auf einen Auftritt sofort gebremst – und damit war auch Jack nicht mehr akut gefängnisgefährdet. Wunderbar. Drei Fliegen mit einer Klappe erwischt. Dafür war sie ja schließlich die Managerin. Einige Telefonate später war alles klar. „Okay, wir dürfen in der Altstadt spielen.“ „Wow, wie hast du das gemacht?“ Easy sah Nifen mit großen Augen an. „Och, ich habe nur dafür gesorgt, dass Chibichi ein paar Leute daran erinnert, dass sie ihr noch einen Gefallen schulden.“ Nifen grinste breit. „Wir kennen doch den Teufel, für uns ist nichts unmöglich!“ Gut, außer einem Flug nach Japan, ohne dafür Geld zu bezahlen. Die Band zog also los Richtung Altstadt und Fußgängerzone. Dort war heute garantiert so einiges in Sachen shoppingfreudigem potenziellen Sorglospunkspublikum los und entsprechend würde es sicher auch so einige Zuschauer geben. Schnell war eine geeignete Ecke vor einigen jungen Geschäften gefunden, deren Ladeninhaber nicht sofort einen Anfall bekamen, als die Band ihren Miniverstärker aufbaute und die Sorglospunksfrontfrau um Strom bettelnd hereinkam. Schnell war der Wunsch gewährt, schließlich tauchte auf einmal die Idee in dem Kopf des jungen Ladeninhabers auf, dass es eine gute Sache sein könnte, diese Band zu unterstützen, denn vielleicht machten die ja irgendwann mal Werbung für ihn. Außerdem war die Sängerin schließlich ziemlich süß... Jack hatte mittlerweile begonnen, gemeinsam mit Nifen einen kleinen aufhängbaren Gong mit handlich zusammenschraubbaren Gestell nach bester Schwedenmanier aufzubauen. Damit sowie mit ihrer Triangel und ihrer Blockflöte, musste sie dieses Mal aufkommen, denn ein tragbares Taschenschlagzeug hatte schließlich noch niemand erfunden. Und damit war die Band soweit fertig. Die ersten Schaulustigen blieben auch schon stehen und beobachteten das Geschehen. Besonders neugierig machte natürlich die Managerin, die mit der Kamera in der Hand herumwuselte. „Willkommen Düsseldorf!“ Easy breitete die Arme aus und strahlte ihr Publikum an. Sie hielt ein Mikro in der Hand, das allerdings wenig Zweck erfüllte, war es doch an keine Boxen angeschlossen. Es ging ganz allein um die Show. Außerdem fühlte sie sich mit so etwas in der Hand weitaus sicherer. „Wir sind die Sorglospunks und schenken Klein-Japan ein Konzert der Superextraklasse! Ganz umsonst, ganz sorglos und ganz voller Punk!“ Und damit legte die Band los. Sie spielte ihr ganzes Repertoire durch und schaffte es natürlich, die Massen an Kaufwilligen zum Stehenbleiben zu bringen. Irgendwann war die Straße so verstopft, dass noch nicht einmal mehr ein Chihuahua hindurchgepasst hätte. Selbst Kiwi hätte bei der Menge an Beinen Schwierigkeiten bekommen, obwohl sie nahezu überall durchpasste, wo sie hindurch wollte. Und dann... kam der Konzerthöhepunkt. „Und allein für euch jetzt unser neuster Hit!“ Ich muss ehrlich sagen, ich freue mich mittlerweile jedes Mal auf diesen Moment. Erst hatte mir Easy mit diesen Augenblicken unheimlich viel Stress beschert, aber mittlerweile machte es Spaß. Ich jonglierte die Ideenblitze und überschüttete die Band mit goldenem Ideenkonfetti. „Hey, hey, hey! Hier sind wir jetzt! Hey, hey, hey! Und wir spielen jetzt! Hey, hey, hey! Für euch! Für euch! Nach Japan wollten wir fliegen, in Düsseldorf sind wir gelandet! Hier sind wir jetzt! Hey, hey, hey! Und wir wären Groß in Japan! Ganz, ganz groß in Japan! Hey, hey, hey! Hey, hey, hey! Hier sind wir jetzt! Hey, hey, hey! Und wir spielen jetzt! Hey, hey, hey! Für euch! Für euch! Und wir sind Easy, und Chris und Jack! Und wir rocken euch jetzt! Hey, hey, hey! Und wir sind Easy und Chris und Jack! Und wir rocken den Pott jetzt! Ja, wir rocken den Pott jetzt!“ Hey, hey, hey! Hier sind wir jetzt! Hey, hey, hey! Und wir spielen jetzt! Hey, hey, hey! Für euch! Für euch! Und wir ziehen weiter nach Duisburg, Essen, Bochum und Dortmund! Hey, hey, hey! Denn wir, wir rocken! Wir rocken und punken! Und wir punken den Pott! Hey, hey, hey!” Im Nachhinein habe ich Easy dann darauf aufmerksam gemacht, dass Düsseldorf nicht gerade dem Ruhrpott entspricht und sich von dem eigentlich doch eher distanziert, so wie sich der Pott selbst wiederum eher von Düsseldorf distanziert, aber gut... Sie kommt nun einmal nicht aus der Gegend. Und gute Werbung ist so ein Song dennoch allemal. Nun, und die Düsseldorfer mochten ihn. Nur gut, dass Easy nicht auf die glorreiche Idee gekommen war, ihr nächstes Lieblingsziel Köln auch noch unterzubringen. Das hätte vermutlich dann doch mit einer überstürzten Flucht geendet. So allerdings konnten wir ein erfolgreiches Minikonzert verbuchen. Geld gab es auch, denn einige Zuschauer hatten den zufälligerweise offenliegenden Gitarrenkasten gut gefüllt. Und so wie Chris gerade angedeutet hat, war seine Umeko von dem Konzert in Klein-Japan hin und weg... Kapitel 14: Golden Goal ----------------------- „Leute, für das nächste VfB-Spiel brauchen wir eine Stadionhymne!“ Easy schoss aus dem Sessel in die Luft, zwang Kiwi zu einer katzigen Landung, weil diese von ihrem Schoß geschleudert wurde, und riss die restlichen Bandmitglieder aus ihrem Fußballhalbschlaf. Easy hatte auf das Schauen des DFB-Pokal-Viertelfinales VfB Stuttgart gegen Bayern München bestanden. Nur teilten Chris und Jack ihre akute Fußballbegeisterung nicht so sehr, wie es sich die sorglose Frontfrau wünschte. Dennoch brachten die beiden Easys Leidenschaft immerhin eine gesunde Toleranz entgegen – Easy war schließlich auch niemand, den man von seinen Begeisterungen und Besessenheiten trennen sollte. Wenn man ihnen nachkam, passierten nämlich a) regelmäßig interessante Dinge und sprangen b) doch die einen oder anderen Songtexte dabei heraus und c) waren sie generell sehr unterhaltsam. Und so blickten Chris und Jack ihre Bandleaderin fasziniert an und warteten auf weitere Infos, die sicher auch gleich kommen würden. So war es auch. „Stellt euch doch mal vor! Wir können dann im Stadion singen! Vor Tausenden von Menschen! Wir können einen Klassiker schaffen! Einen Evergreen! Wie Grönemeyers ‚Bochum’. Wie ‚You never walk alone’! Stellt euch vor, wie ein ganzes Stadion unseren Song singt!” „Schon... Nur hat jeder Verein schon längst seine eigenen Hymnen und Gesänge“, warf Chris behutsam ein. „Na und? Wir machen was Universelles!“, fuhr Easy unbeeindruckt fort. „Okay... Dann schreib“, entschied Jack. „Nein, nein, nein.“ Die Frontfrau und Songwriterin der Sorglospunks schüttelte den Kopf. „Dafür brauche ich ein Fußballspiel. Live. Nicht auf der Mattscheibe!“ Schweigen. Easy wähnte sich schon siegesgewiss, dass somit die nächsten Karten für ein VfB-Spiel sicher waren, dann kam Jacks Vorschlag. „Hey, in der Nähe kicken doch die Dorfmannschaften, oder? Die sollten doch eigentlich reichen.“ Jack grinste breit. „Äh... Ich brauche ein Stadion? Und Massen an Fans? Und...“ Easy setzte ihren berühmten Dackelblick auf, der an ihren Bandmitgliedern eiskalt abprallte. „Dorfmannschaften klingt gut.“ Chris nickte. „Gehen wir da heute halt mal hin. Schaden kann’s ja nicht.“ Easys Wünsche nach einem Profispiel wurden rigoros ignoriert. Schließlich hatte sie doch nur gesagt, dass sie Fußball brauchte... Und so zog die imaginärste beste Band der Welt nach Ende des DFB-Pokalspiels samt Gitarre, Triangel, Blockflöte, einem dicken Schreibblock und ausreichend Schreibmaterial gen Sportplatz davon. Nifen sah kurz aus dem Fenster, zuckte dann aber mit den Schultern. Man sollte eine aktive Band nie aufhalten, fand sie. Außerdem konnte sie so in aller Seelenruhe das Wohnhaus für ihre Neopetslieblinge einrichten. Immerhin bestand jetzt nicht die Gefahr von einem entsetzten „Easy!“-Schrei aus der Konzentration gerissen zu werden. Ich besah mir das ganze Geschehen eher skeptisch. Gut, Easy konnte unter den ungewöhnlichsten Bedingungen kreativ werden und schaffte das so gut wie nie an ihrem inspirationsfördernd eingerichteten Schreibtisch, aber... Fußball? So sehr die Sorglospunks-Frontfrau auch den VfB Stuttgart liebte – Was zum Merlin sollte sie denn bitte schön mit Amateurmannschaften? Und dann auch noch mit... Jugendmannschaften? Und wie sollte auf einem solchen Sportplatz ein Stadionhit geschrieben werden? Nun, ich war jedenfalls gespannt. Selbst Kiwi trabte neugierig hinter der Band her. Das schrie schließlich nach Unterhaltung. Die Sorglospunks hatten Glück. Auf dem Sportplatz trainierte nicht nur gerade eine Mannschaft, nein, sie schneiten mitten in ein Amateurturnier für die B-Jugend der umliegenden Vereine. Sprich: Ein Haufen 15- bis 16jähriger fußballverrückter Jungs rannte durch die Gegend, feuerte sich gegenseitig an und lebte seine Rivalitäten aus. Chaos pur. Und dort marschierte die Band rein, besorgte sich ein paar Bratwürstchen – Sojabratwürstchen für die Mädels – bei einer der Buden und ließ sich unter den Zuschauern nieder. „Also, Easy, dann leg mal los.“ Chris grinste breit und drückte ihr den Block in die Hand. Mit einem tiefen Seufzer zückte Easy den Stift und starrte auf das Spielfeld. Die Jungs dort waren ganz gut. Sie kickten, als wenn es um ihr Leben ging. Aber das war’s auch. Hier war keine Stadionatmosphäre, hier herrschte sehr viel mehr Jugendherbergsstimmung und Klassenfahrtslaune. Schrecklich! Das war hier doch kein Ort, um einen Hit zu schreiben! „Wer spielt denn da gerade eigentlich?“, erkundigte sich Chris bei einigen jüngeren Kids, die dem Spiel zusahen. Netterweise reichten sie ihm erst ihr Rahmenprogramm und machten sich dann über ihn lustig. „So... Also, wir sind hier beim Schwabenturnier. Angereist ist alles aus den umliegenden Dörfern.“ Chris pfiff durch die Zähne. „Sogar Stuttgarter sind hier.“ „Was? Wo?“ Easy war sofort Feuer und Flamme. „Äh... Die sind in der zweiten Runde rausgeflogen. Wir sehen hier gerade das erste Halbfinale. Ist ein Kurzturnier, damit das heute noch alles entschieden wird. Die spielen sogar noch mit Golden Goal-Regel“, erklärte Chris weiter. „Oh.“ Easy seufzte tief. „Und jetzt?“ „Du schreibst deinen verdammten Song.“ Jack war langsam genervt. „Du wolltest Fußball, hier hast du Fußball! Also schreib!“ „Hey, unter Druck kann ich das nicht!“, protestierte Easy und ignorierte dabei geflissentlich, dass sie unter Bühnendruck doch konnte. „Sagt mal...“ Jemand tippte Jack von hinten auf die Schulter. „Was seid ihr? So eine Art Band?“ Ein hochgewachsener Junge, vielleicht sechzehn Jahre alt, recht hübsch und vom Trikot her definitiv einer der Turnierteilnehmer sah die Band an. „Ja! Wir sind die Sorglospunks!“, verkündete Easy stolz und vergaß ganz einen Augenblick lang verlegen zu sein. „Ah... Ja. Punks?“ Er zog eine Augenbraue hoch und die drei Freunde, die neben ihm saßen, fingen an zu kichern. „Und was tut ihr bei einem Fußballturnier?“ „Einen Stadionhit schreiben!“ Jetzt brachen die vier wirklich in Gelächter aus, während Easy rot anlief. Was fiel denen eigentlich ein? Sie hatten schließlich schon vor dem Weihnachtsmann, den Weihnachtswichteln, dem Grinch und Werwölfen gespielt! Wie kamen die dazu, über sie zu lachen? Doch ehe Easy etwas sagen und ich ihr eintrichtern konnte, dass sie das bloß nicht aussprechen sollte, hatte Chris ihr die Hand über den Mund gelegt. „Ach, ihr findet uns also zum Lachen?“, fragte Jack zuckersüß. Jeder von uns wusste ganz genau, was dieser Tonfall zu bedeuten hatte. Das hieß, dass jemand in ganz großen Schwierigkeiten war. In ganz, ganz, ganz großen Schwierigkeiten! „Ja!“, gab der Junge zurück und grinste breit. „Nun, wie heißt du?“ „Tobias...“ Diesmal kam seine Antwort etwas zögerlicher. Aber da sein Name eh auf dem Trikot stand, konnte er ihn ja auch nennen. „So, Tobias, dann lass uns doch eine Wette abschließen. Wir wetten darum, dass wir am Ende des Turniers einen stadiontauglichen Hit hier auf diesem Sportplatz performen können. Traust du dich das? Oder bist du dafür zu feige?“ „Pah! Natürlich traue ich mich das! Ihr schafft das doch nie!“ „Fein. Und worum wettest du?“ „Äh... Ihr tretet im Kindergarten in Hühnerkostümen auf, wenn ihr verliert!“ Tobias grinste siegesgewiss zu seinen Freunden hinüber. „Schön. Und wenn wir gewinnen, macht ihr vier einen Flitzer über den Rasen.“ Jack grinste breit. Die Demütigung von Teenagern machte definitiv Spaß. Und ein Kindergartenkonzert ließ sich immer noch problemlos als tolle Marketing- und Werbestrategie verkaufen. Kein Problem. Die drei anderen blickten ihren Wortführer missmutig an, doch nach einer kurzen Besprechung schlug dieser in Jacks ausgestreckter Hand ein. „Ah, und wie entscheiden wir, wer gewonnen hat?“, erkundigte sich Tobias. „Ist doch klar: Das Publikum entscheidet. Wenn es den Song toll findet, wird man das schon merken“, mischte sich Chris ein. Seine Hand ruhte noch immer auf Easys Mund und diese versuchte sie wegzuziehen und wenn sie das nicht tat, wedelte sie hektisch mit den Händen. Erst als die Jungs weg waren, gab Chris sie frei. „Leute, ihr spinnt doch!!! Eine verdammte Wette???“ Sie starrte die beiden fassungslos an. „Oh nein, ohne mich!“ „Oh, ganz sicher mit dir!“ Jack grinste breit und holte einen Schlüssel aus der Tasche. „Das hier ist nämlich der Schlüssel zum Kaffeeschrank in der Küche...“ „AH!“ Easy ließ sich händeringend ins Gras fallen. Das war doch nicht fair! Das war doch so was von nicht fair! Ich rieb mir meine Hände und bereitete meine Wolke vor. Ideenblitze, -konfetti, -bonbons, Motivationsschokolade, Gute-Laune-Drops – alles hielt ich bereit. „Los, Easy, lass uns einen Song schreiben und es diesen dummen Jungs zeigen!“, feuerte ich sie an. „Bist du ein Sorglospunk oder eine Maus?“ „Ein Sorglospunk!“, fuhr Easy sofort hoch. Kiwi fraß schließlich dann und wann mal Mäuse – wenn sie auf Natur machte – und es war nicht nett, gefressen zu werden. Während Easy sich – komponistentechnisch unterstützt von Chris – an die Ausarbeitung einer Stadionhymne machte, schlug sich Jack zu den Verantwortlichen des Turniers durch. Sie konnten ja schließlich nicht einfach so auf den Platz marschieren und spielen. Ordnung musste sein. Und dann folgte ein kurzes Telefonat mit Nifen, die aus ihrem Neopetsfieber gerissen wurde, um sich a) um alles Managementnotwendige zu kümmern und b) das Schlagzeug und den Verstärker herzubringen, damit sie auch genug Lautstärke hinbekamen. Stadionhymnen mussten schließlich laut gespielt werden. Strom war hier eher weniger das Problem, da die Veranstalter sich recht schnell von einer jungen, hübschen und äußerst redegewandten Musikerin zur Unterstützung eines Spontanauftritts einer jungen, aufstrebenden Band bereiterklärten. Noch bis zur letzten Sekunde, als die Turniersieger das Spielfeld jubelnd verließen, Chris und Jack bereits Position bezogen und die Sorglospunks per Megafon angekündigt wurden, kritzelte Easy noch auf dem Papier herum. Dann war sie endlich so weit. „Hallo fußballverrückte Fans! Wir sind die Sorglospunks und wir haben gewettet!“, begann Easy und schrie vor lauter Nervosität geradezu ins Mikro. Sie wollte schließlich nicht als Megaküken rumlaufen! „Darum, dass wir einen Stadionhit schreiben können! Ihr seid jetzt unser Stadion, also zeigt uns, ob wir gut sind! Nein, zeigt uns, dass wir gut sind!“ Etwas Selbstbewusstsein schadete schließlich nicht. Die Frontfrau nickte Jack zu und diese zählte den Takt an. Dann begann sie mit einem furiosen Schlagzeugsolo, das schon allein beinahe alle Zuschauer auf die Füße riss – dann stieg Chris mit der Gitarre ein und spielte einen mitreißenden Beat. Und dann kam Easys Einsatz. „Fußball, ohoho Fußball! Fußball, ohoho Fußball! Du bist unser Leben! Du bist unser Leben! Fußball, ohoho! Fußball, ohoho!“ Nun, der Refrain, den Easy gleich an den Beginn stellte, brachte immerhin die ersten Leute dazu mitzuklatschen. Längst nicht alle, aber ein Anfang war gemacht. „Der Ball rollt! Der Zauber beginnt! Der Ball rollt! Der Wahnsinn beginnt! Komm schon, ab ins Tor! Ab ins Tor! Golden Goal! Golden Goal! Fußball, ohoho Fußball! Fußball, ohoho Fußball! Du bist unser Leben! Du bist unser Leben! Fußball, ohoho! Fußball, ohoho! Der Ball fliegt! Ab ins Tor, ab ins Tor, ab ins Tor! Flieg, flieg, flieg! Ab ins Tor, ab ins Tor, ab ins Tor! Flieg, flieg, flieg! Ab ins Tor, ab ins Tor, ab ins Tor! Fußball, ohoho Fußball! Fußball, ohoho Fußball!“ Bekanntermaßen müssen Stadionhymnen einen Text haben, der sehr einfach ist und den man auch dann noch relativ gut mitsingen kann, wenn man schon einen recht hohen Alkoholpegel besitzt. Und genau das hatte Easy – unter meiner aufmerksamen Inspiration – berücksichtigt. Die Zuschauer auf den Bänken und dem Rasen standen längst, klatschten und sangen im Takt. Jack grinste vier Jungs am Rande des Spielfeldes an, die knallrot anliefen. Wenig später rauschten vier Flitzer quer über das Spielfeld und Jacks Grinsen wurde nur noch breiter und süffisanter. Die würden niemals wieder an den Sorglospunks zweifeln – und dafür sorgen, dass auch sonst niemand mehr an ihnen zweifelte! Später am Abend waren sie endlich auf dem Rückweg zur WG. Das Ganze war schließlich zu einem Spontankonzert ausgeartet, weil die Zuschauer kaum genug von ihnen bekommen hatten können. Äußert zufrieden summte Easy ihren neuen Fußballhit vor sich hin. Damit konnte das nächste VfB-Spiel doch kommen. „Äh, Easy... Nur eine Sache noch“, meinte Chris schließlich und legte der sorglosen Frontfrau den Arm um die Schulter. „Ja?“ „International gibt es das Golden Goal seit 2002 nicht mehr...“ Kapitel 15: Der vergessene Song ------------------------------- „Abranka! Abranka! Sieh mal, was ich gefunden habe!“ Easy wedelte mit einem Blatt Papier in der Luft herum, das sie gerade aus einer vollkommen mit leeren Bonbonpapieren überfüllten Schublade gezogen hatte. „Erinnerst du dich noch?“ Aufgeregt hielt mir die Frontfrau der Sorglospunks das Blatt unter die Nase. Bunte Schriftzüge prangten darauf, durchgestrichene Zeilen, umkreiste Worte, korrigierte Buchstaben, wilde Pfeile, Kaffee- und Schokoladenflecken und schließlich am Ende ein simples ‚© Sorglospunks’ mit einem dicken Schlängel darunter. Ich musste grinsen. Natürlich erinnerte ich mich noch. War ja nicht so, als wenn ich solche Dinge so einfach vergessen würde... Wir befinden uns im Frühling 2006 in Deutschland. Das gesamte Land steckte im WM-Fieber. Das ganze Land? Nein. Eine kleine von drei unbeugsamen Sorglospunks und einem Bandmaskottchen bevölkerte WG leistete erbitterten Widerstand. Und das Leben war nicht leicht für die dem WM-Virus Anheimgefallenen... Ups, nein. Und das Leben war nicht leicht für die sorglosen Widerständler... „Boah! Gibt es denn gar nichts anderes mehr im Fernsehen als WM?“ Jack zappte entnervt durch die Kanäle. Noch nicht einmal mehr ihre Lieblingssendungen wurden von diesem Fußballwahn verschont! Überall war Fußball. Überall! „Nein.“ Chris grinste sarkastisch. „Du weißt doch, wir haben die WM zugelost bekommen und jetzt versinken wir im Fußballwahnsinn, bis uns die Übergabe des Pokals an wer-weiß-wen endlich rettet...“ Selbst Easy, die sorglose Frontfrau, die seit immerhin rund vier Jahren begeisterte Fußballanhängerin war, fühlte sich so langsam genervt. „Also, bei aller Liebe zum Fußball... Das muss doch nun echt nicht mehr sein!“, moserte sie, während Jack bei irgendeiner Verbrauchersendung innehielt, die gerade die günstigsten Fahnenhersteller für die heimische Wohnzimmerbeflaggung empfahlen. „ARGH!“ Easy raufte sich die Haare, während Jack seufzend den Fernseher ausstellte. Aber was sollte man sonst an einem verregneten Sonntagnachmittag machen, wenn nicht Fernsehen? Selbst Chris ging das WM-Fieber auf den Keks, denn mittlerweile bekam er seine geliebte Gitarrenpolitur nur noch in schwarz-rot-goldenen Boxen. Und auch Kiwi war in Protest verfallen und attackierte den Fernseher beinahe immer, wenn dort das Wort WM fiel. Gut, ausgenommen sie schlief gerade, was zum Glück die meiste Zeit des Tages über der Fall war, sodass der Fernseher bisher um Kratzer herumgekommen war. „Okay, es reicht! Die verdammte WM hat doch noch nicht einmal angefangen! Es wird Zeit für Widerstand!“ Easy sprang auf. „Leute, was sind wir?“ „Hä?“ Chris und Jack stießen das Wort synchron aus und blickten die Sängerin verwirrt an. „Na, Sorglospunks sind wir!“ Easy schüttelte den Kopf. „Und was können wir am besten?“ „Rumhängen?“ „In Schwierigkeiten geraten?“ „Aus Schwierigkeiten entkommen?“ „Komische Dinge erleben?“ „Desaster verursachen?“ „Schokolade essen?“ „Kaffee trinken?“ „...“ Drei Sorglospunks stürmten in die Küche und deckten sich dort mit Kaffee und Schokolade ein, um dann befriedigt ins Wohnzimmer zurückzukehren. „Also, was können wir am besten?“, wiederholte Easy ungeduldig, als die Band wieder auf dem Sofa hockte. Chris und Jack zuckten ratlos die Schultern. Die Dinge, in denen sie am besten waren, hatten sie schließlich schon aufgelistet. „Einen Hit schreiben!“ Easy grinste breit. „Und genau das werden wir jetzt tun. Abranka, hast du deine Blitze bereit?“ Aber klar hatte ich. Ich war ja schließlich eine Muse. Und damit legte die Band los. Wir befinden uns im Sommer 2006 in Deutschland. Das gesamte Land steckte im WM-Fieber. Das ganze Land? Ja. Denn selbst die kleine von drei unbeugsamen Sorglospunks und einem Bandmaskottchen bevölkerte WG leistete keinen erbitterten Widerstand mehr. „Ja, ja, ja, ja!“ Easy hopste jubelnd durch das Wohnzimmer. Deutschland war Dritter geworden! Und das bei einer WM, wo das niemand von dem Team erwartet hatte. Das war doch großartig! Absolut intergalaktischfantastischgigantesk! Chris und Jack jubelten nicht weniger mit. Die Fußballlethargie war verschwunden. Sogar Kiwi hatte sich zu einem schwarz-rot-goldenen Look an ihrer Schwanzspitze überreden lassen. Selbst ich muss gestehen, dass ich meine Wolke mit einem süßen kleinen Deutschlandfähnchen geschmückt hatte... „Du...“, meinte Chris in dem Moment. „Ich glaube, wir sollten diesen einen Song ganz tief vergraben und verstecken. Ich meine... Jetzt will den doch eh keiner mehr hören. Und vergraulen wollen wir die Leute doch eh nicht...“ „Mhm, da könntest du Recht haben.“ Jack nickte. „Easy, vernichte den Text!“ Mit vorgeschobener Unterlippe blickte Easy auf den Songtext. Schade eigentlich... Sie mochte das Lied. Und es war garantiert ein Hit, nur leider sicher nicht in der breiten Masse... Leider... Und jetzt? Jetzt befinden wir uns im Januar 2008. Easy hopste mit dem Text wedelnd vor mir herum. „Du, meinst du, ich kann ihn wenigstens ein einziges Mal spielen? Hört ja keiner...“ Ich musste lachen. „Klar, warum nicht? Das große WM-Fieber ist vorbei und wir müssen keine Angst mehr haben, wegen Majestätsbeleidigung oder so etwas gelyncht zu werden.“ „Supi!“ Easy lachte begeistert und holte ihre Gitarre. Dann spielte sie den ersten Akkord und sang ganz leise, wie als wenn sie etwas Verbotenes tun würde. „Oh nein, wir woll’n dich nicht, WM! Geh doch zu Hause! Geh doch zu Hause! Und nerv nen ander’n! Nur mich nicht! Nur mich nicht! Bist einfach hergekommen Ungebeten, ungewollt Hereingestolpert Chaos ziehste nach dir Nur ne doofe Auslosung Hat dich uns beschert Oh nein, wir woll’n dich nicht, WM! Geh doch zu Hause! Geh doch zu Hause! Und nerv nen ander’n! Nur mich nicht! Nur mich nicht! Stadiontest Neubau überall Polizei trainiert den Ernstfall Und die Nationalmannschaft versagt Chaos pur Nur du bist schuld! Oh nein, wir woll’n dich nicht, WM! Geh doch zu Hause! Geh doch zu Hause! Und nerv nen ander’n! Nur mich nicht! Nur mich nicht! Wahnsinn greift um sich Zieht alle in den Bann Nur mich nicht! Nur mich nicht! Ich will nicht mehr! Ich will dich nicht! Geh doch zu Hause! Oh nein, wir woll’n dich nicht, WM! Geh doch zu Hause! Geh doch zu Hause! Und nerv nen ander’n! Nur mich nicht! Nur mich nicht! Und der Bundestag debattiert Die BILD-Zeitung resigniert Panik überall Versagensangst beim Fußballfan Die Welt zu Gast bei Freunden - und kann bald wieder gehn! Oh nein, wir woll’n dich nicht, WM! Geh doch zu Hause! Geh doch zu Hause! Und nerv nen ander’n! Nur mich nicht! Nur mich nicht!“ „Easy! Was spielst du denn da?“ Chris und Jack schauten ins Wohnzimmer rein. Sie waren gerade von einer Auffrischung des Kaffee-Schokoladenvorrats der WG zurückgekommen. Und an so etwas Schnödes wie Katzenfutter, Brot und Butter hatten sie auch gedacht. „Ist das ein neuer Song?“ „Nö.“ Easy lächelte verlegen. „Nur ein alter...“ „Ach, schade. Wir könnten mal wieder einen neuen Hit gebrauchen...“ Damit zogen die beiden die Tür wieder zu und verschwanden der Küche. Easy zwinkerte mir verschwörerisch zu. Es musste ja niemand erfahren, dass es diesen Song noch gab... Kapitel 16: Take it, Easy – Nimm’s schon, Easy! ----------------------------------------------- „Ich will nicht, ich will nicht, ich will nicht!“ Easy rannte um den Wohnzimmertisch, dicht gefolgt von Jack, die mit einem pinkfarbenen Post-it in der Hand wedelte. „Oh doch! Du wirst, Easy!“, zeterte das musikalische Multitalent der Sorglospunks. „Und wie du wirst!“ „Ich will aber nicht!“ In dem Augenblick kam Easy ins Stolpern – Kiwi hatte sich neugierig vor ihre Füße geschlichen, um auf Jacks flauschige Socken loszugehen – und legte sich lang hin. „Ha!“ Jack pappte ihrer Zwillingsschwester das pinkfarbene Stück Einkaufszettel auf die Stirn und grinste breit. „Du gehst einkaufen!“ „Das ist gemein! Nur, weil Kiwi mich gefoult hat!“ Böse blickte die sorglose Frontfrau den Kiwinator an, der natürlich jetzt vollkommen unschuldig dreinschaute und seine Vorderpfote leckte. „Kannst ja Abranka mitnehmen“, gestand Jack ihrem optischen Gegenstück großzügig zu. „Vielleicht erinnert sie dich ja daran, dass du auch noch etwas anderes als Kaffee und Schokolade mitbringen solltest!“ „Hey!“, kam ein knapper Protest von meiner Wolke. „Du weißt, wie das mit den Ideen immer läuft!“ „Ach, red dich doch nicht ständig raus!“, knurrte Jack ungehalten und rauschte davon. „Falsche Zeit im Monat?“ Ich warf einen mitleidigen Blick zu Easy, die seufzte. „Und wie. Außerdem regt es sie auf, dass wir nicht von der Stelle kommen und Nifen noch keinen weiteren Auftritt für uns hinbekommen hat...“ Easy rappelte sich auf ihre Füße und testete demonstrativ vor Kiwis Augen, ob auch ihre Gliedmaßen noch alle heile und ungebrochen waren. Nicht, dass das das Bandmaskottchen in irgendeiner Art und Weise interessieren würde, aber hier ging es ums Prinzip! „Na, dann los.“ Easy stockte mitten im Schritt. „Sag mal... Ich kann nicht zufällig auf deiner Wolke mitfliegen, oder?“ Natürlich konnte sie nicht. Musenwolken sind schließlich nur für Musen gedacht – und allenfalls mal für übernatürliche Kurzbesucher wie den Teufel, nicht aber für Menschen. Es war nicht genau absehbar, was passieren würde, wenn man versuchte, einen Menschen auf einer Musenwolke Platz nehmen zu lassen, allerdings würde das mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einer unangenehmen Bruchlandung auf dem Boden enden – für den Menschen. Selbst Kiwi hatte mittlerweile eingesehen, dass sie sich nicht in die wattige Wolke kuscheln konnte, sondern immer mit meinem Schoß vorlieb nehmen musste, wenn sie fliegen wollte. Sie war immerhin schon rund zehnmal durch die Wolke gefallen, bis sie das begriffen hatte. Und ehrlich... Man kann nicht von mir erwarten, Easy die ganze Zeit über auf den Schoß zu nehmen, oder? „Denk an das Brot, Easy.“ Das war wohl meine fünfte Erinnerung an diesem Vormittag. Ob sie etwas bringen würde, stand in den Sternen, denn derzeit inspizierte Easy voller Begeisterung die Kaffeeabteilung des Supermarktes. Und da gab es ganz viele verschiedene Sorten, die sie noch nicht kannte und unbedingt ausprobieren musste. Den Cappuccino mit Schokogeschmack zum Beispiel. Und den Latte macchiato mit dem Schoko-Nuss-Zusatz... Oder... „Easy!“ „Hä?“, lautete die intelligente Reaktion der Sorglospunksleaderin auf die Tatsache, dass ihr Name gerade von irgendjemandem gerufen worden war. Sie drehte sich um und sah sich auf einmal Chuck eins gegenüber, den sie ohne sein Kükenkostüm im ersten Moment fast nicht erkannt hatte. Nur fast. Schließlich erinnerte sich frau doch natürlich an interessante Bekanntschaften, selbst wenn diese meist gelb und flauschig gekleidet waren. „Oh, hi.“ „Seid ihr Kaffeejunkies?“ Chuck eins spähte neugierig in die Einkaufskarre, was Easy rot anlaufen ließ. „Äh... Nein... Wir... Ähm...“ „Hey, ist doch okay. Wir sind gummibärchensüchtig!“ Chuck eins grinste breit. „Chuck!“, kam in dem Augenblick ein lauter Ruf aus einem der Seitengänge. „Komme schon, Chuck!“, gab Chuck eins zurück und schenkte Easy noch ein Lächeln. „Man sieht sich. Und vielleicht hier!“ Er drückte Easy einen Zettel in die Hand, winkte noch einmal und verschwand in die Richtung, aus der der laute Ruf gekommen war. Neugierig flog ich etwas höher und sah Chuck zwei mit einem riesigen Berg an Gummibärchentüten kämpfen. Offenbar waren die beiden wirklich gelantine- und farbstoffsüchtig... „Was ist das, Easy?“, erkundigte ich mich dann, als ich wieder auf menschlicher Höhe schwebte. „Ein Flyer von einem Konzert für Nachwuchsbands. Dieses Wochenende.“ Easy starrte fasziniert darauf. „Da können wir mitmachen!“ „Cool!“ „Ja! Wir müssen sofort zurück!“ Sie wollte schon lossprinten, griff dann aber nach dem Einkaufswagen. „Aber vorher müssen wir das hier bezahlen!“ Und damit rannte sie Richtung Kasse – natürlich ohne das dringend benötigte Brot... „Was? Ein Nachwuchsbandwettbewerb?“ Jack riss Easy den Flyer regelrecht aus der Hand. „Zeig!“ Chris schaute dem musikalischen Wunder direkt über die Schulter und las mit. „Niiiiifeeeeeen!“, hieß es nur einen Sekundenbruchteil später in Stereo. Die Bandmanagerin ließ sich nicht zweimal bitten – schon einen Augenblick später stand sie in der Tür. „Was gibt’s denn?“ „Das!“ Jack reichte ihr den Flyer und quietschte ungeduldig herum. Das war doch eine Chance! Das hieß, dass sie etwas tun konnten! Und dem Gewinner winkte sogar ein Plattenvertrag! „Mhm...“, machte Nifen nachdenklich. „Schade, dass Chibichi gerade nicht...“, setzte sie an und unterbrach sich dann selbst. „Abranka, könntest du mal eben das Kleingedruckte prüfen?“ Sieh an, auch Manager waren lernfähig. Hoheitsvoll nahm ich das Papier in die Hand und studierte es aufmerksam. Das einzige Manko war die Teilnahmegebühr von 100€ pro Band, aber ansonsten schien alles sauber zu sein. Und das sagte ich auch Nifen. „Okay...“ Sie rieb sich die Hände. „Wollt ihr die 100€ investieren?“ „JA!“, kam es aus drei Mündern gleichzeitig. Das klägliche Maunzen einer hungrigen Kiwi, deren Katzenfutter natürlich auch bei dem Schnelleinkauf vergessen worden war, ging darin unter. Gab es für sie eben mal wieder etwas von den Vorräten aus der Tiefkühltruhe. Gebratenen Lachs oder so. Keine halbe Stunde später war ein Anruf bei den Organisatoren getätigt und eine E-Mail mit allen weiteren Informationen zum Procedere eingegangen. Die Band war auf die Auftrittsliste aufgenommen worden und musste am Tag des Festivals ihre Teilnahmegebühr in bar einzahlen. „Also, ihr dürft drei Songs spielen und müsst die noch nicht einmal vorher ankündigen. Das heißt also, wenn ihr wollt, könnt ihr wieder improvisieren. Allerdings dürft ihr nicht länger als eine Viertelstunde spielen“, erklärte Nifen der aufmerksam lauschenden Band. „Klasse!“, jubelte Easy, die die Bandstärke vor allem in dem Improvisationssongwriting auf der Bühne sah. „Mhm“, machte Chris nachdenklich. „Das heißt, wir müssen uns einigen, welche Songs wir mitnehmen und vorher noch mal ein bisschen einüben...“ „Die Bandhymne!“, jauchzte die Bandleaderin begeistert. „Welche?“, gab Jack trocken zurück. „Mhm...“ Damit war Easy grübeltechnisch beschäftigt, während die anderen beiden Bandmitglieder mit einem heftigen Songschlagabtausch begannen. „Angst!“ „Beowulf!“ „In der Weihnachtsbäckerei!“ „Nee... Keine Weihnachtslieder. Das ist zu festgelegt!“ „Äh, dann... Faust!“ „Träume sind Schäume!“ „Golden Goal!“ „Nichts!“ „Robodog!“ „Looking for Kaffee!“ „Nee… Da ist ein Sample drin, das macht es schwierig…” „Oh, dann... Kapitalismus!“ „Talent!“ „Groß in Japan!“ „Post it, Baby!“ „Das Weltendelied!” „Melancholische Tomaten!” „Zeitschriftenabo!“ „Zeitschriftenabo!“ „Okay, also Zeitschriftenabo.“ Jack wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Damit hätten wir den Song. Dazu eine von den Bandhymnen... Und den Rest überlassen wir dann Easy. Unter dem Druck wird ihr schon was einfallen.“ Sie grinste breit. Zuschauerdruck war bei Easy schließlich die beste Inspirationsstarthilfe. Es waren wirklich viele Bands zu dem Festival gekommen. 32 Stück, um genau zu sein, was hieß, dass die Veranstaltung stolze acht Stunden laufen würde. Kein Wunder also, dass sie bereits um elf Uhr vormittags begann. Die Sorglospunks mischten sich unters Volk. Sie waren relativ gegen Ende dran, erst um achtzehn Uhr. Das bedeutete, dass sie nun Zeit hatten und schauen konnten, wer sich hier sonst noch rumtrieb. Irgendwann trafen sie Chuck & Chuck und zogen mit diesen gemeinsam durch die Gegend. Es war interessant, wie unterschiedlich die Bands hier alle waren – und vor allem wie gut sie waren. Nachdem sie schließlich bei ihrer kleinen Ecke wieder angekommen waren, wo Nifen neben den Instrumenten saß und einige Daten in den Laptop hackte, war die Band doch etwas verunsichert. Chuck & Chuck hatten sich bald wieder verabschiedet, um noch etwas zu üben, und so waren drei nervöse Sorglospunks und ihre Managerin – sowie ihre Muse – nun also allein. Doch während Chris und Jack ihre Unsicherheit in den Griff bekamen, wurde Easy zum absoluten Nervenbündel. „Nein, nein, nein, ich singe nicht! Ich singe nicht! Ich singe nicht!“ Sie schüttelte hektisch den Kopf. „Die sind doch alle tausendmal besser! Wir sollten aufgeben und Buchhalter werden! Ja, Buchhalter. Das ist ein superspannender Job und man muss auf keiner Bühne stehen. Ja, Buchhalter ist ein Superjob!“ Nifen blickte mich verzweifelt an, doch ich zuckte nur mit den Schultern. Jeder Ideenblitz, jede noch so kleine Inspiration konnten bei Easy nur noch ein Desaster auslösen, also ließ ich das lieber. Jetzt waren menschliche und nicht musische Fähigkeiten gefragt. Chris und Jack zerrten Easy schließlich gen Bühne, als ihr Auftritt so langsam bevorstand. Anders war die Frontfrau gerade nicht in Bewegung zu setzen. „Meinst du nicht, ein kleiner Blitz...“, murmelte Nifen leise und sah zu mir empor. Ich schüttelte jedoch nur bedauernd den Kopf. „Bringt nichts. Da muss sie jetzt allein durch... Gegen Selbstzweifel und Lampenfieber habe ich kein Allheilmittel parat. Das hat noch nicht einmal der Teufel.“ Seufzend ließ Nifen das Handy wieder tiefer in die Tasche sinken. Sie hatte mit einem winzigen Funken Hoffnung daran herumgespielt. Doch es schien, als wenn es gerade wirklich nichts gab, was sie tun konnte. Nur daneben stehen, Easy gut zureden und ihr das Mikrofon hinhalten, das die sorglose Sängerin gerade absolut nicht nehmen wollte. Schließlich nahm Jack Nifen das Mikro ab und hielt es Easy vor die Hand. „Nimm’s, Easy!“ „Nein!“ „Nimm’s!“ „Nein!“ „Nimm es!“ „NEIN!“ „NIMM ES!“ „NEIHEIN!“ „Nimm es, verdammt noch mal!“ Jack zog das Mikro ihrer Schwester einmal über den Kopf – liebevoll geschwisterlich, versteht sich – und drückte es ihr in dem Augenblick der Desorientierung in die Hand. Chris schob von hinten kräftig und schon hatten sie die Treppe zum Backstagebereich erklommen. Jetzt mussten sie Easy nur gleich im richtigen Moment auf die Bühne schubsen... „Und hier sind sie, unsere nächster Teilnehmer: die Sorglospunks!“ Damit gab Chris Easy einen kräftigen Schubser, der sie mitten auf die Bühne stolpern ließ, wo sie wie ein Reh, das in das Scheinwerferlicht eines heranrasendes Autos blickt, versteinert ins Publikum starrte. Jetzt war es Zeit für mich... „Los, Easy, du kannst das!“ Damit verpasste ich ihr eine geheime Neuentwicklung – einen Motivationsblitz, der nicht nach Ozon roch, sondern nach Kaffee und Schokolade. Wofür war ich denn Muse, wenn ich nicht manchmal die eine oder andere Idee für meine Zwecke nutzen konnte? Gerade als das Publikum und die Organisatoren begannen, unruhig zu werden, bekam Easy endlich die Zähne auseinander. „Hey, Leute! Wir sind die Sorglospunks und wir werden euch zeigen, dass sorgloser Punk die Welt bedeutet!“ Jack spielte bereit des Rhythmus der ersten Bandhymne an und gab Easy damit gar keine große Chance, noch weiter irgendetwas zu reden. Das hier war schließlich ein Nachwuchsbandwettbewerb – das hieß, dass sie Musik machen sollten und nicht reden! Wie der Plan es vorsah, wurde nach der Bandhymne dann Zeitschriftenabo gespielt. Und dann wurde es spannend. Ich ließ meine Ideenblitze fliegen und die Band die Inspiration fließen. „Take it, take it, Easy!“, begann Easy und sofort kapierten ihre beiden Bandmember, wie der Refrain lauten sollte. „Take it, take it, Easy! Nimm es, nimm es, Easy! Take it, take it, Easy! Nimm es, nimm es, Easy! Nimm’s schon, Easy!“ Wir sollten Chris und Jack definitiv häufiger als Backgroundchor einbauen – sie waren toll! „Oh nein! Oh nein! Ich will aber nicht! Ich will aber nicht! Oh nein! Oh nein! Ich will doch nicht! Behalt den Einkaufszettel! Behalt doch das Mikro! Ich will nicht! Nein, nein, ich will nicht! Behalt den Einkaufszettel!“ „Take it, take it, Easy! Nimm es, nimm es, Easy! Take it, take it, Easy! Nimm es, nimm es, Easy! Nimm’s schon, Easy!“ „Oh nein! Oh nein! Ich will aber nicht! Ich will aber nicht! Oh nein! Oh nein! Ich will doch nicht! Behalt den Besen! Behalt die Spülbürste! Ich will nicht! Nein, nein, ich will nicht! Behalt den Besen!“ „Take it, take it, Easy! Nimm es, nimm es, Easy! Take it, take it, Easy! Nimm es, nimm es, Easy! Nimm’s schon, Easy!“ Der Song kam sogar wirklich gut an. Nach einer Weile sangen sogar einige der Zuschauer mit. Mit dem Sieg und dem Plattenvertrag wurde es aber leider nichts... Nicht, weil die Sorglospunks von irgendwem überflügelt worden wären. Nein. Es stellte sich nur heraus, dass der Organisator zum Zeitpunkt der Preisverleihung längst über alle Berge war und die gesamte Kasse mitgenommen hatte... Und dass das mit dem Plattenvertrag auch nichts weiter als ein Fake gewesen war. „Mist aber auch, verdammter!“, fluchte Jack leise, als die Sorglospunks wieder in ihrer WG angekommen waren. „Das hätte eine Chance sein können, aber stattdessen... Das ist doch nicht fair!“ Chris griff betrübt nach seinem Bass und begann diesen zu polieren. Easy seufzte leise und ließ sich auf das Sofa fallen. „Was nen Mist, Mist, Mist!“ „Hey, Kopf hoch. Immerhin habt ihr einen neuen Song, auch wenn die 100€ dafür doch ein bisschen teuer waren“, versuchte Nifen die drei aufzumuntern. War ja nicht so, als wenn sie auch noch in die Geldmangelkerbe schlagen musste. Viel sinnvoller war es da, ihre drei Schäfchen ein wenig aufzuheitern. „Oh, ja, verdammt teuer!“, moserte Jack und verschwand Richtung Küche. „Ah, Easy!“, kam der Aufschrei keine Minute später. „Du hast das verdammte Brot vergessen!“ „Oh.“ Easy war sofort auf den Beinen, das hieß... „Easy!“ Jack kam mit einem pinkfarbenen Einkaufspost-it aus der Küche geschossen und einen Augenblick später lieferten sich die Schwestern eine Hetzjagd um den Wohnzimmertisch. „Ich will nicht, ich will nicht, ich will nicht! „Oh doch! Du wirst, Easy! Und wie du wirst!“ „Ich will aber nicht!“ Kapitel 17: Eine kopfreiche Band dreht auf! ------------------------------------------- „Äh, Nifen... Hältst du es wirklich für eine gute Idee, dorthin zu fahren?“ Easy spähte skeptisch zu dem Schloss empor, das sich auf dem nahen, zwar nicht allzu hohen, aber doch von spitzen und steilen Felsnadeln umgebenen Hügel in den Nachthimmel erhob. Chris’ und Jacks Mienen zeigten nicht gerade mehr Begeisterung bei der Aussicht, zu diesem Gemäuer mit dem – geliehenen – Bandbulli emporzufahren. „Natürlich! Immerhin gebt ihr dort ein Konzert!“ Nifen strahlte die verunsicherte Band an und ignorierte die Tatsache, dass gerade einen Hügel weiter etwas erschienen war, das sehr an einen Wolf erinnerte und entsprechend heulte. Kurz sahen sich die Bandmitglieder irritiert an, aber ehe sie die Flucht ergreifen und jemand anderes das Steuer erobern konnte, saß Nifen auch schon hinter demselben. „Los, los, eine Show erwartet euch!“ Ich zog nur die Augenbraue hoch und flitzte mit der Wolke in den Passagierraum, wo ich zwischen Schlagzeug und Gitarrenkasten schwebte. Es ist zwar nett, jederzeit überall hinfliegen zu können, aber so eine Wolke steuert sich ja nun einmal auch nicht von allein. Außerdem kommen Tiere bei mir immer auf irgendwelche dummen Ideen. Der VW-Bulli rumpelte langsam die steile Straße empor. Die Anzahl der Fledermäuse am Himmel vergrößerte sich äußerst akut. In riesigen Schwärmen zogen sie über den Himmel und verdunkelten so teilweise sogar den vollen Mond. „Ich finde das hier unheimlich“, murmelte Jack, während der Wagen einen Augenblick lang vor der Schlossbrücke zum Halten kam. Der Überweg über das schmale Rinnsal, welches das Gemäuer umrundete, war äußerst wenig vertrauenserweckend. Dennoch gab Nifen Gas und bemühte sich, das Knirschen und Knarzen bewusst zu ignorieren. Trotz einiger abstürzender Steine und einem brechenden Holzbalken kam das Bandauto wohlbehalten auf der anderen Seite an. Kunststück, wenn man den Teufel auf seiner Seite wusste – aber diesen Vorteil hatten die Band noch nicht in jeder Hinsicht begriffen. Kaum waren die Autotüren geöffnet, da kam auch schon jemand durch das Portal und eilte dem Wagen entgegen. „Ah, ihr feid die Band, nifft wahr?“ „Was?“ Easy starrte die vorgebeugte Gestalt mit den kaum nicht zu bemerkenden Narben im Gesicht groß an. Sie ging ihr gerade mal bis zur Schulter – und Easy war noch nicht einmal das, was man von großem Wuchs nennt. „Ihr feid die Band, oder?“, wiederholte der Fremde geduldig. Easy starrte ihn – sie war sich zumindest sicher, dass es sich bei dieser Person um einen Mann handelte – noch immer an, musterte die grüne Haut, erneut die Narben, die sich einmal um den gesamten Kopf schlangen, die buckelige Nase, die Narben an den Handgelenken und die unterschiedlich großen Hände. Und die zweifarbigen Augen! „Nifeeeeeen!“ „Entschuldigen Sie, Herr Igor. Künstler.“ Nifen eilte auch schon herbei und winkte entschuldigend ab. Igor lächelte jedoch nur – wenigstens verzog er das Gesicht ein wenig. Vermutlich war er solche Reaktionen längst gewohnt. „Iff verstehe. Euer Gepäck?“ Äußerst mühelos hob die seltsame Gestalt den riesigen Berg aus Schlagzeug und Koffern an. Chris hatte seine Gitarre vorher gerettet. Freiwillig überließ er sie ja eh niemandem, daher war das keine Diskriminierungstendenz gegenüber grünhäutigen und unheimlich aussehenden menschlichen Wesen. Easy hatte nach einigem eifrigen Zupfen an Nifens Ärmel einen Fluchtversuch gestartet, war aber von ihrer Schwester rigoros aufgehalten worden. Schließlich konnte die Band kaum ohne ihre Frontfrau auftreten! Igor führte sie in ein recht luxuriöses Zimmer direkt neben dem Salon. „Die Herrfaften fpeifen noff. Wollt ihr auff etwaf effen?“, erkundigte er sich freundlich, woraufhin Nifen kurzerhand nickte. Das hieß immerhin eine Mahlzeit weniger, die von ihrem knappen Budget bezahlt werden musste. Außerdem würden sie vermutlich auch die Nacht hierbleiben – ihr Auftraggeber hatte entsprechendes bereits angedeutet. „Aff... Und pafft mit den Tintenfiffen auf. Fie beifen.“ Damit war Igor auch schon verschwunden und ließ eine Band zurück, die die vielen Aquarien in diesem Raum mit extrem großer Skepsis betrachteten. Tintenfische, die bissen? Kraken konnten das vielleicht, aber... Tintenfische? „Ich will’s gar nicht verstehen!“, entschied Jack schließlich. „Ziehen wir uns um. Die wollten schließlich eine Band in Abendgarderobe.“ Gesagt, getan. Als Igor mit einem großen Rollwagen voller Leckereien auftauchte, waren die Sorglospunks auftrittsbereit. Jack trug einen klassischen Smoking und hatte ihre Haare mit einer großen roten Schleife zusammengebunden, Chris hatte sich für einen coolen Frack entschieden und Easy hatte auf ein edles Dirndl in Dunkelrot mit schwarzer Spitzenbluse und schwarzer Schürze bestanden. Sie machten wirklich etwas her. Auch Nifen war sehr zufrieden mit ihnen. „Fick“, sagte der grünhäutige Diener mit seinem schiefen Lächeln, was Easy beinahe zu einem Wutausbruch brachte, ehe Jack ihr leise ins Ohr flüsterte, dass dieses Wort nun einmal bei seinem kuriosen Sprachfehler herauskam, wenn er ein Wort wie ‚schick’ benutzte. Easy beruhigte sich somit recht schnell wieder. Dann hatten sie erst einmal Zeit, ihr vorübergehendes Quartier beim Essen sowie danach ausgiebig zu inspizieren. Und so langsam wurde den vieren wirklich mulmig, selbst Nifen ließ dieser Ort nicht mehr kalt. Bei genauerer Betrachtung war ihnen aufgefallen, dass sämtliche Wandteppiche und Gemälde bei ihrer Darstellung von Personen, Tieren und sonstigen Geschöpfen ein kleines Detail unter den Tisch hatten fallen lassen: den Kopf. „Toll... Kopflose Jungfrauen“, moserte Chris, während er eines der Bilder betrachtete. Damit war kein Knutschen möglich und das machte diese Frauen eindeutig nicht unbedingt besonders interessant. Mal ganz abgesehen davon, dass das gruselig war. „Schon krass...“, murmelte auch Jack. „Keine Köpfe auf den Gemälden, keine Helme bei den Rüstungen, aber Kopffüßer in den Aquarien.“ „Hä?“ Easy blickte ihre Schwester verwirrt an. „Easy, hast du in Bio denn gar nicht aufgepasst?“ Jack seufzte tief. „Tintenfische sind Kopffüßer, die im Prinzip nur aus einem großen Kopf mit Gliedmaßen und Eingeweiden bestehen.“ „Ah.“ Easys Gesicht hellte sich auf. „Vielleicht versucht der Besitzer ja damit seinen akuten Kopfmangel zu kompensieren?“ „Daf kann man fo fagen.“ Igor stand – wieder mit diesem komischen schiefen Lächeln, das wohl die einzige Regung dieser Art war, die er vollbringen konnte – in der Tür. „Ihr feid dran.“ Und damit schnappte er sich das Schlagzeug und wuchtete es durch die Tür. „Äh... Ja... Sorglospunks – aufi?“ Easy versuchte optimistisch zu sein, aber ein kleiner Gruselschauer rann ihr über den Rücken und machte das nun nicht gerade einfacher. Die gesamte Band war ein wenig verunsichert, als sie die Bühne betrat. Und die Tatsache, dass die Beschreibung ‚akuter Kopfmangel’ auf die gesamte Zuhörerschaft zutraf, machte die ganze Sache nicht unbedingt besser. Die Personen, die dort saßen... Nun... Es waren wenigstens Personen und keine Werwölfe oder singenden Pilze oder so etwas. Das war ja schon mal positiv. Und sie trugen Abendgarderobe, sowohl die Männer als auch die Frauen. Und die Frauen überboten sich gegenseitig in der Menge an Schmuck, die sie tragen konnten. Allerdings war da noch etwas anderes. Sämtliche Menschen in diesem Raum hielt ihren Kopf unter dem Arm, darunter selbstverständlich auch derjenige, beim dem es sich offenbar um den Hausherrn handelte. Erkennbar war dieser Umstand nur an der Tatsache, dass er an dem Kopfende des ewig langen Tisches saß und somit den besten Blick auf die kleine Bühne hatte, auf der die Sorglospunks auftreten sollten. „Flucht?“, raunte Easy leise Jack zu, doch diese schüttelte nur den Kopf. „Hast du die Schwerter gesehen? Und die Rüstungen? Und die Bögen? Vergiss es“, gab sie genauso wenig hörbar zurück. Die Wandverzierung schien in dem Salon fast nur aus diesen Dingen zu bestehen – abgesehen von reichlich kopflosen Gemälden. Easy nickte resigniert und marschierte zum Mikro. Nun, sie waren eine junge und aufstrebende Band und sie würden alle von sich überzeugen! Auch kopflose Leute! „Einen wunderschönen guten Abend, liebes Publikum!“ Das war der Punkt, an dem ich lieber vorsichtig wurde und meine Wolke noch etwas näher an Easy heranmanövrierte. Man wusste ja nie, was sie bei diesen Ansagen ausheckte. „Wir sind die – bisher noch kopfreiche – Band Sorglospunks und Ihre heutige Abendunterhaltung. Genießen Sie die Show!“ Kopfreich. Sowas konnte auch nur Easy einfallen... Die Reaktion auf dieses eine Wort bestand darin, dass sich die ersten Zuschauer bereits nach flugfähigen und werfbaren Gegenständen umsahen – und dummerweise gab es in diesem Raum, wie bereits erwähnt, ziemlich viele scharfe Gegenstände. Ergo: Die Sorglospunks sollten dringend begeistern und nicht abschrecken, denn den üblichen Tomaten-Eier-Regen würde es hier wohl kaum geben. „Also dann... Unsere Bandhymnen – für euch!“ Und damit legte die Band los und spielte das volle Programm von den Tomaten über schäumende Träume und Faust bis hin zum neusten Weltendeknaller. Ich sortierte in der Zwischenzeit schon einmal meine Ideenblitze, wusste ich doch schon längst, was unabwendbar kommen würde. Der neue Song ganz am Ende der Show, um das Publikum ganz besonders zu beschenken, zu beeindrucken und um ein ganz einmaliges Konzerterlebnis zurückzulassen. Gut, und irgendwie konnte Easy unter dem Publikumsdruck am besten arbeiten. Und so war es. Das Publikum war längst auf der Seite der Band und hatte Easy ihre reichlich dämliche Eingangsbemerkung verziehen. Die kopflosen Herrschaften warfen sogar ihre Köpfe vor Begeisterung in die Luft und fingen sie wieder auf. Vermutlich auch, um besser sehen zu können und eine neue Perspektive auf das Geschehen zu bekommen, auch wenn jedem normalen Lebewesen so etwas Kopfschmerzen bereitet hätte. Gut, aber kopflose Menschen konnte man kaum als ‚normale Lebewesen’ bezeichnen. Meine Blitze waren bereit. Und ich legte los. Easy auch. Und Jack und Chris auch, sobald Easys Melodievorschläge bei ihnen gelandet waren und sie daraus etwas basteln konnten. „Kopflos, warum denn so kopflos? Kopflos, warum denn so kopflos?“ Nifens strafender Blick traf mich, doch ich konnte doch nichts für das, was Easy hier anstellte! Das war definitiv ihre Sache! Ich inspiriere schließlich nur und bin nicht für das verantwortlich, was jemand aus dieser Inspiration macht. „Kopflos, ja, warum denn so kopflos? Das Leben ist schön! Auch ohne Kopf! Gib mir deinen und du kriegst dafür meinen. Zusammen sind wir dann kopfreich, kopfreich, kopfreich! Ja, zusammen sind wir dann kopfreich, kopfreich, kopfreich! Und niemals wieder kopflos! Also reich mir deine Hand, wirf mir deinen Kopf zu. Wir tauschen, einfach so! Also, warum noch kopflos? Denn zusammen sind wir kopfreich, kopfreich, kopfreich! Ja, zusammen sind wir immer kopfreich, kopfreich, kopfreich!“ Müßig zu erwähnen, dass der Song nach dem ersten kritischen Moment für große Begeisterung gesorgt hatte, nicht wahr? Was man aber vielleicht doch erwähnen sollte, wäre das Desaster, das die dadurch ausgelöste Kopftauschaktion mit sich brachte. Dass Easy auf einmal aufgefordert wurde, auch ihren Kopf zu tauschen, sie sich weigerte, der Gastgeber beleidigt war und die Band samt Nifen und mir schließlich ihr Heil in einem recht hektischen Aufbruch – kräftig unterstützt von der guten Seele Igor – suchte. Hey, aber der Auftritt war dennoch ein Erfolg. Diese Leute werden die Sorglospunks niemals wieder vergessen... Gut, die Sorglospunks sie auch nicht. Ich sollte Easy wohl dringend ein paar neue Ideen für Träume bescheren, damit sie nicht mehr mitten in der Nacht aufsprang und durch das Haus brüllte „Gib mir meinen Kopf wieder!“... Ja, sollte ich vielleicht. Habe ich schon erwähnt, dass ich mit dem Teufel befreundet bin? Kapitel 18: Easy allein zu Haus ------------------------------- „Okay, Easy, Folgendes.“ Jack, Chris, Nifen und Chibichi hatten sich neben der Bandleaderin der Sorglospunks auf der Couch in der SP-WG niedergelassen und sie regelrecht umkreist. Kiwi hockte unter dem Sofatisch und beobachtete das Ganze skeptisch. Ich ebenfalls, auch wenn ich wusste, worum es ging. „Chris muss seine kranke Oma besuchen. Das heißt, er wird das Wochenende über nicht hier sein, sondern bei seinen Eltern übernachten. Das ist ja schon ein Stück bis dahin. Nifen muss auf einen Musikmanagerkongress und hofft, dort einige gute Ideen für unsere weitere Vermarktung und am besten noch für unseren absoluten Durchbruch zu finden. Chibichi hat ein akut dringendes Projekt, das sie in der Hölle für die nächsten Tage angehen muss und ist dort unabkömmlich“, begann Jack ganz langsam und jedes gerade erwähnte Band- oder Crewmitglied nickte bestätigend, wenn sie sein Vorhaben ausgeführt hatte. „Abranka ist auf den Olymp gerufen worden und muss da dringend etwas mit Apollo klären. Du weißt ja, das ist der Oberboss der Musen und gleichzeitig auch so etwas wie ihr Vater.“ Easy nickte brav. „Heißt das, wir sind das Wochenende dann ganz alleine?“ Große braune Kulleraugen blickten ihre Zwillingsschwester an. „Nicht ganz... Äh, da ist... Nun ja...“ Jetzt kam Jack trotz aller Vorbereitung ins Stottern. Mist. Warum hatte ihr keiner gesagt, dass das hier so schwer umzusetzen war? „Sie macht einen Drummer-Triangel-Blockflöte-Fortbildungskurs an der Aiode-Hochschule. Der dauert nur ein Wochenende, kann ihre musikalischen Multifähigkeiten aber nur noch mehr schulen“, erläuterte Chibichi sanft. Kaum zu glauben, dass der Teufel höchstpersönlich mit absoluten Engelszungen sprechen konnte. „Aber... Das heißt ja...“ „Dass du allein zu Hause bist, ja!“ Chris verdrehte die Augen. Warum musste man bei so etwas nur die Samthandschuhe auspacken? Easy war doch alt genug dafür! „Nicht ganz allein!“, warf Jack scharf ein. „Kiwi ist ja auch noch da und wird dich brauchen, um sie zu füttern!“ Oha. Kiwis Ohren zuckten und ihre Schwanzspitze schlug unruhig gegen eines der Tischbeine. Nur gut, dass sie sich den Felinopyximatic 2000 gekauft hatte. Im Übrigen eine Ausgabe, die mit Stirnrunzeln auf den Kontoauszügen bemerkt worden war, aber nach einem fragenden Anruf beim WWWB-Markt als absolut korrekt markiert werden musste, sodass noch immer gegenseitige Verdächtigungen im Raum standen. Easy wurde verdächtigt, einen Sonderposten Kaffee erstanden zu haben, Jack eine halbe LKW-Ladung Schokolade, Chris eine spezielle Telefonkarte nach Japan und Nifen irgendeinen schweineteuren Ace of Base-Fanartikel. Da natürlich alle abstritten, kam man der Wahrheit nicht wirklich näher und Kiwi konnte sich weiterhin in Sicherheit wiegen. Nur der Teufel wusste schließlich Bescheid und der würde sich schon nicht verquatschen. „Mit Kiwi allein zu Haus?“, wiederholte Easy langsam und Jack war deutlich anzusehen, dass sie am liebsten einen Schreikrampf bekommen hätte. „Ganz genau“, mischte sich nun Nifen ein. „Von heute Abend bis Sonntagabend. Du bist also knapp zwei Tage allein. Das schaffst du doch, oder?“ Sie lächelte der sonst so sorglosen Frontfrau fröhlich zu. „Klar!“ Easy strahlte in die Runde. „Was denkt ihr denn? Und warum macht ihr darum so ein Drama?“ „Okay...“ Jack lächelte schwach und tätschelte ihrer Schwester die Schulter. Ein langer Seitenblick traf Nifen und Chris, die jedoch beide die Achseln zuckten. „Und für absolute Notfälle hast du ja die Handynummern von uns allen.“ „Klar!“ Easy nickte noch einmal bekräftigend. Gut, schien ja, als wenn das alles hier brauchbar lief... Ich warf den anderen vier einen langen Blick zu und beschloss, die Sache im Olymp so weit abzukürzen, wie es nur möglich war. Sicher war sicher. Und wenn Easy nicht wusste, dass die Muse doch wieder da war, nun ja... Das konnte lustig werden. Außerdem wollte ich wissen, warum Jack so ein Drama aus dieser Sache machte. Selbst Nifen und Chibichi schienen da nicht so ganz durchzusteigen, während Chris wiederum alles ganz locker sah. Ich schaffte es tatsächlich, kurz vor Mitternacht am Freitagabend wieder zurück zu sein. Letztlich ging es nur um das Übliche: Kurzer Report beim Boss persönlich, da den Sorglospunks schließlich eine blendende Zukunft vorhergesagt wurde und Apollo höchstpersönlich ein großer Fan der Band war, dann das unabwendbare Meeting mit Hippokrene, Pegasus und den neun großen Musen – Klio, Melpomene, Terpsichore, Thalia, Euterpe, Erato, Urania, Polyhymnia und Kalliope – und ich war schon wieder entlassen. Natürlich hätte ich die Gelegenheit nutzen können, noch mehr Zeit auf dem Olymp zu verbringen, aber so sehr mochte ich die Gesellschaft von Göttern und göttlichen Wesen nicht unbedingt. Einige von denen können einem sehr schnell auf die Nerven gehen und so sattelte ich so bald wie möglich meine fliegende Wolke wieder und kehrte auf die Erde zu der Sorglospunks-WG zurück. Im Unsichtbarmodus schummelte ich mich durch das Wohnzimmerfenster hinein. Easy saß auf der Couch. Um sie herum lagen Unmengen an Schokoladenpapiere verteilt, leere Kaffeetassen und -kannen standen herum und hatten Teppich, Tisch, Kissen, Sofa und noch alles mögliche mehr mit braunen Flecken bereichert. Im Fernseher dudelte die wohl dritte Staffel des gelbsten TV-Familie der Welt – Chris hatte sich sämtliche DVDs zugelegt, hütete die allerdings beinahe so extrem wie seine Gitarre und seinen Bass (die er übrigens beide mitgenommen hatte – samt Politur, versteht sich!) und Easy nutzte eindeutig die Gelegenheit. Allerdings... hatte selbst bei ihr diese Menge an Koffein nicht besonders positive Nebenwirkungen. Hysterische Lach- und Zappelanfälle waren da noch das harmloseste. Als sie dann begann, Marges Frisur mit ihren Haaren nachzuahmen, verdrückte ich mich diskret in Nifens Büro. Ich war ja schließlich kein Voyeur oder so. Das, was ich hier tat, war allein der Sorge um Easy zuzuschreiben – und der Notwendigkeit, im Notfall doch noch irgendwie eingreifen zu können... Der nächste Morgen begann sehr früh – mit lautem Krach aus der Küche. Und dabei brauchte doch eine Muse hin und wieder ihren Schlaf! Neugierig machte ich mich auf den Weg und sah von der Tür aus zu, wie Easy sämtliche Schränke aufriss, nach diversen Gegenständen wühlte und nach einem kurzen Anflug der Verzweiflung „Hilfe, ich kann nicht kochen!!!“, beschloss, dass sie doch wenigstens zu Pfannkuchen in der Lage sein sollte. Fasziniert beobachtete ich, wie innerhalb weniger Minuten eine ordentliche, saubere Küche in ein reinstes Chaos aus Mehlstaub, geplatzten Eiern, Milchpfützen, Teigklecksen, Butterflecken und Zuckerhäufchen verwandelt wurde. Dass dieser Teig nicht schmecken konnte, auch wenn er so unglaublich hart erkämpft war, sah ich auf den ersten Blick, aber... ich war ja eigentlich gar nicht da. Und Easy brauchte keinen Babysitter. Sie war schließlich alt genug für alles, auch wenn sie mich gerade an ein Kind erinnerte, das von der Leine gelassen worden war. Gut, aber mit Jack als Schwester hatte sie dazu seltener die Gelegenheit... Nachdem das Experiment Pfannkuchen für gescheitert erklärt werden musste, gab es dann Schokokekse zum Frühstück. Und dann wurde das Telefon belegt. Nahezu der gesamte Eierkarton – na gut, nur der halbe! – wurde angerufen. Jedem einzelnen widmete Easy gute anderthalb Stunden und dann war auch eigentlich schon Zeit fürs Mittagessen, nur... Nun ja... Die Küche sah noch immer aus wie ein absolutes Schlachtfeld und das Problem mit dem Kochen hatte sich auch noch nicht von selbst gelöst. Da blieb doch nur das Belasten der Bandkasse mit einem Anruf beim Vegetarier, der ein besonders großes Angebot vegetarischer Gerichte sein eigen nannte, zwar nicht besonders nette Preise hatte, aber dafür nur die besten Zutaten verwendete und immerhin so freundlich war, kostenlos zu liefern. Also gab es Kochen nach Zahlen an diesem Mittag. Und von dem vegetarischen Auflauf, den ein junger, nett aussehender Bote brachte – Easy, warum hast du ihn nicht gefragt, ob er auf eine Cola reinkommen will? Der hätte sofort ja gesagt! –, war sogar noch genug übrig, um als Abendessen dienen zu können. Einfach perfekt! Tja, und was jetzt? Nachdenklich ließ sich Easy in dem Kaffee-Schokoladenchaos im Wohnzimmer auf das Sofa fallen. Hm... Nein, ich zügelte meine Ideenblitze. Ich war ja schließlich gar nicht da... So langsam verstand ich, warum Jack so unruhig angesichts der Tatsache gewesen war, Easy allein zu Hause zu lassen. Nicht, dass sie drohte, das Haus versehentlich anzustecken oder so, nein, das nicht. Nur einem so ordnungsliebenden Menschen wie Jack war dieses Chaos natürlich ein absoluter Dorn im Auge – insbesondere, weil sie es sein würde, die schließlich wieder Ordnung in alles brachte. Mit Chris vielleicht als Handlanger an ihrer Seite, weil er in Ruhe mit Umeko chatten wollte und da dauerndes Hintergrundgezeter nicht gerade flirtfördernd war, aber... sie würde es eben tun. Nicht Easy. Weil Easy dann lieber stundenlange Spaziergänge draußen machte, sich in ihr Zimmer einschloss und vorgab, am Schreibtisch zu sitzen – was sie dann auch tat und dort Löcher in die Luft starrte – oder Kiwi unter irgendeinem Vorwand zu suchen oder aber eben so lange um den Wohnzimmertisch zu rennen, bis Jack aufgab. Tja, und jetzt? Easy seufzte leise und schlich in ihr Zimmer. Da stand es. Das Buch. Ehrfürchtig nahm sie es aus dem Regal und strich über den Einband. ‚Songschreiben leicht gemacht – für Anfänger und Profis’ lautete der Titel. Ich unterdrückte ein Pfeifen durch die Zähne. Versuchte es Easy also mal auf diesem Wege? Schließlich wusste sie ja, dass früher oder später wieder einmal die sechs berühmten und verfluchten Worte erklingen würden: Easy, wir brauchen einen neuen Song! Also, warum sich nicht dafür wappnen, aber... Mit einem Ruck landete das Buch wieder im Regal. Nein, dann doch lieber was anderes. Ärzte! Easy grinste breit und steuerte die Anlage an. Immerhin war ja niemand mehr da, um sich zu beschweren, wenn sie die Musik ultramegalaut aufdrehte – denn so hörten sich die Ärzte beinahe so an wie auf einem Konzert! „Jeden Tag sitz ich am Wannsee und ich hör den Wellen zu ich lieg hier auf meinem Handtuch, doch ich finde keine Ruh...“ Easy war auf ihr Bett gesprungen und sang lauthals mit. Schien, als wenn das noch eine Weile dauern würde... Dem war auch so. Als ich gegen Mitternacht doch mal nachsah, ob sie nicht genug von den Ärzten hatte, musste ich feststellen, dass Easy schlichtweg... eingeschlafen war. Trotz des extremen Musikkrachs, der durch die Wohnung schallte. Am Sonntagmorgen beschloss ich dann, dass dem Versteckspiel genüge getan war. Ich war schließlich weder ein Stalker noch ein Voyeur (was ich an dieser Stelle doch bitte noch einmal sehr deutlich betont wissen möchte!). „Easy! Ich bin wieder da!“, rief ich also sehr lautstark, als ich durch die Tür hereingeschwebt kam. „Ui, Abranka!“ Eine reichlich verpennte, aber sehr begeisterte Sorglospunkerin kam mir entgegengerannt. „Toll, dass du wieder da bist!“ „Äh... Wo ist Kiwi?“ Das fiel sowohl mir als auch ihr siedendheiß ein. Sie hatte vergessen, die Katze zu füttern! „Kiwi? Kiwi!“ Hektisch eilte die sonst so sorglose Sängerin durch die Wohnung. Wo war ihr kleiner Kiwinator, ihr Lieblingsbommel denn? Kiwi hockte unter dem Küchentisch und rülpste lautstark. Natürlich hatte sie den Felinopyximatic 2000 direkt nach dem Dosen öffnen sofort wieder versteckt – sicher war schließlich sicher und hinter dem Kühlschrank schaute eh nie jemand nach. „Kiwi!“ Easy jubelte und hob die vollgefressene Katze strahlend hoch. „Geht es dir gut? Und wie hast du die Dose aufbekommen?“ Fasziniert starrte Easy auf die geöffnete – und nun geleerte – Katzenfutterdose mitten auf dem Fußboden. Ein strafender Blick traf die Sorglospunksfrontfrau. Schließlich hatte Easy schon wieder vergessen, dass Katzen hin und wieder ein wenig Bedienungsservice beim Fressen brauchten! Und sie hatte diesen ewigen Krach die ganze Nacht über laufen lassen! Und überhaupt! Sie brauchte dringend Chibichi als Übersetzerin, um Easy mal die Meinung zu sagen! „Okay... Wir sollten wohl bis heute Abend am besten das Chaos beseitigen. Wenn Jack zurückkommt, wird sie dir an die Gurgel gehen“, stellte ich trocken fest, während ich das Chaos in der Küche betrachtete. „Oooooch... Muss das denn sein? Jack kann doch viel besser aufräumen!“ Easy seufzte so herzerweichend, dass Chibichi sicherlich mit einem Fingerschnippen dieses Durcheinander beseitigt hätte, und setzte das offizielle Bandmaskottchen ab, das sich verdrückte, um irgendwo einen äußerst ausgiebigen Verdauungsschlaf zu halten. „Okay, Folgendes: Da ich ein göttliches Wesen bin und leider ein wenig außerhalb der üblichen Spielregeln dieser Welt existiere und außerdem noch zwei absolut linke Hände habe, bin ich dir dabei nicht gerade eine große Hilfe, aber ich werde dich unterstützen, okay?“ „Und wie...?“ Easy legte den Kopf schräg und blickte mich aufmerksam an. So ganz alleine war sie ja dann nicht und dann... konnte das doch sogar lustig werden, oder? Keine zehn Minuten später dröhnte die Küche vor Musik. Die Ärzte. Mal wieder. Ich konnte Kiwi schwach durch den Krach maunzen hören. Dann ging die Katzenklappe und das Bandmaskottchen beschloss, dass ein Nickerchen im Sonnenschein weit, weit, weit weg von diesem Lärm eindeutig toll war. Allerdings musste sie unbedingt daran denken, pünktlich zum Abendessen wieder da zu sein. „Weißt du noch wie’s früher war? Früher war alles schlecht Der Himmel grau, die Menschen mies Die Welt war furchtbar ungerecht“ Easy trällerte fröhlich mit, während sie den Wischmopp in der Küche schwang. Sobald der Song vorbei war, las ich ein Kapitel aus dem Songschreibbuch vor. Theorie und ein passendes Praxisbeispiel in ständiger Abwechslung. Vielleicht half das Easy ja ein wenig, ihre Schreibhemmungen abzubauen. Immerhin... konnte sie es ja doch eigentlich. Sämtliche Sorglossongs – und besonders die Hits! – stammten doch alle aus ihrer Feder, somit gab es keinen Grund, Hemmungen zu haben. Aber nun gut... Vielleicht wurde es ja etwas. Und so wurde das Buch – das zu Kosten der Bandkasse angeschafft worden war – zumindest gelesen, die Wohnung auf Vordermann gebracht und Easy hatte Spaß daran. „Easy! Wir sind wieder da!!!“ Jacks Stimme schallte durch das ganze Haus. Teuflischer Mächte sei Dank, hatten es die vier geschafft, alle gleichzeitig anzukommen und wuselten nun gemeinsam in die Wohnung. (Oder einfacher gesprochen: Chibichi hatte sie alle nach Abschluss ihrer komplizierten Teufelsangelegenheiten eingesammelt und nach Hause gebracht.) „Wow!“ Jacks Augen wurden groß, als sie sah, dass das Wohnzimmer vollkommen aufgeräumt war. Einen Augenblick später hatte sie die Küche inspiziert und sah dort das gleiche Bild. Das war doch... „Oh, hey.“ Easy grinste ihr optisches Ebenbild an. „Was ist mit dir passiert? Kein grenzenloses Chaos?“ „Öh, nö. Ich hatte eine bessere Idee.“ Easy zwinkerte mir verschwörerisch zu. „Sind alle im Wohnzimmer? Ich will euch unseren neuen Hit vorstellen!“ Jetzt klappte Jacks Kinnlade herunter. „Du... Was? Wer bist du und was hast du mit meiner Schwester gemacht?“ Easy grinste breit. Das lief doch super! Kaum im Wohnzimmer angekommen, schnappte sie sich schon ihre Gitarre, ließ sich auf einem Stuhl nieder und legte los. „Ohohoho Easy allein zu Haus! Ohohoho Easy allein zu Haus! Alle sind sie ausgeflogen, ausgeflogen, ausgeflogen! Und ich nutze die Chance, nutze die Chance! Schokomania und Kaffeeexzess vor dem Fernseher, vor dem Fernseher! Schokopapier und Kaffeeflecken überall, ohoho, überall! Kaffeeschock – die ganze Nacht! Koffeinüberschuss, aber satt! Ohohoho Easy allein zu Haus! Ohohoho Easy allein zu Haus! Pfannkuchen backen - kein Problem, kein Problem! Chaos pur, Fleckenkur! Überall, ohoho überall! Telefon, Westerland und Ärzte! Ärzte! Ohohoho Easy allein zu Haus! Ohohoho Easy allein zu Haus! Und dann setz ich mich hin und schreib nen neuen Hit! Denn ich weiß, weiß, weiß, das wollt ihr sowieso! Denn ich weiß, weiß, weiß, das wollt ihr sowiesooooo! Ohohoho Easy allein zu Haus! Ohohoho Easy allein zu Haus! Alle sind sie ausgeflogen, ausgeflogen, ausgeflogen! Und ich nutze die Chance, nutze die Chance!“ Kapitel 19: Fasching mal sorglos -------------------------------- „Es ist Karneval! Es ist Fasching! Fasching, Fasching, Fasching!“ Übermütig vor sich hinträllernd hopste Easy, die sorglose Frontfrau der besten imaginärsten Band der Welt, im Schlafanzug durch die Sorglospunks-WG und weckte ihre Mitbewohner. „Easy... Du hast ja wohl nen Knall!“, schimpfte Jack, ihres Zeichens Easys Zwilling und musikalisches Multitalent der Band los. „Und wie!“, ergänzte Chris genervt. „Es ist acht Uhr! Wir dürfen noch schlafen!“ „Nein, nein, nein, denn es ist Fasching!“ Easy strahlte ihre Bandkollegen an. „Du spinnst!“ Jack wollte in ihr Zimmer zurückstürmen. „Lass uns schlafen und hör mit dem Krach auf!“ „Aaaber, aber, aber... Wir haben doch Rosenmontag. Und wir können nach Köln fahren. Zum Rosenmontagszug!“ Mit großen Augen blickte Easy ihre beiden Bandmitglieder und die Managerin an. „Easy.“ Nifen legte ihr sachte die Hand auf den Arm. „Wir sind ein paar hundert Kilometer von Köln weg. Das Geld in der Bandkasse reicht weder für das Spritgeld – wobei es eh Wahnsinn wäre am Rosenmontag nach Köln mit dem Auto zu fahren – noch für Bahntickets. Keine Chance.“ Ganz abgesehen davon, dass das Management Karneval nicht gerade große Sympathien entgegenbrachte. „Oh...“ Easy lächelte traurig. „Da kann man dann wohl nichts machen, was?“ Mit hängenden Schultern tapste sie in ihr Zimmer zurück und zog die Tür zu. Nifen sah ihr nach und seufzte tief. „Du weißt, dass diese Stimmung ihren Songwritingqualitäten nicht gerade zuträglich ist, oder?“, murmelte Jack, die doch mitten in der Tür stehengeblieben war. „Und dass sie uns jetzt alle mit ihrer Laune runterziehen wird, oder?“, fügte Chris hinzu. „Und dass sie neue Dimensionen im Jammern erfinden wird, oder?“, ergänzte ich noch hilfreich. „Miau“, gab Kiwi ihren Senf ebenfalls hinzu. „Ist ja gut!“ Nifen rang theatralisch die Hände. „Abranka, ruf Chibichi an. Jetzt können wir teuflische Fähigkeiten gebrauchen. Jack, du kümmerst dich um die Kostüme. Chris, du setzt Kaffee und Kakao auf, damit wir alle klar denken können! Wir brauchen einen kurzfristigen Auftritt beim Rosenmontagszug in Köln!“ „Aye!“, schallte es dreistimmig, ergänzt mit einem fröhlichen „Miau“, durch den Korridor, dann stürmten wir alle davon. Ich sauste zum Telefon und wählte die höllische Nummer, während Jack sich auf die Kleiderschränke stürzte, Chris in der Küche Wasser kochte und Nifen an ihren PC wirbelte. Kiwi dagegen beschloss, klug zu sein und sich möglichst aus dem Weg zu befördern. Nicht, dass sie noch mitfahren musste... Keine fünf Minuten später landete der Teufel per höllischem Eilexpress im Wohnzimmer. „Hey!“, grüßte sie cool und wirkte ein wenig erstaunt, dass ich ganz allein dort war, um sie in Empfang zu nehmen. „Was denn? Für einen Notfall ist das wenig Empfangskommando.“ „Oh, der Rest bastelt an allem anderen.“ Ich lachte und erklärte ihr alles. „Also soll ich euch einfach nur nach Köln bringen? Das ist alles?“ Chibichi zog eine Augenbraue hoch und selbst ihre Flügel zuckten skeptisch. „Na ja, du bekommst einen tollen Faschingstag mit den Sorglospunks. Und du darfst mal ganz öffentlich durch die Straßen marschieren, ohne dass du mit komischen Blicken oder irgendwelchen Weihwasserattacken rechnen musst. Das ist doch auch mal was, oder?“ „Okay, wir haben einen Auftritt heute Abend in irgendeiner Altstadtkneipe. Damit kriegen wir das Geld vielleicht wieder... Oh, hey, Chibichi.“ Nifen lächelte den Teufel fröhlich an. „Wie gut bist du darin, Kostüme zu improvisieren? Ich glaube, Jack braucht Hilfe... Und wenn du Easy die frohe Karnevals-Köln-Botschaft überbringst, wird sie nur noch glücklicher sein.“ Das Lächeln geriet jetzt etwas gezwungen und während sich der Teufel auf den Weg machte, seufzte Nifen tief auf. „Karneval... Warum muss es denn ausgerechnet Karneval sein? Ich komme aus Hessen! Ich bin doch keine rheinische Frohnatur! Karneval – das ist geistige Totalabschaltung!“ Ich tätschelte ihr beruhigend die Schulter. „Nun, wenn Chibichi mitfährt, kannst du ja hierbleiben.“ „Und euch ohne Managerin loszuschicken? Das geht nicht. Ansonsten wird das mit dem Auftritt doch nichts. Das weißt du doch.“ Ich musste lächeln. Ja, so war das eben. Die drei verließen sich dermaßen auf das Management, dass sie noch irgendwann einmal ihren Verstand versehentlich zu Hause lassen würden, wenn sie zu einem Auftritt aufbrachen. „Du wirst es überleben“, sagte ich aufmunternd. „Ja... Beruhigenderweise.“ Zumindest kam Chris gerade mit einer Tasse heißen Kakao herein und hob damit ein wenig die Stimmung. Easy rastete derweil vor Begeisterung nahezu aus. „Wir fahr’n nach Köln! Wir fahr’n nach Köln!“, jubelte sie, während sie nahezu hysterisch auf ihrem Bett herumhopste. „Ja, und wenn du so weitermachst, gehst du als Schlafanzugmodel!“ Jack verlor langsam die Nerven. Chibichi dagegen hatte eindeutig ihren Spaß an dem Geschehen und bereute es sich sichtlich nicht, sich zu einem sorglospunkigen Tag breitschlagen lassen zu haben. Die beiden Mädels hatten sich selbst bald für Kostüme entschieden – jetzt fehlten nur noch Chris und Nifen. Und während ich mich mit Nifen um ein Kostüm kümmerte, dass möglichst nichts mit Karneval zu tun hatte, wurde Chris von den beiden Mädels davongeschleift. Fünf Minuten später kamen die drei stolz ins Wohnzimmer herunter. „Wow!“ Ich legte mit meiner Wolke vor Überraschung einen Looping hin. Nicht schlecht, vor allem dafür, dass ich keine Inspiration verteilen musste. Chris war von den Zwillingen in ein – offenbar von Chibichi irgendwie herbeigebrachtes – Plüschhasenkostüm gesteckt worden. In quietschpink. „Aber nur, weil Umeko Hasen so mag...“, moserte er mit roten Ohren und rückte die Kapuze mit den langen Hasenohren ein wenig zurecht. Jack hatte sich entschlossen, das Kostüm von dem Auftritt mit Chuck & Chuck zu recyceln und ging als Cowgirl. Und Easy... Easy hatte beschlossen, dass sie ein Punk war und auch so aussehen musste. Dicke schwarze Stiefel, ein kurzer karierter Rock, eine weiße Bluse und eine dicke Krawatte und ihre Haare... Ja, ihre Haare waren das Bemerkenswerteste an dem Outfit. Sie hatte alle möglichen von diesen Sprühfarben hereingehauen und ihre Haare dann mittels Gel, Zuckerwasser und Haarspray auf das Wildeste zum Abstehen gebracht. Dazu ein entsprechend buntes, schrilles Make-up. Sie sah aus, wie einem verrückten Musikvideo entsprungen – sprich: absolut genial! „Mann, Nifen, du siehst aber toll aus!“, entwich es Easy mit offenem Mund. Nifen grinste nur breit. Wir hatten gemeinsam beschlossen, dass sie als Lady in Black wie in dem Film MIB gehen würde. Cool im schwarzen Anzug, mit weißer Bluse und schwarzer Sonnenbrille. Das war so wenig Karneval wie möglich. „Also dann, alle ab ins Auto!“ Chibichi klatschte in die Hände. „Und vergesst eure Instrumente nicht! Schließlich habt ihr heute Abend ja einen Auftritt!“ Sie zwinkerte Kiwi kurz zu, die unter dem Sofa hockte und das ganze Geschehen argwöhnisch beobachtete. Wenigstens hatte die Katze ihren Felinopyximatic 2000, denn natürlich hatte niemand an ihr Frühstück, Mittag- oder Abendessen gedacht... Mit dem Wunderauto dauerte es gerade mal eine halbe Stunde bis Köln zu fahren. Wunderautos benutzten schließlich nicht unbedingt die normalen Straßen und gehorchten auch nicht gerade den üblichen Verkehrsregeln und Naturgesetzen. So gelang es uns auch ganz problemlos, einen Parkplatz mitten in dem närrischen Treiben zu finden. (Und wir schafften es auch, Easy daran zu hindern, zwischenzeitlich ins Lenkrad zu greifen und unkontrolliert daran zu reiben...) Keine Minute nachdem der Motor ausgestellt war, stürzte sich die sorgloseste Punkbank der Welt in das jecke Treiben. Nifen seufzte steinerweichend, atmete noch einmal tief durch und folgte den drei Musikern und dem mit wehenden Flügeln nebenher laufendem Teufel dann. Ich entschied mich, den Überblick zu behalten und ein wenig über dem Geschehen zu schweben. Wozu hatte ich denn meine Wolke? Außerdem konnte ich dann dafür sorgen, dass sich die Gruppe nicht verlor, denn es war schon jetzt klar, dass Nifen die Sorglospunks an ihren abendlichen Auftritt würde erinnern müssen. Die vergaßen das nämlich sicherlich. Zum Glück war ich mehrfach abgesichert und konnte die Band gar nicht verlieren. Erstens war ich ja sowieso inspirationstechnisch an die drei gekoppelt, zweitens waren weder Easys Haarmähne noch Chibichis Flügel aus der Luft übersehbar und drittens zog der Teufel bekanntlich eine ziemliche Duftwolke aus Vanille hinter sich her... Tja, wie lässt sich dieser Anblick am besten beschreiben? Easy hopste fröhlich neben Chibichi durch die Menge und jubelte den Karnevalswagen zu. Jack versuchte cool zu wirken, doch in ihren Augen glänzte auch diese Kleinmädchenbegeisterung und Chris konnte sich vor Verehrerinnen kaum retten, die ihn in seinem Plüschhasenkostüm unglaublich süß fanden. Und Nifen... Sie schaffte es, eine wirkliche coole Lady in Black zu sein, während sie innerlich den Kopf über so viel närrisches Treiben schüttelte. Aber was tat man nicht alles, damit es der Band gut ging? „Abranka! Fängst du für uns Kamelle? Du kannst doch fliegen!“, rief mir Easy in dem Augenblick zu. Woah. So hatten wir aber nicht gewettet. Nirgends war die Rede davon gewesen, dass ich mitmachen musste! Gut, aber was tat man nicht alles, damit es den besten Freunden gut ging, nicht wahr? Und so nutzte ich meine Wolke aus, um die besten Wurfgeschosse von den Wagen abzufangen. Das irgendwann einmal Apollo zu erklären, dürfte sicherlich interessant sein, denn eine solche Nutzung der musischen Gefährte gehörte nicht gerade zu denen, die in der Nutzungsordnung vorgesehen und gestattet waren... „Boah, war das toll!“ Müde ließ sich Easy auf die Treppenstufen irgendeines Hauseingangs fallen. Ihre Füße taten langsam einfach höllisch weh! Jack saß nur einen Wimpernschlag später neben ihr, daneben hockte sich wiederum Chibichi, während sich Chris einfach geschafft auf den Boden sinken ließ. Nifen lehnte lässig an der Hauswand und spähte die drei über den Rand ihrer Sonnenbrille an. „Rück mal die Schokolade rüber, Abranka!“, kam es da auch schon von Jack und mit einem süffisanten Lächeln kippte ich vor ihr die Hälfte meiner Ausbeute herunter. „Wow! Das hast du alles gefangen?“ Chris starrte mit großen Augen zu mir empor. „Wow! Damit erklären wir dich zur Kamellenfangkönigin!“ „Und zur Bandkassenschonerin“, fügte Nifen mit einem Augenzwinkern hinzu. Wenn man Süßkram umsonst bekam, musste man ihn schließlich nicht kaufen. „Immer wieder gerne.“ Ich grinste breit. „Okay, Leute, wir müssen jetzt das Auto wiederfinden und dann müsst ihr zu eurem Auftritt.“ Nifen klatschte in die Hände. Es war schließlich sinnvoll, frühzeitig dort zu sein. Mosernd und leise vor sich hinfluchend, weil Auftritte grundsätzlich immer abends stattfanden, kam die Band wieder auf die Füße. „Äh... Weiß jemand von euch, wo wir das Auto geparkt haben?“, kam es dann auf einmal ganz leise von Easy. Chris und Jack kratzten sich synchron am Kopf und zuckten dann mit den Schultern. „Nö.“ „Chi?“ „Äh...“ Der Teufel grinste verlegen. „Nun ja... Das Auto hat manchmal den Hang dazu, etwas selbstständig herumzufahren. Es könnte schwieriger werden, es wiederzufinden. Es mag bunten Trubel und...“ Sie deutete auf das Geschehen um uns herum. „Das Auto kann weg sein???“ Die Sorglospunks starrten den Teufel fassungslos an. „Bist du dir sicher???“ „Ja, weil ich den Wagen vorhin genau hier geparkt habe“, kam die ungerührte Antwort zurück. „Oh.“ Jack blickte die Straße rauf und runter, aber nirgends war das kleine, blaue, teuflische Wunderauto zu sehen... „Dann müssen wir eben suchen!“ Easy krempelte die nichtvorhandenen Ärmel ihres Kostüms hoch. „Du hattest gerade noch müde Füße, oder?“ Chris’ Augenbraue wanderte skeptisch nach oben. „Und? Wir haben einen Auftritt! Wir sind Profis – und wir brauchen unsere Instrumente!“ Easy gab ihm einen unsanften Nasenstüber. „Und jetzt los! Abranka, du machst Luftaufklärung!“ Und damit stürmte sie auch schon los und zwang den Rest der Truppe dazu, ihr zu folgen. Nifen diskutierte unterwegs leise noch mit Chibichi darüber, ob es nicht irgendeine Chance gab, das Wunderauto mittels teuflischer Magie wiederzufinden, aber diese musste immer wieder antworten, dass dieses Fahrzeug nun einmal seinen eigenen Willen besaß und sich dem Teufel selbst mehr oder weniger freiwillig unterwarf. Entsprechend gönnte sie ihm immer wieder freie Zeit und daher war es absolut nicht möglich mal eben mit dem Finger zu schnippen. Zwei Stunden später nahte der Auftritt mittlerweile ganz extrem nah und das Wunderauto war noch immer nirgends zu sehen! In keiner der Straßen, die sie bisher abgelaufen hatten, war es aufgetaucht oder hatte auch nur einen winzigen Kotflügel oder einen Reifenabdruck sehen lassen. Nichts! „Wir finden das nie wieder! Wir müssen a cappella auftreten!“ Jack war mittlerweile der Panik nahe und Chris ging es nicht anders. Sogar sein pinkfarbenes Hasenkostüm ließ die Plüschohren hängen. Auch Chibichis vorsichtige Ohren-aufricht-Versuche brachten keinen Erfolg. „Nein, vielleicht in der nächsten Straße...“ Easy wollte schon vorwärts marschieren, obwohl selbst ihre Stiefel längst qualmten, doch Nifen hielt sie am Arm fest. „Das hat so keinen Sinn. Wir brauchen einen Plan.“ Ihr Blick fiel auf mich, schließlich war ich ja die Muse in der Runde. „Okay, lasst es uns da versuchen, wo die Umzugswagen am Ende geparkt werden, ehe sie auf die Heimreise gehen“, schlug ich vor. Das war das Einzige, was mir einfiel, wo sich solch ein Wunderauto vielleicht gut aufgehoben fühlen konnte. Schließlich war da ja wirklicher Autotrubel, nicht wahr? Musen sind ja eigentlich nicht bekannt dafür, selbst gute Ideen zu haben. Eher im Gegenteil. Wir sind Geschöpfe, die inspirieren, nicht welche, die besonders kreativ sind. Das ist ein weit verbreiteter Irrtum. (Und wenn ihr das nicht glaubt, dann schaut den Film „Dogma“. Der Muse Serendipity geht es darin nicht anders.) Der war wohl mein erster richtiger Eigenideenvolltreffer meiner Musenkarriere. Genau dort stand nämlich das teuflische Wunderauto! Ganz friedlichen und unschuldig zwischen lauter bunt beladenen und gestalteten Karnevalswagen. „Juhu!“ Die Band sowie die Crew strahlten mich an und ich wusste, dass ich von nun an vermutlich immer um Rat gefragt werden würde, wenn gerade niemand einen wusste. Großartig. So etwas hatte ich mir ja immer gewünscht... Schnell sausten wir in dem teuflischen Wunderauto zu dem Laden, indem der Sorglospunks-Auftritt stattfinden sollte. Der Vorhang vor der Bühne war noch zugezogen, während die Instrumente schnell aufgebaut wurden und die Band Position bezog. Wir waren knapp gekommen. Sehr, sehr knapp. Der Veranstalter, ein älterer Mann im Weißclownkostüm war schon kurz davor gewesen, ein lautes SOS auszurufen, so verzweifelt war er. Easy schielte neugierig zwischen den Vorhängen hindurch. „Das ist ne Karnevalssitzung???“ Sie wirbelte herum und starrte Nifen an, die lächelnd mit den Schultern zuckte. „Du schickst uns zu ner Jeckenveranstaltung?“ Chris sah die Managerin ebenfalls mit großen Augen an. „Als was sind wir angekündigt?“, hakte Jack misstrauisch nach. „Als große Unterhaltung.“ Nifen grinste breit, während der Teufel neben ihr hinter vorgehaltener Hand kichern musste. Ich hatte ihr nämlich verraten, was Nifen wirklich ausgeheckt hatte... „Und hier ist sie – die große musikalische Überraschung des Abends! Jung, keck und jeck! Besser als die Village People es jemals waren, doch genauso schrill! Die...“ – der Weißclown las jetzt von seinem Zettel ab – „Die beste imaginärste Band der Welt! Die... sorglosen, fantastischen, jecken, durchgeknallten, überdrehten, Probleme anziehenden, Katastrophen auslösenden, kaffeesüchtigen, schokoladenabhängigen, teufelsgeförderten, lampenfiebrigen, durchbruchswilligen, musenbegleiteten, kreativen und kreatiefverfolgten, heute ausnahmsweise kostümierten Sorglospunks!“ Tja... Die Karnevalszeit war doch auch dazu da, dass man auch einfach mal die Dinge auf den Punkt brachte und aussprach, nicht wahr? Kapitel 20: Wenn Sorglospunks Fußball spielen --------------------------------------------- „Schaut mal! Ganz in der Nähe findet ein Amateurfußballturnier statt! Für kleine Teams! Und die dürfen sogar gemischt sein!“ Ich hielt die Zeitung der wohl sorglosesten Band des Universums unter die Nase. „Ah, und?“ Chris blickte desinteressiert von seinem Schokomüsli auf. Als wenn die derzeitige Fußballfanausstattung meiner musischen Wolke kein Wink mit dem Zaunpfahl gewesen wäre. Die EM fand schließlich in noch nicht einmal mehr 70 Tagen statt und man – Muse! – musste schließlich rechtzeitig vorbereitet sein. „Oh nein! Verschone uns!“, stöhnte Jack auf, die so langsam genug von der gewissen Fußballverrücktheit einer bestimmten Bandmuse hatte. „Es ist kein Problem, dass wir dauernd Fußball schauen. Und auch keins, dass du nur noch davon redest. Aber wir werden mit Sicherheit nicht anfangen zu spielen!“ Das musikalische Multitalent der Band blickte zu Easy hinüber. Diese druckste äußerst offensichtlich herum und antwortete ihrer Zwillingsschwester schließlich nach einem äußerst auffordernden Blick: „Na ja... Aber es gibt einen Pokal zu gewinnen und damit können wir schon mal das Jubeln und die Danksagung für die Grammy-Verleihung üben.“ Ihr entging, dass die Bandmanagerin Nifen angesichts dieser äußerst niedlich-optimistischen Zukunftsplanung grinsen musste. Nicht, dass irgendjemand von Band und Crew Zweifel an Talent, Potenzial und zukünftigem Erfolg der Sorglospunks hatte, aber dieser schien nun einmal nicht direkt und sofort vor der Tür zu stehen. „Abgesehen davon...“, fuhr die Frontfrau der Band langsam fort, „fürchte ich, dass wir sonst mit einem musischen Streik rechnen dürfen.“ „Oh.“ Es ist ein faszinierendes Geräusch, wenn drei Menschen gleichzeitig – in diesem Fall Chris, Jack und Nifen – diesen Ton von sich geben. Noch interessanter wird es, wenn sich daraufhin drei Augenpaare auf einen richten und man darin Erkenntnis und ein übergroßes „Oh, verdammt!“ lesen kann. Es ist ja nicht so, als wenn ich meine Bedeutung für die Band jemals ausnutzen würde. Normalerweise bin ich ja immer für allen Unsinn zu haben und gerne auch der kreative Antriebsmotor, aber in diesem Fall durfte auch ich, eine ausgebildete Muse vom Olymp, mal stur sein und meinen eigenen Kopf haben. Näher würde ich doch sonst wahrscheinlich nie an das echte Spielgeschehen kommen... „Okay... Dann sehen wir das als besondere Promotionaktion“, entschied Nifen. Natürlich behielt sie immer den Überblick und erkannte auch den Nutzen in den absurdesten Dingen. „Wie viele Leute brauchen wir? Fünf?“ Easy schielte auf den Artikel. „Ein Maskottchen haben wir schon!“, trug Chris bei und wurde sofort von Jack ergänzt: „Und Trikots auch! Wir nehmen einfach unsere Fan-Shirts!“ Nifen nickte und notierte das gewissenhaft auf ihrem Das-ist-wichtig-Block. „Und die Mannschaft... Jack, Chris, ich... Du, Nifen, und Chibichi, und dann…” „Oh nein, Easy.“ Nifen schüttelte entschieden den Kopf. „Ich werde mit Sicherheit nicht mit euch auf dem Platz stehen. Erstens gucke ich Fußball allenfalls mal mit euch zusammen, kann mich aber nicht gerade dafür begeistern, zweitens kenne ich mich mit Fußball absolut nicht aus und drittens werden mich keine zehn Pferde dazu bringen, mich vor Publikum mit so was wie Fußball zum Affen zu machen!“ Als sie Easy äußerst nachdenklichen Blick sah, fügte sie noch deutlicher hinzu: „Und hör auf nachzudenken, wo du zehn Pferde herbekommst! Auch keine hundert Pferde, Kiwis, Dämonen, Weihnachtswichtel oder sonst was bringen mich dazu! Vergiss es, Easy!“ Die Sängerin zog einen Schmollmund und nickte dann betrübt. „Okay, wir brauchen also noch zwei Spieler“, nahm Jack das Ruder in die Hand. „Abranka scheidet als meistens unsichtbare Entität leider aus...“ – was mir ein Seufzen entlockte, aber so war es nun einmal; natürlich hätte ich als unsichtbare Kraft mitmischen und das Spiel beeinflussen können, aber das war nicht fair und wir Musen waren durch unseren Berufsethos doch zu einer gewissen Mindestmoral verpflichtet – „...bleiben also noch LennStar und Chibichi. Chris, klopf mal an die Tonne und frag nach. Easy, du klingelst Chibichi an!“ Augenblicklich spritzten die beiden Sorglospunks davon, allerdings nur, um keine fünf Minuten später reichlich bedröppelt zurückzukommen. „Und?“ Erwartungsvoll sahen Jack und Nifen die beiden an, obwohl sie schon das Schlimmste ahnten. „Keine Chance“, begann Easy. „Chi steckt gerade in irgendwelchen höllischen Problemen. Sie könnte uns zwar den einen oder anderen Fußballprofi organisieren, der ihr seine Seele für den sportlichen Erfolg und eine Extraladung Eingebung verkauft hat, aber das ist ja ein Amateurturnier und wir sollten im Mittelpunkt stehen und nicht irgendwer sonst.“ Mein entsetztes Aufstöhnen angesichts dieser vergebenen Chance, solchen Stars doch einmal nahezukommen, ignorierte sie gnadenlos. Jack und Nifen nickten und brachten damit stumm ihr Lob zum Ausdruck, dass sich Easy nicht zu Unsinn hatte hinreißen lassen (auch wenn ihr das angesichts einer gewissen Begeisterung für Timo Hildebrand sicher nicht leicht gefallen war). Weder sollte die Band das Rampenlicht teilen, noch wegen dem Anschleppen von Profis disqualifiziert werden. „Und Lenn?“, fragte Nifen hoffnungsvoll. „Ist auf einem Philosophenkongress in Athen. Hat nen Zettel dagelassen.“ Chris hielt besagte Notiz, auf der diese Worte noch durch den Hinweis ergänzt wurden, dass er sich für den Mangel an Verabschiedung entschuldigte, aber der Kongress kurzfristig angesetzt worden sei, er um fünf Uhr morgens aufbrechen müsse und niemanden wecken wollte. „Na ja, außerdem hätte ihn seine Bettlakentoga sicher dabei behindert, über den Platz zu rennen...“ Der Gitarrist ließ unausgesprochen, dass er sich den bandeigenen Philosophen auch nicht so recht in einem anderen Outfit als besagter Toga vorstellen konnte. Uns anderen erging es sehr ähnlich, daher kommentierten wir das nicht weiter. „Okay...“ Nifen legte die Stirn in Falten. „Wenn euch sonst niemand mehr einfällt, müssen wir das Projekt eben begraben... Schade aber auch.“ Mittlerweile hatte sie entweder doch Gefallen an einem Fußballauftritt der imaginärsten besten Band der Welt gefunden oder sie wollte diese Möglichkeit, den Bekanntheitsgrad der Band zu mehren, noch nicht einfach so aufgeben. „Vielleicht doch die Profis...“, warf ich hoffnungsvoll ein und dachte dabei an einen ganz bestimmten, doch ich wurde erneut ignoriert. Ich war ja versucht zu schmollen, aber immerhin versuchten die vier meine Idee von der Turnierteilnahme umzusetzen, also konnte ich ihnen wiederum gar nicht böse sein. Daher verlegte ich mich darauf, mit den Beinen zu baumeln und abzuwarten, was ihnen einfallen würde. Zwei Stunden lang fiel ihnen nur dummerweise gar nichts ein und das Turnier fand immerhin schon Übermorgen statt. Was also nun? „Kommt, lasst uns heute das Mittagessen bestellen“, sagte Chris schließlich, als sein Magen vernehmlich in die nachdenkliche Stille knurrte. „Haben doch noch genug Reserven von dem Fasching-Auftritt.“ „Kochen nach Zahlen heute also!“ Easy strahlte, hieß das doch, dass sie wenigstens nicht in die Küche abkommandiert werden konnte. „Ich nehm das Hühnchen!“, verkündete Jack sofort, ohne auch nur einen Blick in die Karte des bandeigenen Lieblingsitalieners geworfen zu haben. Selbstverständlich kannten sie diese alle auswendig. „Das ist es!“ Easy sprang auf und stürzte zum Telefon. „Hä, willst du auch Hühnchen?“ Chris checkte gar nichts, während Jack und Nifen grinsen mussten. Sie beide konnten Easys verdrehte Gedankengänge meistens weitaus besser nachvollziehen, auch wenn sie das manchmal ein wenig erschreckend fanden. „Denkst du auch an zwei überdimensionale Plüschküken?“, fragte Jack Nifen mit einem äußerst breiten Grinsen. „Exactement.“ Die Managerin strahlte zurück. „Sie sind dabei!“ Easys Jubelschrei schallte durch das ganze Haus und riss selbst Kiwi aus den wohlverdienten Katzenträumen, aufgrund derer sie die ersten Entscheidungen hinsichtlich ihrer Karriere als Fußballmaskottchen verpasst hatte. Verschlafen tapste sie aus Chris’ Zimmer, wo sie sein Kopfkissen schlafenderweise eingehaart hatte und landete in Easys Fängen. Schlagartig wurde sie hochgerissen und mit ausgiebigen Knuddeleinheiten bedacht. „Bommel, wir werden ein Fußballturnier gewinnen!“ Zwei Tage später, nachdem die Meldung für die Turnierteilnahme gerade erledigt war und das Turniergelände vor ihnen lag, war Easy die einzige, die noch mit Optimismus an dem Glauben an den Erfolg festhielt. Jack und Chris wollten sich nur noch möglichst wenig blamieren und Nifen hoffte, dass ihr Team lange genug mithielt, damit sich wenigstens einige Leute die Internetadresse auf den T-Shirts merken konnten und neugierig darauf wurden. Die Trikots hatten aufgrund der Teammitgliedschaft von Chuck & Chuck modifiziert werden müssen. Auf der Vorderseite prangten die beiden Bandsymbole nebeneinander, während sich auf der Rückseite die beiden Bandnamen und die Internetadressen den Platz teilen mussten. Das sah nicht ganz so optimal aus, war aber das Beste, was sie in der kurzen Zeit hatten zustande bringen können. Und angesichts dessen, was hier so einige andere Teams trugen, mussten sie sich nun wirklich nicht verstecken. Jack argwöhnte ja, dass sogar die Kükenkostüme von Chuck & Chuck hier nicht aufgefallen wären, aber darauf hatten die beiden zugunsten von Beweglichkeit auf dem Platz und besserer Spieleffizienz verzichtet. Chuck eins und Chuck zwei von der auf Durchbruch hoffenden Countryband mit den wohl schrägsten Kostümen der Welt strahlten eine positive Gelassenheit aus und verkündeten jedem, der es hören – oder auch nicht hören – wollte, dass sie ihr Bestes geben würden und Dabei sein doch sowieso alles sei. Das Procedere des Turniers war recht einfach: K.O.-Spiele gegeneinander, fünf Runden bis zum Finale mit einer Spieldauer von jeweils zwanzig Minuten, parallele Spiele, damit sich das nicht alles ewig hinzog und keiner ausgeruhter als die anderen in die nächste Runde ging. Dazwischen waren natürlich Pausen eingeplant. Ähnlich wie beim Hallenfußball war ein relativ kleines Stück Rasen mit einer Bande umzäunt worden. Der Ball würde also meist abprallen und nur bei hohen Schüssen ins Aus gehen. So langsam fragte ich mich, wo ich die Band da eigentlich reingeritten hatte. Klar, Fußball war und ist toll und wird das auch immer sein. Aber ein Amateurturnier mit lauter verbissenen Verrückten? Das hatte ich den Sorglospunks dann doch nicht antun wollen. Aber jetzt waren wir hier und hatten das durchzustehen. Klammheimlich zückte ich jedoch mein überirdisches Handy und machte einen kurzen Anruf. Manche Dinge musste man ja doch nicht vollkommen in einer Katastrophe enden lassen. „Wir spielen als erstes gegen die Tiger von Stuttgart!“, verkündete Easy aufgeregt. Ich musterte die Tiger kurz. Riesige männliche Schränke, die in ihrer Freizeit wohl alle Bodybuilding als Hobby besaßen und echt im Tigermusterlook antraten. Himmel! Wir konnten froh sein, wenn wir die erste Runde überlebten! Jack zitterte nach dem Anblick der Tiger sogar leicht, als sie in ihr Tor ging. Easy und Chuck eins würden stürmen, während Chris und Chuck zwei die Verteidigung übernahmen. Nach den Erfahrungen im Training – gegen einige Jungs aus dem benachbarten Sportverein, die seit einem gewissen Jugendfußballturnier bekennende Jack-Fans waren – bedeutete das, dass auf dem Platz heilloses Chaos herrschte und sich Jack hinten im Tor die Seele aus dem Leib brüllte. Ich hoffte nur, dass das gut ging und diese Megatiger sie nicht einfach überrannten. Nifens Gesicht drückte Ähnliches aus und die Kraft, mit der sie eine verwirrte Kiwi an sich presste, verriet alles Weitere über ihre Nervosität und Unruhe. „Auffi!“, brüllte Easy den wohl uncoolsten Kampfschrei der Weltgeschichte und rannte furchtlos los. Chuck eins blieb tapfer neben ihr, auch wenn in seinen Augen eine gewisse Angst stand. Aber gegenüber einer Frau wie Easy konnte er diese natürlich nicht zeigen. Ihr gelang es wirklich, einem Tiger den Ball abzunehmen und in einer bananenartigen Kurve ins Tor zu hämmern. „Eins zu null für die Chuck-Sorglospunks!“, hieß es damit. Und das musikalischste Team des Turniers legte los. Die Tiger entpuppten sich als reichlich zahnlos und unbeweglich. Somit hatten die beiden Wirbelwinde Easy und Chuck eins kein Problem, ihnen den Ball abzunehmen und sie auszuspielen. Und nachdem Chris und Chuck zwei ihren anfänglichen Respekt überwunden hatten, mischten auch sie kräftig mit. Jack fing sogar irgendwann an, sich hinten im Tor zu langweilen, weil kaum ein Schuss in ihrer Nähe kam. Sie schien aber dennoch das chaotische Treiben ihrer Mannschaft zu genießen. „Puh!“ Nifen stieß erleichtert die Luft aus, als die Chuck-Sorglospunks mit 5:0 gewonnen hatten. Mir ging es ähnlich. „Puh“ brachte alles ziemlich gut zum Ausdruck. Die anderen Spiele wurden ebenfalls abgepfiffen, dann gab es eine kurze Pause und in der Zwischenzeit konnte man schon mal zu dem neuen Gegner hinüberschielen. Es waren... Zylinderträger. Anders konnte man diese Mannschaft kaum nennen. Eine Horde Männer, die schwarze Zylinder auf dem Kopf trugen, dazu weiße kurze Hemden und schwarze Hosen sowie weiße Socken und wiederum schwarze Schuhe. Sogar an eine kleine Fliege hatten sie alle gedacht! Passenderweise nannten sie sich Gentlemen. „Bin ja mal gespannt...“, murmelte ich leise und sah Nifen nur nicken. Unsere drei Sorglospunks und die zwei Chuck-Hähne schienen die ganze Sache jedoch eher locker zu nehmen. Wenn sie einen Haufen Bodybuilder hatten erledigen können, dann würden sie auch bei einigen komischen Zylinderkerlen nicht kuschen! Direkt nach dem Anpfiff zeigte sich, dass das eine gute Idee gewesen war. Denn diese Gentlemen waren auch welche – sie winkten Easy regelrecht zum Tor hindurch und ließen ihr freie Bahn. Chuck eins und zwei sowie Chris bekamen kein Bein gegen sie auf die Beine. Die Jungs wurden hart angegangen – nach bester englischer Fußballmanier. Da sich die feinen britisch angehauchten Herren das Gleiche jedoch nicht mit den beiden Frauen im Team trauten, hieß es, dass a) Jacks Kasten blitzeblank blieb, weil niemand ernsthaft darauf schoss und b) Easy die Torjägerliste innerhalb weniger Minuten mit fünf Toren Vorsprung anführte. Ein leichter Sieg. Sehr leicht. Aber wenn man ein Sorglospunk ist, dann darf das Leben schließlich auch mal so spielen! Nächste Runde. Mittlerweile waren Nifen und ich – und vermutlich auch Kiwi, wirklich sicher bin ich mir aber nicht, da ich kein Kätzisch spreche und allenfalls ihre Körpersprache deuten kann – von dem Geschehen fasziniert. Offenbar hatte man hier ganz tief in das Kuriositätenkabinett gegriffen. Im Viertelfinale standen sie nämlich nichts anderem gegenüber als einer Horde Clowns! Ich schüttelte noch immer den Kopf über derart viele Musen auf Abwegen, während Nifen mit den Schultern zuckte. „Sieh es so: Mit den Schuhen ist es ein Wunder, dass sie so weit gekommen sind. Damit treten die nämlich keinen Ball. Ich wette, die haben nur gewonnen, weil sich ihre Gegner fußballunfähig gelacht haben.“ Diese Analyse war äußerst treffend, zeigte sich doch schon nach den ersten clownschen Ballkontakten, dass Easy für diese Art des Lachens äußerst anfällig war. Die Frontfrau katapultierte sich somit lachenderweise ins fußballerische Aus, während Chris und Chuck eins ihr Bestes taten. Chuck zwei litt dummerweise an chronischer Angst vor Clowns und versuchte ständig soviel Abstand wie nur möglich zwischen die bunten Gestalten und sich zu bringen. Nun, es sorgte nicht unbedingt für ein konzentriertes Spiel, wenn die Gegenspieler dauernd stolpernd durch die Gegend taumelten und der eigene Mitspieler kreischend quer über das Spielfeld schoss und nur artig innerhalb der Umgrenzung blieb, weil Jack ihm irgendetwas Grausames – und äußerst Fantasievolles – angedroht hatte. Das Ende vom Lied – oder eher Lachen – war ein knapper 2:1-Sieg, der allein Chris’ genialem Ich-stolpere-über-einen-überdimensionalen-Clownschuh-reiße-dem-Gegenspieler-die- Hose-runter-erwische-den-Ball-im-Fallen-irgendwie-und-haue-ihn-mitsamt-meinem- Schuh-ins-Tor-weil-der-Torwart-vor-Lachen-keine-Luft-mehr-bekommt-Tor zu verdanken war. Damit hatte er sich mindestens einen Preis für das absurdeste Tor der Fußballgeschichte verdient – dummerweise hatte es natürlich niemand gefilmt, sodass ihm noch nicht einmal ein Platz in der Klick-Hitliste von Youtube geschenkt werden konnte. Das Leben war manchmal aber auch ungerecht. Halbfinale. Mal ehrlich: Mein Anruf beim besten Teufel der Unterwelt musste wirklich Wunder gewirkt haben, dann so weit hätte niemand von uns diesen zusammengewürfelten Haufen dem Feld kommen sehen. Das Problem war, dass ich auch nicht viel tun konnte. Oh, Ideenfunken schicken, ja. Nur, wie würde deren Umsetzung aussehen? Entsprechend hielt ich mich zurück. Die drei Sorglospunks schlugen sich ja auch so wirklich gut und die beiden Countryküken taten das Ihrige. Mehr konnte man wirklich nicht erwarten. Außerdem hatte ich nicht umsonst um teuflische Unterstützung gebeten. Und jetzt... Jetzt standen ihnen die chinesischen Drachen gegenüber – und das war kein Scherz. Diese chinesischen Amazonen traten im kurzen kimonoartigen Oberteil mit schwarzen Hosen – die beide sicher auch irgendeinen Fachbegriff hatten, der mir jedoch als europäisch geprägter Muse natürlich nicht einfiel – an. Ein großer Drache prangte auf Vorder- und Rückseite des Oberteils. Sie sahen sehr, sehr, sehr gefährlich aus. Ich musste nur unsere Spieler ansehen, um zu wissen, dass sie wirklich unruhig wurden und doch so etwas wie Angst bekamen. Bodybuilder – kein Problem. Zylinderkerle – kein Problem. Clowns – kein Problem. Aber hier und jetzt, bei den aggressiven Gesichten und dem Wissen um diverse Hongkong-Filme, wurde es auch der sorglosesten Band der Welt mulmig zumute. „Abranka... Ich hab Schiss...“, murmelte Easy mir regelrecht zur Bestätigung zu. Tja, was sollte ich dazu groß sagen? „Kann ich verstehen, das hätte ich an deiner Stelle auch“, erschien mir nicht gerade eine motivierende und Mut machende Antwort zu sein. Also sagte ich nur: „Easy, ihr seid die beste imaginärste Band der Welt, wer könnte euch schon schlagen? Vergiss nicht, ihr habt den Teufel auf eurer Seite.“ „Chi ist hier?“ Braune Augen strahlten mich an. Ich hatte unseren wohl mächtigsten Verbündeten zwar noch nicht erspäht, aber ich war mir sicher, dass sie da war. Schließlich hatte sie mir am Telefon ja versprochen alles zu tun, was sie konnte – und die bisherigen Leistungen der Chuck-Sorglospunks konnten doch nur das Resultat eines kleinen höllischen Eingriffs sein. „Klar. Sie ist doch euer größter Fan.“ „Toll!“ Damit hopste Easy davon, schlug Chuck eins kräftig die Schulter, wuschelte Chris durch die Haare, stupste Chuck zwei auf die Nase und drückte Jack an sich. Sie war wie ausgewechselt. „Haben Musen keinen Antilügen-Ehrenkodex?“ Nifen zog eine Augenbraue hoch und kraulte Kiwi nachdenklich den Kopf. Die Katze schnurrte leise und hatte sich offenbar so langsam mit ihrer Fußballturniermaskottchenrolle abgefunden. Ich hob die Schultern. „Gelogen ist es nicht. Ich habe Chibichi vorhin angerufen und um Unterstützung gebeten...“ „Ah...“ Nifen zog eine Augenbraue hoch und nickte dann leicht. Sie hatte offenbar verstanden, dass mir angesichts gewisser Gegner doch mulmig geworden war und ich keine Verletzungsmisere im Hause Sorglospunk verursachen wollte. Entsprechend entspannte sich auch die Managerin ein wenig und gemeinsam sahen wir zu, wie sich die Chuck-Sorglospunks auf den fußballerischen Kampf gegen die chinesischen Drachen vorbereitet. Keine zwei Minuten später wurde das Spiel angepfiffen und Easy und Chuck eins stürzten sich mit halsbrecherischer Geschwindigkeit auf den Ball. Nur einen Wimpernschlag später herrschte unglaubliches Chaos auf dem Feld. Nachdem sich die vier Chinesinnen, die sich auf dem Spielfeld befanden, zu einem Teil dieses menschlichen Knäuels entwickelt hatten, ließen auch Chuck zwei und Chris nicht lange auf sich warten. Todesmutig warfen sie sich in den menschlichen Haufen hinein. Dann sah man nur noch Arme und Beine durcheinander wirbeln und die fast obligatorische Staubwolke. Die beiden Torfrauen übertrafen sich gegenseitig mit ihren Anfeuerungsrufen, konnten jedoch mit Sicherheit genauso wenig vom Geschehen ausmachen wie wir. Es war der Ball, der die Staubwolke als erstes verließ – dicht gefolgt von Easy, deren Haare vollkommen verstrubbelt waren und der ein Schuh fehlte, aber einen Fußball konnte man ja auch mit Socken schießen. Jedenfalls, wenn man gewinnen wollte! Also schoss sie. Der Schuss war viel zu leicht und äußerst seltsam angedreht, weil sie ohne Schuh einfach keinen richtigen Wumms hinter den Ball bekam, aber es reichte... Denn offenbar war die chinesische Torhüterin die Schwachstelle des Teams, weswegen sich die Feldspielerinnen mit derartiger Bissigkeit in das Spielgeschehen stürzten. Nur einen Sekundenbruchteil später erklang auch schon der Abpfiff. Irritiert sah ich Nifen an. Auch sie hatte offenbar nicht mitbekommen, dass dieses staubaufwirbelnde Chaos derart lange angedauert hatte... „Interessanter Sport. Das soll Fußball sein?“ Eine äußerst vertraute Stimme war es, die diese Worte neben mir sprach. „Chibichi!“ Ich lächelte den Teufel an. „Gib es zu, das ist dein Werk!“ „Äh, was?“ Ihr Gesichtsausdruck machte nur allzu deutlich, dass sie verwirrt war. „Ausnahmsweise bin ich einmal vollkommen unschuldig. Ich habe erst jetzt die Zeit gefunden, herzukommen...“ Es passiert nicht oft, dass ich sprachlos bin, aber in diesem Augenblick war es so weit. Ich starrte den rothaarigen Teufel mit offenem Mund an. Nifen bekam derweil einen Lachanfall. „Das heißt, sie haben das wirklich alles allein geschafft? Ganz allein das Finale erreicht? Wie genial!“ Genial – das brachte es wirklich auf den Punkt. Anders konnte man diese Tatsache wirklich nicht ausdrücken. Unser Chaotenhaufen hatte sich bei diesem vollkommen verrückten Pseudofußballturnier selbst ins Finale gebracht. Wow! „Chiiiiii!“ Easy hatte ihren Lieblingsteufel entdeckt und stürmte über das Spielfeld. Und während Chibichi auch von Jack und Chris begeistert begrüßt und Chuck eins und zwei vorgestellt wurde, brachte ich langsam meine Gesichtsmuskeln wieder unter Kontrolle. Das war wohl die Lektion, niemals wieder an den Fähigkeiten und dem Willen der wohl eindeutig zu recht sorglosesten besten imaginären Band der Welt zu zweifeln. „Finale, oho! Finale, oho!“, schmetterten die beiden Chucks und Chris schließlich begeistert los, wo hinein Easy und Jack nur allzu begeistert einstimmten. Nach kurzer äußerst deutlicher Aufforderung taten wir restlichen drei – Nifen, Chibichi und ich – es ihnen gleich. So musste man sich mindestens fühlen, wenn man zum DFB-Pokalfinale nach Berlin fuhr – oder zum WM- oder EM-Finale! „So, die nächsten packen wir auch noch!“ Easy strahlte in die Runde und erhielt ein lautstarkes „Ja!“ als Antwort. Als ich jedoch unseren Finalgegner sah, wurde ich skeptisch. Es waren fünf Jungs, etwa elf Jahre alt, die als vermutlich einzige richtige Fußballtrikots trugen. Diese besaßen die Aufschrift „EM-Team 2016“ – und vermutlich war das auch die Zielsetzung dieser Jungs: Fußballprofi zu werden und 2016 mit voraussichtlich 19 Jahren an der Fußballeuropameisterschaft teilzunehmen. Entweder waren die fünf also extrem abgehoben und steckten voller unrealistischer Träume oder aber sie spielten tatsächlich im verein und arbeiteten hart für dieses Ziel. Und nachdem ich sah, wie der kleine blonde Junge mit der Nummer 20 auf seinem Rücken den Ball jonglierte, wusste ich ganz genau, dass es letzteres war. Das hier, das konnten wirklich die deutsche Fußballstars von Übermorgen sein! „Ich könnte ja jetzt nachhelfen...“, murmelte Chibichi mir mit teuflisch funkelnden Augen zu. Langsam schüttelte ich den Kopf. „Aus zwei Gründen nein: Erstens sollen unsere Mädels und Jungs das mal schön alleine machen. Es reicht, dass der Glaube, dass du helfen würdest, ihnen Mut gegeben hat. Und zweitens wäre es unfair – ihnen gegenüber und gegenüber den Jungs. Ich erkenne Talent, wenn ich welches sehe und die fünf da, die haben unglaublich viel davon...“ Nifen legte mir die Hand auf die Schulter und gab mir damit zu verstehen, dass sie genau wusste, was ich meinte. Chibichi lächelte. „Also keine teuflische Unterstützung.“ „Doch, du bist ja hier.“ Ich lachte und knuffte sie in die Seite. „Aber keine, die über Anfeuern hinausgeht.“ Damit startete ich meine Wolke durch und sah mir das Spielgeschehen von weiter oben an. Es war ein Debakel, aber das hatte ich vorher schon geahnt. Das EM-Team 2016 war schlichtweg sehr gut und ließ unsere fünf Spielerinnen und Spieler – um politisch korrekt zu sein – total alt aussehen. Die Jungs besaßen Ehrgeiz, Willen, Fußballtalent und Technik. Und gerade die letzten beiden Dinge gingen den Chuck-Sorglospunks ab. Und da es sich dabei um etwas handelte, das sich nicht mit Begeisterung und Elan wettmachen ließ, lagen sie sehr schnell mit 0:3 hinten. Faszinierenderweise kostete sie das weder ihren Spaß noch ihre Spielbegeisterung. Unsere fünf blieben emsig bei der Sache und schafften immerhin noch das Ehrentor nach einer sorglosen Jack-Chris-Easy-Kombination, sodass der Endstand schließlich 1:7 lautete. (Womit Easy übrigens auch in der Torjägerliste auf Platz zwei hinter den kleinen blonden Balljongleur zurückfiel und allenfalls eine kleine Ehrenmedaille erhalten würde.) Die Siegerehrung bedeutet immerhin auch einen kleinen Pokal für unsere Chuck-Sorglospunks, sodass nun auch die erste Trophäe über dem Kamin ihren Platz finden würde. Und das war doch immerhin etwas. Zufrieden und erschöpft machten wir uns nach einer ausgiebigen Feier auf den Heimweg. Ich hatte in der Zwischenzeit bei Apollos Musenbüro auf dem Olymp angerufen und auf diese fünf Fußballjungs aufmerksam gemacht, denn ich würde sie gerne in acht Jahren bei der EM spielen sehen. Pegasus höchstpersönlich hatte mir zugesichert, dass diese fünf in das sportliche Überwachungssystem aufgenommen werden würden. Somit war ich sehr zufrieden. Easy war aufgrund des Pokals und ihrer kleinen Medaille sehr zufrieden, Chris, weil er Umeko nachher von dem tollen Erfolg berichten konnte, Jack, weil sie sich nicht blamiert hatte und den Pokal ihrem Fußballfanclub zeigen konnte, Nifen, weil die Band sicher tolle Werbung für sich hatte machen können, auch wenn kein spontaner Auftritt herausgesprungen war und sie nur ihre Digitalkamera dabei gehabt hatte, aber keine Videokamera – somit würde die Bandhomepage eben nur mit ein paar Turnierfotos aktualisiert werden können –, Chibichi, weil die Sorglospunks zufrieden waren, Chuck eins, weil er viel Zeit mit Easy hatte verbringen können, für die er eine kleine Schwäche besaß, Chuck zwei, weil sie alle ihr Bestes gegeben hatten – und Kiwi, weil es endlich nach Hause ging, es dort Futter geben würde und sie als erfolgreiches Fußballmaskottchen auf einen entsprechenden Leckerchenbonus hoffen durfte (was mir übrigens Chibichi gesteckt hatte). Easy begann schließlich leise vor sich hinzuträllern. „Was singst du da?“, erkundigte sich Jack neugierig. „Unseren neuen Song!“, erwiderte ihre Zwillingsschwester strahlend und schmetterte mit voller Inbrunst los: „Wir sind Zweiter! Whohoho! Und damit besser, als jeder dachte! Wir sind Zweiter! Whohoho!“ Nach einem kurzen Augenblick des Zögerns und des Einfindens in die doch recht simple Melodie, stimmten wir alle ein, steckte in diesen Zeilen doch unglaublich viel Wahrheit. Easy hatte diesen Song übrigens treffend „Die Hymne des ultimativen Zweiten“ getauft. Kapitel 21: Kopfüber in die Hölle --------------------------------- „Sagt mal...“ Easy wandte den Blick von dem Bindfadenregen vor dem Fenster ab. Der April verkündete seine Existenz nämlich auch dieses Jahr wieder mittels wechselhaften Wettererscheinungen. Die Sonnenphasen hoben die Stimmung in der WG der sorglosesten Band der Welt nahezu in den Himmel, während die Regenabschnitte zu depressiven Abstürzen führten – gegen die auch Nifens Aufheiterungsversuch durch die Bezeichnung des Regens als Flüssigsonne zu ihrer Enttäuschung keine Abhilfe schaffen konnte. So langsam machte sich die Bandmanagerin Sorgen, den diese Flüssigkeitssonnenepisode hielt nun schon fünf Tage an und allmählich wurde die Stimmung im Haus gruselig. Easy starrte ständig in den Regen hinaus, Jack dröhnte sich mit Kakao zu, Chris übte den Blues auf seiner Gitarre und Kiwi lag noch lethargischer auf ihrem Lieblingssessel als gewohnt. Selbst ich fand es langsam schwierig, wenigstens ansatzweise so etwas wie gute Laune und spritzige Ideen zu verbreiten, was bei einer Muse doch so einiges bedeutet. „Sagt mal...“, wiederholte Easy noch einmal, um diesmal fortzufahren: „Wann hat sich Chi eigentlich das letzte Mal gemeldet?“ „Weiß nicht“, kam es schließlich rund fünf Minuten später von Jack, da das musikalische Multitalent ein Einsehen mit seiner Zwillingsschwester hatte. „Das letzte Mal, als die Sonne geschienen hat?“ „Das ist ja schon eine Ewigkeit her!“ Die Frontfrau und Songwriterin der Sorglospunks war entsetzt. Flugs sauste sie zum Telefon und wählte die teuflische Nummer, die sie mit der obersten Herrin der Hölle verbinden sollte. Doch anstelle ihres Lieblingsteufels hatte sie nur den AB am Apparat. „Teuflischen Dank für Ihren Anruf. Leider sind wir derzeit nicht erreichbar, wir freuen uns jedoch, wenn Sie uns eine – möglichst sinnvolle – Nachricht hinterlassen, die keine Beschimpfungen beinhaltet. Gerne können Sie uns auch Ihre Nummer hinterlassen, dann rufen wir Sie bald zurück. Bitte sprechen Sie nach dem Kreischton.“ Als Easy auflegte, klingelten ihr noch ein wenig die Ohren, denn das mit dem Kreischton war äußerst ernst gemeint. Das nächste Mal würde sie den AB sicher nicht ausreden lassen. „Nicht da...“ Mit hängendem Kopf kam sie zurück ins Wohnzimmer. „Schon wieder nicht?“, entfuhr es mir. „Ich habe sie die letzte Woche x-mal angerufen, aber immer war nur die Mailbox dran.“ „Tja, der Teufel hat halt viel zu tun“, kam es desinteressiert von Chris, der für seine Antwort immerhin das wiederholende Gitarrenspiel von ungefähr drei depressiven Tönen unterbrach. „Schon... Aber für uns hat sie doch sonst immer Zeit.“ Jack runzelte die Stirn. „Irgendetwas stimmt da nicht.“ „Chi ist in Gefahr und wir müssen sie retten!“, entschied Easy sofort und tat das mit einem solchen Enthusiasmus, dass sich Nifen ihre ursprünglich geplante Erinnerung an die Tatsache, dass Chibichi nun einmal der Teufel war und über gewisse Fähigkeiten verfügte, aufgrund derer sie vermutlich gar nicht gerettet werden musste – am wenigsten von einer chaotischen, ständig desorientierten und viel zu sorglosen Band –, schweren Herzen verkniff. Vermutlich würde diese Aktivität wenigstens die depressiven Wolken aus dem Hause Sorglospunks vertreiben – und das war wiederum verdammt anstrebenswert. „Also, wie kommen wir in die Hölle?“, stellte Easy die naheliegendste logische Frage. „Moment. Müssen wir dort überhaupt hin?“, wandte Chris ein. Seine Begeisterung, mal eben einen Abstecher in die Hölle zu machen, hielt sich doch in äußerst engen Grenzen. „Klar. Von hier können wir doch nichts tun“, wischte Easy seine Bedenken lässig bei Seite. „Solange wir keinen Selbstmord begehen müssen, um dorthin zu kommen“, murmelte der Gitarrist leise. „Quatsch.“ Jack grinste breit. „Es gibt einen ganz einfachen Weg hinein.“ „Ach, und wie?“ „Na, durch den Notausgang!“ Ihr Grinsen wuchs noch mehr in die Breite und drohte so langsam, ihr Gesicht zu halbieren. „Genial!“ Easy hatte nur einen Sekundenbruchteil später das gleiche Grinsen drauf und erinnerte wieder einmal daran, dass Jack und sie trotz extremer charakterlicher Unterschiede äußerst eng verwandt waren und sich beinahe zum Verwechseln ähnlich sahen. „Ah, ja.“ Chris seufzte tief und fand dann doch noch ein weiteres Hindernis auf ihrem Weg in die Hölle. „Und wo soll der Notausgang rauskommen, durch den wir so genialerweise einsteigen werden?“ „Äh...“ Jetzt waren die beiden Schwestern ratlos. Dass solche Details aber auch immer Schwierigkeiten machten mussten! „Och, ich würde drum wetten, dass der direkt am WWWB-Markt rauskommt. Oder, Abranka?“, brachte sich Nifen mit ihrer unnachahmlichen Logik mit ein. „Exactement.“ Ich nickte zustimmend. Der Teufel war schließlich nicht blöd und wusste sehr genau, dass man nach der Benutzung des Notausgangs sehr wahrscheinlich in einer Situation stecken konnte, in der man einen derartig gut sortierten und günstigen Supermarkt äußerst dringend gebrauchen konnte. „Was ist mit Kiwi?“, zog Chris sein letztes Ass. Vielleicht er besser hier bleiben und aufpassen... „Kommt mit“, entschied Easy sofort und ohne nachzudenken. „Für den Teufel ist sie die beste Spürkatze, die wir uns wünschen könnten!“ Wo sie Recht hatte, hatte sie Recht, denn Kiwis Chibichi-Begeisterung war uns nur zu bekannt. Sie mochte sie immerhin fast so sehr wie ihr Futter und das bedeutete bei Kiwi doch so einiges. Und somit wurde mir das Bandmaskottchen in den Arm gedrückt, weil es mich am wenigstens behindern würde. Man wusste ja schließlich nicht, wie sich der Abstieg in die Hölle so darstellen würde... Erstaunlicherweise war der Notausgang der Hölle beim WWWB-Markt sehr schnell gefunden – das Schild „Nicht betreten! Feuergefahr!“ war aber auch wirklich eindeutig. Und so beschritten wir den Fluchtweg aus der Hölle in umgekehrter Richtung. Er war – gelinde ausgedrückt – äußerst langweilig und schlichtweg dafür ausgelegt, dass man ihn möglichst schnell hinter sich ließ. Daher gab es keinerlei Ziergegenstände, obwohl das mich persönlich bei Chibichi ja nicht gewundert hätte. Es dauerte wohl gut eine Stunde, bis wir endlich eine schwarze Tür erreichten, die derjenigen glich, durch die wir in diesen Tunnel gekommen waren. Schweigend verharrten die sonst so sorglosen Sorglospunks und ihre Managerin. „Sagt mal... hätten wir nicht eigentlich abwärts laufen müssen?“, fragte Jack auf einmal. „Der Weg war ganz eben und die Hölle liegt doch unter der Erde, oder?“ Fragende Blicke richteten sich auf mich, die deutlich sagten „Du warst doch schon mal hier“. „So einfach ist das nicht. Die Hölle hat doch neun Kreise – von denen man jeweils alle anderen Kreise erreichen kann – und für jeden gibt es unterschiedliche Zugänge. Der Hades, in den ich damals mit Orpheus gegangen bin, ist einer der Kreise und kann durch einen simplen Abstieg erreicht werden. Das muss aber nicht immer so sein. Wenn mich übrigens nicht alles täuscht, dann führt uns diese Tür in den innersten Kreis der Hölle. Lange genug waren wir dafür jedenfalls unterwegs.“ Außerdem hatte ich zwischendurch die kleinen Markierungen gesehen, die verrieten, welchen Höllenkreis man gerade durchquerte. Da jedoch außer mir hier niemand Dämonisch lesen konnte, hatte ich darauf verzichtet, auf diese Tatsache hinzuweisen. „Mhm.“ Die vier blickten erneut auf die Tür. „Tja, auffi!“ Easy lächelte und drückte die Klinke mit einem kräftigen Ruck herunter. Entgegen aller Erwartungen schlug uns keine heftige Feuerwand entgegen. Die Luft war zwar warm, aber eher auf eine angenehme Art und Weise als zu heiß. „Oh. Dann gibt es die Lavatunnel wohl in einem anderen Kreis“, stellte Jack verblüfft fest. „Ist doch gut.“ Chris grinste erleichtert. Er hatte schon mit dem Allerschlimmsten gerechnet, doch das hier war eindeutig gar nicht so heftig... „Ja, dann sterben wir nicht noch versehentlich.“ Easy grinste breit und marschierte voran. Die anderen folgten ihr etwas langsamer nach. Man musste sich ja nicht noch euphorischer in die Hölle stürzen, als sie das ohnehin schon taten. Eine felsige Höhlenlandschaft mit vielen Erhebungen, Senken und Stalagmiten lag vor uns (die Stalagtiten konnte man nicht sehen, weil die sich wahrscheinlich viel zu weit oben befanden, denn auch die Decke dieser Höhle war nicht erkannbar) und der Himmel – sofern man das über uns so nennen konnte – glühte in einem dumpfen Rot. Der Rest war relativ grau, aber hier und da gab es ein paar feurige oder wasserhaltige Springbrunnen und die eine oder andere Bepflanzung, die hier unten sogar gut gedieh. Alles sah hier reichlich bürokratisch aus – also waren wir vermutlich genau in der bürokratischen Zentrale der Hölle gelandet. So langsam begriff ich auch die Existenz des Notausgangs hier. Denn so, wie ich Chibichi kannte, war das letzte, womit sie sich gerne befasste, irgendein langweiliger Verwaltungskram. Vermutlich musste man sie überraschen oder überwältigen, damit sie diesen Aufgaben nachkam und selbst dann war sie wahrscheinlich gleich auf dem Sprung zur Flucht... Und dann brauchte man natürlich einen WWWB-Markt in der Nähe des Ausgangs, um Nervennahrung zu tanken. War ja nur logisch. Und allmählich keimte in mir ein Verdacht, wo die oberste Herrscherin der Unterwelt wohl stecken mochte. „Mal ehrlich, dieser Teil der Hölle ist voll langweilig“, moserte Jack schließlich, während wir einem geschwungenen Pfad durch das langweilige und nichtssagende Panorama folgten. Wie zur Widerlegung ihrer Worte trafen wir hinter der nächsten Biegung auf einen... Teufel. (mit Betonung auf einen – den Teufel kannten wir ja bereits) Die Hörner und die Zügenfüße sowie die rote Haut waren dafür ein ziemlich gutes Zeichen. Und dieser rothäutige Höllenbewohner war nicht alleine, sondern stand neben einem Mann, der – nur mit einem Lendenschurz und dicken Wollsocken bekleidet – an einen Felsen gekettet war. Auf der Spitze dieses Fels hockte ein Adler und schielte zu den beiden herunter. „Findest du es nicht auch faszinierend, dass ihm Leber noch schmeckt? Mir würde sie schon längst zu den Ohren wieder rauskommen“, sagte der angekettete Mann. „So wie jedem anderen deine Sprüche“, gab der Wächter, denn um einen solchen handelte es sich wohl, zurück. „Hey, ich habe nun einmal kaum eine andere Beschäftigung, als über diesen verdammten Adler zu schimpfen! Zufälligerweise bin ich festgekettet...“ „Jetzt schieb deine mangelnde Einbildungskraft und Fantasie ruhig auf die Umstände und mach es dir damit leicht!“ Easy wollte die beiden Streithähne gerade unterbrechen, doch Nifen hielt sie davon ab. „Wer weiß, ob wir hier so willkommen sind. Lass uns lieber schnell vorbeigehen.“ Gesagt, getan. Erst als wie die beiden weit hinter uns gelassen hatten und die Worte „Verdammt, ich wünschte, du würdest noch mal nach Socken jammern! Das war wenigstens unterhaltsam!“ hinter ihnen verklangen, wagte Easy ihre Frage zu stellen: „Wer war das denn? Und was hat er für diese Strafe angestellt?“ „Das ist Prometheus“, erklärte ihr die Bandmanagerin wie aus der Pistole geschossen. „Er hat den Göttern das Feuer gestohlen und es zu den Menschen gebracht. Tja, und dafür hat Zeus ihn an einen Felsen ketten lassen, wohin jeden Tag ein Adler kommt und ein Stück von Prometheus’ Leber frisst.“ „Ist ja bäh!“ Easy schüttelte sich. „Und grausam!“, fügte Chris hinzu, dem nun wieder mulmig wurde. „Kinder, ihr redet von einem Gott. Die denken nun einmal nicht wie Menschen.“ Ich schüttelte den Kopf. „Außerdem solltet ihr nicht vergessen, dass Chibichi nun einmal der Teufel ist und diese Tatsache einige gewisse Aufgaben und Verpflichtungen mit sich bringt...“ Dankenswerterweise wurde dieses Thema danach nicht erneut angeschnitten. Allerdings war klar, dass sich die Sorglospunks definitiv vornahmen, niemals zur Bestrafungszwecken in der Hölle zu landen. Weiter ging es. Mittlerweile trafen wir häufiger diese seltsamen Paare aus Bestraften beziehungsweise Folteropfern und Wächtern. Einer, bei dem wir natürlich vollkommen fasziniert eine Zwischenstation einlegten, war Sisyphos, denn diesem entglitt – gerade als wir vorbeigingen – der Stein, den er mühsam den Hang hochgewälzt hatte, einen halben Meter vor der Spitze und donnerte mit Getöse herab. „Verdammt! Das war schon wieder die falsche Technik!“, fluchte er hingebungsvoll, während sein teuflischer Bewacher mitleidig lächelte. „Was ein Mist.“ Easy schüttelte den Kopf. „Er war so kurz davor...“ Leise flüsterte Nifen ihr den mythologischen Hintergrund dieser Geschichte ins Ohr. Dass Sisyphos die Götter ein wenig zu häufig herausgefordert und gelinkt hatte und zur Strafe jetzt diesen Felsen den Hang emporwälzen musste – nur, damit dieser kurz vor dem Gipfel wieder herunterrollte. „Oh.“ Easy schaute Sisyphos zu, der nun am Fuße der Steigung eine Verschnaufpause einlegte und leise mit sich selbst sprach. Dann sah er auf und bemerkte uns. „Und das passiert mir auch noch vor Zuschauern – wie ärgerlich!“, rief er aus. Sofort drehte sich der gehörnte Wächter um und schaute uns an. An dieser Stelle sei erwähnt, dass ich von mythologischen Entitäten aller Art natürlich gesehen werden kann, sodass auch mir dieser stechende und äußerst prüfende Blick nicht erspart blieb. „Wer seid ihr und was habt ihr hier zu suchen?“, fuhr er uns an. Nifen legte Easy geistesgegenwärtig die Hand auf den Mund und hinderte sie somit daran, unser Vorhaben auszuplaudern. Das war wahrscheinlich auch besser so. Stattdessen ergriff ich das Wort. „Oh, wir gehören zu der Touristengruppe, die heute Kreis vier besucht. Sie wissen ja von dem Projekt ‚Austausch der Kulturen’, nicht wahr? Nun und bedauerlicherweise wurden wir wegen der Katze von unserer Gruppe getrennt und haben uns verlaufen. Wenn Sie uns vielleicht...“ „Da lang“, wurde ich rüde unterbrochen, während der Wächter seine schwefelgelben Augen verdrehte und in eine bestimmte Richtung wies. „Bis zu dem Aufzug mit der großen Vier drauf. Ich sag aber noch den Furien Bescheid, dass es schon wieder Ärger gibt.“ Damit war für ihn die Sache erledigt. Er wandte sich um und zog sein mobiles Höllophon aus der Tasche. „Los, bewegt euch!“, zischte ich meinen vier Freunden zu und sauste voraus. Genau bis hinter die nächste Biegung blieben wir auf dem Weg, den uns der Höllenbewohner gezeigt hatte, dann zweigten wir ab und hielten auf die nächstliegenden großen Gebäude zu. „Was ist denn?“, fragte Jack verwirrt. Sie erhielt die Antwort in Form eines lauten Aufschreis. „WIE? DAS TOURISTENPROJEKT WURDE EINGESTELLT? WARUM SAGT SOWAS EINEM DENN HIER NIE JEMAND?“ „Deswegen“, fügte ich trocken hinzu. „Seit rund 1.000 Jahren gibt es die Touristenbesuche und das Kulturaustauschprogramm nicht mehr. Es gab da so ein paar üble Zwischenfälle...“ „Aber...“ Chris war verwirrt. „Je größer ein Unternehmen, desto schlechter die Kommunikation“, erwiderte ich grinsend. „Allerdings haben wir mit den Furien jetzt wirklich ein großes Problem.“ „Wieso?“ Easy zog die Stirn kraus, während ich ihr knapp die Sache mit den Furien erläuterte. Sie waren Teil der Unterwelt und hier so etwas wie die Spezialpolizei. Die drei Furien Alekto, Megaira und Tisiphone zeichneten sich vor allem dadurch aus, ihre Opfer niemals aus den Augen zu verlieren und ihnen auf der Spur zu bleiben, bis sie sie gefunden hatten. Außerdem waren sie äußerst sadistisch veranlagt und neigten dazu, ihre Gefangenen äußerst schnell und effektiv in den Wahnsinn zu treiben. Mindestens. „Oh.“ Die vier sahen mich perplex an. „So ist das. Und wenn die drei rauskriegen, dass ihr noch lebendig seid, dann wird es wirklich unangenehm. Also ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, dass uns Kiwi mal ihre Spürkatzeneigenschaften vorführt.“ Damit nahm ich die dösende Katze von meinem Schoß und setzte sie auf den Boden. Ein vorwurfsvoller Blick traf mich, der äußerst deutlich zum Ausdruck brachte, dass Kiwi gar nichts davon hielt, a) gestört worden zu sein und b) jetzt irgendetwas tun zu sollen. „Los, such Chibichi“, forderte ich sie auf. Keine Reaktion. „Komm schon, Bommel, wo ist Chi?“, half Easy nach. Wieder null Reaktion. „Ich zieh dir das Fell über die Ohren!“, brüllte Chris, der jetzt wirklich Panik schob. Die Aussicht auf die Begegnung mit drei waschechten Furien ließ in ihm alle Angst und jegliche Bedenken, die er bereits vor dem Antritt dieses Abenteuers gehegt hatte, wieder hochkommen. Doch Kiwi leckte sich nur in Ruhe die rechte Vorderpfote sauber. Jack sah hilfesuchend zu Nifen, die sich jetzt vorbeugte und der Katze etwas ins Ohr flüsterte. Nur einen halben Atemzug später marschierte Kiwi mit hochaufgerichtetem Schwantz los – und wir fünf hinterher. „Was hast du ihr gesagt?“, fragte Easy neugierig. „Betriebsgeheimnis“, erwiderte Nifen geheimnisvoll und legte zur Bekräftigung den Finger an die Lippen. Ich nahm mir fest vor, Nifen bei Gelegenheit darüber auszuhorchen, doch im Moment war für uns einfach nur wichtig, dass es Kiwi gelang, Chibichi ausfindig zu machen – und zwar am besten bevor uns wiederum die Furien aufspürten. Unser hektischer Weg führte uns sehr direkt auf das größte der grauen Gebäude zu. Hier nahm hier die Höllenbewohnerdicht sprunghaft zu, sodass uns allmählich wirklich mulmig wurde. Nun, aber Kiwi kannte garantiert den Weg, es gab vermutlich keinen anderen und daher hatten wir keine andere Wahl, als uns in das rothäutige und gehörnte Getümmel zu stürzen. Zwar drehten sich einige der grau gekleideten Bürokratenteufel zu uns um, aber niemand versuchte, uns aufzuhalten. Das wirklich Beamtenmentalität in Reinkultur: etwas sehen, aber nicht handeln, da keine entsprechende Anweisung vorliegt. Vor einem riesigen Gebäude mit einer gigantischen rotverglasten Drehtür blieb Kiwi stehen und maunzte nachdrücklich. Dort mussten wir also rein. Neugierig spähten wir durch das rote Glas. Eine große Empfangshalle lag dahinter, in der sich ungefähr eine Handvoll höllischer Besucher befanden. An sich kein Problem. War nur die Frage, wie wir an der tentakelhaarigen Empfangsdame vorbeikamen, die diese Halle beherrschte. Und wer solche Personen kennt, weiß, dass – egal, wo sie sich befinden, ob auf dem Olymp, an der Himmelspforte oder in einer schnöden menschlichen Behörde – man nie unbefugt eintreten kann. „Ich hab eine Idee“, verkündete Jack. „Was auch immer passiert: Rennt hinter mir her.“ Damit schob sie Kiwi in die Tür und folgte ihr, während wir uns wiederum an Jacks Fersen hängten. Wir hatten zwar keine Ahnung, was sie vorhatte, aber ein sorgloser Plan kam uns gerade recht. Wie erwartet sah der tentakelige Empfangsdrachen sofort auf, als wir reinkamen. „TSEK!“, brüllte Jack. „Die Katze hat eine Weihwasserbombe gefressen!“ Und während wir äußerst ungestört Kiwi hinterher rennen konnten, brach in der Empfangshalle das nackte Chaos aus und sie leerte sich schlagartig. Vermutlich hatte keiner der Anwesenden Lust, uns bei unserer lebensgefährlichen Aufgabe Gesellschaft zu leisten. „TSEK?“, fragte Easy mit riesigem Respekt vor diesem genialen Einfall ihres Zwillings. „Teuflisches Sondereinsatzkommando. Mir fiel nichts Besseres ein.“ Jack lachte. „Oh, Mist!“ Chris hatte einen Blick hinter uns geworfen und dort drei Frauengestalten in togaähnlichen Gewändern ausgemacht, die uns a) verfolgten und deren Gesichter b) furchteinflößend verzerrt waren. „Die Furien!“ Glücklicherweise prallten wir in diesem Augenblick mit der sich öffnenden Tür eines Sitzungssaals zusammen. Was daran glücklich ist? Heraus kam niemand Geringeres als die oberste Herrscherin der Hölle höchstpersönlich: Chibichi. „Chi, halt uns die Furien vom Leib!“, jammerte Easy sofort und sprang hinter ihrem Lieblingsteufel in Deckung. Wir anderen taten es ihr gleich, während Kiwi triumphierend um Chibichis Beine strich. „Das ist nicht eure Beute!“, sagte der Teufel hoheitsvoll, als die Furien sie erreicht hatten und geifernd ihre Hände nach uns ausstreckten. An sich waren sie ja sogar recht hübsch, aber der Wahnsinn entstellte ihre Gesichter völlig. Als auf ihre Worte keine Reaktion folgte, schlug Chibichi Megaira wuchtig auf die Finger. „Pfoten weg, sonst setzt’s was! Und jetzt verzieht euch!“ „Unsssersss...“, kam es trotzig von der geschlagenen Furie. Irgendwie war das ja doch etwas unheimlich, dass sie sich von ihrem Boss nichts sagen lassen wollte. „Meins!“, donnerte Chibichi zurück und ließ ihre eindrucksvolle Teufelsstimme von den Wänden widerhallen. Zischend, fauchend und seltsam tänzelnd zogen sich die drei Furien zurück. Uns allen entwich ein erleichtertes Aufseufzen. Wir waren entkommen! „Wundert euch nicht, wenn die Biester noch mal Ärger machen. So schnell geben die nicht auf. Klasse Spürhunde, aber wissen nie, wann sie aufhören sollen. Ruft mich sofort an, wenn’s Probleme gibt, klar?“, instruierte uns Chibichi, ehe sie schließlich das zum Ausdruck brachte, was sie wohl schon längst gedacht haben musste. „Was zur Hölle macht ihr eigentlich hier?“ „Wir wollten dich retten...“, kam es kleinlaut von Easy, der ihre erst geniale Idee jetzt so richtig bescheuert vorkam. „Aha.“ Verwirrt sah Chibichi von Jack und Chris zu Nifen und mir. Und während Nifen ihr die genauen Umstände dieser Idee erklärte, nahm sie Kiwi auf den Arm und kraulte sie liebevoll. Als die Sorglospunks-Managerin schließlich geendet hatte, musste Chibichi schließlich lachen. „Ihr seid verrückt. Liebenswert, aber verrückt.“ „Lass mich raten: Du konntest dich nicht länger vor Verwaltungszeug drücken?“, trumpfte ich auf und servierte allen die Überlegung, die längst in mir gereift war. Der Teufel lachte. „So in etwa. Und wir mussten noch etwas bei der Modernisierung der Seeleneintreiberei klären. Politiker sind ja ein guter Fokus, aber Stars und Sternchen muss man dringend mehr berücksichtigen. Aber erklär das mal diesen verknöcherten Beamtengehirnen.“ Sie verdrehte die Augen. „Logisch, dass die Sitzung ewig gedauert hat, oder?“ Und ihr Blick fügte noch unterschwellig hinzu, dass sie es sehr bedauerte, diese Kerle nicht einfach ins Höllenfeuern werfen und dort vergessen zu können. Selbst solch ein Unternehmen wie die Hölle brauchte eben einen Verwaltungsapparat. Da half alles nichts. „Aaaaaber, wenn ihr schon mal hier seit, kann ich euch erst einmal alles zeigen. Und dann könntet ihr ein kleines Konzert vor den Schülern der höllischen Akademien geben. Die müssen dringend mal wieder etwas Vernünftiges hören!“ Gesagt, getan. Nach der Höllentour betraten wir eine Bühne, die mitten im coolen sechsten Höllenkreis aufgebaut war. Hier war es sommerlich heiß und die Gegend erinnerte mich persönlich an das alte Griechenland. Vermutlich waren hier auch die Foltermethoden derart klassisch. Höllenpferde, die Körper auseinander rissen, die dummerweise vergessen hatten, dass sie gar keinen Schmerz mehr empfinden mussten, weil sie ja tot waren... Vor uns breitete sich ein Amphitheater voller junger Teufel und Dämonen aus, die gespannt auf unsere Show warteten. Kiwi hatte im Publikum sogar den Dämonenkater erspäht, der ihr vor einer ganzen Weile im WWWB-Markt begegnet war und überlegte, ob es sich lohnen würde, diese Bekanntschaft zu erneuern. Vielleicht konnte er ihr ja noch mal in Sachen Futterschwierigkeiten weiterhelfen... Müßig zu erwähnen, dass der Auftritt ein voller Erfolg war, oder? Den krönenden Abschluss bildete übrigens der neue Höllensong: „Für den Teufel, ja, für den Teufel, da gehen wir auch kopfüber in die Hölle!“ Kapitel 22: Helden auf dem Eis ------------------------------ „Leute, ich hab einen neuen Auftritt für euch!“ Die Managerin Nifen stürmte Zettel wedelnd und strahlend in das Wohnzimmer der sorglospunkigsten WG der Welt. „Cool!“ Easy, die sorglose Frontfrau der besten imaginären Band der Welt, war sofort Feuer und Flamme. „Prima, dann kommt wieder Geld in die Kasse“, befand Jack, ihres Zeichens Easys Zwillingsschwester und universelles musikalisches Ultratalent der Band. „Lenn druckst schon wieder so herum, als wenn er die bösen K- und S-Worte benutzen will.“ Dahinter verbargen sich nichts anderes als Kaffee- und Schokoladenrationierung, die im Hause Sorglospunks keine besonders positive Resonanz fanden und dem Bandphilosophen und selbsternanntem Kassenwart LennStar schon einmal einen ungeplanten Aufenthalt im lokalen Krankenhaus beschert hatten. „Ah... Ehe wir hier alle ausrasten: Wo soll das Konzert denn stattfinden?“ Nach den letzten Auftritten auf einem Geisterschiff und in der Hölle sowie sonstigen Erfahrungen der äußerst merkwürdigen Art, war Chris, der Bassist und Gitarrist der Band, nicht mehr ganz so leicht zu begeistern. Oder anders ausgedrückt: Er hatte ein gesundes Misstrauen gegenüber Nifens „Ich hab einen neuen Auftritt für euch“-Ankündigungen entwickelt. „Bei dem Finale des Schwabencups!“ Nifen strahlte noch immer in die Runde. „Und das ist was?“, hakte ich mich jetzt ein. Nur soviel zu mir: Jede Band braucht eine Muse und die der Sorglospunks bin ich und in diesem Kontext zuständig für Notfallrettungsaktionsideen sowie spontane Songinspiration. „Das ist ein Eishockeyturnier für Amateurmannschaften in Süddeutschland. Weswegen da auch nicht nur Schwaben dran teilnehmen, sondern auch Bayern... Na ja, und das Finale bestreiten die Schwabendevils Stuttgart und die Nürnberger Stiere.“ Ehe ich irgendwie signalisieren konnte, dass ich mit der Antwort zufrieden war und mir die Infos reichten und Chris seine Erleichterung zum Ausdruck bringen konnte, dass das ein sehr normales Angebot war, quietschte Easy los. „Eishockey, wie geil!“ Schlagartig kam bei uns allen die Erinnerung an Easy Eishockey-Phase hoch, in der ständig Spiele im Fernsehen geguckt werden mussten (es ist faszinierend, was Sportsender eigentlich alles in dieser Richtung ausstrahlen), ein entsprechendes Trikot gekauft und sogar ein Schläger irgendwie organisiert wurde – und sie nur noch davon sprach. Gut, ich sollte mich in diesem Kontext nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, war meine fliegende Wolke doch längst komplett auf die Fußballeuropameisterschaft im Juni des Jahres eingestellt. Bei meinem letzten Besuch auf dem Olymp hatten einige meiner Kolleginnen sogar reichlich böse Bemerkungen über die Flugtüchtigkeit meiner Wolke gemacht. „Na, wenigstens klingt das recht normal“, gab Chris nun endlich seinen Segen zu der ganzen Sache. Easy war nämlich gerade ein wenig leiser geworden und somit relativ einfach zu übertönen. „Juhu!“ Die sorglose Frontfrau schnappte sich in der Zwischenzeit das katzige Bandmaskottchen Kiwi und hopste mit ihr im Arm wie ein Derwisch durch das Wohnzimmer. „Wir schauen Eishockey! Wir schauen Eishockey!“ Jack sah ihrer Schwester mit schräggelegtem Kopf zu. „Man sollte ihr vielleicht sagen, dass wir noch einen Eishockey-Song brauchen, denn bisher haben wir noch keinen...“ Auch drei Tage später, als das Spiel stattfand, existierte noch kein Eishockey-Song. Easy hatte sich eine Schreibblockade eingefangen, die ihresgleichen wirklich suchte. Jegliche Inspirationsversuche meinerseits waren einfach nur kläglich gescheitert. So blieb uns nichts anderes übrig, als zur Spieleröffnung auf unser bisheriges – ja doch recht ansehnliches – Repertoire zurückzugreifen. Aber es war klar: Am Ende mussten wir einen genialen Abschlusssong liefern, denn sobald das Spiel vorbei war und die Siegerehrung lief, sollte die Band noch einen Titel zum Ausklang des Turniers spielen. Und das durfte natürlich nicht irgendetwas sein, sondern musste einfach eine absolut geniale Eishockey-Hymne sein. Doch jetzt durften wir erst einmal dem Spiel zusehen. Und das war spannend. Verdammt spannend. Auf dem Eis ging es richtig heiß her. Und von Langeweile und mangelnder Spielklasse, weil das hier ja nur ein Amateurturnier war, war meilenweit nichts zu sehen. Es wurde mit Wucht gecheckt, mit Zielsicherheit gepasst, mit Ausdauer gelaufen sowie mit spürbar grenzenloser Begeisterung und bissigem Ehrgeiz gespielt. Sehr schnell stellte sich heraus, dass die roten Schwabendevils und die schwarzen Stiere vollkommen gleichwertig waren. Für die Sorglospunks gab es jedoch nur eine Mannschaft, die sie anfeuern konnten und wollten, schon allein aus Gründen der Herkunft und der durch den Fußball etablierten Rivalität – und das waren die Schwabendevils. Nürnberg ging ja gar nicht! Easy jubelte jedes Mal lauthals, wenn die Stuttgarter am Puck waren und schließlich ließen sich auch Jack und Chris mitreißen, während Nifen und ich das Geschehen eher gelassen beobachteten. Man musste ja nicht übertreiben. Obwohl es wirklich unterhaltsam war – und damit sind sowohl das Spiel als auch unsere drei Sorglospunks gemeint. Besonders der Stuttgarter Spieler mit der Nummer 34, der immerhin eins der zwei Stuttgarter Tore im ersten Drittel erzielt hatte, hatte es Easy angetan. Sie strahlte jedes Mal, über das ganze Gesicht, wenn er dicht an uns – wenn auch hinter der Plexiglasscheibe – vorbeisauste. Entsprechend regte sie sich tierisch auf, als er im letzten Drittel von einem Nürnberger übelst gegen die Bande gecheckt wurde. Doch für die Stuttgarter war das klasse, denn der schwarze Stier wurde für zwei Minuten in die Glaskabine geschickt und das hieß: Powerplay für die letzten beiden Spielminuten! Und diese Chance nutzen die schwäbischen Teufel. Eiskalt, wie man es aus dem Fußball von dem VfB-Profi Mario Gomez kennt, versenkte die süße 34 den Puck im Tor. Zwar war damit das Powerplay beendet, aber die Führung stand nun sicher mit 4:2. Und sie blieb auch so, als die Uhr abgelaufen war. Der daraufhin losbrechende Jubel war ohrenbetäubend. Fast die gesamte Halle bebte und machte damit sehr deutlich, dass das hier ein echtes Stuttgarter Heimspiel gewesen war. Unsere drei Sorglospunks jubelten und feierten natürlich fleißig mit. Auch Nifens dezenter Hinweis, dass sie ja gleich noch einmal auftreten würden und einen entsprechenden Song bräuchten, konnte die Stimmung nicht trüben. Easy meinte nur, sie hätte da schon eine Idee – und jubelte dann ausgelassen weiter. Diese Idee bestand in nichts anderem, als auf dem Eis zu improvisieren. Denn dort standen sie nun auf einer kleinen Holzbühne, die sicherstellen sollte, dass sie nicht ausrutschten und sich lang machten. Während noch die Siegerehrung lief, sollten sie anfangen zu spielen. „Unseren sorglospunkigen Glückwunsch zu dem tollen Spiel!“, schmetterte Easy ins Mikro. „Und hier ist unser eigens für euch komponierte Siegersong!“ Okay, ich wusste, worauf das hinauslief: auf sorglospunkige Improvisation. Na, aber das kannte ich ja schon. Entsprechend zückte ich meine Blitze und legte mit meinen Inspirationen los. Chris’ Riff hämmerte durch die Halle und Jacks Schlagzeug setzte knallhart dazu ein. Das klang schon mal vielversprechend. „Da steht ihr nun! Den Pokal in der Hand! Gekämpft habt ihr, gespielt, gecheckt, gefightet! Und da steht ihr nun! Den Pokal in der Hand! Tore geschossen! Egal ob die 34, die 16 oder die 23! Die Halle bebt Und das nur für euch! Denn ihr seid Helden! Helden auf dem Eis! Wohohohoho! Helden! Helden auf dem Eis! Ihr seid unsere Helden! Heeeeeelden! Heeeeeelden! Helden auf dem Eis! Wohohohoo! Helden auf dem Eis!“ Kapitel 23: Der Angriff der Schreibzwangzwerge ---------------------------------------------- Es war dieses leise Getrippel, das mich aufhorchen ließ. Dieses leise Getrippel übernatürlicher Füße, das nur das geschulte Ohr einer gleichfalls übernatürlichen Entität hören konnte. In diesem Fall war es mein Ohr. „Easy, geh in Deckung!“, rief ich noch und sauste mit meiner Fußballwimpel beladenen Wolke auf mein Inspirationsopfer Nummer eins zu. „Hä?“, kam die wenig intelligente Antwort der sorglosen Frontfrau der wohl sorglosesten Band der Welt zurück. Sie saß an dem Arbeitsplatz im Wohnzimmer der Sorglospunks-WG und grübelte über einem neuen Songtext. Zwar hatte Jack die bösen Worte „Easy, wir brauchen einen neuen Song“ bisher noch nicht wieder ausgesprochen, aber das war nur eine Frage der Zeit und da Easy keinen Stress mochte, zog sie es vor, sich in diesem Fall einmal frühzeitig dranzusetzen. „Iek!“ Entsetzt starrte Easy auf ihre Hand, die sich selbstständig zu machen schien. „Da packt mich was an! Bäh!“ Sie schüttelte ihre schreibnotwendige Extremität, um dieses Gefühl loszuwerden, doch stattdessen wurde es nur schlimmer. „HILFE!“ „Halt still!“ Ich war endlich heran und besah mir Easys Hand. Ja, da saßen sie auf der Haut und drängte die Finger, das Handgelenk und den Unterarm zur Arbeit. Die Schreibzwangzwerge. Verdammt. Wobei... Vielleicht half das Easy ja ein wenig auf die Sprünge... „Easy, was ist?“ Jack, das musikalische Multitalent der Band und Easys Zwillingsschwester stand in der Tür. Direkt nach ihr schlug Chris – Bassist, Gitarrist und seit einiger Zeit PC-Junkie zwecks Kommunikation mit Japan – im Wohnzimmer auf, nur einen Wimpernschlag später gefolgt von der Bandmanagerin Nifen. „Was ist los? Wo brennt’s?“ „Easy hat sich Schreibzwangzwerge eingefangen“, erklärte ich. „Hä?“, kam es von den vieren gleichzeitig und ich fragte mich spontan, warum ich eigentlich hier war. Derart wenig Kreativität bei Antworten... Mist. Ich vergaß. Ich bin ja eine Muse und dieser Auftrag hier bei dieser durchgeknallten Band war nicht grundlos ausgeschrieben worden. „Schreibzwangzwerge. Das sind...“ In meinen Gedanken machte es gerade lautstark Klick, als ich begriff. Es gab nur eine beziehungsweise eher drei Personen, die auf diese perfide Idee kommen konnten. „Diese verdammten Furien!“ „Langsam, langsam, langsam“, suchte Nifen mich zu beruhigen. „Wir kommen gerade so überhaupt nicht mit, also erklär uns bitte in aller Ruhe, was jetzt los ist. Was sind diese Schreibzwangzwerge und was haben die Furien damit zu tun? Ich dachte, die sind wir durch Chibichis Eingreifen losgeworden.“ Erwartungsvolle Blicke trafen mich. Mittlerweile hielt Jack Easys rechtes Handgelenk fest und hinderte diese somit daran, wie wild drauflos zu schreiben. „Okay...“ Ich atmete tief durch. Wenn wir wirklich die Furien am Hals hatten, mussten wir klar im Kopf bleiben und uns überlegen, wie wir die wieder loswurden. Da waren die Schreibzwangzwerge eher zweitrangig, vor allem da ich eh wusste, wie wir wenigstens die loswerden würden... „Also, die Schreibzwangzwerge sind eine Erfindung, die... Nun ja...“ Jetzt kam ich ins Herumdrucksen. „Eigentlich hat Apollo die erfunden, um unmotivierte, aber inspirierte Autoren zum Schreiben zu bringen...“ „Verdammt, das waren die Guten?“, polterte Chris los. „Na ja, so einfach ist das mit den Guten und den Bösen nicht“, musste ich abwinken. „Götter sind eben... Götter. Die sind weder gut noch böse. Man ist eher allenfalls unterschiedlicher Ansicht. Und für Shakespeare waren die Schreibzwangzwerge wirklich eine gute Sache. Und für Goethe auch!“ „Ich bin aber weder Shakespeare noch Goethe!“, heulte Easy und starrte ihre zuckende Hand an. Das war unheimlich! Vor allem, wo sie doch ganz genau die vielen kleinen Hände fühlen konnte, die an ihren Fingern zerrten! „Ja, ich weiß.“ Beruhigend tätschelte ich der mittlerweile recht aufgelösten Sorglospunks-Frontfrau und -Songwriterin die Schulter. „Wir kriegen das wieder hin, okay?“ „Und wie?“ „Äh... Time out. Wir haben noch immer nicht alle Infos!”, mischte sich Nifen in dem Augenblick ein. Ich konnte ihr sehr genau ansehen, dass sie auch überlegte, ob man die Schreibzwangzwerge nicht gerade einfach eine Weile mit Easy allein lassen sollte, um die Songtextproduktion ein wenig voranzutreiben... „Mhm?“, kam es wenig intelligent von mir. „Die Furien.“ „Ach so.“ Ich lächelte. „Also, nachdem es ein paar böse Zwischenfälle mit den Schreibzwangzwergen gab, hat Apollo sie in dem tiefsten Keller seines Büros auf dem Olymp weggesperrt. Und dort haben nur Musen Zugang. Eigentlich...“ „Eigentlich?“ Jack zog eine Augenbraue hoch. Das klang nach Dummerweise-hat-da-noch-jemand-Zugang-der-uns-nicht-ganz-so-wohlgesonnen-ist. „Na ja, wir Musen und die Furien sind gar nicht so unterschiedlich. Wir jagen die Menschen mit Ideen, die Furien jagen sie aus Rachsucht...“ Ich zuckte mit den Schultern. „Wir sind entfernte Verwandte sozusagen und entsprechend haben die Furien auch Zugang und somit können nur sie es gewesen sein, die sich dort hineingeschlichen haben und...“ „Mooooment.“ Easy stemmte ihre freie Hand in die Hüften. „Wenn Musen diese Viecher rauslassen können, woher sollen wir denn wissen, dass du das nicht warst, um mich zum Schreiben zu zwingen, hm?“ Ich verdrehte die Augen. „Weil ich weiß, dass das bei dir nichts bringt.“ „Ach ja?“ „Ach ja!“ Ich funkelte Easy an. Solch eine Unterstellung war nicht nett. Und auch wenn ich wusste, dass diese Spannung in der Gruppe genau das war, was die Furien beabsichtigten, konnte ich nichts dagegen tun, dass Easy mich gerade auf 180 brachte. „Fein. Dann sieh doch selbst zu, wie du sie loswirst!“ „Werde ich auch!“, kam es patzig zurück. „Jaaack... Mach das grausame Eukalyptus-Bad fertig!“ „Uh, das, wonach einem die Augen so brennen?“ Jack verzog das Gesicht. „Genau das. Wollen wir doch mal sehen, ob die Viecher nach einem Bad darin noch da sind.“ Sprach’s und damit marschierte Easy mit hochgereckter und sicher festgehaltener rechter Hand ab. Jack folgte ihr kopfschüttelnd. „Gut, du sagst, die Furien waren das?“, erkundigte sich Nifen, nachdem die beiden weiblichen Bandmitglieder aus dem Raum verschwunden waren. „Japp.“ Ich lehnte mich auf meiner Wolke zurück. „Uns Musen drohen nämlich wirklich üble Strafen, wenn wir Schreibzwangzwerge in der Menschenwelt freisetzen. Keine von uns ist dafür wahnsinnig genug. Die Furien sind es schon. Vor allem, wenn sie Zwietracht zwischen uns säen wollen. Gemeinsam sind wir stark. Aber allein...“ Nifen und Chris nickten verstehend. „Was bedeutet, dass wir die Band zusammenhalten müssen. Aber... wie werden wir die Furien wieder los?“ Ich zuckte mit den Achseln. „Ich habe leider nicht die leiseste Ahnung. Wir können Chibichi Bescheid sagen, aber sie ist ja gerade auf dieser Dämonentagung und kann da eigentlich nicht weg... Das einzig positive ist, dass die Furien die Wohnung nicht betreten können. Anti-Furien-Spray sei Dank.“ Ich grinste. „Die Damen sind auf dem Olymp nicht besonders willkommen und entsprechend gibt es da Methoden... Und nach unserer unfreundlichen Begegnung in der Hölle habe ich unsere WG doch lieber furiensicher gemacht.“ „Genial!“ Chris strahlte mich an. Er hatte in der Hölle ziemliche Angst vor den Furien gehabt und deren verzerrte Gesichter noch längst nicht vergessen. „Schon. Aber wir müssen zusehen, dass wir die drei wieder loswerden. Die werden uns nämlich das Leben noch so richtig schön zur Hölle machen und immer dann auftauchen, wenn wir uns gerade in Sicherheit wähnen.“ „Mhm...“, machte Nifen nachdenklich. „Was heißt, wir brauchen gerade eine temporäre Lösung, um Easy von den Schreibzwangzwergen zu befreien und eine weitere mindestens temporäre für die Furien.“ „Exactement.“ „Ich glaube, ich habe da eine Idee.“ Nifen grinste mich an. „Etwas ganz Einfaches, womit wir beides auf einen Schlag erledigen können sollten. Vorher musst du mir aber nur noch eins verraten...“ Zwei Stunden später tauchten Easy und Jack wieder im Wohnzimmer auf. Mittlerweile hielt Jack Easys rechte Hand wieder fest und hinderte sie daran, den nächsten Stift zu greifen und alles Beschreibbare vollzuschmieren. „Okay, wir geben auf. Wir kriegen die Mistdinger nicht weg!“ Jack schüttelte den Kopf. „Das Eukalyptus-Bad hat nichts gebracht, das Spülmittel und das Essig auch nicht. Und auch nicht das Parfüm von Chris’ Oma.“ „Hey!“ Jack ignorierte den empörten Einwand von Chris. „Gar nichts nutzt irgendetwas. Wir haben ihren Arm sogar abwechselnd ins Tiefkühlfach und den Backofen gehalten! Und noch nicht einmal Kiwi hat etwas gebracht.“ Easy nickte nur traurig und blickte ihre Hand an, die immer noch ein Eigenleben führen wollte. „Was heißt: Ihr glaubt mir, dass ich unschuldig bin und ich sorge dafür, dass die kleinen Mistkerle verschwinden?“, schlug ich vor. Doppeltes, synchrones Nicken. „Schön... Aber erst einmal müssen wir eine Falle bauen...“ Ich grinste breit. Easy saß an dem Schreibtisch unter dem Wohnzimmerfenster und fluchte hingebungsvoll. Ihre Hand sauste regelrecht über den mittlerweile dritten Block und füllte Seite um Seite. „Diese verdammte Muse! Die gehört verflucht! Gekreuzigt, gevierteilt! Mindestens! Oder wenigstens aufgehängt!“ Leises Kichern vor dem Fenster ließ sie kurz aufmerken. Aus dem Augenwinkel konnte sie drei Frauengestalten in togaähnlichen Gewändern im Garten sehen. Das waren ganz unverkennbar Alekto, Megaira und Tisiphone, die drei Furien, die sich an unsere Fersen geheftet hatten und seit unserem Besuch in der Hölle sowie Chibichis Eingreifen mindestens darauf aus waren, uns das Leben schwer zu machen. Ich bekam ein winziges, kaum sichtbares Zeichen von Easy und lugte durch den Vorhang. Wunderbar. „Schreibzwangzwerge, aufi!“, befahl ich auf Griechisch. (In dieser Sprache klang der Befehl übrigens auch weitaus eindrucksvoller als auf Deutsch, aber da ihr, liebe Leser, vermutlich kaum Griechisch lesen geschweige denn verstehen könnt, habe ich gleich auf die deutsche Übersetzung zurückgegriffen.) „Lasst ab und wählt euer neues Opfer! Schreibzwangzwerge, aufi!“ Easy seufzte erleichtert auf, als die kleinen Geschöpfe ihre Hand freigaben und rieb sich das schmerzende Handgelenk. Ich grinste nur breit. (Was ich an diesem Tag definitiv äußerst gern tat.) Jetzt tauchten auch Nifen, Jack und Chris an den Fenstern auf und blickten in den Garten hinunter. „Viel Spaß!“, riefen die drei und pfefferten Kugelschreiber und Blöcke auf den Rasen. „Ah!“, entfuhr es Alekto, als sich ihre Schreibhand als erste selbstständig machte. Ihren Schwestern Megaira und Tisiphone erging es ähnlich. Und unter fauchendem Gefluche und unserem Hohngelächter zogen sich die drei Furien – fleißig schreibend – zurück. Vermutlich würden die drei relativ schnell auf die Idee kommen, die Schreibzwangzwerge mit einem simplen griechischen Befehl zum Stillhalten zu verdonnern, aber bis dahin würden sie sich schreibenderweise sicher noch ein wenig betätigen. „Wirrrrr werrrrdennnnn unssssss wiederrrrsssssehennnnn“, versprach Megaira jedoch noch zornig. Das fürchtete ich auch, aber wir würden es den dreien auch ein weiteres Mal zeigen. Gemeinsam waren wir schließlich stark. Bei einer großen Kanne Kaffee zur Feier des Tages saßen wir wenig später im Wohnzimmer zusammen. „Du musstest den Schreibzwangzwergen wirklich nur befehlen, dass sie aufhören?“, fragte Easy mit kullerrunden Augen. Ich nickte. „Und wenn du mir eine Chance gelassen hättest, dann hätte ich dir einiges ersparen können.“ Sie seufzte. „Ich werde nie, nie wieder Zweifel an dir haben!“ Ihre Worte waren mit vollkommener Inbrunst gesprochen. Ich nickte erneut und damit war das Thema für mich erledigt. Irgendwie bekamen alle Inspirierten irgendwann Zweifel an ihren Musen, das war eigentlich normal. Auch Orpheus, Shakespeare und Goethe hatten ihre Musen des öfteren verflucht – und bei Orpheus war ich es gewesen, gegen die sich sein Zorn gerichtet hatte... „Ist wenigstens ein vernünftiger Song bei der Aktion rausgekommen?“, erkundigte sich Nifen neugierig. „Erst nach einer museninspirierten Überarbeitung“, erwiderte Jack anstelle ihrer Zwillingsschwester. „Der Rest war absoluter Schrott.“ „...und der Beweis dafür, warum solche Aktionen bei Easy nichts bringen“, fügte ich grinsend hinzu. Chris lachte. „Nur gut, sonst brauche ich noch Komponierzwangzwerge!“ „Och, die kann ich dir besorgen.“ Chris’ Gesichtszüge entgleisten, während ich in schallendes Gelächter ausbrach. Ehrensache, dass irgendwelche Zwangzwerge die Schwelle der Sorglospunks-WG nicht mehr überschreiten würden. Easy hatte derweil Kiwi von ihrem Schoß verbannt, um Platz für ihre Gitarre zu haben. „Und hier ist er, der ultimative Anti-Furien-Song!“ Sie haute in die Saiten. Die Melodie war noch eher provisorisch, aber Chris würde daraus sicher noch etwas machen können. Wichtiger war vielmehr der Text. „Ohoooo ihr jagt mich! Ohoooo ihr verfolgt mich! Ohoooo ihr seid grausam! In die Hölle Wollt ihr mich verbannen! Schickt mir Schreibzwangzwerge, Ohoooo Schreibzwangzwerge! Ohoooo ihr wollt mich fertigmachen! Ohoooo ihr wollt mich fertigmachen! Aber das schafft ihr nicht, Das schafft ihr nicht! Denn gemeinsam sind wir stark! Denn gemeinsam sind wir stark! Ohoooo ihr jagt mich! Ohoooo ihr verfolgt mich! Ohoooo ihr seid grausam! Und mit gleicher Münze Kriegt ihr alles zurück! Auch die Schreibzwangzwerge, Auch die Schreibzwangzwerge! Ohoooo! Denn gemeinsam sind wir stark! Denn gemeinsam sind wir stark!“ Diesen Worten gab es nichts weiter hinzuzufügen. Denn gemeinsam waren wir nämlich wirklich stark. Kapitel 24: Das Spiel der Spiele -------------------------------- Irgendwie beginnen die meisten Dinge, die sich als besonders groß und bedeutsam erweisen, äußerst unscheinbar. So unscheinbar, dass man sie zu Beginn gar nicht wahrnimmt und erst begreift, dass etwas im Gange ist, wenn es längst vorbei ist. Ja, und manchmal, noch viel seltener, da geschehen große Dinge und niemand bekommt sie mit. Niemand. Außer ein paar Helden, die keine andere Wahl haben, als zu versuchen die Welt zu retten. Das ist der Stoff, aus dem Helden gemacht sind. Echte Helden. Helden, die... nun... Helden sind. Helden, die... „Easy! Rück sofort die verdammte Fernbedienung rüber! Das Spiel beginnt erst in fünf Stunden und bis dahin können wir den Sender noch wechseln!“, gellte Jacks Stimme durch das gesamte Haus, in dem sich die Sorglospunks-WG befand. Das Haus selbst stand in einem kleinen, beschaulichen Städtchen mitten im Schwabenländle und sowohl die Mitbewohner im Haus als auch die restlichen Stadtbewohner hatten sich so langsam an die Anwesenheit der sorglosesten, verrücktesten und die meisten Schwierigkeiten auf der Welt anziehendsten Band mindestens Deutschlands gewöhnt. Es war Fußballeuropameisterschaft und das hieß, dass sich sowieso nahezu ganz Europa im Ausnahmezustand befand. In der Sorglospunks-WG war das nicht anders – hier wurde auf jedes einzelne Spiel gelauert und gerade jetzt, wo das große Finale Deutschland gegen Spanien vor der Tür stand, war es ja bodenlos spannend! „EASY!“ „Mensch, Jack, brüll nicht so!“, kam es genervt von Chris, dem Gitarristen und Bassisten der Band, der gerade einen angestrengten Chat mit Umeko durchführte. Er hoffte ganz unglaublich darauf, dass das mit ihrer Praktikumsstelle hier in Deutschland klappen würde – selbst, wenn sie dann an der Nordsee landete. Das war immerhin ein paar Tausend Kilometer näher als Japan! „Halt die Klappe!“, kam es von Jack, dem musikalischen Multitalent der Band zurück, das es sich überhaupt nicht nehmen ließ, weiter mit ihrer Zwillingsschwester Easy – gleichzeitig die sorglose Frontfrau der Sorglospunks – um die Fernbedienung und die Senderwechselbedingungen zu streiten. Es rumste im Vorgarten. „Mensch, Lenn!“, kam es von Chris. „Mach doch nicht so einen Mist mit deinem Fass! Es ist immer so schwer, das aus dem Gartenteich wieder rauszubekommen!“ In dem Augenblick platschte es. „Äh... Du weißt, dass Lenn wieder zu diesem Philosophenkongress nach Griechenland gegangen ist?“, warf ich ein. (Nur um mich kurz vorzustellen: Mein Name ist Abranka und ich bin die Muse der Sorglospunks. Und wer mich fragt, was ich verbrochen habe, um zu diesem Job zu kommen, dem sei gleich eins gesagt: Ich habe mich freiwillig gemeldet! Noch Fragen? Nein. Gut. Fahren wir also fort...) „Oh.“ Easy und Jack waren als erste am Fenster, dicht gefolgt von Nifen, die gerade mit einer Ladung Katzenfutter im Arm die Wohnung betrat. Irgendein Kaffeejunkie hatte mal wieder die wichtigen Nahrungsmittel für das Bandmaskottchen Kiwi vergessen. „Ein Raumschiff!“ Easys verzückter Ausruf war es nun, der durch das Haus schallte. „Na super.“ Jack stöhnte auf. Das schrie nach Schwierigkeiten. Und irgendwie landeten Schwierigkeiten nahezu immer bei ihnen. Auf welchem Wege auch immer. Auch wenn der Besuch des Weihnachtsmanns, der als letzter in ihrem Garten eine Bruchlandung hingelegt hatte, eigentlich recht unterhaltsam gewesen war. Aber ganz sicher kamen nicht nur gute Dinge von oben. Selbst Chris löste sich jetzt langsam widerwillig von dem PC – Umeko hatte sich gerade verabschiedete – und trottete zum Fenster. „Sollen wir vielleicht rausgehen und nachschauen, ob sie Hilfe brauchen?“ Nach den Furien konnte ihn kaum noch etwas erschrecken. Diesen Geschöpfen der griechischen Mythologie galt mittlerweile sein gesamtes Grauen und von daher waren Aliens doch ein Klacks. „Wär wohl besser.“ Jack seufzte. „Rettungstruppe, aufi!“, jubelte Easy und stürmte als erste aus der Tür. „Hat sie überhaupt mitbekommen, was passiert ist?“, erkundigte sich Nifen, während wir anderen langsam der vorauseilenden Bandleaderin folgten. „Na ja... So gaaaanz sicher bin ich mir nicht“, murmelte ich und hob die Schultern. Wir sprachen schließlich von Easy. Und Easy war bekanntlich ein Fall für sich. So, wie eigentlich jedes der Bandmitglieder. Das kleine, hellgrün-violett karierte Raumschiff lag im Gartenteich. Das hieß, dass wir vermutlich Ärger mit unserer Vermieterin bekommen würden. Das Raumschiff war zwar nicht besonders groß, es hatte vielleicht die Größe von LennStars Tonne, aber für Zierseerosenmord war es groß genug. Ein Raumschiff... Und das auch noch in diesen Farben... Synchron schüttelten wir den Kopf, während Easy schon neugierig näher hopste. „Halloho?“, rief sie und klopfte an das, was wohl so eine Art Luke sein mochte. „Halloho?“, schallte es zurück und das Etwas, das sich tatsächlich als Luke entpuppte, öffnete sich. Es bleibt festzuhalten, dass Marsmännchen nicht grün sind, sondern pink. Oder vielmehr dieses Marsmännchen war es. Außerdem hatte es eine menschenähnliche Gestalt, drei Arme, drei Augen, irritierenderweise zwei Beine, einen langen, buschigen Schwanz und drei Antennen auf dem Kopf. Außerdem trug es einen hellgrauen, glänzenden Anzug. „Hallo!“ Easy strahlte das kleine Geschöpf an, das ihr gerade mal bis zum Bauchnabel reichte. „Willkommen auf der Erde.“ „Bist du Sorglospunk?“, kam die knappe, etwas verzerrte – vermutlich dank Universalübersetzer – Antwort. „Äh... Ein Sorglospunk, ja.“ Easys Blick flackerte zu uns hinüber und stellte ganz deutlich die Frage, seit wann sie im Weltall bekannt waren. Das war etwas, was ihr bisher entgangen war und selbst Easy hielt eine derartige Berühmtheit spontan nicht für möglich. Ich hob nur die Schultern und blickte Nifen an, die ähnlich verwirrt aussah. „Wunderbar!“ Das Alien grinste Easy breit an. „Ich bin Pinky vom Planeten Sarms. Meine Freunde und ich wollen mit euch ein Spiel spielen.“ „Äh... Und was für ein Spiel?“, warf nun Jack ein, die sich getraut hatte, sich an Easys Seite zu gesellen. „Wir spielen um die Erde!“ Pinky grinste noch immer, als wenn es so ziemlich das Genialste auf der Welt verkündet hätte. „Ich glaube, das dürfte kaum möglich sein“, mischte sich Nifen nun ein. „Das ist eine Sache von Präsidenten, Kanzlern und so.“ „Nein. Es ist eure Sache. Weil die ultimative Computeranalyse euch als die Vertreter der Erde ausgemacht hat.“ Pinky blickte die Sorglospunks und ihre Managerin herausfordernd an. „Aber wenn ihr die Herausforderung nicht annehmen wollt, dann können wir das Spiel direkt als Niederlage für euch werten – und die Erde somit annektieren. Und damit tun wir gleichzeitig den universalen Eroberungsbestimmungen genüge.“ „Äh, was?“, entfuhr es den drei Sorglospunks und mit offener Futterluke starrten sie das Alien an. Nifen dagegen legte die Stirn in Falten. Es schien, als wenn wir aus dieser Sache nicht rauskamen. Die Argumentation war durchaus schlüssig, ein Rechtsstreit würde garantiert ewig dauern – und die Erde konnte man schließlich nicht einfach durch reine Feigheit aufs Spiel setzen. „Okay, wir nehmen die Herausforderung an“, sagte Nifen entschlossen. „WAS?“ Die drei gar nicht mehr so sorglosen Sorglospunks starrten ihre Managerin an. „Nifeeeeeen!“ „Aber nur, wenn ein Auftritt auf eurem Planeten für uns rausspringt, wenn wir gewinnen“, fuhr Nifen ungerührt vor. Pinky schob die Unterlippe vor – was ein komisches, glucksendes Geräusch machte – und nickte. „Zusätzlich dazu, dass die Erde weiterhin uns gehört, versteht sich“, merkte Nifen noch an. „Selbstverständlich.“ Pinky nickte und pfiff dann durch die Zähne. Drei weitere Aliens kletterten durch die Luke ins Freie. Eines leuchtete Neongrün, eines Hellblau und eines Gelb. Alle drei trugen die gleichen grauen Overalls und ihre Anatomie unterschied sich nicht von der Pinkys. Offenbar war diese für die Sarmsianer normal. „Beginnen wir mit der offiziellen Vorstellung der Herausforderer und der Verteidiger“, erklang in diesem Augenblick eine Stimme aus dem Inneren des bunten Raumschiffs. Ein metallisches, fliegendes Etwas glitt aus der Ausstiegsluke und verharrte neben den Aliens und den Sorglospunks. „Mein Name ist Wright. Gemeinsam mit eurer... fliegenden Entität...“ „Muse, bitte schön“, gab ich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Mich juckte ja jetzt schon der Ideenblitzstab in den Fingern, um diesen metallischen Kerl einen vor den Kopf zu zimmern. „Gemeinsam mit eurer Muse also“, fuhr der fliegende Blechkopf metallisch klackernd fort, „werde ich als Schiedsrichter fungieren und dafür sorgen, dass den universalen Regelungen Rechnung getragen wird. Einer von euch wird die Rolle des Trainers übernehmen, während die anderen die Mitspieler sind.“ Synchrones Nicken der Beteiligten. „Und nun bitte ich euch, euch vorzustellen.“ „Pinky“, sagte Pinky da auch schon und so langsam wurde mit dieses leuchtend pinke Alien doch ein wenig unsympathisch. Es nervte. Vor allem mit dieser Großkotzigkeit, die es ausstrahlte. „Ich bin der Trainer der Sarmsianer.“ „Greeny“, kam es von dem grünleuchtenden Kerl und sein Schwanz sträubte sich ein wenig. „Erster Kommandant des Raumschiffs ‚Eroberer’.“ „Bluey, zweiter Kommandant des Raumschiffs ‚Eroberer’.“ Das blaue Alien drückte selbstbewusst die Brust raus und verschränkte die drei Arme vor der Brust. „Gelby“, kam es piepsig von dem gelben Alien. „Küchenverantwortlicher.“ „Die Namen sind natürlich durch einen automatischen Übersetzer in den Uniformen in eure Sprache übersetzt“, erklärte der fliegende Blechkopf Wright in diesem Moment. „Ach, und was bist du?“, erkundigte sich Easy. „Ich bin von der neutralen universalen All-Polizei, die dafür Sorge trägt, dass sportliche Planetenübernahmeaktionen immer nach allgemeingültigen Maßstäben der Fairness ablaufen.“ „Aha...“ Easy legte die Stirn in Falten. „Ihr seid nun an der Reihe, euch vorzustellen“, fügte Wright hinzu. „Mein Name ist Abranka. Ich bin die Bandmuse der Sorglospunks und offenbar auch eine Art Schiedsrichter.“ Ich warf dem Metallkerl einen knappen Blick zu und überließ das Feld meinen musikalischen Schützlingen. „Easy!“, jubelte Easy, die sich damit abgefunden hatte, dass es aus diesem ganzen Chaos kein Entkommen mehr gab und sie einfach das Beste draus machen würde. „Kreativitäter, Sängerin und... Maskottchenbändigerin!“ „Jack“, fuhr Jack gelangweilt fort. „Instrumentaler Lückenbüßer.“ „Chris. Gitarrist und Bassist.“ Chris lächelte leicht und sah aus, als wenn er am liebsten weglaufen würde. Er witterte schon wieder eine Falle der gefährlichen Furien. Die hatte er nämlich noch längst vergessen und fürchtete sie noch immer mehr als die Hölle selbst. „Nifen. Bandmanagerin und für heute Trainerin“, schloss Nifen die Vorstellungsrunde ab. Die bunten Aliens verneigten sich und nach einem kurzen Schulterzucken taten es ihnen die Verteidiger der Erde gleich. „Nachdem die Vorstellung nun beendet ist, teile ich euch mit, welche sieben ultimativen Wettkampfsportarten es geben wird“, ergriff der fliegende Blechkopf wieder das Wort. „Ich habe zu diesem Zweck die irdischen Statistiken ausgewertet. Es werden die sieben häufigsten irdischen Sportarten durchgeführt werden.“ „Und das sind?“, plapperte Easy aufgeregt dazwischen, was ihr einen äußerst kühlen Metallblick einbrachte. „Die erste Runde besteht in Sackhüpfen.“ „Aber das ist...“, setzte Easy an, doch Jack presste ihr gedankenschnell die Hand auf den Mund. Sackhüpfen war schließlich besser als Basketball oder sonst was! Und wenn Easy jetzt begann, die Auswahl unserer Alieninvasoren mit Kindergeburtstagargumentation in Frage zu stellen, konnte man ja nicht wissen, was geschehen würde – und ob sich diese Kerle nicht irgendwelche fiesen außerirdischen Sportarten ausdenken würden, bei denen wir keine Chance haben würden! Nun, und Sackhüpfen kannten wir definitiv alle. Sogar die jungen Musen spielen das auf dem Olymp. „Wunderbar. Einfach wunderbar“, schloss Jack Easys Satz und strahlte den Blechschiri an. „Und wo ist das Wettkampffeld?“, erkundigte sich Nifen neugierig. „Wir haben einen Platz etwa hundert Meter die Straße hinunter ausgemacht“, erwiderte dieser ungerührt mit seiner mechanischen Stimme. Wunderbar. Dort, wo die Jungs des Jack-Fanclubs immer kickten. Wir konnten nur hoffen, dass weder sie noch ihre jüngeren Kollegen heute dort waren, denn wenn wir da aufliefen, um eine Runde Sackhüpfen zu veranstalten, würden wir uns vermutlich auf immer und ewig in unserem kleinen Dorf blamieren. Und obwohl wir schon bekannt waren wie der berühmte bunte Hund oder vielmehr eine quietschgelbe Kuh, betrachteten uns die meisten Menschen mit so etwas wie wohlwollendem Interesse und sensationslüsterner Neugierde. Denn irgendwie wollte doch jeder sagen, dass berühmte Stars aus seinem kleinen Heimatort kamen. Und das, was so etwas wie Stars hier am nächsten kam, das waren nun einmal die Sorglospunks. Unsere seltsame kleine Prozession machte sich nun also auf den Weg zu dem Boltzplatz. Und wir hatten tatsächlich Glück. Keiner der Jungs war in Sichtweite. Easy hatte derweil versucht, aus dem Blechheini rauszubekommen, was die nächsten Wettkampfarten waren, doch dieser schwieg eisern und vertrat die unerschütterliche Ansicht, dass diese erst nach einer abgeschlossenen Runde offenbart werden würden. „Und wo sind die Säcke?“, erkundigte sich Jack betont gelangweilt. Sie war angespannt, genauso wie die anderen Sorglospunks. Easy hibbelte nervös herum und Chris zupfte die ganze Zeit an seinem Shirt, als wenn es sich dabei um eine Gitarrensaite handelte. Auch Nifen war nicht so sehr die Ruhe selbst, wie man es sonst von ihr gewöhnt war. „Hier.“ Mit einem lauten Surren klappte eine kleine Öffnung am Boden des fliegenden Androiden auf und entließ sechs sackhüpfgeeignete Säcke. „Ich markiere die Strecke.“ Damit sausten auch schon vier Laserstrahlen über das holprige Fußballfeld und hinterließen kokelnde Brandstreifen, die äußerst deutlich die Strecke abgrenzten. „Oha“, murmelte Nifen leise und warf mir einen langen Blick zu. Keine guten Aussichten. Aber es war gut zu wissen, was dieses Ding so alles konnte. Immerhin wussten wir jetzt ganz genau, dass wir Schrotti lieber nicht verärgern sollten. Und für alle Fälle würde ich mir doch etwas überlegen... Unsere kleinen bunten Aliens waren von seinen Fähigkeiten jedenfalls absolut nicht beeindruckt. Sie begannen wie wild zu schnattern und verteilten sich dann. Zwei nahmen an der Startlinie Aufstellung, während einer zu der Ziellinie flitzte. Kurz erklärte uns Wright, dass der Wettkampf wie ein Staffellauf funktionieren sollte, dann bezogen auch die Sorglospunks artig Aufstellung. Nifen hatte beschlossen, Chris als ersten Hüpfer starten zu lassen. Jack würde ihn ablösen und Easy den Schlusssprint hinlegen. Hoffentlich würde sie das. Aber Nifen hatte sich von mir mit einer Thermoskanne Kaffee versorgen lassen, also standen unsere Chancen ganz gut. Allerdings entpuppte sich Gelby direkt nach dem Startpfiff als wahrer Virtuose im Sprungsack. Seine Sätze ließen Chris äußerst alt aussehen und sorgten dafür, dass Jack eine wahre Aufholjagd gegenüber dem als zweiten gestarteten neonblauen Alien hinlegen musste. Ganz knapp lagen die beiden gleich auf, als sie die Startlinie überquerten und somit an ihren jeweils letzten Hüpfer abgaben. Und Easy legte los! Der Kaffeegeruch hing ihr in der Nase und wenn es etwas gab, das einen sonst eher sportmuffeligen Sorglospunk – und ganz speziell die Frontfrau! – motivieren konnte, dann war es Kaffee. Dafür stand sie schließlich morgens auf! Und so schaffte sie es immerhin, dass zwischen Greeny und ihr ein echtes Fotofinish stattfand. Dummerweise war die eine Antenne des grünhäutigen Aliens eher über der Ziellinie gewesen als Easys flatternde Haare. Mist aber auch. „1:0 für die Sarmsianer“, verkündete unser Metallschiedsrichter da auch schon. „Die nächste Disziplin ist Dreibeinrennen.“ Easy stöhnte auf. Das hatte sie schon als Kind immer gehasst. Ganz egal, wie sehr Jack und sie auch sonst auf der zwillingstypischen gleichen Wellenlänge schwimmen konnten, beim Dreibeinrennen waren sie jedes Mal aufs Kläglichste gescheitert. Keine Harmonie in der Hinsicht zwischen den Schwestern absolut keine. Was hieß... „Jack, Chris, ihr macht das!“, entschied Nifen resolut. Sie wusste nämlich ganz genau, dass das mit Easy in der Paarung absolut nicht gut gehen konnte. Und die Harmonie und der Gleichklang zwischen Jack und Chris waren ja schon nahezu legendär. So legendär, dass sich selbst Easy manchmal fragte, ob die beiden nicht vielleicht doch miteinander verwandt waren... Kurz darauf machten sich die tapferen Verteidiger der Erde auch schon bereit für die nächste Runde. Ihre Kontrahenten waren Bluey und Gelby, wobei mir so langsam auffiel, wie der kleine gelbe Kerl den minimal größeren blauen Kerl anhimmelte. Da ging vermutlich was... Unser anorganischer Spielregelnvertreter gab ein schrilles Signal von sich und los ging es. Jack und Chris liefen wirklich in perfekter Harmonie zusammen. Die Arme eng umeinander gelegt und die Beine in einem so steten Rhythmus, als wenn sie noch nie etwas anderes getan hätten. Bluey dagegen zerrte Gelby mehr oder weniger neben sich her und so war es kein Wunder, dass die beiden weit zurückblieben. Die zweite Runde ging somit an sehr ausgelassen feiernde Sorglospunks. Immerhin hatten sie den Ausgleich geschafft! Das war’s doch! Aber weiter ging es. Der Blechschädel machte nicht den Eindruck, den Wettkämpfenden irgendeine Art von Pause zu gönnen, weder den außerirdischen Herausforderern, noch den irdischen Verteidigern. Schien regelkonform zu sein, so, wie ich das einschätzte. Bisher machte er jedenfalls nicht den Eindruck, die Aliens zu bevorzugen. Und falls das passieren sollte, dann würde der mal lernen, wie schnell ein gut gezielter Ideenblitz einen kompletten Systemausfall verursachen konnte! Mit Argusaugen behielt ich den Kerl im Blick, während Nifen ihr sorglospunkiges Team auf das nächste Spiel einstimmte. Topfschlagen. Irgendwie schien das ach-so-geniale System unserer ungebetenen Besucher sämtliche Kindergeburtstagsfeiern und Kinderolympiaden der Welt als echte Sportveranstaltungen eingeschätzt haben, sodass wir hier nun exakt ein solches Ereignis wiederholten. Aber uns sollte es recht sein. Bei Hundertmeterlauf, Stabhochsprung und ähnlichem würde unsere liebste Lieblingsband wahrscheinlich doch so ihre Probleme haben. Aber das waren wenigstens Dinge, die sie alle kannten. Jeder der drei hatte diese Episode des kindlichen Werdegangs zum Erwachsenen irgendwann durchgemacht – und Easy trauerte dem Topfschlagen ihrer Kinderzeit immer noch hinterher, sodass ihr dieses Spiel mehr als willkommen war. Und so war sie auch die Sorglospunks-Kandidatin, die sich mit verbundenen Augen, auf allen Vieren und mit einem Kochlöffel in der Hand auf die Suche nach dem Topf machte. Die anderen beiden Sorglospunks versuchten sie mit Temperaturbeschreibungen – kalt, warm, wärmer, heiß – zu lotsen, während gegenüber Bluey und Gelby das gleiche mit dem neongrünen Alien taten. In diesem Fall zeigte sich aber sehr schnell, dass die drei Arme einen fiesen Vorteil besaßen: Greeny konnte ungefähr dreimal so schnell krabbeln wie Easy! Dafür hatte Easy den richtigen Topfriecher. Sie krabbelte derart zielstrebig auf den Topf zu, dass es schon fast unglaublich war. Nur einen kurzen Augenblick später wummerte es kräftig, als sie den Kochlöffel drauf hämmerte. „Fertig!“, jubelte sie und riss sich die hypertechnische Augenbinde herunter, die hundertprozentig sichergestellt hatte, dass sie auch ja nichts sehen konnte. Doch schon ging es weiter. Als nächstes stand Dosenwerfen auf dem Plan. Dosenwerfen. Dafür hatten sowohl die Kindergeburtstage als auch die Kirmesveranstalter wohl herhalten müssen... Entweder war dieser Zentralrechner unserer Sarmsarischen Invasoren einen absoluten Schuss weg oder aber... So langsam schwante mir, was hier eigentlich los war. Und wem wir diesen Auftritt zu verdanken hatten. Im ersten Moment hätte ich ja auf die ätzenden Furien getippt, doch das hier, das sah nach der Handschrift von jemand anderem aus. Nach der äußerst ungewollten Handschrift von jemand anderem... „Mensch, komm in die Gänge!“, maulte Jack in dem Moment, während unserer stählerner – oder aus irgendeinem anderen Metall bestehender – Spielleiter die Dosenstapel mit irgendwelchem technischen Schnickschnack aufbaute. „Heute ist Finale!“ „Genau!“, stimmte Easy ein. „Finale, oho! Finale!“ Entgeistert blickten die vier Aliens die Sorglospunks an, denn auch Chris stimmte nun nachdrücklich in Easys Final-Schlachtruf mit ein. Sie hatten es mit Gegnern zu tun, die ihre Welteroberungspläne nicht so wirklich ernst nahmen! Und so, wie sich Pinky nun aufplusterte, gefiel diesem das gar nicht! Seine Hautfarbe wurde immer dunkler und näherte sich einem nahezu apokalyptischen Rot. „Wir spielen!“, fauchte das glühende Alien zornig und schubste Gelby äußerst nachdrücklich an die Abwurflinie. Der kleine Kerl blickte Pinky ängstlich an und griff dann nach einem der Bälle. Die Regeln waren simple: Drei Würfe hatte jeder, jede stehen gebliebene Dose bedeutete zehn Punkte, welche Mannschaft am Ende die wenigstens Punkte hatte, nachdem alle drei Spieler geworfen hatten, hatte die Runde gewonnen. Dumm nur, dass unsere Sorglospunks in Sachen zielsicher Werfen eher absolute Nieten waren. Easy versemmelte ja schon den halben Meter zum Papierkorb mit einem – mal wieder – verworfenen und zerknüllten Songtextentwurf, Chris versenkte seine abgenutzten Gitarrenpoliertücher immer erst beim dritten Versuch und Jack... Nun, Jack traf immerhin. Aber meist eher etwas, das sie nicht treffen sollte. Wie in diesem Fall den Dosenstapel ihres Gegenspielers... Kurzum: Die Dosenrunde ging mit einem astronomisch hohen Sieg an die kleinen, bunten Alieninvasoren. Damit hatten wir also wieder Gleichstand. Wright gab uns jetzt immerhin eine kurze Verschnaufpause, die die Sorglospunks mit Schokodoping und Kaffeegenuss verbrachten, während sich die Sarmsianer leise flüsternd unterhielten. Schließlich kam Gelby schüchtern zu den vieren hinüber getapst, die recht entspannt im Gras saßen. Ich schwebte selbstverständlich weiterhin bequem auf meiner Wolke daneben. „Sagt mal... Wie ist das hier so auf der Erde?“, erkundigte er sich vorsichtig und sein pelziger Schwanz zuckte vor Unruhe hin und her. „Wie schon? Irdisch halt.“ Jack zuckte mit den Achseln und hielt ihr Gesicht wieder in die Sonne. Die wenigen Sonnenstrahlen des typisch deutschen Sommers musste man schließlich genießen. Und vor lauter Fußball waren sie die ganze Woche ja kaum vor die Tür gekommen... „Schokoladig, kaffeeig“, fügte Easy grinsend hinzu und hielt dem gelben Außerirdischen ein Stück Schokolade hin. „Magst du?“ Gelby zögerte einen Augenblick und probierte dann. Und nur einen Sekundenbruchteil später spuckte er die Schokolade in hohem Bogen aus. „Furchtbar! So süß! Und... klebrig! Und sie löst sich im Mund auf!“ Schockiert starrte er die drei schokosüchtigen Sorglospunks und ihre nicht minder schokosüchtige Managerin an. „Und so etwas könnt ihr essen???“ „Ja.“ Easy hob die Schultern. „Ist so ziemlich das Beste, was die Erde zu bieten hat.“ „Neben Kaffee natürlich.“ Nifen lächelte wissend und nippte selbst an ihrem Tee, während die Sorglospunksfrontfrau ihren Kaffeebecher hätschelte. Gelby sagte der Kaffee allerdings genauso wenig zu wie die Schokolade. Für den Kaffee fand er sogar noch härtere Worte, auch wenn er immer wieder betonte, dass das eben die Unterschiede zwischen den Planeten waren. Dennoch sah er sehr nachdenklich aus, als er zu seinen Kollegen zurückging. „Die Pause ist vorbei“, verkündete unserer eherner Spielregelnüberwacher. Wurde auch Zeit, denn sonst hatten wir keine Chance, die Welt zu retten, bevor das EM-Finale stattfand. „Was gibt’s als nächstes?“, erkundigte sich Easy und reichte mir die Schokolade zurück. Ich war nämlich mittlerweile die fliegende Kaffee- und Schokoladenstation geworden. Soweit, wie das neben dem ganzen Fußballschmuck, der meine Wolke zierte, noch möglich war. „Die nächste Disziplin ist Eierlaufen!“, hieß es da auch schon. „Was für Eier?“, erkundigte sich Nifen augenblicklich. „Irdische Hühnereier oder habt ihr etwas Außerirdisches mitgebracht?“ „Nun...“ Pinky wog ein hellgelbes Alienei in der Hand. „Oh nein! Wir sind auf der Erde und greifen auf irdische Sportarten zurück! Da haben Alieneier überhaupt nichts zu suchen!“, warf ich sofort ein. Das ging ja gar nicht! Wer wusste schon, wie sehr diese Dinger an den Löffeln klebten oder so! „Hey, für uns sind eure Hühnereier vielleicht giftig!“, echauffierte sich Pinky. „Pech gehabt! Dann zieh Handschuhe an!“, blaffte Jack zurück. „Eure komischen Eier bleiben weg!“ Und während sich Aliens und Sorglospunks – Nifen eingeschlossen – nachdrücklich angifteten, wandte ich mich an unseren Schiedsrichter. „Wright, die Regeln sehen irdische Sportarten vor. Für irdische Sportarten sind allerdings irdische Requisiten und Materialien notwendig, denn sonst sind es ja kaum noch irdische Sportarten, sondern sehr viel mehr außerirdische Interpretationen irdischer Sportarten, nicht wahr? Aus diesem Grund kommen allein irdische Eier – Hühnereier, um genau zu sein, da diese für diese Sportart vorgesehen sind – in Frage“, sagte ich aalglatt. Nicht umsonst war ich schließlich eine Muse. Wrights Diodenaugen blitzten mich einen Augenblick an, dann stimmte er mir zu. „Exakt. Und aus diesem Grund ist dieser Streit unnötig.“ „Hey!“, wandte ich mich lautstark an die Streithähne und -hennen. „Gibt nur Hühnereier, das sind die Regeln und fertig!“ Die vier Aliens lieferten eine showreife Schmollmundszene ab, während die drei Sorglospunks und ihre Managerin sich sichtlich freuten. (Chris machte sogar einen kleinen Luftsprung, der gerade so mit seinem Ruf als Prince of Punk vereinbar war.) Somit begann dann das Eierlaufen. Es musste die gleiche Strecke wie beim Sackhüpfen zurückgelegt werden. Jeder der Mitstreiter erhielt einen Löffel, auf dem er ein Ei transportieren musste. War es nicht nur heikel, das Ei heil über diese zweihundert Meter zu transportieren, so war es noch viel heikler dieses ohne irgendwelche Hilfsmittel sicher auf dem Löffel des nächsten Teampartners abzulegen. Wenn es herunterfiel musste der jeweilige Teilnehmer noch einmal von vorne beginnen... Easy, die erste Läuferin der Sorglospunks, schaffte es, auf den ersten zehn Metern bereits drei Eier zu killen. Zu ihrem – und dem sorglospunkigen – Glück jedoch stellte sich Gelby nicht viel besser an. Auch er musste ständig nach einem nervenaufreibenden Platsch-Geräusch zurückrennen und sich ein neues Ei holen. Doch endlich gelang es Easy, ihr zweihundert Meter weit transportiertes Ei Chris zu übergeben, der es jedoch nach nur zwei Schritten in den Grasboden einmassierte. Heute würden sich definitiv die Ameisen und das sonstige Viehzeug der Gegend über ein Festmahl freuen. Pinky führte mittlerweile einen reinen Wuttanz neben seinen Invasoren auf, während sich Nifen köstlich über die Verteidiger der Erde amüsierte. Klar, es ging hier um nicht wenig, aber das hieß doch nicht, dass man aufhören musste, Spaß zu haben, nicht wahr? Letztlich war Bluey dann genau einen Schritt schneller als Jack bei dem finalen Sprint. Tja, die Runde ging also auch an die Aliens und somit führten sie mit 3:2. Noch standen aber zwei Spiele aus. „Die nächste Runde besteht in einem Gedankensport“, erklärt der fliegende Bleichheini, nachdem die sechs Aktiven und ihre Trainer immerhin fünf Minuten Pause zum Durchschnaufen und Finger sauber machen bekommen hatten. „Diese Sportart heißt Ich-packe-meinen-Koffer.“ „Och nee!“ Easy stöhnte auf. Sie war bekanntlich doch eher vergesslich und würde von daher garantiert ganz schnell rausfliegen... Sie war in diesem Spiel nie besonders gut gewesen! „Klasse!“ Jack klatschte begeistert in die Hände. Im Gegensatz zu ihrer Zwillingsschwester besaß sie ein Gehirn, das manchmal doch eher computereske Züge annehmen konnte. Und Kofferpacken war ihre leichteste Übung. Schließlich war sie es, die immer das Zeug für Easy und sich zusammenpackte! Ganz egal, ob es um den seltenen Urlaub oder die deutlich häufigeren Auftritte ging. Nur wenig später saßen Invasorenaliens und Sorglospunks im Kreis gemischt. Gelby war es, der aufgrund einer kurzen Auslosung beginnen durfte. Das Ziel war recht klar: Jeder packte ein weiteres Teil in den virtuellen Koffer und musste vorher auflisten, was dieser bereits enthielt. Wer einen Fehler machte, flog raus und am Ende gewann das Team, dessen Mitstreiter am längsten durchgehalten hatte. „Ich packe meinen Koffer und hinein lege ich... einen Kochlöffel“, sagte Gelby strahlend. „Ich packe meinen Koffer und hinein lege ich einen Kochlöffel und ein Paket Kaffee!“, fuhr Easy fort. „Ich packe meinen Koffer und hinein lege ich einen Kochlöffel, ein Paket Kaffee und einen antiviralen Phaser“, setzte Bluey die Reihe fort. „Ich packe meinen Koffer und hinein lege ich einen Kochlöffel, ein Paket Kaffee, einen antiviralen Phaser“ – Chris verdrehte bei diesem Wort die Augen; sie waren hier ja schließlich nicht bei Star Trek! – „und ein ultimatives Kommunikationsgerät, mit dem ich immer mit Umeko reden kann!“ Jack, Easy und Nifen mussten grinsen, während die Aliens verständnislos dreinblickten. Aber sie hatten ja keine Ahnung von den Qualen einer Fernbeziehung. „Ich packe meinen Koffer und hinein lege ich einen Kochlöffel, ein Paket Kaffee, einen antiviralen Phaser, ein ultimatives Kommunikationsgerät, mit dem ich immer mit einer gewissen Umeko reden kann und“, stopfte Greeny den Koffer weiter voll. „Ich packe meinen Koffer und hinein lege ich einen Kochlöffel, ein Paket Kaffee, einen antiviralen Phaser, ein ultimatives Kommunikationsgerät, mit dem ich immer mit Umeko reden kann, ein Raumschiff und Kiwi.“ Damit beendete Jack die erste Runde und schon jetzt zeichnete sich ab, dass der Koffer wohl aus allen Nähten platzen würde. Easy war – wie man hätte ahnen können – die Erste, die etwas vergaß – und zwar Gelbys Gewürzständer aus der dritten Runde –, doch auch Greeny flog recht bald danach raus, genauso Chris. Somit hielt Jack die finale Stellung der Sorglospunks. „...ein Kaffeelexikon, ein Hypersauseboot, das teuflische Wunderauto, drei Kupferzahnräder, eine Gitarre, einen Computerkern, fünf Tafeln Minzschokolade, die letzte Staffel Alien-Alarm und ein Anti-Furien-Mittel.“ Jack grinste Bluey an. Das Duell zwischen den beiden wurde langsam echt nervenaufreibend, da der virtuelle Koffer längst aus sämtlichen Nähten zu platzen drohte. (Insbesondere angesichts der akuten Menge an Schokolade, Kaffee – sowie kaffeeähnlichen Getränken – und musikalischen Hilfsmitteln. Easy hatte sogar an ihr Songschreibebuch gedacht.) „Ich packe meinen Koffer und hinein lege ich...“, fuhr Bluey fort und wischte sich einige Schweißtropfen von der Stirn. „...das Lenkrad des teuflischen Wunderautos, zwei Pfund Vanille-Cappuccino, drei Eridiyenmesser...“ Er atmete tief durch und ratterte langsam die weiteren Inhalte herunter und umschiffte sicher die lauernden Schokosorten-Klippen (Nougatschokolade, Marzipanschokolade, Zartbitterschokolade, Vollmichschokolade, Chili-Schokolade, Nussschokolade...) . „...das teuflische Wunderauto, zwei Kupferzahnräder...“ „Halt, da sind drei drin!“, rief Jack sofort und klatschte in die Hände. Wright bestätigte das und jubelnd fiel Easy ihrer Zwillingsschwester um den Hals. Jack hatte gewonnen! Und damit war den Sorglospunks der Ausgleich gelungen. Alles hing jetzt von dem Ausgang des letzten Spiels ab! Und das war... „Torwandschießen!“, wie der metallische Weltallpolizist verkündete. Fußball! Und wenn unsere drei eins bewiesen hatten, dann, dass sie im Tore schießen gar nicht so übel waren, hatten sie doch vor nicht allzu langer Zeit den stolzen zweiten Platz bei einem kleinen, lokalen Fußballturnier belegt... Recht schnell hatte Metallkopf Wright mit seinen nahezu unglaublichen technischen Möglichkeit eine klassische Torwand regelrecht herbeigezaubert und aufgebaut. Die Sache war recht einfach. Jeder Teilnehmer hatte sechs Schuss – drei für unten und drei für oben. Klassischerweise fing man unten mit den drei Versuchen an. Welche Mannschaft am Ende die meisten Treffer erzielt hatte, hatte gewonnen. Simpel, aber effektiv. Easy schnappte sich siegesgewiss als erste den Ball und sauste ab zur Linie. Fußball, das war’s doch! Sie fühlte sich schon wie Poldi bei einem wichtigen Elfmeter! Doch wie es nicht anders sein konnte, semmelte sie den ersten Ball in den wolkigen deutschen Sommerspätnachmittagshimmel. Dafür saßen die nächsten beiden aber zielsicher in dem ausgesägten Loch. Nicht umsonst war sie schließlich Vizetorschützenkönigin geworden! Als nächstes war Gelby an der Reihe, dem der Ball offenbar lag. Er legte auch zwei Treffer nach, wodurch wieder alles offen war. Jetzt war es an Chris– und der war nun wirklich kein Ballkünstler. Entsprechend eine Nullrunde für die Sorglospunks. Bluey dagegen traf wenigstens einmal. Immerhin. Und jetzt war Jack an der Runde. Das sorglose musikalische Multitalent war sichtlich nervös. Immerhin ging’s hier um etwas. Aber sie tat es ihrer Schwester gleich – zwei von drei Schuss wurden sicher versenkt. Greeny dagegen lieferte eine komplette Nullnummer ab. Damit kam jetzt nun das wirklich Schwierige an die Reihe, denn jeder, der sich einmal im Torwandschießen versucht hat, weiß ganz genau, dass es äußerst schwierig ist, oben zu treffen. Selbst den Fußballprofis gelingt das nicht immer. (Und Musen, die das aus lauter Fußballbegeisterung natürlich ausprobieren, noch viel weniger...) Easy schlug sich jedoch recht tapfer. Nachdem der erste Schuss wieder in der Botanik verschwand, saßen die nächsten beiden. Damit hatte sie sich inoffiziell schon einmal den Ruf sorglospunkiges Fußballtalent verdient. Mindestens. Gelby besaß bei den hohen Schüssen genauso viel Glück wie bei den tiefen. Nachdem der erste Ball genau auf die Wand knallte, als äußerst gefährliches Geschoss zurückkam, von unserem fliegenden Androiden Wright abprallte und knapp an mir vorbeisauste und meine Fußballfähnchen zum Flattern brachte, war seine Zielsicherheit wach geworden. Und das hieß, dass die Außerirdischen auch zwei Treffer verzeichnen durften. 6:5 stand es somit für die Sorglospunks. Und dann war Chris an die Reihe. Jack stöhnte nur leise auf und vergrub das Gesicht in den Händen. Das konnte ja nix werden. Chris, seine Füße und ein Ball – das passte einfach nicht zusammen. Wenigstens nicht, was zielgerichtete Schüsse anging. So war es auch. Nullnummer für die Sorglospunks, dafür mehrfaches hektisches in Deckung gehen und Bällen ausweichen. Bluey schlug sich besser. Er traf immerhin einmal. Jack musste jetzt definitiv treffen, damit Greeny sie nicht sofort aus dem Rennen haute... Sobald sie sich den Ball hingelegt hatte, schloss Jack die Augen. Still stand sie da und atmete tief durch. Dann zielte sie und schoss. Dreimal sicher verwandelt! Easy und Chris flippten vor Begeisterung aus und zogen Jack in einen wilden Feier-Hüpf-Tanz, während Nifen stirnrunzelnd Greeny beobachtete. Von diesem hing alles. Und Greeny konnte genauso wenig mit dem Ball anfangen wie Chris. Als sein erster Schuss daneben ging, war das Spiel gelaufen. Die Sorglospunks feierten noch ausgelassener und Nifen lächelte zufrieden, während der kleine grüne Kerl auf dem Rasen zusammensank. Die Erde würde weiterhin uns gehören! Uns – und damit war die Menschheit gemeint. Auch wenn diese nicht die leiseste Ahnung hatte, dass wir die Erde für sie gerettet hatten. Aber wer bekam so etwas schon mit? „Sagt mal...“ Ich ließ meine Wolke neben den vier bunten Aliens runtergehen und reichte ihnen ein paar Taschentücher. Gelby schluchzte irgendetwas von „Was soll ich nur Mama sagen?“, während Greeny auch von Pinky nicht wirklich getröstet werden konnte. Nur Bluey wirkte einigermaßen ansprechbar. „Ist irgendetwas Seltsames passiert, als ihr euch der Erde genähert habt? So etwas wie spontane Computerprobleme?“ „Mhm...“ Blueys drei Antennen zuckten. „Jetzt, wo du das erwähnst... Eigentlich haben wir auf eine Stadt namens Washington zugehalten, aber als wir in den Orbit kamen, haben unsere technischen System versagt. Und außerdem hat der Computer auf einmal euch als Zielpersonen ausgespuckt.“ Ich stöhnte leise auf. Klar. Das konnte nur eine einzige Ursache haben. Aber vermutlich war das in diesem Fall sogar alles ganz gut gelaufen, denn man stelle sich nur mal vor, der amerikanische Präsident hätte auf diesem Wege die Erde verteidigen sollen... Dann wäre wohl alles verloren gewesen. „Ich verstehe.“ Ich nickte dankend. „Kopf hoch. Ihr werdet einen anderen Planeten finden. Und ich glaube, Gelby hat es hier eh nicht so gut gefallen.“ „Ach, der ist immer so.“ Bluey zuckte die drei Schultern und tätschelte dem gelben Kerl den Kopf. „Im Prinzip ist er nur bei uns, weil seine Mutter wollte, dass ihr Sohn ein erfolgreicher Invasor wird. Dabei weiß doch jeder, dass Frauen dafür viel besser geeignet sind und Männer sich lieber um die Küche kümmern sollten. Deswegen ist er auch unser Küchenverantwortlicher. Damit er wenigstens etwas tut, worin er gut ist.“ Oha. Das warf gerade ein vollkommen neues Licht auf die vier. Drei Mädels, hm? Und da sollte mal noch einer sagen, dass Frauen harmlos waren. Gemeinsam wanderten Sieger und Verlierer zurück zur Sorglospunks-WG. Dort lag schließlich noch immer das Raumschiff im Teich. „Wann wollt ihr denn euren Auftritt bei uns machen?“, erkundigte sich Pinky bei Nifen. Jetzt, wo die Niederlage besiegelt war, war das pinkfarbene Alien auch nicht mehr so unleidlich wie zuvor. „Nach dem EM-Finale“, erwiderte die Bandmanagerin mit einem kurzen Blick auf die drei Sorglospunks, die den drei anderen Außerirdischen gerade gleichzeitig die Grundregeln des Fußballs erklärten und nebenbei den EM-Modus einmischten. Die drei Fußballunkundigen schienen von dem munteren Geplapper so gar nichts mehr zu verstehen. „Am besten kontaktierst du mich über Handy, okay?“ Pinky nickte und notierte sich die Nummer, während Nifen ihrerseits die Kontaktdaten des Aliens bekam. E-Mail ins All war angeblich kein Problem, da sich die Invasoren sowieso immer in die Computernetzwerke ihrer Opfer hackten und diese Verbindung von da an bestehen blieb. Wie ein Hintertürchen sozusagen. Eine gute Stunde später gelang es den Aliens doch, sich von dem beinahe eroberten Planeten loszueisen und sich auf den Heimweg zum Planeten Sarms zu machen. Und die Sorglospunks erwartete die Vorfreude das äußerst wichtige EM-Finale. Und mich... Nun, mich erwartete in der Küche der Wohnung ein gewisser Kater. Murphy saß dort und schaute Kiwi mit verklärtem Blick zu, wie sie besonders leckeres Futter aus dem WWWB-Markt in sich hineinstopfte – und das auf eine äußerst undamenhafte Art und Weise. „Murphy, ich spreche zwar kein Kätzisch spreche, aber weiß ich ganz genau, dass du mich verstehen kannst. Wenn du das nächste Mal Kiwi besuchen kommen willst, kündige dich vorher an, okay? Dann rechnen wir wenigstens mit solchen Zwischenfällen, wie mit den Aliens. Du brauchst Chi ja nur sagen, dass sie eine kurze SMS schreiben soll – oder schreib von mir aus selbst eine. Es macht echt keinen Spaß, die Welt aus dem Stehgreif mal eben zu retten.“ Ich war mir nicht ganz sicher, aber fast schien es, als wenn Murphy mich angrinste. Vermutlich würde dieser Dämonenkater nicht tun, was ich ihm gesagt hatte. Sehr wahrscheinlich sogar nicht. Aber... jetzt hatte ich eine wunderbare Ausrede, um ihm ein paar Ideenblitze auf den schwarzen Pelz zu brennen, wenn er wieder auftauchte und erneut etwas schief ging... Tja, und wie der Auftritt auf dem Planeten Sarms war? Das ist wiederum eine andere Geschichte, die ich euch ein anderes Mal erzählen werde... Wir verlassen unsere Helden nun, wie sie auf dem Sofa sitzen und bei dem EM-Finale mitfiebern. Denn die Belohnung, die ist für diejenigen Helden, die niemals welche sein wollten und die nicht bemerkt werden, doch, dass ihr Leben so weitergeht wie zuvor. Und dass sich nichts daran ändert. Kapitel 25: Bommel-Alarm! ------------------------- „Kahn: Hier bommelt er Mark eins auf die Nase“. Das berühmteste Boulevardblatt Deutschlands hatte mit dieser Schlagzeile für Easy, die noch nicht allzu berühmte Frontfrau der ebenfalls noch nicht sehr berühmten Band Sorglospunks, und mich, der offiziellen Muse besagter bisher noch nicht berühmter Band, die perfekte Vorlage geliefert – und wir beide waren dabei, den Rest der Sorglospunks-WG langsam aber sicher in den Wahnsinn zu treiben. Denn was anderes konnte diesem Artikel gelingen, als „Bommel“ zu einem geflügelten Wort zu machen? Und zwar zu einem noch geflügelteren, als es das als Spitzname für das heißgeliebte bandeigene Maskottchen eh schon war. Kiwi, besagtes Maskottchen, hatte beschlossen, diesen Namen bis auf Weiteres auf die katzeneigene Manier zu ignorieren und sich mit der katzentypischen Überlegenheit nicht mehr daran zu stören. „Bommel!“ „Bommel!“ „Bommel!“ Jack, ihres Zeichens Easys Zwillingsschwester und musikalisches Multitalent, sowie Chris, Saitenklampfer von Gitarre und Bass, verdrehten synchron die Augen, während Nifen, die hochoffizielle Bandmanagerin, eher milde lächelte und hoffte, dass dieser akute Kleinkindergartenanfall recht bald wieder vorbei war. Langsam zog sie ernsthaft in Erwägung, uns durch eine ausgiebige Ace of Base-Session wieder zur Vernunft zu rufen. LennStar, der bandeigene Philosoph, hatte sein Fass mittlerweile schalldicht isoliert und überlegte, einen weiteren Philosophenkongress, diesmal im entfernten und bommelsicheren Indien, zu besuchen. Bei diesem ganzen Gebommel konnte man schließlich nicht mehr klar denken! „Boah ey! Wenn wir euch nicht bräuchten, würd ich euch ja glatt vor die Tür setzen!“, beklagte sich Jack und fuhr sich durch die Haare. „Bommel!“, kam es von Easy und mir zurück, woraufhin wir beide in schallendes Gelächter ausbrachen. Chris seufzte nur tief auf. Ihm schwante schon, dass ihr nächster Song das Wort Bommel mindestens einmal enthalten würde... „Kinder, Kinder...“ Nifen hob beschwichtigend die Hände, denn Jack war jetzt wirklich kurz davor, die Sofakissen als Wurfgeschosse zu missbrauchen. „Reißt euch zusammen und lasst uns einkaufen gehen.“ „Kaffee!“, jubelte Easy sofort und setzte ein „Bommel!“ hinterher. „Und Katzenfutter, Schokolade, Brot, Waschmittel und noch so einige andere überlebensnotwendige Dinge“, fuhr Nifen augenzwinkernd fort. Nur gut, dass die kluge Managerin diese Dinge im Auge behielt. Würde das irgendeines der chaotischen Bandmitglieder tun, würde es am Ende täglich Schokolade mit Kaffee geben. Selbst Jack verlor schließlich diese wesentlichen Einkaufsdinge manchmal aus den Augen. „Bommel!“, fügte Easy noch lachend hinzu, was bei mir einen weiteren Lachanfall auslöste. Ja, auch eine Muse, die schon auf eine gewisse Lebenszeit zurückblicken kann (ich sag nur Orpheus, Schätzungen könnt ihr selbst anstellen, aber ich sage euch gleich, dass ihr mit ein paar Hundert Jahren nicht hinkommen werdet), hat hin und wieder einige kleine infantile Anfälle. Ansonsten wäre das Leben schließlich nur halb so schön, nicht wahr? (Denkt immer daran: Etwas Wahnsinn ist stets erlaubt!) Eine Wagenladung Gebommel später kamen wir am WWWB-Markt an und stürmten die schier endlosen Regalreihen voller spannender und interessanter Dinge, für die man Geld ausgeben konnte. Und die auch noch bezahlbar waren – nun, wenigstens die meisten. Easy blieb stirnrunzelnd vor einem Dosenöffner stehen, der von Katzen bedient werden konnte. Einem Felinopyximatic 2000. Wenn Kiwi so etwas hätte, dann würde man sie nicht mehr füttern müssen und dann konnte man sie nicht mehr vergessen und dann... „Vergiss es, Easy. Zu teuer“, sagte Nifen in dem Moment, da sie im Gegensatz zu der sorglosen Frontfrau einen Blick auf das Preisschild geworfen hatte. „Das gibt die Bandkasse nicht her. Vor allem nicht, weil wir da eh so einen ungeklärten Posten haben...“ Die Bandmanagerin runzelte die Stirn und beschloss, Kiwi bei Gelegenheit und mit teuflischer Übersetzungsunterstützung mal auf den Zahn zu fühlen. Weiter ging es in die umfangreiche Kaffeeabteilung und dann zu der Schokoladenecke. Für unsere Sorglospunks war das der siebte Himmel und auch Easy vergaß für eine Weile das Gebommel. Bis... Ja, bis da so ein Sechserpack Halbliterflaschen mit hübschen roten Bommeln stand. „Bommel!“ Fasziniert griff Easy nach dem Getränk, das irgendetwas von wegen Kirschen enthalten sollte. „Bommel!“ Mit großem braunäugigen Dackelblick hielt sie den Pack Nifen und Jack unter die Nase. „Na gut, nimm mit.“ Beide verdrehten synchron die Augen. Auch einer Bandmanagerin wurde so etwas manchmal doch zu viel. Hin und wieder, da hatte sie ja doch das Gefühl, einen Haufen Kleinkinder zu hüten... Wieder zu Hause wurden die Einkäufe verstaut und dann öffnete Easy den roten, bommeligen Sixpack. „Kommt, lasst uns anstoßen“, strahlte sie in die Runde. „Vermeidest du auch das Wort Bommel für die nächste Stunde?“, fragte Chris misstrauisch. „Ehrenwort!“ Easy hob die Finger zum Schwur und der Bassist seufzte erleichtert. Ein wenig bommelfreie Zeit musste ja auch schließlich sein. Gemeinsam machten wir es uns im Wohnzimmer gemütlich und schlürften Kirschlimo. Und ehrlich: Das Zeug war gar nicht so übel. Die kleinen roten Bommel um den Flaschenhals stellten sogar ein tolles Spielzeug dar und faszinierten uns alle fünf. „Bommel“, murmelte Jack schließlich. „Was?“, entfuhr es Chris. „Hast du noch alle Bommel beisammen? Bommelst du jetzt hier auch schon rum?“ Erschrocken schlug er die Hand vor den Mund. „Bommel!“ Jack sprang entsetzt auf, dicht gefolgt von Easy, die ein fröhliches „Bommel, Bommel!“ hören ließ. Nifen und ich sahen uns an. Irgendwie... „Bommelt euch erst mal, das bommeln wir schon wieder hin“, sagte Nifen ruhig, aber angesichts der Tatsache, dass auch bei ihr einige Worte nach bester Schlumpfmanier schlichtweg durch Bommel ersetzt wurden, fiel ihr das sichtbar schwer. Verdammt! Wie war das nur passiert? Warum litten wir alle unter dem Bommelfieber? „Bommel noch mal!“ Ich schlug frustriert auf meine Wolke. „Bommeln wir doch Bommel an“, schlug Easy mit großen Augen vor. Auch bei ihr war gerade angekommen, dass das hier kein Scherz mehr war, sondern dass jegliche kommunikativen Aktivitäten der Sorglospunks bommelmäßig unterminiert wurden. „Bommel!“, jammerte Jack leise und schlug die Hände vor den Kopf, während Chris lautstark vor sich hinfluchte: „Bommel, Bommel, Bommel, Bommel!“ „Abranka, bommel Bommel an und bommel ihr, was gebommelt ist!“, wiederholte Nifen Easys Vorschlag – jedenfalls war ich mir recht sicher, dass das der gleiche Vorschlag war. Man möge mich jetzt ruhig für vollkommen verrückt halten, aber ich konnte nicht anders als zu lachen. Dieses ganze Gebommel war einfach nur noch ultrakomisch. „Bommel“, brachte ich nur hervor und rollte lachend über meine Wolke. Easy fing leise an zu kichern und sogar Jack wurde aus ihrem Gejammer gerissen. Chris stieg in das schallende Gelächter ein und auch Nifen ließ sich nach einem Augenblick der bommeligen Verzweiflung mitreißen. Bommel drauf, wie wir in dem Augenblick gesagt hätten. Manchmal muss man auch in wirklich beschissenen Situationen einfach mal lachen, denn dann ist auf einmal alles nicht mehr ganz so schlimm. Nun, zumindest fühlt es sich so an, auch wenn sich an den Umständen selbst so ziemlich nichts geändert hat. Irgendwann ging jedoch auch dieser Lachanfall endlich vorüber. Selbst die fünfzigste Ansteckung und das achtzigste „Bommel!“ sorgten nicht mehr dafür, dass wir durchdrehten. Nur noch müdes, erschöpftes Kichern war zu hören. Und das war endlich der Zeitpunkt, unsere Rettung anzurufen. Und das war wiederum niemand geringeres als der Teufel höchstpersönlich, denn der hatte bekanntlich nach seinem gescheiterten Seelenhandel einen unglaublich großen Narren an den Sorglospunks – besonders an Kiwi und Easy – gefressen. „Bommel, bommel zu. Wir bommeln hier ein Bommel“, sagte ich atemlos, da der Lachanfall noch immer schwer auf meinen Lungen lastete, ins mythologische Handy, mit dem ich problemlos all die Personen anrufen konnte, die eben nicht im normalen menschlichen Telefonbuch stehen. Es geschah das, was ich hätte ahnen können. Chibichi musste lachen. Und zwar richtig satt und herzhaft. Missmutig hielt ich das Handy bei Seite. „Was bommelt?“, fragte die Band samt Managerin wie aus einem Munde. „Sie bommelt mich aus!“ Ich zog einen perfekten Schmollmund und hielt das Handy dann wieder ans Ohr, gerade rechtzeitig, um zu hören, wie die Herrscherin der Unterwelt sagte: „Ihr seid wirklich herzallerliebst! Bommel!“ Sie lachte schon wieder. „Ich bin auf dem Weg und entbommel euch!“ „Bommel“, murmelte ich in das Telefon und legte auf. Und jetzt hieß es abzuwarten. Doch zum Glück hatte Chibichi ja den berühmten Fahrstuhl, mit dem sie ganz schnell zur Erdoberfläche hochdüsen konnte. Und so stand sie keine zehn Minuten später vor der Tür. „Boooooommel!“, jubelte Easy und fiel Chibichi um den Hals, während diese das Gesicht verzog. „Bei allen höllischen Foltermethoden, das ist nun wirklich zu viel. Wenn das Gebommel schon auf alle Namen übergreift.“ Der Teufel schauderte und reichte eine dunkelviolette Flasche herum, auf der ein durchgestrichener roter Bommel zu sehen war. „Trinkt jeder ein Glas.“ Grinsend sah sie zu, wie eine fröhliche Balgerei unter uns fünfen ausbrach, da wir alle so schnell wie möglich unser normales Sprachvermögen zurückhaben wollten. Fünf Minuten und eine Wagenladung Chaos später waren wir alle wieder kommunikationsmäßig auf der Höhe und hielten Kriegsrat im Wohnzimmer. „Und jetzt erklärt mir mal, wie ihr ausgerechnet an Bommel-Limonade geraten seid! Soweit ich weiß, ist die doch auf der Erde verboten und wird hier gar nicht verkauft...“ „Mooooment! Die haben wir ganz normal im WWWB-Markt bekommen!“, empörte sich Jack. „Seid wann verkaufen die da illegales Zeug?“ „Gar nicht.“ Chibichi runzelte die Stirn und sah mich an. Ich zog eine Augenbraue hoch und blickte Nifen an. „Furien?“, fragte diese. „Oder Murphy?“ „Murphy liegt in der Hölle vor dem Kamin. Er hat gerade erst die Wahlen in den USA durcheinander gebracht und war so müde...“, erklärte Chibichi. Somit blieben nur noch die Furien übrig. „Und die Furien... Ich glaube...“ Chibichi zog ihren Hell-O-Ganizer aus der Tasche und drückte darauf rum. „Dachte ich’s mir doch. Die sind für den Wocheneinkauf der Hell-O-Zei eingeteilt... Und die waren wohl im WWWB-Markt und haben eine kleine Falle für euch hinterlassen.“ „Und sie müssen uns bespitzelt haben, denn ansonsten wäre denen akute Bommel-Besessenheit von Abranka und Easy gar nicht bekannt gewesen und das Zeug wäre Easy far nicht aufgefallen“, verkündete Jack aufgeregt. „Bommel-Besessenheit?“ Der Teufel blickte sichtlich amüsiert von Easy zu mir und wieder zurück. „Lange Geschichte“, winkten wir beide ab und verzichteten darauf, die ganzen Umstände zu erklären. Ein kleines bisschen albern kamen wir uns ja jetzt doch vor... „Okay... Wenn euch die drei abhören, dann ist das nicht gut.“ Chibichi seufzte leise. „Das Haus ist furiensicher?“ „Und wie!“, kam es prompt von mir. „Antifurienmittel überall, an allen Fenstern und Türen. Sogar an den Verbindungstüren in der Wohnung!“ „Dann werden sie jemanden beauftragt haben, euch zu verwanzen.“ Der Teufel erhob sich von dem bequemen Sofa. „Und wenn das so ist? Wie werden wir diese Dinger wieder los?“, erkundigte sich Nifen. Wanzen in der Wohnung, das war überhaupt nicht gut. „Och, kein Problem. Ich bin der Teufel. Und da das alles teuflisch ist, wer sonst sollte diese Dinge besser beseitigen können als ich?“ Siegessicher wühlte Chibichi in ihrer Hello Kitty-Handtasche und förderte einen kleinen mechanischen Vogel zu Tage. „Notwendige Selbstverteidigung gegen Wanzen und ähnliches Getier. Ihr wisst ja, wie das in der Hölle so zugeht.“ Wussten wir nicht, aber wir konnten uns schon alle denken, dass Teufel und Dämonen nicht gerade viel von der Dauerhaftigkeit bestehender Ordnungen hielten und gerne mal den einen oder anderen Usurpationsversuch unternahmen. Keine Viertelstunde später war unser Wanzenproblem erledigt und lag in Form eines Haufens von Zahnrädern, Mini-Metallstücken, Schrauben und Federn vor uns auf dem Tisch. Problem gelöst. Wenigstens vorerst, denn wir wussten ja nicht, was die Furien als nächstes aushecken würden. „Bommel...“, murmelte Easy leise und bekam eine Kopfnuss von ihrer Zwillingsschwester. „Boah, Easy, lass das bloß und schreib lieber einen neuen Song!“ Ganz so schnell wie die Beseitigung der unerwünschten Überwachungsgeräte funktioniert hatte, ging das mit dem Songschreiben natürlich nicht. Aber zwei Tage später durften sich nicht nur ein Paar teuflische Ohren über einen neuen Sorglospunks-Hit freuen. „Ohohooo Bommel! Ohohooo Bommel! Bommel-Alarm! Bommel-Alarm! Es ist uns scheißegal, Was ihr jetzt von uns denkt! Es ist uns ganz egal, Was ihr jetzt von uns denkt! Wenn wir wollen, Brüllen wir Bommel! Wenn wir wollen, Tanzen wir Bommel! Wenn wir wollen, Spielen wir Bommel! Und das die ganze Nacht! Ohohooo Bommel! Ohohooo Bommel! Bommel-Alarm! Bommel-Alarm! Und egal, wer uns ärgert! Und egal, wer uns verhext! Und egal, wer uns noch jagt! Und egal, wer uns versetzt! Wenn wir wollen, Brüllen wir Bommel! Wenn wir wollen, Tanzen wir Bommel! Wenn wir wollen, Spielen wir Bommel! Und das die ganze Nacht! Ohohooo Bommel! Ohohooo Bommel! Bommel-Alarm! Bommel-Alarm!“ Und wenn jetzt irgendeiner von euch denkt, dass Jack und Chris bedingt begeistert über diesen Song waren und beide nur deswegen nicht die Augen verdrehten, weil das über die volle Spielzeit eines ganzen Songs viel zu anstrengend gewesen wäre, dann dürftet ihr vollkommen Recht haben... Kapitel 26: Rantanplan zu Besuch -------------------------------- Es klingelte. Nun, an sich war das im Hause Sorglospunks nicht unbedingt eine Seltenheit. Eigentlich klingelte es sogar relativ häufig. Wenn der Briefträger kuriose Fanpost brachte, wenn der Tierschutzverein überprüfen wollte, ob dem katzigen Bandmaskottchen Kiwi auch keine körperlichen oder psychischen Schäden durch die musikalische Aktivität ihrer Besitzer drohte, wenn der Pizzabote das Essen lieferte, wenn der Gitarrist Chris sich vor lauter Umeko-Verträumtheit ausgesperrt oder die Bandleaderin Easy ihren Schlüssel vergessen hatte. Letzteres war übrigens die häufigste Ursache des Klingelns. Also, es klingelte. „Boah, Easy!“, fluchte Jack, das musikalische Ultratalent der Band sowie Easys Zwillingsschwester, und ließ die Musikzeitschrift sinken, in der sie gerade geblättert hatte. Konkurrenz ausspionieren nannte sie das immer, auch wenn man gar nicht so viele verwertbare Informationen aus diesen Zeitschriften ziehen konnte. „Bin hier und unschuldig!“, kam es prompt aus Easys Zimmer zurück. Sie war zum Songschreiben verdonnert worden, weil mal wieder ein neuer Hit Not tat und dringend gebraucht wurde. Der letzte war schließlich schon eine halbe Ewigkeit her. Zwar war die Wahrscheinlichkeit an sich relativ hoch, dass sich Easy vom Schreibtisch verdrückte, sobald sie die Chance dazu sah und auf diesem Wege ihren Schlüssel vergaß – jedoch war ich dazu abkommandiert worden, ihr im Nacken zu sitzen, damit das auch diesmal etwas wurde. („Ich“ heißt in diesem Fall, dass mein Name Abranka ist und ich die hochoffizielle Bandmuse der Sorglospunks bin und die mehr oder weniger dankbare Aufgabe habe, unsere Songwriterin recht regelmäßig zum Songschreiben zu motivieren und inspirieren.) Leise vor sich hingrummelnd ging Jack zur Tür und öffnete. Natürlich hatte Easy die Chance genutzt, sich vom Schreibtisch abzusetzen, und ich war ihr selbstverständlich gefolgt. „Oh!“, war alles, was Jack hervorbrachte. „Was oh?“ Easy und auch Chris waren sofort neben ihr und spähten über ihre Schulter. Synchron entwich auch ihnen ein „Oh!“. Vor der Tür stand – den Hut höflich gezogen und einen Grashalm im Mundwinkel – niemand anderes als Lucky Luke höchstpersönlich. Ja, Lucky Luke, der Cowboyheld der Comics. Der Lucky Luke, der schneller zieht als sein Schatten. Exakt der Lucky Luke. „Entschuldigung, könnten Sie vielleicht eine Weile auf den Hund aufpassen?“, bat er höflich und zerrte den berühmt-berüchtigten und wohl dämlichsten Hund der Comicwelt vor die Tür. „Ich verfolge gerade die entflohenen Daltons.“ „Na... Natürlich“, brachte Jack verwirrt hervor. „Vielen Dank!“ Damit hatte sie auch schon die Leine in der Hand und Lucky Luke sprang auf sein Pferd – Jolly Jumper, wer sonst? – und galoppierte davon. „Das ist doch...“, setzte Jack an und sah sich auf einmal dem Problem gegenüber, dass Rantanplan Jolly Jumper hinterherhechten wollte – und das auch einen Satz weit tat. Nur das geistesgegenwärtige Eingreifen von Easy und Chris bewahrte sie vor einer ungeplanten Intimität mit dem Asphalt. Rantanplan entwich ein leises Winseln und mir kehrten sofort sämtliche Hundisch-Lektionen meiner Schulzeit ins Gedächtnis zurück. (Es sei angemerkt, dass wir Musen wenigstens eine Haustiersprache lernen müssen, da sich das in der Geschichte der Inspiration als äußerst hilfreich erwiesen hat. Hundisch ist am einfachsten zu lernen und genau aus diesem Grund hatte ich mich dafür entschieden.) //Entführer! Lässt mich einfach bei seinen Komplizen zurück! Wie grausam!// Ich biss mir auf die Unterlippe, um nicht loslachen zu müssen. Himmel, der Hund war wirklich genauso wie in den Comics! Gemeinsam gelang es den Sorglospunks, den Hund in die Wohnung zurückzuwuchten und die Tür zu schließen. Erneut winselte Rantanplan //Oh, Freunde! Herrchen! Rettet mich! Rettet mich!// „Äh, und jetzt?“, fragte Chris vorsichtig. „Gute Frage, nächste Frage.“ Jack hob die Schultern. „Er hat mich überrumpelt! Wer rechnet denn auch schon damit, dass Lucky Luke auf einmal vor der Tür steht?!“ „Relax, Jack.“ Easy klopfte ihr auf die Schulter. „Das ist doch voll cool!“ „Cool? Der Kerl hat uns den dämlichsten Hund des Universums angedreht! Das ist ganz absolut, definitiv und total nicht cool!“ //Rettet mich!//, winselte Rantanplan in der Zwischenzeit und schielte zur Tür. //Freunde, Brüder, rettet mich doch!// Irgendwie hatte ich so das Gefühl, dass unser hundischer Gast damit nicht Lucky Luke oder Jolly Jumper meinte, sondern vielmehr die Daltons, denen der Held der Cowboywelt gerade auf den Fersen war. „Boah, jetzt beweg dich!“ Jack zerrte missmutig an der Leine und versuchte, den Hund von der Tür fortzubekommen, scheiterte jedoch. „Ach, Himmel, dann bleib halt da liegen! Ich mag Katzen eh lieber!“ Wie aufs Stichwort schlenderte in dem Augenblick Kiwi um die Ecke und blieb stehen. Ein Hund. In ihrem Territorium! Wie konnte das sein? Hatte sie Easy nicht deutlich genug gemacht, dass sie niemanden neben sich dulden würde? Und schon gar nicht ein haarendes, sabberndes, bellendes Etwas? Empört sträubte sie ihr Fell, während in Rantanplan sich einige Hundeinstinkte meldeten, die schlichtweg sagten: Da, Katze! //Oh, eine Katzenfreundin! Jemand zum Spielen!// Schwanzwedelnd sprang Rantanplan auf, während Kiwi einen Buckel machte und drohend fauchte. Der würde jetzt doch nicht wirklich wagen, ihr zu nahe zu kommen, oder doch? „Easy, Katzenkatastrophe!“, rief ich noch, aber das war zu spät. Rantanplan flitzte schwanzwedelnd auf Kiwi zu, die ihm einen brutalen Krallenhieb mitten auf die große Nase verpasste. //Aua! Entschuldige dich gefälligst dafür!// Doch Kiwi, die genauso wenig Hundisch verstand wie die Sorglospunks, tat das, was eine vernünftige Katze in solch einem Moment tut: Sie kratzte die Kurve. Und zwar erst quer durch das Wohnzimmer und dann durch das offene Fenster nach draußen. Rantanplan hinterher. „Mist! Wir haben Lucky Luke versprochen, dass wir auf ihn aufpassen!“ Chris sah der Katzen-Hunde-Verwüstung mit großen Augen nach. „Hinterher!“, gaben Jack und Easy gleichzeitig von sich und machten sich an die wilde Verfolgungsjagd. Es ging hier schließlich ums Prinzip! Und darum, dass dieser dämliche Hund gerade tatsächlich Kiwi jagte! Gut, vielleicht hätte ich in diesem Moment erklären können, was eigentlich in Rantanplans Hundeverstand vor sich ging, aber das wäre doch viel zu einfach gewesen. Mal ganz abgesehen davon, dass ich keine Lust hatte, in nächster Zeit für Easy jegliches Gekläffe aus der Nachbarschaft zu übersetzen. Die wilde Verfolgungsjagd ging quer durch die Gärten der Nachbarschaft, über die Hauptstraße, am Bolzplatz vorbei, von wo uns Jacks Fußballfreunde fröhlich zuwinkten, über den Marktplatz, quer durch den Brunnen vor dem Rathaus, über den Parkplatz vom WWWB-Markt, um die Ecke – und dann war da die alte Scheune, die Kiwi bei längeren Tagesausflügen als Rastplatz benutzte. Kiwi passte auch durch die Lücke unter dem Tor hindurch, Rantanplan jedoch nicht. Der Hund krachte mit dem Kopf geben das Hals und gab ein leises Jaulen von sich. //Sterne! Ich sehe Sterne. Und Vögelchen.// „Hab ich dich!“ Jack packte die Leine fest und zog den benommenen Rantanplan vorsichtig hoch. Sie war zwar kein großer Hundefreund, aber weh tun musste man dem Kerl ja nun auch wieder nicht. //Herrchen! Ich rieche Herrchen!//, kläffte Rantanplan jedoch urplötzlich aufgeregt los und presste die Nase gegen das Scheunentor. //Rettet mich!// „Passt auf!“, entfuhr es mir. „Die Daltons, sie...“ In dem Augenblick schoss Kiwi durch die Lücke unter dem Tor hervor und sprang gehetzt in Easys Arme. „Miez, miez, miez“, erklang es von drinnen. „Wo bist du denn, süße Mieze?“ „Averell, lass den Mist! Wir suchen keine Katzen sondern Menschen! Sorglospunks, um genau zu sein! Du kennst unseren Auftrag und unsere Belohnung!“ Diese Stimme schien das beste Beispiel für zorniges Gezeter zu sein. Ich hatte jedenfalls noch nie zuvor ein besseres gehört. „Ja, Joe“, kam die gemaulte Antwort. Easy entwich ein leiser Laut der Überraschung und Rantanplan kläffte lautstark. //Herrchen! Hier bin ich! Rettet mich!// Und daraufhin geschah, was geschehen musste: Das Tor ging auf und vier in schwarz-gelb-gestreifte Gefängnisanzüge gekleidete Männer, die ein wenig an zu groß geratene Wespen erinnerten und nicht minder gefährlich waren, standen mit den Revolvern im Anschlag vor uns. „Na, wenn das nicht die Täubchen sind, die wir suchen!“, lachte Joe, der kleinste, aber gemeinste der Dalton-Brüder. „Wenn sie mal nicht direkt zu uns geflattert sind“, fügten die beiden mittleren Brüder, William und – ironischerweise – Jack, aus einem Munde hinzu. „Essen wir jetzt gebratene Tauben?“, fragte Averell, der Lange der vier, und erntete dafür ein dreistimmiges „Klappe, Averell!“. Keine fünf Minuten später waren die drei Sorglospunks samt Kiwi gefesselt und in der Scheune auf einigen Ballen alten Strohs untergebracht. Mich hatten die vier Gauner nicht erwischt, hatte ich mich doch mit meiner fliegenden Wolke recht schnell außer Reichweite bringen können. Dafür hatte ich allerdings vor herumfliegenden Revolverkugeln in Deckung gehen müssen, denn kugelsicher sind wir Musen nicht unbedingt. Allenfalls dann, wenn wir unsichtbar sind und gerade nicht wahrgenommen werden. Aber jetzt war ich hier draußen und die Sorglospunks gefesselt da drinnen. Und die Band war von vornherein das Ziel der Daltons gewesen – und das bedeutete, dass jemand hinter meinen Schützlingen her war und sie aufs Korn genommen hatte. Da sie noch nicht berühmt genug waren, um sich wahre Erzfeinde auf dem musikalischen Sektor gemacht zu haben, kamen dafür nur drei Personen in Frage: Alekto, Megaira und Tisiphone, die drei Furien. Ich brauchte Hilfe. So einfach war das, denn auf mich gestellt konnte ich schon allein gegen die Daltons nichts ausrichten. Genauer gesagt, ich brauchte ganz spezielle Hilfe. Die desjenigen Cowboys, der die Daltons regelmäßig ins Gefängnis zurückbrachte. Nur: Wo anfangen zu suchen? Ich beschloss, dass ich dafür definitiv die Unterstützung der Bandmanagerin Nifen brauchte und sauste Richtung Sorglospunks-Hauptquartier davon. Dort erwartete mich eine Überraschung, denn Nifen saß mit niemand anderem als Lucky Luke beim Tee im Wohnzimmer – und Jolly Jumper stand im Garten (und hinterließ einigen Dünger für den Rasen, über den sich unsere Vermieterin sicher unglaublich aufregen würde. Wobei da vermutlich eher die Abdrücke der Hufeisen als die Pferdeäpfel eine Rolle spietlen.) Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass Nifen die in einzige in der WG war, die der Kaffeesucht widerstand und hartnäckig Tee und Kakao bevorzugte. „Wunderbar! Genau euch zwei brauche ich gerade!“, platzte ich in die gemütliche Teerunde hinein. „Was ist passiert?“, fragte Nifen sofort alarmiert. Meiner Wolke war unschwer anzusehen, dass sie einige Zeit mit Höchstgeschwindigkeit geflogen war, da sie einen regelrechten Nebelschweif hinter sich herzog, der sich erst langsam wieder mit dem Hauptteil meines Fortbewegungsmittels wiedervereinigte. Das letzte Mal war ich dieses Tempo bei den Triolympischen Spielen geflogen. Außerdem benutzte ich normalerweise die Tür und nicht das sperrangelweit offen stehende Fenster. Schnell ratterte ich das bisherige Geschehen herunter. Die Mienen der beiden wurden immer ernster und als ich schließlich geendet hatte, schwiegen sie erst einmal und ließen sich alles noch einmal durch den Kopf gehen. Was tun? Ja, das war die große Frage. „Ich glaube, ich habe da eine Idee...“, entfuhr es mir. Und ich hatte tatsächlich eine Idee. (Es sei an der Stelle angemerkt, dass wir Musen vorrangig andere Menschen inspirieren und nicht unbedingt selbst besonders kreativ sind. Unser Job ist die Inspiration und dem kommen wir normalerweise auch sehr fleißig und erfolgreich nach.) „Eine Sirene!“, strahlte ich in die Runde. „Calypso schuldet mir noch einen Gefallen... Und mit einer Sirene kann man die Daltons ganz leicht aus ihrem Versteck locken.“ Sprach’s und schon hatte ich Calypsos Nummer gewählt. Dummerweise erreichte ich nur die Mailbox. Missmutig legte ich auf und startete dann einen zweiten Versuch bei Loreley. Diese war jedoch ebenso wenig erreichbar. Typisch Freundinnen. Rief man nicht regelmäßig wie ein Uhrwerk an, waren sie in wichtigen Momente natürlich nicht ans Telefon zu bekommen. „Nichts.“ Enttäuscht legte ich auf. „Und wenn wir uns Unterstützung von dem lokalen Sheriff holen?“, schlug Lucky Luke vor. „Keine gute Idee“, erwiderten Nifen und ich wie aus einem Munde. „Ganz einfach, weil es schwierig werden dürfte, der Polizei zu erklären, dass es ausgerechnet die Daltons sind, die unsere Band entführt haben. Nichts für ungut, Lucky Luke, aber das würde uns hier niemand abnehmen.“ Als Bandmanagerin schaffte es Nifen, diesen Standpunkt diplomatisch deutlich zu machen und dabei nicht zu erwähnen, dass wir es nun einmal mit Comicfiguren zu tun hatten und die bei einer äußerst realen Polizei mehr zu Lachanfällen als aktiver Unterstützung führen würden. „Nein, Hilfe werden wir kaum bekommen“, fuhr sie fort. „Wir müssen mit dem arbeiten, was wir haben...“ „Bei Chi geht auch nur der Anrufbeantworter dran!“, rief ich kurz dazwischen, um dann artig den Mund zu halten, und Nifens weiteren Überlegungen zu lauschen. „Also, wir nutzen, das, was wir haben. Das heißt: Unsichtbarkeit und Flugkraft“ – sie deutete auf mich – „einen guten Schützen“ – sie nickte Lucky Luke zu „und unfehlbares Verhandlungstalent. Daraus lässt sich ja wohl ein simpler, aber effektiver Plan stricken...“ „Halloho!“ Nifen klopfte nachdrücklich an das Scheunentor und schwenkte die weiße Bettlakenflagge. „Ich bin der offizielle Unterhändler!“ „Unterhändler wofür?“, kam es giftig von Joe aus der Scheune zurück. „Für die Freilassung der Geiseln. Jeder hat schließlich seine Preis und ich will euren wissen...“ Während Nifen Joe am Tor beschäftigte, huschte ich durch eine Luke im Dach in die Scheune. Die mittleren Dalton-Brüder hockten neben Joe und lauschten dem Gespräch, während die Dumpfbacke Averell auf die Gefangenen aufpassen sollte. Im Unsichtbarkeitsmodus flog ich näher. „Pst, ich löse eure Fesseln, aber bewegt euch erst auf mein Signal“, flüsterte ich den drei Sorglospunks in die Ohren. Ich hatte gerade Easys Fußfesseln gelöst, als Rantanplan auf einmal seine dicke Nase gegen meinen Arm drückte. Wenn der Hund uns verriet, waren wir geliefert! Rasch packte ich ihn am Ohr. „Jetzt hör mir gut zu“, fuhr ich ihn auf Hundisch an. „Wenn du auch nur einen Mucks von dir gibst, binde ich dir deinen Schwanz um die Beine und du hattest die längste Zeit eine gute Spürnase. Kapiert?“ Zustimmendes Winseln war die Antwort und blitzschnell verdrückte sich Rantanplan in die am weitesten von mir entfernte Ecke der Scheune. Nachdem ich alle Fesseln der Bandmitglieder – und natürlich Kiwis – gelöst hatte, entführte ich Averells Revolver und versteckte ihn in sicher in meiner Wolke. Jetzt ging es zum letzten Teil des Plans über. So leise wie nur möglich öffnete ich das rückwärtige Tor und Lucky Luke huschte herein. „Lucky Luke!“, blaffte Averell in dem Moment und hob sofort die Arme, als er sah, dass er nicht mehr bewaffnet war. Die Sorglospunks und Kiwi flitzten auf mein Signal – ein kräftiges Ideenwetterleuchten – so schnell wie möglich nach draußen und Lucky Luke entwaffnete William und Jack Dalton mit zwei gedankenschnellen Schüssen. Der Mann zog wirklich schneller als sein Schatten! Dummerweise hatte sein Revolver aber Ladehemmungen, als er gerade Joe außer Gefecht setzen wollte. „Lucky Luke! Immer Lucky Luke! Ich bringe dich um!“, brüllte der gelb-schwarz-gestreifte Giftzwerg und wollte abdrücken. Doch dazu kam er nicht mehr. Mein Ideenblitz traf ihn voll auf die Zwölf – wie man so schön sagt – und schickte ihn in die Bewusstlosigkeit. Eine halbe Stunde später befanden wir uns wieder im Sorglospunkshauptquartier. Die Daltons waren sicher verschnürt, Rantanplan mit Katzenfutter versöhnt und wir anderen schlürften gemeinsam Kaffee (Easy, Jack, Chris), Tee (Lucky Luke, Nifen, ich) und Sahne (Kiwi). „Als Dank haben wir noch einen Song für dich!“, rief Easy schließlich Lucky Luke zu und sobald die Band ihre Instrumente spielbereit hatte, legte sie nach bester Sorglospunksmanier los. „La-La-La-Lucky Luke großer Westernheld, der schneller zieht als sein Schaaaatten! La-La-La-Lucky Luke großer Westernheld, der schneller zieht als sein Schaaaatten! Die Daltons sind mal wieder ausgebroooochen! Die Daltons sind mal wieder auf der Fluuuucht! Aber nicht mehr lange! Aber nicht mehr lange! Denn Lucky Luke, der ist schon auf der Jaaaagd! La-La-La-Lucky Luke großer Westernheld, der schneller zieht als sein Schaaaatten! La-La-La-Lucky Luke großer Westernheld, der schneller zieht als sein Schaaaatten! Die Daltons, die haben nichts zu laaaachen! Denn Lucky Luke, der ist schon lange daaaa! Und natürlich nicht allein, nein natürlich mit Jolly Jumpeeeer! Mit Jolly Jumpeeeer und mit Rantanplaaaan! La-La-La-Lucky Luke großer Westernheld, der schneller zieht als sein Schaaaatten! La-La-La-Lucky Luke großer Westernheld, der schneller zieht als sein Schaaaatten!“ Die Daltons haben uns hinterher übrigens verraten, dass es wirklich die Furien gewesen waren, die sie auf die Sorglospunks angesetzt hatten. Lucky Luke hat der Song gefallen und Jolly Jumper hat auch noch im Takt mit den Hufen geklappert, als die beiden gemeinsam mit Rantanplan und den Daltons in den Wilden Westen der Comicwelt zurückkehrten. Kapitel 27: Tief im Westen -------------------------- Tief im Westen Wo die Sonne verstaubt Ist es besser Viel besser als man glaubt... „Chuck hat angerufen!“ Easy, Songwriterin und Bandleaderin der noch unbekannten aber sowieso wenigstens zweitbesten Band der Welt namens Sorglospunks, flitzte durch die Wohnung. „Welcher?“, kam es recht gelangweilt von Jack, dem vielseitigen Musiktalent, zurück. Das war ein winziger Versuch, ihre Zwillingsschwester wenigstens ein kleines bisschen aufzuziehen, doch Easy besaß wie so oft noch nicht einmal die Muße rot um die Nase zu werden, als sie antwortete: „Chuck eins natürlich!“ Mit Chuck zwei, dem zweiten Teil des Country-Rock-Duos Chuck & Chuck hatte sie zwar auch die Telefonnummer getauscht, doch nur Chuck eins rief regelmäßig an. „Und worum ging’s?“ Jack war noch immer gelangweilt, raffte sich aber jetzt immerhin dazu auf, von ihrer Esoterik-Fachzeitschrift aufzusehen. Nachdem sie mittlerweile Triangel und Blockflöte beherrschte, suchte sie nach neuen Herausforderungen und spielte mit dem Gedanken, Harfe zu lernen, da man damit die erstaunlichsten Reaktionen bei Menschen auslösen konnte. Jedenfalls stand das in diesem Heft. „In Bochum findet ein Songcontest für junge Bands statt! Ganz umsonst! Wir müssen da unbedingt hin!“ „Ein Songcontest?“ Wie herbeigerufen sauste Nifen durch die Tür. „Hast du etwa auch diese Spam-Mail bekommen?“ „Nein, Chuck eins hat angerufen!“ Easy las natürlich keine Spam-Mails und durchforstete diese regelmäßig nach interessanten Angeboten für die Band. Das war die Aufgabe der Bandmanagerin Nifen. „Warum muss so etwas eigentlich immer irgendwo anders stattfinden als in Norddeutschland?“, moserte Chris in diesem Moment und blickte von dem PC auf. Er war – wie so oft – damit beschäftigt, eine ellenlange E-Mail an seine japanische Freundin Umeko zu verfassen, die gerade ein Praktikum auf Hallig Hooge in Nordfriesland machte. Zwar war sie nun keine Tausende Kilometer weit weg, nur noch Hunderte, aber das machte es nicht gerade einfacher, sie zu besuchen, auch wenn Chris genau das unbedingt vorhatte. „Himmel, wir fahren schon in den nächsten drei Monaten mal nach Norddeutschland auf die Halligen“, gab Jack zurück und verdrehte die Augen. Chris war total liebeskrank, während Easy gar nicht merkte, wie sehr sich Chuck eins um eine Annäherung bemühte und exakt deswegen auch immer Ausschau nach solchen Angeboten für die Sorglospunks sowie seine eigene Band hielt. Das war schließlich immer ein Grund für eine gemeinsame Aktivität. „Chuck hat gesagt, dass sie hinfahren wollen und uns mitnehmen können“, erzählte Easy aufgedreht weiter. „Fahren wir? Fahren wir?“ „Und wie wir fahren!“, entschied Jack und sprang auf. Ein Songcontest und eine Mitfahrmöglichkeit dorthin, das war eine Chance, die man definitiv nicht auslassen konnte, wenn man den Durchbruch schaffen wollte. „Das sehe ich absolut genauso!“, grinste Nifen. „Und danach geht’s nach Norden?“, fragte Chris noch nach, doch an seiner Zustimmung gab es keinen Zweifel. „Ich komme auch mit“, kam es in dem Augenblick von LennStar. „In Bochum findet nämlich ein Philosophen-Treff an der Ruhr-Uni statt!“ Dieser war der Philosoph und Kassenwart der Band, der durchaus auch mal die äußerst unpopulären Worte Schokoladenrationierung und finanzieller Kaffeeengpass verwendete. Und das war bei dieser Band äußerst mutig zu nennen. „Dann ruf Chuck eins mal an und sag ihm, dass er ein großes Auto mieten soll“, grinste ich. Ich bin übrigens die Bandmuse der Sorglospunks und für die Inspiration zu den kreativen Ergüssen der Band zuständig. Für die Resultate der Inspirationsauktionen übernehme ich übrigens keine Verantwortung. „Schon dabei“, jubelte Easy und flitzte Richtung Telefon davon. Zwei Tage später standen Chuck & Chuck mit einem gemieteten VW-Bulli vor der Tür, in den problemlos alle Instrumente, Musiker und Crew-Mitglieder passten. Nach etwas Chaos in Sachen einpacken und einstiegen – Kiwi versteckte sich unter dem Auto, Chris’ Gitarre kickte Jacks Schlagzeug bei Seite, Nifen trat LennStar auf seine Bettlakentoga, Easy schubste Jack versehentlich vom Sitz – konnte es endlich losgehen. Die Fahrt führte die musikalischen Reisenden quer durch das hübsche Dorf im Schwabenländle, über die Bundesstraße nach Stuttgart und von dort auf der A8 ab in Richtung Norden gen NRW. „Pohott! Wir fahren in den Pohott!“, trällerte Easy fröhlich auf der Rückbank. Chuck zwei fuhr, während Nifen neben ihm die strategisch wichtige Position als Beifahrer und Kartenleser übernommen hatte. LennStar hatte sich in die Lektüre eines philosophischen Fachmagazins mit dem Titelbericht ‚Können Steine glücklich sein?’ vertieft, Jack übte einige neue Schlagtechniken ohne Schlagzeug ein, Chris schrieb einen Brief an Umeko, Kiwi schlief und Chuck eins lauschte hingerissen Easys Vorfreude, die sie noch immer lautstark herausträllerte. Immerhin besaß sie eine unheimliche und bisher nicht weiter erklärbare Vorliebe für NRW und ganz besonders das Ruhrgebiet. Irgendwo nachdem sie gerade auf die A5 gewechselt hatten, passierte das, was auf Reisen so ziemlich immer das Ätzendste ist, was geschehen kann: Der Verkehr wurde immer schleppender und langsamer, ehe er schließlich vollkommen zum Erliegen kam. „Warum stehen wir?“, unterbrach Easy ihre fünfte Darbietung von Grönemeyers ‚Bochum’. „Stau, Easy“, antwortete Nifen nachsichtig. „Oh, kommen wir dann zu spät?“ Große braune Dackelaugen spähten angstvoll nach vorne. Das war schließlich eine Chance berühmt zu werden! Die durften sie doch nicht verpassen! „Nein, nein, wir haben genug Zeitpuffer“, sagte Chuck zwei und warf Nifen einen langen Blick zu, der deutlich machte, dass der Puffer nicht ganz so groß war, wie er gerade hätte sein sollen. Jeder, der einmal im Stau gestanden und dabei ausgerechnet die Halteposition auf einer Brücke abbekommen hat, weiß, wie langsam die Zeit vergehen kann und wie schnell einem langweilig werden kann. Easy dagegen sah es gar nicht ein, dass ihr langweilig wurde. „Los, Chris, lass uns den Stau-Song spielen!“, forderte sie den Gitarristen auf. Gut, bisher gab es noch keinen Stau-Song, aber wozu besaßen sie schließlich eine Bandmuse? Und nur fünf Minuten später war jegliche Langeweile in diesem Stau auf einem Streckenabschnitt von 100 bis 200 Metern vertrieben. „Stau, Stau, Stau Wir stehen im Stau, Stau, Stau das ist flau, flau, flau, total flau! Doch das macht uns nicht mau, mau, mau! Uns nicht mau, mau, mau! Kriegt uns nicht unter!“ Anderthalb Stunden – und ein langes Spontankonzert – später ging es endlich weiter und die nächste Raststätte wurde zum sorglosen Zwischenstopp auserkoren. Staustehen hatte schließlich akute Blasenauswirkungen. „Wann sind wir endlich daaaaaaa?“, jammerte Easy in der Nähe des Bochumer Kreuz, als sich die sorglosen und countrygen Reisenden immerhin schon dem Ruhrgebiet auf Schlagweite genähert hatten. „Bald, Easy, bald.“ Nifen sprach noch immer ruhig, obwohl sie langsam doch ein wenig von dem Gequengel angenervt war. „Schau aus dem Fenster, wir sind doch schon im Pott“, lenkte Jack ihre Zwillingsschwester ab, die daraufhin nahezu an der Scheibe klebte und die Autobahnlandschaft – größtenteils Bäume, Leitplanken und Schallschutzwände – beobachtete. „Chuck, tritt ein bisschen aufs Gas“, kam es in dem Augenblick von Chuck eins. „Wir haben nur noch eine halbe Stunde...“ „Was wir auf keinen Fall schaffen werden, weswegen du da jetzt anrufst und uns telefonisch anmeldest“, kam es prompt von Chuck zwei, der den Bulli schon mit Höchstgeschwindigkeit über die Bahn hetzte. Gesagt, getan. Und nach einigen Verhandlungen sowie dem Weiterreichen des Telefons an Nifen war wenigstens geklärt, dass beide Bands auftreten dürfen würden, obwohl sie erst nach Start des Wettbewerbs eintreffen würden. Nichtsdestotrotz galt es jetzt noch den Club zu erreichen, in dem besagter Contest stattfinden sollte. Und das stellte sich etwas schwieriger dar, als eigentlich gedacht. Der Bulli war miettechnisch zu billig, als dass er inklusive Navigationsgerät gewesen wäre. Doch wozu ein ‚Navi’, wenn man eine kartenlesefähige Managerin im Fahrzeug hatte? Kartenlesen konnte Nifen auch – nur dummerweise war diese dusselige kleine Querstraße, in der sich der Club ‚Unter Tage’ befinden sollte, nicht so einfach zu finden, wie man sich das dachte. Mehrfach wurden die Königsallee und die Universitätsstraße gekreuzt, ehe sich Chuck zwei auf ein Herumkreisen über die Ringstraßen verlegte. „Da!“, rief Jack schließlich aufregt und deutete nach zwanzig nervenaufreibenden Minuten des Suchens auf ein winzigkleines Hinweisschild. „Hinterher!“, ließ Easy den Standardkampfruf der Sorglospunks hören. Dicht gefolgt von Standardkampfansage Nummer zwei: „Aufi!“ Chuck zwei kam dieser Aufforderung nur zu gerne nach, bedeutete das doch endlich das Ende der Odyssee durch die Bochumer Straßen. Glücklicherweise war ein Parkplatz schneller gefunden als der Club. Rasch ging es hinein und dort kam auch direkt die erste böse Frage: „Welche zwei Songs spielt ihr?“ „Äh...“ Nifen sah ihre Band an. Die sollte bitte schön selbst entscheiden, schließlich war das ihre Performance. „Bandhymne eins und... Ruhrpott!“, rief Easy schnell. „Ruhrpott?“ Jack zog eine Augenbraue hoch, während die Sorglospunks weitereilten und Chuck & Chuck der gleichen tiefschürfenden Frage überließen. „Klar, den schreiben wir gleich! Irgendwie müssen wir das Ereignis doch angemessen würdigen!“, lachte Easy fröhlich und sorgte dafür, dass Chris die Augen verdrehte. Ich auch. Weil ich nämlich wusste, dass ich mit Ideenblitzen ein wahres Feuerwerk auf der Bühne entzünden würde müssen, um einen entsprechenden Song aus der Band herauszukitzeln, wenn der gebraucht wurde. „Wo ist Lenn?“, fragte Nifen auf einmal. „Keine Ahnung.“ Die anderen drei zuckten mit den Schultern, hatten sie den Philosophen doch in dem Chaos aus den Augen verloren. „Vermutlich im Zuschauerraum, damit er alles sehen und Kiwi uns die Pfoten drücken kann.“ Kiwi war nämlich auch nicht da, wie Easys scharfe Augen bemerkt hatten. „Hoffentlich...“, murmelte die Managerin. Es fehlte noch, dass sie versehentlich unterwegs ihren Philosophen verloren. Das mochte ein eher schlechtes Omen für diesen Contest sein. Es dauerte nicht lange – genauer gesagt nur noch eine Band –, dann waren die Sorglospunks auch schon an der Reihe. Die Bandhymne sorgte schon dafür, dass der Raum bebte. Was mir jedoch nicht gefiel, war, wen ich dort in der ersten Reihe erspähte. Das waren die drei Furien! Da saß wirklich niemand anderes als Alekto, Megaira und Tisiphone! Mir gefror regelrecht das Blut in den Adern. Was tun, wenn diese drei irgendetwas Fieses ausheckten? Die Rothaarige der drei, Megaira, winkte mit der Hand und ich konnte sehen, wie sich einer der Scheinwerfer über Easy lockerte. Oh, verdammt! Wir waren in Schwierigkeiten! Und dann sah ich, wie LennStar zu den dreien hinüber ging, Kiwi auf dem Arm, die das Fell sträubte, als sie in die Nähe der drei überirdischen Entitäten gelangte. Katzen erkennen Feinde schließlich sofort. Ein kurzer Blick zu der Band, um sicher zu sein, dass hier alles okay war, dann sauste ich zu LennStar hinüber. Ich konnte ihn schließlich nicht einfach so in sein Verderben rennen lassen! Gut, er stand nicht auf der Abschussliste der Furien, da er uns bei unserem Abstecher in die Hölle nicht begleitet hatte, aber die drei waren ja auch nicht blöd... „Das solltet ihr lieber lassen“, erklärte LennStar in dem Augenblick den dreien freundlich, während er Kiwi beruhigend den Nacken kraulte. „So?“ „Ja. Der Teufel sitzt direkt hinter der Bühne und verfolgt den Auftritt. Wenn dabei etwas schief laufen sollte, seid ihr geliefert. Was sollte Chibichi denn dann noch davon abhalten, euch aus der Hell-O-Zei-Spezialeinheit zu werfen? Tja, und wer will schon Furien, die bereits im Olymp Hausverbot haben, nicht wahr?“ Der Bandphilosoph und Kassenwart betratet die Fingernägel seiner rechten Hand, als wenn diese ganz unglaublich spannend wären. Die Lüge zu Beginn seiner Worte war wirklich dreist, aber was er daraus machte, das war wirklich genial. Denn tatsächlich waren die Furien beim Olymp rausgeflogen und hatten de facto striktes Hausverbot. „Ach, und wer bissst du, um ssso etwasss zzzu sssagen, he?“, fauchte Alekto ihn an. „Ich bin Philosoph“, erwiderte LennStar spitz. „Und das sagt doch wohl alles über meinen Intellekt aus, oder nicht?“ „Ähm...“ Alekto kam ins Schwimmen und ihre angriffslustig funkelnden Augen verrieten auf einmal Unsicherheit. Doch auch ihre zwei Schwestern konnten ihr nicht beispringen. „Lasst es dieses Mal lieber und strengt euch etwas mehr an. Nur, weil euch die drei zufällig über den Weg laufen, müsst ihr ja nicht gleich durchdrehen“, fuhr LennStar fort. „Wie kommssst du darauf, dassss dasss ein Zzzufall issst?“, schnappte Tisiphone. „Och, so, wie ihr bei der Band vorher mitgewippt habt, steht ihr auf Musik und wolltet euch hier eigentlich nur einen netten Abend machen und habt mit den Sorglospunks doch gar nicht gerechnet...“ Jetzt gingen die Kinnladen der drei runter und sie starrten LennStar mit offenen Mündern an. „Ach ja, mein Name ist LennStar, merkt ihn euch.“ Er grinste sie noch an, ehe er sich abwandte und davon ging. Was er dabei nicht bemerkte, war, dass sich Alektos Gesichtsausdruck rapide verändert hatte. Mir schien, er hatte einen Fan gefunden. Aber darüber konnte ich nicht lange grübeln, denn schon wieder ich auf der Bühne gebraucht. Es musste ein Lied komponiert werden! „Bochum! Und jetzt gibt es einen neuen Song! Extra für euch. Hier ist er: Ruhrpott!“ Jack setzte mit einem furiosen Schlagzeugsolo ein. Chris’ Gitarre kam erst leise dazu, ehe sie ihre volle Lautstärke erreichte. Und dann legte Easy los. „Mitten aus dem Schwabenland, daher kommen wir! Mit dem Auto ging’s den langen Weg in den Westen! Ab in den Westen, ab zu euch! Denn hier, hier ist der Ruhrpott! Denn hier, hier ist der Ruhrpott! Hier zählt das Herz noch, hier gibt es schwarze Kohle, hier gibt es Tauben und noch echte Maloche! Denn hier, hier ist der Ruhrpott! Denn hier, hier ist der Ruhrpott! Über die Autobahn daher sind wir gefahren! Vorbei an Frankfurt und an Köln! Ab in den Westen, ab zu euch! Denn hier, hier ist der Ruhrpott! Denn hier, hier ist der Ruhrpott! Hier ist alles super! Hier ist alles Pott! Hier gibt es schwarze Kohle und noch echte Maloche! Denn hier, hier ist der Ruhrpott! Denn hier, hier ist der Ruhrpott!“ Das Publikum tobte und forderte lautstark nach einer Zugabe, die die Sorglospunks jedoch leider nicht geben durften. Auch der Auftritt von Chuck & Chuck kam gut an, selbst wenn die Zuschauer anfangs etwas befremdet waren aufgrund der überdimensionalen Kükenkostümen, in die sich die Country-Rock-Band geschmissen hatte. Unverständnis erntete am Ende die Entscheidung der Jury, den ersehnten Plattenvertrag an eine Kölner Girly-Band zu vergeben. Und so mussten wir uns mit leeren Händen, aber vollen Herzen aufgrund der tollen Begeisterung des Bochumer Publikums auf den Heimweg zurück ins beschauliche Schwabenländle machen. „Tief im Wehesten...“, trällerte Easy fröhlich, während diesmal Chuck eins den Wagen Richtung Autobahn lenkte. Kapitel 28: Das Mathematiker-Gefängnis in Greifswald oder Ich bin ein Sorglospunk – holt mich hier raus! -------------------------------------------------------------------------------------------------------- „Sie sind verhaftet!“ „Was???“ Vollkommen entgeistert starrte Easy die beiden Polizisten an, von denen ihr der eine jetzt Handschellen anlegte. Perplex ließ sie das geschehen. „Warum???“ „Wegen Vergehen gegen die unermessliche Reinheit der Mathematik“, erklärte Polizist eins und blickte sie so strafend an, als wenn es ein Unding war, dass sie nichts von ihren Verbrechen wusste. „Vergehen gegen die Mathematik???“ Langsam lief Easy, die sonst so sorglosen Frontfrau der jungen und aufstrebenden Band Sorglospunks, Gefahr, dass ihr die Fragezeichen ausgingen. „Was habe ich denn getan???“ „In der ersten Klasse...“, begann Polizist zwei und listete ihr eine wahre Wagenladung von Rechenfehlern und mathematischen Schnitzern auf. Konsterniert hörte Easy zu, während sie in den Polizeiwagen verfrachtet wurden und Polizist eins losfuhr. Polizist zwei las immer noch ihre Vergehensliste vor. „Aber... das ist doch teilweise Jahre her!“, unterbrach sie ihn schließlich fassungslos. „Und wo bringen Sie mich überhaupt hin???“ Mittlerweile waren sie auf der Autobahn Richtung Stuttgart, wie sie unschwer erkennen konnte – und wie sie es seit einem Ausflug ins Ruhrgebiet wusste. „In das Mathematiker-Gefängnis in Greifswald.“ „Aaaaaaaahhhhhhh!“ Nach einer schier endlosen Fahrt kamen sie endlich an dem Gefängnis an. Finster erhob es sich auf einem künstlichen Berg am Rande der Stadt. Easy schauderte und fragte sich, warum sie nicht schon viel eher von diesem Ort gehört hatte. Das war doch so etwas wie das deutsche Alcatraz oder Askaban! Grausig! Gruselig! Schauerlich! „Ich will nicht!“, jammerte sie, während sie von ihren beiden Bewachern gnadenlos in Richtung Tor gezerrt wurde. „Keine Gnade“, knurrte Polizist zwei. Am Tor gab es einen keinen Moment der Pause, weil noch einige Formalitäten geklärt werden mussten. Easy nutzte den Augenblick zu einem Fluchtversuch, wurde jedoch nach zwanzig Metern von Polizist zwei zu Boden geworfen und zurückgeschleppt. „Hilfe!!!“ Doch jegliches Rufen, Flehen und Betteln brachte nichts. Das große eiserne Tor schloss sich hinter Easy und würde sich – so fürchtete sie – so bald nicht mehr wieder öffnen. In der Zelle war es still. Mathematische Formeln prangten auf den hell gestrichenen Wänden und hoben sich dunkelrot davon ab. Die Vorhänge vor den schwedischen Gardinen waren mit griechischen Zeichen übersät, die Bettwäsche war mit dem kleinen Einmaleins bedruckt und in der täglichen Suppe gab es Zahlen- und Buchstabennudeln. Die Bibliothek bot nur Mathematik-Bücher und das Fernsehprogramm zeigte die Mathematik-Folgen des Schulfernsehens. Es war die Hölle! Easy war zwar erst seit zwei Tagen hier, aber mittlerweile nervlich ein Wrack. Das war eindeutig viel zu viel Mathe um sie herum! Und wenn das hier wenigstens ein Albtraum gewesen wäre wie der mit den Buchhaltungsjobs, aber nein... Sie hatte sich an die hundertmal gekniffen, bis sie schließlich aufgegeben hatte. Das hier war kein Traum – das war bittere mathematische Realität! Sie stieß ein verzweifeltes Aufheulen aus. Und das schlimmste war, dass sie noch nicht einmal einen Prozess bekommen hatte! „Ich bin ein Sorglospunk, holt mich hier raus...“, murmelte sie leise – und stutzte. Na, warum nicht? Das war doch eine Art von friedlichem Protest, nicht wahr? Schreibzeug hatte sie jedenfalls genug, auch wenn das eher für das Lösen mathematischer Aufgaben gedacht war. Nur eine Stunde später scholl das erste Sorglospunks-Solo-A-Capella-Konzert der Welt durch die Mauern des düsteren Gefängnisses. „Ohoooo Ohoooo Ohoooo... Mathe war nie mein Lebenselixier! Mathe war nie mein Lebenselixier! Musik, ja, die steht mir! Musik, ja, die steht mir! Also hört mir zu: Ich bin ein Sorglospunk – holt mich hier raus! Ich bin ein Sorglospunk – holt mich hier raus! Ich bin ein Sorglospunk – holt mich hier raaaauuuus! Mathe war nur Schülerqual, Schülerqual! Mathe war nur Schülerqual, Schülerqual! Musik, ja, die gehört zu mir! Musik, ja, die gehört zu mir! Also hört mir zu: Ich bin ein Sorglospunk – holt mich hier raus! Ich bin ein Sorglospunk – holt mich hier raus! Ich bin ein Sorglospunk – holt mich hier raaaauuuus! Ich bin ein Sorglospunk, ein Sorglospunk, Sorglospunk! Und werde nie, nie, nie, was anderes sein! Ich bin ein Sorglospunk, ein Sorglospunk, Sorglospunk! Und werde nie, nie, nie, was anderes sein! Mathe war nie mein Lebenselixier! Mathe war nie mein Lebenselixier! Musik, ja, die steht mir! Musik, ja, die steht mir! Also hört mir zu: Ich bin ein Sorglospunk – holt mich hier raus! Ich bin ein Sorglospunk – holt mich hier raus! Ich bin ein Sorglospunk – holt mich hier raaaauuuus!“ „Easy! Easy, verdammt, wach endlich auf! Easy!“ Eine nervtötende Stimme und eine kräftig rüttelnde Hand an ihrer Schulter ließ Easy aufschrecken. „Ja, was...?“ „Himmel, wir brauchen ja einen neuen Song, aber du musst doch nicht gleich im Schlaf singen!“ Jack, Easys Zwillingsschwester, schüttelte den Kopf. „Alles klar?“ „Ich habe geträumt? Das Gefängnis war nur ein Traum? Nichts als ein dummer kafkaesker Traum?“ „Äh... Ja...“ Irritiert blickte Jack ihre Schwester an. Ob man da nicht vielleicht einen Arzt rufen sollte? „Supi!“ Easy sprang in die Luft. „Es gibt kein Mathematiker-Gefängnis in Greifswald! Ja! Es gibt kein Mathematiker-Gefängnis in Greifswald! Ja!“ Fröhlich tanzte sie aus dem Zimmer in Richtung Küche, um sich dort einen zahlenfreien Kaffee zu gönnen. Jack sah ihrer Schwester verwirrt hinterher. Also manchmal, da zweifelte sie ja ernsthaft an Easys Geisteszustand, aber da sie Zwillinge waren, behielt sie das lieber für sich. Wobei... Gerade kratzte eine Erinnerung an ihren Gedanken. Hatte ihre Grundschullehrerin nicht immer mit einem Mathematiker-Gefängnis gedroht, wenn sie sich in Mathe keine Mühe gaben? Jack zuckte mit den Schultern. War ja auch egal. Hauptsache, Easy gelang es, einen neuen Song zu schreiben, damit sie weiter an dem Durchbruch arbeiten konnten. Und damit machte auch sie sich auf den Weg in die Küche, um dort zum einen ebenfalls einen Kaffee zu trinken und zum anderen Easy ein wenig motivationstechnisch in Sachen Songwriting auf die Sprünge zu helfen. Kapitel 29: Im Regen ersoffen oder Wurstbrot mit Senf ----------------------------------------------------- Regen. Er plätscherte, prasselte und trommelte gegen das Fenster. Er rauschte, rieselte, nieselte und fiel – und das nunmehr seit Mitte Juli. Und Mitte Juli lag mittlerweile wiederum schon vier Wochen zurück... Easy, die sonst so sorglose und fröhliche Frontfrau der Sorglospunks, seufzte tief und starrte weiter auf die Wassertropfen, die die Fensterscheibe von außen bedeckten. Selbst LennStar, der bandeigene Philosoph, hatte sein angestammtes Fass im Garten verlassen, nachdem der Seerosenteich über die Ufer getreten war und damit gedroht hatte, es fortzuspülen. Kiwi, das katzige Bandmaskottchen, hatte seit Wochen keine Pfote mehr vor die Tür gesetzt. Jack, Easys Zwillingsschwester und das musikalische Multitalent der Band, nutzte die wetterbedingte Fesselung an die Wohnung, um E-Geige zu lernen – mittlerweile dauerhaft mit Kopfhörern, um das Gehör der Band zu schonen. Chris, Gitarrist und Internetjunkie, verbrachte die Zeit vor dem PC im Dauerchat mit seiner Freundin Umeko, die sich ausnahmsweise mal nicht in Japan befand, sondern recht in der Nähe, nämlich auf der Hallig Hooge in der Nordsee. Tja, und Nifen, die Bandmanagerin, hatte vor einer Weile den Kampf um den schnellen Rechner verloren und durchwühlte nun auf dem langsamen Band-PC ihre Spam-Mails nach interessanten Auftrittsoptionen für die Band. Easy seufzte erneut. Der Regen nervte so langsam und sie gewann den Eindruck, dass er mit beharrlicher Beständigkeit ihr Gehirn weichkochte. Oder besser: weichtröpfelte! Wie dumm, dass Chibichi, ihres Zeichens der einzig wahre Teufel, nach dem letzten Sommer mit durchwachsenem Wetter und der ewigen Unzufriedenheit der Sorglospunks nicht mehr den Aufwand auf sich nahm, am Wetter herumzupfuschen. Außerdem war sie gerade – Olympia sei Dank – äußerst beschäftigt. Als Easy gerade zum nächsten Seufzer ansetzte, reichte es mir. Wer ich bin? Ich bin Abranka, die Bandmuse der Sorglospunks und da Easy die Songwriterin der Band ist, arbeite ich mit ihr am engsten und meisten zusammen. Was übrigens meist den Einsatz der Fähigkeit Gutzureden sowie die Verwendung von Ideenblitzen, Ideenbonbons, Ideenkonfetti und Motivationsschokolade bedeutet. „Easy, wenn dir so langweilig ist, dann lass uns doch alle überraschen und einen neuen Song schreiben“, schlug ich vor. Große braune Kulleraugen sahen mich an. „Mag aber nicht...“ „Was magst du dann? Kakao? Kaffee? Schokolade?“ „Nee, Wurstbrot mit Senf“, kam es patzig zurück und Easy wollte schon wieder aus dem Fenster starren, doch anstatt das zu tun, sagte sie plötzlich: „Verdammt, ich hab ne Idee!“ Flugs wurde das ständig mitgeführte Songnotizbuch mit den vielen Kaffeeflecken und dem angebundenen Kugelschreiber hervorgezogen und los ging’s. Pomponsschwingend saß ich daneben und inspirierte Easy jedes Mal, wenn ihr Schreibfluss ins Stocken geriet. So verging der regnerische Tag ausnahmsweise wie im Flug und am Abend konnte Easy ihren Bandkollegen den neuen Song präsentieren. „Ohooo Regen Ohooo Regen Ohooo Regen Dieser Sommer, der ist total nass! Dieser Sommer ist doch gar kein Sommer! Dieser Sommer, der ist total nass! Und wir sind schon beinahe im Regen ersoffen! Und wir sind schon beinahe im Regen ersoffen! Komm gib mir noch ein Wurstbrot mit Senf! Komm gib mir noch ein Wurstbrot mit Senf! Ohooo Regen Ohooo Regen Ohooo Regen Er fällt! Er fällt! Er fällt! Ohooo Regen Ohooo Regen Ohooo Regen Und wir sind schon beinahe im Regen ersoffen! Und wir sind schon beinahe im Regen ersoffen! Komm gib mir noch ein Wurstbrot mit Senf! Komm gib mir noch ein Wurstbrot mit Senf!“ „Äh ja...“, sagte Jack schließlich. LennStar runzelte philosophisch die Stirn. Nifen ergänzte: „Mhmhm...“ Sie wollte noch etwas hinzufügen, doch Chris war schneller: „Schaut mal, die Sonne scheint! Lasst uns rausgehen!“ Und somit kamen die drei um eine Beurteilung des neuesten Machwerks aus Easys Feder herum. Es war in dem Moment auch eindeutig wichtiger, die halbe Stunde Sonnenschein vor dem nächsten Regenschauer zu nutzen. Kapitel 30: Literatur pur ------------------------- „Kiwi!“ Easys Stimme scholl drei Querstraßen weit durch das beschauliche kleine Örtchen mitten im Schwabenland. Dieser Ort gehörte zu den vielen Kleinstädten, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Doch dieser hatte eine Besonderheit: Er war die Heimat der Sorglospunks, die es sich zum Ziel gesetzt hatten a) berühmt zu werden und b) unter Beweis zu stellen, dass sie mindestens die zweitbeste Band der Welt waren (die beste Band der Welt waren ja bekanntlich schon Die Ärzte). Von letzterem waren sie übrigens äußerst überzeugt, genauso wie davon, dass der Durchbruch nur noch eine Frage der Zeit war und ganz definitiv kommen würde. Easy war nun die Frontfrau, Bandleaderin – wenigstens manchmal –, Songwriterin und Sängerin der Band in Personalunion und Kiwi war nicht nur ihre Katze, sondern außerdem das Bandmaskottchen. Und besagte Katze war nicht zum Abendessen erschienen, obwohl Kiwi wohl eine der futterverliebtesten Miezen der Welt sein dürfte. „Kiwi!“ „Boah, Easy, lass gut sein. Wahrscheinlich hat sie irgendwo eine alte Dame gefunden, die sie mit Sahne abgefüllt hat, sodass sie sich jetzt nicht mehr bewegen kann und das Abendessen einfach auslässt“, protestierte Jack, Easys Zwillingsschwester, musikalisches Multitalent und die heimliche Bandleaderin. „Aber wenn ihr was passiert ist...?“, kam es besorgt zurück. „Quatsch. Kiwi passiert nichts! Das ist eine Katze! Die schlawinert sich schon irgendwie durch. Wirst schon sehen: Morgen früh steht sie vor der Tür und jankt, als ob sie seit Monaten nicht mehr gefressen hätte.“ „Mhm...“, machte Easy. Sie war zwar nicht restlos überzeugt, aber im Moment konnte man auch eigentlich nichts tun. Das war das Problem. Also abwarten. Wenigstens bis morgen. Am nächsten Morgen klingelte es. „Das ist Kiwi!“, jubelte Easy. „Ach, seit wann kann sie klingeln und nimmt nicht den Weg durchs Küchenfenster?“, murmelte Chris, der Gitarrist, Bassist und Komponist, morgenmuffelig in seinen Kaffee. Das Küchenfenster stand nämlich stets halboffen, um Kiwi den ständigen Ein- und Ausgang zu ermöglichen. Easy stürzte zur Tür. Dort saß auch tatsächlich eine Katze. Auch eine getigerte. Aber das war nicht Kiwi. Denn Kiwi grinste nicht. „Oh“, machte Easy nur und starrte die grinsende Katze an, die jetzt ihren besten Trick vorführte und verschwand, sodass nur noch ihr Grinsen übrig blieb. „Äh... Kommt ihr mal???“ Kaum hatte sie gerufen, waren wir auch schon da. Wir, das hieß Jack und Chris, die ihr ja schon kennengelernt habt, dann Nifen, die Managerin, und ich, die hochoffizielle vom Olymp für die Band abgestellte Muse. „Die Grinsekatze!“, brachte Nifen als erste verblüfft hervor. „Und Poe,“ fugte eine krächzende Stimme hinzu. Erst jetzt, wo er gesprochen hatte, bemerkten wir den Raben, der auf der Laterne neben dem Fußweg zur Haustür hockte. „Poe? Wie Edgar Allan Poe?“, erkundigte ich mich. „Exakt. Ich bin der Rabe aus dem Gedicht. Und wer auch nur zu denken wagt, mich Nimmermehr zu nennen, kann sich von seinen Augen verabschieden“, plusterte er sich angriffslustig auf. Offenbar war das ein Witz, den er mindestens einmal zu oft gehört hatte. „Okay...“ Wir sahen uns kurz an. Irgendwie hatten wir alle das Gefühl, im falschen Film gelandet zu sein. Die Grinsekatze aus Lewis Carolls ‚Alice im Wunderland’ und der Rabe aus Edgar Allan Poes Gedicht ‚Der Rabe’... Na, das war doch was. Aber das hier wären nicht die Sorglospunks, wenn sie damit nicht dennoch recht problemlos klar gekommen wären. Schließlich hatten sie doch schon das Märchenland und die Hölle besucht, eine Zeitreise gemacht, an den Triolympischen Spielen teilgenommen, mit Aliens um die Erde gespielt und Lucky Luke kennengelernt. Was also sollte diese Band noch groß überraschen? „Na, dann immer rein in die gute Stube“, sagte Jack schließlich. „Ich rufe Chi an,“ murmelte Easy und flitzte zum Telefon, um den Teufel höchstpersönlich anzurufen. Chibichi, der Teufel, war nämlich eine enge Freundin der Band und eine nie zu unterschätzende Unterstützung. „Okay, sobald sie da ist, reden wir in Ruhe“, entschied Jack. Chibichi nahm auch den nächsten Schnellaufzug und war innerhalb von zehn Minuten da. „Grinsekatze!“ Fröhlich begrüßte sie die literarische Katze. Irgendwie überraschte es mich nicht, dass sie die Katze aus ‚Alice im Wunderland’ kannte, war der Teufel doch einerseits für seine große Vorliebe für Katzen als auch andererseits für seine Begeisterung für Kinderbücher mehr als bekannt. „Was machst du denn hier?“ „Genau das wollten uns die beiden noch erzählen“, mischte sich Nifen ein, ehe das hier zum Privattreffen auf Katzisch ausarten konnte, denn Chibichi sprach bekanntlich die Katzensprache und hatte schon mehrfach als Kiwi-Übersetzerin für die Sorglospunks fungiert. „Kiwi ist verschwunden und die beiden standen auf einmal vor unserer Tür“, fasste Easy extra kurz zusammen, was passiert war. „Also, warum seid ihr hier?“ Nifen fixierte unseren unerwarteten tierischen Besuch. „Nun...“, setzte die Grinsekatze an, wurde aber direkt von Poe unterbrochen. „Wir hatten doch abgesprochen, dass ich rede!“ „Dann mach auch!“, fauchte die Katze zurück. „Und vertrödel nicht unsere Zeit!“ „Ja, ja.“ Poe verdrehte die Augen und plusterte sich wichtigtuerisch auf. „Wir wissen, wo eure Katze – Kiwi – ist.“ „Wo, wo, wo?“ Easy war sofort hibbelig, während wir anderen schlagartig misstrauisch wurden und ahnten, dass etwas geschehen sein musste, womit wir nicht hatten rechnen können. „Kiwi ist entführt worden.“ „Von wem?“, brauste Jack auf. Auch wenn sie Easy noch am vorigen Abend recht lässig beschwichtigt hatte, machte sie sich jetzt riesige – um nicht zu sagen gigantische – Sorgen um das Maskottchen und war schlagartig stinksauer auf diese dreisten Catnapper. „Von Wilhelm Tell.“ Poe klackerte mit dem Schnabel. „Dann nichts wie hin zu ihm und Kiwi retten!“, rief Easy. „Wenn das mal so einfach wäre“, mischte sich die Grinsekatze jetzt wieder ein. „Normalerweise befindet er sich ja in Schillers ‚Wilhelm Tell’, aber er hat sich versteckt. Und wie ihr euch sicher vorstellen könnt, ist das Literaturland sehr groß...“ „Was für ein Mist!“, fluchte Chris aus tiefstem Herzen. „Mist hoch drei“, stimmte Jack ihm zu, während Easy nur leise murmelte: „Kiwi...“ „Wir können ganz sicher etwas tun“, sagte Chibichi mit fester Stimme. „Denn jede literarische Figur besitzt einen roten Faden, der sie auf ewig mit ihrer Geschichte verbindet. Und das bedeutet...“ „...dass wir nur Tells rotem Faden rückwärts von der literarischen Schweiz bis zu seinem aktuellen Aufenthaltsort folgen müssen“, führte ich den Satz weiter. „Absolut genial!“, beglückwünschte Nifen den Plan. „Der Haken daran ist nur, dass ausschließlich literarischen Gestalten die roten Fäden sehen können“, dämpfte ich die Aufbruchsstimmung etwas. „Und das ist der Punkt, an dem wir ins Spiel kommen.“ Poe grinste, soweit Raben denn grinsen können. „Ganz genau“, stimmte ihm die Grinsekatze zu. „Und was erwartet ihr als Gegenleistung dafür?“, fragte Chibichi mit zusammengekniffenen Augen. Als Teufel roch sie einen sich anbahnenden Deal natürlich zehn Meilen gegen den Wind. „Ihr macht das doch weder aus reiner Hilfsbereitschaft noch aus Solidarität mit dem Entführungsopfer.“ „Nun, es gibt da schon etwas...“ „...das uns sehr interessieren würde...“, drucksten die beiden herum. „Raus damit!“ „In einem Sorglospunks-Song aufzutauchen.“ Wir alle sahen Easy an. Sie war schließlich diejenige, die fast alle Songs schrieb. „Äh, klar, kein Problem!“, strahlte sie. „Und jetzt verlieren wir keine Zeit, sondern retten endlich Kiwi!“ Gesagt, getan. ... Nun, wenigstens nahmen wir die Katzenrettungsaktion jetzt ganz konkret in Angriff. „Nur so eine kurze Frage“, warf Jack mitten in unsere Aufbruchseuphorie ein. „Wie kommen wir denn ins Literaturland? Chi ist doch ohne das Wunderauto da...“ „Ach, das ist einfach“, wischte der Teufel ihre Bedenken bei Seite. „Wir brauchen nur einen Spiegel und das Buch, in dem wir starten wollen.“ Betretenes Schweigen auf Seiten der Sorglospunks. ‚Wilhelm Tell’ hatte keiner von ihnen im Schrank stehen. Nifen wollte gerade fragen, ob auch ein anderes Buch ging und wir im Literaturland dann einfach zu ‚Tell’ gehen konnten, da hatte ich mein eigene Exemplar endlich in meinem Wolkenkoffer gefunden. „Hab ihn!“, strahlte ich in die Runde ungläubiger Blicke. „Was denn? Gute Literatur ist immer eine Quelle zeitloser Ideen und Inspiration!“ „Wie geht es jetzt weiter?“, wandte Jack sich nach einem Augenblick des kollektiven Schweigens wieder unserer Aufgabe zu „Abranka, lies die ersten Zeilen vor“, sagte Chibichi und nahm meine freie Hand. „Ihr anderen haltet euch an mir und einander fest, sodass wir eine Kette bilden.“ Poe und die Grinsekatze verzichteten auf dieses Prozedere. Als literarische Geschöpfe konnten sie eh problemlos ins Literaturland wechseln, wenn sie sich darauf konzentrierten. Ich las... „Es lächelt der See, er ladet zum Bade, Der Knabe schlief ein am grünen Gestade, Da hört er ein Klingen, Wie Flöten so süß, Wie Stimmen der Engel Im Paradies.“ Chibichi konzentrierte sich auf den Spiegel. „Menno, wann geht es...“, quengelte Chris gerade, als es geschah. Die Welt schien urplötzlich nur noch aus Worten auf Spiegeln zu bestehen, die durch sie tausendfach gespiegelt wurden. Und dann waren wir auf einmal im Literaturland. Mitten in Schillers ‚Wilhelm Tell’. Wir landeten am Rande des beschaulichen Vierwaldstättersees. Von dem hohen Felsufer aus konnte man über den See auf die Idylle von hohen Bergen, grünen Wiesen, Dörfern und Höfen in hellem Sommersonnenschein blicken. Wolkenberge türmten sich malerisch über den fernen Gletschern auf. Man hörte das Summen von Bienen, das Plätschern der kleinen Wellen des Sees und das leise Läuten der Glocken der Kühe. „Fehlt nur noch das Geräusch eines Rasenmähers“, murmelte Chris und bekam eine Kopfnuss von Jack. „So etwas gibt es hier nicht!“ „Genau, denn Schiller hat ‚Wilhelm Tell’ 1804 veröffentlicht. Da gab es noch keine elektrischen Rasenmäher, also wirst du das Gebrumme vergeblich suchen“, ergänzte ich. „Himmel, wen interessiert das!“, begehrte Easy auf, die sonst eigentlich immer für Kultur zu haben war. „Wir suchen den Entführer von Kiwi!“ „Und der ist offenbar nicht hier“, stellte Chibichi fest, was von Nifen sofort bekräftigt wurde: „Niemand ist hier. Noch nicht einmal der Fischerjunge, der zum Auftakt des Stückes über den See fährt.“ Oh ja, der See war wirklich verdächtig fischerjungenleer. „Der Mistkerl ist also ausgeflogen.“ Mit blitzenden Augen stemmte Easy die Hände in die Hüften. „Wo lang?“, wandte ich mich an unsere literarisch-tierischen Begleiter. „Richtung Macbeth“, sagte die Grinsekatze, während der Rabe einige Meter weit flog, um die Richtung anzudeuten. „Toll, und wie kommen wir dahin?“, stöhnte Jack auf. „Mit dem Literaturexpress“, erklärte Poe. „Da vorne ist direkt die Haltestelle. Die stehen zu Beginn von allen Kapiteln und Akten.“ Er deutete mit dem Schnabel auf eine Laterne, die ein buchförmiges Symbol trug. „Worauf warten wir noch?“ Easy marschierte voran und stellte sich neben die Haltestelle. „Wann kommt denn dieser Express?“ „Sofort, wenn du auf das Buch-Symbol drückst.“ Der Rabe flatterte direkt neben dem Zeichen auf und ab. „Aufi!“, stimmte Jack den gefürchteten Sorglospunks-Schlachtruf an. Wir alle schlossen zu Easy auf, die nun den Literatur-Express-Ruf-Knopf drückte. Mit einem dumpfen Knall und einem knallroten Blitz erschien vor uns aus dem Nichts ein roter Doppeldeckerbus, wie man sie aus London kennt. Klappernd sprangen die Türen auf und der Fahrer blickte uns an. „Wohin soll’s gehen?“, erkundigte er sich freundlich, während wir einstiegen. „Achtmal Macbeth bitte“, sagte die Grinsekatze. „Wo genau?“ „Erster Akt.“ Da wir ja nicht wussten, wo wir dort anfangen sollten zu suchen, konnten wir auch direkt vorne beginnen. „Schon unterwegs.“ Glücklicherweise konnten wir uns alle – selbst Easy, die sich mit kugelrunden Augen im Inneren des Busses umsah, der mit äußerst gemütlich anmutenden quietschbunten Sesseln ausgestattet war – rechtzeitig festhalten, denn mit einem lautstarken „RUMMS!“ nahm die rasanten Fahrt ihren Anfang. Keuchend und mit grünen Gesichtern stürmten Jack, Easy, Chris und Nifen aus dem Bus, als er endlich hielt. Seit dem abrupten Abzweigen von der Literaturautobahn in die Shakespeare-Abteilung hatten die vier die Fahrt nicht mehr so lustig gefunden. Gut, dagegen war auch jede Achterbahn äußerst harmlos. Chibichi und mir machte das alles wenig aus. Chibichi war die höllischen Fahrstühle gewohnt und ich die heftigen Winde auf dem Olymp. Nun, und Poe und die Grinsekatze waren hier zu Hause. Als wir den vier Busflüchtlingen folgten, sahen wir, dass wir mitten im rauen schottischen Hochland angekommen waren. Drei Hexen standen unweit von uns und rührten in einem Kessel, der grässlichen, grünen Qualm von sich gab. Es donnerte und blitzte, doch dankenswerterweise regnete es noch nicht, auch wenn der Sturmwind schon jetzt nach Regen roch. „Und jetzt?“, wandte ich mich an Poe. „Ich sehe den Faden nicht“, räumte er ein und sah die Grinsekatze hilfesuchend an, doch sie zuckte nur mit den Schultern. „Okay, dann fragen wir eben“, entschied Chibichi und marschierte auf die drei Hexen zu. Als Teufel hatte sie da überhaupt keine Berührungsängste. „Hallo, wir sind auf der Suche nach Wilhelm Tell. Könnt ihr uns vielleicht sagen, wo er von ‚Macbeth’ aus hingegangen ist?“, quatschte Chibichi die drei Hexen an. Wir anderen hielten uns verschüchtert im Hintergrund. Die prüfenden Blicke der Hexen trafen uns, dann hob die erste ihre Stimme. „Der Weg ist lang, der Weg ist weit.“ „Der Weg führt fort aus vertrauter Welt und Zeit.“ „Der Weg ist lang, der Weg ist weit.“ Wir sahen uns an und zuckten allesamt mit den Schultern. Damit konnten wir nun wirklich nicht allzu viel anfangen. „Äh, geht das vielleicht ein klein wenig präziser?“, fragte ich vorsichtig nach. Angesichts des Blicks, den ich dafür von der Wortführerin erntete, wurde mir ganz anders. Vermutlich hatte ich mir gerade einen Fluch für die nächsten zwanzig Jahre eingehandelt. „Schwestern, sehen wir nach“, krächzte die Hexe jedoch und stierte in den Kessel. „Einer wird schneller rennen als je zuvor.“ „Einer wird zorniger sein als je zuvor.“ „Einer wird die Lösung wissen.“ „Alle sind durch die Hölle gegangen.“ „Alle haben den Himmel gesehen.“ „Alle haben am Ende der Welt gestanden.“ „Wo lang?“ Mittlerweile verlor Chibichi angesichts dieses mystischen Gelabers die Nerven. Die dritte und jüngste Hexe verdrehte die Augen. „Ihr sorgt wirklich dafür, dass das alles keinen Spaß mehr macht. Dritter Akt, vierte Szene.“ „Danke schön!“, flötete der Teufel, während wir anderen bereits Poe folgten, der uns fliegenderweise den Weg wies. In der vierten Szene des dritten Aktes erwartete uns der Ballsaal des Schlosses des schottischen Königs. Nun, und dieser Thron befand sich gerade in den Händen von Macbeth. So finster, wie er und seine Gattin dreinschauten, waren wir sehr froh, dass wir nur einmal kurz an der langen in dem Saal aufgebauten Tafel vorbeihuschen mussten, dann hatte die Grinsekatze auch schon Tells roten Faden erspäht, sodass wir den Literatur-Express in das nächste Buch nehmen konnten – in Goethes ‚Werther’. Wir platzten mitten in eine feine Gesellschaft hinein. Werther und Lotte standen am Fenster, betrachteten das Gewitter dort draußen – ich war äußerst froh, dass wir nicht dort in dem strömenden Regen unter den zischenden Blitzen gelandet waren – und Lotte hauchte leise: „Klopstock.“ Der romantische Augenblick des stillen Verständnisses zwischen Werther und ihr wurde durch Easy rüde unterbrochen. „Nein, Tell. Wo ist er lang?“ Verwirrte Blicke trafen sie und Easy wippte unruhig mit der Fußspitze. „Vor einer halben Stunde entschwand ein fremdländischer Herr durch die Tür“, erklärte Werther schließlich. „Danke!“ Und damit stürzten wir uns auch schon wieder nach draußen in das literarische – und reichlich nasse! – Gewitter. (So viel zu meiner Freude, nicht darin gelandet zu sein.) Zum ersten Mal hatten wir eine Zeitangabe erhalten und diese verriet uns, dass wir Tell sehr dicht auf den Fersen waren. Und das war gut! Wer wusste schon, was der Kiwi noch antat – immerhin hatte der Kerl mit der Armbrust auf seinen Sohn geschossen! Der Apfel auf dem Kopf des Kindes, den der Pfeil sicher durchbohrt hatte, wurde in den Gedanken der Sorglospunks eher nebensächlich. Jemand, der so etwas tat, der war zu allem fähig! Zum Glück mussten wir nicht allzu lange durch den Regen laufen. „Da ist der Faden! Es geht in den ‚Grafen von Monte Christo’!“, rief Poe schließlich. „Ui!“, entfuhr es Nifen und mir, waren wir beide doch begeisterte Fans dieses Romans. Wenig später brachte uns der Literaturexpress auch schon in dieses berühmte Stück französische Literatur. Wir landeten in Marseille. Die Luft war warm und feucht und roch nach dem Salz des Meeres. „Oha, wir müssen weiter in den Roman hinein“, stellte die Grinsekatze fest. „Nehmen wir die Abkürzung durch die Kulissen.“ Sprach’s und führte uns durch eine kleine, unauffällige Hintertür in das Hinterzimmer des Romans. Am besten lässt sich dieser Ort damit vergleichen, sehr schnell durch ein Buch zu blättern, die Worte vor den Augen verschwimmen zu sehen und gleichzeitig die Handlung wie einen Film im schnellen Vorlauf wahrzunehmen. Es machte Kopfschmerzen. „Da! Da ist der rote Faden!“, jubelte Poe schließlich und wir flüchteten alle äußerst glücklich zurück in den Roman. Diesen Ort wollten wir alle freiwillig nie wieder aufsuchen. „Boah, einmal und nie wieder“, bekräftigte Jack das, was wir alle dachten. „Mir ist schlecht!“, jammerte Chris und Easy war auch schon ganz grün um die Nase. Nifen und mir ging es immerhin einigermaßen und Chibichi meinte fröhlich: „Ich glaube, ich habe eine neue Foltertechnik für böse Sünder gefunden.“ „Wer seid ihr und was wollt ihr hier?“, fuhr uns auf einmal jemand an. „Wachen!“ Wir fuhren herum und erst jetzt wurde uns bewusst, wo wir uns befanden. Wir standen tatsächlich mitten in dem prunkvollen Salon des Herrenhauses, das der Graf von Monte Christo am Rande von Paris erstanden hatte. Und derjenige, der uns entdeckt hatte, war niemand anderes als Bertuccio, der getreue Diener des Grafen. „Äh, Wachen sind nicht nötig. Wir sind sofort wieder weg“, versuchte ich Bertuccio zu beschwichtigen. „Und natürlich ohne irgendetwas mitzunehmen, was?“, kam es spöttisch zurück. Okay, so sympathisch, wie ich Bertuccio bisher beim Lesen des Romans gefunden hatte, war er mir jetzt nicht mehr. Aber man musste ihn wohl auch verstehen, immerhin kam er gerade seiner Pflicht als Bediensteter des Grafen nach. Wenig später war die Garde des Grafen bei uns. „Schon wieder Eindringlinge“, deutete Bertuccio auf uns. „Wie – schon wieder?“, hakte Nifen nach. „War Tell hier? Wo ist er hin?“, fragte Easy sofort. „Den Schweizer mit der Katze haben wir vor einer Viertelstunde vor die Tür gesetzt“, erklärte einer der türkischen Wächter finster. „Hinterher!“, rief Easy aus und stürmte auf die Glastür zu, die den Weg in den Garten versperrte. Die schwer bewaffneten türkischen Söldner kümmerten sie kein bisschen, kamen wir dem gemeinen Katzenentführer doch immer näher! Im Drauflosstürmen und schnellen Rennen waren die Sorglospunks wahre Profis. Schnell war die Tür aufgestoßen und dann ging die wilde Jagd durch den Garten Richtung Straße. Die Wachen des Grafen und Bertuccio waren uns dabei säbelrasselnd dicht auf den Fersen. „Er ist nach ‚Harry Potter’ geflohen!“, maunzte die Grinsekatze, während wir durch den herrschaftlichen Garten hetzten. „Poe, ruf den Express zur nächsten Haltestelle!“, brüllte ich, hatte ich doch als einzige – der Wolke sei Dank – von uns genügend Luft, um noch Anweisungen zu geben. Es gelang uns mit sorglospunkigen Glück gerade rechtzeitig in den Literaturexpress zu springen, ehe uns die Wachen des Grafen erwischten. „Wohin?“, fragte der Fahrer gut gelaunt. „‚Harry Potter’...“, setzte Nifen an. „Welcher Band?“ Doch die Grinsekatze zuckte nur ihre nichtvorhandenen Schultern. „Wir sollten vorne anfangen. Zwischen den Bänden kann man recht einfach springen.“ „Okay... Also, ‚Harry Potter und der Stein der Weisen’, Kapitel... sechs“, entschied die Bandmanagerin. Sie kannte ‚Harry Potter’ schließlich verdammt gut. „Ah, Hogwartsexpress, nicht wahr?“, sagte Chibichi mit einem wissenden Grinsen, war doch auch sie eine begeisterte Leserin der bekannten Romane. „Genau. Wir brauchen mal ein bisschen Zeit, um uns zu sammeln. Und in dieser rasenden Rappelkiste geht das ja nicht.“ Da hatte Nifen voll und ganz Recht, raste der Literaturexpress doch bereits wieder mit irrsinnigen Tempo auf der Literaturautobahn in Richtung englische Gegenwartsliteratur. Und so, wie die Sorglospunks aussahen, brauchten sie danach definitiv erst einmal eine kleine Verschnaufpause. Wie Nifen es geplant hatte, landeten wir direkt im Hogwartsexpress auf Harrys erster Fahrt gen Hogwarts. Unter den neugierigen und kritischen Blicken der Schüler schritten wir durch den Zug auf der Suche nach einem freien Abteil. Es dauerte eine Weile, aber schließlich fanden wir eines ganz am Ende und gerade noch vor dem Gepäckwaggon mit den Koffern der Schüler. Das war gut so, denn zwischen Koffern konnte man schlecht eine gute Lagebesprechung machen. „Also, wir sind Tell ganz dicht auf den Fersen“, stellte Nifen nüchtern fest. „Wir wissen nur noch immer nicht, warum zum Teufel – nichts gegen dich, Chi – er Kiwi entführt hat. Das besitzt einfach keinen Sinn!“ „Ausgenommen, die Furien haben ihn auf uns angesetzt. Sie haben schließlich schon die Daltons angeheuert. Warum nicht auch Tell?“, warf Jack ein. „Tell ist komplizierter als die Daltons.“ Ich schüttelte mit dem Kopf. „Er denkt anders und interessiert sich nicht für Geld. Er ist ein Freiheitskämpfer, ein Held. Warum sollte er da eine Katze entführen?“ „Er ist ein Verrückter mit einer Armbrust“, murrte Easy, die das Stück noch nie gemocht hatte. „Nein, nein, er kämpft gegen die Habsburgerische Tyrannei und versucht eine Vereinigung der Schweizer Kantone herbeizuführen, um die Unabhängigkeit von den Habsburgern zu erreichen...“ Ich legte die Stirn in Falten. „Also können wir zumindest davon ausgehen, dass Tell vermutlich irgendwie dazu gebracht wurde, Kiwi zu entführen...“, murmelte Nifen. „Nur warum? Das ist so... seltsam.“ „Wer weiß, was die Furien ihm erzählt haben. Vielleicht hält er Kiwi für eine Geheimwaffe oder so“, warf Chris flapsig ein. „Ja, wer weiß...“ Nifen, Chibichi, Jack und ich wechselten einen langen Blick. Wenn dem so war, dann war Kiwi in höchster Gefahr. Tell hatte schließlich nicht davor zurückgeschreckt, mit der Armbrust einen Apfel vom Kopf seines Kindes zu schießen, obwohl dabei durchaus etwas hätte schief gehen können... Nein, der Mann tat für seinen Freiheitskampf alles. Und eine Katze würde da wenig bedeuten... „Los, wir müssen weiter.“ Entschlossen sprang Jack auf. „Aufi!“, sagte Easy mit grimmiger Miene und stürmte zur Tür. Dort hielt sie inne. „Wo lang?“ Zum Glück fanden wir Tells roten Faden relativ schnell. Er hing mitten in der Großen Halle von Hogwarts in der Luft. Und während Harry Potter und seine Schulkameraden geraden ihren Häusern zugeteilt wurden, standen wir einem Problem gegenüber. „Er hat die Welt gewechselt. Er ist ins Comicland hinüber...“ Poe plusterte seine schwarzen Federn auf. „Und das bedeutet?“, hakte Jack nach. „Dass wir ein Problem haben. Wir müssen auch wechseln und mit dem Literaturexpress über die Grenze fahren, aber ihn dort zu finden... Das könnte nahezu unmöglich sein!“, antwortete die Grinsekatze. Ihr war sogar das Grinsen vergangen. „Wir können dort den roten Faden nicht mehr sehen.“ „Oh, oh...“, murmelte ich und Easy ließ den Kopf hängen. „Hey, wer aufgibt, verliert“, sagte in dem Augenblick Chris. „Wir lassen Kiwi doch nicht hängen. Also, ruf den Express und wir fahren.“ „Und wohin?“, fragte Nifen. „Wir gehen zu einem der besten Detektive, den die Literaturgeschichte kennt. Wir besuchen ‚Sherlock Holmes’.“ Gesagt, getan. Der Literaturexpress brachte uns in die Baker Street 221b in dem London der Jahrhundertwende. „Gute Nerven, Leute“, murmelte ich noch, hatte ich Sherlock Holmes doch immer als recht anstrengend zu lesen empfunden. Mir war der Kerl unsympathisch. Aber wenn er uns helfen konnte, war er mir mehr als nur willkommen. Schließlich mussten wir Kiwi retten! Wir mussten noch nicht einmal klingeln. Watson, Sherlock Holmes’ Assistent, öffnete uns die Tür, ehe wir die Klingel überhaupt gezogen hatten. Nacheinander traten wir ein und besahen uns die exquisite Einrichtung. „Snob“, murmelte Chris leise und erntete von mir einen kleinen Rippenstoß. Allerdings nicht ohne ein breites Grinsen. Ich sah das nämlich absolut genauso. Holmes saß im Salon in einem bequemen Ohrensessel vor dem Kamin. Selbstverständlich schmauchte er seine Pfeife und ihr durchringender Geruch benebelte einen regelrecht. Ich kippte sogar fast von meiner Wolke und Easy bekam sofort einen Hustanfall. „Nun, was führt euch zu mir?“, erkundigte sich Holmes und musterte uns dann. „Nein, lasst es mich euch sagen, um euch meine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.“ Ich verkniff es mir gerade noch, die Augen zu verdrehen, sondern hörte artig zu. Holmes musterte uns einen nach dem anderen und sagte dann: „Ihr drei“ – er zeigte auf Easy, Jack und Chris – „seid Musiker. Das da ist eure Managerin“ – sein Finger wies auf Nifen – „und die anderen beiden...“ Der wohl berühmteste Detektiv der Literatur legte die Stirn in Falten. „Es sind übernatürliche Entitäten. Eine Muse, vermutlich eure Musikermuse, und der Teufel. Entweder habt ihr ihm eure Seele verkauft oder aber ihr seid in den seltenen Genuss der Freundschaft des Teufels gekommen.“ Anerkennend wanderte meine Augenbraue nach oben. Gut, das war gar nicht so schlecht. Wenn der Kerl das nur nicht so unerträglich arrogant sagen würde. Ich seufzte ganz leise. „Ihr kommt aus der realen Welt, denn ihr habt ganz eindeutig eine menschliche Aura“, fuhr er fort. „Die kann jede literarische Figur sehen, wenn sie sich anstrengt. Und sie ist übrigens hellblau“, flüsterte mir Poe zu und ich konnte mir das Grinsen nur mit Mühe verkneifen. Schien, als wenn auch ein Sherlock Holmes nur mit Wasser kochte. „Und ihr seid hier, weil ihr etwas sucht...“ Holmes’ Augen verengten sich und er runzelte die Stirn. „Da euch die Grinsekatze und der Rabe begleiten, ist davon auszugehen, dass es um ein Tier geht. Ja... Ihr habt Katzenhaare an euren Sachen und es ist bekannt, dass der Teufel Katzisch spricht... Das bedeutet, ihr sucht eine Katze.“ „Kiwi ist entführt worden!“, platzte es aus Easy heraus. „Von Wilhelm Tell!“ „Ja, und er ist ins Comicland abgehauen, sodass wir seinem roten Faden nicht mehr folgen können und jetzt brauchen wir Hilfe“, schnatterte Chris in bester Easy-Manier weiter. „Und Tell hat schon mal mit der Armbrust auf seinen Sohn geschossen! Dem Kerl ist absolut alles zuzutrauen“, fügte Jack noch hinzu. „Um es kurz zu machen: Wir brauchen einen Rat, wie wir Tell im Comicland finden können. Wenn wir da noch so eine Hetzjagd machen müssen wie hier, dann ist das nicht mehr lustig“, sagte Nifen. „Außerdem machen wir uns Gedanken um sein Motiv. Wenn die Furien – unsere Erzfeinde, wie Sie sicher wissen – ihn angestiftet haben, dann ist mit absolut allem zu rechnen.“ „In der Tat“. Sherlock Holmes zog nachdenklich an seiner Pfeife und stieß eine dichte Rauchwolke aus, deren süßlicher Geruch uns alle benebelte. Jack hielt sich sogar kurz an Chris’ Schulter fest, weil ihr schwindelig zu werden drohte. Nur Chibichi machte das alles sehr wenig aus. Nun, sie war ja auch der Teufel, was bedeutete, dass sie doch einige Höllenkreise kannte, die recht schwefellastig waren, und entsprechend war ein bisschen Pfeifenqualm doch gar nichts. Er schwieg und das volle fünf Minuten. Dann verzog sich sein hageres Gesicht zu einem Lächeln. „Ich weiß, wo Tell hingegangen ist.“ „Und wohin?“, hibbelte Easy sofort und machte Holmes’ jeglichen dramatischen Auftritt zunichte. Missbilligend sah er sie an, doch als dieser vernichtende Blick nichts brachte, fuhr er fort und breitete vor uns genüsslich seine Genialität aus. „Tells großes Ziel ist es, die Schweiz von den Habsburgern zu befreien. Dafür absolut notwendig ist die Vereinigung der Kantone durch den sogenannten Rütlischwur. Kommt dieser nicht zustande, ist Tells Freiheitskampf zum Scheitern verurteilt. Die Furien werden eure Katze als Mittel gegen diesen Schwur betitelt haben oder aber euch als Verbündete der Habsburger. Das bedeutet, dass sie Tell gezielt gegen euch aufgehetzt haben.“ „Klasse, so weit waren wir auch schon, wenn wir auch noch nicht das Wie wussten“, maulte Jack. „Und wo ist er jetzt hin?“, quengelte Chris. Holmes warf Watson einen missmutigen Blick zu, doch dieser zuckte nur mit den Schultern. Wahrscheinlich fand er uns alle genauso absolut unerträglich und unwürdig, den großen Schlussfolgerungen des noch viel größeren Sherlock Holmes zu lauschen. „In das Comicland...“ „Ach?“ Nifen verschränkte die Arme vor der Brust. „Das haben wir Ihnen doch erzählt!“ „Ja, aber ihr solltet mich auch mal ausreden lassen“, giftete Holmes zurück. „Ansonsten sage ich gar nichts mehr und ihr hört von meinem Rechtsanwalt wegen Verunglimpfung!“ „Immer mit der Ruhe“, warf Chibichi nun beschwichtigend ein. „Wir beruhigen uns jetzt alle mal und stellen unsere Sorge für Kiwi zurück. Nur Sherlock Holmes kann uns helfen, also sollten wir ihn genau das auch endlich tun lassen.“ Auf ihr Einwirken hin hörten Easy und Chris mit dem leisen Gemaule auf und wir anderen machten auch schlagartig einen weitaus kooperativeren Eindruck. „Bitte, Mr. Holmes. Helfen Sie uns“, erteilte sie Holmes wieder das Wort. Dieser strich sein Hemd glatt und fuhr dann fort: „Wie ich bereits sagte, ist Tell in das Comicland gegangen und zwar an einen Ort, an dem es nahezu alle Lebewesen gibt, ein Ort, der ein perfektes Schmelztiegel ist und wo ein sich ein einzelner in der Masse verstecken kann...“ „Entenhausen!“, rief Chris aus und fing sich einen Haufen missbilligender Blicke ein. „Was denn?“, protestierte er. „Ich habe eben alle Lustigen Taschenbücher gelesen und weiß ganz genau, was Holmes meint! Wir müssen nach Entenhausen.“ „Stimmt das?“, wandte ich mich an Holmes. „Exakt. Euer Weg führt euch nach Entenhausen.“ „Aufi!“, rief Easy schon, kaum, dass der Detektiv seinen Satz beendet hatte und stürmte Richtung Tür. Nachdem wir uns noch kurz von Holmes und Watson verabschiedet und ihnen gedankt hatten, rannten wir anderen ihr hinterher. Jetzt brauchten wir nur noch den Literaturexpress zur Grenze zu nehmen, diese überqueren und Tell in Entenhausen zu finden... Das war doch ein Zuckerschlecken! Glücklicherweise gab es einen Expressverkehr im Grenzgebiet zwischen Literatur- und Comicland, da beides ja doch irgendwie sehr ähnlich war. Tja, und dann standen wir mitten in Entenhausen vor dem Duck’schen Geldspeicher und konnten uns überlegen, wie das hier weitergehen sollte. „Wir können jetzt leider nicht mehr viel helfen“, sagte Poe beschämt. „Tell muss das geahnt haben.“ „Macht nichts.“ Ich grinste den Raben und die Grinsekatze aufmunternd an. „Ich weiß schon, was wir machen. Wir suchen uns auch hier einen Detektiv. Und wer wäre dafür besser geeignet als Micky Maus?“ Gesagt, getan. Dummerweise mussten wir feststellen, dass Micky nicht zu Hause war. „Und jetzt?“, fragte Easy traurig. „Wir gehen zu Tick, Trick und Track“, sagte Chris fest. „Das sind die besten Jungdetektive, die man sich hier vorstellen kann. Und sie sind Pfadfinder. Sie müssen uns einfach helfen!“ Wenigstens hatten wir das Glück, dass die Ducks nur einige Häuser weiter wohnten. Und wir hatten auch das Glück, dass Tick, Trick und Track uns – dank ihrer Erfahrung mit abstrusen Abenteuern – sofort glaubten und Chris noch einen draufsetzen konnte, indem er sich als großer Fan des Fähnlein Fieselschweif outete. Damit war sowieso klar, dass sie uns einfach helfen mussten. Somit wurde unsere Truppe dann also noch einmal um drei Köpfe vergrößert. Als wenn wir zu acht nicht schon auffällig genug gewesen wären, aber nun gut. So sausten wir ab jetzt eben zu elft durch die Gegend. Und die Entendrillinge gaben sich wirklich Mühe. Viel Mühe. Sie schnatterten unentwegt und führten uns von einem Geheimversteck zum nächsten, bis sie schließlich entschieden, aus dem ganzen eine Fähnlein Fieselschweif-Aktion zu machen und sämtliche ihrer Fähnlein-Freunde zu mobilisieren. Es war schließlich Doofy, ein junger, dicker Erpel mit dicken Brillengläsern, der aufgeregt in unser offizielles Hauptquartier im Duck’schen Wohnzimmer stürmte. „Ich habe ihn gefunden! In der Blumenstraße gibt es ein verlassenes Haus und da ist ein Fremder mit komischer Kleidung abgestiegen. Er hat genauso seltsame Leute dabei und eine Katze!“ „Super, Doofy!“, erscholl es sofort von den Drillingen. „Aufi!“, brüllte Easy und stürmte aus dem Zimmer. „Äh... Ich glaub, wir nehmen den unbedachten Weg direkt durch die Haustür...“, murmelte ich. Wir anderen schlossen zu Easy auf und stürmten ihr hinterher. Zum Glück war diese Blumenstraße nur zwei Querstraßen weiter und Tick, Trick und Track hatten uns dort schon einmal bei unserer Odyssee hindurchgeführt. Ansonsten hätten wir uns jetzt wahrscheinlich rettungslos verlaufen. Easy dachte nicht mehr nach, sondern wollte ihre Katze wieder haben. Und so stürmte sie am Ziel angekommen einfach durch den Vorgarten, trat die Tür ein (Ja, wirklich, das tat sie!) und auf einmal standen wir Wilhelm Tell und seinen Verbündeten – einem halben Dutzend Männer – in dem leeren Wohnzimmer gegenüber. „Gib Kiwi zurück, du mieser Entführer!“, rief Easy sofort und streckte fordernd die Hand aus. „Genau! Du Catnapper, du!“, stimmte Chris ihr zu. Ehe gerade das vollkommene Forderungschaos und hysterische Durcheinanderschreien ausbrechen konnte, hielt Tell Kiwi die Armbrust an den Kopf. „Miau!“ Mit großen Augen blickte die Katze uns an und Chibichi musste gerade nicht übersetzen, was sie sagte. „Hey, immer mit der Ruhe!“ Ich hob beschwichtigend die Hände. „Wir wollen hier nichts überstürzen, okay? Wir können uns in Ruhe unterhalten.“ „Ihr seid unsere Feinde“, sagte Tell mit fester Stimme. „Na super, Holmes kann sich nen Ast freuen...“, murrte Jack und verschränkte die Arme vor der Brust. „Nein, sind wir nicht. Das haben dir diese depperten Furien nur eingeredet. Wir wollen dir gar nichts Böses und finden es sogar cool, dass du es schaffst, die Schweiz zu befreien, aber...“ „Wieso schaffen? Wir befinden uns mitten im Kampf!“, fiel ihr Tell ins Wort. Super. Der Eingriff der Furien in die Handlung des Stücks hatte dafür gesorgt, dass Tell auf einem Stand irgendwo recht zu Beginn stehengeblieben war und sich nicht erinnerte, wie das Drama ausging! „Und ihr wollt uns sabotieren! Ihr wollt verhindern, dass die Kantone sich zusammenschließen! Ihr steht auf der Seite von Gessler!“ „Was für ein ausgemachter Blödsinn!“, empörte sich Easy. „Wir sind Schwaben und keine bescheuerten Gessler-Anhänger, wer auch immer das ist! Du hast unsere Katze entführt und wir wollen sie wiederhaben!“ „Die Katze ist eine Geheimwaffe, mit der ihr die Einheit der Kantone verhindern wollt!“, kam es sofort zurück. „Ja, klar, mit ner Katze“, erwiderte Chibichi und verdrehte die Augen. „Ehrlich, du bist ein bisschen verrückt, oder? Du kannst sie ja fragen, ob sie eine Geheimwaffe ist. Ich kann Katzisch. Und wenn du mir nicht traust, die Grinsekatze ist als literarische Figur neutral und kann dir auch ihre Worte übersetzen.“ Misstrauisch blickte Tell sie an, dann die Grinsekatze und dann Kiwi. „Grinsende Katze, übersetz. Bist du eine geheime Waffe? Was weißt du von Gessler? Was weißt du über die Vereinigung der Kantone?“ „Mau“, war Kiwis einzige Antwort. „Nun ja...“ Die Grinsekatze druckste herum. „Sie hat gefragt, ob man das essen kann...“ „Was?“ Tell starrte entgeistert auf die Katze in seinen Armen. „Na ja, sie ist etwas verfressen...“, räumte Nifen ein und erntete dafür einen bösen Blick von Easy. Auf Kiwi ließ sie ja nichts kommen! Vor allem nicht, wenn sich Kiwi in solch einer schlechten Situation befand. „Sie ist... einfach nur eine Katze? Eine stinknormale Katze?“ Tell blickte uns an, während seine Mannen langsam zurückwichen. „Unsere Katze“, sagte Easy fest. „Sie ist unser Bandmaskottchen und wir haben sie gern. Und ich mag es nicht, wenn eine Armbrust auf sie gerichtet ist!“ „Oh...“ Irritiert setzte Tell Kiwi auf den Boden, die sofort losflitzte und sich hinter Easy versteckte. Das, was sie maunzte, waren vermutlich keine besonders netten Worte über Tell, und dankenswerterweise verzichteten unsere beiden Katzisch sprechenden Begleiter darauf, sie zu übersetzen. „Die Furien haben mich reingelegt?“, fragte er wieder und sicherte die Armbrust. Wir atmeten auf. „Ja, genau das haben sie“, begann Nifen ihre Erklärung. „Weißt du, das ist eine lange Geschichte, aber sie gehören zu der Polizei in der Hölle und weil wir so eine Art Rebellen dort waren und unter dem Schutz des Teufels stehen, machen sie uns jetzt das Leben schwer. Wir haben wirklich nichts gegen dich und das, was du tust. Wir finden dich sogar richtig toll! Abranka hat sogar immer eine Ausgabe deines Stücks mit dabei!“ – Ich grinste Tell daraufhin fröhlich an. – „Und wir finden es gut, dass sich die Schweizer gegen die Habsburger zur Wehr setzen. Wer will noch Könige haben? Ist doch klar. Nein, wir stehen voll und ganz auf deiner Seite und um dir das zu beweisen, werden wir vor der gesamten Literaturwelt einen Gig spielen, um dich zu unterstützen!“ „Werden wir?“, erkundigte sich Easy leise und mit großen Augen bei mir. Ich nickte. Natürlich würden wir. Das war doch das mindeste, jetzt, wo wir Kiwi zurückhatten! Wir konnten natürlich an keinem anderen Ort spielen, als in ‚Wilhelm Tell’ und dort natürlich auf dem Rütli, einer abgelegenen Alpenwiese am Vierwaldstättersee, wo der berühmte Schwur und die Gründung der Eidgenossen stattfand. Alle waren gekommen. So ziemlich das gesamte Literaturland. Wir konnten Holmes und Watson erspähen, den Grafen von Monte Christo mit Bertuccui, Mr. und Mrs. Bennet und ihre Töchter, Werther und Lotte, Macbeth, seine Gattin und Duncan, Harry Potter, Ron Weasley und Hermine Granger, Anna Karenina, Artemis Fowl, TOD und Rattentod, der Blaubär, Alice, Zorro, der kleine Lord, Aragorn, Legolas und Boromir, Jane Eyre und Mr. Rochester, Catherine und Heathcliff, Wilhelm Meister und Mignon, ja, und da waren auch Faust und Mephistopheles. Dazwischen saßen einige Gestalten aus dem Comicland, allen voran Tick, Trick und Track mit ihren Fähnlein Fieselschweif-Freunden, Tim und Struppi, Lucky Luke und Jolly Jumper, die uns beide fröhlich zuwinkten, Asterix und Obelix, Spirou und Fantasio... Es war einfach der absolute Wahnsinn. Tell hatte eine ganz neue Popularität gewonnen und Gessler saß schmollend am Rande der Veranstaltung. Er war von diesem Gig wenig begeistert, hatte es sich aber natürlich nicht nehmen lassen, doch hier zu sein, weil das ja immerhin sein Stück war. Die Krönung des Abends war selbstverständlich ein neuer Song. Einer, der unsere neuen Abenteuer behandelte... „Roter Faden Lesezeichen Plot-Struktur Literatur und wir sind mittendrin! Mit Poe und Grinsekatze geht’s in das Land der Literatur Auf einen Trip quer durch Wilhelm Tell, Macbeth und Werther. Wilhelm Tell, Macbeth und Werther! Roter Faden Lesezeichen Plot-Struktur Literatur und wir sind mittendrin! Weiter geht’s mit’m Literaturexpress Auf ’nem Trip quer durch Monte Christo, Harry Potter und Sherlock Holmes. Monte Christo, Harry Potter und Sherlock Holmes! Roter Faden Lesezeichen Plot-Struktur Literatur und wir sind mittendrin! Roter Faden Lesezeichen Egal ob Literatur- oder Comicland, wir sind mittendrin!“ Die ausgelassene Feier, die sich an das sorglose Konzert anschloss, dauerte bis in die Morgenstunden. Am Ende schüttelten sich sogar Gessler und Tell die Hände. Chris wurde von Tick, Trick und Track in die Geheimnisse des Fähnlein Fieselschweif eingeweiht. Easy kraulte selig Kiwi und lauschte Chibichis Übersetzung des Gesprächs zwischen ihr, Kiwi und der Grinsekatze. Jack hockte gemeinsam mit Nifen mit Elisabeth Bennet und Jane Eyre zusammen. Tja, und ich nutzte die Gelegenheit zu einer ausführlichen Diskussion über Moral mit dem Grafen von Monte Christo. Wann hatte man denn sonst schon einmal die Gelegenheit dazu? Kapitel 31: Ich flieg zum Sternenhimmel! ---------------------------------------- „Ich flieg zum Sternenhimmel! Ohoho! Ich flieg zum Sternenhimmel! Ohoho! Sternenhimmel! Sternenhimmel!“, trällerte Easy, während sie mit weit ausgebreiteten Armen unter der Decke der Wohnzimmers der Sorglospunks-WG schwebte. Jack, Chris und Nifen besahen sich die Bescherung. „Okay...“ Die Managerin Nifen stemmte die Hände in die Hüften und hörte zu, wie Jack ihrer Zwillingsschwester zum wohl hundertsten Mal befahl, wieder auf den Boden zurückzukehren. Doch die Bandleaderin und Sängerin trällerte nur fröhlich weiter, während sie ihre Kreise um die Zimmerlampe zog. „Ich flieg zum Sternenhimmel!“ Der Bassist Chris stöhnte leise auf. So langsam ging ihm dieser gleichförmige Singsang auf die Nerven. „Mensch, Nifen, was machen wir denn jetzt?“ „Warten, bis sie wieder runterkommt“, entschied die Managerin resolut. „Und hindert sie bloß daran, wirklich nach draußen zu flattern und zu den Sternen zu fliegen. Erstens bezweifle ich, dass sie das überlebt, auch wenn sie wirklich sorglospunkiges Überlebenstalent besitzt, und zweitens sollten wir nicht noch mehr Aufmerksamkeit von unseren Nachbarn auf uns ziehen. Die alte Dame von gegenüber zählt ja schon, wie oft irgendetwas in unserem Garten eine Bruchlandung hinlegt.“ „Geht klar!“ Chris salutierte eifrig und Jack nickte knapp. „Gut. Und sobald unsere beiden übersinnlichen Crewmitglieder wieder hier sind, können sie sich auf was gefasst machen...“ Denn irgendwie war klar, dass Abranka, die Bandmuse, und Chibichi, der Teufel sowie großer Fan der Sorglospunks, hinter dieser Freiflugeinlage Easy’scher Manier stecken mussten. Es waren doch ein paar zu viele Zufälle, wenn die beiden schlagartig zu angeblich wichtigen Terminen verschwanden, während gleichzeitig im Kaffeevorrat irgendein übernatürliches Mittelchen auftauchte, das Easy de facto Flügel verlieh, und im Mülleimer die zerrissenen Übereste einer Verpackung mit der schwungvollen Aufschrift ‚Flieg zum Sternenhimmel’ lagen... „...ich flieg zum Sternenhimmel! Sternenhimmel! Ich flieg zum Sternenhimmel...“ Kapitel 32: Nichts wie weg! --------------------------- „Alles bereit?“, keuchte Chibichi, der Teufel höchstpersönlich, außer Atem und knallte die Tür zu der wohl sorglosesten WG der Welt ins Schloss. „Ich schon. Aber die da haben mich nicht ernst genommen“, entgegnete ich, deutete auf die drei Sorglospunks und ihre Managerin und verschränkte die Arme vor der Brust. Mir war ja wohl absolut kein Vorwurf zu machen! Die Sorglospunks bestehen aus den äußerlich sehr ähnlichen, aber von der Persönlichkeit her sehr unterschiedlichen Zwillingen Easy und Jack, wobei Easy Sänger- und Songwritertalent – sowie KreaTief-Anfälle – in sich vereint, während Jack das äußerst musikalische Percussionswunder darstellt. Der dritte Sorglospunk im Bunde ist Chris, der Gitarre und Bass mit Leidenschaft spielt und pflegt. Die Managerin trägt den Namen Nifen und ist ob ihrer genialen Ideen um der Band Auftritte zu beschaffen – mittels sehr geschickter Nutzung von Spam-E-Mails – von den dreien sowohl bewundert als auch ein wenig gefürchtet. Und ich? Nun, ich bin niemand Geringeres als die Muse der Band. Frisch vom Olymp auf die Mädels und den Jungen angesetzt sozusagen. „Ach, Menno!“ Chibichi seufzte tief und stemmte dann die Hände in die Hüften. Dass sich dabei unwillkürlich ihre dunklen Flügel etwas ausbreiteten, machte ihren Auftritt umso eindrucksvoller. „Keine Taschen gepackt?“ Vierfaches Kopfschütteln war die Antwort. Chibichi stöhnte auf. „Warum könnt ihr nicht einmal tun, was man euch sagt? Ist das denn zuviel verlangt?“ Zaghaftes Schulterzucken war diesmal die Reaktion. „Wir wussten doch nicht, dass das ernst gemeint war…“, murmelte Easy kleinlaut. „Ach? Bei den ganzen Abenteuern, die wir erlebt haben, ist es derart überraschend, wenn ich sage ‚Packt Klamotten für eine Woche ein, wir sind auf der Flucht’?“ Ich blickte fassungslos in die Runde. Sie sollten es doch eigentlich besser wissen! Hatten sie denn gar nichts dazugelernt? „Ja.“ Easy zog einen Schmollmund. Chibichi und ich seufzten synchron. Wer konnte schon Easy und ihrem Schmollmund gepaart mit dem unschuldigen Dackelblick widerstehen? „Äh, haben wir doch noch Zeit unsere Koffer zu packen?“, hakte Jack nun nach, die offenbar den Ernst der Lage langsam begriff. „Wovor fliehen wir? Und wohin?“, kam sofort Nifens Nachfrage. „Gehen wir wohin, wo es einen PC mit Internetanschluss gibt?“, stellte Chris die für ihn wichtigste Frage, bedeutete ein PC mit Anbindung an die Weiten des Internets gleichzeitig die Verbindung zu seiner heißgeliebten japanischen Freundin Umeko. „Nein, keine Zeit mehr. Erfahrt ihr unterwegs. Im absoluten Notfall kannst du mein Hell-o-Berry benutzen“, kanzelte Chibichi regelrecht alle ab. „Und jetzt los! Wir haben nicht mehr viel Zeit!“ Und damit stürmte sie auch schon aus der Tür, die sie erst vor wenigen Minuten hinter sich geschlossen hatte. „Wo ist denn Baby?“, fragte Easy mit kugelrunden Augen nach des Teufels liebstem Gefährt (selbstverständlich waren wir dem Teufel gefolgt). Sie hatte sich schon darauf gefreut, sein Lenkrad zwecks Wunscherfüllung zu reiben. „Hat sich verdrückt. Die Fahrt ist zu gefährlich.“ Jetzt schluckten alle und begannen wohl wirklich den Ernst der Lage zu begreifen. „Sollen wir dann laufen oder nehmen wir öffentliche Verkehrsmittel?“ Nifen war zu praktisch veranlagt, um grundlos Panik zu schieben. „Nein, unser Abholservice sollte gleich da sein.“ Und um meine Worte zu bestätigen, bog gerade ein kleiner altersschwacher VW-Bus mit einem Plüschküken auf dem Dach um die Ecke. „Chuck & Chuck!“, jubelte Easy, freute sie sich doch immer darüber, die beiden Deutsch-Countrymusiker zu sehen, die als Markenzeichen stets in mannsgroßen flauschigen Kükenkostümen auftraten. Als der Wagen neben uns zum Stehen kam, hielten wir uns jedoch nicht lange mit Begrüßungen auf, sondern auf Chibichis und mein Geheiß sprangen wir schnell an Bord. Es galt schließlich, keine Zeit mehr zu verlieren! Und Chuck eins, der den Wagen fuhr, nahm seine Pflicht als Fluchtfahrer äußerst ernst. Er gab Gas, als wenn der Teufel hinter uns her wäre und nicht auf unserer Seite stünde. Immerhin beschleunigte der Wagen somit bergab und mit Rückenwind auf stolze 100 Stundenkilometer. Wenigstens einer, der meinen Worten Glauben geschenkt hatte! Aber vielleicht war in diesem Fall auch die Anwesenheit eines besorgten Teufels ausschlaggebend. Denn den Teufel besorgt zu erleben, ist derart besorgniserregend, dass man keine Zweifel mehr hegt. Dummerweise kamen wir mit dem VW-Bus nur bis kurz hinter Stuttgart. Dort gab er dann rauchend und qualmend seinen Geist auf. „Und jetzt?“, fragte Chris ratlos, während Chuck eins und Chuck zwei in dem Motor des alten Gefährts herumwühlten und schließlich kopfschüttelnd und mit Öl verschmierten Händen wieder zum Vorschein kamen. „Laufen“, entschied ich. „Wir haben keine Zeit, um hier ewig zu warten.“ „Und während wir laufen, fällt uns etwas Neues ein“, stimmte Nifen mir zu. „Wohin gehen wir eigentlich?“, erkundigte sich Jack, während wir den Seitenstreifen entlang marschierten und die nächste Gelegenheit nutzten, uns durch die Botanik auf eine entfernte – und weitaus sichere – Parallelstraße durchzuschlagen. „Nach Atlantis“, kam die sehr verspätete Antwort von Chibichi. „Wohin???“, kam es aus sechs Kehlen gleichzeitig (denn natürlich hatten uns Chuck & Chuck auf unserer Flucht nicht im Stich gelassen, sondern standen uns tapfer bei). „Atlantis“, wiederholte ich. „Die Stadt im Meer. Die aus den Legenden. Ihr wisst schon.“ „Mensch, ihr wart schon in der Hölle, jetzt tut nicht so überrascht“, fügte der Teufel noch hinzu. „Äh, ja…“, murmelte Jack und verdrehte angesichts dieser Antwort die Augen. Ein bisschen wundern durfte man sich ja doch noch, oder nicht? „Und warum ausgerechnet Atlantis?“, hakte Nifen nach, während Chibichi schon den Daumen raushielt, um ein Auto anzuhalten. So viele Leute wurden zwar normalerweise garantiert nicht mitgenommen, aber etwas teuflische Magie zahlte sich doch aus. Und während ein Kleinbus hielt, in den wir alle problemlos hineinpassten und der doch etwas fahrtüchtiger war als das Gefährt von Chuck & Chuck, erwiderte Chibichi: „Weil man nirgends besser Spuren verwischt als unter Wasser. Und jetzt pst! Unsere Fahrer müssen von nichts wissen!“ Und so schwiegen wir, bis wir immerhin Köln erreichten. Von nun an war der einfachste der über das Wasser. Ein Schiff und ab auf den Rhein. Denn der Rhein, der floss ja Richtung Meer. Und im Meer war Atlantis. Und da die Nordsee einen Zugang zu sämtlichen Weltmeeren darstellte… Ihr versteht, was die Absicht ist, nicht wahr? Chibichi war gerade dabei, dem Kapitän zu verdeutlichen, dass sein Ausflugsschiff erstens heute nicht nur bis Düsseldorf fuhr, sondern weitaus weiter, und zweitens gefälligst Volldampf gab. „Wir fliehen vor…“, setzte ich an und blickte zum Ufer. „Oh.“ „Was oh?“, kam es sofort von Easy. Sie und alle anderen Gefährten dieser kopflosen Flucht starrten zum Ufer hinüber. „Oh“, stimmten sie mir wie aus einem Munde zu. „Chi… Wir können aufgeben. Er hat uns gefunden.“ „Was?“ Chibichi wirbelte herum, blickte zum Ufer und erstarrte. „Mist.“ Dort saß niemand anderes als – mit einer äußerst beeindruckenden Größe von zwei Metern – Cerberus, der nun mit allen drei Köpfen gleichzeitig ohrenbetäubend kläffte und fröhlich mit dem Schwanz wedelte. „Warum flüchtete der Teufel vor dem Höllenhund?“, fragte Jack perplex. „Das ist eine etwas längere Geschichte…“, setzte Chibichi an und wurde beinahe direkt von mir unterbrochen. „Eine deutlich längere Geschichte, die sich aber ganz simpel zusammenfassen lässt: Wir drei haben zwischendurch mal was zusammen durchgestanden und seither kommt Cerberus uns regelmäßig besuchen. Problem dabei ist nur…“ „Der Sabber“, vervollständigte Chibichi. „Bei drei Köpfen kleckst da schon so einiges! Und krieg das mal aus Teppich und Polstermöbeln wieder raus!“ „Oh yes! Wir sind auf der Flucht vor Cerberus! Oh ja! Wir sind auf der Flucht vor Cerberus! Oh yes! Wir hauen ab nach Atlantis! Oh no, jetzt hat er uns gefunden! Oh nein, der Cerberus ist da!“, trällerte Easy vor sich hin, während das Schiff langsam auf das Ufer zuhielt und Chibichi und ich uns in unser Schicksal ergaben. Kapitel 33: Dann eben ohne uns ------------------------------ „ICH BIN EIN STAR, HOLT MICH HIER RAUS!“, brüllt Easy mit allem, was ihre gesangserprobte Stimme hergibt, und lässt die Flora – sowie vermutlich auch die darin verborgene Fauna – des palumbischen Regenwalds erzittern. „Boah, Easy!“, protestiert Jack, ihres Zeichens Easys Zwillingsschwester, als das Klingeln in ihren Ohren nachgelassen hat. „Hast du nen Knall???“ Stillschweigend muss ich ihr Recht geben – und vermutlich tun das auch die anderen Teilnehmer unserer eher unfreiwilligen Dschungel-Expedition, die da sind Chris, der dritte Sorglospunk im Bunde, Nifen, die Managerin besagter Band, und Kiwi, das offizielle Bandmaskottchen, das seit Verlassen des Flugzeugs Asyl auf meiner Wolke gesucht hat und – da die Wolke nur übernatürliche Lebewesen wie Musen, Teufeln und ähnliches trägt – meinen Schoß seither nicht mehr hat freigeben wollen. Bei meiner Wenigkeit handelt es sich um die Bandmuse und ich höre – meistens, wenn ich nicht gerade durch einen fernsehgeprägten Urschrei vorrübergehend taub geworden bin – auf den Namen Abranka. Und während jetzt gerade eine heftige Diskussion über die Erreichbarkeit von privatsendereigen Einsatzteams aus dem australischen Dschungel im südamerikanischen Palumbien mittels Urschrei losbricht, lasst mich euch kurz erzählen, wie es ausgerechnet uns in die Heimat des sagenumwobenen Marsupilamis verschlagen hat... Angefangen hat alles mit einer Beschwerde von den Nachbarn wegen Lärmbelästigung. Gut, wir mussten ja zugeben, dass Easy die Verstärker etwas laut gedreht hatte und wir somit – ungeplanterweise! – die gesamte Straße beschallt hatten. Bisher war das aber immer noch gut gegangen. Tja, wenn... Wenn das kleine Dörfchen im Schwabenländle, das wir unser sorglospunkiges Zuhause nannten, nicht einen neuen Bürgermeister bekommen hätte, der es sich zum Ziel gesetzt hatte, einen Haufen Touristen in den beschaulichen Ort zu ziehen. Und dazu passte – aus seiner kleinkarierten Sicht – eine durchgeknallte Punkband auf dem Weg zum großen Durchbruch einfach nicht. Besonders nicht, wenn den halben Nachmittag über Wurstbrot mit Senf, den Teufel und ähnlich verrückte sowie moralisch fragwürdige Dinge herumgegrölt wurde. Das war der O-Ton dessen, was er uns bei unserer Vorladung – anders konnte man diesen Termin mit Mr. B. kaum nennen – an den Kopf warf. Und dann legte er uns nahe, doch den Ort zu verlassen und wenigstens nach Stuttgart zu gehen. In der Großstadt würden diese Verrücktheiten ja nicht weiter auffallen, aber hier wären wir nicht mehr willkommen. Und dann wurden wir hinauskomplementiert, ohne überhaupt eine Chance zu haben, uns auch mal zu den Vorwürfen zu äußern. Beispielsweise indem wir die viele Öffentlichkeitsarbeit erwähnten, die die Sorglospunks auf ihren Konzerten kostenlos (!!!) für besagtes Dörfchen machten. Nichts, keine Chance. Easy war ganz bleich und schockiert, als wir aus dem Rathaus wieder nach draußen traten. Jack tobte vor Wut und verkündete, wen sie alles zwecks Protestaktion anrufen wurde. Chris unterstützte sie dabei laut fluchend. Nifen fuhr sich nachdenklich durch die Haare und überlegte, was wir am besten aus der Sache machen konnten. Und ich bemühte mich, Easy ein wenig zu trösten, denn die Tatsache, dass sie in ihrer Heimatstadt nicht mehr erwünscht war, machte ihr doch gehörig zu schaffen. Und plötzlich, mitten in Jacks große Pläne der Dorfherrschaftsübernahme mit Hilfe ihres persönlichen Fanclubs aus Fußballspielern, sagte sie: „Na, dann eben ohne uns. Sollen die doch sehen, wie sie klar kommen!“ Mit großen Augen sahen wir uns an. Easy redete zwar gerne davon, in die große Welt zu gehen, aber sie liebte das Dorf auch heiß und innig und hatte es sich bisher nicht vorstellen können, wirklich dauerhaft fortzugehen. „Nifen, war da nicht so ein Angebot mit Flügen nach Palumbien?“ „Äh, ja...“ Die Spam-Mails hatten der Managerin mal wieder etwas Interessantes beschert, nämlich Sonderpreise für Musiker, die in das ferne Palumbien in Südamerika fliegen und dort an einer Marsupilami-Such-Dschungel-Expedition teilnehmen wollten. (Für diejenigen, die es nicht wissen: Ein Marsupilami ist ausgewachsen etwa einen Meter groß, hat gelbes Fell mit schwarzen Punkten – alternativ kann es auch schwarz sein –, erinnert von der Gestalt her ein klein wenig an einen Affen und besitzt einen rund acht Meter langen Schwanz, der geknotet als Waffe genutzt wird und ansonsten zum Klettern und für diverse andere Zwecke dient.) „Gut, dann fliegen wir. Wir hauen einfach ab.“ Und damit wandte sich Easy um und marschierte uns allen voran zurück nach Hause. Wir anderen sahen uns lange an und zuckten dann mit den Schultern. Warum nicht? Etwas Abstand würde uns sicher gut tun. Und zurückkehren konnten wir ja immer noch. Wenn Chibichi, der Teufel höchstpersönlich, auf unsere Wohnung aufpassen würde, konnte ja absolut nichts schiefgehen. ...fast nichts. Denn, dass es natürlich von unseren Nachbarn und den Spitzeln des Bürgermeisters mit Argusaugen beobachtet wurde, wie Chibichi in die Sorglospunks-WG einzog und wir uns mit wehenden Fahnen, klimpernder Gitarre und unter folgendem Easy’schem lautstarkem Protestgesang zur Melodie von Rod Stewarts „Sailing“ auf den Weg zum Flughafen machten: „Wir gehen fort. Wir gehen fohooort. Jahaaa, fohooort gehen wir. Und dann sind wir weg. Einfach weeeheeeg. Weheeeg sind dann wir.“ Nifen winkte Chibichi so lange wie möglich noch zu und diese erwiderte den Gruß fröhlich und mit wehenden Teufelsschwingen. Potenziell würde dieser dämliche neue Bürgermeister sich ja noch mal überlegen, was er da ausgelöst hatte. Denn wenn jemand den Teufel auf seiner Seite hatte, war dieser jemand schließlich ein wenig unberechenbar... Und der – also der höllische Oberboss – hatte garantiert noch irgendein As im Ärmel. Tja, der Flug war in Ordnung. Die Fahrt hinaus in den Dschungel auch. Der Dschungel ebenfalls, jedenfalls so lange, bis Easy meinte, einen gelben, schwarzgepunkteten Marsupilami-Schwanz im Dickicht entdeckt zu haben, fröhlich jubelnd den schmalen Pfad verließ und uns dazu brachte ihr zu folgen – wir konnten sie ja schließlich nicht allein lassen –, sodass wir den Rest der Expedition, insbesondere unsere orts- und dschungelkundigen Führer – verloren und uns hemmungslos verliefen. Es gibt eben so Tage, da sollte man definitiv im Bett bleiben. So haben wir uns also in diese missliche Lage gebracht. Langsam ebbt die heftige Diskussion neben mir ab. Sogar die so unterschiedlichsten Zwillinge aller sorglospunkigen Zeiten können schließlich nicht ewig streiten. Insbesondere nicht angesichts der Tatsache, dass der Welt ein potenzielles sorglospunksfreies Dasein droht. Und das muss eindeutig abgewendet werden. Denn eine Welt ohne Sorglospunks ist nun wirklich nicht in dem Sinne irgendeines von uns. (Und von euch hoffentlich auch nicht!) Vermutlich wird es jetzt doch Zeit, dass ich mein übersinnliches Mobiltelefon heraushole, das an das HHO-Netz (Himmel-Hölle-Olymp-Telekommunikationsnetzwerk) angeschlossen ist. Dauerhafter Empfang und Zugriff auf das überirdische Telefonbuch jederzeit, überall und nirgendwo garantiert. „Hey, da ist ein Marsupilami!“, ruft Easy in genau diesem Moment. „Nicht schon wieder!“, protestiert Chris noch, doch die Bandleaderin ist schon ins Dickicht unterwegs. „Verliert sie nicht aus den Augen!“, kommandiert Nifen und läuft ihr als erste nach. Chris folgt leise grummelnd und Jack ebenfalls, wenn auch unter kräftigen Verwünschungen und der Beteuerung, dass instrumentale Punkmusik eine tolle Neuerung sei und eine große Zukunft besäße. So lasse ich das Handy lieber noch stecken und flitze auf meiner Wolke hinter den vieren her. Wie ich die kenne, schliddern die doch garantiert in irgendwelche Schwierigkeiten. Gedacht, vorhergesagt, eingetreten. Anders kann man den Anblick nicht deuten, der mich keine zwei Minuten später erwartet. Easy hat offenbar tatsächlich ein Marsupilami gesehen. Höchstwahrscheinlich exakt das Exemplar, das jetzt seinen langen Schwanz um ihre Beine gewickelt hat, sodass sie kopfüber herunterhängt und von ihm aus großen schwarzen Augen neugierig beäugt werden kann. Easy guckt – noch fröhlich und gelassen – nicht weniger neugierig zurück. Nifen, Jack und Chris werden vom Rest der Marsupilami-Familie – drei Kindern, von denen die zwei gelbbefellten noch nicht einmal schwarze Punkte haben (das dritte ich gänzlich schwarz), und der Gattin – in Schach gehalten, die alle vorsorglich ihre Schwänze zu großen Knoten verknäult haben. Ich verstehe zwar kein Katzisch, aber ich bin mir sicher, dass Kiwi bei diesem Anblick gerade ganz laut lacht. Ehrlich gesagt muss ich mir das Lachen auch verkneifen, weil genau so etwas so unglaublich typisch für diese Band ist. (Aber genau deswegen liebe ich diesen Job ja. Vorhersehbarkeit ist doch langweilig.) „Huba Huba?“, fragt das Marsupilami und stupst Easy in die Seite. Diese muss kichern. „Huba!“, antwortet sie und strahlt das Marsupilami an. Doch damit nicht genug. Mit einer Inspiration, an der ich absolut unschuldig bin, trällert sie auf einmal los: „Huba! Huba! Hubi Hubi Hub! Ohoooo Huba! Ohoooo Huba! Huba Hubi Hub!” Die gesamte Marsupilami-Familie fährt auseinander und schaut sie mit aufgerissenen Augen an. Jack schlägt stumm die Hand vor das Gesicht und man kann von ihrer Miene ganz eindeutig ablesen, dass sie sich wünscht, Einzelkind zu sein. Chris gestikuliert noch, dass Easy still sein soll, doch die schmettert mittlerweile mit allem, was die sorglospunks-song-erprobte Stimme hergibt, ihr spontanes Huba-Ständchen durch den Dschungel. Und was dann passiert, ist wirklich faszinierend. Die Marsupilami-Kinder springen auf einmal fröhlich durch die Gegend und stimmen in ihren Gesang ein! Doch nicht nur das, das Marsupilami summt mit und fängt schließlich auch mit leicht krächzender Stimme an zu singen. Und sein Weibchen wagt sogar ein paar kokette Tanzschritte! „Ich will ne Kamera! Das ist doch nicht zu glauben...“, murmelt Nifen leise und schüttelt den Kopf. Manchmal, da ist der Wahnsinn, der diese Band umgibt, wirklich nicht mehr zu begreifen. Ich grinse vor mich hin und lehne mich auf meiner Wolke zurück, während einige Meter neben mir die wohl erste Marsupilami-Party seit Entdeckung dieses seltenen Geschöpfs ihren Anfang nimmt. Auch Jack und Chris haben nun in den Gesang eingestimmt. Jack zweckentfremdet einen hohlen Baumstamm als Trommel, während Chris auf einem breiten Dschungelgrashalm zu pfeifen beginnt. Als echte Band ist man eben auch in der Lage zu improvisieren und all das als Instrument zu nutzen, was einen umgibt. Noch während das wilde Gehopse weitergeht und mehr und mehr Dschungelbewohner von den ungewohnten Klängen angezogen werden, klingelt mein Handy. Es ist Chibichi. „Hey, Chi, du wirst es nicht glauben, hier...“ „Abby, die wollen mich exzorieren! Dieses Dorf ist vollkommen bekloppt geworden!“ „Äh, was? Das können die doch gar nicht!“ „Natürlich können die nicht! Aber nachdem ich Luzifer und Belzebub mit hergebracht habe, um die Leute mal ein wenig aufzumischen, drehen die hier vollkommen durch!“ „Oh...“ Ich lege die Stirn in Falten und grübele nach. „Kannst du denn noch...“ „Natürlich wehre ich die ab! Keine Frage!“ Ihr Lachen dringt über die Tausende von Meilen Entfernung und fühlt sich ein bisschen an wie Zuhause und verrät mir, dass die Panik zu Beginn des Gesprächs nur gespielt war. Der Teufel will schließlich auch ein bisschen Spaß haben. „Ich unterstütze ja nur die Protestaktion der Fußballjungs. Mittlerweile haben alle Einwohner außer dem Bürgermeister die Petition unterschrieben und...“ „Was für eine Petition?“, unterbreche ich sie aufgeregt. „Dass die Sorglospunks zurückkommen sollen und die Ehrenbürgerehre erhalten, damit man sie nicht mehr rausschmeißen kann. Die Jungs weigern sich, noch Fußball zu spielen, und du weißt doch, wie der Fußball hier in der Provinz gehandelt wird...“ Klar, ohne die allwochenendlichen Fußballspiele ging da nichts! Da war ja schon endlose Langeweile bei mehr als 70% der Einwohner vorprogrammiert, wenn auch nur Winterpause war. „Und? Was sagt Mr. B.?“ „Will heute seinen Rücktritt verkünden. Und dann könnt ihr wiederkommen.“ „Das ist super!“ Ich grinse ganz breit und kraule Kiwi zufrieden das Kinn. Auch sie wird sich garantiert freuen, wieder in den gewohnten vier Wänden zu sein. „Und? Was macht ihr gerade?“, fragt Chi neugierig, die vermutlich den Dschungelzirkus hören kann. „Oooch... Nichts besonders...“ Ich schiele mit einem liebevollen Lächeln zu meinen Schützlingen hinunter. „Easy singt mit vier Marsupilamis, Jack trommelt auf nem Baumstamm, Chris pfeift auf einem Riesengrashalm und Nifen tanzt mit einem Marsupilami... Das Übliche halt.“ Tja, wenn man uns im Schwabenländle nicht will, dann eben woanders. Denn eine Welt ohne uns, die is einfach nicht! (Basta!) Kapitel 34: Vom Wolkenland ins Schwabenland ------------------------------------------- Wie jeder weiß, ist das Wolkenland nur einen Traum weit fort von der Erde. Bekanntlich kann es jeder erreichen, der es nur will. Und so, wie uns die Türen und Wege ins Wolkenland offen stehen, so sind diese genauso weit geöffnet für die Bewohner des Wolkenlandes. Und bei diesen Bewohnern handelt es sich um niemand anderes als die Glücksbärchis. „Wolkenland...“, trällerte Freundschaftsbärchi gut gelaunt und hopste fröhlich auf den nächsten Regenbogen, um auf die tiefer gelegenen Wolken hinabzurutschen, wo das glänzende, herzförmige Gebäude stand, in dem sich nicht nur der Regenbogenrettungsstrahl, sondern auch das gesamte Hauptquartier der Glücksbärchis befand. „Freundschaftsbärchi!“ Glücksbärchi winkte fröhlich aus seinem Wolkenmobil heraus, während er an der Freundin vorbeisauste. Natürlich winkte Freundschaftsbärchi zurück. Die Glücksbärchis erinnern für das menschliche Augen sehr an Teddybären, die sich vorrangig durch ihre Fellfarbe und die individuellen Muster auf ihren weißen Bäuchen unterscheiden. So besaß Freundschaftsbärchi hell orangefarbenes Fell und zwei gekreuzte, lächelnde Blumen auf dem Bauch. Glücksbärchis Pelz dagegen leuchtete hellgrün gegen den blauen Himmel und hinter dem Lenkrad ließ sich das große vierblättrige Kleeblatt auf seinem Bauch erahnen. Freundschaftsbärchi landete prustend in der Wolke und wühlte sich aus der weißen Watte wieder heraus. Dann eilte sie weiter. Schmusebärchi würde sich sicher freuen, sie zu sehen! Als sie die Halle erreicht hatte, in der sich die Maschine des Glückstrahls befand, musste sie jedoch feststellen, dass Schmusebärchi hochgradig beschäftigt war. Der Chef des Wolkenlandes mit dem rotbraunen Fell und dem großen Herzen auf dem Bäuchlein stand gerade neben dem blaubefellten Brummbärchi, von dem allein seine Füße seine Anwesenheit verrieten, lag er doch gerade unter der Konsole, mit der sich der Glückstrahl bedienen ließ. „Mistding, elendes...“, grummelte er vor sich hin, während Schmusebärchi ihn ein wenig aufzumuntern suchte. „Lächel doch mal!“, lachte Freundschaftsbärchi und gesellte sich zu den beiden. „Keine Zeit“, grollte Brummbärchi. „Der Glückstrahl ist kaputt und Schmusebärchi will dringend zur Erde.“ „Warum denn? Werden wir da gebraucht?“, erkundigte sich Freundschaftsbärchi und strahlte Schmusebärchi an. „Oh ja. Da ist jemand, der sehr dringend einen Freund braucht. Komm mal mit.“ Und damit fasste der Glücksbärchi-Anführer ihre Hand und zog sie mit ans Fenster, von wo er ein Fernrohr auf die Erde ausrichtete. „Sieh hindurch“, forderte er Freundschaftsbärchi auf. Und diese tat das nur zu gerne, waren die Glücksbärchis doch nicht nur dafür bekannt, sehr gute Freunde zu sein, sondern auch dafür, immer helfen zu wollen und das wiederum setzte eine gewisse Grundneugierde voraus. Was sie sah, ließ sie die Stirn runzeln. In dem Haus, durch dessen Fenster sie nun hineinspähte, lebten fünf Personen zusammen – sieben, wenn man die Katze und den jungen Mann in dem Fass im Garten zählte – und eine von ihnen war todunglücklich. Es war eine junge Frau, die ganz allein am Küchentisch saß und vollkommen verzweifelt und von der Welt verlassen wirkte, während sich die anderen vier – der im Fass war ja draußen – mit einer Runde Trivial Pursuit amüsierten. „Oh, wie gemein!“, rief Freundschaftsbärchi aus und trat von dem Fernrohr zurück. „Worauf warten wir noch? Wir müssen sofort los! Auf, auf!“ Aufgeregt sah die Schmusebärchi an. Dieser nickte. „Easy braucht wirklich dringend einen Freund.“ Schmusebärchi wollte noch etwas hinzufügen, doch in diesem Augenblick knallte es ohrenbetäubend und als sie herumwirbelten, sahen sie Brummbärchi quer durch die ganze Halle rutschen. Schnell nutzte Schmusebärchi seine Glücksbärchikräfte und ließ ein großes Herzkissen aus seinem Glücksbärchisymbol entstehen, das hinter Brummbärchi herflog und sich gerade noch rechtzeitig zwischen diesem und der nächsten Wand platzierte, um den Aufprall abzufangen. „Das war knapp!“, stellte Freundschaftsbärchi fest, während sie beide zu Brummbärchi hinübereilten. Dieser setzte sich glücklicherweise bereits auf und strich sich durch das Stirnfell. „Das wird Wochen dauern, Schmusebärchi, bis der Regenbogenrettungsstrahl wieder funktioniert! Wenn nicht sogar Monate.“ Schmusebärchi nickte. „Dann müssen wir ein Wolkenmobil nehmen. Das dauert zwar länger – und gerade dieser Fall ist sehr dringend –, aber es ist besser, als wenn du dir noch etwas tust.“ „Hol du das Wokenmobil, dann hole ich Glücksbärchi“, lächelte Freundschaftsbärchi. „Wozu denn Glücksbärchi?“, fragte Schmusebärchi verwirrt und auch Brummbärchi zog irritiert die Stirn kraus. „Na, Brummbärchi kann doch ganz definitiv Glück gebrauchen!“ Und damit stob Freundschaftsbärchi auch schon davon. Mit dem Wolkenmobil dauerte es wirklich länger, das kleine Dorf im Schwabenland zu erreichen, als es mit dem Regenbogenrettungsstrahl der Fall gewesen wäre. Einen Wimpernschlag Reisedauer konnte man schließlich schwerlich schlagen. So besaßen Freundschaftsbärchi und Schmusebärchi jedoch auch die Gelegenheit, einen Blick durch das Fenster hinein in die Wohnung zu werfen, während sie in großem Bogen zum Landeanflug im Garten übergingen. „Sie sieht wirklich sehr unglücklich aus…“, sagte Freundschaftsbärchi leise. „Nur gut, dass wir so schnell aufgebrochen sind.“ „Ja, hier werden wir wirklich gebraucht“, bekräftigte Schmusebärchi. Sobald das Wolkenmobil festen Boden unter den wattigen Rädern hatte, sprangen die beiden Glücksbärchis heraus und liefen zur Tür. Sie hatten Glück, dass gerade eine Nachbarin hinausgegangen war und die Tür sich so langsam schloss, dass sie schnell hindurch huschen konnten. „Und jetzt?“, fragte Freundschaftsbärchi, als sie vor der Tür standen. „Einfach klingen?“ Sie war aufgeregt. Die Entscheidung wurde ihnen abgenommen, ehe sie diese treffen konnten. Die Wohnungstür stand auf und ein junger, relativ hochgewachsener Mann mit dunklen Haaren stand vor ihnen. Seine Augen wurden groß, als er die buntbefellten Glücksbärchis sah, die ihm gerade mal bis zur Brust reichten. „Eeeeaaaaaasy! Jaaaaack! Niiiiifeeeeen! Aaaaaabraaaaaankaaaaa!“, brüllte er und versuchte gleichzeitig über seine Schulter zu blicken und die fremden Besucher im Blick zu behalten. Drei der Herbeigerufenen kamen auch sofort herbeigeflitzt. „Was brüllst du denn so, Chris?“, moserte Jack und musterte dann die beiden Neuankömmlinge prüfend. Unwillkürlich schob sich Freundschaftsbärchi hinter Schmusebärchi. Wenn die vier ihre Freundin so im Stich ließen, dann mussten das schließlich ganz, ganz schreckliche Menschen sein! „Easy hat wohl wieder irgendwo um Kaffee gebettelt“, vermutete Nifen und blickte die beiden Glücksbärchis ebenfalls sehr neugierig an. Die einzige, die weniger neugierig, als vielmehr überrascht aussah, war die Muse auf ihrer fliegenden Wolke – Musen erkannte man schließlich immer an den Wolken. „Glücksbärchis! Was führt euch denn hierher? Kommt nur herein!“, rief die Muse freundlich und bedeutete den anderen aus dem Weg zu gehen. Etwas, das diese auch taten, da sie schließlich hier eine Expertin für übernatürliche sowie fantastische Dinge an ihrer Seite hatten. Sie gingen ins Wohnzimmer und Schmusebärchi kam nicht umhin, gedanklich festzustellen, dass Easy noch immer nicht hergekommen war. Seltsam. Außerdem musste er seine Meinung von den vieren revidieren, denn sie wirkten doch eigentlich sehr nett, um nicht zu sagen herzensgut. Er wechselte einen verwirrten Blick mit Freundschaftsbärchi, doch dieser ging es offenbar nicht anders. Zuerst hatte sie sich in die Couch drücken wollen, aber nun saß sie mit baumelenden Beinen an der Kante und knabberte an einem trockenen Keks. Diese Leute waren doch nett! „Wir kommen wegen Easy“, erklärte Schmusebärchi. „Easy? Was hat sie denn schon wieder ausgefressen?“, fragte Jack erstaunt, während Abranka hinzufügte: „Und wie hat sie das im Wolkenland geschafft?“ „Ja, nein, sie hat nichts ausgefressen.“ Schmusebärchi schüttelte den Kopf. „Wir sind hier, weil sie so unglücklich ist und dringend einen Freund braucht!“ „Ja, genau! Da konnten wir doch nicht einfach so zusehen!“, fügte Freundschaftsbärchi aufgeregt hinzu. Sie waren dem Geheimnis von Easys Traurigkeit ganz dicht auf der Spur, das wusste sie genau. Die vier sahen sich an. „Ähm…“, setzte Chris schließlich an und unterbrach sich selbst. „Nifen, erklär du das. Du bist unsere Managerin, du kannst das am besten.“ „Managerin ja, aber keine Pressesprecherin“, stellte diese richtig, ehe sie anfing zu erklären. „Easy, Jack und Chris sind die Sorglospunks, eine Band. Ich bin ihre Managerin und Abranka ist ihre Muse“, stellte sie die Grundlagen dar. „Nun, und da die Band noch nicht besonders berühmt ist…“ „Aber auf dem besten Wege dazu!“, schallte es aus der Küche, denn egal wo auch immer über die mangelnde Berühmtheit der Sorglospunks gesprochen wurde, wusste Easy die Antwort darauf. Denn berühmt werden würden sie einmal, das war doch sonnenklar! „…aber auf dem besten Wege dazu“, griff Nifen routiniert den Einwurf auf und fuhr gelassen fort: „...stecken wir bedauerlicherweise wieder einmal in finanziellen Schwierigkeiten. Und das finanzielle Desaster ist derart groß, dass wir Kaffee und Schokolade rationieren mussten.“ Jack gab ein leises Seufzen von sich, in das die Muse Abranka sofort einstimmte. Und auch Chris sowie Nifen selbst zogen ein Gesicht wie Zahnschmerzen. „Und da Easy ein absoluter Kaffeejunkie ist, nimmt sie die Rationierung am meisten mit. Deswegen ist sie so todunglücklich.“ „Wir können leider keinen Kaffee mehr von den Nachbarn leihen“, ergänzte Chris. „Die glauben uns langsam nicht mehr, dass wir den auch noch mal ersetzen...“ Jack, Nifen und Abranka nickten kummervoll. „Oha...“ Schmusebärchi und Freundschaftsbärchi sahen sich an. Das war ja wirklich eine harte Nuss. Das hier war alles sehr gute Freunde, die bereit waren, für einander einzutreten und die sich beistanden, aber sie hatten Probleme! „Können wir euch irgendwie helfen?“, fragte Schmusebärchi schließlich und lächelte in die Runde. „Genau, irgendetwas müssen wir doch tun können!“ Freundschaftsbärchi hibbelte auf dem Sofa herum. „Haben wir nicht im Wolkenland noch Kaffee und Schokolade?“, fragte Schmusebärchi. „Brummbärchi trinkt doch auch so gerne Kaffee…“ „Und Liebkos und Gernegroß essen doch gerne Schokolade!“, jubelte Freundschaftsbärchi und sah das Problem schon gelöst. „Das ist sehr lieb von euch, aber…“, ergriff jetzt Jack das Wort. „…wir möchten keine Almosen. Wir möchten schon alleine klar kommen und allenfalls was leihen, was wir dann zurückgeben…“ Ihr fielen die Worte sichtlich schwer, da die Lösung für das Ende des Easy’schen Depression zum Greifen nah war – aber doch nicht umsetzbar. „Können wir dafür nicht irgendwie bezahlen?“, fügte Chris hinzu. „Mhm…“ Freundschaftsbärchi legte die Stirn in Falten und zupfte an einem ihrer plüschigen Ohren. „Wie wäre es mit einem Auftritt im Wolkenland?“ Schmusebärchi lächelte in die Runde. „Super!“ „Gigantisch!“ „Klasse!“ „Easy!“ „Easy, wir haben das Kaffeeproblem gelöst!“ „Easy, wir brauchen einen neuen Song!“ So ging es auf einmal Schlag auf Schlag. Die vier drehten vor Begeisterung beinahe durch und sausten dann geschlossen in die Küche davon. Freundschaftsbärchi und Schmusebärchi sahen sich zufrieden an. Ging doch! Und ein Konzert im Wolkenland war doch garantiert eine richtig tolle Idee. Und so war es auch. Die Sorglospunks blühten bei dem Konzert vor den Glücksbärchis – sowie ihren Cousins aus dem Wald der Gefühle, die selbstverständlich auch eingeladen worden waren – richtig auf. Nicht nur ihre Kaffee- und Schokoladenkrise fand damit ein Ende, sondern sie fanden auch neue Freunde. Und für das Repertoire der Band sprang auch noch ein neuer Song dabei heraus. „Und vom Schwabenland geht’s ab ins Wolkenland, Wolkenland, Wolkenland! Und vom Schwabenland geht’s hinauf In die Woooohooolken! Wusstest du nicht, das Wolkenland, das ist doch um die Ecke, nur einen Traum weit weg? Wusstest du nicht, da leben, ja da leben, die Glücksbärchis? Oh ja, vom Schwabenland geht’s ab ins Wolkenland, Wolkenland, Wolkenland! Juhu! Vom Schwabenland geht’s hinauf In die Woooooohoooolken!“ Kapitel 35: Der Schatz der pinken Pinkapinkopinkapinks ------------------------------------------------------ „Schaut mal, ich hab eine Schatzkarte gekauft!" Bis Easy diesen Satz rief, war der Flohmarktbesuch der Sorglospunks – die da waren: Sängerin Easy, Multipercussionswunder Jack, Bassist und Gitarrist Chris sowie Managerin Nifen und Bandmuse Abranka (meine Wenigkeit) – vollkommen ruhig und eher langweilig verlaufen. „Oh, toll“, antwortete Jack sarkastisch und warf nur einen sehr kurzen Blick auf das vergilbte Papier, das ihre Zwillingsschwester in der Hand hielt. „Cool!“ Chris war da weitaus begeisterter. „Und um welchen Schatz geht es? El Dorado?“ „Nein, das ist die Karte zum Schatz der pinken Pinkapinkopinkapinks!“ Easy blickte strahlend in die Runde, während wir uns allesamt skeptische Blicke zuwarfen. „Ähm, Easy, wo hast du die gekauft? Bei dem Kinderstand?“ „Ja! Und die Kinder haben die von einem alten Seemann! Und der hat die wiederum von…“ „Easy, ich glaube, ich muss dir mal etwas über die Menschen erklären…“ Jack legte ihr den Arm um die Schultern und führte sie fort, während sie leise auf Easy einredete. Dabei wurde die Miene der sorglosesten Frontfrau der Welt immer trüber. „Also gibt das keinen Schatz?“, fragte sie schließlich traurig. „Nein, ich fürchte nicht.“ Jack lächelte schwach und fuhr ihrer Schwester kurz durch die Haare. Easy zog einen Flunsch und drückte dann mir die Karte in die Hand. So etwa Enttäuschendes wollte sie nicht mehr haben! Ich blickte auf die Karte. Wirklich eine gut gemachte Fälschung. Das musste man dem kreativen Kopf hinter dieser Sache lassen. Wenn nicht die einzige Karte zu diesem sagenumwobenen Schatz – denn als Muse wusste ich natürlich ein wenig mehr über sagenumwobene Schätze Bescheid, bin ich doch selbst ein eher sagenumwobenes Geschöpf – schon seit einem guten Dutzend Jahrhunderten als unrettbar verloren galt. Schade, wirklich schade… Ich schaute noch einmal auf die Karte und erstarrte dann. Der Lichtwechsel, während sich meine Wolke weiterbewegte und ich dabei auf den Bogen Pergament geblickt hatte, besaß einen erstaunlichen Effekt. Die Schrift schillerte auf einmal Pink! Moment! Konnte es wirklich sein, dass… Hastig hielt ich die Karte gegen das Sonnenlicht. Tatsächlich! Da war das in den Ruinen von Olmaracho überlieferte und in der Bibliothek des Olymp verzeichnete Pinkapinkopinkapink-Wasserzeichen! Und das war so speziell mit pinkfarbenen Farben in das Papier eingearbeitet, dass diese Karte nur echt sein konnte! „Easy!“, rief ich aus. „Easy, du hast eine echte Karte gefunden!“ „Ach, Quatsch mit Soße“, gab diese grummelnd zurück. „Jack hat Recht. Alle wollen sie einen über den Tisch ziehen – und dabei am besten noch gleich das Geld aus der Tasche.“ „Unsinn! Äh, nein, stimmt schon, aber in diesem Fall nicht. Die Karte ist echt! Musenehrenwort!“ Das ließ die Band samt Managerin wiederum aufhorchen. „Kein Scherz?“, fragte Chris mit großen Augen. „Wenn sie uns das Musenehrenwort gibt, dann ist das absolut ernst gemeint“, erwiderte Nifen. Ein Musenehrenwort war schließlich mindestens doppelt soviel wert wie ein Indianerehrenwort. „Wahnsinn!“ Easy jubelte los. „Wir suchen einen Schatz! Wir suchen einen Schatz!“ „Yeah.“ Jack starrte mich noch immer verblüfft an. „Wir suchen echt nen Schatz.“ Kaum zurück im Sorglospunks-Hauptquartier aka unserer Wohngemeinschaft machten wir uns an die Planung. „Schau, das hier, das sieht aus wie Südamerika…“, schlussfolgerte Easy und deutete auf einen Küstenstreifen auf der Karte. „Quatsch, das ist Madagaskar!“, gab Jack zurück. „Oh, nein, ganz eindeutig Neuseeland“, mischte sich Chris ein. Nifen und ich sahen uns an. „Ihr liegt total falsch.“ „So? Und was ist es dann?“, kam es von den dreien zurück. „Na, ganz eindeutig ist das sagenumwobene Pinkaponka“, kam mein Einwurf. „Na toll. Und wo ist das?“, stöhnte Easy auf. Nifen grinste breit. „Auf den Azoren. Wenn man sich diese Küstenlinie hier ansieht und diese Hügelkette hier und den Vergrößerungsfaktor berücksichtigt…“ „Geil!“ Easy jubelte und tanzte durch das Zimmer, noch ehe Nifen ausgesprochen hatte. „Wir fahren auf die Azoren! Wir fahren auf die Azoren!“ Und damit legte sie einen Spontantanz im Wohnzimmer hin. „Easy, du hast da eine Kleinigkeit vergessen...“, nahm Jack erneut ihre Rolle als Misepeter der Nation, pardon, Band, wahr. „Und was?“ Mit großen Kulleraugen blickte diese ihre Schwester an. „Wie sollen wir denn da hinkommen? Wir haben kein Geld für den Flug!“ „Na, ist doch easy.“ Nifen grinste. „Wir haben doch den Teufel als Freund, oder nicht?“ „Chiiiiiii!“ Und damit flitzte Easy auch schon Richtung Telefon und wählte die teuflische Rufnummer – die übrigens mehrfach das Zahlenbündel 666 enthielt. Natürlich war Chibichi sehr gerne bereit, ihre liebste Lieblingsband bei einer Schatzsuche nicht nur zu unterstützen, indem sie uns mit dem teuflisch-zauberhaften Wunderauto Baby auf die Azoren brachte, sondern sich unserer Expedition gleich anzuschließen. Wir landeten auf der Insel Pico – übrigens die zweitgrößte Insel der Azoren – und dort im Hochland. Hier war es menschenleer und vor uns erstreckte sich die weite Ebene, bis sie Richtung Meer abfiel. Hinter uns erhoben sich die Berge, unter denen der Vulkan Ponta de Pico in den Himmel ragte. Und genau dieser war nach genauerer Betrachtung der Karte – und einer hitzigen Diskussion, wo sich denn nun Norden befand, der erst durch Chibichis äußerst vielseitig einsetzbares Hell-o-Berry Abhilfe geschaffen werden konnte – unser Ziel. „Irgendwie bei dem Vulkan muss der Schatz sein!“, verkündete Easy, während wir in dem teuflischen Wunderauto über die unebene Schotterpiste sausten. „Und warum bist du dir da so sicher?“, erkundigte sich Chris neugierig, hatte sich Easy bisher doch nicht gerade als kartenlesefähig erwiesen. „Na, die ganzen Ps sind doch ein ganz eindeutiger Hinweis!“ Was wir nicht bemerkten, während wir munter und aufgekratzt regelrecht über die Hochebene flogen, war, dass wir nicht allein waren, sondern sich jemand an unsere Fersen geheftet hatte. Jemand, der uns nichts Gutes wollte… Nachdem wir etwa 500 Höhenmeter hinter uns gebracht hatten, hatte auch das teuflische Wunderauto die Grenzen seiner Fähigkeiten erreicht. Somit mussten wir nun zu Fuß weitergehen. Bereits nach fünf Minuten kam es von Easy: „Wie weit ist es denn noch?“ „Nicht mehr weit“, antwortete Jack mit einem Blick zu mir monoton. Sowohl ihr als auch Easy, Nifen und Chris war anzusehen, dass sie auch gerne auf meiner Wolke Platz genommen hätten. Doch da nur übersinnliche Wesen wie Musen und der Teufel nicht durch die weiche Wattemasse fielen, mussten die vier laufen, während Chibichi und ich den Wolkentransport genossen. Dafür lasen wir aber auch die Karte und lotsten so unsere tapferen Sorglospunks sicher den Pfad entlang, ohne einen Irrweg zu machen. Endlich erreichten wir einen schmalen Durchgang an einer steil aufragenden Felswand. „Müssen wir etwa dort hinein?“, quietschte Chris erschrocken. Seitdem wir in die Hölle hinabgestiegen waren und eine recht furchterregende Begegnung mit den drei Furien gehabt hatten, hielt er nicht mehr allzu viel von solch ähnlichen Orten. „Exakt.“ Chibichi lächelte ihm aufmunternd zu. „Mach dir keine Gedanken. Wir sind schließlich bei dir“, fügte Jack hinzu, was Chris zu dem Schneiden einer Grimasse verleitete. „Deswegen mache ich mir ja eher mehr Sorgen! Zusammen ziehen wir immer irgendwelche komischen Dinge an. Und es geht immer alles schief“, entgegnete er besorgt. „Ach, jetzt übertreibst du aber…“, winkte Jack ab. „Ja, ja, und wie war das mit den Werwölfen und dem Angst-Doktor und…“ „Rede nicht so viel, sondern komm lieber mit!“, unterbrach ihn Easy in diesem Augenblick. Denn während sich Chris noch echauffierte, hatten wir anderen uns bereits durch den schmalen Durchgang gequetscht. Leise fluchend kam Chris hinterher. In dem Fels war es – natürlich – dunkel. Nur gut, dass die sorglospunkige Schatzsucherausrüstung neben einer großen Thermoskanne Kaffee für jeden Teilnehmer – für Nifen Tee – und der obligatorischen Tafel Schokolade auch jeweils eine dicke Taschenlampe enthielt. Langsam tasteten wir uns über Schutt, Knochenresten von Tieren und diversen Dingen, von denen wir gar nicht wissen wollten, worum es sich dabei handelte, vorwärts. Immer wieder knirschte oder knackte etwas unter den Füßen der mutigen Schatzsucher. Es war still. Unheimlich still, denn Stille war etwas, das die Sorglospunks normalerweise nicht umgab. Endlich fand der schier endlose Gang, der sich immer tiefer unter die Erde wand, ein Ende. Vor uns erhob sich eine große Höhle, die mit Stalagmiten und Stalaktiten erfüllt war. „Guckt mal, da ist ne Tür!“, rief Easy aufgeregt und stürmte voraus. Die Bezeichnung Tür war für das vor uns gen Decke ragende Tor eine eklatante Untertreibung. Aber auf jeden Fall war das ein Zeichen, wo es weitergehen sollte. Dummerweise öffnete sich das Tor jedoch nicht, auch nicht, als wir uns alle gemeinsam an den Türgriff hängten und daran zogen. „Und jetzt?“, fragte Nifen resigniert. „Tja…“ Ich legte die Stirn in Falten und sah Chibichi an, die mit den Schultern zuckte. „Guck mal, da steht was“, stellte Jack in dem Moment fest und deutete auf ganz feine, pinkfarbene Einkerbungen in der Tür. Da stand wirklich etwas. Nur dummerweise war das auf Pinkapinko. „Und da is noch nen Piktogramm!“, fügte Chris hinzu und zeigte mit dem Finger auf eine verblasstes Graffiti an der steinernen Wand. „Sieht aus wie jemand mit ner Lampe…“ „Klar, Licht! Wir brauchen Licht, um das Tor zu öffnen!“, schlussfolgerte Easy jubelnd, zückte ihre Taschenlampe und hielt sie auf das Symbol, das nun auch hübsch Pink glitzerte. Das war es aber auch schon. Chibichi und ich sahen uns an. „Think pink!“, sagten wir beide synchron und grinsten. Nur gut, dass wir das Hell-o-Berry dabei hatten. Flugs wurde das Hintergrundbild ein wenig anders eingefärbt und dann die Lichtstärke hochgedreht. Damit hatten wir einen regelrechten pinkfarbenen Scheinwerfer. Und der beeindruckte die Tür jetzt auch. Knarrend öffnete sie sich vor uns. „Schatz, wir kommen!“, trillerte Easy und hüpfte voraus. Ich musste angesichts ihrer Worte grinsen, folgte dann aber den anderen sorglos voranpreschenden Schatzsuchern. Die Tür konnte man sicher nur mit pinkfarbenem Licht wieder schließen, von daher gab es keinen Grund, uns Sorgen zu machen. …nicht wahr? „Schau, schau, schau!“ Begeistert hüpfte Easy zwischen einigen Truhen umher, die sie in dem riesigen Gewölbe ausgemacht hatte. Jack bestaunte einige Wandteppich, die hauptsächlich in der Farbe Pink gehalten waren, während Nifen einige antike – älter noch als antike – Schriftrollen entdeckt hatte. Chris blieb vor einer Statue stehen, die ein hübsches junges Mädchen darstellte und in unterschiedlichen Pinktönen bemalt war. Chibichi und ich betrachteten das alles mit etwas mehr Abstand, waren wir doch gewisse Dinge anders gewohnt. Und antike Schätze gehörten dazu. Dennoch verspürten auch wir ein gewisses Gefühl der Erhabenheit und Begeisterung. Wir hatten den verlorenen Schatz der pinken Pinkapinkopinkapinks wirklich gefunden! Ein Geräusch hinter uns, aus der Nähe des Tores, ließ uns herumfahren. „Ssssieh an, sssssieh an!“, lispelte Alecto und lächelte uns hinterhältig an. Hinter ihr standen ihre zwei Schwestern Megaira und Tisiphone. Alle drei zusammen waren niemand anderes als die gefürchteten Furien und unsere Erzfeindinnen seit unserem Trip in die Hölle. Sie hielten mit pinkfarbenen Schleiern umhüllte Lampen in den Händen und wirkten damit nach einem Augenblick des Begreifens nicht mehr lächerlich, sondern äußerst gefährlich. „Viel Sssspassss dabei, auf ewig hier zu versssschmoren!“, grollte Megaira und richtete das pinkfarbene Licht auf die Tür. Langsam begannen sich die Torflügel zu schließen. „Oh nein!“, kam es von Jack. Sie griff sich einen Wandteppich und stürmte vorwärts. „Think sorglos!“, gellte Easys Kampfschrei hinterher und sie warf einige schwere goldene mit pinkfarbenen Juwelen – sogenannten Pinkinen – besetzte Schmuckstücke in Richtung der Furien. Bei Megaira landete sie auch einen Volltreffer und diese sank ohnmächtig zu Boden. Für einen Augenblick verharrten die Torflügel, dann hatte Tisiphone die Lampe emporgerissen, den Schleier gerichtet und bestrahlte das magische Symbol weiterhin. Doch jetzt war Jack da. Mit einem wilden Kampfschrei warf sie den Wandteppich über die Furie und kugelte mit ihrem sich heftig wehrenden, aber eingewickelten Opfer über den Boden. Nun war es Alecto, die die Lampe schwang, und sich, ohne sich um ihre Schwestern zu kümmern, an die teuflische Arbeit machte. Sie hatte aber nicht mit uns gerechnet. Chris und Easy stürzten sich gleichzeitig auf sich, während Chibichi ihr die Lampe mit einem zuckersüßen Lächeln abnahm. Nifen kam mit einigen Goldketten herbeigeeilt, mit denen wir die Furien dingfest machten. „Also, die werden gefeuert!“, grollte Chibichi und stemmte die Hände in die Hüften. „Ganz definitiv werden die gefeuert. Und da können mir Luzifer und Beelzebub noch so sehr mit Kündigungsschutz kommen!“ „Uah, wir haben die Furien gefangen! Wir haben die Furien gefangen! Uh yeah, wir haben den Schatz gefunden! Wir haben den Schatz gefunden!“, improvisierte Easy und sang fröhlich vor sich hin. Sie verstummte allerdings, als die Erde auf einmal anfing zu zittern. „Was ist das?“, fragte Chris angsterfüllt. „Die Höhle stürzt ein!“, erkannten Chibichi und Nifen die Situation zeitgleich. „Her mit den Gefangenen!“ Die Furien wurden auf meine Wolke gewuchtet, die sich glücklicherweise auch ein wenig ausdehnen konnte, wenngleich sie sich damit auch verdünnte, sodass es reichlich unbequem auf ihr wurde, auf ihr zu sitzen. Kaum waren die drei bei mir verstaut, ging die wilde Jagd auch schon los. „Verdammt, warum kracht das auf einmal alles zusammen?“, fluchte Jack, während wir zwischen Stalaktiten und Stalagmiten hindurchrannten. „Ich schätze, die Wandteppiche haben eine Falle verborgen!“, gab Chibichi zurück. „Haltet die Klappe und lauft! Diskutieren könnt ihr später!“, erwiderte ich und sauste voraus, um den Weg zu beleuchten. Gerade so gelang es uns, aus dem Felsspalt ins Freie zu kommen. Direkt hinter Chris, der als letztes den Berg verließ, krachte ein riesiger Felsbrocken hinunter und versiegelte den Eingang zu dem sagenumwobenen Schatz der pinken Pinkapinkopinkapinks. Vermutlich für immer. „Und damit hatten wir mal nen Schatz…“, murmelte Jack traurig. Alle finanziellen Sorgen waren damit wieder da und nicht so schön fortgeweht, wie es vorher schien. „Aber dafür hatten wir ein Abenteuer.“ Easy strahlte. Kapitel 36: Kiwi ist weg! ------------------------- „Kiwi ist weg!!!“ Easys Stimme gellte durch das Haus und ließ ihre Zwillingsschwester aus dem sanften Dämmerschlaf hochschrecken, in den Chris’ Herumgeklimper auf der Gitarre, um einen neuen Song – „Eine Powerballade muss das sein!“ – zu finden, sie versetzt hatte. „Boah, Hölle…“, knurrte Jack und richtete sich auf. Im gleichen Augenblick stürmte Easy das Wohnzimmer. Die sonst so sorglose Frontfrau der wohl sorglosesten Punkband der Welt war absolut nicht sorglos, sondern unverkennbar der Panik nahe. „Sie ist nicht in der Küche, nicht in meinem Zimmer, nicht im Keller, nicht im Garten, nicht in Lenns Fass, nicht in Nifens Büro, nicht…“, keuchte sie panisch. „Ruhig, Easy.“ Jack, das Multipercussionswunder, tätschelte ihrer Schwester die Schulter. „Genau, atme erst mal tief durch“, stimmte Chris, den die Bezeichnungen Komponist und Gitarrenliebhaber am besten beschrieben, ihr zu. „Was ist denn los?“, erkundigte sich in dem Augenblick Nifen, die Bandmanagerin, die gemeinsam mit mir den Raum betrat. Meine Wenigkeit ist die Muse der Band und als solche stets schwer damit beschäftigt, Easy in den Hintern zu treten, damit sie neue Songtexte schreibt, denn sie zeichnen vor allem KreaTief-Anfälle, Schreibblockaden und Schreibunlust aus. Dass dazu eine unglaublich kreative Art von Kreativität kam, machte mir meine Arbeit allerdings nicht unbedingt leichter. „Kiwi ist weg!!!“, heulte Easy und krallte sich so an Jacks Arm fest, dass diese leise aufstöhnte. „Immer mit der Ruhe. Katzen gehen manchmal einfach ein wenig weiter spazieren…“, versuchte Nifen das Nervenbündel zu beruhigen, doch damit hatte sie keinerlei Erfolg. „Nein! Kiwi geht nicht weg! Das findet sie viel zu anstrengend!“ Okay, Punkt für Easy, notierte ich in Gedanken. Denn das Bandmaskottchen besaß als Hobby tatsächlich das Leeren ihres Futternapfes und das Erschnorren von möglichst vielen Leckerchen, sodass sie a) recht gut genährt war und b) zuviel Bewegung für viel zu anstrengend hielt, wenn an deren Ende nicht eine ganz besondere Leckerei wartete. Das war auch die einzige Methode, wie wir sie hin und wieder zu Trainingszwecken auf das Laufband bekamen… „Und das letzte Mal, als sie weg war, da ist sie entführt worden!“ Und noch ein Punkt für Easy. Das war tatsächlich der Fall gewesen und niemand anderes als Wilhelm Tell hatte sich als der Entführer entpuppt. Schweigen herrschte nach Easys Einwänden. „Wir müssen was tun!!!“, jammerte diese, nachdem sich auch noch nach fünf Minuten nichts getan hatte. „Und was? Einfach drauflos stürmen bringt doch nichts.“ „Genau, das endet wir bei unserer Tour in die Hölle“, fügte Chris zu Jacks Worten hinzu. „Aber was machen wir dann?“, fragte Nifen. „Chibichi anrufen?“, warf ich ein. Denn der Teufel höchstpersönlich war unsere Allzweckwaffe gegen alle möglichen Probleme. „Chiiiiii!“, jubelte Easy und stürmte zum Telefon. Nur eine Minute später kam sie jedoch tief enttäuscht wieder zurück. „Höllische Konferenz. Sie kann da absolut nicht raus, obwohl sie gerne würde.“ Easy machte ein langes Gesicht. „Okay, dann müssen wir das selbst hinkriegen.“ Ich rieb mir die Hände. „Vorschläge?“ „Panik schieben.“ „Abwarten.“ „Was Essen.“ „Kaffee trinken.“ „Kiwi suchen.“ „Panik schieben.“ „Kiwi suchen!“ „In den WWWB-Markt gehen.“ „Im Tierheim nachfragen.“ „Lenn wecken.“ (Unseren Bandphilosophen, der draußen im Garten nach Diogenes’scher Manier in einem Fass lebte.) „Kiwi suchen!!“ „Schokolade essen.“ „E-Mails checken.“ „Einen neuen Song schreiben.“ „Kiwi suchen!!!“ „Mhm, okay, Kiwi suchen gewinnt“, sagte ich. „Aber wo sollen wir anfangen zu suchen?“, moserte Jack. „Kiwi kennt den Weg in die Hölle, zu den Glücksbärchis, ins Comicland, ins Literaturland… Sie kann überall sein!“ „Ja, aber…“ „Es ist absolut unmöglich, sie zu finden, Easy! Wenn du keinen Kiwi-Sensor hast, packen wir das nie!“ „Lief da nicht neulich eine ‚Stolz und Vorurteil’-Verfilmung?“, warf Chris in den Raum. „Ja..“ Nifen war sofort wie elektrisiert. „Du meinst, sie ist dahin?“ „Kiwi hat ziemlich vor dem Bildschirm geklebt und jedes Mal gemaunzt, wenn Mr. Darcy auftauchte“, gab ich zu Bedenken. „Wir müssen nach ‚Stolz und Vorurteil’!“, entschied Easy und in diesem Fall fielen sogar Jack keine Einwände mehr ein. Nifen ging bereits los, um ihre SuV-Ausgabe zu holen, während Chris einen Spiegel organisierte. „Schaffen wir das denn ohne Chibichi?“, fragte Jack besorgt, als wir alle zusammen saßen, uns an den Händen hielten, um eine lange Sorglospunks-und-Crew-Kette zu bilden, und Nifen das Buch aufschlug. „Ach, klar. Ich bin schließlich auch etwas übernatürlich.“ Ich zwinkerte ihr zu und bedeutete Nifen mit dem Lesen zu beginnen, während ich konzentriert in den Spiegel blickte. In der ganzen Welt gilt es als ausgemachte Wahrheit, dass ein begüterter Junggeselle unbedingt nach einer Frau Ausschau halten muss… Die Welt schien urplötzlich nur noch aus Worten auf Spiegeln zu bestehen, die durch sie tausendfach gespiegelt wurden. Alles drehte sich von oben nach unten, wurde vielfach gespiegelt, gebrochen und wieder zusammengefügt. Und einen Wimpernschlag später saßen wir im matschigen Gras neben einem schlammigen Weg im südlichen England. Eine Kutsche fuhr im rasenden Tempo an uns vorbei und die galoppierenden Pferde und der ratternde Wagen bespritzten uns von oben bis unten mit Schlamm. „Bäh!“ Jack sprang auf und wollte der Kutsche schon Faust schwingend hinterher, doch Chris hielt sie geistesgegenwärtig zurück. Wir waren schließlich nicht hier, um rasende Kutscher zu vertrimmen. „Also, Nifen, wo müssen wir lang?“ Schließlich war Nifen ein absoluter SuV-Fan und somit perfekt als unserer menschliches Navigationssystem geeignet. „Da lang. Wenigstens, wenn ihr annehmt, dass Kiwi wirklich Richtung Netherfield gelaufen ist.“ Nifens hochgezogene Augenbraue verriet nur allzu deutlich ihre Skepsis. „Tja, leider haben wir keinen Katzenflüsterer dabei“, murrte Jack und stapfte als erste los. „Wo befinden wir uns eigentlich in der Handlung?“, erkundigte sich Easy. Eine sehr berechtigte Frage, würde das doch den Ort beeinflussen, an dem sich die Charaktere aufhielten. „Ziemlich am Anfang, glaub ich“, erwiderte Nifen. „Allerdings ist das schwer zu sagen, weil die Landschaft natürlich immer gleich aussieht…“ „Gleich schön immerhin“, grinste Chris. Er hatte Recht. Diese englischen Wäldchen, die sich mit den Feldern und Wiesen abwechselten, waren wirklich äußerst idyllisch. „Sagt mal…“, begann Jack nach einer Weile des Wanderns, „Was sagen wir eigentlich Bingley und Darcy, wenn wir denen gegenüberstehen? Gebt uns unsere Katze raus?“ „Klar, was sonst!“ Easy war dafür natürlich sofort Feuer und Flamme. „Wir sollten eher höflich fragen“, warf ich ein. „Es könnte ja sein, dass wir uns irren…“ „Oder dass Kiwi in einem späteren Teil der Handlung gelandet ist und sich in Pemberley befindet. Da gibt es immerhin tolle Fischteiche…“, warf Nifen ein „Kannst du dir Kiwi beim Fische fangen vorstellen?“ Chris’ sah die Bandmanagerin ungläubig an. „Nein, aber an einem Tisch, wo Fisch serviert wird“, entgegnete diese fröhlich. „Und bei einem Haus mit ertragreichen Fischteichen in der Nähe, dürfte es häufiger mal welchen geben, oder meinst du nicht?“ Das Argument war durchaus schlagend zu nennen und somit schwieg Chris. Wenigstens so lange, bis wir stehenblieben, um einer weiteren Kutsche auszuweichen, die den Weg entlangrauschte. Darin saß niemand anderes als die rothaarige Caroline Bingley. „Biest…“, murmelte Easy leise. Auch sie hatte wenigstens eine der vielen SuV-Verfilmungen gesehen – wenn man mit einem derartigen Fan wie Nifen unter einem Dach lebte, geschah das früher oder später nahezu zwangsweise – und besaß keine allzu hohe Meinung von der jungen Dame. „Kopf hoch. Mit etwas Glück laufen wir ihr gleich nicht über den Weg.“ Jack tätschelte Easy die Schulter. „Du kennst doch unser Glück…“, murrte diese. Easy sollte Recht behalten. Niemand anderes als Caroline Bingley war im Salon anwesend, als wir – völlig verdreckt und verschwitzt – an die Tür geklopft und von einem Bediensteten unter gerümpfter Nase eingelassen worden waren. Mit hochgezogenen Augenbrauen, kritisch-abfälligen Blick und einem angewidert verzogenen Mund betrachtete sie uns. „Was führt die Herrschaften zu uns?“, fragte sie direkt, vermutlich, um uns am besten sofort wieder loszuwerden. „Wir suchen unsere Katze!“, platzte Easy heraus. Und das, obwohl wir vorher abgesprochen hatten, dass Nifen reden würde. „Eure Katze?“ Jetzt war Caroline Bingley verblüfft. „Warum sollte Eure Katze hier sein?“ „Wegen Mr. Darcy!“ Wieder war Easy schneller als Nifen. Jack trat ihrer Schwester unsanft auf den Fuß und fasste sie am Arm, in der Hoffnung dafür sorgen zu können, dass diese das nächste Mal den Mund hielt. „Wegen Mr. Darcy?“ Es war überraschend festzustellen, dass Verblüffung steigerungsfähig war, aber in dem Gesicht von Caroline Bingley ließ sich genau das ablesen. „Wieso?“ „Das wissen wir leider auch nicht.“ Diesmal war Nifen schneller, denn Jack hatte Easy einfach den Mund zugehalten. Das war manchmal die effektivste Methode, um die energiegeladene Frontfrau zu bändigen. „Wir haben nur den Verdacht, dass…“ Weiter kam sie nicht. „Aufgrund eines Verdachtes stört Ihr mich bei meiner Nachmittagsruhe und erlaubt Euch, mir eine solch verrückte Geschichte zu erzählen?“ Der verblüffte Ausdruck in Caroline Bingleys Augen wurde zornig. „Verlasst augenblicklich mein Haus!“ „Aber Kiwi…“, jammerte Easy leise unter Jacks Hand hindurch. „Raus!“ „Mist!“, fluchte Chris, als wir wieder draußen waren. „Hast du Kiwi irgendwo sehen können?“, wandte sich Nifen an mich, da ich während des wenig erfreulichen Gesprächs mit der Hausherrin die Zeit dafür genutzt hatte, mich im Unsichtbarkeitsmodus ein wenig umzusehen. „Nein. An keinem ihrer Lieblingsorte war sie.“ Das bedeutete, dass ich vorrangig nach sonnigen Schlafplätzen, weichen Kissen und in der Nähe von Futter Ausschau gehalten hatte. „Es waren auch keine Spuren zu entdecken.“ Wie Katzenhaare zum Beispiel. Oder schlammige Pfotenabdrücke. „Also auf nach Pemberley.“ Nifen ging voran und fand recht schnell die nächste Haltestelle des Literaturexpresses. Einer Ahnung folgend nannte sie als unser Ziel das Ende des Romans – und damit den Teil, in dem das gemeinsame Leben von Elizabeth und Fitzwilliam Darcy als Ehepaar begann. Und das in der neusten Verfilmung nur als kitschige Zusatzszene zu sehen war. „Na, ich hoffe mal, die sind freundlicher als dieses Biest…“, murmelte Easy. „Hey, wenn du Nifen hättest reden lassen, dann wären wir sicher nicht so schnell rausgeflogen! Nur, weil du deine verdammte Klappe nie halten kannst…!“, fuhr Jack ihre Zwillingsschwester an. Sie hatte ganz offensichtlich langsam genug. „Pst! Oder wollt ihr, dass wir uns so ankündigen?“, zischte Nifen den beiden Streithennen zu und läutete an der Tür, denn mittlerweile standen wir bereits vor der Haustür zu dem großen Anwesen. Beinahe augenblicklich wurde die Tür aufgerissen und Georgiana Darcy stand vor uns. „Seid gegrüßt, Ihr lebhaften Gäste! Nur herein!“, trällerte sie und bedeutete uns einzutreten. Chris lächelte unsere Gastgeberin strahlend an und schien einen Augenblick lang zu vergessen, dass in der Realität seine hübsche japanische Freundin auf ihn wartete. Sie führte uns in den Salon, wo wir ebenso höflich wie zurückhaltend von Darcy und Elizabeth begrüßt wurden. „Verzeihen Sie, unsere Frage mag ungewöhnlich erscheinen, aber haben Sie vielleicht eine Katze gesehen? Sie ist grau-braun-getigert und ein wenig füllig…“, fiel Nifen nahezu mit der Tür ins Haus, da sie gewisse Sorge hatte, ansonsten keinen Ton herauszubekommen. „Nicht, dass ich wüsste.“ Darcy warf einen Blick zu Elizabeth hinüber. „Nein, wir haben nur einige schwarz-weiße Katzen im Garten.“ Elizabeth hob die Schultern. „Aber bitte, trinkt doch eine Tasse Tee mit uns.“ Sie lächelte in die Runde. Nifen nahm das Angebot sofort an und notgedrungen ließen sich auch die eingefleischten Kaffeejunkies Easy, Jack und Chris nieder. Ich nutzte derweil die Gelegenheit, mich im Haus umzusehen. Keine fünf Minuten später war ich wieder zurück und glitt auf meiner Wolke unsichtbar an Nifen heran. „Es gibt Kiwi-Spuren im ersten Stock. Und in der Küche.“ „Bist du dir sicher?“, raunte sie mir zu und versuchte dieses Flüstern als Hüsteln zu tarnen. „Hundertprozentig.“ Meine Kiwi-Haar- und Pfotenabdruckerfahrung sprachen für sich. „Mr. Darcy, Mrs. Darcy“, ergriff Nifen das Wort. „Bitte verzeiht meine Unterbrechung, aber wieso gibt es Katzenspuren im ersten Stock, wo Ihr doch ausschließlich Katzen im Garten habt?“ Verwirrt sahen die beiden uns an. „Vielleicht ist eine der Katzen über das Vordach hereingekommen. So etwas geschieht manchmal.“ Elizabeth hob die Schultern. „Aber wie kommt Ihr auf diese Spuren?“ Darcy kniff die Augen zusammen. „Ihr wart die ganze Zeit über hier.“ „Nicht alle.“ Auf Nifens Stichwort hin wurde ich sichtbar, was zur Folge hatte, dass Darcys Blick nur noch finsterer wurde. „So dankt Ihr unsere Gastfreundschaft? Indem Ihr spioniert?“ Seine Stimme glich einem Donnergrollen. „Ich sollte Euch direkt vor die Tür setzen!“ „Warte. Sie werden Ihre Gründe haben“, warf Elizabeth ein. „Wir suchen doch nur unsere Kiwi!“, jammerte Easy. „Sie ist weg… und… und…“ Sie rang die Hände, weil ihr die Worte fehlten, um diese Katastrophe adäquat auszudrücken. „Miau?“, erklang es auf Bodenhöhe. Mit großen grünen Augen und einem Was-macht-ihr-denn-hier-für-einen-Zirkus-Blick sah Kiwi zu Easy empor. „Mieze, komm…“ Georgiana kam in den Raum gerannt und blieb erschrocken stehen. „Georgiana, was hat das zu bedeuten?“ Darcy blickte seine Schwester fordernd an. „Ich… Die Katze ist so lieb und schön und… ich wollte sie ja nicht behalten, nur ein bisschen. Als Gast sozusagen…“ stotterte das Mädchen. Easy nahm derweil ihren persönlichen Liebling auf den Arm und knuddelte sie glücklich. Darcy wollte noch etwas zu seiner Schwester sagen, doch Nifen ging dazwischen. „Da wir Kiwi wieder haben und ich mir sicher bin, dass sie freiwillig hierher spaziert ist, lassen wir das doch einfach auf sich beruhen.“ Sie lächelte in die Runde. Easy nickte heftig und auch Georgiana schien darüber recht erfreut zu sein, auch wenn sie Kiwi traurig anblickte. Selbst mit einem anderen Kätzchen war sie mit Sicherheit nicht so schnell zu trösten. Ein kleiner Sorglossong dagegen war doch ein wenig lindernder… „Und Caroline Bingley ist ne alte…“ „Lass das, Easy!“ „We’re lost in Austen! Ohoho, we’re lost in Austen! Mitten hier in Stolz und Vorurteil! We’re lost in Austen!“ Kapitel 37: Gute Fee, böse Fee ------------------------------ Als ich das leise Kichern und das kaum wahrnehmbare Klingeln von Glöckchen hörte, war es bereits zu spät. Ich versuchte noch, sie mit einem lauten „NEIN!“ aufzuhalten, aber ich konnte nichts mehr tun. Die kleine Fee, die unser Bandmaskottchen Kiwi aus dem Garten hereingeschleppt hatte, hatte sich entschlossen, den Sorglospunks ihren allergrößten Wunsch zu erfüllen. Auf einen Schlag lebten sie das Punk-Rock-Star-Leben, das sie immer schon hatten haben wollen. Das vertraute Chaos des WG-Wohnzimmers verschwand vor meinen Augen und machte dem riesigen Salon einer irrsinnig teuren Suite im wohl teuersten Hotel der Stadt platz. Und mit Stadt war in diesem Fall nicht das kleine beschauliche Dorf im Schwabenländle gemeint, in dem wir uns bis zu dieser Sekunde aufgehalten hatten. Oh nein. Das hier war ganz definitiv New York. „Oh. Mein. Gott.“ Ich schlug die Hände vors Gesicht. Feen. Warum hatte man die nicht schon längst ausgerottet? Diese ganzen Wunschgeschichten gingen doch immer nur schief! Und warum zum Teufel – nichts gegen Chi! – musste Kiwi ausgerechnet eine in unsere Wohnung schleppen? Ich sah mich hektisch nach der Katze um, konnte sie jedoch auf den ersten Blick nicht finden. Erst auf dem zweiten, dritten, wenn nicht sogar vierten Blick erkannte ich sie in der wohlgenährten Katze mitten auf dem regelrechten Thron aus Seidenkissen auf einem breiten Sessel wieder. Von der Fee war nirgends eine Spur zu sehen. Noch weitaus hektischer als ich nach Kiwi Ausschau gehalten hatte, suchte ich jetzt nach der Fee. Das Feenzauberregelungsgesetz, kurz FZRG, sah vor, dass eine Fee mindestens 48 Stunden bei den Menschen bleiben musste, denen sie einen Wunsch erfüllt hatte, um etwaige Wunscherfüllungsreklamationen entgegenzunehmen. Und das bedeutete, dass ich diese Fee in eben diesen 48 Stunden finden musste! Denn ich war mir sicher, dass dieser erfüllte Wunsch hier nur schiefgehen konnte. Das ging gar nicht anders! Feenwünsche gingen immer schief! (Und da sprach jetzt die umfangreiche Lebenserfahrung aus mir, die ich mir während meiner Tätigkeit als Muse angeeignet hatte. Schließlich war das jetzt nicht das erste Mal, dass ich es mit einer Fee zu tun hatte!) „Abranka!“, wurde mein Name mit dem fröhlichen und aufgedrehten typischen Easy-Singsang gerufen. „Woooo biiiist duuhuuu?“ Ich seufzte leise. Easy als Superstar. Jack als Superstar. Chris als Superstar. Ich gebe zu, in diesem Moment war ich ja auf alles gefasst. Aber nicht auf das, was da gerade durch die Tür in den Salon spazierte. Easy war erblondet. Statt der dunkelbraunen punkigen Zottelmähne waren ihre Haare zu Marilyn-Monroe-Locken gedreht und wippten, als wenn sie einen Preis dafür bekommen würden. Auf ihrer Nase thronte eine riesige – in diesem Raum vollkommen überflüssige – Sonnenbrille, über ihrer Schulter baumelte eine riesige, sackartige Handtasche mit Glitzersteinchen. Die gleichen Steinchen zierten ihren Gürtel und die halsbrecherisch hohen Sandaletten. Mir klappte unwillkürlich der Mund auf. Wo war die alternative Easy geblieben? Doch hoffentlich irgendwo da drin! „Schätzchen, passt dir 17.00 Uhr für einen neuen Song? Wir brauchen doch noch einen für das Konzert heute Abend“, trällerte sie. „Dann kann ich vorher noch zur Maniküre und Pediküre und habe genügend Zeit, um mein Outfit auszusuchen.“ Sie strahlte mich mit einem blendendweißen Zahnpastalächeln an. „Ja, Schätzchen?“ Ich nickte ganz automatisch. Zu etwas anderem war ich vor lauter Schock gar nicht mehr in der Lage. „Wunderbar, Abrankachen. Wir sehen uns dann nachher. Tschüssili!“ Und damit warf sie mir eine Kusshand über die Schulter zu und rauschte aus der Tür. Mit offenem Mund starrte ich ihr nach. „Tschüssili???“ Es dauerte sicherlich fünf Minuten, bis ich mich aus meiner Starre lösen konnte. Das war Easy? So wurde Easy, wenn man schlagartig aus ihr einen Superstar machte??? Korrektur: So konnte Easy werden, wenn man per Feenmagie schlagartig aus ihr einen Superstar machte. Ich schauderte. Ich musste um jeden Preis diese verdammte Fee finden, damit das hier rückgängig gemacht wurde! Nur gut, dass Feenmagie auf überirdische Wesen wie Musen keinen Einfluss hat. Denn ansonsten wäre ich vielleicht auch so etwas geworden, würde nicht mehr klar denken können und nicht erkennen, dass das hier absolut falsch war! „Kiwi, hilf mir, diese Fee zu finden!“, forderte ich die Katze auf, während ich auf meiner Wolke suchend durch den Raum sauste. „Du hast sie doch vorher auch gefunden!“ Doch Kiwi drehte sich nur gemächlich um und schloss die Augen. „Mann, Kiwi!“ „Eher Katze, Kiwi“, erklang eine vertraute Stimme hinter mir. Ich schloss die Augen und atmete ganz tief durch, ehe ich es wagte, mich umzudrehen. Jack. Und Jack sah… verhältnismäßig normal aus. Sah man einmal von den Rastalocken ab, die ihr bis auf die Schulter reichten und ihr ein verwegenes Aussehen gaben. Dazu schwarzumrandete Augen und ein buntgestreifter Pulli. Und ein sehr, sehr, sehr süßlicher Geruch. „Äh, ja, da könntest du Recht haben“, murmelte ich. „Chizz, Abranka.“ Jack lächelte breit und ließ eine mir bis dato unbekannte Zahnlücke sehen. „Ist doch alles chizzy, lockerleicht. Die Welt ist ein Ballon, der sich im Fluss der Zeit dreht und dreht und dreht…“ „Äh, ja. Leg dich hin und schlaf noch ne Runde. Dann bist du für das Konzert wieder fit.“ Damit schob ich sie aus dem Raum. Erstaunlicherweise protestierte sie nicht, sondern steuerte in ihrem nebenan liegenden Hotelzimmer – sofern das Wort Zimmer für einen kleinen Empfangsraum, ein Schlafzimmer und ein eigenes Bad ausreichend ist – das zerwühlte Bett an. Nachdrücklich schloss ich die Tür von außen wieder. „Oh, Herr im Himmel, Herr in der Hölle und auf dem Olymp! Ich will gar nicht wissen, was Chris angestellt hat!“ Aber wie es so ist, kommt immer alles auf einmal und man erfährt Dinge, die man gar nicht wissen will, immer direkt und sofort. „Boah, seid doch mal leise!“, kam es hinter einer weiteren Tür her, die sich bis dato noch nicht geöffnet hatte. (Und so langsam bekam ich doch Horror, denn bisher hatte es nur fiese Überraschungen gegeben. Und die Management-Tür war – neben der Chris-Tür – bisher ja noch verschlossen geblieben…) Schlurfende Schritte waren zu hören, ein Knall, leises Fluchen und dann ging die Tür auf. Verpennt, gnädigerweise wenigstens einen kurzen Morgenmantel übergeworfen, der die meisten Details seines nackten Körpers verdeckte, blinzelte Chris mich an. „Was macht ihr denn hier für nen Krach? Wie soll man denn da schlafen?“, murrte er. „Chrissiii!“, säuselte es aus dem Hintergrund. „Komm wieder ins Bett!“ „Gleich!“, knurrte Chris zurück. „Libby oder Ninni oder wie auch immer…“ Ich zog eine Augenbraue hoch. „Aber mach schnell!“ Okay, DAS war eine andere Stimme als vorher. Meine Augenbraue rutschte noch etwas höher. Chris grinste verpennt. „Das Rockstarleben ist geil. Wenigstens, wenn man schlafen kann.“ Und damit drehte er sich um und wackelte wieder zurück. Stumm schüttelte ich den Kopf. Steckte das wirklich alles in den Sorglospunks drin? Waren diese Seiten ihrer Persönlichkeiten in ihnen verborgen? Oder war das alles nur eine Nebenwirkung von der Feenmagie? So oder so – ich wollte meine Sorglospunks wiederhaben!!! „Du gottverdammte Fee, komm sofort raus!!!“ Wenn ihr je eine wütende Muse erlebt habt, dann wisst ihr sehr genau, dass man uns am besten niemals wütend erleben sollte. Vor wütenden Musen haben sogar Medusen Angst – und Feen sowieso. „Hey, reg dich ab! Sie wollten es so!“, protestierte die Fee mit glockenheller Stimme, während sie aus dem Blumentopf einer riesigen Palme emporflog. „Mach es wieder rückgängig!“ „Das geht nur, wenn sie es selbst wollen! Sie sind glücklich! Sie haben das, was sie wollten. Warum regst du dich überhaupt so auf?“ „Weil sie das hier eben nicht wollten! Jedenfalls nicht… SO!“ Die Fee schüttelte den Kopf. „Sorry. Da kann ich nichts machen. Sie müssen sagen, dass sie das nicht wollen. So lautet das FZRG.“ Ich runzelte die Stirn. „Gut. Aber du bleibst hier, klar? Ich will, dass du es hörst, wenn sie sagen, dass sie das hier nicht gut finden.“ Die Fee nickte. „Geht klar. Feenehrenwort!“ Ich nickte knapp und verzog dann Gesicht. Wie zum Teufel sollte ich die Truppe denn davon überzeugen, dass sie das Leben am finanziellen Abgrund in der WG im Schwabenland diesem Luxus vorzogen? Als erstes rief ich Chibichi an. Chibichi ist schließlich niemand anderes als der Teufel höchstpersönlich und außerdem eine der besten Freundinnen der Sorglospunks. Dann gingen wir zusammen zu dem Sorglospunkskonzert. Die drei hauten uns von den Socken. Sie waren toll. Einfach nur toll. Easy rockte, dass ihre Marilyn-Locken nur so flogen, Chris zerriss zwischenzeitlich sogar die Saiten von seinem geliebten Bass und Jack hämmerte auf das Schlagzeug ein, dass beinahe die Funken flogen. Die Stimmung war unglaublich. Das da oben, das waren wirklich echte Superstars. Welche von den ganz, ganz großen. Chi und ich sahen uns an. „Sie sind gut.“ „Sehr gut sogar.“ „Mhmhm.“ „Aber so weit sind sie noch nicht…“ „Nope.“ „Sonst wären sie ja nicht so abgehoben.“ „Exakt.“ „Sogar Kiwi ist abgehoben.“ Chi zog eine Augenbraue hoch. „Na ja, oder eher in die Breite gegangen.“ „Okay, also, du bist dir sicher, wir überzeugen die wohl beste Band der Welt dazu, dass sie ihren Superstar-Status wieder aufgibt, um durch die Dörfer zu tingeln und Nifens seltsame Auftritte zu machen?“ „Exakt.“ „Na, worauf warten wir noch?“ Chi grinste breit. Wir waren ja beide sehr versucht, einfach etwas teuflischen Druck auf die Fee auszuüben und sie damit zu nötigen, ihre Wunscherfüllung zurückzunehmen, aber das hätte lebenslange Teufelsüberwachung bedeutet, einhergehend mit dem Verbrauch von Unmengen teuflischer Energie sowie in Verbindung mit einer Fee, die beständig darauf warten würde – warten musste! –, dass dieser Schutz einmal nachließ und sie den Zauber erneut durchführen konnte… Oh nein, das FZRG war nicht zu umgehen. Wir mussten nach seinen Regeln spielen, auch wenn das gerade Chi nicht leicht fiel. Glücklicherweise hatten die Sorglospunks über all den Ruhm noch nicht ihre Freundschaft mit und Zuneigung für Chibichi vergessen, sodass wir nach dem Konzert mit drei in Bademäntel gehüllten Sorglospunks im Salon zusammensaßen. „Oh, Kaffee!“, quietsche Easy glücklich und schlang die Hände um ihre Tasse. „Den hab ich ewig nicht mehr getrunken.“ „Und Schokolade!“, fügte Jack mindestens ebenso glücklich hinzu. Schokolade war nämlich bei ihrem Fitnesstrainer verpönt, sodass es unmöglich geworden war, diese zu essen. „Nifeeeen!“, jubelte Easy dann, als die Managerin zu dem Team hinzustieß. Ausnahmsweise hatte sie weder das Handy am Ohr, noch die Zigarette in der Hand. Auch für sie hatte es irgendwann Schokoladenverbot gegeben, sodass die Zigarette – immer mit Mentholgeschmack – die einzige Lösung zu sein schien. Mal abgesehen davon, dass das in das Managerbild passte. Wie ich so in die Runde blickte, wirkten die Sorglospunks, ihre Managerin und sogar das Maskottchen Kiwi viel entspannter als den Rest des Tages über. „Wir haben ewig nicht mehr so zusammengesessen“, stellte Chris fest. „Schade eigentlich.“ „Na, du bist ja immer mit deinen Groupies beschäftigt!“, ätzte Jack. „Und du mit deinem Gekiffe! Und Easy mit ihre Haaren!“, schoss Chris zurück. „Was ist mit meinen Haaren?“, fragte Easy mit kugelrunden Augen. „Hey, immer mit der Ruhe!“ Chibichi hob beruhigend die Hände. „Atmet mal tief durch. Ihr seid doch mehr als eine Band – ihr seid doch die besten Freunde!“ Die Zwillinge und ihr Bassist sahen sich an. „Ganz genau“, stimmte Nifen zu. „Ihr seid die besten Freunde. Deswegen finde ich auch, dass ihr die Band nicht auflösen solltet.“ „WAS???“, brüllten Chi und ich. „Das kann doch nicht euer Ernst sein? Was habt ihr vor???“ „Die Sorglospunks auflösen“, sagte Easy monoton. „Auf der Bühne ist alles super, aber so zusammen… Da passt nichts mehr. Ich kapier Jack nicht, Jack kapiert mich nicht, Chris kapieren wir beide nicht und er uns nicht… Und sogar Kiwi kapiert nichts mehr.“ Besagtes Maskottchen gab in dem Augenblick ein klägliches Maunzen von sich. „Ihr seid nicht mehr ihr selbst“, fasste Nifen die Situation leise zusammen. „Und ich bin es auch nicht mehr…“ Sie seufzte und warf einen langen Blick auf die Schokolade, die Chibichi und ich auf dem Tisch ausgebreitet hatten. „Ach, Mensch, greif zu!“ Damit drückte ich ihr eine ganze Tafel in die Hand. „Das Elend ist doch echt nicht mehr mitanzusehen!“ „Genau. Wir müssen etwas tun!“, fügte Chibichi hinzu. „Und was?“ Jack machte ein langes Gesicht und zupfte an ihren Rastalocken. „Was sollen wir denn tun? Wir müssten noch mal ganz von vorne anfangen…“ „Yeah. In ner WG mit wenig Geld und kuriosen Auftritten überall in Deutschland und darüber hinaus…“, ergänzte Chris. „Yeah…“ Easy blickte träumerisch ins Leere. „Wisst ihr noch das Haus mit dem Garten in dem Dorf, mit dem Fußballplatz und dem WWWB-Markt in der Nähe…“ „Oh ja…“ Dreifaches Seufzen war die Antwort. „Wollt ihr denn zurück?“, fragte Chibichi lauernd. „Nichts wäre schöner…“, hauchte Jack, „Wünscht ihr euch das?“, hakte ich nach. „Klar!“, kam es vierfach und mit einem bekräftigenden Maunzen zurück. Ein leises Klingeln erklang und Chibichi und ich grinsten breit. Vor unseren Augen wich das teure Hotel dem gewohnten WG-Chaos. „Endlich zuhause…“, seufzte ich und entdeckte dann die Fee, die neben der Wohnzimmerlampe schwebte. „Und du: Verzieh dich. Und sag deinen Kolleginnen, dass sie sich hier bloß nie blicken lassen sollen!“ „Ja, ja, ja.“ Die Fee verzog das Gesicht. „Mit solch einer Furie wie dir will es eh keiner zu tun haben.“ Sie sauste in Richtung Fenster. Dort hielt sie noch einmal inne und blickte zurück. „Na ja, und so sind sie wohl wirklich glücklicher…“ Sie lächelte und dann war sie nach draußen in den wolkigen Himmel verschwunden. „Puh…“, machte ich und lächelte dann. „Chiiii, kannst du Kiwi bitte sagen, dass sie nie wieder Feen anschleppen soll, weil sie sonst auf Dauerdiät gesetzt wird?“ Kapitel 38: Willkommen in Tristesse ----------------------------------- „Nifeeeen, wann haben wir wieder einen Auftritt?“, quengelte Easy, ihres Zeichens die sorglose Frontfrau der Sorglospunks – und wohl sorglosesten Band der Welt – ihre Managerin an. „In zwei Minuten weiß ich’s. Dann läuft unsere Ebay-Auktion aus“, erwiderte diese gut gelaunt und beobachtete wieder den Computerbildschirm. „Du versteigerst uns immer noch?“ Jack, Easys Zwillingsschwester und das Multipercussionswunder der Band, zog bedeutungsvoll eine Augenbraue hoch. Es gab da schließlich einige desaströse bis lebensgefährliche Zwischenfälle, in die die Chaos-anziehendste Band der Welt durch die Versteigerungen von Auftritten hineingeraten war. „Klar. Das ist immerhin eine einfache Möglichkeit, euch Auftritte zu beschaffen.“ „Und es ist weniger gefährlich als die Spam-Mails“, fügte Chris, seiner Berufung nach Gitarren- und Bassliebhaber, zu Nifens Erklärung noch hinzu. Anstatt Protest zu üben grinste die Bandmanagerin nur vor sich hin. Ich wusste, was das hieß: Dass sie von keiner der beiden Methoden abweichen würde, weil beide Erfolg versprachen. Und die Sorglospunks befanden sich nicht in der Position, irgendwelche Chancen zu vertun. Wenn sie einen Plattenvertrag haben wollten, mussten sie eben durch die kleinen – manchmal recht seltsamen – Clubs tingeln, auf – manchmal recht seltsamen – Privatfeiern auftreten, um Mund-zu-Mund-Propaganda zu schüren, auf Festivals spielen und an Wettbewerben teilnehmen, nur um irgendwann einmal den absoluten Volltreffer zu landen. Und dieser Volltreffer, der konnte schließlich so ziemlich überall warten. (An dieser Stelle sei einmal kurz erwähnt, um wen es sich bei mir handelt: Mein Name lautet Abranka und ich bin die Muse der Sorglospunks und hin und wieder berichte ich über das aufregende Leben dieser angehenden Superstars.) „Tristessania15 hat euch gebucht!“, jubelte Nifen. „Zu einem absoluten Rekordpreis!“ Neugierige Augen blickten ihr über die Schulter und stellten fest, dass ihre Worte tatsächlich der Wahrheit entsprachen. Diese Summe überstieg ihre bisherigen Gagen wirklich deutlich. „Aber was soll Tristessania15 sein?“, fragte Jack und runzelte die Stirn. Der Name klang schließlich äußerst verdächtig nach einem Teenager... Und die hatten bekanntlich nie Geld. Erst recht nicht, um diese doch ganz beachtliche Summe für einen Auftritt der Band zu bezahlen. „Genaueres erfahren wir noch. Immer mit der Ruhe.“ Die Managerin lächelte strahlend in die Runde. Mit der Gage waren einige finanzielle Probleme erst einmal aus der Welt und der Kassenwart sowie Bandphilosoph LennStar konnte ohne sorgenvolle Grübeleien seinen philosophischen Leidenschaften nachgehen. „Na, dann sind wir mal gespannt“, lächelte ich und schnappte mir Easys Arm. „Und wir zwei, wir versuchen es mal wieder mit einem neuen Songtext.“ Easy zog einen Schmollmund. „Muss das denn sein? Wir hatten doch gerade erst einen… Und sowieso und überhaupt!“ Jack grunzte unwillig. „Du bist echt die schreibfaulste Songwriterin unter der Sonne!“ Diese Worte quittierte Easy mit einer herausgestreckten Zunge und meine Aufforderung mit der Flucht in den Garten. Denn sie wusste, dass ich ihr definitiv nicht nachjagen würde. Jack schon, wie wir gerade wieder einmal sehen konnten. Aber das war wohl eher so eine Geschwistersache. „Und? Hast du endlich eine Info darüber, wohin wir fahren müssen und wann der Auftritt dort stattfindet?“, erkundigte ich mich zwei Tage später, als Nifen sich wieder einmal tapfer den PC von Chris erobert hatte, der nun schmollend von dannen zog und beabsichtigte, seine Gitarre zu polieren. „Mhm…“, machte Nifen bejahend und zeigte mir die E-Mail. Wir waren offenbar von dem Bürgermeister eines Örtchens namens Tristesse gebucht worden. Die Wegbeschreibung zu diesem Ort machte mich jedoch etwas stutzig. „Östlich der Sonne, nördlich des Eises und jenseits des Regenbogens?“ Ich zog eine Augenbraue hoch. Das roch nach Schwierigkeiten. Aber so richtig. „Na ja, mit Chis Wunderauto ist das gar kein Problem“, erwiderte Nifen lächelnd. „Und du weißt doch, dass sie für unsere Auftritte immer Zeit hat.“ Chi, das war die Kurzform für Chibichi und bei Chibichi handelte es sich um niemand geringeres als den Teufel höchstpersönlich, der nach einem misslungenen Seelendeal einen Narren an den Sorglospunks gefressen und sich zu unserer besten Freundin entwickelt hatte. Sie hatte mit uns schon einige Abenteuer durchgestanden und ein sehr wertvoller Gefährte war dabei stets ihr teuflisches Wunderauto Baby gewesen, das nicht nur ein glückbringendes Lenkrad besaß, sondern mit dem auch Reisen durch die Zeit und an alle möglichen fantastischen Orte außerhalb der gewohnten Realität möglich waren. „Ich ruf sie gleich an“, meinte ich noch, ehe ich auch schon mein Musentelefon zückte und beim Teufel durchklingelte. Drei Tage später war es so weit. Das Wunderauto – das innen glücklicherweise weitaus größer war, als es von außen schien – war mit den drei Sorglospunks, ihrem Maskottchen Kiwi, ihrer Managerin und ihrer Muse samt deren gemeinsamen Gepäck, bestehend aus einigen Koffern mit Klamotten und sonstigen wichtigen Dingen sowie den absolut notwendigen Musikinstrumenten, vollgestopft. „Aufi!“, jubelte Easy den Schlachtruf der Sorglospunks, während Chibichi das Gaspedal durchtrat und der Motor des Wunderautos voller Vorfreude auf einen weiteren Abenteuertrip aufheulte. Wir hielten uns an die Wegbeschreibung und stellten nach einer Weile fest, dass es um uns herum immer trister wurde. Nicht von der Landschaft her. Die war eigentlich nett mit den Wiesen und Feldern, aber sie war seltsam farblos. Die Farben wurden schwächer und besaßen regelrechte Grauschleier, wie Wäsche, die nach Jahrzehnten langsam ausblich. Und irgendwann, da war alles nur noch grau oder schwarz-weiß, wie Easy feststellte. „Sind wir in einem alten Fernseher gelandet? Da ist alles nur noch schwarz-weiß!“, rief sie aus. In diesem Augenblick fuhren wir an dem Ortseingangsschild ‚Tristesse’ vorbei. „Mann, der Name ist hier aber Programm!“, stellte Jack erschüttert fest. Die Straße vor uns sah aus wie eine typische Straße, die man wohl in jeder Kleinstadt der Welt finden konnte – nur war sie einfach trist und langweilig. Alles war grau in grau in grau in grau, keine Farbtupfer, nur graue und schwarz-weiße Langeweile. „Boah, nichts wie weg hier…“ Chris schüttelte den Kopf. So etwas hatte er noch nie gesehen. „Leute, ihr zieht den Auftritt durch! Das ist wichtig! Ihr könnt hier etwas Farbe reinbringen und Leben und…“, legte Nifen los, wurde jedoch von Chibichi unterbrochen. „Das mit der Farbe dürfte schwierig werden.“ Erschrocken sahen sich die Sorglospunks an und mussten feststellen, dass sie Recht hatte: Auch sie waren nun schwarz-weiß! „Ich will meine Farbe zurück!“, jammerte Easy, als wir ausstiegen. Chibichi hatte vor dem Rathaus gehalten, wo uns bereits eine kleine Delegation, bestehend aus dem Bürgermeister und seinen Mitarbeitern erwartete. „Gebt mir meine Farbe zurück!“ Damit rannte Easy auf den Bürgermeister zu – erkennbar war der gute Mann an der Schärpe über seinem Anzug –, packte ihn an den Aufschlägen seiner Jacke und schüttelte ihn durch. „Easy!“ Jack stürzte ihrer Schwester hinterher. Die Tristesser sahen Easy nur mit großen Augen an. Solch ein Verhalten waren sie offenbar nicht gewohnt, aber dennoch reichte es nicht aus, um Panik zu verursachen. Dafür war Easy wohl eindeutig zu ungefährlich. „Du kannst doch nicht auf unseren Auftraggeber losgehen!“ Fluchend und schimpfend zerrte Jack ihren Zwilling von dem Mann weg, der ein wenig verwirrt seinen Anzug richtete. „Entschuldigen Sie bitte. Easy ist ein wenig stürmisch und diese Umgebung hat sie doch etwas… aufgeregt“, ergriff Nifen das Wort und hoffte, das Schlimmste noch zu verhindern. Und das Schlimmste, das wäre, wenn wir nach Hause fahren müssten, ohne Geld und Auftritt. „Oh, ich nehme ihr das nicht übel.“ Der Bürgermeister lächelte. „Es ist erfrischend, solche Lebendigkeit zu erleben. Außerdem ist sie nicht die erste, der unser Ort ein wenig… fremdartig vorkommt.“ Nicht nur er, sondern seine gesamten Begleiter – zwei Frauen und ein Mann, bei denen es sich vermutlich um seine Mitarbeiter handelte – sahen betrübt drein. „Weil hier alles…“ „So trist ist“, vervollständige er Chibichis Satz. „Ganz genau.“ „Um nicht zu sagen trüb und grau“, murmelte Chris und sah sich um. Das Blumenbeet vor der Freitreppe, die zum Rathaus empor führte, war reich bepflanzt, aber grau in grau sahen selbst die schönsten Pflanzen langweilig und irgendwie tot aus. Chris erschauderte. „Wir hoffen, dass es euch gelingt, etwas Leben in den Ort zu bringen. Wir haben nur Großartiges von euch gehört.“ Der Bürgermeister rang sich zu einem Lächeln durch und strahlte uns geschult an. „Von wem haben Sie denn Großartiges über uns gehört?“, erkundigte sich Jack neugierig. Woher die Referenzen kamen, war schließlich immer gut zu wissen. „Oh, das war…“ „Meine Schwester war bei einem eurer Konzerte“, platzte eine der Mitarbeiterinnen des Bürgermeisters heraus, die sicherlich sehr hübsch gewesen wäre, wenn da nicht dieser Grauschleier gewesen wäre, der sie irgendwie nahezu zu ersticken schien. „Bei welchem denn?“, hakte Nifen nach. Sie war nicht minder neugierig als wir alle. „Bei einem Eishockey-Spiel…“ „Ah, das Konzert!“ Easy strahlte und trällerte vor sich hin. „Denn ihr seid Helden! Helden auf dem Eis! Wohohohoho! Helden! Helden auf dem Eis!“ Der Song war schließlich ein Dauerbrenner. „Genau!“, strahlte die junge Frau und wippte sofort mit. Da hatten wir ganz offensichtlich einen großen Fan. Auch der Bürgermeister wirkte recht angetan. Offenbar trafen wir recht genau seine Erwartungen. „Aber… Warum ist hier denn alles so farblos?“, fragte Easy, nachdem sie aufgehört hatte zu trällern, und runzelte ernst die Stirn. Eine Welt ohne Farbe – das ging doch nicht! „Nun ja…“ Der Bürgermeister druckste herum und seine Mitarbeiter wirkten auf einmal sehr still. „Wir sind… nun ja… verflucht…“, flüsterte er schließlich. Er schien besorgt zu sein, dass wir schlagartig die Kurve kratzen würden. Zwar sah man Chris sein Unbehagen nur allzu deutlich an – er hielt von diesem Gruselkram so überhaupt nichts! –, aber das hier wären nicht die Sorglospunks gewesen, wenn sie sich davon hätten erschrecken lassen. Abgesehen davon schien der gute Mann nicht zu ahnen, dass der Teufel höchstpersönlich gerade vor ihm stand. (Das war aber vermutlich auch gut so. Dank einem magischen Tarnmodus konnten übrigens nur wir die schwarzen Flügel und die Hörner von Chi sehen. Irgendwie muss der Teufel seine Identität ja schließlich verbergen können, wenn er auf Seelenjagd ist.) „Wie, verflucht?“, hakte Chibichi sofort nach, denn als Teufel kannte sie sich natürlich mit Flüchen aus. „Das ist etwas, was wir besser drinnen in Ruhe besprechen sollten.“ Der Bürgermeister lächelte uns an und winkte uns dann, ihm in das Rathaus hineinzufolgen. „Gibt es auch Kaffee?“, fragte Easy sofort. „Aber sicher. Kekse haben wir auch da!“, lächelte die junge Frau, die sich als echter Sorglospunksfan entpuppt hatte. „Wunderbar!“ Damit war Easy zufrieden und schien sich momentan wenig Gedanken um ihre aktuelle Farblosigkeit zu machen. Wir anderen wechselten dafür einen sehr langen Blick. Sogar Kiwi mischte sich blicktechnisch ein und gab zu verstehen, dass sie von diesen Dingen auch nichts hielt. Zwar sah sie sowieso schwerpunktmäßig schwarz-weiß, aber ihre gewohnten Blau- und Gelbtöne fehlten ihr doch. Und Katzen mögen es bekanntlich gar nicht, wenn ihnen etwas fehlt. „Nun, die Hexe Schwarzschleiria hat uns verhext, weil sie Farben nicht mag. Hier war früher alles sehr bunt und lebhaft und...“, begann der Bürgermeister, wurde aber rüde von der Mitarbeiterin unterbrochen, die sich als Sorglospunksfan entpuppt hatte und die offenbar die persönliche Assistentin des Bürgermeisters war. „Sie hat uns mangelnden farblichen Geschmack vorgeworfen und wenn Sie mich fragen, dann hatte sie vollkommen Recht. Aber uns die Farbe zu stehlen, wäre wirklich nicht notwendig gewesen... Etwas mehr Modebewusstsein hätte doch ausgereicht. Ich meine, wenn sie schon Magie einsetzen kann, dann...“ „Ist ja schon gut!“, unterbrach sie ihr Chef mit einer unwirschen Handbewegung. „Jedenfalls hat uns Schwarzschleiria verflucht und wir können von diesem Fluch erst erlöst werden, indem wir Vertreter der drei Grundfarben Rot, Blau und Gelb nach Tristesse bringen. Aber da das absolut unmöglich ist, werden wir uns wohl mit dem grauen Leben abfinden müssen...“ Er seufzte tief. „Aber das soll nicht eure Sorge sein. Wir haben euch gebucht, um ein wenig mehr Leben in diese Stadt zu bringen und in den Menschen neue Lebensfreude zu wecken. Denn seit bei uns alles grau ist, sind die Leute auch... seelisch grau geworden.“ „Moment. Wenn wir hier die Lebensgeister wecken sollen, können wir auch versuchen, diesen Fluch aufzuheben! Das wäre sicher weitaus effektiver als ein simples Konzert!“, rief Easy aus, die mal wieder sprach, ohne vorher zu denken. Jack seufzte und verdrehte die Augen. „Schon wieder ein Abenteuer...“, murmelte sie. „Können wir nicht einmal einfach einen Auftritt hinter uns bringen, ohne dass irgendetwas Seltsames passiert? Gut, an die seltsamen Orte habe ich mich ja mittlerweile gewöhnt, aber immer die Abenteuer... Chi, kann man abenteuermüde werden?“ Doch Jacks Litanei wurde von uns größtenteils ignoriert. „Super Idee, Easy!“, stimmte Chris der Frontfrau zu. Zwar war er auch nicht übermäßig abenteuerwütig, aber er fand, dass man diesen Leuten einfach helfen musste. Diese Farblosigkeit belastete bereits jetzt sein sonst so sonniges Gemüt und sorgte dafür, dass er das Gefühl hatte, zu ersticken. Und das die ganze Zeit über ertragen? Oh, nein! Diesen Leuten musste man definitiv helfen! „Da wir ja ebenfalls grau geworden sind, hat sich der Fluch potenziell auf uns übertragen und wir bleiben grau, bis er aufgehoben wurde...“, überlegte Nifen laut und starrte auf ihre graue Hand. Immer grau sein zu müssen, das gefiel ihr überhaupt nicht. „Du meinst wie Grippe?“, fragte Jack entsetzt. „Ich will nicht grau bleiben!!!“ „Dann werden wir wohl helfen müssen...“ Meine Antwort war scheinbar gelangweilt, während ich gleichzeitig schon einige Suchbegriffe in meinen Mus-O-Puter eintippte und die Ooglymp-Suchmaschine nutzte. Chibichi tat gerade selbiges mit ihrem Hell-O-Berry. Vollkommen unvorbereitet konnten wir schließlich nicht losstürmen, nicht wahr? „Na gut.“ Jack seufzte leise. „Wo fangen wir an?“ „Entschuldigt, aber ihr müsst das wirklich nicht tun. Wir kommen schon klar. Wirklich. Ihr sollt Musik spielen und nicht...“, warf der Bürgermeister ein, doch Chris winkte ab. „Nett von Ihnen, aber vergessen Sie’s. Das ist schon entschieden und was Abenteuer angeht, haben wir einige Erfahrung. Erfolgsgarantie gibt’s zwar nicht, aber wir geben unser Bestes. Und außerdem kann ich meiner Freundin doch kaum in schwarz-weiß unter die Augen treten!“ „Also, wo starten wir?“, hibbelte Easy herum und versuchte entgegen ihres Wissens auf meine Wolke zu klettern, um mir über die Schulter zu schauen. Selbstverständlich glitten ihre Hände einfach durch meine Wolke hindurch, als wenn sie vollkommen substanzlos wäre. Und genau das war sie auch für alle, die keine solch übernatürlichen Entitäten waren, wie Chibichi und ich. „Wir müssen anfangen mit...“ Ich machte eine kleine Pause und überflog die Suchergebnisse. „Ja, mit...“ „Einer roten Schwanzfeder des Cadsepapageis!“, vollendete Chibichi gemeinsam mit mir den Satz. „Toll, und wo leben die?“ Easy machte große Augen. „Auf St. Dami. Das ist praktisch neben Madagaskar.“ „Na dann: Aufi!“, jubelte Easy um stürmte aus dem Büro. Wir anderen verabschiedeten uns von dem Bürgermeister, seiner Assistentin und den anderen und machten uns auf den Weg zu Baby. Denn das Wunderauto würde uns natürlich dorthin bringen, wo wir hoffentlich finden würden, was wir suchten. Es war früher Morgen, als wir endlich an dem Strand der Insel St. Dami standen und uns umsahen. Baby hatte uns natürlich schnell und sicher hierher gebracht. Und ich hätte schwören können, dass das Wunderauto unser Abenteuer bereits jetzt sehr genoss. „Dschungel“, stellte Jack trocken fest. „Ganz viel Dschungel.“ „Das soll durchaus vorkommen“, kam es spitz von Nifen zurück. „Und ich schlage vor, wir fangen mal an zu suchen. Oder willst du weiter grau und farblos sein, während um dich herum alles so schön bunt ist wie hier?“ Sie deutete auf die vielen bunten Blüten, die grünen Blätter, den blauen Himmel und den hellen, gelben Sand. „Ja, ja, ja...“ Jack seufzte und marschierte gemeinsam mit ihrer Zwillingsschwester los. „Übrigens ist das eh nur alles deine Schuld, Nifen, weil du uns wieder bei Ebay reingesetzt hast!“, knurrte Jack noch ungehalten, dann war sie zwischen den ersten Bäumen verschwunden. Nifen zog einen Schmollmund. „Na ja, streng genommen...“, setzte Chris an, aber Nifens böser Blick brachte ihn dazu, sofort den Mund zu halten. „Genau, streng genommen hast du gar keine Schuld, weil du ja nicht wissen konntest, wer sich darauf meldet und die Truppe ersteigert.“ Ich lächelte Nifen aufmunternd zu, während wir dem Rest der Sorglospunksbagage folgten. „Ein Restrisiko bleibt halt immer. Damit kommen die schon zurecht. Jack hasst es nur, grau zu sein...“ „Da ist sie nicht die einzige...“ Nifen deutete mit dem Kinn auf Kiwi, die es sich auf meiner Wolke gemütlich gemacht hatte, und so schmollte, wie es nur eine beleidigte Katze kann. Ihr vorwurfsvoller Blick hätte einen Eisberg zum Schmelzen bringen können. „Na, dann sollten wir besser so schnell wie möglich diesen Papagei finden!“ Ich lächelte und ließ energisch meine Wolke vorwärts sausen. „Ich seh keinen roten Papagei!“, jammerte Easy nach gut zwei Stunden Suche. Jack sagte gar nichts, sondern hockte nur jämmerlich mit wunden Füßen auf dem Boden. Chris stand neben ihr und sah sich suchend um. „Da sind blaue Papageien, gelbe, grüne, violette, pinke, orangefarbene, welche in hellrosa und blassblau, aber keine roten!“, stellte er fest und kniff die Augen zusammen. „Seid ihr sicher, dass die nicht ausgestorben sind?“ „Sehr sicher.“ Chibichi und ich nickten synchron und zogen dann beide unsere omnidimensionalen Kommunikationsgeräte hervor. Beinahe ebenfalls synchron brachten wir beide ein „Oh“ hervor. „Was oh?“, fragte Nifen sofort und schaute Chibichi über die Schulter. „Der ist nur fünf Zentimeter groß??? Kunststück, dass wir den nicht finden! Daran sind wir dreimal vorbeigerannt, ohne irgendeins von den Tieren zu bemerken!“ „Sorry?“, brachte ich kläglich hervor. „Komm, Nifen, machen wir weiter. Oder willst du für immer schwarz-weiß-grau bleiben?“, sagte Chris und marschierte mit neuem Eifer voran. Wenn er mal keine Gitarre zur Hand hatte, um sie zu polieren, war sein Tatendrang durchaus nützlich. „Komm, Kiwi.“ Chibichi tat das, was wir vermutlich von Anfang hätten tun sollen: Sie nutzte den Katzenspürsinn, um den Vogel aufzustöbern. Und so war es auch. Nach einer langen, nervenaufreibenden Überredungsaktion, uns zu ihrem eigenen Nutzen zu helfen, stießen wir dank Kiwi auf eine richtige Kolonie der Cadsepapageien– die wir zwischen all den roten Blüten gar nicht bemerkt hatten. Nur wenig später hielten wir nicht nur eine rote Feder in der Hand. Sicherheitshalber, da wir ja Murphy kannten, steckten wir gleich einen ganzen Wust roter Federn ein, die wir zwischen Blättern und Zweigen hervorklaubten und die die Vögel dort verloren hatten. (Kein Papagei wurde bei unserem Abenteuer verletzt!) Nun konnten uns auf den Weg machen, die nächste Grundfarbe zu besorgen. Blau war unser nächstes Ziel. Chibichi und ich trafen bei unseren Recherchen auf folgendes „Etwas“, das wir brauchten: einen Tropfen vom Blau des Himmels. Genauer gesagt von dem klaren blauen Himmel der sogenannten blauen Stunde. „Wie soll das denn gehen???“ Jack starrte uns entgeistert an. Sie war zwar viel Unmögliches gewohnt, aber hier sah sie dann doch die Grenze erreicht. Farbe vom Himmel holen – das war ganz eindeutig unmöglich! „Chi, Abranka? Wie kriegen wir das hin?“, fragte Easy uns beide mit großen Kulleraugen, während Nifen und Chris überlegten, ob sie nicht eine Wette darüber abschließen sollten, ob wir jemals wieder unsere Normalfarbe zurückgewinnen würden. Dummerweise waren sie sich – trotz bis dato berechtigten Vertrauens in unsere sorglospunkigen Problemlösefähigkeiten in ungewöhnlichen (äußerst ungewöhnlichen!) Situationen – nicht einig, wer auf unseren Erfolg setzten wollte. „Denkst du auch, was ich denke?“, fragte mich der Teufel und grinste breit. „Wenn deine Gedanken gerade auch das Wort Regenbogenmaler beinhalten, dann ja“, erwiderte ich mit einem beinahe noch breiteren Grinsen. „Aufi, wir haben ein neues Ziel!“, rief Nifen und klatschte in die Hände, damit alle rasch in das teuflische Wunderauto stiegen. „Und unterwegs erzählt ihr uns alles über diesen Regenbogenmaler“, forderte sie noch, ehe sie die Autotür geräuschvoll schloss. „Aye, Sir!“ Ich salutierte spaßeshalber und kraulte Kiwi, während ich kurz das zusammenfasste, was in unseren Kreisen über den Regenbogenmaler bekannt war. Der Regenbogenmaler ist, wie sein Name schon verrät, derjenige, der den Regenbogen an den Himmel malt. Doch er ist nicht nur das. Er sorgt auch dafür, dass der Himmel beständig seine Farbe verändert. Der Regenbogenmaler ist derjenige, der uns spektakuläre Sonnenaufgänge und Sonnenuntergänge bewundern lässt. Er ist der Herr der Farbe und des blauen Himmels. Und er ist ein äußerst seltsamer Kauz... Das Regenbogenatelier befand sich derzeit – natürlich ist es mobil – dreizehn Wolken jenseits des Olymp und zwei Westwinde unterhalb des himmlischen Himmels. Es ist ein Ort, den aufzusuchen schwer zu ertragen ist, denn während man das tut, entwickelt das gewöhnliche Gehirn, mit dem die meisten Lebewesen – Katzen ausgenommen – ausgestattet sind, die seltsame Tendenz, aus den Ohren krabbeln zu wollen. Aus diesem Grund und um sowohl eure Gesundheit, liebe Leser, sowie die meine zu schonen, verzichte ich lieber auf eine detaillierte Beschreibung. Wenn ihr euch sein Aussehen doch ausmalen wollt, so stellt euch dieses Atelier wie den Escher-Raum vor – nur noch verdrehter und verwirrender, da neben den uns vertrauten drei Dimensionen auch noch die vierte, die Zeit, in dem Atelier verdreht ist. So gibt es also beispielsweise Orte und Dinge, die nur jeden zweiten Sonntag im Monat existieren. Vermutlich könnt ihr euch auch vorstellen, dass jemand, der an diesem Ort lebt, nicht mehr im allgemeinen Sinne „normal“ ist, sondern eher „anders“. Anders in dem Sinne, dass ihm entweder wirklich das Gehirn aus den Ohren geflutscht ist oder aber in dem Sinne, dass er einen Weg gefunden hat, sich an diese Gegebenheiten anzupassen. Ich bin mir ehrlich gesagt nicht ganz so sicher, was davon letztendlich bei dem Regenbogenmaler der Fall ist. Es dauerte eine ganze Weile, bis wir das Regenbogenatelier schließlich erreichten, und nachdem ich meinen Bericht beendet hatte, begann ich alle Hexen anzutelefonieren, die ich kannte. Zum Brechen eines Hexenfluches brauchte man schließlich bekanntlich eine Hexe. Der Regenbogenmaler befand sich, wie es zu erwarten gewesen war, mitten in dem Hauptraum des Ateliers und rührte dort einige Farben zusammen. Er war menschlich und doch schien sich sein Körper an die Gegebenheiten im Atelier so angepasst zu haben, dass es Kopfschmerzen machte, ihn länger zu beobachten. „Hat sein Arm da gerade hinter uns gegriffen?“, fragte Chris mit großen Augen, denn das waren wenigstens drei Meter gewesen, die der Arm gerade überbrückt hatte. „Wie macht er das?“ „Stell keine Fragen, auf die du keine Antwort haben möchtest“, murmelte ich leise und bedeutete der Truppe still zu sein. Und bis auf Easy gelang mir das auch. „Cool! Du malst also den Himmel an? Malst du mir einen Extra-Easy-Sonnenuntergang?“, quietschte sie los. Der Blick, mit dem der Regenbogenmaler sie daraufhin bedachte, war nicht besonders freundlich zu nennen. „So grummelig, wie du guckst, wohl eher nicht. Schade. Aber das Schwabenland, kann das einen schönen Sonnenuntergang bekommen?“ „Was ist das Schwabenland?“ Verwirrt sah der Regenbogenmaler Easy an. „Da kommen wir her. Das ist unser zu Hause.“ „Und wo ist das?“ „Na, in Deutschland. Ecke Stuttgart und noch etwas weiter südlich.“ Sie strahlte ihn an. „Schwabenland...“ Der Regenbogenmaler rollte das Wort regelrecht auf der Zunge hin und her. „Ein interessanter Name. Ja, ein Ort mit einem solchen Namen könnte einen schönen Sonnenuntergang verdient haben.“ Er lächelte. Und das war ein weitaus unheimlicherer Anblick als sein grimmiger Blick zuvor. Irgendwie hatte die seltsame Dimensionalität in diesem Raum nämlich etwas Komisches mit seinen Zähnen angestellt. „Und was führt euch her? Ein Sonnenuntergang dürfte das wohl kaum sein.“ Sein stechender Blick fixierte uns der Reihe nach. „Und ihr habt niemand Geringeres dabei als den Teufel höchstpersönlich. Meint ihr etwa, das macht euer Anliegen wichtiger?“ „Schauen Sie uns doch an!“, legte Jack los. „Wir sind schwarz-weiß. Grau!!! Das ist es, was wir als Anliegen haben. Wir wollen unsere Farbe zurück!!!“ „Da kann ich euch nicht bei helfen.“ Der Regenbogenmaler sah uns seelenruhig an. „Doch, das können Sie schon. Wir brauchen etwas Blau. Das Blau des Himmels in der blauen Stunde“, erklärte Nifen ruhig und legte Jack beruhigend die Hand auf den Arm. „Damit würden Sie uns wirklich sehr helfen“, fügte ich freundlich hinzu. „Mhm...“, machte der Regenbogenmaler. „Mhm... Mhm... Hmmmmh... Mhm... Hmmmmmhmhm... Mmmmhhh...“ „Mau“, machte Kiwi und blickte ihn aus ihren grauen Katzenaugen finster an. „Also gut.“ Die Sorglospunks jubelten los. „Aber unter einer Bedingung.“ Sofort waren sie still. „Ich will die Farbe eurer Musik einfangen.“ „HÄ???“ Easy brachte auf den Punkt, was wir alle dachten. „Ihr spielt, ich ziehe die Farbe aus dem Stück und damit habe ich die Farbe eurer Musik in meiner Sammlung. Es kann gut sein, dass der Himmel einmal diesen Farbton brauchen wird.“ Der Regenbogenmaler deutete auf seine umfangreiche Farbensammlung. Misstrauisch sahen wir uns an. Was, wenn das hieß, dass sich dadurch die Sorglospunks-Musik dauerhaft verändern würde? Wenn sie ihre Persönlichkeit, ihren Charakter, ja, ihre Farbe, verlor? Das wäre unser Ruin! (Nun ja, der Ruin, des nicht vorhandenen Reichtums und Erfolgs.) „Bei allen Farben des Regenbogens, eure Musik wird nicht darunter leiden!“, rief der Regenbogenmaler ungeduldig aus und verdrehte demonstrativ die Augen. Und das war wirklich noch gruseliger als das Lächeln vorhin. Irgendwie schienen seine Augen nämlich einmal quer durch seinen Schädel zu kullern. „Okay... Holt die Instrumente aus dem Auto!“ Chris ergriff die Initiative. Und tatsächlich waren sie fünf Minuten später so weit, dass sie – selbstverständlich mit improvisiertem Titel und Text – loslegen konnten. „Queeeer über den Himmel durch Blau und Violett, durch Weiß und ein bisschen Grün Queeeeer durch die Nacht, über den Tag und in den Morgen Queeeer durch die ganze Welt bis hierher sind wir gereist Und das nuuuuur für ein kleines Tröpfchen Blau! Oh, yeah, nuuuuur für ein Tröpfchen Blau!“ „Blau ist eingesackt, wir können los!“, verkündete Chibichi. Wir bedankten uns noch einmal artig beim Regenbogenmaler, der das jedoch kaum zur Kenntnis nahm, sondern sich lieber um einen anstehenden Farbwechsel kümmerte. „Und? Wo finden wir das Gelb?“, hibbelte Chris los. „Auf dem Meeresgrund“, erklärte Chibichi. „Oha.“ Nifen zog eine Augenbraue hoch. „Ist Baby auch tauchfähig?“ Das brachte ihr einen langen Blick des Teufels ein. „Du sprichst von meinem Wunderauto, das durch die Zeit reisen kann. Glaubst du tatsächlich, etwas Wasser kann Baby aufhalten? Natürlich können wir tauchen“, antwortete sie schließlich pikiert. „Sorry. Ich wollte nur sichergehen.“ Als Managerin besaß Nifen schließlich ein ganz spezielles Organisationsgen, das sich immer wieder mal meldete. „Und was suchen wir auf dem Meeresgrund?“, mischte sich Jack ungeduldig ein. „Eine besondere Korallenart. Die gelbe Selektivkoralle.“ Chibichi lenkte Baby bereits in Richtung Erde und Ozean. „Ah... Na, das wird sicher ein Spaß“, sagte Easy und schaute lächelnd aus dem Fenster. „Wie sieht es aus, Abranka?“, erkundigte sich Chibichi, während die Band mittlerweile wieder in Schweigen versunken war. „Hast du jemanden erreichen können?“ „Schon. Wenigstens ein paar. Aber die Mädels sind schon mit Notfalleinsätzen beschäftigt. Ich habe nur noch ein Ass im Ärmel...“ „Wen denn?“ „Na, du weißt schon...“ „Sie? Na, das wird aber interessant werden.“ „Du übertreibst. Sie ist lieb.“ „Aber schusselig...“ „Nur manchmal!“ „Ruf sie an. Wir haben ja eh nichts zu verlieren.“ Chi lächelte mir kurz zu und ich wählte die letzte übriggebliebene Nummer. „Geht keiner dran.“ Ich seufzte leise. Jetzt konnten wir noch hoffen, dass sie zurückrief. Die Selektionskoralle war eine ungewöhnliche, bisher noch nicht offiziell – von Menschen – entdeckte Korallenart, die nicht einfach irgendwo wuchs, sondern in den tiefsten und unwirtlichsten Tiefen des Marianengrabens. Sie schien von den dort aus dem Erdinneren aufsteigenden Gasen zu leben. Irgendwie jedenfalls. Nachdem wir in den Atlantik eingetaucht waren, sank Baby beständig immer tiefer und zu unserer großen Freude blieben wir dabei auch trocken. Fische zogen an dem Auto vorbei und glotzten lautlos durch die Scheiben hinein. Je tiefer wir kamen, desto dunkler wurde es – und desto bizarrer sahen die Fische aus. In dem Lichtkegel der Scheinwerfer konnten wir einige Exemplare äußerst gut beobachten und bei den meisten waren wir sehr froh, dass sie recht schnell auch wieder verschwanden, nachdem sie festgestellt hatten, dass Autoscheinwerfer ungleich Futter waren. „Äh, sag mal... Wie kommen wir an die Korallen eigentlich ran? Wenn wir die Tür aufmachen, dann saufen wir doch ab“, warf Nifen urplötzlich ein. Etwas war ihr schon die ganze Zeit komisch vorgekommen und sie hatte nicht den Finger drauflegen können, doch jetzt war der Groschen gefallen. „Chi, sag mir bitte, dass du immer noch eine Seelengreifzange unter der Motorhaube versteckt hast“, sagte ich nervös. Wasser war absolut nicht mein Element und diese Tiefe hier erst recht nicht. Und ich wusste, wer von uns würde „aussteigen“ müssen, wenn diese Greifzange nicht mehr da oder nicht funktionstüchtig war. Eine universell einsetzbare Musenwolke konnte manchmal auch ein Fluch sein. „Klar. Oder denkst du etwa, ich hole mittlerweile die Seelen mit der Hand aus dem Höllenfeuer? Also wirklich... Ich bin zwar hitzebeständig, aber so feuerfest noch lange nicht! Ts, ts, ts...“ Chibichi schüttelte amüsiert den Kopf. „Da, da, da!“, rief Easy in dem Augenblick aufgeregt aus. Und tatsächlich: Im Lichtkegel des Wunderautos kamen gelbe Korallen in Sicht. „So, jetzt nur noch der Greifer ausgefahren, eine Koralle geschnappt und fertig.“ Chibichi drückte einen Knopf auf dem Armaturenbrett und ein kleiner Joystick zur Steuerung des Seelengreifers wurde ausgefahren. „Darf ich, darf ich, darf ich?“, quengelte Chris und wurde netterweise vom Teufel an das Steuergerät gelassen. „Aber nichts kaputt machen!“, warnte Jack noch, was jedoch nur ein lapidares „Ja, ja, ja“ von Chris bewirkte. Geschickt steuerte er den Greifer – eine aus Teflon bestehende Hand mit roten Teufelsklauen – und schaffte es nach kurzer Zeit, eine der Korallen damit zu greifen. Sachte zog er daran und versuchte, sie abzubrechen, doch nichts geschah. Er zog fester. Noch immer nichts. Er zog mit aller Macht des Wunderautos und drückte den Knopf für den Notfallrückwärtsgang. Es krachte und knackte, ein großes Stück Koralle wurde mit Wucht aus dem Boden gerissen, ein Loch klaffte auf und die sprichwörtliche – nicht die tatsächliche – Hölle brach los. Heißes Gas strömte empor und erhitzte das Wasser schlagartig. Der Boden knackte und bebte, während er immer weiter aufriss. „Weg hier!!!“, kreischte Jack auf und Chibichi ließ sich das nicht zweimal sagen. Und während die chaotische Vernichtung hinter uns versuchte, uns zu erwischen und von dem Angesicht der Erde sowie diverser anderer Welten zu tilgen, meinte Jack giftig zu Chris: „Ich hab doch gesagt, du sollst nichts kaputt machen!!!“ Chibichi rettete uns gerade noch so den Hals. Aber auch nur, indem sie wirklich auf einige Tricks zurückgriff. Kaum hatten wir die Wasseroberfläche durchbrochen, als der Teufel Chris gegenüber ein lautstarkes und äußerst nachdrückliches Verbot aussprach, noch einmal irgendetwas in dem teuflischen Wunderauto anzufassen. Vollkommen kleinlaut nahm Chris das drakonische Urteil ergeben an. Beinahe im gleichen Moment klingelte mein Musentelefon. Sie war es! Unsere einzige, letzte Hexenhoffnung hatte zurückgerufen! Und sie hatte Zeit und kam nach Tristesse! „Sie ist unterwegs, Chi. Und jetzt gib Gas, denn ich weiß nicht, was die Tristessanier davon halten, wenn da eine Hexe auf einem Besen angedüst kommt. Immerhin haben die nicht besonders gute Erfahrungen mit Hexen gemacht.“ „Das ist doch ein Argument“, lachte Chibichi und trat das Gaspedal noch etwas mehr durch. Als wir in Tristesse eintrafen, beobachteten die Einwohner bereits das Herannahen der Hexe auf ihrem Besen. Und so, wie ihre Gesichter aussahen, würden sie diesem für sie äußerst ungebetenen Gast wahrlich keinen freundlichen Empfang bereiten. Vermutlich waren einige bereits unterwegs, um Fackeln zu holen. „Sie kommt in friedlicher Absicht!“, rief ich und verließ das teuflische Wunderauto als erste. „Genau, das ist eine gute Hexe!“, fügte Easy lautstark hinzu und hüpfte hinter mir her. „Habt ihr uns hereingelegt und wollt ihr alles noch schlimmer machen und uns noch mehr verfluchen?“, fragte der Bürgermeister misstrauisch und mit äußerst finsterer Miene. All sein vorheriges Vertrauen in uns und unsere Fähigkeiten war schlagartig verschwunden. „Aber nein!“, stieß Nifen empört hervor. „Wir wollen helfen!“ „Und was tut dann die Hexe hier?“ „Hexenflüche lassen sich nur durch Hexenmagie brechen, ist doch klar“, lächelte ich und bemühte mich, dabei so gewinnend und vertrauenserweckend wie möglich war. Unweit von uns entfernt landete gerade die Hexe. Die Landung mit einem Besen ist nicht besonders einfach. Man muss die Fluggeschwindigkeit und -höhe – möglichst gleichzeitig – weit genug senken, sodass man mit den Füßen problemlos und ungefährdet den Boden berühren kann. Ist man zu schnell unten, landet man – mit etwas Glück – auf dem Hintern (und mit etwas Pech auf einem Knochen, der das äußerst übel nimmt, indem er nämlich aufgrund der plötzlichen Belastung bricht). Ist man zu schnell unterwegs, während man bereits den Boden berührt, ist das auch mit einer äußerst hohen Sturzgarantie verbunden. Bei dieser Hexe geschah ersteres. Dabei ließ sie sich allerdings mit einer derartigen Gelassenheit auf den Hintern plumpsen, dass sich bei mir sofort der Eindruck breit machte, dass sie vermutlich fast immer so landete. Mit wild abstehenden roten Haaren – eine Frisur mochte vor dem Flug einmal vorhanden sein, doch nun war das nicht mehr der Fall –, einem äußerst breiten Lächeln im Gesicht und dem Besen unter dem Arm, stürmte sie auf uns zu. „Hallo Abby, hallo Chi! Hallo Leute, ich bin Himeka und das hier ist mein Besen Jensen!“, grüßte sie strahlend in die Runde. Das war die personifizierte Harmlosigkeit und man konnte den Leuten um uns herum regelrecht ansehen, wie ihr Argwohn sich legte und völlig verschwand. Äußerst verschämt wurden einige Fackeln fallen gelassen und im Gebüsch der Randbepflanzung des Platzes verborgen. „Wie du siehst, brauchen wir den Farbwiederherstellungszauber wirklich äußerst dringend. Jack hat alle Zutaten. Leg los, sobald du kannst“, erklärte Chibichi noch. Himeka nickte verstehend und machte sich sogleich an die Arbeit. Und während sie das tat, indem sie zuerst einen riesigen Kessel aus ihren Gepäcktaschen – jeder Besen, der zu etwas nützlich sein sollte, besaß welche – hervorzauberte und eine beinahe vollständige Hexenküchen mitten auf dem Platz vor dem Rathaus aufbaute, wandte sich Nifen nachdenklich an mich. „Sag mal, seit wann tragen Hexen eigentlich Toga?“ Sie deutete auf die Toga, die Himeka über ihren Reisehosen trug. (Selbstverständlich kann man nicht mit einem Rock oder ungeeigneten Hosen mit unbequemen Nähten an den exakt falschen Stellen auf einem Besen fliegen. Oder besser gesagt: Man kann schon. Aber man bereut es sehr schnell.) „Oh, Himeka war mal eine Muse.“ Ich grinste. „Sie war mal eine Muse?“ Nifen spitzte neugierig die Ohren. „Wie wird eine Muse denn zu einer Hexe?“ „Indem sie als Muse nicht besonders... geeignet ist.“ Schnell sprach ich weiter. „Oh, versteh mich nicht falsch: Himeka ist ein wunderbarer Mensch und sie hat auch sehr viele Ideen, aber... der Job war einfach nicht der richtige für sie. Zuerst wurde sie auf dem Olymp versetzt und arbeitete als Gehilfin des Schicksals. Das ist nicht weiter seltsam, Musen übernehmen oft Aufgaben bei anderen Göttern als Apollo. Wir sind sozusagen ein Betrieb, der ständig Arbeitskräfte ausleiht, wenn wir sie entbehren können. Und aufgrund der immer mehr abnehmenden Fantasie der Menschen, brauchen wir weniger Musen und... nun ja...“ Bevor ich den Faden noch vollständig verlor, kehrte ich zu dem eigentlichen Thema zurück. „Die Arbeit mit dem Schicksal war auch nicht ihr Ding und daher beschloss sie von einem Tag auf den anderen, dass sie Hexe wird. Das war vor zweihundert Jahren und wie du siehst, ist sie immer noch dabei.“ Ich lächelte. „Und eigentlich ist sie auch richtig gut.“ „Wenn nichts schief geht“, ergänzte Chibichi mit einem breiten Grinsen. „Denn das ist die zweite Sache, in der Himeka wirklich verdammt gut ist. Was glaubst du, weswegen wir so viel von den einzelnen Zutaten mitgebracht haben?“ „Oh.“ Nifen beobachtete, wie Himeka den ersten Trank anrührte und er nach etwa fünf Minuten mit einer heftigen Explosion den Kessel verließ. Die Schaulustigen wichen erschrocken zurück und entgingen dadurch dem klebrig-heißem Regen aus undefinierbarem Zeug, als die Schwerkraft ihren Job tat und den Kesselinhalt wieder zur Erde zurückkehren ließ. „Oh“, wiederholte Nifen, diesmal unterstützt von Jack. „Normalerweise kriegt sie es immer rechtzeitig hin.“ Ich lehnte mich auf meiner Wolke zurück und machte etwas Platz für Chibichi, die sich das ganze Spektakel aus einer bequemeren Position ansehen wollte. Außerdem konnte sie so Kiwi eine Weile auf den Schoß nehmen. „Na, ich hoffe mal, ihr habt Recht. Denn so wie ich das sehe, fasst Easy jetzt mit an...“, murmelte Jack und sah ihrer Zwillingsschwester zu, die schwungvoll einige Tropfen blaue Farbe in den Kessel klecksen ließ. Einige Explosionen später waren die meisten Bewohner – bis auf den harten Kern bestehend aus dem Bürgermeister und seiner Assistentin – in ihren Häusern verschwunden und sahen sich das Spektakel aus der vermeintlich sicheren Ferne an. (Ein querschlagender Kochlöffel und ein zertrümmertes Fenster hatten da schon etwas anderes angedeutet.) Jack hatte Easy schließlich regelrecht eingefangen und jetzt rührte Himeka alleine an dem nächsten Versuch. „Ist sie eigentlich tatsächlich so ungeschickt oder ist dieser Zauber so schwer?“, erkundigte sich Chris trocken. „Na ja... Beides, schätze ich mal.“ Ich hob die Schultern. „Aber ehe du meckerst: Unsere Hexenauswahl nicht besonders groß. Wir können sehr froh sein, dass Himeka hier ist.“ Ich funkelte ihn an. „Hey, ich hab ja nichts gegen sie gesagt. Sie ist nett.“ „Und irgendwie cool“, fügte Jack mit einem Grinsen hinzu. „Punkig!“, jubelte Easy. Und in diesem Augenblick gelang der Zauber. In einem breit gefächerten Regenbogen ergoss sich die Farbe aus dem Kessel, floss über den Boden und färbte alles ein, was sie berührte. Die Farbe wurde von dort aus weitergegeben und breitete sich wie ein Flächenbrand aus. „Wir sind wieder bunt!“ Die Sorglospunks führten einen ausgelassenen Freudentanz auf, bei dem die Bewohner von Tristesse sehr schnell mitmachten. Die Zeit des schwarz-weißen Daseins hatte endlich ein Ende! Der Bürgermeister wollte uns sofort für unsere Farbrettungsdienste mit dem Gehalt bezahlen, für das er uns ersteigerte hatte und verlangte gar nicht mehr, dass die Band spielte. Aber das konnten wir natürlich nicht auf uns sitzen lassen! Und so trafen sich am Abend die glücklichen, wieder äußerst farbenfrohen Bewohner von Tristesse auf dem Marktplatz, wo das erste Sorglospunks-Konzert der Stadt stattfinden sollte. Chibichi, Himeka und Nifen hatten es sich in der ersten Reihe gemütlich gemacht, während ich natürlich bei der Band war. Ich kannte doch meine Schützlinge und wusste, dass sie wieder einen neuen Song abliefern würden. Das Adrenalin beim Konzert und das Wissen, um ein erfolgreich überstandenes Abenteuer, waren eben immer noch die beste Inspiration. Und ansonsten konnte ich ja mit ein paar zündenden Ideenblitzen nachhelfen. Jack haute auf die Drums, Chris haute in die Saiten und Easy legte los. „Willkommen, willkommen in Tristesse! Jaaaaa, willkommen, willkommen in Tristesse! Alles grau, alles bunt Alles traurig, lebensfroh Alles grau, alles bunt Ach, wen kümmert’s schon! Hexenzauber, Zaubermacht Hier in dieser Sommernacht! Farbenzauber, Regenbogenkraft Hey, das haben wir geschafft! Und duuuu... Nimm mir meine Farbe nicht! Und duuuu... Nimm mir meine Farbe nicht! Und duuuu... Sing jetzt mit!“ Muss ich noch erwähnen, dass das Konzert ein voller Erfolg war? Vermutlich nicht. Aber eins ist doch noch erzählenswert. Von oben, drei Wolken links vom Olymp und zwei Nordwinde rechts vom himmlischen Himmel, beobachtete uns der Regenbogenmaler und wippte fröhlich mit dem Fuß im Takt zu unserer Musik, während er mit den Ohren einen Sonnenuntergang malte. Ein kleines Nachspiel hatte unser Auftritt in Tristesse allerdings. Als wir wieder zu Hause waren und die Sorglospunks samt Managerin und Maskottchen todmüde in ihre Zimmer wankten, wandte ich mich an Chibichi. „Chi... Wo warst du denn in der Pause?“ „Im Büro des Bürgermeisters. Ich musste da noch etwas nachsehen... Das war mir bei unserer Ankunft aufgefallen und ich wollte mich vergewissern.“ „Was meinst du?“ „Jemand hat Nifens Ebay-Anzeige ausgedruckt und dem Bürgermeister zugeschickt. Mit einem kurzen Text.“ „Mensch, Chi! Lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!“ „Dass das Richtige für die Stadt wäre. Und es war mit M. At unterschrieben...“ Ich riss die Augen auf. „Du meinst...“ „Megaira, Alekto und Tisiphone. Ja, ich glaube, die Furien melden sich wieder zurück…” „Na, aber die kriegen wir auch noch klein!“, sagte ich energisch nach einem kurzen Moment des Zögerns. Immerhin hatten es die Furien geschafft, ihre ganzen Aktionen derart zu übertreiben, dass Chibichi sie aus der Hölle geworfen hatte. Und dieser Rauswurf bedeutete wohl auch, dass sie sich nun vollkommen an uns austoben würden... Aber ich wäre nicht die Muse der Sorglospunks gewesen, wenn ich nicht sorglos gelächelt hätte. Chibichi lächelte ebenfalls. „Och, da bin ich mir ziemlich sicher.“ Kapitel 39: Blau-weiße Matrosenbedrohung ---------------------------------------- „Und? Endlich einen neuen Song geschrieben?“ Jack ließ sich neben ihrer Zwillingsschwester Easy und damit auch der Songwriterin der Band auf das Sofa fallen. Easy schnaubte nur dumpf, während der Gitarrist Chris trocken auflachte. „Nur wenn wir ab jetzt ausschließlich über Schiffe, Eisberge und Untergänge singen!“ Er schüttelte den Kopf. „Was?“ Das Multipercussionswunder Jack verstand gar nichts mehr. „Na, also die Songs sind nur noch über Schiffe, Eisberge, Untergänge und Wracks und Sinken und Absaufen und...“ Easy rang verzweifelt die Hände. „Warum denkste nicht an was anderes?“ Mit offenem Mund starrte Jack ihre Schwester an. Noch immer verstand sie nur Bahnhof und Chinesisch essen gehen. Wo war denn bitte das Problem? „Na, das mache ich doch!!! Aber ich schreibe trotzdem über das Schiffszeug!“ „Oh.“ Jetzt war auch der Groschen bei Jack gefallen. „Warum?“ „Keine Ahnung!!! Das ist ja das verdammte Problem!“, explodierte Easy und tigerte daraufhin wie wild durch das Wohnzimmer. „Ich hab ja nichts falsch gemacht! Ich mag Schiffsuntergänge ja noch nicht einmal!“ Sie seufzte und rang theatralisch die Hände. „Wir versuchen gerade herauszubekommen, ob das an Abranka liegt. Nifen hat mir ihr geredet und telefoniert jetzt gerade mit Chi... Das ist eine echte Sorglospunks-Krise, da brauchen wir Hilfe.“ Chris sprach, während er gleichzeitig seine Gitarre liebevoll polierte. Das tat er immer besonders liebevoll, wenn die Krise besonders groß war. „Und wie.“ Jack sah sich vor ihrem geistigen Auge schon im Matrosenanzug auftreten. Schaudernd und kopfschüttelnd versuchte sie, dieses Bild wieder loszuwerden. „Okay, Leute, Chi nimmt den Turbospezialaufzug und dürfte in eins... zwei... drei...“ Während die Bandmanagerin Nifen ins Wohnzimmer kam, zählte sie und gerade als sie die Vier aussprechen wollte, klingelte es an der Tür. „Jetzt da sein.“ „Ich bin da!“ Chibichi, bei der es sich um niemand anderes als den Teufel höchstpersönlich handelte, stürzte in die Wohnung. „Bitte Details über die Musenkrise.“ Das ließ sich Easy natürlich nicht zweimal sagen und legte mit ihrer Jammertirade über Schiffsunglücke, Eisberge, Wracks und so weiter und so fort los. „Und du denkst überhaupt nicht daran?“, hakte Chibichi sicherheitshalber noch einmal nach. Das klang ernst – und wenn etwas wirklich derart ernst klang, dann musste man auf Nummer sicher gehen. „Ja! Ich denke an Kekse und Schokolade und Kaffee und Kiwi und Kaffee und Schokolade und Fußball und Wolken und Sonne und Kaffee und Schokolade und...“ Chibichi hob die Hand und unterbrach damit Easys Wortschwall. „Das ist absolut ernst. Wir haben einen Fall der Musendominanz.“ „Hä?“, kam es von den Sorglospunks samt Managerin gleichzeitig. „Das bedeutet, dass eine Muse derart von irgendetwas gefesselt oder beeindruckt ist, dass ihre gesamte Inspirationsfähigkeit davon überlagert wird. Das ist... wie mit einem Ohrwurm. Es existiert nichts anderes mehr.“ Die Miene des Teufels war sehr ernst. „Es gibt viele großartige Musen, die durch solche Fixierungen nie wieder als Muse arbeiten konnten. Aber genauso gibt es solche, die dadurch besonders kreative Künstler hervorgebracht haben.“ „Wie meinst du das?“ Jack zog eine Augenbraue hoch. „Ich glaub, Chi meint so etwas wie Monet und seine Seerosenbilder oder Picassos häufige Verwendung der Farbe Blau“, warf Nifen ein. „Exakt.“ Der Teufel nickte. „Aber da ihr wohl kaum Punkband mit Schwerpunkt auf Schiffslieder werden wollt, sollten wir uns dringend überlegen, wie wir Abranka helfen können.“ Heftiges Kopfnicken war die Reaktion auf ihre Worte. „A propos: Wo steckt sie eigentlich?“ „Oh... Im Bad.“ Nifen stockte kurz. „Sie lässt Schiffe sinken...“ Schweigen. „Das...“, durchbrach Chibichi schließlich die Stille, „…klingt wirklich nicht gut.“ Eine Sekunde dauerte es noch, dann flitzten Band, Managerin und Teufel – samt Bandmaskottchen, das neugierig geworden war – Richtung Bad. „Äh, anklopfen?“, fragte Chris noch schnell rücksichtsvoll, während Nifen schon die Tür aufstieß. „Nö, sie schwebt über der Wanne.“ Und so war es auch. Abranka saß auf ihrer Wolke und sah zu, wie ein recht aufwändiges Schiffsmodell in den Fluten der Badewanne versank. Sie blickte auf, als die Tür an die Wand schlug und bedachte die Band mit einem Gesichtsausdruck, der eindeutige Verblüffung signalisierte. „Brennt das Haus ab oder warum seid ihr so in Panik?“ „Du...!“, wollte Easy rausplatzen, doch Jack hatte ihre Zwillingsschwester geübt in einen kräftigen Klammergriff genommen und hielt ihr den Mund zu. „Ähm, also...“, fuhr Nifen weitaus diplomatischer und weniger nach der Mit-der-Tür-ins-Haus-fallen-Methode fort, „Wir machen uns Sorgen um dich. Im Moment scheinst du dich viel mit... Schiffen und Schiffsunglücken zu befassen.“ „Oh, ja.“ Abranka lächelte. „Ich finde das spannend.“ „Na ja... Aber... du guckst jeden Abend einen Film über so etwas. Sei es über die Titanic oder die Britannic oder die Lusitania oder...“ Nifen stockte. Moment. Die Titanic. Das musste es sein. Der berühmte Kinofilm war die letzten fünf Tage wenigstens dreimal im Wohnzimmer gelaufen, dicht gefolgt von der Dokumentation über das Wrack. Und das Modell, das sah doch arg nach diesem berühmten Schiff aus! „Es ist die Titanic, oder?“ Abranka runzelte die Stirn. „Ich weiß nicht, was du meinst.“ Dann beugte sie sich vor und holte das Modellschiff aus dem Wasser und barg es nahezu schützend in den Händen. „Der Untergang jährt sich bald, nicht wahr?“ Auch Chibichi war nun ein Kronleuchter aufgegangen. „Am... 4. April.“ „Kann sein.“ Abranka hob unbeteiligt die Schultern. „Mensch Muse, wir wollen dir helfen!“, platzte es jetzt aus Easy heraus, die Jacks Hände irgendwie von ihrem Mund bekommen hatte. „Wir sind doch Freunde!“ Jack verdrehte die Augen und versuchte Easy irgendwie doch noch irgendwie den Mund wieder zu versiegeln, während diese weiter über Freundschaft und Abenteuer plapperte. „Sagen wir es so...“ Chibichi hatte es sich mittlerweile neben Abranka auf der Wolke gemütlich gemacht. „Wenn wir das nicht in den Griff kriegen, schreibt Easy auf immer und ewig über Schiffe und Schiffsunglücke und die Band muss ihr Outfit ändern...“ „Oh nein! Keine Matrosenanzüge!!!“ Jack gab Easy schlagartig frei. „Das kannst du uns nicht antun!!!“ „Solange ich die Kapitänsmütze kriege“, kam es trocken von Chris. „Hast du sie noch alle??? Die steht dem Bandleader zu! Mir!“, jaulte Easy auf. Abranka musste lachen. „Ihr seid echt...“ Sie schüttelte noch immer lachend den Kopf. „Raus damit. Was ist los? Ansonsten musst du die drei in diesem Jammer- und Quengelzustand noch länger ertragen.“ Chibichi grinste und knuffte die Muse in die Seite. „Teufel, das überleb ich nicht.“ Abranka verdrehte die Augen. Im Wohnzimmer erfuhr die Band dann die Geschichte, die hinter der ausgiebigen Badewannen-Schiff-Versenk-Session und den Titanic-Filmeabenden stand. Und im Mittelpunkt stand nichts anderes als das wohl berühmteste Wrack der Welt höchstpersönlich. Denn wie Abranka erzählte, war sie selbst 1912 an Bord dieses stolzen Kreuzfahrtschiffes gewesen... 1912. Natürlich war es nicht mein erster Einsatz als Muse. Ich bin schon seit einer ganzen Weile im Geschäft und da sieht man so einiges. Dass ich mich auf die Musikbranche spezialisieren würde, hatte sich auch relativ bald abgezeichnet. Und so begleitete ich meinen Schützling Jonathan Sterlings an diesem Tag zu seinem ersten Arbeitstag im Bordorchester der Titanic. Es war eine große Ehre für ihn, in seinem jungen Alter von gerade einmal zwanzig Jahren ausgewählt worden zu sein, um das hochklassige Orchester vor seinem exklusiven Publikum der Ersten Klasse zu spielen. Dieser Schritt war einer, der seinen weiteren Weg bestimmen sollte – der erste Schritt sollte es sein auf dem direkten Weg hinauf in die besten Orchester der Welt. Er spielte Violine virtuos und ausgezeichnet, wenn auch nicht so perfekt, wie es vielen Russen gelang. Aber der junge Engländer besaß Biss und Ehrgeiz – und mit mir eine Muse, die genug Erfahrung auf dem Gebiet der Musik hatte, um ihn mit ihrer Inspiration in die richtige Richtung zu schubsen und ihn auf seinem Weg tatkräftig zu unterstützen. Und schließlich war es meine Idee gewesen, dass er sich für die Titanic bewarb... Ihr könnt euch sicherlich vorstellen, wie aufgeregt wir waren, als das Schiff am 10. April aus dem Hafen von Southampton, wenngleich mit einiger Verzögerung aufgrund eines Unfalls, fuhr und sich auf seinen Weg in Richtung New York machte. Die Welt öffnete ihre Tore ganz weit von uns und ließ uns hindurch. Und dann war da dieses Schiff... Dieses großartige Schiff mit seinen gigantischen Ausmaßen und einem Luxus, den Jonathan immer wieder staunend begutachtete, als wenn er nicht von dieser Welt war, und der selbst mich, die ich ja den Olymp gewohnt bin, faszinierte. Es ist eigentlich nicht zu erklären, aber die Titanic war etwas ganz besonderes. Und das von dem ersten Moment an, in dem man sie erblickte. Wie ihr wisst, dauerte die Fahrt der Titanic nicht allzu lange. In der Nacht des 14. April kollidierte sie mit einem Eisberg und begann zu sinken... Um mich musste ich mir wenig Sorgen machen – dank meiner fliegenden Wolke konnte ich jederzeit gefahrlos das Schiff verlassen. Nicht so mein Schützling. Er war auf einen Platz in einem der Rettungsboote angewiesen und doch befand er sich auf der Seite des Schiffes, wo der diensthabende Offizier nur Frauen und Kinder gestattete, in die Boote zu steigen und diese zu dem viel zu schwach besetzt zu Wasser gelassen wurden. Die Panik verbreitete sich weiter und weiter. Es erschien den Menschen, als wenn sich Gott gegen sie stellte, denn zuvor hatte es geheißen, dass nicht einmal Gott die Titanic würde versenken können. Und doch geschah genau in diesem Augenblick das Undenkbare: Die Titanic sank. Ich versuchte Jonathan klar zu machen, dass er das Schiff verlassen musste, dass es keine andere Wahl gab, wenn er überleben wollte, doch er... Das Orchester begann zu spielen und Jonathan zögerte keinen Augenblick. Er gesellte sich zu seinen Kameraden hinzu und spielte mit ihnen. Alles, was ich wollte, war diesen Jungen über die Reling zu befördern, aber... Es gibt gewisse Spielregeln als Muse: Zwinge deinen Schützling niemals zu einer Entscheidung über sein gesamtes Leben. Solche Entscheidungen sind nicht immer klar zu erkennen, doch diese war es. Jonathan spielte noch, als die Titanic sich neigte und selbst noch, während er das Heck sich in die Höhe erhob und er den Boden unter den Füßen verlor. Vermutlich war es dumm, aber das war seine Entscheidung... „Trauerst du ihm nach?“, unterbrach Easy die Ausführungen Abrankas. Verwirrt zog die Muse die Stirn kraus und schüttelte lächelnd den Kopf. „Nein. Er hat seine Wahl getroffen.“ „Aber warum dann die Titanic?“ „Wegen dem Schiff selbst.“ Das erklärte die spontane Musendominanz. Chibichi beriet sich flüsternd mit Nifen. Das Schiff hatte Abranka offenbar derart beeindruckt, dass sie nur noch daran denken musste. Vor allem, wo sie jetzt daran erinnert worden war. Und wie bei einem Ohrwurm gab es nur eine wirklich gute Methode, das zu bekämpfen… „Aha.“ Easy zupfte nachdenklich an ihrer Unterlippe und grinste dann breit. „Sollen wir sie besuchen? Das Wunderauto kann doch in die Vergangenheit fahren und dann kannst du das Schiff noch mal sehen.“ Und damit brachte Easy die einzige Therapiemethode auf den Punkt, die Chibichi eingefallen war. „Aber bitte im Hafen. Den Untergang will ich gar nicht sehen“, warf Chris ein. „Cool, wir besuchen die Titanic!“, freute sich Jack und machte sich sofort auf die Suche nach ihrer Digitalkamera. Diesen Augenblick musste sie schließlich festhalten! „Widerworte sind zwecklos, wir brechen auf“, entschied Nifen und lächelte Abranka an. Diese erwiderte das Lächeln breit. Und während die Sorglospunks samt Crew nach draußen gingen, um das bereits dort stehende Wunderauto zu besteigen (als Wunderauto wusste es natürlich, wann es gebraucht wurde und war dann auch entsprechend schnell da), nahm Chibichi Abranka bei Seite: „Und das nächste Mal, wenn du noch mal irgendwohin zurückreisen willst, dann sag’s doch einfach.“ „Hey, ich hab gar nicht gesagt, dass ich zurückwill!“ Protestierend hob die Muse die Hände. „Am Jahrestag muss ich nur halt immer daran denken. Das ändert sich ja auch nicht, wenn wir nach Southampton 1912 reisen.“ „Nee, aber vielleicht quälst du Easy dann nicht so.“ Der Teufel zwinkerte vergnügt und schob Abranka in den Wagen, ehe sie selbst einstieg und diesen auf den Weg nach Southampton am 10. April 1912, exakt 12:50 Uhr. Gehüllt in lange Mäntel, um ihre ungewöhnliche Kleidung zu verbergen, standen die Sorglospunks, ihre Managerin, ihre Muse und der Teufel auf dem Kai, von dem die Titanic ablegte. Die tatsächliche Abfahrt hatte sich wegen einer Kollision verzögert, doch nur brach das mächtige und stolze Schiff zu der Reise auf, von der es niemals wiederkehren sollte. Als sich die Titanic immer weiter gen Horizont entfernte und die Truppe genug gewunken hatte, ergriff Easy das Wort: „Okay, ein Lied kriegt sie, aber dann ist gut, ja?“ Mit dem wie einstudiert wirkenden Dackelblick sah sie die Bandmuse. Diese musste lachen. „Okay. Eins und dann ist gut.“ „Und du bist geheilt?“, erkundigte sich Jack misstrauisch. „Nicht, dass wir doch noch Matrosenanzüge tragen müssen...“ „Allenfalls an Karneval.“ Abranka lachte übermütig und während sie gemeinsam zu dem teuflischen Wunderauto zurückgingen, trällerte Easy bereits den neuen sorglosen Titanic-Hit. „Ohooo Ohooo Yeah, yeah, yeah Titanic, Titanic Titanic, Titanic Keine Panik auf der Titanic Titanic, Titanic Titanic, Titanic Keine Panik auf der Titanic Ohoooo Ohoooo Yeah, yeah, yeah Titanic, Titanic…” „Äh, Easy, du solltest dringend an der Vielseitigkeit deines Textes feilen”, sagte Jack sanft, während sie ihrer Zwillingsschwester liebevoll den Arm um die Schulter legte. Die Aussichten, doch nicht für den Rest ihres Lebens im Matrosendress auf der Bühne stehen zu müssen, hatte sie ganz eindeutig milde gestimmt. „Singst du den Refrain trotzdem mit?“ Bettelnd sah Easy sie an. Jack seufzte leise und stimmte dann ein. „Titanic, Titanic Titanic, Titanic Keine Panik auf der Titanic…” Kapitel 40: Blutsauger wider Willen ----------------------------------- „Los, steck ihr eine Zwiebel zwischen die Zähne, damit sie niemanden beißen kann!“ „Eine Zwiebel??? Knoblauch!!!“ „Haben wir nicht! Also nimm endlich die verdammte Zwiebel, Chris!“ Mit aller Macht rammte Chris die große Gemüsezwiebel über Easys frische Vampirzähne und wie ein Korken saß diese dort fest. „Puh...“ Jack ließ sich erschöpft auf das Sofa fallen, das bei dem heftigen Gerangel zwischen den drei Sorglospunks durch das halbe Zimmer gerückt worden war. Kurz fuhr sie sich durch die mittellangen braunen Haare, dann musterte sie ihre Zwillingsschwester besorgt, die mit einem verwirrten Gesichtsausdruck auf der Zwiebel herumkaute und diese – trotz aller Versuche – nicht mit ihren Fingern wieder von den spitzen Zähnen herunterziehen konnte. Chris hockte daneben und hielt Easy den anderen Arm auf den Rücken verdreht. Die andere Hand befand sich außerhalb seiner Reichweite und wäre Jacks Aufgabe gewesen, doch diese nutzte lieber die Gelegenheit, um kräftig durchzuschnaufen. Lebensgefährliches Gerangel mit einem angehenden Vampir hatte nämlich bei ihr für den heutigen Tag nicht auf der Agenda gestanden. Aber immerhin schien Easy bisher keinen Erfolg bei ihren Zwiebelentfernungsversuchen zu haben. Somit gönnte auch der Gitarrist sich einen Augenblick, um schweratmend durchzuschnaufen. „Was macht ihr denn hier für eine Randale?“, fragte in diesem Augenblick die Bandmanagerin Nifen, die von dem Lärm angelockt aus ihrem Zimmer gekommen war und gleich auch die Bandmuse Abranka im Schlepp mitgebracht hatte. „Vampirbekämpfung“, gab Jack trocken zurück und deutete auf Easy. „Vampirbekämpfung??“, wiederholten Nifen und Abranka unisono, erst mit einem zweifelnden Blick auf Easy und dann mit einem vollkommen verwirrten Blickwechsel zwischen einander. „Macht sie das, um sich vor dem Songwriting zu drücken?“, setzte Abranka noch neugierig nach, kannte sie doch die äußerst kreativen Ideen der Songwriterin wider Willen, um dem lästigen Songtexten aus dem Weg zu gehen. „Diesmal leider nicht.“ Chris seufzte und vergaß für einen Moment beinahe, Easy weiter festzuhalten. Diese wehrte sich auch sofort und beinahe gelang es ihr, den Gitarristen wegzuschubsen, doch dann war Jack bei ihr und hielt sie ebenfalls fest. „Oha...“ Nifens Miene wurde nachdenklich. „Wie ist das denn passiert?“ „Sie war draußen und irgendetwas hat sie gebissen. Eine Vampirfledermaus oder so...“ Jack hob die Schultern. „Die Furien“, sagte Nifen spontan. Abranka nickte bejahend. Hinter so etwas konnten nur die Erzfeinde der Sorglospunks stecken, die sich für keinerlei Fiesheiten zu schade waren, um den Sorglospunks eins auszuwischen. Doch die Furien waren gerade nicht das akute Problem, sondern Easy vor einem etwaigen Blutsaugerdasein zu retten. Aber wie das anstellen? „Ich rufe Chi an!“ Jack sprintete zum Telefon und ließ Chris mit Easy allein. Mit großen Augen blickte Chris zu Nifen und Abranka hinüber. „Leute, könntet ihr vielleicht...“ Doch er hatte keine Gelegenheit mehr, diesen Satz zu beenden. Easys Blutdurst siegte, sie stürzte sich auf Chris und... stolperte. Kiwi hatte die Aufregung im Wohnzimmer vernommen und sich zwischen ihre Menschen geschlichen, um die Gelegenheit zu nutzen und ein zweites Mittagessen abzustauben. Doch anstatt das zu erreichen, rettete sie Chris mal eben das Leben und sorgte dafür, dass Easy gegen den Wohnzimmertisch fiel und ihre Fangzähne versehentlich in dem Sofa versenkte. „Wir müssen was tun, ehe wir hinterher überall Löcher haben.“ Nifen zog eine Augenbraue hoch. „Vielleicht hat Chi ja...“ „Chi geht nicht ran! Da läuft nur die Mailbox!“ Jack kam keuchend zurück. „Wir brauchen eine andere Lösung!“ „Die Bibliothek von Alexandria!“, rief Abranka in diesem Moment aus. „Was?“ Konsternierte Blicke der zwei Sorglospunks und ihrer Managerin trafen sie, während sich Easy derweil bemühte, die Schaumstofffüllung des Sofas von ihren Zähnen zu puhlen. „Na, die ist im Olymp und durch die Buchabteilung im WWWB-Markt kommen wir da ganz problemlos hin... Und wenn wir aufpassen, dass Easy bis dahin an irgendetwas anderem außer Blut saugt, dann...“, sprudelte Abranka hervor. Sie wurde dann jedoch abrupt von Jack unterbrochen. „KIWI!!!“ Die anderen wirbelten herum und stürzten dann auf Easy zu, die gerade ihre Fangzähne in das Bandmaskottchen geschlagen hatte. Kiwi wehrte sich zwar nach Leibeskräften und gab ein Fauchen von sich, das man getrost als äußerst bedrohlich und tigerwürdig bezeichnen konnte, hatte dem angehenden Vampir jedoch wenig entgegenzusetzen. „Nifen, wir brauchen was anderes, wo sie reinbeißen kann!“, schrie Chris, während Jack, Abranka und er darum kämpften, Kiwi aus den Fängen der Leadsängerin zu retten. Die Managerin stürzte zum wohlgehüteten Naschschrank, zog den Schokoladenvorrat heraus und in einer mehr glücklichen denn organisierten Aktion gelang es, die Katze mit der Schokolade auszutauschen und dafür zu sorgen, dass Easy an der Kakaomasse lutschte. „Kiwi?“ Jack strich der Katze mit zittrigen Fingern durch das Fell. Langsam öffnete diese ein grünes Auge und blinzelte die Zwillingsschwester des hinterhältigen Attentäters an. „Puh... Wir haben wohl Glück...“ Im nächsten Augenblick schnellte die Katze empor und ließ scharfe Vampirzähne sehen. „AAAAAAAAAHHHHHH!“ Easy fuhr mit einem gellenden Schrei aus ihrem Traum hoch. Keuchend saß sie im Bett und lauschte dem Echo ihres persönlichen Albtraumweckrufes, als Jack kreideblass hereingetaumelt war. „Auch ein Albtraum?“, fragte diese ihre Zwillingsschwester und ließ sich auf die Bettkante plumpsen. „Ja...“ Easy zog eine Augenbraue hoch. „Ich auch...“ Jack schwieg einen Augenblick. „Auch Vampire?“ „Mhm...“ „Ich hasse so etwas.“ „Ich auch.“ „Kaffee?“ „Tolle Idee!“ Easy hopste sofort aus dem Bett und stürmte vor ihrer Schwester in die Küche. Für einen Kaffee, da tat man doch alles! Auch mitten in der Nacht aufstehen! Knapp zehn Minuten später standen die beiden Zwillingsschwestern einträchtig nebeneinander in der Küche, so selig über ihren Kaffee, dass sie selbst den kalten Fliesenboden unter ihren Füßen vergaßen. Die koffeinhaltige, heiße Flüssigkeit rann Easy die Kehle hinab und sie gab einen wohligen Seufzer von sich. Dann stutzte sie. Vorsichtig fuhr sie mit der Zungenspitze über ihre Eckzähne, die waren doch wohl nicht... Sie blickte Jack an. Jack blickte sie an. Beide entblößten sie ihre Zähne. Und dann schrieen sie erneut auf. Kiwi schlich an den beiden panischen Sorglospunks vorbei und schüttelte den Kopf. Offenbar hatten die beiden gar nicht mitbekommen, dass sie immer noch die Plastikeckzähne von der Halloweenparty im Mund hatten... Kapitel 41: Wenn ihr’s Schwarz auf Weiß braucht… ------------------------------------------------ Kiwi, ihres Zeichens das genialste Bandmaskottchen der Welt, dämmerte langsam aus den Tiefen ihres Schlafes empor und streckte sich während der Aufwachphase so genüsslich, wie es nur Katzen können. Dann arbeitete sie sich aus den Überresten von Chris’ Sommerhemden empor. Einige Haare und lose Knöpfe auf dem Boden vor dem Schrank hinterlassend, wanderte sie aus dem Zimmer und machte sich auf die Mission, herauszufinden, was die Bandmitglieder der Sorglospunks und ihre Crew gerade anstellten. Primäres Ziel war es dabei allerdings unbestritten, etwas zu Fressen zu bekommen. Bei Jacks Zimmer blieb sie kurz in der Tür stehen. Das Multipercussionswunder residierte im Lotussitz auf dem Bett und wälzte einige Musikfachbücher, die bedrohliche Titel wie „Die Geige in der Punkmusik“ und „Die Panflöte – das unterschätzte Instrument“ besaßen. Kiwi zog den Kopf zwischen die Schultern und beschloss, jedem neuen Instrument in diesem Haushalt den Kampf anzusagen. Gitarre, Schlagzeug, Bass, Blockflöte und Triangel reichten doch ganz eindeutig aus und mussten so etwas von definitiv nicht mehr ergänzt werden! Ganz besonders nicht, wenn sie auf ein empfindliches Katzengehör trafen. Noch immer mit gesträubtem Nackenfell angesichts dieser unermesslichen Bedrohung marschierte Kiwi weiter zu Nifens Büro. Dort thronte die Bandmanagerin vor dem Rechner und haute nur so in die Tasten. Mit großen Augen beobachtete die Katze die fliegenden Finger auf der Tastatur. Die erinnerten fast an Mäuse, die hin- und herflitzten. Kleine, pelzige Mäuschen, richtig schöne Spielzeuge. Ihre Instinkte übernahmen die Führung, ihre Muskeln spannten sich, der Schwanz zuckte… Doch bevor sie sprang, überlegte sie es sich anders. Dunkel erinnerte sie sich daran, dass Nifen etwas von dem immens wichtigen NaNoWriMo gefaselt hatte – und dass die Tatsache, dass die Bandmanagerin gerade die Tastatur ihres PCs derart hingebungsvoll misshandelte, den Nebeneffekt hatte, dass noch keine Dauerbeschallung mit Weihnachtslieder in der sorglosesten WG der Welt stattfand und auch keine aktuellen Auftritte geplant waren, die in irgendwelchen unüberschaubaren Abenteuern endeten. Das sprach eindeutig und äußerst nachdrücklich dagegen, die Schreibkonzentration der Bandmanagerin zu stören. Daher schlich Kiwi ganz besonders leise wieder davon. Ihr Weg durch die Wohnung führte sie als nächstes in Easys Zimmer, in dem die Songwriterin, Sängerin und Frontfrau der Band jammernd vor ihrem Schreibtisch auf dem Boden hockte. „Ich will nicht schreiben! Nein, nein, nein! Ich will keinen neuen Song schreiben!“ Direkt neben ihr schwebte die Bandmuse Abranka auf ihrer Wolke und blickte auf Easy herunter. Sie reichte der quengelnden Sängerin einen Schokoladenlolli und munterte sie behutsam auf. „Schau, wenn du den Song fertig hast, dann ist Jack erst einmal zufrieden und meckert nicht mehr die ganze Zeit herum. Und dann kannst du dir auch einen leckeren Kaffee kochen und etwas Schokolade essen und alles ist gut…“ Immer weiter säuselnd, während der Lolli aus Motivationsschokolade seinen Job tat, baute Abranka Easy immer weiter auf, bis die quirlige und quengelige Frontfrau endlich nach einem Kugelschreiber griff und wild auf einem Blatt Papier draufloskritzelte. Kiwi zog eine imaginäre Augenbraue hoch. Es war erstaunlich, wie einfach Menschen doch zu beeinflussen und in die richtige Richtung zu lenken waren. Wenigstens dann, wenn man sprechen konnte und übersinnliche Tricks zur Verfügung hatte. Und Abranka war dahingehend wirklich ein Talent. Immerhin brachte sie Easy trotz derer regelmäßigen Songschreib-Fluchten dazu, dennoch regelmäßig etwas Sorglospunkstaugliches zustandezubringen. Kiwi lächelte leise vor sich hin und marschierte weiter. Im Wohnzimmer konnte sie bereits das letzte Bandmitglied hören, doch ehe sie dorthin marschierte, machte sie einen kurzen Abstecher auf eines der Fensterbretter und blickte in den Garten hinaus. Dort saß LennStar vor seiner Tonne in einem Blätterhaufen, was besonders deswegen bemerkenswert war, da der Bandphilosoph wie immer nur seine Toga und seine Sandalen trug, und krakelte wie wild auf einer Pergamentrolle herum, deren vollgeschriebener Teil bereits durch den halben Garten reichte. Offenbar stand wieder einer seiner Philosophenkongresse bevor und so weit sich Kiwi entsann, hatte er irgendetwas von Extrovertiertheit und Protest bei Kant und Konfuzius im Banne der Punkmusik gefaselt. Da ihr so etwas aber nicht weiter wichtig war, war sie sich natürlich nicht gerade sicher. Kopfschüttelnd sprang sie wieder auf den Teppichboden hinunter und schlich weiter ins Wohnzimmer. Dort lief der zweite Rechner im Hause Sorglospunks und wurde von Chris bearbeitet. Im Gegensatz zu Nifen strahlte er allerdings immer wieder mit einem reichlich dümmlichen Grinsen in die Webcam, sodass keinerlei Zweifel daran bestand, dass er gerade mit seiner japanischen Freundin Umeko chattete. Seine Finger flitzten über die lautstark klappernden Tasten, machten zwischendurch aber weitaus größere Pausen als die von Nifen. Kiwi blieb einen Augenblick im Wohnzimmer stehen, betrachtete den Gitarrenliebhaber mit schräg gelegtem Kopf, fragte sich, was er wohl sagen würde, wenn er den Schaden an seinen Sommerhemden entdeckte und marschierte dann mit einem eleganten Schulterzucken hinüber zur Küche. Da sich offenbar die gesamte Band äußerst gut bei irgendwelchen schreibenden und lesenden Tätigkeiten amüsierte und dabei vollkommen vergaß, dass das wertvolle und äußerst liebenswerte Bandmaskottchen auch zwischendurch einmal etwas fressen musste und es bei seinem Rundgang von allen Seiten ignoriert worden war, obwohl doch seine übernatürlich-geniale Präsenz in jedem Zimmer hatte spürbar sein müssen, blieb nur noch eins: Sie brauchten es offenbar Schwarz auf Weiß, dass Kiwi Hunger hatte und jetzt sofort etwas fressen wollte. Sie sprang auf die Arbeitsfläche neben dem Herd, setzte zum zweiten Sprung an, landete auf der Dunstabzugshaube, hangelte mit ausgefahrenen Krallen nach dem Türgriff eines der Hängeschränke, zog die Tür auf und quetschte sich in besagten Schrank. Einen Augenblick später schepperte und knallte es, als die Metallbox mit dem Kaffeepulver einen Freiflug bekam und sich das schwarze Kaffeepulver auf den weißen Fliesen verteilte. Das war doch nun wirklich Schwarz auf Weiß. Kiwi grinste kurz in sich hinein, ehe sie wieder das unschuldigste Katzengesicht der Welt machte und beim Hereinstürmen der Sorglospunks samt Crew – sogar LennStar war aus dem Garten hereingekommen – jämmerlich zu maunzen und nach Futter zu verlangen begann. Und das funktionierte in der Küche schließlich immer. Kapitel 42: Fragt die Sorglospunks – Teil I: Was ist für euch Instinkt? ----------------------------------------------------------------------- Oma wackelte mit ihrem schwarzen Kater Peter an der Seite in den Garten hinaus zum Briefkasten. Dort sah sie bereits die aktuelle Ausgabe der Märchenpost klemmen. Sie lächelte breit, streckte die zittrige Hand nach der Zeitung aus, schnappte sie sich mit erstaunlich festem Griff und wackelte wieder zurück. Peter folgte ihr dabei auf dem Fuße wie ein treuer Hund. Oma war eben nicht wie jede andere Oma. Oma war die Großmutter des Teufels, die Hüterin seiner goldenen Haare und als Mitglied der teuflischen Familie natürlich sehr katz-o-phil. Und das beruhte bei den meisten Katzen auf Gegenseitigkeit. Insbesondere, wenn sie es war, die die Katzen fütterte. Und das Füttern wiederum gehörte zum morgendlichen Ritual nachdem die Zeitung hereingeholt worden war. Exakt so verliefen auch die nächsten Minuten. Peter bekam sein Futter, Oma ihre Tasse Kaffee und eine Scheibe frisches Brot mit Honig. Dann schlug sie die Zeitung auf und juchzte vor Freude. „Peter, unsere Sorglospunks sind in der Zeitung! Ist das nicht toll?“ Peter gab nur ein leises Schnurren von sich, das sich jedoch mehr auf sein Futter denn auf diese Neuigkeit bezog. Das einzige, was an den Sorglospunks interessant gewesen war, war für ihr das Bandmaskottchen Kiwi gewesen. Sein Desinteresse hinderte Oma jedoch nicht daran, den Artikel laut vorzulesen. Artikel war für dieses Fragespiel vielleicht etwas zu weit gegriffen. Vielmehr war diese Rubrik der Zeitung „Die Frage der Woche“, die stets berühmten und bekannten Persönlichkeiten gestellt wurde. Letzte Woche hatte es Dornröschen getroffen und davor war der Böse Wolf an der Reihe gewesen. „Die Frage diese Woche lautet, „Was ist für euch Instinkt?“. Peterchen, ist das nicht spannend?“, flötetet Oma fröhlich. „Hör mal, was unsere Sorglospunks geantwortet haben: Instinkt… Das heißt… äh… Wenn ein Hund eine Katze jagt. (Ohne das persönlich zu meinen, Kiwi!) Und wenn Easy und Jack Kaffee und Schokolade jagen. Das ist Instinkt. Das steckt in denen drin und das kriegt man nicht wieder raus. Also das Jagen. Den Kaffee und die Schokolade aber vermutlich auch nicht. (Chris) Instinkt ist, wenn Nifen wieder einmal schneller als Chris am Computer ist und genau wusste, dass er daran will, sie ihn aber nicht lässt und demonstriert, dass sie klüger ist als er. Das ist auch Instinkt. Und eigentlich einfach. (Easy) Instinkt ist, wenn mich Easy wieder nach bester schwesterlicher Manier in den Wahnsinn treibt. (Jack) Miau. (Kiwi) Übersetzung: Instinkt ist, dass alle Sorglospunks rechtzeitig genug Futter oder Alternativfutter im Haus haben, weil sie verhindern wollen, dass ich ihnen die Wohnung auseinandernehme. (Übersetzt von Chibichi) Instinkt? Willst du die Frage den Sorglospunks wirklich stellen? Instinkt ist bei denen nämlich ihr Vermögen, die unmöglichsten Situationen zu überleben und am Ende doch noch einen neuen Song geschrieben zu haben. Und dafür brauchen sie noch nicht einmal immer die Inspiration ihrer Muse. (Abranka) Instinkt ist, dass wenn Jack einen neuen Song verlangt, Abranka versucht, Easy zu inspirieren, und Easy die Flucht ergreift. Und Pech ist es, wenn sie dabei entweder über Chris’ Gitarrenpolitur oder über Kiwi stolpert. (Nifen) Hach, sind das nicht tolle Antworten?“ Oma lachte fröhlich und schlürfte zufrieden ihren Kaffee, während sich Peter noch einmal das Mäulchen abschleckte und sich anschließend ein gemütliches Plätzchen für seinen Verdauungsschlaf suchte. Und während er von einer wilden Mäusejagd träumte, freute sich Oma bereits auf die nächste „Frage der Woche“ und hoffte, dass sie bald wieder von den Sorglospunks würde lesen können. Kapitel 43: Germany's next Sorglospunk -------------------------------------- „Jetzt reicht’s! Ich hab die Nase voll! Ich steig aus!“ Damit knallte Jack Triangel und Sticks auf den Tisch und stürmte aus dem Zimmer. „Jack???“ Easy starrte ihrer Zwillingsschwester und einem der drei Gründungsmitglieder der Sorglospunks hinterher. Jack konnte doch nicht einfach abhauen! Das ging doch nicht! Sie waren mitten in der Probe! So wurde der neue Song doch nie etwas! Und überhaupt, was sollte das heißen „ich steig aus“??? „Jack!“ Chris legte seine Gitarre sanft bei Seite und stürmte dann hinter Jack her. Doch zu spät: Diese hatte sich bereits in ihrem Zimmer eingeschlossen. Ratlos hockten die beiden verbliebenen Sorglospunks vor der Tür und versuchten, durch Rufen, Klopfen, die-Tür-beinahe-einschlagen, Brüllen, Gutzureden, Locken, Schmeicheln, Drohen und Betteln irgendetwas zu erreichen. Doch nichts geschah. Jack gab keinen Mucks von sich. „Abranka! Hilf uns!“, jammerten die zwei vor der Tür lauernden Sorglospunks die Bandmuse an. Denn für sie als übernatürlicher Entität waren Türen natürlich nur ein äußerst bedingtes Hindernis – sie konnte mit ihrer Wolke locker durch das Fenster hineinfliegen, das bei den doch recht sommerlichen Temperaturen offen stand (Jack war eine regelrechte Frischluftfanatikerin). „Ich halte das für keine gute Idee. Wir können Jack doch nicht dazu zwingen, mit uns zu reden, wenn sie nicht will“, lenkte Abranka behutsam ein. „Doch!!!“, quengelte Easy. Die Muse verdrehte die Augen. „Stell dir vor, du ziehst dich zurück und Chris und Jack stehen vor der Tür und wollen unbedingt, dass du einen Song schreiben sollst. Was würdest du tun?“ „Die Tür nicht aufmachen!“ „Siehst du. Lasst sie in Ruhe. Irgendwann muss sie schon wieder rauskommen...“ Abranka zuckte mit den Schultern. Und während sie noch ins Wohnzimmer flog, um dort ein wenig „Babylon 5“ zu schauen (ihre Besessenheit für diese Science Fiction-Serie übertraf momentan sogar ihre Fußballbegeisterung), überfielen Easy und Chris Nifen, um die Bandmanagerin dazu zu bewegen, ein ernstes Wörtchen mit Jack zu reden. Drei Stunden später hatten die beiden Sorglospunks beleidigt aufgegeben und vermiesten Abranka ihre Science Fiction-Laune. Als dann auch noch Nifen dazu kam, stellte sie seufzend den Fernseher aus. Es kommt eben keine wirklich gute „Wir ziehen in einen aussichtslosen Kampf“-Endzeitstimmung auf, wenn zwei Nervenbündel neben einem hocken und jemand Drittes anquengeln. „Okay, Leute, beruhigt euch. Easy wollte schon dreimal aussteigen und Chris schon fünfmal nach Japan zu Umeko auswandern“, begann Nifen, was lautes Aufstöhnen bei Chris auslöste. Umeko war nämlich erst kürzlich von ihrem Praktikum auf Hallig Hooge nach Japan zurückgekehrt und Chris hatte es doch tatsächlich nur ein einziges Mal geschafft, sich zur Nordsee zu seiner Angebeteten durchzuschlagen. „Es gibt also keinen Grund, uns jetzt schon verrückt zu machen. Es kann durchaus nur der Stress gewesen sein und...“ „Nein, ich steige definitiv aus“, sagte in dem Moment Jack, die sich regelrecht hereingeschlichen hatte. „Ich mache eine Ausbildung und höre mit der Musik auf.“ „WAAAAAAS???“ Easy starrte ihre Zwillingsschwester erschüttert an. „Verrat! Mord! Totschlag! Waruuuuum?“ „Ach, Leute...“ Jack seufzte tief und fuhr sich durch die Haare. „Seien wir doch ehrlich: Wir müssen erwachsen werden. Die Band ist ein toller Traum, aber wir werden das nie packen. Wir tingeln durch die Gegend und nehmen jeden noch so doofen Auftritt an und am Ende haben wir doch nichts davon, außer ein paar Cent mehr in der Tasche. Ich will mich nicht mehr fragen müssen, ob wir nächsten Monat die Miete noch zahlen können!“ „Und was hast du vor?“, fragte Chris betont ruhig. Nur seine zitternden Finger verrieten, dass ihn die ganze Sache sehr mitnahm. „Ich fang eine Ausbildung an. Ich wollte schon immer Kartenlegen lernen und jetzt werde ich professionelle Wahrsagerin.“ Sie strahlte in die Runde. Nifen und Abranka sahen sich an. Unter einer Ausbildung mit toller Zukunftsperspektive und sicherem Einkommen stellten die beiden sich zwar etwas anderes vor, aber wenn Jack meinte... „Das kannst du doch nicht machen!“ Easy sprang auf. „Jack! Wir brauchen dich!“ „Ach, Quatsch. Jeder andere Drummer kann das auch übernehmen.“ Jack winkte ab. Sie schien sich das Ganze doch recht gut überlegt zu haben. Jedenfalls sah sie nicht so aus, als wenn sie sich von Easy-Gequengel, Chris-Argumenten und Nifen-Strategie erweichen lassen würde. Der Verdacht lag nahe, dass in diesem Fall sogar Chibichi auf Granit beißen würde. An Chibichi gedacht, sie angerufen und auf Jack angesetzt. Und bereits nach fünf Minuten war klar, dass Jacks Entscheidung bombenfest stand. (Bis dato hatte sie auch sehr ausgiebige Easy-Bearbeitung hinter sich) Sie würde die Band verlassen. Und das hieß, dass die Sorglospunks dringend Ersatz brauchten. Ohne Drummer konnte die Band schließlich kaum richtigen Punk spielen. Das Schlagzeug war wichtig! Und natürlich dachten die verbliebenen zwei Sorglospunks nicht daran, aufzugeben. Oh nein! Jetzt mussten sie es schließlich nicht nur der Welt, dem Himmel und der Hölle, sondern auch noch Jack zeigen! (Zumindest dachten die beiden verbliebenen Sorglospunks so, nachdem Manager und Muse ihnen ausgiebig aufgelistet hatten, dass nahezu alle Bands irgendeinen Ausstieg und Personalwechsel hatten überstehen müssen. Sogar die Beatles waren schließlich mal zu fünft gewesen!) Und während Jack auszog, um in einem Wahrsageschülerheim unterzukommen, machten sich die verbliebenen Bandmitglieder auf die Suche, einen Ersatz zu finden. Oder zumindest jemanden, der sowohl Drums als auch Triangel und möglichst noch Blockflöte spielen konnte. Und das würde mit Sicherheit nicht einfach werden. Jack hatte die Latte schließlich sehr, sehr hochgelegt. Und das wiederum bedeutete, dass das Sorglospunksduo sofort in die Vollen gingen, Anzeigen in den lokalen Käseblättern sowie auf der noch recht neuen Bandhomepage schalteten und das dringende Drummer-Bedürfnis in sämtlichen ihnen bekannten und vertrauten Internetforen hinausposaunten. Die erste, die sich für die offene Stelle in der Band bewarb, war Himeka. „Du kannst Schlagzeug spielen?“, fragten Chibichi und Abranka sie ungläubig. „Klar. Muss man doch nur drauftrommeln“, sagte die rothaarige Hexe fröhlich und legte los. Zehn Minuten später hatte die Sorglosjury – wie Easy spontan das doppelte Triumvirat aus ihr, Chris, Nifen, Abranka, Chibichi und last but not least Kiwi getauft hatte – es schließlich unter reichlich schmerzhaftem Ohrklingeln geschafft, ihr zu verstehen zu geben, dass das doch definitiv nicht ihr Ding war, dass ihr Bedürfnis, der Band zu helfen wirklich großartig war, aber sie ihnen sehr viel mehr half, wenn sie ihnen einen Trank gegen akute Ohrenschmerzen braute. Denn die würde die Jury garantiert noch bekommen. Das war ihr mittlerweile klar vor Augen geführt worden. Staubig war es hier. Staubig und verschnarcht. Anders ließ sich dieses Haus mit seinen Bewohnern – den Schülerinnen und ihren Lehrerinnen – nicht beschreiben. Jack zog bereits die Nase kraus, als sie mit gepackten Taschen hineinmarschierte. Noch mehr tat sie das allerdings, als sie im Klassenraum saß, inmitten von pinkfarbenen und goldenen Kissen, violetten Vorhängen und roten Seidenschals, die das Licht pseudogeheimnisvoll wirken ließen. Oh bei Gott, Teufel und Kiwi, wo war sie denn bitte hier gelandet? „Eine von euch besitzt keine gute Aura“, sagte in diesem Augenblick die Lehrerin – unschwer erkennbar an Massen an Tüchern, die sie sich um Kopf, Hals und diverse andere Körperteile gewickelt hatte, und dem goldenen Kettchen, das irgendwie mit drumherumgewickelt war und an diversen Stellen immer wieder aufblitzte. „Du.“ Sie zeigte auf Jack. „Wie lautet dein Name?“ „Jack.“ „Das ist kein Frauenname.“ „Für mich schon.“ Jack schob die Unterlippe vor und verschränkte die Arme vor der Brust. Na, das würde ja noch heiter werden… „Für mich aber nicht.“ Stechende, blaue Augen, die ihre Farbe gefärbten Kontaktlinsen verdankten, fixierten sie, während die anderen Schülerinnen immer weiter von Jack wegrückten. „Zeig mir, was du kannst, Mädchen.“ Jack erhob sich mühsam aus den weichen Kissen und kämpfte sich durch bis zu dem Tisch, auf dem das Kartenset lag. „Und jetzt leg die Karten, Mädchen.“ „Könnten Sie darauf verzichten, mein Geschlecht ständig so zu betonen?“, maulte Jack, während sie die Karten mischte. „Alternativ kann ich ihnen gerne einen Dämon oder die Furien vorbeischicken.“ Das Verhältnis der Sorglospunks zu den drei Rachegöttinnen hatte sich dank deren verhältnismäßig regelmäßigen Beschäftigung als Sorglospunks-Sicherheitskräfte durchaus gebessert. Allerdings kippte es gerade wieder eher ins Negative, weil es für die immer noch chronisch Aushilfsjobs durchführenden Furien nicht genügend Einsätze gab, um genug Geld zu verdienen und den Fängen des üblen Entitäts-Arbeitsamts dauerhaft zu entkommen. „Du drohst mir?“ „Nein, ich schlage Alternativen vor.“ Jack grinste, während sie die Karten lässig vor sich ausbreitete und langsam umdrehte. Jetzt kam nur der Teil, bei dem sie nur noch Bahnhof und Koffer klauen verstand. Die Karten wollten keinen Sinn ergeben. Oder besser noch: Sie ergaben schon einen… „Du bist hier falsch, Jack“, stellte die Kartenlegelehrerin trocken fest. „Sie hat Gänseblümchen auf ihrem Kleid“, flüsterte Easy Chris leise zu. „Das ist nicht punkig. Überhaupt nicht punkig. Das ist spießig!“ „Ja, aber vielleicht ist sie ja dennoch gut…“, wandte Chris leise ein. Nachdem er fünf von Jacks Fußball spielenden Verehrern hatte hören müssen, die eigentlich erwartet hatten, Jack hier anzutreffen, deswegen enttäuscht waren und tatsächlich absolut katastrophal mit Schlagzeug, Triangel und Blockflöte umgehen konnten, war er bereit, jedem anderen eine Chance zu geben. Ein Glück war außerdem, dass Himekas Trank gegen Ohrenschmerzen äußerst effektiv war. Abranka und Nifen blickten sich an. Stillschweigend rückten sie beide die Ohrstöpsel in ihren Gehörgängen zurecht. Bauschig hüllte das rosafarbene Kleid mit dem Gänseblümchenmuster die goldblonde Prinzessin ein, als sie sich auf dem Hocker hinter dem Schlagzeug niederließ. Dann legte Dornröschen los – und hörte erst wieder auf, als Chibichi sie aus lauter Verzweiflung k.o. schlug. Das würde zwar einigen Ärger mit dem zentralen Märchenrat geben – schließlich musste Dornröschen doch eine Weile mit einer großen Beule herumlaufen –, aber dieser Ärger war eher in Kauf zu nehmen, als der drohende dauerhafte Gehörschaden. „Wir finden nie einen Ersatz für Jack! Nie, nie, niemals, nie, nie, nie, NIE!“, jammerte Easy nach dem überstandenen Märchenattentat auf die Ohren und vergrub das Gesicht in den Händen. Chris tätschelte ihr hilflos den Rücken und sah die anderen drei Rat suchend an. Diese zuckten auch nur die Achseln. Allmählich machte sich bei ihnen auch langsam das gleiche Gefühl breit. Aber dennoch mussten sie versuchen, ohne Jack zurechtzukommen. Was nach der geschmissenen Wahrsageausbildung anfangen? Jack sah das Ganze recht pragmatisch. Wenn das Übersinnliche nichts war, dann war es vielleicht das ganz und gar Bodenständige. Sie würde Köchin werden. Jack lächelte und machte sich an die Arbeit. Zum Glück hatte sie für alle Fälle noch ein Ass im Ärmel, dass dafür sorgen würde, dass sie auch etwas fand… Zehn weitere Kandidaten später, von denen das Mädchen mit dem Micky Maus-T-Shirt und den hellblauen Haarsträhnen es geschafft hatte, die arglos hereinspazierte Kiwi mit einer akustischen Triangelattacke in Panik zu versetzen, war es Zeit für die Mittagspause. Und während Easy wieder einmal darüber jammerte, dass Jack absolut unersetzbar schien, grübelten die anderen darüber, warum bisher kein einziger geeigneter Kandidat aufgetaucht war. „Warum gibt es denn niemanden, der auch nur ein wenig Rhythmusgefühl hat?“, stöhnte Chris. „Und der Triangel und Blockflöte spielen kann…“, fügte Nifen hinzu. „Und Punk mag…“, ergänzte Chibichi. Ihr Hell-O-Berry piepste kurz und sie verschwand zu einem kurzen Telefonat. „Vielleicht sind unsere Ansprüche ja zu hoch“, überlegte Abranka. „Jack ist genauso einzigartig wie Easy und auch eine zweite Easy wäre absolut unmöglich zu finden. Wir sollten keine Jack mehr suchen, sondern einen vernünftigen Schlagzeuger. Alles andere könnte der ja dann auch lernen. Was meint ihr?“ „Klingt nach einem Plan“, stellte Nifen nüchtern fest. „Aber dennoch nehmen wir am besten alle noch etwas von diesem Antiohrenschmerzentrank. Ich fürchte, wir werden ihn brauchen…“ Eine halbe Stunde später saß die Sorglosjury wieder bereit und ließ den nächsten Kandidaten vorspielen. Die großen weißen Flügel und die Federn waren doch ein deutliches Anzeichen dafür, dass es sich bei Sataqiel um einen Engel handelte. Einen Engel, bei dem nach nur wenigen Sekunden klar war, dass er besser beim Harfespielen blieb denn beim Schlagzeug. „Himmel…“ Nifen schüttelte den Kopf, während der Engel verlegen vor ihnen stand und vor Nervosität an seinen Federn rupfte. „Ihr wollt mich nicht?“ Mit großen Augen sah er die Sorglosjury an. „Sorry, aber nein.“ Easy ergriff äußerst energisch das Wort. Sie war ja nie darum verlegen, zu sagen, was sie dachte, und das war bei dieser ganzen Wir-suchen-einen-neuen-Schlagzeuger-Aktion von äußerst großem Vorteil. „Aber dein Rhythmus passt einfach nicht zu unserem.“ „Aber… Der Boss hat gesagt, ich soll bei euch anfangen und auf euch aufpassen wegen eurer Seelen und…“ Sataqiel kam ins Stottern, blickte zu Chibichi und brach dann vollständig ab. Jetzt scharrte er nur noch mit den Füßen und starrte auf seine goldenen Sandalen. Die verbliebenen Sorglospunks, die Managerin und die Muse blickten den Teufel an. „Hey, was seht ihr mich so an? Ich will eure Seelen gar nicht mehr!“, empörte sich dieser. „Nein?“ Sataqiel lächelte glücklich. „Dann kann ich das ja ausrichten und die Mission war kein totaler Fehlschlag! Danke!“ Jubelnd und Halleluja singend flatterte er aus der Tür. „Ich nehme keine Sardinen aus. Das ist eklig.“ Jack weigerte sich partout die Fische auch nur anzufassen, während der Starkoch neben ihr nur den Kopf schütteln konnte. Wer hatte ihm nur diesen Lehrling angedreht? Da musste schon viel Geld oder viel Vitamin B im Spiel gewesen sein. Dieses Mädchen konnte ja noch nicht einmal Zwiebeln schneiden, ohne Gefahr zu laufen, sich ihre Finger abzuhacken! „Dann koch hinten mit Serge die Suppe“, fauchte er und wandte sich selbst den Sardinen zu. Jack zuckte die Achseln und marschierte zu Serge hinüber, der gerade mit der Zubereitung einer frischen Kräutersuppe beschäftigt war. Wenigstens waren hier keine Fische im Spiel. „Der Himmel war da, das Märchenland war da… Was kommt als nächstes?“ Abranka schüttelte den Kopf. Die Frage war einen Augenblick später bereits beantwortet. Eine Muse flatterte auf ihrer fliegenden Wolke hinein. „Was…?“ Abranka starrte ihre Arbeitskollegin verblüfft an. „Oh, hi.“ Die Muse stellte sich als Calliope vor und grinste in die Runde. „Anstatt zu inspirieren möchte ich viel lieber selbst agieren und kreativ tätig sein. Apollo hat mir sein Okay gegeben.“ Sie strahlte. „Darf ich loslegen?“ Nifen zuckte nur mit den Schultern und deutete auf das Schlagzeug. Sie hatten ja nichts mehr zu verlieren… Nachdem auch Calliope herauskomplimentiert worden war, wandte sich Chris an ihre Bandmanagerin. „Nifen, wo zum Teufel – nichts gegen dich, Chi – hast du die Anzeige überall geschaltet?“ „Na ja…“ Nifen lächelte. „Einfach überall. Denn das Normale ist für die Sorglospunks doch gar nicht gut genug.“ „Nee…“ Der Gitarrist schüttelte den Kopf und raufte sich die Haare. „Aber wie sollen wir denn mit irgendeinem übernatürlichen Wesen normal auftreten können???“ „Och, die haben alle einen Tarnmodus“, warf Chibichi fröhlich ein. „Für die meisten Menschen sehe ich auch menschlich aus. Die können Hörner und Flügel gar nicht sehen.“ „Na super.“ Chris stöhnte auf. „Als wenn das alles besser machen würde.“ „Tut es nicht?“ „Nicht viel!!!“ „Der nächste ist da!“, rief Easy in dem Augenblick von der Tür aus und ließ den nächsten Sorglospunks-Anwärter herein. Am nächsten Morgen fand sich die Sorglosjury verschlafen, sichtlich verkatert, obwohl keinerlei Alkohol im Spiel gewesen war, und desillusioniert in der Küche zum Frühstück wider. Bisher hatte man ja doch noch gehofft, irgendwie einen brauchbaren Ersatz für Jack finden zu können, doch so langsam waren bei allen Beteiligten – und nicht nur bei Easy –die akuten Zweifel daran nicht mehr zu verdrängen. „Also, mir hat ja Kali bisher am besten gefallen“, sagte Chris, während er genussvoll seinen Kaffee trank und sich dem langsamen Wachwerden hingab. „Klar. Die hat ja auch zehn Arme und kann mehr gleichzeitig spielen als jeder normale Mensch. Aber kann sie das auf der Bühne auch wirklich verstecken?“, gab Nifen zurück. Der Sorglosklang würde durch Kali zwar definitiv absolut einmalig werden, aber die potenziellen Fans durften natürlich auch nicht verschreckt werden. „Wir könnten die zusätzlichen Arme ja als Roboterarme verkaufen“, schlug Abranka vor, während Easy gar nichts dazu sagte, sondern vielmehr vor sich hinschmollte. Jack war und blieb für sie eben ein absolut notwendiges Mitglied der Sorglospunks. „So etwas kommt dummerweise immer irgendwann raus.“ Nifen legte die Stirn in Falten. „Und das dürfte uns mehr Probleme bereiten als Nutzen.“ „Blöd…“ Abranka seufzte leise. „Also suchen wir weiter.“ „Was haben wir denn für eine Wahl?“, gab Nifen trocken zurück. „Jaaaaack!!! Du kannst doch nicht in alle Gerichte Kaffee und Schokolade tun!“ Der Starkoch und Küchenchef hatte sich vor Jack aufgebaut und funkelte den ehemaligen Sorglospunks entsetzt an. „Was denkst du dir denn dabei?“ „Das sind doch Grundnahrungsmittel und das schmeckt immer.“ Jack blickte den Koch vollkommen verständnislos an. „Neeeeeeein! Das schmeckt nicht! Gar nicht! Das schmeckt katastrophal!“ „Stimmt nicht.“ Jack schob schmollend die Unterlippe vor. „Doch! Probier!“ Damit hielt er ihr einen Löffel mit der Suppe vor die Nase, die sie mit Schokolade und Kaffee aufgepeppt hatte. Vorsichtig probierte sie und verzog dann das Gesicht. „Ähem… Das war doch keine gute Idee?“, räumte sie vorsichtig ein. „Genau! Aber ich habe eine gute Idee: Du packst deine Sachen und verschwindest! Du bist gefeuert!“ Murmelnd, leise vor sich hinfluchend und äußerst betrübt legte Jack die Kochschürze ab und ging durch die Küche zur Tür. Sie warf noch einen kurzen Blick zurück, sah wie der Wasserdampf über den Töpfen hochstieg und durch die Luft waberte, die Kollegen eifrig ihrer Arbeit nachgehen und dass keiner ihr auch nur nachblickte. Wie gemein. „Mein Name ist Kitty. Kitty Bennet.“ Die junge Frau in dem lilablassblauen Kleid strahlte in die Runde. „Stolz und Vorurteil?“ Abranka blickte Nifen mit hochgezogenen Augenbrauen an. Nifen zuckte mit den Schultern. „Schauen wir mal, was sie kann.“ „Hoffentlich mehr als Dornröschen“, kam es vergnügt von Chibichi. Erstaunlicherweise besaß Kitty Bennet sogar ein recht gutes Rhythmusgefühl und konnte sogar mit der Triangel umgehen. „Die beste, die wir bisher gehört haben“, stellte Chris fest. „Warum möchtest du denn Mitglied bei uns werden und mit uns Musik spielen?“, erkundigte sich Easy in diesem Augenblick und musterte Kitty sehr genau. „Ach… Drei meiner vier Schwestern sind verheiratet und zu Hause ist es so langweilig! Mary liest nur und spricht darüber, ins Kloster gehen zu wollen. Ich darf noch nicht einmal mehr zu einem Ball gehen und Offiziere gibt es auch nicht mehr in der Nähe. Da möchte ich etwas anderes machen. Etwas, das mich beschäftigt und wobei ich einen guten Ehemann finde.“ Sie strahlte Chris an und blinzelte ihm verführerisch zu. Diesem lief es schlagartig eiskalt über den Rücken. „Veto“, flüsterte er nur leise. „Veto.“ Und sprach sich damit gegen die Entscheidung für Kitty aus. „Aber sie ist die Beste“, raunte Abranka ihm zu. „Ja, aber die will mich heiraten und dann macht Umeko mit mir Schluss“, beschrieb Chris leise sein persönliches Horrorszenario. Blanke Verzweiflung stand in seinen Augen. „Okay…“ Abranka stupste Nifen in die Seite, deutete auf Chris und die Managerin verstand gleich. „Vielen Dank, Kitty. Wir werden uns bei dir melden.“ „Aber macht schnell, ja?“ Damit hüpfte Kitty fröhlich winkend und Chris noch einmal zuzwinkernd aus der Tür. „Uff…“ Der Gitarrist schnaufte tief durch und fuhr sich durch die Haare. „Das war knapp… Ich habe mich schon an sie gekettet gesehen.“ Die anderen wechselten einen langen Blick. „Wir brauchen Jack zurück“, stellte Easy nüchtern fest. „Wir finden niemals jemanden, der gut spielen kann und zu uns passt. Nur Jack passt.“ „Probieren wir noch den nächsten?“, fragte Nifen. „Na gut…“, wurde ihr widerwillig zugestanden. Chris war es, der diesmal zur Tür ging, vorher jedoch rausspähte. „Wir brauchen Jack ganz dringend zurück!“, rief er entsetzt aus. „Hä?“ „Da draußen steht Nessie vor der Tür!!!“ Der Rest der Sorglosjury stürmte sofort zum Fenster und blickte hinaus. Tatsächlich. Dort stand das berühmte Monster aus dem Loch Ness noch etwas nass und mit Drumsticks in den großen Pfoten. „Chi, wo ist Jack gerade? Was macht sie?“, wandte sich Nifen an den Teufel. „Was? Du weißt, wo sie steckt?“, empörte sich Easy. „Klar. Oder was glaubst du, wie sie sonst so kurzfristig an ihre Ausbildung gekommen wäre?“ „Verräterin!“ Mit erhobenen Fäusten ging Easy auf ihren Lieblingsteufel los. „Gar nicht!“ Chibichi wehrte Easy mit Leichtigkeit ab. „Ich wollte sie nur im Auge behalten. Außerdem mag ich euch alle und helfe euch, wo ich nur kann.“ „Wo ist sie, Chi?“, drängelte Abranka. „Studiert BWL. Nachdem die Ausbildung zur Köchin nichts war, hat sie damit angefangen. Ich bringe euch mit Baby hin.“ Sprach’s und schleppte die Sorglosjury zur Hintertür – dem Fenster zum Garten – nach draußen. Jack fand die Vorlesung endlos langweilig. Wer hatte sich diesen trockenen Mist nur ausgedacht? Sie seufzte tief und stützte das Kinn in die Hände. „Na, du siehst aber nicht gerade glücklich aus“, meinte der Kommilitone, der neben ihr saß, trocken. „Nee… Das hier ist laaaangweilig.“ Sie drückte die Stirn auf die Tischplatte. „Was hast du erwartet?“ Er schüttelte amüsiert den Kopf. „Was Interessantes?“, gab sie zurück und blinzelte ihn von unten her an. Dann seufzte sie erneut. „Alles, was ich anpacke, ist eine Katastrophe. Zwei Ausbildungen geschmissen und jetzt das. Ich will wieder zurück!“ „Was hast du denn davor gemacht?“, fragte er neugierig. „Ich war Drummer in einer Punkband.“ „Cool! Warum hast du das aufgegeben?“ „Weil ich dachte, dass das nichts bringt. Dass das keine Zukunft hat.“ Sie seufzte. „Aber das stimmt nicht. Alles andere bringt nichts.“ „Dann solltest du zurückgehen.“ „Und wenn sie schon Ersatz gefunden haben?“ „Hältst du dich für ersetzbar?“ „Nee.“ Sie grinste. „Ich bin einzigartig.“ „Na siehst du.“ Er erwiderte ihr Grinsen. „Schreib mir deine Nummer auf, dann sag ich dir beim nächsten Gig Bescheid.“ Sie wartete einen Augenblick, bis er ihr den Zettel gab, dann sprang sie auf und eilte aus dem Hörsaal. Freiheit, Sorglospunks! Das erwartete sie jetzt! Als Jack auf den großen Platz vor dem Hörsaalzentrum kam, staunte sie nicht schlecht. Dort standen Easy, Chris, Nifen, Abranka und Chibichi. Sogar Kiwi hatten sie mitgebracht. „Jaaaack!“ Easy stürmte sofort auf ihre Zwillingsschwester zu und fiel ihr um den Hals. „Du musst wieder zurückkommen! Du kannst ja nebenbei studieren und so. Aber du musst zurückkommen. Once more with feeling und so! Wir brauchen dich, Jack!“, sprudelte sie los. Jack tätschelte ihr den Rücken und sah die anderen an. „Alles Vollkatastrophen, die sich beworben haben“, grinste Chris. „Du bist die einzig Wahre.“ „Hey, das war doch wohl klar!“ Jack grinste breit. „Also, kommst du zurück?“, fragte Nifen. „Klar. Ich wollte gerade zu euch.“ Sie strahlte in die Runde, während Easy ihr vor Begeisterung die Luft aus der Lunge quetschte. „Wir müssen ein Reunionskonzert geben!“, jubelte Chris. „Ja, und zwar direkt hier auf dem Campus.“ Jack grinste. „Habt ihr die Instrumente mit?“ „Alles in Baby drin“, erwiderte Chibichi und gab Kiwi, die sie die ganze Zeit auf dem Arm gehalten hatte, an Abranka weiter, um das Equipment herzuholen. „Ich kümmere mich um das Organisatorische“, kam es noch knapp von Nifen, dann flitzte sie auch schon Richtung Universitätsverwaltung davon. Gerade einmal zwei Stunden später standen die Sorglospunks auf einer improvisierten Bühne zwischen Hörsaalzentrum und Universitätsbibliothek und zeigten dem gesamten Campus, was es hieß, eine sorglose Punkband zu sein. Natürlich hatte Jack den netten Kommilitonen angerufen und freute sich darüber, dass er in der ersten Reihe stand, gar nicht unweit von Chibichi, die nun wieder Kiwi auf dem Arm hielt. „Hallo Leute, hallo Uni, hallo Welt! Wir sind die Sorglospunks und unsere tolle Wiedervereinigung feiern wir heute bei euch mit unserem neusten Hit! Once more with feeling!“, brüllte Easy begeistert ins Mikro. Abranka grinste und hielt ihre gesamte Inspirationsmunition bereit, während Jack die Drumsticks durch die Finger kreisen ließ und Chris die Saiten seiner Gitarre liebevoll tätschelte. Und dann legten die Sorglospunks erst richtig los. „Geh doch nicht! Nicht hier und nicht jetzt! Geh nicht! Bitte, bitte, geh nicht! Wir haben Gänseblümchen zusammen gepflückt, sind an das Ende der Welt gelaufen, wir sind um die Erde geflogen und haben mit dem Marsupilami gesungen! Oho… Bitte geh doch nicht! Nicht hier und nicht jetzt! Geh nicht! Bitte, bitte, geh nicht! Denk doch zurück, denk an uns, denk an das Wir und du weißt, wir sind Schillers Erben! Wir rocken drauflos bis in den Tod! Denk doch zurück, denk an uns, denk an das Wir und du weißt Once more with feeling und alles wird gut! Denn wir, wir sind doch wir!“ Kapitel 44: Original vs. Fälschung ---------------------------------- „Habt ihr das schon gesehen???“ Hysterisch mit einem offensichtlich von seinem ursprünglichen Bestimmungsort abgerissenen Plakat in der Hand stürmte Easy in das Wohnzimmer der Sorglospunks-WG. Dort saßen Nifen, Abranka und Chris gerade zusammen. Während Chris hingebungsvoll seine Gitarre polierte und darüber die Welt nahezu vergaß, schauten Nifen und Abranka mit großer Faszination die Verfilmung von „Stolz und Vorurteil“ aus dem Jahre 1940. Bei beiden hatte der SuV-Virus zugeschlagen und hielt sie hartnäckig in seinem Bann. „Mhm?“ Nifen zwang sich dazu, sich vom Bildschirm loszureißen. „Was?“, erkundigte sich Abranka und blinzelte aus dem Augenwinkel weiterhin zu Elizabeth und Mr. Darcy hinüber. „Na, das hier!!!“ Man konnte die Ausrufezeichen hinter Easys Worten nahezu hören. Sie hielt das Plakat hoch. ‚The Carelesspunks’ stand dort in riesengroßen, hellgelben Lettern. Darunter war amateurhaft eine Gitarre mit Flossen gemalt. „Die machen uns nach!!!“, rief die Sängerin der innovativen und wenigstens zweitbesten Band der Welt – der Sorglospunks, deren Logo übrigens eine Gitarre mit Flügeln war –, beinahe panisch aus. „Dann aber schlecht.“ Nifen zog eine Augenbraue hoch. Abranka grunzte nur zustimmend und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder voll und ganz auf das Bildschirmgeschehen. Chris hatte noch nicht einmal kurz von seiner Gitarre aufgeblickt, sondern fuhr weiter liebevoll mit dem weichen Lappen über das Holz. Empört stemmte Easy die Hände in die Hüften. „Das ist eine ernsthafte Bedrohung! Die wollen uns nachmachen!!!“ „Nein, das ist keine Bedrohung, sondern vielmehr eine Ehre, weil die euch so toll finden, dass die wie ihr sein wollen.“ Easy schnaubte vernehmlich. „Das glaubst du doch wohl selber nicht. Das ist Vorsatz! Vorsätzlicher Diebstahl! Nichts anderes! Und sowieso… Wo ist überhaupt Jack?“ Kaum gesagt, stürmte diese schon in das Wohnzimmer der sorglosesten Punkband der Welt. „Habt ihr das schon gesehen???“ „Hat sie auch ein Plakat in der Hand?“, erkundigte sich Abranka, ohne Mr. Darcy aus den Augen zu lassen. „Nein, sieht eher nach einer Zeitung aus“, erwiderte Nifen, die das Multipercussionswunder Jack aus dem Augenwinkel fixiert hatte. „Mist.“ Damit drückte die Muse auf die Pausetaste des DVD-Players und richtete ihre Aufmerksamkeit nun tatsächlich auf Jack, die langsam wieder zu Atem kam. Nifen tat es ihr gleich und auch Chris blickte von seiner Gitarre auf. „Hört euch das an“, keuchte Jack und begann vorzulesen, was in dem Artikel des dörflichen Käseblatts stand: „Die junge Punkbank The Carelesspunks ist die große Neuentdeckung dieses Winters. Mit frechen, unerwarteten Texten, dynamischer Musik und guter Laune eroberten sie am letzten Samstag den Stadtpark mit einem kostenlosen Konzert im Schnee. Innerhalb weniger Minute waren die Wiesen voll von begeisterten Zuhörern, die aus dem Jubeln kaum mehr herauskamen. Frontfrau Flimsy zeigte sich von der Stimmung begeistert und betonte, dass sie genau deswegen aus der Hauptstadt ins Schwabenland gezogen seien. Gitarristin Union, die sie als ihre Zwillingsschwester bezeichnete, obwohl sie sich bis auf die Haarfarbe nicht ähnlich sehen, war ebenfalls äußerst angetan und verkündete, dass unsere kleine Stadt zukünftig ihr Zuhause sein solle. Der Drummer Lutz war zu keiner Äußerung zu bewegen, da er die gesamte Zeit sein Schlagzeug polierte.“ „Die machen uns nach!!! Und zwar voll mit Absicht!!!“, rief Easy aus, kaum dass Jack geendet hatte. Der Rest der Truppe sah sich an. Nifen, Abranka und Chris mussten einräumen, dass die Sorge der Zwillingsschwestern wohl doch begründet war. „Ich recherchiere über die“, verkündete Nifen, waren doch gerade Recherchen für sie als Bandmanagerin absolutes Fachgebiet, und stürmte gen schneller PC davon. „Ich helfe ihr“, entschied Chris und flitzte hinterher. Zuvor legte er seine Gitarre aber noch liebevoll bei Seite. „Schreib einen neuen Song, Easy“, schlug Jack vor. „Wir brauchen einen echten Hammer, der alle Welt davon überzeugt, dass wir das Original sind und die überhaupt nichts.“ Entgegen ihrer sonstigen Ich-drücke-mich-vor-dem-Song-schreiben-Art salutierte Easy stramm und griff sofort nach Abrankas Arm. „Los, wir müssen einen Hit schreiben!“ Zwei Stunden später hatten Muse und Songwriterin vom Texten die Nase voll und entschieden, bei einer großen Tasse heißem Kakao mit viel Sahne eine Kreativpause zu machen. Jack schlug auch recht schnell bei ihnen auf – sie hatte in der Zwischenzeit Nifen und Chris tatkräftig bei ihren Recherchen und dem Pläneschmieden unterstützt. Irgendwer musste schließlich dafür sorgen, dass sie nicht wieder im Cowboy-Outfit irgendwo auftraten. Wenig später folgten noch Chris und Nifen zu dem erneuten Sorgloskriegsrat in der Küche. Auch wenn der heiße Kakao eine gewisse Linderung für jegliche Art von Aggressivität mit sich brachte. Eines stand schnell fest: „Wir müssen die im direkten Vergleich schlagen und allen zeigen, dass wir das Original sind und niemand anderes.“ Das waren Jacks weise Worte, die keiner der Anwesenden bezweifelte. „Aber… wie das anstellen?“, hakte Abranka sofort nach und erntete von Nifen ein breites Grinsen. „Nun, auf ihrer Homepage haben die Carelesspunks“ – Easy warf dazwischen: „Widerliche Nachmacher!“ – „ihre Auftrittsdaten stehen und ich konnte euch für den kommenden Samstag bei der gleichen Veranstaltung unterbringen.“ „Und das wäre?“, fragte die Muse mit hochgezogener Augenbraue. Sie war ungeduldig, wussten doch Chris und Jack schon längst über alles Bescheid, nur sie und Easy nicht. Und Easy war gerade sowieso nur als sehr bedingt zurechnungsfähig einzustufen. „Die spielen in einem Club… Dem Manhattan. Und wir treten nach denen auf und zeigen denen mal, was es heißt, das Original zu sein.“ Jack malte kampfeslustig mit den Worten ihren Sieg in die Luft. „Sagst du auch noch, was der Nachteil daran ist?“, warf Chris ein und verzog das Gesicht, um ganz deutlich zu machen, dass er davon nichts hielt. „Nachteil?“ Easy war sofort voll da und funkelte Nifen und ihre Zwillingsschwester an. „Was für ein Nachteil?“ „Na ja… Erstens bekommen wir kein Geld für den Auftritt und zweitens… wenn wir schlechter sind als diese Careless-Kerle, dann können wir wohl unseren Ruf vergessen…“, sagte Jack kleinlaut. „Aaaaaber ohne Risiko kein großer Sieg.“ Nifen klang entschieden und äußerst überzeugt. „Glaubt an euch und ihr werdet sie besiegen.“ „Genau! Die sind doch bloß ne schlechte Kopie!“, jubelte Easy. Abranka sah das Ganze schon etwas skeptischer und nutzte die Gelegenheit, sich zu einem kurzen Telefonat zu verdrücken. Der Sorglosfan Nummer eins und niemand anderes als der Teufel höchstpersönlich in Personalunion musste dringend von dem informiert werden, was hier vor sich ging. Und vielleicht konnte sie ja durchaus mithelfen und „ihren“ Sorglospunks beistehen… Das Manhattan war ein Club, der sich bemühte, weltgewandt und international und besonders nach New York auszusehen. Da er jedoch die kleinstädtisch-provinzielle Sicht von New York widerspiegelte, hatte er mit der tatsächlichen Großstadt im fernen Amerika ungefähr so viel gemein wie eine Kuh mit Skispringen. Nervös sahen sich die Sorglospunks inklusive der Zwei-Frau-Crew aus Nifen und Abranka (Chibichi hatte widerwillig absagen müssen, weil ihr schon wieder eine Himmel-&-Hölle-Konferenz dazwischen gekommen war, hatte aber angeboten, Murphy auf Abruf bereitzustellen) um, konnten aber in dem sich langsam füllenden Club ihre Widersacher nicht ausmachen. Hinter der Bühne jedoch, wo sich Umkleide und Aufenthaltsraum für die Künstler befanden, traf man sich jedoch. Noch ehe irgendein Wort gefallen war, hatte Jack Easy auch schon am Arm gepackt und hinderte sie vorsorglich daran, sich auf ihre Gegenspieler zu stürzen. Die Carlesspunks sahen den Sorglospunks so ähnlich wie ein Komplementärfarbenbild dem Original: ähnlich, aber eindeutig nicht gleich. Die Pseudozwillinge – denn dass das keine Zwillinge waren, sah man auf dem ersten Blick und spätestens an der Nase! – Flimsy und Union waren hellblond und hatten Sommersprossen und Lutz besaß leuchtendrotes Haar, das ihm buschig vom Kopf abstand. Die Art, wie er in Parodie auf Chris seine Drumsticks polierte, brachte den sorglosen Gitarristen dazu, sich beinahe auf ihn zu stürzen. Doch wieder war Jack schneller und packte ihren Bandkollegen am Schlafittchen. „Schön euch zu treffen“, säuselte Jack, während sie Easy und Chris auf ein durchgesessenes Sofa bugsierte und wie ein Wachhund vor ihnen stehenblieb. „Ihr habt echt einen interessanten Bandnamen.“ „Danke.“ Flimsy strahlte ihre Konkurrenz an. „Es ist auch toll euch zu treffen…“ „…damit wir euch zeigen können, dass wir viel besser sind“, ergänzte Union und warf damit den Fehdehandschuh in die Runde. Jetzt konnte auch Jack Easy nicht mehr bändigen. „Ach ja? Wir sind tausendmal besser als ihr! Ihr habt ja noch nicht einmal einen gescheiten Manager!“, rief die Sorglospunks-Frontfrau aus und sprang auf. „Wie kommst du denn darauf? Er muss uns nur nicht wie ein Kindermädchen betüddeln“, gab Union süffisant zurück, während Flimsy leise kicherte. „Und er sieht besser aus als eure Anzugheldin.“ Nifen zog die Augenbraue hoch. Hossa… Da war aber Gift im Spiel. „Nifen sieht toll aus! Und sie ist die beste Managerin der Welt!“, explodierte Easy. „Wie wäre es denn mit einem Wettkampf?“, schlug Jack betont lässig vor. „Wer das Publikum überzeugt, ist die bessere Band. Oder habt ihr Angst?“ „Wir und Angst vor euch? Niemals!“, rief Union aus. „Wir werden das Publikum im Sturm erobern und ihr müsst danach auf dem Boden kriechen!“ Natürlich brachte dieser Vorschlag nicht mehr Ruhe in die Situation, im Gegenteil. Flimsy und Easy brüllten um die Wette, Chris und Lutz waren kurz davor, sich mit Drumsticks und Gitarre zu verprügeln und Jack und Union funkelten sich derart an, dass Nifen und Abranka, die natürlich unsichtbar bei der Band war, sich sicher waren, dass bei den beiden als erstes Blut fließen würde. Gott sei Dank wurden dann die Carelesspunks auf die Bühne gerufen. „Grauenhaft.“ Nifen schüttelte den Kopf. „Die sind so eine schlechte Kopie und so etwas von sich überzeugt. Widerlich.“ „Wenn es dich beruhigt: Sie haben keine Bandmuse. Jedenfalls noch nicht. Dafür müssen gewisse Voraussetzungen an Genialität, Originalität und Erfolg vorhanden sein und das besitzen die drei offenbar noch nicht“, sagte Abranka und flog dicht neben Nifens Ohr, um sich leise mit ihr unterhalten zu können. Die Sorglospunks und ihre Zwei-Frau-Crew standen nun hinter der Bühne und beobachteten von dort den Auftritt der Carelesspunks. „Das heißt, die könnten eine bekommen?“ Nifens Miene verfinsterte sich. „Möglich wäre es.“ Abranka hob die Schultern. „Es ist auf jeden Fall nicht auszuschließen.“ Nifen seufzte tief. „Ich wette, dann werden die erst wirklich unausstehlich…“ Und mit diesen düsteren Worten schwieg Nifen dann und lauschte dem ersten Song der Carelesspunks. Die Band bot genau das, was die Sorglospunks insgeheim erwartet hatten: Amateurhafte Fähigkeiten an den Instrumenten auf Anfänger-Schulbandniveau und pseudolustige, pseudointellektuelle Sorglos-Gute-Laune-Songtexte in schlechtem Schulenglisch. Kurzum: Das Original war besser. Und das nicht nur aus einem vollkommen voreingenommenen Blickwinkel. Auch das Publikum, das den Carelesspunks natürlich weitaus neutraler gegenüberstand, zeigte keine übermäßig große Begeisterung. Somit bestand für die Sorglospunks also die berechtigte Hoffnung, dass sie als Original weitaus besser aufgenommen würden als ihre schlechte Kopie. Während die Carelesspunks gerade von Bananenregen und Butterbrotsoße sangen, machten sich die Sorglospunks bereit. Es gab einen fliegenden Wechsel, bei dem Lutz Chris die Drumsticks in den Bauch piekste, Jack Union ein Bein stellte und Easy von Flimsy zu Boden geschubst wurde. Dann standen die Sorglospunks auf der Bühne. Und mit ihnen niemand anderes als ihre unsichtbare Muse. Es war klar, dass sie wenigstens einen neuen Hit bringen würden. (Dessen Grundthema hatten Easy und Abranka ja schon erarbeitet.) Aber vorher gab es erst einmal eine ihrer Bandhymnen, denn die war bekanntlich ein toller Eisbrecher und ein wirklicher Kracher. Zwei Songs später war es dann so weit. Abranka ließ die Inspirationsblitze fliegen und die Sorglospunks waren bereit, mit ihrem neusten Hit loszulegen. „Und hier ist er, der ganz brandneue Song nur für euch und unsere liebe eklige Konkurrenz!“, schrie Easy ins Mikro und legte dann unter der Begleitung von Jack und Chris los: „Klaut uns nicht unsern Namen Versucht nicht zu sein wie wir Denn wir, wir sind einmalig Ja, wir sind einzigartig Und ihr, ja ihr …nur Nachahmer! Sorglospunks sind stets sorglos Ja, Sorglospunks sind stets sorglos Und ihr doch viel, viel, viel …zu verkrampft!“ Nie war das örtliche Käseblatt so sehnsüchtig erwartet worden, wie an dem folgenden Tag. Kaum hatte der Zeitungsbote dasselbe in den Briefkasten gestopft, als auch schon alle drei Sorglospunks nach unten stürmten, wieder hochgerannt kamen, allesamt über Kiwi stolperten und dann ins Wohnzimmer stürzten, um Abranka, Nifen und die zu Besuch gekommene, weil neugierig, Chibichi sofort zu informieren. Jack hatte sich die Zeitung erkämpft und las keuchend vor, während Easy an dem Blatt zerrte und Chris sich sein geprelltes Schienbein rieb. Kiwi war sicherheitshalber zu Chibichi geflüchtet. Wer wusste denn schon, welch weitere gemeine Mordanschläge ihr noch drohten! „Im Manhattan konnte gestern Abend der Showdown zwischen zwei jungen Bands beobachtete werden. Während die Sorglospunks sich hierzulande bekanntlich bereits einen Namen gemacht haben und regelmäßig in aller Munde sind, sind die Carelesspunks noch eine recht unbekannte junge Band. Dem Vorwurf, dass die Carelesspunks doch nur ein müder Abklatsch der allseitsbeliebten Sorglospunks seien, gaben die Musiker Easy, Jack und Chris deutlich Ausdruck, indem sie einen neuen Song zum Besten gaben, in dem es heißt: ‚Klaut uns nicht unsern Namen/ Versucht nicht zu sein wie wir’. Das nennt man Größe und Ironie, die den Carelesspunks sichtlich abgehen. Auch das Publikum schlug sich deutlich auf die Seite der Sorglospunks, die die erste Runde in diesem Aufeinandertreffen eindeutig für sich entscheiden konnten. Ich bin mir allerdings sicher, dass wir von der Konkurrenz dieser beiden Bands auch in Zukunft noch hören werden.“ Jack grinste zufrieden, Easy reckte vor Begeisterung mit einem Jubelschrei die Faust in den Himmel und Chris hopste in die Luft, nur um sofort festzustellen, dass das mit seinem lädierten Bein keine so gute Idee war. Auch Chibichi, Nifen und Abranka grinsten zufrieden, wenngleich sie mit der Ansicht des Käseblatt-Journalisten übereinstimmten und sich ebenfalls recht sicher waren, dass das nur das erste Aufeinandertreffen und gegenseitige Messen dieser zwei Bands gewesen war… Kapitel 45: Befreit Chelone! ---------------------------- „Wow! Seht euch mal die Schildkröte da an!“ Easy flitzte von dem Stachelschweingehege weiter zu den Riesenschildkröten. „Die ist gigantisch! Fantastisch!“ Wir hatten uns entschieden, an diesem sonnigen Mittwoch im späten März einen Ausflug in den verhältnismäßig nahegelegenen Zoo zu machen. Jack, Easys Zwillingsschwester, war dieser mittlerweile an das Gehege gefolgt und erklärte knapp – und nach einem kurzen Blick auf die Erklärungstafel -, dass es sich bei dieser Schildkröte um eine Galapagosschildkröte handelte, die problemlos einhundert Jahre alt werden können. „Hundert Jahre!“, stieß Easy hervor. „Wahnsinn!“ „Schaff dir also lieber keine Schildkröte als Haustier an. Die überlebt dich noch“, ergänzte die Bandmanagerin Nifen trocken und beugte sich neben der Frontsängerin der Sorglospunks über das Geländer, um die Schildkröten besser sehen zu können. Das Exemplar, auf das Easy gezeigt hatte, war wirklich riesig. Auch im Vergleich zu den anderen Schildkröten in dem Gehege. „Die ist wohl die älteste“, mischte sich nun auch Chris ein, der Gitarrist, der sich bisher eher im Hintergrund gehalten hatte. „Alter und Größe dürften ja wohl zusammenhängen oder, Dr. Jack?“, zog er ihre Bandleaderin fröhlich auf. „Davon ist auszugehen“, dozierte Jack mit überheblichen Tonfall und Schalk in den Augen. „Dieses Exemplar, das sie dort sehen, ist bereits mehrere hundert Jahre alt. Aber da für die Menschen Schildkröten immer gleich aussehen, haben sie das natürlich nicht bemerkt und reichen sie von Zoo zu Zoo weiter, ohne zu ahnen, welches Wunder der Natur sie in ihrer Mitte haben.“ Bei ihren Worten hob die riesige Schildkröte den Kopf und blickte die Besucher aus ihren alten Augen aufmerksam an. Ich zuckte zusammen. In diesen Augen lag nicht die typische Lethargie, wie man sie von Zootieren kannte und gerade bei Schildkröten erwartete. Nein, diese Augen leuchteten nur so vor Intelligenz. Mich durchzuckte dieser Blick wie ein Blitzschlag. Als Muse habe ich ein sehr gutes Gespür dafür, wenn sich mir jemand oder etwas Übersinnliches gegenüber befindet. „Wer bist du?“, flüsterte ich unwillkürlich und wiederholte diesen Satz dann noch einmal auf Altgriechisch. Tatsächlich reagierte die Schildkröte und malte einige Zeichen in den Sand. „Hey, schaut mal, was sie da macht!“ Easy fiel vor lauter Begeisterung fast über die Brüstung. „Sie malt… Kauderwelsch.“ „Lass sehen.“ Ich schob mich an ihr vorbei und nutzte die Bewegungsfreiheit, die ich durch meine fliegende Wolke besaß und sah mir die Zeichen aus einem günstigeren Blickwinkel an. Schildkröte stand dort, auf Altgriechisch. Chelone. Mir klappte die Kinnlade herunter. Diese Schildkröte war niemand anderes als Chelone! „Sorglospunksversammlung!“, rief ich und flitzte zu den anderen zurück. „Was ist los?“, fragte Nifen sofort. „Das da in dem Gehege ist Chelone!“ „Wer ist Chelone?“, kam es sofort von Easy. „Chelone ist eine junge Frau gewesen, die es gewagt hat, als einzige von allen Menschen und Göttern nicht zu der Hochzeit von Zeus und Hera zu gehen. Natürlich haben sich alle sehr darüber aufgeregt und Hermes hat sie daraufhin in eine Schildkröte verwandelt…“ „Und das ist diese Schildkröte?“, rief Jack aus. „Schrecklich! Und das für so lange Zeit! Ich mein… Wann haben Hera und Zeus geheiratet?“ „Vor einer Ewigkeit.“ Meine Antwort war knapp und doch ausreichend genug. Chris schüttelte fassungslos den Kopf. „Und das nur, weil sie nicht da war?“ „Wir müssen ihr helfen!“, posaunte Easy. „Aber wie?“ Nifen fuhr sich nachdenklich durch die Haare. „Na, Chi nimmt diesen Hermes in die Mangel und dann wird alles gut“, strahlte Easy. „Ganz so einfach dürfte das wohl kaum sein“, warf ich ein. „Hermes ist immerhin ein Gott. Und die Götter, der Teufel und der Rauschebart haben so eine Art Nicht-Angriffs-und-Gegenseitige-Toleranz-Pakt geschlossen. Und wenn sich Chi mit Hermes anlegt… Nun ja… Armageddon wäre dann doch recht wahrscheinlich.“ „Okay, das spricht eindeutig gegen diesen Plan.“ Nachdenklich zwirbelte Nifen eine Haarsträhne zwischen zwei Fingern. „Wir legen uns mit Hermes an!“, tönte Chris vollmundig. „Sicher?“ Ich zog eine Augenbraue hoch. „Wenn sich Menschen mit den Göttern anlegen, dann leben sie normalerweise nicht mehr sehr lange. Selbst Halbgötter wie die ganzen Helden tun das nicht. Die sind alle sehr jung gestorben.“ Schlagartig war Chris von dieser Idee nicht mehr besonders begeistert. „Gibt es keine friedliche Lösung?“, fragte Jack. „Wie wäre es denn, wenn sie sich einfach entschuldigt?“, warf Nifen ein. „Was?“ Irritiert blickte ich sie an. „Soweit mir bekannt ist, haben die Götter die Tendenz dazu, leicht beleidigt zu sein. Aber sie sind durchaus auch bereit, sich beschwichtigen zu lassen, oder nicht? Also… Wir schaffen Chelone auf den Olymp und sie entschuldigt sich direkt bei Zeus und Hera. Dann hat Hermes nichts mehr zu melden, sondern der Göttervater und seine Gattin entscheiden selbst.“ „Womit wir den Schwarzen Peter namens Hermes los wären.“ Chris strahlte. Ich hob die Schultern. „Versuchen wir es.“ Dann fiel mir etwas ein und ich musste breit grinsen. „Außerdem ist morgen der Hochzeitstag von Zeus und Hera. Das ist doch die perfekte Gelegenheit!“ „Super!“ Nifen strahlte. „Jetzt müssen wir nur noch Chelone hier wegbekommen.“ Jack warf der Schildkröte, die uns die gesamte Zeit über aufmerksam aus klaren Augen beobachtet hatte, einen langen Blick zu. Wir verbrachten die nächsten Stunden damit, Pläne zu schmieden. Und wer jemals auf die Idee gekommen ist, eine 200 Kilogramm schwere Schildkröte aus einem Zoo zu entführen und anschließend auf den Olymp bringen zu wollen, der kann sich ausmalen, dass nicht so einfach ist. Doch schließlich hatten wir einen Plan. Vor dem Zoo würde uns das derzeit unsichtbare Wolkenmobil der Glücksbärchis mit Schmusebärchi und Geheimnisbärchi erwarten. (Die Glücksbärchis halfen ihren Freunden ja bekanntlich gerne.) Mit in den Zoo hatten sie leider nicht kommen können, da sie noch einen wichtigen Auftrag in der Stadt erledigen und wenn wir unseren Zeitplan einhalten wollten, um rechtzeitig zu den Feierlichkeiten von Zeus’ und Heras Hochzeitstag auf dem Olymp einzutreffen, mussten wir die Entführung selbst erledigen. Leise schlichen die Sorglospunks durch den verlassenen, nächtlichen Zoo zu dem Schildkrötengehege. Alle vier hatten sich in grau-schwarz gemusterte Tarnkleidung gehüllt, die in den Schatten derart effektiv war, dass ich die vier nur anhand ihrer Bewegungen ausmachen konnte. Ich selbst musste mir über Tarnung wenig Gedanken machen, war ich für die meisten menschlichen Augen doch eh unsichtbar. „Chelone!“, rief ich leise, als wir das Gehege erreicht hatten. Die große Schildkröte streckte den Kopf aus dem Stall und ich meinte so etwas wie ein Lächeln auf ihrem Gesicht zu sehen, als sie auf uns zukam. Sofort handelten alle nach Plan. Nifen und Easy kletterten ins Gehege, um Chelone mit dem Zaubertrank einzusprühen, Easy und Jack standen Schmiere und Chuck und Chuck würden in fünf Minuten mit dem Transportmittel auftauchen. „Hoffentlich wirkt das Zeug auch“, murmelte Easy ungewohnt pessimistisch, während sie Chelone einsprühten. „Klar. Kiwi war doch auch auf einmal so leicht wie eine Feder“, gab ich zurück und erinnerte damit an unser Experiment, um hinsichtlich der Wirksamkeit des Tranks sicherzugehen. „Kiwi wirkt aber auch keinen 200 Kilo“, kam es pikiert von Easy zurück. Gut, da hatte sie Recht. Aber Himeka war der Überzeugung gewesen, dass das Ursprungsgewicht für die Reduzierung auf die Masse einer Feder keine Rolle spielte. Nifen hatte das Seil um Chelones Panzer geschlungen, festgezurrt und reichte mir nun das Ende. Ich schwebte höher und beobachtete, wie sich das Seil erst straffte und die Schildkröte dann den Boden unter den Füßen verlor. Geistesgegenwärtig legte Nifen Easy die Hand auf den Mund und verhinderte gerade eben noch, dass diese ein lautes Jubelgeheul ausstieß. „Los, schnell. Der Trank wirkt nicht lange. Nur fünf Minuten“, erinnerte mich Jack, die sich weit über das Geländer gebeugt hatte. Ich nahm mir ihre Worte zu Herzen und rechnete gleichzeitig damit, dass die Wirkung eher aufhörte, da ich Himeka und ihre Hexenkünste ja kannte. Tatsächlich hatten wir vielleicht zwei Minuten, um Chelone über die Umzäunung zu bekommen, ehe der Trank nachließ. Und während ich spürte, wie die Schildkröte immer schwerer wurde und dem Boden regelrecht entgegenstrebte, schossen Chuck und Chuck – beide in ihrer Kükenverkleidung – mit einem Bollerwagen um die Ecke. Schnell ließ ich Chelone darauf ab. Keine Sekunde zu früh, denn schlagartig hatte sie ihr richtiges Gewicht wieder und der Wagen ächzte unter ihrem Gewicht. „Hoffentlich funktioniert das…“, murmelte Jack leise und beäugte den Holzwagen kritisch. „Ach klar.“ Chuck eins winkte ab. „Wir transportieren zu Auftritten unser Zeug oft damit und das wiegt etwa genauso viel wie die Schildkröte.“ „Dann legt euch in die Riemen und zieht.“ Chuck zwei ergriff nun die Initiative und trat an die Deichsel. Die beiden Chucks legten los, die Sorglospunks schoben kräftig von hinten, während ich den Part der Luftaufklärung übernahm. Bei den Löwen stießen wir dann auf die drei Wächter. „Hey, was tut ihr da?“ Ich hatte die Drei nicht bemerkt, weil sie durch das Vordach des Raubtierhauses gut verdeckt gewesen waren. „Die entführen eine Schildkröte!“ „Ich rufe die Polizei!“ „Hey, hey, hey, immer mit der Ruhe. Das ist gar nicht, wonach es aussieht. Wir sind…“ Easy hob beschwichtigend die Hände. Panisch sah ich zu Nifen und Jack hinüber, die Easy am nächsten waren. Jemand musste Easy dringend zum Schweigen bringen! Gott sei Dank tat Jack das auch in diesem Moment, indem sie Easy kräftig auf den Fuß trat und sie als nächstes dafür ausschimpfte, ihr den Ellenbogen in die Seite gerammt zu haben. „Das stimmt doch gar nicht!“, empörte sich diese und während die beiden Schwestern lautstark stritten, ergriff Chuck eins wie vorgesehen das Wort. „Meine streitsüchtige Kameradin hat Recht, es ist tatsächlich nicht so, wie es auf den ersten Blick scheint.“ „Ach?“ Der Wächter, der uns als erstes angeschrieen hatte, zog skeptisch eine Augenbraue hoch. „Ja. Wir sind Musiker und wie ihr seht, treten wir immer als Küken auf. Und Chucky“ – er deutet damit auf die Schildkröte – „wollte eben kein Küken mehr sein, sondern eine Schildkröte. Das Kostüm ist auch wirklich gut geworden, nicht wahr?“ Zustimmendes Grunzen entfuhr zwei der Wächter nahezu unwillkürlich. „Nun, aber der gute Chucky ist leider etwas eigen und hat hier das Verhalten der Schildkröten studiert und sich unter sie gemischt. Was reichlich dumm ist, wenn das Kostüm so schwer ist wie seins und er es nicht alleine ausziehen kann…“ „Oh.“ Jetzt wurde auch der skeptische Wächter langsam zugänglicher. Ich grinste. Chuck eins hatte ihn. Keine Viertelstunde später waren wir aus dem Zoo raus und die drei Wächter hatten uns sogar mit dem Bollerwagen geholfen. Einen Augenblick später wurde das Wolkenmobil auch schon sichtbar. „Los, rein mit Chelone und dann nichts wie weg“, flüsterte Nifen. Gesagt, getan. Kaum war Chelone in dem Wolkenmobil untergebracht, sausten Chuck und Chuck schon mit dem Bollerwagen in die Dunkelheit davon. Wir dagegen machten uns nun auf zum Olymp. Das Wolkenmobil schwankte zwar stark unter seiner schweren Last, hielt aber tapfer durch. „Vielen, vielen Dank noch mal!“, riefen wir alle und winkten den Glücksbärchis, nachdem diese uns direkt vor dem Herrscherpalast auf dem Olymp abgesetzt hatten. Wir brauchten jetzt nur noch durch diese Tür gehen und würden vor Zeus und Hera stehen. Ich schluckte trocken. Sogar mir waren Zeus und Hera manchmal unheimlich und ich war immerhin eine Muse. Die Sorglospunks spürten natürlich meine Unruhe und genauso beklommen drückten schließlich Easy und Chris das große Tor auf. Wir betraten den Herrschersaal des Zeus. Prunk, Pracht und Party schlugen uns entgegen. Mit offenen Mündern marschierten wir mit der Galapagosschildkröte an unserer Seite hindurch und auf die Thronsessel zu, von denen Zeus und Hera über ihre Feierlichkeiten herrschten. Um uns herum wurde es immer stiller, immer mehr Götter, Halbgötter und Entitäten anderer Art zeigten auf uns und staunten. Kurz bevor wir Zeus erreichten, stellte sich uns ausgerechnet Hermes in den Weg. „Sie ist bestraft und verbannt!“, kreischte er und zeigte anklagend auf Chelone. „Und sie ist hier, um sich bei Zeus und Hera zu entschuldigen!“, fauchte Easy und stemmte die Fäuste angriffslustig in die Hüften. „Geh aus dem Weg! Das ist eine Sache zwischen ihr und Zeus und Hera. Oder entscheidest du für die beiden?“ Zeus’ aufmerksamen Blick im Rücken machte Hermes, dass er aus dem Weg kam. Aber mit Sicherheit war er uns – und besonders Easy – von diesem Augenblick an nicht besonders wohlgesonnen. Wenige Schritte später standen wir dann vor dem Göttervater höchstpersönlich. Ich senkte automatisch zur Ehrerbietung den Kopf. Chelone tat es ebenso, nur die Sorglospunks blieben aufrecht und etwas unsicher stehen. Schließlich winkte Jack vorsichtig und murmelte halblaut: „Hi.“ Ehe jedoch irgendjemand etwas zu dieser formlosen und unangemessenen Begrüßung sagen konnte, ergriff Chelone das Wort. „Ehrenwerter Zeus, hochverehrte Hera. Ich möchte mich auf das Aufrichtigste bei Euch für mein Fernbleiben bei Eurer Hochzeit entschuldigen.“ Ihre Stimme klang rau und alt. „Damals war ich jung und dumm, nun bin ich alt und weise. Und deswegen erwarte ich nicht von Euch, dass Ihr meine Bestrafung aufhebt.“ Sie lächelte. „Ich kann Euch verstehen.“ Hera und Zeus wechselten einen verblüfften Blick. „Und warum bist du dann hier?“, fragte Zeus irritiert. „Um mich zu entschuldigen.“ Hera beugte sich zu ihrem Gatten hinüber und flüsterte leise etwas. Zeus lächelte und nickte. „Nun, deine Bestrafung können wir dir tatsächlich nicht abnehmen. Jedoch… Gibt es etwas anderes, das du dir von uns wünscht?“ Chelone lächelte. „Wenn du dafür sorgen könntest, dass ich immer gut behandelt werde und niemand irgendwann einmal eine Suppe aus mir macht, reicht mir das.“ „So sei es“, nickte Zeus. „Und nun…“, ergriff jetzt Hera das Wort. „Werden wir feiern. Und wo wir unplanmäßig solch musikalische Gäste haben, hoffen wir natürlich auf ein kleines Konzert.“ Sie schenkte der Band, ihrer Managerin und mir ein strahlendes Lächeln. Und die Sorglospunks ließen sich natürlich nicht zweimal bitten! Kapitel 46: Es geschah im März... --------------------------------- I. Reif für die Insel „Ich hab langsam die Nase voll von dem ewigen Schnee!“ Missmutig vergrub Jack ihre Hände noch tiefer in den Manteltaschen und drückte ihre Nase gegen den warmen Schal, den sie sich mehrfach um ihren Hals gewickelt hatte. Während Jacks Zwillingsschwester Easy voraushüpfte und sichtlich Spaß am Schnee hatte, marschierte Chris ähnlich missmutig neben Jack her. Die beiden Sorglospunks konnten die Begeisterung ihrer Frontfrau absolut nicht teilen. Immerhin hatte der Winter dieses Jahr schon sehr viele schnee- und schlittenreiche Tage mit sich gebracht – was ja an sich auch schön war, doch irgendwann musste der Frühling auch endlich einmal beginnen. Jack und Chris hegten langsam eine beständig wachsende und sehr große Sehnsucht nach Frühling, Sonnenschein, frischem Grün und wärmeren Temperaturen. Eine Sehnsucht, die Nifen und Abranka eindeutig teilten. Allerdings hatten sich diese zwei dafür entschieden, den drei Sorglospunks den Ausflug zum WWWB-Markt zwecks dringend notwendigem wöchentlichen Einkauf allein zu überlassen und selbst lieber im Warmen zu bleiben. Außerdem wartete Nifen noch auf der Ergebnis ihrer aktuellen Ebay-Versteigerung. Als Bandmanagerin versteigerte sie nämlich alle naselang die Auftritte der Sorglospunks über die bekannteste Auktionsplattform der Welt. Glücklicherweise ahnten Jack, Chris und Easy momentan nicht, dass ihre Managerin sie wieder einmal als Zielobjekt eingestellt hatte. Immerhin hatten sie schon reichlich kuriose und seltsame Erfahrungen mit denjenigen gemacht, die ihre Auftritte ersteigert hatten. Derartige Erfahrungen, dass Jack rigoros gesagt hatte, dass sie nie wieder versteigert werden wollte. Nicht, dass das Nifen beeindruckt hätte… Und deswegen hatte sich Jack nach einigem zähen Verhandeln zu ihren Bedingungen doch dazu bereiterklärt, diesen „Weg der Chancen“, wie Nifen gern sagte, zu gehen. Die Muse Abranka schaute ihr gerade über die Schulter und verfolgte aufmerksam, wie die Sekunden verrannen. Dann war die Aktion zu Ende. Niemand hatte geboten. „Mist.“ Nifen schlug mit der Hand auf den Schreibtisch. „Ob unsere Anforderungen zu hoch waren?“ „Du meinst…“ Abranka räusperte sich und las dann vor: „1. Keine Untoten, Monster, Geister oder Ähnliches. 2. Wir tragen keine albernen Kostüme und kleiden uns besonders nicht wie Cowboys. 3. Wir erwarten auch eine tatsächliche Bezahlung. 4. Wir retten nicht schon wieder die Welt. Rettet sie doch endlich mal selber!“ Nifen grinste und hob die Schultern. „Wenn man uns nicht kennt, klingt das doch glatt ein wenig verrückt, oder?“ „Japp.“ Abranka lächelte. „Aber das waren nun einmal Jacks Bedingungen…“ „Und ich wette, sie wusste, was das heißt.“ In der Zwischenzeit waren die drei Sorglospunks beim WWWB-Markt angekommen und freuten sich, ins Warme zu kommen. Der typische Supermarktgeruch, vermischt mit einer Extradosis Mandarine, umwehte sie. „Ich hole den Kaffee!“, verkündete Easy und damit stürmte die ungestüme Frontfrau der Band bereits davon. Jack seufzte leise. „Lass uns zusammenbleiben, okay?“, wandte sie sich an Chris. „Sonst muss ich hinterher euch beide suchen.“ Chris grinste breit. „Du weißt doch…“ „Du bist bei der Gitarrenpolitur. Ja…“ Jack entfuhr ein erneuter Seufzer. „Aber ich habe keine Lust, den ganzen Rest allein zusammenzusuchen und dann nach Hause zu schleppen, weil ihr schon weg seid.“ Chris überlegte einen Moment und stimmte dann der Drummerin und heimlichen Bandleaderin zu. „Irgendwie ja doch nachvollziehbar. Dann bin ich heute dein Einkaufswagenfahrer, okay?“ Ein dankbares Lächeln legte sich auf Jacks Gesicht. Manchmal waren ihre beide Bandkollegen nämlich weitaus schwerer zu hüten als der berühmte Sack Flöhe. Dummerweise war Chris nur fünf Minuten später samt Einkaufswagen verschwunden. So langsam reichte das. Jack schmollte jetzt und wer wusste, wie sie tickte, wenn sie denn schmollte, machte dann gleich einen sehr großen Bogen um sie. Mit verschränkten Armen und einem äußerst missmutigen Gesichtsausdruck marschierte sie durch die Gänge des Supermarktes und hatte jetzt nur noch das Ziel, einen Schwung Schokolade und das Kiwi versprochene Katzenfutter einzusacken, und dann zu verschwinden. Sollten die anderen doch sehen, wie sie ohne sie klarkamen! Sie hatte die Nase gestrichen voll! Schwungvoll bog sie um die Obsttheke herum, schnitt wie gewohnte die Kurve und prallte vollkommen überrascht gegen ein Hindernis, das dort sonst nicht stand. Sie keuchte, als sich die Kante des Tisches in ihren Bauch bohrte. Und sobald sie wieder Luft dazu hatte, fluchte sie ausgiebig. „Ist dir etwas passiert?“ Der junge Mann, der hinter dem Tisch gestand hatte, war sofort zur Seite gesprungen und bereit gewesen, ihr zu helfen. „Das gibt einen blauen Fleck“, jammerte Jack leise und fuhr sich durch die Haare. Dieser Tag war doch so was von verkorkst! Draußen das ätzende Wetter, hier drinnen ihre ätzenden Bandkollegen und ihre noch viel ätzendere Schwester. Sie wollte nach Hause. Jetzt, sofort! Und sich da ins Bett kuscheln, Schokolade essen und erst wieder rauskommen, wenn es richtiger Frühling mit Sonnenschein und blühenden Blumen und zwitschernden Vögeln war. Und nicht eher! „Es tut mir so Leid! Ich hätte den Tisch anders aufstellen sollen. So, dass man ihn besser sieht“, entschuldigte sich der junge Mann weiter. Jack musterte ihn kurz. Er sah nett aus. Lange dunkle Haare, im Nacken zusammengebunden, weiche braune Augen, perlweiße Zähne und Grübchen, wenn er lächelte, dazu ein recht lässiges Outfit in kräftigem Grün, das ein wenig an einen Ranger erinnerte (besonders die hohen Stiefel). Die Ohren waren spitz und insgesamt erinnerte er sie arg an Legolas aus dem „Herrn der Ringe“. Jack winkte ab. „Kein Problem. Ich werd’s überleben.“ „Komm, als Entschädigung nimm an dem Gewinnspiel hier teil. Bei dem Pech gerade musst du dabei einfach Glück haben.“ „Was kann man denn gewinnen?“ „Urlaub auf einer schönen Frühlingsinsel für dich und deine Freunde.“ „Wie viele Freunde?“, hakte Jack aufmerksam nach. „Bis zu drei.“ Jack grinste breit. Das würde sogar für die nervigen Bandkollegen reichen. Falls sie nett war und diese mitnahm… „Okay… Her mit dem Zeugs.“ Noch immer grinsend streckte Jack die Hand nach den Gewinnspielunterlagen aus und fing dann fleißig an, diese auszufüllen. Es war eine Chance aus diesem tristen deutschen Pseudofrühling herauszukommen und endlich in echten Frühling einzutauchen! II. Die Insel der Abenteuer „Ich habe gewonnen!“ Jack hopste fassungslos vor lauter Freude durch das Wohnzimmer der Sorglospunks-WG. „Ich hab gewonnen! Gewonnen, gewonnen, gewonnen!“ Sogar, dass Kiwi zielsicher zwischen ihren Füßen herumturnte und sie beinahe zu Fall brachte, störte sie nicht weiter. Sie hopste glücklich weiter und wedelte mit einem Briefumschlag in der einen Hand herum. „Was hast du denn gewonnen?“, erkundigte sich Nifen und löste ihrer Aufmerksamkeit von ihrer hübschen Neopetspuzzlearbeit. „Urlaub auf einer Frühlingsinsel!“ „Wow.“ „Nur du alleine?“, erkundigte sich Chris sofort. „Oder darfst du noch jemanden mitnehmen?“ „Nun…“ Jack grinste. „Wenn ihr liebt seid, nehme ich euch alle drei mit. Und Abranka natürlich auch.“ „Aber ich brauche ja kein Ticket, schon klar.“ Die Muse winkte grinsend ab. Da die meisten Menschen sie nicht sehen konnten – jedenfalls dann nicht, wenn sie es nicht wollte –, konnte sie sich recht problemlos überall dorthin bewegen, wo sie hinwollte. „Oh, wir sind lieb, wir sind lieb!“ Easy kam mit einer großen Tasse Kaffee aus der Küche gehopst – wusste der Teufel, wie sie dort Jacks Stimme hatte hören können. Jack grinste breit. Ihre Enttäuschung und ihren Frust von dem misslungenen gemeinsamen Einkauf hatte sie bereits vergessen. Bei jemandem, der zu den Sorglospunks gehörte und mit Easy sowie Chris zusammenlebte, gehörte das wohl zur grundlegenden Überlebensstrategie. „Na gut. Weil ihr es seid. Und weil wir alle etwas Frühling gebrauchen können.“ „Zeig mal.“ Nifen schnappte Jack, die nun einen gemeinsamen Hüpftanz mit Easy, der Kaffeetasse sowie dem hinzugestoßenen Chris um Kiwi herum hinlegte, das Papier aus der Hand. Abranka sah der Bandmanagerin neugierig über die Schulter. „Willkommen auf der Insel der Abenteuer“, stand dort. „Betreten Sie ein Paradies des wunderbarsten Frühlings der Welt und gehen Sie auf Ihr eigenes Abenteuer, entdecken Sie die Insel – und entdecken Sie vor allem sich selbst.“ Während Nifen eine Augenbraue hochzog und sich akute Skepsis in ihr breit machte, zeigte Abranka fröhlich auf die Fotos. „Sieht dort doch nett aus. Und schlimmer als die Hölle kann es ja nicht werden, oder?“ Die Bandmanagerin musste wider Willen lachen. „Nein, vermutlich nicht.“ Damit war es besiegelt. Sie würden die Reise auf die Inseln der Abenteuer antreten. Zwei Tage später stiegen die Sorglospunks aus einem kleinen Wasserflugzeug und kletterten auf einen schmalen Steg. Es war angenehm warm. Nicht sommerheiß und nicht frühjahrsfrisch, sondern es waren genau diese tollen Frühlingstemperaturen, die das Schwabenland seiner berühmt-berüchtigsten Band verweigert hatte. „Herrlich!“, schnaufte Jack begeistert und sah sich um. Die Bäume, die hinter dem Kai die schmalen Straßen des malerischen Dorfs säumten, standen in voller Blüte und verströmten einen angenehmen Duft. Vögel trillerten, Bienen summten. Kurzum: Das war ein Paradies. Eindeutig. „Herrlich!“, entfuhr es auch Easy, Nifen, Chris und Abranka als diese ebenfalls das Flugzeug verlassen hatten und hinter Jack hergekommen waren. „Oh, und da ist der Empfang für die Gewinnerin!“, rief Easy aufgeregt und deutete auf eine regelrechte Prozession grün gekleideter Inselbewohner. Vor Begeisterung stieß sie Jack so heftig in die Seite, dass diese beinahe in das klare Wasser der Lagune fiel. „Pass doch auf“, schimpfte diese, nur um einen Sekundenbruchteil später schon zu strahlen und sich auf die Begrüßung zu freuen. Sie war schließlich so eine Art Ehrengast hier! Erwartungsvoll blickten die Sorglospunks der Prozession der Insulaner entgegen. „Die sind ja alle blond“, stellte Easy leise fest. „Und sie tragen gar keine Baströckchen…“, schmollte Chris. „Willst du Baströckchen an Männern sehen?“, erkundigte sich Abranka mit einem süffisanten Grinsen. „Pst!“, machte Jack unwirsch, denn jetzt hatten die Insulaner die Gruppe erreicht. Staunend bemerkte die Bandleaderin, dass an der Spitze der Gruppe blondhaariger, spitzohriger junger Leute – Männlein wie Weiblein – niemand anderes stand als der junge Mann, bei dem sie die Gewinnspielunterlagen im WWWB-Markt im fernen Schwabenland unterzeichnet hatte. „Du?“, fragte sie mit großen Augen. „Äh, ja.“ Er lächelte verlegen. „Eigentlich sollte die Begrüßung etwas anders ausfallen, aber ja, ich.“ „Lass dich nicht ablenken und sag die Begrüßung, die du vorhattest“, mischte sich nun Nifen ein. Sie besaß einen sehr guten Sinn dafür, wenn etwas potenziell noch etwas Anderes verbarg. Und das hier verbarg irgendetwas. Jack nickte nur stumm und mit offenem Mund, was der blonde Pseudoelf zum Anlass nahm, tatsächlich seinen vorbereiteten Begrüßungstext zu sprechen. „Wir heißen euch herzlich auf der Insel der Abenteuer willkommen.“ Ein Tusch erklang, die Inselbewohner warfen mit Blüten um und sangen leise eine klangvolle Melodie. „Ich bin Logales vom Stamm der Frühlingsstimmen und begrüße euch im Namen meines Volkes.“ Logales machte eine ausgreifende Armbewegung, die die gesamte Insel in seine Begrüßung mit einschloss. Dann zögerte er. „Ah, jetzt kommt der interessante Teil.“ Nifen grinste, war ihr einen unsanften Ellenbogenstoß von Jack einbrachte. „Nun… Und wir bitten euch um eure Hilfe.“ „Argh!“ Jack stöhnte auf. „So viel zu Urlaub, tollen Abenteuern, Frühlingsluft genießen und so weiter. Wahrscheinlich war das auch Absicht, dass wir hierher gekommen sind, oder?“ Das schuldbewusste Gesicht von Logales sorgte dafür, dass sie nur noch lauter aufstöhnte. „Okay, Leute, wir verschwinden.“ Damit packte sie Easy und Chris am Schlafittchen und zerrte die beiden in Richtung Steg zurück, um wieder in das Flugzeug zu steigen. Dummerweise hob dieses jedoch gerade ab und sollte erst in vier Wochen wieder zurückkommen, um sie abzuholen. Während Jack einen Haufen Geräusche ausstieß, die ihren Frust zum Ausdruck brachten, wandte sich Nifen an Logales. „Warum sollen ausgerechnet wir euch helfen und vor allem wobei?“, erkundigte sie sich freundlich. „Nun, wir haben euch hierher gebracht, weil wir bisher nur Gutes von euch gehört haben und ihr nahezu Experten darin seid, ausweglose Situationen zu meistern.“ „Und unsere Partnerstadt Tristesse hat uns von euch erzählt!“, warf eine junge Frau ein. „Ah, Tristesse also.“ Nifen nickten. „Haben die auch etwas über Belohnung und so gesagt?“ „Äh, nein.“ Logales blickte sie mit großen Augen an. „Gut, gut, gut… Wir geben ein Konzert am Ende des Abenteuers und für das Konzert werden wir angemessen bezahlt. In Ordnung?“ Logales ergriff augenblicklich Nifens Hand und schüttelte sie energisch. Er hatte offenbar mit Schlimmerem gerechnet. „Jack, komm endlich wieder her!“, verlangte in dem Augenblick Abranka. Easy und Chris hatten sich bereits wieder zu der Gruppe gesellt, nur Jack saß noch schmollend auf dem Steg. „Ich glaube, ich sollte vielleicht einmal mit ihr reden“, bot sich Logales an und schob sich an den anderen vorbei. „Seid ihr eigentlich Elfen?“, erkundigte sich Easy neugierig, während Logales schon über den Steg ging. „Jack, bitte, sei nicht wütend“, sagte er leise und hockte sich neben die Drummerin der Sorglospunks. „Ich schmolle. Natürlich bin ich wütend“, gab sie zurück. „Weißt du… Ihr seid unsere einzige Chance und wir wollten nicht, dass…“ „Dass wir eine Entscheidung treffen können? Hallo, jemand zu Hause?“ Sie klopfte mit dem Knöchel des Zeigefingers an seine Stirn. „Du hättest einfach fragen können!“ „Ja, aber als wir uns getroffen haben, warst du so zornig und da hielt ich das für keine so gute Idee…“ „Aber mich mit einem Gewinnspiel reinzulegen und mir vorzugaukeln, ich hätte doch endlich einmal in meinem Leben etwas gewonnen – das ist eine bessere Idee gewesen?“ „Offenkundig nicht.“ Geknickt ließ Logales den Kopf hängen. „Es tut mir Leid.“ „Geht doch.“ Jack rappelte sie auf. „Entschuldigung angenommen und jetzt fangen wir an, euch zu helfen. Jedenfalls sobald ihr uns verraten habt, wobei wir euch eigentlich helfen sollen.“ Verblüfft sah Logales sie an. Die anderen Bandmitglieder sowie die Crew kannten Jacks Vermögen schlagartig zu verzeihen und alles gut sein zu lassen bereits zugenüge. Wenn man mit Easy zusammen lebte, war das eine Fähigkeit, die man sich schnell aneignete und die voll und ganz nützlich war. Und außerdem schien man als Sorglospunk einfach dazu ausersehen u sein, die Welt zu retten und allen möglichen Leuten zu helfen. Anstatt das wichtige Thema stehend am Pier zu besprechen, zog man es vor, sich eine halbe Stunde später in der Empfangshalle des gemütlichen kleinen Hotels zu treffen, in dem auch die Sorglospunks untergebracht waren. Und dort erfuhren die als Retter Auserkorenen auch endlich, worum es eigentlich ging. An sich war die Sache recht leicht, wie Nifen nachher bei einer Lagebesprechung unter vier bzw. zehn Augen zusammenfasste: Es galt eine Tasse zu finden. Aber nicht irgendeine Tasse. Das Volk der Frühlingsstimmen hatte sein größtes Heiligtum verloren, eine sprechende Tasse. Neben der Funktion als Heiligtum erfüllte die Tasse außerdem noch einen bestimmten Zweck: Sie machte Vorhersagen, schlichtete Streit und ernannte die neuen Stammesführer. Kurzum: Sie tat eigentlich all das, was die Gesellschaft der Frühlingsstimmen harmonisch erhielt, und sorgte dafür, dass die grundsätzlichen Dinge funktionierten. Dass der Verlust dieser Tasse somit natürlich einer gigantischen Katastrophe glich, lag auf der Hand. Nur: Wo suchte man nach dieser sprechenden Tasse? Die beste Empfehlung gab ihnen der kurzfristig hinzugezogene und derzeitige Interimsführer der Frühlingsstimmen, Logales: Man fragte ihre Großtante, die sprechenden Kaffeekanne. III. Drohendes Unheil Da die Sorglospunks bereits einige ungewöhnliche Erfahrungen gemacht hatten, war für sie das Gespräch mit einer Kaffeekanne nicht ganz so verwirrend und unnormal wie für den typischen Otto-Normalbürger. Die Kaffeekanne stand in einem speziellen Raum im so genannten Ratshaus auf einem Sockel und war von flackerndem Kerzenlicht sowie duftenden Blumengestecken umgeben. „Ah, die Sorglospunks“, sagte die Kanne und ihre Tülle schien jeden einzelnen der Band- und Crewmitglieder gesondert zu fixieren. Außerdem hatten sie alle noch nie ein Geschirrelement erlebt, das derart herablassend wirkte. „Äh, ja.“ Jack grinste unsicher und blickte zu Nifen und Easy herüber, waren es diese beiden doch sonst immer, die schnell das Wort ergriffen und sich in jeder noch so ungewohnten Situation zurechtfanden. Wenn es darum ging, resolut und energisch zu sein, war Jack immer die erste, bei Diplomatie und Reden überließ sie aber lieber den anderen das Feld. „Hallo… Großtante“, begann Nifen vorsichtig. „Wir sind hier…“ „Weil man euch um Hilfe gebeten hat“, erwiderte die Kanne überheblich und mit dem unangenehmen Klang des Allwissens. „Fein, dann weißt du sicher auch schon, was wir dich fragen wollen, oder?“, kam es patzig von Abranka, der dieses Getue sichtlich auf die Nerven ging. Sie hatte zu oft mit Göttern und anderen mächtigen Geschöpfen zu tun, als dass sie sich diese Attitüde von einer simplen Kaffeekanne gefallen ließ. „Ihr wollt wissen, wo meine Großnichte ist.“ „Exakt. Wie wäre es mit der Antwort darauf?“ Die Muse war sichtlich ungeduldig. Die Kanne räusperte sich mit einem seltsamen, tiefklingenden Geräusch und erklärte dann feierlich: „Folge dem Weg des Großen Schwan Singe in der Nacht der klirrenden Farn’ Horche dem Wort der tanzenden Aras Und steige hinab mit Pythagoras.“ „Hä, was hat denn Pythagoras mit ner Tasse zu tun?“ Easy standen die Fragezeichen regelrecht auf die Stirn geschrieben. Immerhin war ihr Pythagoras mit seinem Satz noch aus dem Mathematikunterricht bekannt. Wenn eine Tülle jemals herablassend blicken konnte, dann tat es diese jetzt auf jeden Fall. „Das müsst ihr schon selbst herausfinden“, verkündete die Kanne pikiert. „Ihr müsst das Rätsel lösen und die Tasse finden, nicht ich.“ „Na super. Bist echt ne große Hilfe.“ Schmollend verschränkte Chris die Arme vor der Brust. „Los, lasst uns gehen und herausfinden, was dieses Stück Geschirr meint.“ Nifen stand auf und streckte sich. „Je eher wir anfangen, desto eher haben wir hier Urlaub.“ „Super Idee!“ Jack strahlte. Doch noch ehe die Sorglospunks den Raum verlassen konnten, gab ihnen die Kaffeekanne noch eine Warnung mit auf den Weg: „Hütet euch vor den großen Echsen und seid gewarnt, dass großes Unheil über uns kommen wird, falls ihr versagt.“ Als sie wieder draußen an der frühlingswarmen frischen Luft standen, war es Chris, der als erstes das Wort ergriff. „Können wir nicht einfach wieder nach Hause fahren?“ Jack und Easy sahen sich an und ihre Mienen brachten deutlich zum Ausdruck, dass sie das ernsthaft in Erwägung zogen. Nifen und Abranka hatten dazu jedoch eine ganz andere Meinung. Zwar waren sie von der Situation auch nicht gerade begeistert, aber sie würden mit Sicherheit niemanden im Stich lassen, der wirklich ihre Hilfe brauchte. „Okay, okay…“ Jack seufzte und strich damit demonstrativ die Segel. „Und wie sollen wir das bitte angehen? Wo sollen wir denn bitte anfangen?“ „Wie war das noch mal?“, griff Chris das Rätsel auf, das ihnen die Kaffeekanne genannt hatte. „Folge dem Weg des Großen Schwan Singe in der Nacht der klirrenden Farn’ Horche dem Wort der tanzenden Aras Und steige hinab mit Pythagoras.“ „Wir fragen Logales, wo es hier Wasservögel gibt“, entschied Abranka. „Und wir fragen nach einer Karte für die Insel!“, ergänzte Easy überraschend hilfreich. Logales hatte sie schnell mit dem Gewünschten ausgestattet und ihnen erklärt, dass es einen kleinen See gab, wo man viele Schwäne finden konnte. Er bat auch seine Hilfe an, doch nach einer kurzen heftigen Diskussion, bei der Jack ausdrücklich auf die angenehme Nähe des hübschen Elfen verwies (offenbar gefiel er ihr sogar besser als ihr Fußballfanclub), wurde diese abgewiesen. Die Truppe verspürte doch das Gefühl, dass sie dieses Abenteuer allein bewältigen mussten. Schließlich sollten sie auf dieser Insel doch ihr ganz eigenes Abenteuer erleben und sich dabei selbst entdecken. Und das funktionierte schließlich schlecht, wenn man einen Führer an seiner Seite hatte, der mit der Umgebung bestens vertraut war. Nachdem sie sich mit Lebensmitteln und Wasser ausgestattet hatten, marschierten die fünf los. Der schmal, dem sie durch den dichten Wald folgten, war schmal, jedoch nicht unwegsam und sie kamen gut voran. Keine halbe Stunde später hatten sie den Weiher erreicht, auf dem sich tatsächlich einige Schwäne tummelten. Schweigend sahen sich die Sorglospunks um und suchten nach irgendwelchen Zeichen. „Mhm… Hier ist nichts, das wie der Weg eines Schwans aussieht“, räumte Chris schließlich ein und stemmte die Hände in die Hüften. „Nein, wirklich nicht.“ Jack schüttelte den Kopf. Nachdenklich sahen sie sich um und umkreisten den kleinen See einmal. „Nein, nichts. Gar nichts.“ Chris war frustriert. „Können wir nicht doch wieder nach Hause fahren?“ „Erst, wenn wir fertig sind“, gab Abranka genervt zurück. „Verdammt, irgendetwas muss hier doch sein.“ Nifen kniff die Augen zusammen und musterte den See. „Abranka, schau dir das Ganze doch mal von oben an. Vielleicht hilft uns ja eine Änderung der Perspektive weiter.“ „Geht klar.“ Und schon sauste die Muse mit ihrer Wolke mehrere Meter in die Höhe und sah sich um. Doch da war nichts. Gar nichts. Sie sah nach unten und wollte das gerade herunterrufen, als sie es erblickte. Es war der See. Der See sah aus wie ein fliegender Schwan, der in Richtung Berge blickte und offenbar dorthin fliegen wollte. „Ich habe es! Wir müssen Richtung Berge. Osten.“ Aufgeregt mit den Armen wedelnd gesellte sich die Muse wieder zu den anderen. „Zu den Bergen?“ Easy blickte zu dem Mittelpunkt der Insel hin, wo sich zwei grünbewachsene Berge in den Himmel reckten. „Das ist weit…“ „Jammer nicht, lauf lieber“, beschied ihr Jack. „Und haltet die Augen nach Farnen offen. Irgendwo dort finden wir den nächsten Hinweis“, erinnerte Nifen noch, ehe sie voranmarschierte. „Das ist mehr eine langweilige Pfadfinderschatzsuche als ein cooles, megatolles Abenteuer“, moserte Easy genervt und mit wunden Füßen, als sie gleichzeitig mit der Abenddämmerung den Fuß der Berge erreichten. Chris stimmte ihr zu und äußerste nur einen Sekundenbruchteil später die Beschwerde darüber, dass sie den Abend nicht im Hotel verbrachten und er somit nicht mit Umeko chatten konnte, was einfach nur grausam und schrecklich war. „Regt euch wieder ab.“ Jack hatte zu ihrer resoluten Ader wiedergefunden und übernahm ihre Führungsrolle in der Band wieder anstandslos. „Wir scheinen hier übrigens richtig zu sein“, warf in diesem Augenblick Nifen ein. „Seht euch doch mal um. Wir stehen in einem Meer aus Farn!“ „Cool!“ Easy war sofort aufgekratzt und hibbelig. „Wie geht es dann von hier aus weiter?“ „Tja… ‚Singe in der Nacht der klirrenden Farn’’ heißt es in dem Rätsel…“ Abranka runzelte die Stirn. „Also ruhen wir uns erst mal aus und machen dann etwas Musik“, entschied Jack. „Das ist auch ganz praktisch, dann kann Easy gleich einen neuen Song schreiben.“ „Das ist nicht fair!“, jammerte diese sofort los. „Du bist fies und gemein und…“ „Deine Schwester und dein Bandleader.“ Ein breites Grinsen machte sich auf dem Gesicht der älteren Zwillingsschwester breit. Es dauerte rund eine Stunde, bis sich die Gruppe etwas erholt hatte und Jack schließlich mit etwas Getrommel auf einem Baumstumpf die Musiksession des Abends startete. Chris hatte einige Grashalme gefunden, auf denen er pfeifen konnte, und klopfte dazu rhythmisch mit dem Fuß. Und Easy ließ sich zwangsweise einen Text einfallen, der irgendwie wenigstens etwas zu dieser Wald- und Wiesenmelodie passte. „Auf einer fernen Insel Unter einem vollen Mond (vollem Mond, vollem Mond) wird es sich erweisen Ob der Weg der richtige ist Auf einer fernen Insel Unter einem Sternenhimmel (Sternenhimmel, Sternenhimmel) sitze ich nun und frage mich woooohiiiiiin…“ „Hörst du das?“, fragte Nifen leise und ganz aufgeregt Abranka. Sie wollte die Sorglospunks nicht stören, damit diese nicht mit der Musik aufhörten. „Der Farn klirrt…“ Abranka grinste. „Scheint so.“ Die Bandmanagerin nickte. „Und jetzt brauchen wir nur noch…“ „Horch!“ Die Muse unterbrach sie. Schweigend lauschten die beiden und versuchten die Geräusche jenseits der Musik klarer auszumachen. „Das sind Vögel. Vögel, die von der Musik angelockt werden…“ Beide sahen hinauf in die Bäume, wo sich tatsächlich Vogel um Vogel niederließ. „Papageien?“ Abranka nickte. „Aras, wenn mich meine Augen nicht täuschen, obwohl das hier wohl nicht ganz ihre Heimat sein dürfte.“ „Egal. Hauptsache, sie sind da.“ Und dann erfüllte der krächzende Gesang der Aras die Lichtung. Und in dem Gekrächze konnten Abranka und Nifen schließlich einige Wörter ausmachen. „Hinab, hinab, hinab Durch die Höhle, Höhle, Höhle Hinab, hinab, hinab Zu den Echsen, Echsen, Echsen…“ „Eine Höhle also…“ Abranka grinste. Damit wussten sie, wo sie weitermachen mussten. Nur das mit den Echsen gefiel ihr nicht so besonders. Schließlich hatte sie die Kaffeekanne doch vor den großen Echsen gewarnt… IV. Auf der Tasse Spuren Nach dem nächtlichen Konzert hatten sich die Sorglospunks ein Lager in den Farnen geschaffen und bis zum Sonnenaufgang geschlafen. Nach einem kurzen Frühstück ging es dann weiter. Sie suchten den Eingang zu der Höhle, von der die Aras gesprochen hatten. „Nur was hat es mit Pythagoras auf sich?“, überlegte Abranka laut, während sie die Umgebung untersuchten. „Wir werden es schon merken“, gab Jack zurück und steuerte auf einen Felswand zu. „Ich hab was gefunden!“, schallte in diesem Augenblick Easys Stimme zu ihnen herüber. Schnell eilten sie zu der Songwriterin und fanden sie neben einen schmalen Riss im Fels, durch den sich vermutlich mit Müh und Not ein Mensch hindurchquetschen konnte. „Seht euch das an!“ Aufgeregt zeigte Easy auf eine Zeichnung, die tief in den Fels hineingekratzt worden war. Sie zeigte ein rechtwinkliges Dreieck, über dessen Seiten wiederum Quadrate gezeichnet waren. Die grafische Darstellung des Satzes des Pythagoras. „Dort müssen wir hinein“, stellte Nifen nüchtern fest – und ließ dann Abranka den Vortritt, damit diese mit etwas Wetterleuchten aus ihrer Wolke den Weg für sie alle erhellen konnte. Dann begannen sie langsam ihren Weg in den Berg hinein. Es war ein beschwerlicher Weg. Zwar wurde der Spalt nach einer Weile breiter, jedoch ging es irgendwann immer steiler bergab und sie mussten sich langsam voranhangeln. Nur Abranka hatte es recht leicht, weil sie ja schließlich auf ihrer Wolke saß. Es kam ihnen vor, als wenn sie bereits seit einer endlosen Zeit durch die Hölle gegangen waren, als sie endlich einen großen Hohlraum erreichten. Hier reichte das Licht von Abrankas Wolke weder bis zur Decke noch zu den Wänden, so groß war der Raum. „Und jetzt?“, fragte Easy sichtlich unbehaglich. „Wir suchen uns den weiteren. Das ist doch sicher einfach.“ Abranka flog voran in die Mitte der Höhle. Die anderen folgten ihr notgedrungen, war sie doch schließlich ihre einzige Lichtquelle hier unten. Und klammheimlich verfluchte der eine oder andere, dass er nicht rauchte und kein Feuerzeug stets bei sich trug, Sie waren rund zwanzig Meter weit in die Höhle vorgedrungen, als Chris mit dem Fuß gegen etwas stieß und ins Stolpern geriet. „Hey! Jetzt fallen einen hier schon die Steine an!“, knurrte er unwirsch und hielt dann inne, als er zu Boden sah und erblickte, worüber er gestolpert war. Das waren Knochen. Die Knochen eines Tieres, das in etwa die Größe hatte wie ein Mensch und durch den Spalt dort oben passte… Was…?` Weiter kam er nicht. Hinter ihnen erklang ein unangenehmes und äußerst bedrohliches Knurren. „Lauft!“, brüllte Abranka in diesem Augenblick auch schon. Chris sah über die Schulter und befolgte gedankenschnell den Rat der Bandmuse. Hinter ihnen erhob sich ein gigantischer Tyrannosaurus Rex in der Dunkelheit der Höhle. Seine Haut war schneeweiß und regelrecht durchscheinend, was verriet, dass er hier wohl immer hier unten gelebt hatte. Seine Augen waren milchig grau und offensichtlich blind. Doch dafür hatte er garantiert eine gute Nase und sehr scharfe Ohren. „Und wohin?“, fragte Easy nach Luft schnappend. Abranka sauste voran und leuchtete ihnen den Weg. Der T-Rex kam mit weit ausholenden Schritten schnell näher. Es war nur Abrankas scharf geschossenen Ideenblitzen zu verdanken, dass der Dinosaurier nicht schneller voran kam und die Sorglospunks als schnelle Zwischenmahlzeit verspeiste. „Rein die Höhle!“, schrie Abranka und die Sorglospunks stürzten in einen schmalen Durchgang hinein. Da dieser nach nur zwei Metern steil nach unten abfiel, purzelten sie über einander in die Dunkelheit hinab. Sie hatten Glück, dass sie weich landeten. Genauer gesagt landeten sie auf einer dicken mit trockenen Blättern gepolsterten Matte. Kaum, dass sie diese berührt hatten, erklang eine schrille Glocke und kündete von ihrer Ankunft. „Wo sind wir hier?“, fragte Nifen und kämpfte sich aus dem Wirrwarr aus Armen und Beinen und Sorglospunks frei. Dann erst begriff sie, dass es um sie herum hell war. Offenbar war einer der Berge ein erloschener Vulkan und sie befanden sich jetzt auf dem Boden des Vulkankegels. Nifen blickte blinzelnd zu dem Sonnenlicht empor. Jetzt wusste sie jedenfalls, warum die Kaffeekanne sie vor großen Echsen gewarnt hatte. Wenn der T-Rex nicht groß gewesen war, was denn bitteschön dann? „Wir bekommen Besuch“, merkte Abranka an und deutete auf eine Hand voll menschengroßer Echsen, die ihnen mit gezückten Speeren entgegen kamen. Sie gingen auf den Hinterbeinen, trugen primitive Kleidung und muteten trotzt ihrer Schuppen und dem fremdartigen Äußeren doch sehr menschlich an. „Ihr habt die erssste Prüfung bessstanden“, wurden sie von einer der Echsen begrüßt. Ihre Stimme klang zischelnd wie die einer Schlange – und erinnerte ein wenig an die Art, wie die Furien ihre Worte artikulierend. Auf jeden Fall sorgte allein ihre Aussprache dafür, dass die Sorglospunks auf der Hut waren. „Prüfung? Das Vieh war eine Prüfung???“, explodierte Easy. „Ihr habt sie doch nicht mehr alle!“ Abschätzend Blicke aus kalten Echsenaugen musterten sie. „Der Grossssse Weissssse lässssst nur diejenigen vorbei, die ssschnell und mutig genug sssind.“ Damit wandte sich die Wortführerin ab. „Folgt mir.“ Die auf sie gerichteten Speere gaben den Ausschlag, dass sie der nicht besonders erklärungsfreudigen Echse folgten. Sie wurden zwischen blühenden Bäumen und üppig wuchernden Farnen hindurch in ein Dorf geführt und dort in eine große Hütte gebracht. „Sssetzzzt euch.“ Kommentarlos ließen sich die vier nieder. Abranka blieb neben ihnen schweben und musterte die Echsen aufmerksam. Diese hatten sie zwar wahrgenommen, sie aber bisher noch nicht anders behandelt als die Sorglospunks und ihre Managerin. Sie war sich noch nicht so sicher, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war. „Hey, wie heißt du überhaupt?“, platzte Jack auf einmal heraus. „Ich will wenigstens wissen, wie die Leute heißen, die uns gefangen halten!“ Die Echse fixierte sie kurz und antwortete dann: „Mein Namen ist Sssisssasss. Und ihr befindet euch bei den Sssasssasss.“ „Na, super auszusprechen“, seufzte Easy leise und bekam einen unsanften Ellbogenstüber von Jack zu spüren. „Klappe und zuhören“, raunte diese ihrer Zwillingsschwester zu. „Die Tassssse wird entsssscheiden, wassss mit euch gessschieht“, erklärte Sssisssasss. Die Wachen stampften mit ihren Speeren auf den Boden und durch die Tür wurde eine Sänfte hereingetragen, in deren Mitte das stand, wonach sie gesucht hatten: die sprechende Tasse. „Wie geil“, entfuhr es Easy und hielt dann krampfhaft den Mund, um nicht schon wieder von Jack attackiert zu werden. „Ssschweigt. Die Tassssse sssspricht zu euch!“, forderte Sssisssasss herrisch und verneigte sich dann vor der Tasse. Ihre Stimme klang ähnlich wie die von der Kaffeekanne, wenn auch bei weitem nicht so überheblich. „Euch hat man also geschickt, um mich zu holen“, sagte die Tasse und ihr Henkel schien die Fünf der Reihe nach zu mustern. „Sagt mir, warum ich euch nicht dem Großen Weißen vorwerfen lassen soll.“ „Weil wir Musiker sind und keine Helden!“, rief Chris sofort. „Genau. Wir wollten nur helfen, aber niemandem Schaden zufügen“, ergänzte Easy freundlich. „Und ich wollte eh sofort wieder abreisen“, schmollte Jack. Die Tasse lachte. „Ihr seid wirklich authentisch.“ „Sag mal… Warum bist du eigentlich hier bei dem Echsenvolk und nicht bei den Frühlingsstimmen?“, erkundigte sich Nifen neugierig. Die Tasse ließ sich nicht lange bitten und erklärte, was geschehen war. Nicht nur die Frühlingsstimmen benötigten bei der Organisation ihrer Gesellschaft Hilfe, sondern auch die Sssasssasss. Daher hatten einige Krieger der Sssasssasss die Tasse entführt und diese hatte damit auch kein Problem gehabt, war sie dadurch doch den Krallen ihrer tyrannischen Großtante entkommen. Dennoch hatte sie vorhergesehen, dass die Frühlingsstimmen jemanden schicken wurden, um nach ihr zu suchen und sie zurückzubringen. „Aber zurück willst du nicht?“, fragte Abranka. Ein Henkelzucken begleitete die Antwort der Tasse. „Nun, es ist meine Pflicht zu helfen und Struktur in das Chaos zu bringen, jedoch… brauchen mich beide.“ „Und warum solltest du nicht beiden helfen können? Wenn man dich auf halbem Weg zwischen beiden Dörfern unterbringt und dir Schutz von den Frühlingsstimmen und den Sssasssasss zur Verfügung stellt, müsste das doch möglich sein, oder nicht? Dann kannst du noch verlangen, dass deine Großtante schön weit weg bleibt und dich nicht nervt“, schlug Nifen vor. Die Tasse legte den Henkel schief und blickte die Sorglospunks nachdenklich an. „Ich glaube, das könnte tatsächlich die Lösung sein.“ Zwei Tage später fand die Einweihungsfeier der neuen Tassen-Hütte statt, wie das neue Heim der sprechenden Tasse von den beiden Völkern genannt wurde. Es hatte zwar einige Konflikte und Vorurteile zwischen den beiden Völkern gegeben, doch schlussendlich hatten Sssisssasss und Logales gemeinsam mit der Tasse für ein friedliches Nebeneinander sorgen können. Sehr zum Unwillen der Kaffeekanne, die jedoch keiner nach ihrer Meinung gefragt hatte. Wenn die Frühlingsstimmen ehrlich waren, dann hatten sie ihr herrisches Wesen eh längst satt und waren auf jeden Fall froh, ihre Tasse zurückzuhaben, selbst wenn sie diese nun teilen mussten. Die Einweihungsfeier war außerdem der Augenblick, in dem die Sorglospunks ihren abgemachten Auftritt hinlegen konnten. Und wie so oft durfte ein neuer Song natürlich nicht fehlen. „Auf einer nicht einsamen Insel in ewigem Frühling tanzt der Große Weiße lässig zu unserem Beat Vorher jagte er uns, jetzt tanzt er Uhuuuu jetzt tanzt er Und wir, wir rocken Und wir, wir rocken Bis die Bäume hüpfen Und wir, wir rocken Und wir, wir rocken Bis die Aras singen Auf ner nicht einsamen Insel im ewigen Frühling singt mit uns eine Tasse und droht einer Kaffeekanne ja, da singt mit uns eine Tasse - und wir haben doch alle im Schrank! Und wir, wir rocken Und wir, wir rocken Bis die Bäume hüpfen Und wir, wir rocken Und wir, wir rocken Bis die Aras singen!“ Kapitel 47: Sorglospunks mal anders oder Die Super-Sorglospunks --------------------------------------------------------------- Alles fing mit der alten Villa an, die Chris von einem entfernten Onkel geerbt hatte. Warum gerade er in den zweifelhaften Genuss gekommen war, dieses alte Gemäuer sein eigen nennen zu dürfen, war keinem der Sorglospunks so wirklich klar. Aber etwas dagegen hatten sie natürlich nicht. Dennoch war dieses Gemäuer inmitten dieses kleinen Dorfs am Rande des Ruhrgebiets doch wenig heimelig. Die altmodischen Fensterläden waren vernagelt, die Farbe blätterte von den Mauern und der windschiefe Zaun umfasste einen verwilderten Garten, der offenbar ein Brennnesselmekka darstellte. „Bist du sicher, dass du da reingehen willst?“, erkundigte sich Jack, die Bandleaderin, bei ihrem mit Erbglück/-pech geschlagenen Gitarristen. „Klar. Onkel Benno war jetzt nicht gerade eine Ausgeburt an Mut, von daher wird uns sicher nichts Böses erwarten“, gab dieser betont draufgängerisch zurück. „Na, ich weiß ja nicht…“, meldete sich nun Easy, die dritte im Bunde, zu Wort. Die Sängerin schauderte sichtlich. „Wir haben schließlich schon so viele unheimliche Gemäuer betreten, in denen dann auch Unheimliches passiert ist…“ „Wo ist denn dein Übermut hin?“, spöttelte Chris und marschierte dann betont mutig voraus. Das war schließlich eine Gelegenheit, den beiden Mädels zu zeigen, dass er eben doch ein echter Kerl war. Natürlich hinderte das die Zwillingsschwestern kein bisschen daran, ihm direkt auf dem Fuße zu folgen. Im Inneren erwartete die drei Sorglospunks vor allem Staub und Dunkelheit. „Muffig ist es hier.“ Jack zog die Nase kraus. „Aber toll!“ Chris strahlte. „Schau, hier können wir unser Wohnzimmer haben, im Dachgeschoss bauen wir ein Studio ein…“ „Und vorher gewinnen wir im Lotto…“, ergänzte Jack trocken. Chris schwieg betreten, strahlte aber immer noch angesichts dieses tollen Hauses. Es war einfach genial! Und so machten sie sich an die Erforschung des alten Gemäuers. Die Einrichtung stand noch in allen Räumen. Es handelte sich dabei vor allem um alte, dunkle Eichenmöbel, samtene Vorhänge, teure, alte Teppiche und alte, dick gepolsterte Stühle. Alles hier drin war alt. Auch die Stromleitung, wie Easy nach einem Schreckmoment mit durchknallender Sicherung feststellen musste. „Das muss komplett renoviert werden“, moserte Jack herum. „Damit können wir nichts anfangen, Chris!“ „Wenn dann, muss eh ich etwas damit anfangen!“, schnappte er beleidigt. „Ja, ja, dann eben du.“ Die Bandleaderin rollte mit den Augen. „Guckt mal! Das Bücherregal ist toll!“, jubelte Easy. Momentan hockte die junge Frau mit dem strubbeligen braunen Haar auf der obersten Stufe der beweglichen Leiter, die an dem Regal befestigt war. „Massen an Büchern! Bücher sind toll!“ Sie wollte einen der alten Wälzer dort oben herausziehen, doch irgendwie klemmte dieser fest. „Mist! Mist! Mist! Mist hoch drei!“, fluchte sie und zog fester. „Easy, lass das!“, rief Chris aus. „Halt dich fest!“, entfuhr es Jack. Doch zu spät. Das Buch löste sich zwar nicht aus dem Regal, kippte jedoch schlagartig in die Waagerechte, Easy verlor den Halt und stürzte ab. Und während sie noch leise jammerte, drehte sich auf einmal das Regal bei Seite und gab den Weg auf einen erleuchteten Tunnel frei. Die Sorglospunks sahen sich an. „Mir scheint, Onkel Benno hatte wohl das eine oder andere Geheimnis.“ Langsam tasteten sie sich durch den zwar erhellten, aber nichtsdestotrotz äußerst unheimlichen Tunnel vorwärts. Schließlich erreichten sie am Ende einen großen Kellerraum. „Cool, das ist wie die Bathöhle!“, entfuhr es Chris. Mit offenem Mund blickte er sich um. Eine riesige Computerinstallation mit einem kinoleinwandgroßen Monitor nahm die Front des Raumes vollständig ein. An der rechten Wand befand sich ein Fahrstuhl, an der linken zweigte ein Gang ab und neben besagter Plattform stand eine gemütliche Sitzecke mit einem großen Besprechungstisch. Die technischen Gerätschaften glänzten wie poliert und waren offenbar auch in der Zeit seit Onkel Bennos Tod regelmäßig gewienert worden. Und während Chris noch wie ein kleiner Junge begeistert staunte und schließlich gemeinsam mit Easy losflitzte, um sich alles aus der Nähe anzusehen, blickte sich Jack aufmerksam um. Ihr stellten sich gerade die Nackenhaare auf, weil ihr bewusst wurde, dass sie hier sicherlich nicht alleine waren und dass das dort vor ihnen sehr viel mehr bedeutete, als nur eine kleine Spielerei. Deutlich langsamer folgte sie den anderen beiden, nachdenklich und mit gerunzelter Stirn. Eine halbe Stunde später war alles so weit inspiziert. Der Tunnel führte zu einem großen Ankleidezimmer, in dem einige Kostüme an der Wand hingen, die ihnen eine Ahnung gaben, wozu diese Computeranlage da sein könnten. Chris’s erster Ausruf von wegen „Bathöhle“ war gar nicht so falsch gewesen. Offenbar war Onkel Benno ein Superheld gewesen. Und zwar niemand anderes als der berühmte Phantomias! Jetzt saßen sie in der Sitzecke beisammen und Chris murmelte immer wieder vor sich hin: „Ich fasse es nicht: der ängstliche Onkel Benno ein Superheld. Ich fasse es nicht.“ Jack ignorierte Chris’ Gebrabbel und stellte ihre Vermutungen in den Raum: „Wir sollten uns weniger Gedanken darum machen, dass Onkel Benno Phantomias war, sondern vielmehr darüber, wer in der Zwischenzeit hier alles instand gehalten hat.“ „Du meinst er hatte einen Igor?“, fragte Easy aufgeregt. „Einen Igor?“ Chris unterbrach sein Gebrabbel. „Du weißt schon. Einen Helfershelfer, der fo fprifft.“ Sie lispelte absichtlich. „Äh, eher nicht. Das wäre ein Frankenstein und ich wage zu bezweifeln, dass Superhelden viel mit verrückten Experimenten zu tun haben.“ Jack rollte die Augen. Aber zumindest hatte Easy das Prinzip verstanden. „Den verrückten Experimenten möchte ich nicht unbedingt widersprechen, diesem Bild des Assistenten eines Superhelden allerdings vehement“, ertönte in diesem Augenblick eine wohlklingende, die Worte klar und sauber – mit einem leicht englischen Akzent – artikulierende Stimme aus Richtung Eingangstunnel. Sofort fuhren die drei herum. Dort stand ein älterer Herr mit strahlgrauem Haar in einem schicken schwarzen Anzug. „Und Sie sind…?“, fragte Jack, die als erste die Sprache wiedergefunden hatte und im Gegensatz zu Chris und Easy nicht hinter den Sesseln in Deckung gesprungen war. „Alfred.“ Die Fremde verneigte sich zur Begrüßung nach bester Butlermanier. Doch ehe er noch etwas hinzufügen konnte, erscholl eine andere Stimme aus dem Tunnel. „Onkel Alfred? Wo bist du denn jetzt?“ Dann trat jemand in den Raum, der den Sorglospunks nur allzu vertraut war. „Ist das der Computer?“, stellte sie die nächste Frage und dann bemerkte die Gestalt die drei Sorglospunks. Die junge Frau mit dem kurzen blonden Haar und in dem schicken Maßanzug blickte ihren Onkel an. „Ich glaube, das solltest du mir erklären.“ Denn die Nichte des Butlers und Assistenten von Phantomias war niemand anders als Nifen, die Bandmanagerin der Sorglospunks. „Dem stimme ich absolut zu“, sagte Jack nach einer Weile des Schweigens. Wenig später erfuhren die Sorglospunks, dass Onkel Benno als Phantomias den Kampf gegen seinen Erzfeind den Schattenmann geführt hatte. Dabei ging es um nichts Geringeres als den Kampf Gut gegen Böse, Richtig gegen Falsch. Und eben dieser Schattenmann hatte sich zwar einige Jahre nicht mehr sehen lassen, sodass Onkel Benno sich zur Ruhe hatte setzen können, jedoch war er just in dem Moment, als Onkel Bennos Sarg in das Grab hinabgesenkt wurde, wieder in Erscheinung getreten und hatte eine Bank überfallen. Ein Banküberfall, so hatte Onkel Alfred erklärt, war stets der Beginn. Danach besaß der Schattenmann wieder die finanziellen Möglichkeiten, um seine finsteren Pläne voranzutreiben und an deren Ende stand nie etwas anderes als die Eroberung Weltherrschaft. „Das heißt, wir müssen – mal wieder – die Welt retten.“ Jack versuchte gar nicht erst, ein Augenverdrehen zu unterdrücken. „Und dafür werden wir Superhelden!“, jubelte Easy. „Genau.“ Nifen nickte und fixierte Onkel Alfred. „Und wenn ich das richtig sehe, wird einer von euch das Erbe von Phantomias antreten und sein Kostüm benutzen.“ „Wieso?“, fragte Easy mit offenem Mund. „Onkel Benno ist doch tot!“ „Aber Phantomias lebt“, wandte der Butler ein. „Auch Benno hat die Identität des Phantomias geerbt. Jetzt ist es an der Zeit, dass sein Erbe, Chris, diese Identität weiterführt.“ „Wow. Ich werde Phantomias!“ Mit leuchtenden Augen blickte Chris die anderen an. „Gut, das wäre eins. Easy, Jack, da ihr Chris ja sicher helfen wollt, braucht ihr auch eine neue geheime Identität.“ „Oh, cool, cool, cool!” Begeistert klatschte Easy in die Hände. „Was ist im Angebot?“ Jack klang betont desinteressiert. „Im Endeffekt das gleiche wie für Phantomias. Alle möglichen technischen Spielereien und ein Anzug, der eure Körperkräfte erheblich verstärkt und dafür sorgt, dass ihr fliegen könnt. Ihr braucht letztlich nur einen tollen Namen und solltet euch für eine Farbe entscheiden.“ „Ich bin Fly Girl!“ Easy war kurzentschlossen. „Fly Girl?“ Nifen zog eine Augenbraue hoch, verkniff sich aber jegliche Bemerkung dazu. Sie wusste jedoch jetzt schon, dass ganz schnell von dem Fliegenmädchen die Rede sein würde. Und die Karikaturisten würden Easy als riesige Fliege darstellen. Aber bitte… „Kaffeejunkie“, sagte Jack schließlich. „Und ich will so eine geniale Brille haben wie Cyclops von den X-Men, die meine eigenen Augen rot aussehen lässt, aber durch die ich ganz normal gucken kann.“ „Okay.“ Onkel Alfred zuckten mit den Schultern. Das war eine seiner leichtesten Übungen. Da musste er nur die Laser-Fernsicht-Röntgen-Brille ein wenig modifizieren und fertig. Was die Farben anging, blieb Chris bei dem traditionellen Schwarz und Blau, Easy wählte Schwarz und Grün und Jack Schwarz und – natürlich – Rot. Gegen die Vorstellung von flatternden Capes hatte sich Alfred kategorisch dagegen ausgesprochen. Er wies nur trocken auf die Gefahr hin, dass man damit irgendwo festhängen, festklemmen und eingesaugt werden konnte. Daher kamen Capes absolut nicht in Frage. „Übermorgen habe ich eure Anzüge fertig. Kommt dann wieder und wir besprechen alles Weitere.“ Noch während die drei Sorglospunks ihre neuen Anzüge testeten und damit fröhlich in heldenhaften Haltungen posierten, hockte Nifen vor dem gigantischen Computer und nutzte dessen Rechenleistung vollkommen aus. Dann stutzte sie. „Leute! Leute!“, rief sie aus und sofort besaß sie alle Aufmerksamkeit – außer von Easy, die noch darüber moserte, dass ein Cape ihren Anzug sehr viel schicker hätte aussehen lassen. „Nach den Berechnungen wird der Schattenmann heute Abend kurz vor Ende der Öffnungszeiten einen weiteren Überfall tätigen. Das bedeutet, dass ihr heute direkt eure Feuerprobe haben werdet.“ „Feuer? Von Feuer hat vorher aber keiner was gesagt!“, platzte Easy heraus, was ihr eine Kopfnuss von Jack eintrug. „Dann sollten wir uns wohl besser einen Plan überlegen“, sagte diese überlegen und übernahm nahezu vollkommen natürlich die gleiche Anführerrolle wie bereits in der Band. Im Schatten warteten die Super-Sorglospunks und beobachteten, was geschah. Noch war die Sparkasse hell erleuchtet und Kunden gingen ein und aus, um noch mal eben schnell eine Überweisung zu tätigen oder das zu tun, was man kurz vor Schluss noch in einer Sparkasse so tat. Dann raste ein schwarzer amerikanischer Wagen – vergleichbar dem vom A-Team nur ohne den roten Streifen – heran, donnerte auf den Bordstein, fünf schwarz gekleidete Handlanger sprangen heraus und ein großer, ebenfalls ganz in Schwarz gehüllter Mann folgte ihnen. Sein langes Cape wehte hinter ihm her, als er in der Bugwelle seiner Handlanger die Sparkasse betrat. „Jetzt!“, flüsterte Kaffeejunkie leise und stürmte gemeinsam mit ihren Gefährten los. Und während die Bösewichte in der Sparkasse noch „Hände hoch! Geld her!“ brüllten, riefen sie: „Hände hoch oder wir schockfrosten euren Boss!“ Drei Eispistolen waren auf den Schattenmann gerichtet, der sich wenig interessiert zu ihnen umwandte. Sein Gesicht war unheimlich: In der vollkommenen Schwärze schienen nur die wabernden Schatten die menschlichen Gesichtszüge zu erstellen. „Du!“, fauchte er dann und deutete auf Phantomias. „Du bist tot!“ „Nö!“ Phantomias grinste und feuerte mit seiner Eispistole gedankenschnell auf einen der Handlanger, der gerade eine Geisel nehmen wollte. Dieser wurde schlagartig schockgefroren: Weißes Eis überzog von der Einschussstelle aus in Sekundenbruchteilen seinen Körper und fror ihn vollständig ein. Alfred hatte gesagt, dass man die Menschen hinterher problemlos wieder auftauen konnte und darauf vertrauten die Super-Sorglospunks jetzt. „Bastard!“, tobte der Schattenmann. „Ich werde dir das Herz rausreißen!“ „Oh, da sind wir aber gegen!“, entgegnete Kaffeejunkie mit einem süffisanten Grinsen und streckte seinerseits einen der Handlanger eiskalt nieder. „Und wer seid ihr?“ Der Schattenmann spuckte das letzte Wort regelrecht aus. „Ich bin Fly Girl!“, sagte Easy stolz. „Und das ist Kaffeejunkie.“ „Superhelden?“ Noch nie war dieses Wort mit mehr Abscheu und angewiderter ausgesprochen worden. „Was sonst?“ Kaffeejunkie grinste breit. „Dann macht euch auf eure Niederlage gefasst!“ Der Schattenmann streckte die Arme aus und Dunkelheit kroch aus seinen Fingerspitzen, griff die Schatten der Super-Sorglospunks und nagelte diese fest. Und diese dunklen Bande hielten auch die Originale fest! „Spürt meine Macht!“ „Jetzt!“, brüllte Phantomias und eine Blendgranate wurde aus dem Gang geschleudert, der zu den Kundentoiletten führte. Dort stand Kakaolady und wog bereits die nächste Granate in der Hand, während das Licht die Schatten zerfetzte und alle Beteiligten geblendet zurückließ. Nur Kaffeejunkie konnte dank seiner roten Brille noch sehen – und der Schattenmann, der seine Augen reflexartig geschützt hatte. Der Schattenmann stürzte zur Tür, um zu fliehen und Kaffeejunkie schoss – daneben! Stattdessen entstand nun eine Eisbahn unter seinen Füßen, über die der Schattenmann schlidderte. Doch das hinderte ihn nicht daran, schnell voranzukommen – im Gegenteil! „Die Tür!“ Und noch während sich die Glastür hinter dem Schattenmann schloss, feuerten Phantomias und Fly Girl gemeinsam auf den Türmechanismus und legten diesen lahm. Die bruchfeste Glastür klemmte das Cape des Schattenmanns ein und nagelte diesen fest, bis schließlich die Polizei kam. „Kakaogirl? Cool.“ Nifen grinste. „Kakaogirl zu sein gefällt mir.“ „Kaffeejunkie hat auch was“, stimmte Jack zu. „Aber das mit dem Cape am Ende ist einfach schwach, Easy.“ Sie schüttelte den Kopf. „Och, Menno…“ Easy schmollte und ließ sich auch nicht davon trösten, dass Chris Phantomias ganz toll fand. Schließlich sollte das hier der Auftakt zu dem Superheldenepos der Sorglospunks werden und nicht nur eine kleine Nebenbei-Kurzgeschichte. Und verfilmt werden musste dieses Superheldenepos sowieso! Denn was war denn bitte schön eine Band ohne ihren eigenen Film? Kapitel 48: Liebling, ich habe die Sorglospunks geschrumpft! ------------------------------------------------------------ „Boah, guck dir das an!“ Easy stand mit großen Augen vor einer seltsamen Maschine. Sie besaß eine Art Laserkanone an ihrem vorderen Teil, danach folgte viel Technik und danach ein Knopf, mit dem man sie einschalten konnte. „Wozu das wohl gut ist?“ „Finger weg!“, fauchte Jack, ehe Easy das Gerät auch nur anfassen konnte. Die beiden Schwestern waren gemeinsam mit Chris gerade in dem Labor eines Erfinders unterwegs, der sie für seine Gartenparty gebucht hatte. Das war ein netter, unaufregender Job, weswegen Jack diesen sehr gutgeheißen hatte. Dass sie wieder einmal auf Ebay ersteigert worden waren, hatte die Bandmanagerin Nifen ihren Schützlingen allerdings wohlweislich verschwiegen. Schließlich hatte es in der Vergangenheit dabei einige Zwischenfällen mit beziehungsweise bei ihren Auftraggebern gegeben, sodass besonders Jack, die Drummerin und der inoffizielle Bandverstand, dieser ganzen Sache äußerst ablehnend gegenüberstand. Doch so wusste Jack nichts davon und entsprechend war sie zufrieden und alle anderen waren zufrieden, weil sie diesen Job hatten. Und während Jack Easy noch eine Standpauke hielt und Chris ihr neugierig zuhörte, um für alle Fälle etwas dazuzulernen, erschien neben dem Einschaltknopf der Maschine ein Gott aus dem Nichts und betrachtete das Geschehen. Die geflügelten Sandalen waren ein deutlicher Hinweis, um wen es sich hier handelte. Dieser Gott war niemand Geringeres als Hermes, Götterbote, Gott des Diebstahls, der Reisenden, Schutzgott des Verkehrs – was bedeutete, dass er heutzutage ziemlich viel zu tun hatte – und noch einiger anderer Dinge mehr. Und Hermes war der geborene Schelm, sozusagen der Urschelm, und er hatte noch eine Rechnung mit den Sorglospunks offen. Lächelnd drückte er auf den Knopf, sah, wie violettes Licht das Ende des Lasers verließ, die Sorglospunks darin einhüllte und mit einem kleinen „Poff“ verschwinden ließ. Oder nein, nicht ganz verschwinden. Hermes gute Augen sahen natürlich sofort, dass sie nur geschrumpft worden waren. Auf Ameisengröße. Er lächelte. Ein Fingerschnippen später löste sich ein kleines Zahnrad in der Mitte der Maschine und fiel auf den metallischen Boden. Man wollte es ja schließlich niemandem zu leicht machen. Dann verschwand er wieder und es war, als wenn er niemals in diesem Raum gewesen wäre. Die drei geschrumpften Sorglospunks sahen sich um. „Was ist das für ein Gummiboden?“ Easy hopste versuchsweise auf und ab und ließ sich von den elastischen Fasern des Teppichbodens wie auf einem Trampolin auf- und abkatapultieren. „Was ist das große Ding da?“ Chris zeigte vollkommen fasziniert auf eine einsame Schraube. „Warum zum Teufel sind wir so klein???“, fluchte Jack, die als einzige direkt begriffen hatte, was geschehen war. „Wir brauchen Hilfe! Wir brauchen Abranka! Und Easy, dich mache ich fertig, sobald wir wieder groß sind! Du hast diese verdammte Maschine doch angefasst!“ „Habe ich gar nicht!“, protestierte diese sofort empört. „Hast du wohl!“ „Hab ich nicht!“ „Hast du wohl!“ „Äh, Mädels… Ich will euch ja nur ungern stören, doch wir bekommen gerade Besuch…“ Chris huschte hinter die Schwestern. Neugierig drehten sich die beiden um und sahen ein Monster auf sie zukommen. Schwarze Antennen ragten von einem gruseligen Kopf mit gigantischen Augen und scharfen Mandibeln, die nur darauf zu warten schienen, sie in mundgerechte Stücke zu schneiden und in eine Zwischenmahlzeit zu verwandeln. „Aaaaaaaaah!“ Easy schrie auf und wollte davonstürmen, besann sich jedoch eines Besseren, als Jack einfach ungerührt stehen blieb und das Tier fixierte. „Renn niemals vor wilden Tieren davon, denn das weckt ihren Jagdtrieb. Sei kein Opfer, dann sehen sie auch keins in dir.“ Jack funkelte das schwarze Monster mit den Insektenaugen an. Chris und Easy erinnerten sich in diesem Augenblick daran, was mit dem ausgebrochenen Löwen im Tierpark passiert war (nach einer Begegnung mit Jack war er freiwillig wieder in seinen Käfig zurückgegangen, auch wenn alle Welt behauptete, dass das etwas mit der Fütterungszeit zu tun hatte), und beschlossen, sich an Jack zu halten. Außerdem konnten sie immer noch abhauen, während Jack die erste Zwischenmahlzeit wurde. Natürlich würden sie normalerweise niemals so vorgehen, doch das hier war eine Ausnahmesituation und in Ausnahmesituationen reagierten Menschen bekanntlich nicht mehr so wie normalerweise. „Lass uns in Ruhe!“, forderte die Bandleaderin energisch und stemmte die Fäuste entschlossen in die Hüften. Die Bestie verhielt vor ihr. Die Antennen tanzten vor ihr auf und ab und der Kopf neigte sich ein wenig nach rechts und links, wie um sie noch etwas genauer zu betrachten. Einen Augenblick lang tat das Tier gar nichts, doch dann gab es ein raues Krächzen von sich. Jack zuckte unwillkürlich zusammen. „Hey, du sollst uns nicht ankrächzen, sondern uns in Ruhe lassen!“ „Ich wünsche euch auch einen guten Tag“, kam es nun wohlartikuliert von dem Geschöpf. „Ich bin 203.481 von den Schwarzen Ameisen und wer seid ihr?“ „Du, du, du…“, brachte Easy erschrocken hervor. „…kannst sprechen?“, ergänzte Chris hilfreich. „…bist eine Ameise?“, kam es von Jack. „Ich hatte mir euch kleiner…“ Sie stockte. Oh, da lag der Denkfehler. Sie erinnerte sich auch noch daran, dass es stets ein gewisses Maß an Höflichkeit erforderte, den ersten Kontakt zu einem fremden Volk herzustellen – und damit hatten die Sorglospunks ja nun schon eine gewisse Erfahrung. „Dir auch einen schönen guten Tag. Mein Name ist Jack, das da ist Easy“ – sie zeigte auf ihre Zwillingsschwester – „und das daneben ist Chris. Wir sind Menschen und unser Trio nennt sich Sorglospunks. Wir machen Musik.“ „Musik…“ Die Ameise artikulierte das Wort, als wenn sie es noch nie zuvor gehört hätte. „Ich würde gerne mehr darüber erfahren, doch derzeit sollten wir lieber das Weite suchen. Wenn man sich zulange auf dem vibrierenden Boden aufhält, kommt irgendwann die große grüne Wolke und zerstört alles Leben.“ „Äh, was?“ Easy starrte 203.481 perplex an. „Insektenspray“, schlussfolgerte Chris als erster. „Vermutlich.“ Jack nickte. Und das bedeutete, dass sie 203.481 folgen sollten. Die Haushälterin des Professors machte nämlich tatsächlich einen äußerst reinlichen und arbeitswütigen Eindruck und sie wollte nicht in einer stinkenden Wolke Insektenspray sterben. Und Überleben war der Tatsache hierzubleiben, um schneller gefunden zu werden, eindeutig vorzuziehen. Schnell folgten die Sorglospunks der vorauseilenden Ameise. Das war keine Sekunde zu früh. Denn sobald sie den Raum durch den Türspalt Richtung Küche und diese durch ein winziges Loch in der Hintertür verlassen hatten, versprühte die Haushälterin eine großzügige Dosis Insektenspray im Labor. Die kleinen schwarzen Insekten waren ihren aufmerksamen Augen natürlich nicht entgangen. „Beeilt euch!“, trieb 203.481 ihre drei Gäste an und diese ließen sich das nicht zweimal sagen. Schutzlos mitten auf einer schier endlosen Ebene – erst der Küchenboden, jetzt die Steinplatten vor der Hintertür – zu stehen, war unglaublich gruselig. Besonders, wenn man sich bewusst war, wie klein man auf einmal war und was einem auf einmal alles für Gefahren drohten. Nur ein unvorsichtiger Fuß und die vielversprechendste Karriere der Punkmusik wäre auf einen einzigen Schlag vorbei! Und so folgten die drei Sorglospunks ihrer – noch immer etwas unheimlich wirkenden – Führerin in Richtung Ameisenbau. Zwischen zwei Steinen gab es ein kleines Loch, in das sie hinabstieg und ihnen rief, ihr zu folgen. Mit einem kurzen Schulterzucken taten es die drei ihr nach. Im Moment hatten sie ja kaum etwas zu verlieren und sowieso steckten sie schon viel zu tief in dieser Sache drin, als dass sie mal eben so wieder herauskommen würden. „Sie sind weg!!!“ Vollkommen außer Atem, obwohl sie mit ihrer fliegenden Wolke unterwegs und nicht gerannt war, erreichte die Bandmuse Abranka die Managerin. „Was meinst du?“ Nifen blickte von ihrem Hell-o-Berry auf – ein Geschenk des Teufels Chibichi, damit sie auch immer auf dem Laufenden war und unterwegs ihre E-Mails checken konnte – und ahnte sofort, dass die Lage ernst sein musste, denn Abranka war selten so aus der Ruhe zu bringen. „Dass unsere drei Flöhe den Sack verlassen haben! Sie sind weg!“ „Kannst du nicht deren Nähe spüren?“ Nifen runzelte die Stirn. Das klang nach tatsächlichen Schwierigkeiten. In noch nicht einmal einer dreiviertel Stunde sollten die Sorglospunks hier auftreten! „Klar.“ Das Spüren der Nähe seiner Schützlinge war bei einer Muse sozusagen mit eingebaut. „Das Problem ist nur: Ich spüre sie, allerdings ich sehe sie nirgends!“ „Das ist tatsächlich ein Problem.“ Auch wenn Nifen kurz überlegte, eine unsichtbare Band auftreten zu lassen. Das dürfte sicher noch einmal extra Presse einbringen. Doch dafür musste die Band dennoch erst mal gefunden werden. „Und du hast sie auch gerufen?“ „Natürlich.“ Abranka blähte empört die Backen auf. „Okay… Dann lass uns mal nachsehen, wo sie als letztes waren. Vielleicht finden wir einen Anhaltspunkt.“ Nifen steckte ihr technisches Spielzeug weg. „Sie waren im Labor…“ Ein schiefes Lächeln glitt über Abrankas Gesicht. „Das klingt weniger gut.“ Die Managerin marschierte vorneweg, die Muse folgte ihr und schnell hatten sie den Raum erreicht, in dem die Schrumpfmaschine stand. Die Blicke der beiden verharrten auf der Maschine. „Denkst du das, was ich denke?“ Sie sahen einander an. „Also, wenn es jemand schafft, sich versehentlich schrumpfen zu lassen, dann die drei.“ Nifen seufzte leise. „Okay… Suche du die drei Deppen und ich hole den Professor her.“ Als Muse konnte Abranka natürlich auch ihre Größe beliebig verändern. Sie war schließlich kein einfacher Mensch, sondern eine Entität. Und außerdem verlangten Musenaufgaben immer wieder eine gewisse Flexibilität. Damit konzentrierte sich Abranka auf ihre Sinne und zischte davon, während Nifen sich wiederum auf die Jagd nach dem Professor machte. Derweil hatten die drei Sorglospunks nach einer kurzen Geruchsdusche durch 203.481, die notwendig gewesen war, um Zutritt zu dem Ameisenbau zu erlangen, indem diese sie als Freunde des Ameisenvolkes auswies, das unterirdische Nest betreten. Anfangs fiel noch etwas Licht durch die Eingangslöcher hinein, danach wurde es immer düsterer. Es war unheimlich in diesem Halbdunkel weiterzulaufen, vor allem, wenn ihnen ständig neue Ameisen entgegenkamen, die kurzen Fühlerkontakt mit 203.481 suchten und dann weitereilten. Ihre Führerin erklärte ihnen knapp, dass sie ihnen per Geruchskommunikation kurz erklärte, was es mit ihnen dreien auf sich hatte. Das war eine kurze, schnelle Kommunikation und erinnerte die Sorglospunks daran, dass ihre verbale Art der Verständigung hier unten etwas Exotisches war. Gott sei Dank wurde es irgendwann, kurz bevor die Dunkelheit allmächtig wurde, wieder heller. „Hier sind die Pilzkulturen“, erklärte 203.481. Und diese Pilzkulturen waren es, die ein gewisses Licht absonderten. „Wohin bringst du uns eigentlich?“, erkundigte sich Jack schließlich, während sie hier eine kurze Pause einlegten. „Zu unserer Königin. Sie muss entscheiden, was mit euch geschieht.“ „Okay… Und wir legen sofort Einspruch dagegen ein, Ameisenfutter zu werden!“, entfuhr es Easy. „Ich will nicht gefressen werden!“ „Das ist verständlich.“ So etwas wie ein amüsiertes Funkeln stand in den Augen von 203.481. „Äh… Können wir ein paar von diesen Pilzen mitnehmen zur Königin? Dann sehen wir nämlich wenigstens noch etwas… Wir können nicht im Dunkeln sehen.“ Chris schauderte und blickte sich suchend um. „Natürlich. Wir sehen auch nicht im Dunkeln, doch wir können das kompensieren.“ Die Ameise neigte leicht den Kopf, um ihre Zustimmung auszudrücken. „Ihr habt’s schon gut…“, seufzte Easy, pflückte dann etwas von diesem Pilzgewebe ab und wickelte es mangels anderer Möglichkeiten um ihren Ärmel. Damit hatte sie jetzt ihre persönliche Fackel. Chris und Jack taten ihr das schnell nach. Wenig später ging es weiter hinab in das größte Heiligtum eines Ameisenbaues: die Höhle der Königin. Vorsichtig bewegte sich Abranka voran. Die Sorglospunks mussten unter der Erde sein und das einzige, was dort hinunter führte, waren die Tunnel eines Ameisenbaus… Die Muse schauderte. Ameisen… Diese Tiere waren ihr immer etwas unheimlich, da sie als Kollektiv doch ziemlich intelligent waren und mit Sicherheit die heimlichen Herrscher dieses Planeten darstellten. Außerdem hatte sie es mal mit einer äußerst expansionswütigen Ameisenkönigin zu tun gehabt. Seither zog sie es vor, sich nicht mehr auf diese Ebene hinabzubegeben. Wenn jedoch die Sorglospunks in einem Ameisenbau steckten, dann würde sie dort hinein gehen. Sie hoffte nur, dass die drei noch nicht zu Ameisenfutter geworden waren. Dem war bisher tatsächlich noch nicht so. Auch wenn es Easy, Jack und Chris äußerst unheimlich fanden, vor diesem – aus dieser Perspektive – äußerst großem Insekt mit dem gigantischen Hinterleib zu stehen, aus dem ständig neue Eier herausgepresst wurden. Zwischenzeitlich tauchte einmal eine Dienerin auf und erklärte der Königin, welche Ameisenkaste wieder Nachschub brauchte und entsprechend wurden die nächsten Eier gelegt. Unterirdische Ameisenproduktion am Fließband. So wurde diese Höhle am besten beschrieben. „Das sind unsere Besucher 203.481?“, sprach schließlich die Königin. „Ja, Königin Kla-pu-tnik.“ Kla-pu-tnik bedeutete in der Ameisensprache Herrin unter den Steinen. 203.481 neigte den Kopf und trat dann vor, um ein kurzes Gespräch in der Duftsprache zu führen. Das Resultat fasste sie hinterher so zusammen: Kla-pu-tnik sah vorläufig davon ab, diese fremdartigen Geschöpfe zu fressen, verlangte von diesen jedoch a) den Einsatz gegen Insektenschutzmittel in diesem Haushalt und b) Unterstützung im Kampf gegen die Roten Ameisen.“ „Wieso gegen die Roten Ameisen?“ Easy zog verwirrt die Stirn kraus. „Mögt ihr die nicht, weil sie rot sind?“ Jack gab ihr eine wenig liebevolle Kopfnuss. „Hast du noch nie davon gehört, dass sich Ameisenvölker bekriegen? Die Schwarzen Ameisen sind hier heimisch und die Roten dringen in ihren Lebensraum ein. Ergo: Krieg. Die Schwarzen Ameisen kämpfen um ihre Existenz.“ „So ist es.“ 203.481 stimmte Jack zu. „Toll. Und wie sollen wir da helfen?“, moserte Easy. „Wir sind eine Band und keine Weltretter!“ „Ach, das fällt dir jetzt auf? Sonst hast du doch nie etwas dagegen, wenn wieder einmal sonstwer vor unserer Tür steht und unsere Hilfe braucht! Doch die Ameisen diskriminierst du jetzt, oder was?“ „Quatsch, so war das gar nicht gemeint!“ Und während die beiden Schwestern stritten, saß Chris da und dachte nach. „Sag mal, 203.481…“, fing er schließlich an. „Ameisen arbeiten doch auch zusammen und vereinigen sich zu großen Förderationen, nicht wahr?“ „Ja, wir waren dereinst auch Teil einer Förderation, ehe das Insektengift und sehr dezimiert hat.“ „Mhm…“ Chris neigte leicht den Kopf. „Ich habe da eine Idee, wie wir beide Wünsche eurer Königin zu einem vereinigen können. Ihr schickt einen Unterhändler zu den Roten Ameisen und schlagt eine Allianz vor, und behauptet als Zeichen eurer Macht, dass ihr diesen Garten sicher machen könnt, indem ihr das Insektengift vertreibt. Und das ist die Sache, die wir drei übernehmen werden. Damit habt ihr ein gutes Unterhändlerpfand in der Hand, um ein Bündnis zu schließen.“ „Wow, und da bist du allein draufgekommen?“ Easy staunte nicht schlecht. Dann schaute sie über Chris’ Schulter und erblickte die Bandmuse. „Abranka!“ „Mir scheint, ihr kommt auch gut ohne mich klar.“ Die Muse grinste. „Der Plan klingt wirklich gut. Jedoch sollten wir diesen gleich in Angriff nehmen.“ 203.481 neigte ihren Insektenkopf. „So sei es. Allerdings…“ „…wird dieses Individuum dort“ – die Ameisenkönigin deutete mit ihren Mandibeln unmissverständlich auf Easy – „als Geisel hier bleiben. Wir möchten schließlich sichergehen, dass ihr euer Versprechen erfüllt.“ Abranka nickte. „Das ist nachvollziehbar.“ „Äh, Moment!“ Easy erhob wild mit beiden Armen winkend Einspruch. „Ich bin dagegen! Wo steht geschrieben, dass ich die Geisel sein muss? Ich bin keine gute Geisel! Und ich schmecke Ameisen nicht!!!“ „Moment.“ Jack packte ihre Zwillingsschwester am Arm, nahm sie bei Seite und redete kurz und heftig auf sie ein. Abranka gesellte sich dazu und nur einen Augenblick später war alles in Ordnung. „Okay, ich bleib hier“, maulte Easy. „Allerdings nur, weil…“ „Abranka verspricht, dass sie euch Ameisen das Leben zur Hölle machen wird, wenn Easy auch nur ein Haar gekrümmt wird. Und glaubt mir, ich meine das ernst.“ Die Muse ließ ein diabolisches Grinsen sehen, das sie sich im Laufe der Zeit von Chibichi – dem Teufel höchstpersönlich – abgeguckt hatte. Kla-pu-tnik nickte nur. Ob sie Abranka tatsächlich ernst nahm, war ihrem ausdruckslosen Gesicht nicht zu anzusehen. Somit brachen dann zwei Sorglospunks und eine Muse auf, um die Sorglospunks wieder auf Normalgröße zu bringen, während Easy bei 203.481 und der Ameisenkönigin zurückblieb. Und während die anderen durch den unterirdischen Ameisenbau eilten, plapperte Easy auf die beiden Ameisen ein, sodass diese überlegten, ob die Wahl ihrer Geisel wirklich die richtige war. „Wir sind da!“ Abranka sauste unter der Türspalte empor, wurde dabei gleichzeitig wieder groß und fasste noch im Wachsen nach unten, um die beiden Sorglospunks sachte auf ihrer Handfläche zu platzieren, damit diese nicht noch versehentlich zerquetscht oder mit Insektenspray vergiftet wurden. „Und wir haben dafür ein Problem.“ Nifen stand neben dem Professor, der sich seine spärliche und dennoch wild vom Kopf abstehende Haarpracht raufte. „Der Schrumpfstrahl ist kaputt und deswegen funktioniert die Umkehrung nicht.“ „Das kann doch wohl nicht wahr sein!“ Die Muse schaute den Professor fassungslos an. „Wir können die drei doch nicht so lassen!“ „Na ja… Dann sind sie die kleinste Band der Welt und bei Tour ist das doch ganz praktisch…“, überlegten Nifen laut, was Jack und Chris zu einem wahren Empörungstanz auf Abrankas Handfläche veranlasste. „Nifen, Easy ist noch im Ameisenbau und wird als Geisel dafür gehalten, dass hier kein Insektengift mehr verwendet wird. Das wollen die schwarzen Ameisen nutzen, um eine Allianz mit den feindlichen roten Ameisen zu schließen… Und wenn das Gift nicht verschwindet, greifen die roten Ameisen an – doch bevor die schwarzen Ameisen untergehen, werden die Easy umbringen…“, sprudelte es aus Abranka hervor. Nifens Augen wurden schlagartig schmal. Das war der Blick, vor dem all diejenige sich zu fürchten gelernt hatten, die den Sorglospunks im Wege standen – oder die jemals mit der Bandmanagerin verhandelt hatten. Das war pure Neopets- und Snape-Erfahrung. „Okay, ich kümmere mich darum. Sorg du dafür, dass der gute Mann eine Idee hat, wie dieses blöde Ding wieder funktioniert!“ Damit trabte Nifen davon. Und Abranka servierte dem Professor ein Ideengewitter, das sich gewaschen hatte. Eigentlich war das eher für Notfallkonzerteinsätze gedacht, doch das hier war ein viel, viel, viel, viel, viel, viel, viel größerer Notfall. Das Ideengewitter zeigte eine durchschlagende Wirkung. Nur leider war die Unterstützung einer Muse immer nur die Zündung einer großen Gedankenexplosion. Es ließ sich nie vorhersagen, was genau an Ideen dabei herauskam. Ein Umstand, den Abranka bei jeglichen Songtexten aus Easys Feder immer wieder betonte. „Konzentrier dich verdammt noch mal auf dien Schrumpfstrahl und reparier den!“, explodierte die Muse. „Von mir aus kriegst du nachher noch eine Bonus-Inspirationsrunde, jedoch erst, wenn du das hier hinbekommen hast!“ Und während sie den Professor rigoros an die Arbeit trieb, achtete sie darauf, sich stets zwischen ihm und dem Zeichenbrett zu befinden, nach dem er immer wieder äußerst sehnsüchtig schielte. Und während der Professor fleißig mit der drohenden Muse im Nacken an der Maschine arbeitete, kam Nifen mit einem breiten Grinsen im Gesicht wieder zurück. „Mission erfolgreich“, berichtete sie und schilderte dann, dass ein wenig Insektenkunde und Erinnerung an die Umwelt und das Schildern möglicher Spätfolgen durch das beständige Einatmen von Insektengift doch wahre Wunder gewirkt hatte. Die Haushälterin würde vermutlich niemals wieder auch nur eine Fliegenklatsche anrühren, um einem nervigen Brummen den Garaus zu machen. So langsam trug die Arbeit des Professors auch endlich Früchte. Er hatte schlussendlich doch das verlorene Zahnrad gefunden und es wieder eingebaut. Nur wenig später standen Jack und Chris wieder in normaler Größe vor ihnen. „Ihr haut schon mal auf die Bühne und improvisiert!“, wies Nifen die beiden an, während diese noch heftig jubelten. Abranka zischte derweil in den Ameisenbau zurück, um Easy aus ihrer Geiselhaft zu befreien. Dort lernten die Ameisen gerade den frisch improvisierten unterirdischen Easy-Tanz und waren gar nicht so unglücklich darüber, dass ihre Tanzlehrerin nun wieder gesehen sollte. Wobei… einige junge Ameisen tanzten fröhlich weiter und Abranka war sich sicher, dass Easy hier doch vielleicht eine dauerhafte Idee hinterlassen hatte. „Wir haben mit den Roten eine Vereinbarung getroffen. Wenn heute kein Gift versprüht wird, schließen wir eine Allianz.“ Die Ameisenkönigin fixierte die Sängerin und die Muse aufmerksam. „Solange können wir allerdings nicht mehr warten. Wir haben auch etwas zu tun“, erwiderte Abranka. „Du wirst dich auf unser Wort verlassen müssen.“ „Warum sollte ich das tun?“ „Weil dir das jemand sagt, der schon einmal eine Ameisenkönigin begleitet hat. Und weil ich nicht lüge.“ Abranka funkelte Kla-pu-tnik zornig an. „Bringt uns Zucker“, forderte diese nur und neigte wieder den Kopf. „Sonst verlässt deine Freundin unseren Bau nicht lebend.“ Abranka seufzte nur und sauste wieder zurück, um dafür zu sorgen, dass eine Tüte Zucker vor den Ameisenbau gekippt wurde. Und während sich die Ameisen im Zuckerrausch befanden, brachte die Muse Easy sicher nach oben, wo sie vergrößert und gleich auf die Bühne gejagt wurde. Denn so langsam hatten die Besucher die instrumentalen Interpretationen von Jack und Chris satt. Und selbstverständlich war an diesem Tag auch ein neuer Song fällig. Einer, der dem Professor, der sich demnächst auch Ameisenstudien widmen wollte, sehr gefiel, sowie gleichzeitig der Haushälterin ein wenig zu schaffen machte… „Ooooooh… Tritt nicht auf mich! Oooooooh… Tritt nicht auf mich! Denn ich, ich bin nichts als ne Ameise! (Ameise, Ameise!) Yeah, yeah, Ameise Denn ich bin nichts als ne Ameise (Ameise, Ameise!) Denk daran: Wir sind doch auch nur winzig klein in diesem großen Universum! Ja, denk daran: Wir sind auch keine Riesen in diesem großen Universum! Denn wir sind doch nichts als Ameisen! (Ameisen, Ameisen!) Yeah, yeah, Ameisen Denn wir sind nichts als Ameisen (Ameisen, Ameisen!)“ Kapitel 49: Hilferuf aus Fútbolopia ----------------------------------- Fanpost war für die Sorglospunks noch immer eine Seltenheit. Zwar kamen hin und wieder nette E-Mails oder direkte Antworten über Twitter, aber richtige Fanpost, die mit Postsäcken in die Wohnung gekarrt wurde und die aus Bergen an Geschenken bestand, hatten sie noch nie bekommen. Daher hatte es Abranka, die Bandmuse, nur allzu gerne übernommen, diese Aufgabe wahrzunehmen. Sie war also auch die offizielle Fanpostbeauftragte der Band. Im Endeffekt bedeutete das nur, einmal am Tag daran zu denken, den Briefkasten zu leeren. Gleichzeitig war es für sie eine willkommene Ausrede, sich um die Fanpost kümmern zu müssen, wenn Easy, die Sängerin der Sorglospunks, gerade einmal wieder absolut uninspirationswillig und Songtext schreibunlustig war. „Wir haben Post! Fanpost!“, gellte an diesem schönen Juni-Tag auf einmal Abrankas Stimme durch die Sorglospunks-WG. Augenblicklich ließen die drei Sorglospunks und ihre Managerin alles stehen und liegen und sausten gen Wohnzimmer, wo Abranka bereits auf alle wartete. „Was ist es?“, fragte Chris, der Gitarrist, aufgeregt. „Geschenke! Geschenke!“, jubelte Easy. „Lies schon vor!“, drängelte Jack, das Multipercussionswunder, während sich die Bandmanagerin Nifen ganz entspannt auf der Couch zurücklehnte und darauf wartete, dass Abranka endlich beginnen konnte. „Also…“ Abranka räusperte sich demonstrativ und zückte dann einen Brief, was bei Easy einen tiefen Seufzer auslöste. Keine Geschenke. Wie deprimierend! „Liebe Sorglospunks, ich liebe eure Musik über alles und bin froh, euren Youtube-Channel gefunden zu haben. Leider kann ich eure Musik nicht allzu oft hören, da ich dem sehr abgeschiedenen Dorf Fútbolopia in Südamerika lebe und nur alle zwei Wochen eine halbe Stunde Internetzeit bekomme. Natürlich kenne ich auch eure Homepage! Ich staune jedes Mal über die Abenteuer, die ihr dort erzählt…“ Die drei Sorglospunks warfen Nifen einen langen Blick zu. Offenkundig musste hin und wieder doch mal auf die Homepage geguckt werden, um herauszufinden, was dort eigentlich drauf stand. Nicht, dass da außer Schokolieblingssorte und Kaffeetrinkgewohnheit noch irgendetwas Peinliches zu finden war! „…und genau deswegen schreibe ich euch. Ich brauche eure Hilfe! Mein ganzes Dorf braucht eure Hilfe! Bitte, ihr habt so vielen Leuten geholfen – könnt ihr nicht auch unser Dorf retten? Kommt bitte sofort! Euer Ronaldo“ „Das ist definitiv keine normale Fanpost“, stellte Jack trocken fest. „Nein, ganz klar ein Hilferuf.“ Easy nickte. „Und wir machen’s!“ „Aber wir wissen doch gar nicht, worum es geht!“, kam es von Jack wieder zurück und ehe die beiden Zwillingsschwestern in einen heftigen Geschwisterstreit abdriften konnten, mischte sich Nifen ein. „Nun, wir könnten Chi um Hilfe bitten, um nach Fútbolopia zu kommen und uns die ganze Geschichte mal aus der Nähe anzuschauen… Und dann können wir ja entscheiden. Immerhin ist das ein Fan. Es wäre jedenfalls toll, um weiter bekannt zu werden“, schlug Nifen mit purer Gelassenheit vor. „Aber keine Kostüme, klar?“, gab Jack zurück. „Ist gebongt!“ Nifen grinste. Das Cowboy-Outfit hatte bei Jack offenkundig einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Chris seufzte leise und verschwand schon mal, um zu packen. Immerhin musste seine geliebte Gitarre sicher verstaut werden. „Ich rufe Chi an“, erklärte Abranka und zog ihr Musentelefon hervor. Keine zwei Minuten später war klar, dass Chibichi, der Teufel höchstpersönlich, leider keine Zeit hatte, aber sie schickte ihnen Baby vorbei, damit Nifen dann diesen ganz speziellen Wagen nach Fútbolopia steuern konnte. Und sie bestand darauf, dass nur Nifen fuhr. Immerhin konnte Baby überall hinfahren – und wer wusste schon, wohin das in den Händen von Sorglospunks führen würde… Es war etwas komplizierter den Weg nach Fútbolopia zu finden, da Easy ständig versuchte, das Wunschlenkrad zu reiben und sich etwas Tolles zu wünschen. Das nahm erst ein Ende, als Nifen und Jack Easy schließlich gemeinsam dazu verdonnerten, einen neuen Song zu schreiben – und zwar über die gemeinsame Reise und das Wunschlenkrad und erst wenn dieser Song toll war, durfte sie das Lenkrad wieder anfassen. Da die Jury aus Jack und Nifen bestand, war klar, dass das während der Fahrt niemals der Fall sein würde. Chris schlief die gesamte Zeit über und Abranka strickte an einem Ideenschal, den sie Easy bei dem nächsten Kreatief um den Hals wickeln wollte. Doch endlich erreichten sie die richtigen Koordinaten. Hier war überall nur Dschungel. Dschungel, Dschungel und Dschungel. Irgendwo hier im südlichsten Zipfel Venezuelas lag das Dorf. Oder war das hier schon Kolumbien oder bereits Brasilien? Es spielte hier keine Rolle mehr. Es gab hier nur den Dschungel. Grenzen waren das letzte, was hier irgendjemanden interessierte. „Da vorne!“ Easy hopste auf ihrem Sitz herum und deutete durch die Frontscheibe. Tatsächlich! Dort ragten hohe Palisaden zwischen den Bäumen empor. Sie passierten ein großes Tor, an das Dutzende von alten Lederbällen gebunden waren, und befanden sich dadurch praktisch sofort auf dem großen Dorfplatz. „Sie sind es! Sie sind es!“ Ein Junge, vielleicht vierzehn Jahre alt, barfuß und mit hellbrauner Haut – wie Milchkaffee – und kurzem schwarzen Haar stürmte auf den Wagen zu. „Die Sorglospunks! Das sind sie! Sie werden uns helfen!“ „Hallo Ronaldo!“ Nifen schlussfolgerte schnell, wer der Junge war. Sie stoppte den Wagen und die Sorglospunks strömten ins Freie. „Ist das warm hier…“, murrte Chris und blickte sich dann neugierig um. Alles hier erinnerte an… Bälle. Fußbälle, um genau zu sein. Offenbar waren das hier richtige Fußballfans. Keine fünf Minuten später waren die Sorglospunks von neugierigen Dorfbewohnern umringt, die sie begutachteten und schließlich begeistert ausquetschten. Über alles. Und ganz besonders über Fußball. Ronaldo war es schließlich, der sich durchsetzte und verkündete, dass das schließlich seine Gäste seien und entsprechend die drei Sorglospunks, ihre Managerin und ihre Muse zu einer kleinen Hütte führte, dort seinen Eltern vorstellte und ihnen schließlich bei einem Glas kühlen Tee erzählte, was hier eigentlich los war. „Also, ich habe euch um Hilfe gebeten, weil wir immer mehr Probleme mit unseren Nachbarn haben, dem Dorf Arbitropa.“ Und dann schilderte Ronaldo, dass sich die Arbitroper immer in die Fußballspiele der Fútbolopier einmischten und ihnen erzählen wollten, was sie falsch machten, aber gleichzeitig nicht kicken konnten und dass das alles einfach nur noch grauenhaft war. Die beiden Häuptlinge hatten sich bis aufs Blut zerstritten und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis es zu einem Krieg kommen würde. Und genau deswegen hatte er die Sorglopunks um Hilfe gebeten. So glücklich wie ihn ihre Musik machte, mussten sie doch auch in der Lage sein, hier alle anderen glücklich zu machen. Als Ronaldo geendet hatte und die fünf aus seinen großen Augen hoffnungsvoll ansah, wurde ihnen allen ganz anders. Das Lob ging natürlich runter wie Öl, aber: Wie helfen und einen Krieg verhindern? Es war Nifen, die als erstes eine Idee hatte. „Weißt du was? Zeig uns mal, wie ihr spielt. Lass uns mal schauen, was passiert, in Ordnung?“ Ronaldo nickte begeistert, sprang auf die Füße und flitzte voraus. Vier der fünf Besucher taten sich da doch recht schwer ihm zu folgen. Nur Abranka hatte es auf ihrer fliegenden Wolke leicht, musste sie doch einfach nur ein wenig die Geschwindigkeit erhöhen. Auf dem Fußballplatz entstand innerhalb kürzester Zeit ein schnelles, atemberaubendes Spiel. Solche Balltricks und einen derartiges Ballgefühl hatten die fünf bisher nur im Fernseher gesehen. Bei der Weltmeisterschaft zum Beispiel. Das waren solche Ballkünstler, nach denen sich jeder Fußballverein Europas die Finger lecken würde! Es war der Häuptling, der Nifen genau diese Frage beantwortete. „Es gehen wenige hier weg und entscheiden sich für ein Leben in eurer Welt. Und für ein Leben in der Welt des modernen Fußballs. Dieser Fußball hier ist anders. Urtümlicher. Ohne dieses Korsett.“ „Mhm…“, machte die Bandmanagerin. Das hier war wirklich eine vergessene Welt. Eine Welt, die zwar Berührungen mit der so genannten Zivilisation besaß, die aber von dieser nicht so recht wahrgenommen wurde und die sich sehr bewusst für und gegen Kontakte entschied. „Ja, aber dafür gibt es schon viele üble Szenen… Fouls und so.“ Jack deutete auf den Platz. Dank ihrer Fanclique aus dem örtlichen Fußballclub im Schwabenland kannte sie sich mittlerweile recht gut mit Fußball aus und war nicht mehr nur ein begeisterter Fan, der auf Tore wartete. Der Häuptling blickte Jack lange an und erzählte dann, wie der Fußball eigentlich entstanden war – und dass Fútbolopia tatsächlich das Heimatland des Fußballs war. „Begonnen hat alles zu der Zeit, als die kleinen Stämme noch kein Spanisch sprachen und uns die weißen Männer fremd waren. Wenn es Krieg gegeben hatte, war das eine schlimme Zeit und es gab wenig Erfreuliches. Bis, ja, bis ein kleiner Junge einmal über einen Toten stolperte und dessen Kopf durch die Gegend kickte. Ihm machten das kullernde Geräusch und die Bewegung Spaß und so trat er den Kopf weiter… Das war der erste Fußball. Danach wurde es zur Tradition, mit den Köpfen der Besiegten Fußball zu spielen. Solange, bis sie auseinander fielen. Und natürlich wurden vorher die Unterkiefer abgemacht. Die gingen immer so lästig auf…“ Easy schauderte und rief empört: „Wie grausam!“ „Na und? Ihr habt Hexen verbrannt und noch viel Schlimmeres getan. Ihr solltet unsere Vorfahren nicht verurteilen.“ Sein scharfer Blick sorgte aber nicht dafür, dass Easy sich beruhigte. Im Gegenteil. Sie wollte sich noch viel mehr aufregen, doch Jack gelang es schließlich, sie wieder zu beruhigend und dem Häuptling weiterhin zuzuhören. „Irgendwann gab es immer weniger Feinde und immer mehr Frieden und statt mit Menschenköpfen spielte man schließlich mit den ersten Bällen. Das Spiel verbreitete sich in ganz Südamerika und kam mit den weißen Eroberern nach Europa, wo es dem rudimentären Ballspiel seinen neuen Schliff gab. Man kann also getrost sagen, dass wir das Mutterland des Fußballs sind.“ „Eines Fußballs ohne Regeln.“ Chris verzog den Mund, während wieder einer der Jungen über den holperigen Platz kullerte. Ehe der Häuptling darauf etwas mit zornblitzenden Augen erwidern konnte, stürmte auf einmal ein Haufen schwarz-weiß gekleideter Jungen auf das Spielfeld und blies kräftig in kleine Pfeifen hinein, was ein ohrenbetäubendes Getöse bedeutete. „Seht ihr! Deswegen wird es Krieg geben!“, fauchte der Häuptling ungehalten und richtete seine Wut jetzt auf die Neuankömmlinge. „Mhm…“ Jacks Stirn legte sich in Falten. Wenn man einmal durch das Getöse und Gewimmel hindurchblickte, dann merkte man vor allem eins: Diese Jungs wollten dem Spiel mehr Struktur geben. Das Rumgeschubse beenden, ebenso das hinterhältige Hangeln nach dem Ball. Sicher, das machte die Spieler vielleicht auf Dauer besser, aber es sorgte auch dafür, dass ihre Knochen sehr viel mitmachen mussten. Und so viele traurige Jungs, wie am Spielfeldrand standen, weil sie nicht mehr konnten, gaben doch einen Hinweis darauf, dass diese Konfrontationen durchaus Folgen besitzen konnten… „Ich hab da ne Idee!“ Jack stürzte sich mitten ins Getümmel und war auf einmal zwischen all den Jungs verschwunden. „Was meinst du, sollten wir ihr helfen?“, fragte Easy und neigte sich Nifen hinüber. Diese zuckte mit den Achseln. „Sie soll nur auf ihre Finger aufpassen, die braucht sie zum Spielen.“ „Außerdem hat sie die Fußballjungs zuhause auch in den Griff gekriegt“, erinnerte Abranka und fummelte an einigen Ideenblitzen herum. Sie ahnte, worauf Jack hinauswollte und würde sie nach allen Kräften unterstützen. Schließlich hatte Jack es geschafft, dass sie die Jungen aus beiden Dörfern um sie herum auf den Boden gesetzt hatten. Auch die Mädchen – die immer auf einem gesonderten Platz spielten und das deutlich gesitteter als die Jungs – kamen jetzt hinüber und kurz darauf hockten das Halbe Dorf Fútbolopia und das halbe Dorf Arbitropa vor Jack auf dem Boden und blickten sie erwartungsvoll an. „Fußball ist großartig“, sagte Jack zur Einleitung und schaute in die Runde. „Fußball ist der tollste Sport, den es gibt. Aber das wisst ihr. Aber Fußball besteht nicht nur aus tollen Ballkunststücken und grandiosen Toren. Aus Drama, Kampf und Krampf. Nein, Fußball besteht auch aus Regeln. Aus Regeln, die dem wilden Spiel etwas mehr Struktur geben, ohne es zu zähmen. Aus Regeln, die verhindern, dass ihr euch die Beine blutig tretet und dass jemand direkt vor der Torlinie lauert, um einen Ball rüberzuschubsen. Regeln heißen nicht, dass das Spiel schlechter wird. Im Gegenteil. Es gibt Regeln, die das Spiel spannender machen. Denn sie sind auch eine Herausforderung.“ Sie hielt kurz inne und ließ das Raunen und Flüstern um sich herum auf sich wirken. „Die Fútboloper sind die geborenen Fußballer.“ Heftiger Applaus antwortete ihr auf diese Worte. „Doch die Arbitroper sind die geborenen Schiedsrichter. Warum also nicht eure Kräfte bündeln und daraus ein Fußballspiel machen, das wirklich spannend ist und bei dem es weniger blutige Knie und frustrierte Fußtritte gibt? Ein Spiel, das immer noch vor Fußballkunst so strotzt? Warum nicht?“ Erst breitete sich Schweigen aus, dann gab es langsam erste vereinzelte Jubelrufe und dann war der ganze Platz davon erfüllt. „Und wir helfen euren Häuptlingen gerne dabei, Regeln aufzustellen, mit denen ihr alle leben könnt.“ Jetzt war das Getöse wirklich groß. Der Häuptling aus Fútbolopia guckte zwar immer noch sehr skeptisch, aber gleichzeitig war ihm auch anzusehen, dass er begriff, welche Chance das hier sein konnte. Und einen Krieg wollte hier schließlich niemand. Zwei Tage später stand das Regelwerk für das Fútbolo-Abritop’sche Fußballspiel. Sie waren etwas anders als sie auf den großen Plätzen und bei der FIFA galten, aber das war in Ordnung. Schließlich war das hier ein anderer Ort als die Welt da draußen. Das hier war eine kleine, herrliche vergessene Fußballwelt. Eine Welt, an die man den Rest des Planeten gar nicht unbedingt erinnern musste. „Los, los, los, kick den Ball! Los, los, los, kick den Ball! Schieß den Ball ins Tor! Halt ihn hoch, flank ihn her! Ich schieß den Ball ins Tor!“, trällerte Easy bei der Rückfahrt und Jack war sich nicht so wirklich sicher, ob das tatsächlich ein Hit werden konnte. Aber andererseits… Fußballsongs gingen immer… Kapitel 50: Gartenparty ----------------------- Wenn Nifen nicht auf diesem kostenlosen Managementseminar in Absurdistan gewesen wäre, wo sie sich zwischen einigen interessanten Vorträgen dagegen wehrte, Heizdecken und Teppiche angedreht zu bekommen, wäre vermutlich alles anders gekommen. So aber war die Bandmanagerin nicht im Haus, als die Bandmuse Abranka zu der jährlichen Gartenparty des Rauschebarts aufbrach. (Denn wer hatte bitte schön einen größeren und schöneren Garten dafür zur Verfügung?) „Toll, und wir?“, moserte Easy, als Abranka davonsauste. Die Sängerin der Sorglospunks fand es gar nicht lustig, dass Nifen und Abranka unterwegs waren, während ihre Zwillingsschwester Jack, ihr Bandkollege Chris sowie sie selbst daheim bleiben mussten. Dass auch LennStar in seinem Fass seinen philosophischen Studien nachging und Kiwi ihrem Katzendasein, blendete sie aus. „Ich will auch auf eine Gartenparty!“ Jack zog einen Schmollmund und grinste einen Augenblick später. „Warum gehen wir nicht einfach?“ „Weil wir nicht eingeladen sind“, gab Chris zurück und blickte von seiner Gitarre auf, die er gerade mit Inbrunst polierte. „Na und? Bei so vielen Gästen fallen wir doch weder auf noch ins Gewicht“, erwiderte Jack und wischte seine Einwände kurzerhand einfach weg. „Und wie willst du dahin kommen?“, seufzte Chris. „Soweit ich weiß, ist der Garten Eden nicht mal eben um die Ecke.“ Die Zwillingsschwestern sahen sich an. Da war schon was dran. „Der WWWB-Markt!“, rief Easy urplötzlich aus. „Da ist doch ein Eingang zur Hölle, warum denn dann nicht auch einer zum Himmel?“ Damit war der Plan gefasst. Die drei Sorglospunks – Chris wollte sich die Party natürlich doch nicht entgehen lassen – flitzten los in Richtung WWWB-Markt. Abranka war derweil in Eden angekommen. Nachdem sie von Apollo, Hippokrene, Pegasus und vielen Musenkolleginnen begeistert begrüßt worden war und ihre Wolke auf dem Wolkenparkplatz abgestellt hatte, ließ sie sich schließlich neben dem Teufel Chibichi nieder. Des Teufels Großmutter, die sonst die drei goldenen Haare ihrer Enkelin im Märchenland hütete, war heute auch hier und freute sich sehr, bei dieser Gelegenheit aus erster Hand Neuigkeiten über ihre liebste Lieblingsband – natürlich die Sorglospunks – zu erfahren. Und während die drei noch plauschten, gesellte sich niemand anderes als die Eltern von Chibichi zu ihnen. Ihre Mutter besaß die gleichen hübschen Hörner wie ihre Tochter, während der Vater ihr eindeutig seine Flügelspannweite vererbt hatte. Außerdem setzte sich noch ein junger nordischer Gott in Kriegerrüstung – mit Pelzbesatz und glänzendem Brustpanzer – mit einem langen Kinnbart neben Chi, der den Teufel offenkundig durchaus freiwillig und gern begleitete, aber von dieser ganzen Veranstaltung nicht allzu angetan zu sein schien. Jinsu oder so ähnlich war sein Name. Er gehörte zu den wenigen, die nicht in den beliebten Fußballtrikots der Überirdischen Liga herumliefen. Der Rauschebart war in das Trikot des 1. FC Himmelspforten gehüllt, während Chibichi natürlich Stilecht auf die Flammen der Hölle setzte. Aber auch Armageddon 10, Olymp 1588, der FC Hades 09, Fegefeuer United, die Himmlischen Heerscharen und noch viele andere waren vertreten. Das war hier quasi die Feierkleidung – und natürlich sorgte diese für viele hitzige Diskussionen. Fußball war schließlich bekanntlich eine äußerst ernste Angelegenheit. Abranka hatte als ultimativer umfassender Fußballfan darauf verzichtet, sich für einen speziellen Verein zu entscheiden und trug ihr normales Musenoutfit. In der Zwischenzeit hatten die Sorglospunks den WWWB-Markt erreicht und tatsächlich einen Fahrtsuhl entdeckt, der die Ziele Himmel, Hölle, Olymp, Hase, Märchenland, Literaturland, Avalon, Atlantis und noch einige andere im Angebot hatte. „Hey, warum sind wir das letzte Mal eigentlich durch diesen komischen Tunnel in die Hölle gelaufen?“ Chris runzelte die Stirn. „Weil wir durch den Hintereingang wollten und noch keine Ahnung von diesem Fahrstuhl hatten, Dummerchen.“ Jack gab ihm eine Kopfnuss. „Aufi!“ Voller Vorfreude drückte Easy den richtigen Knopf – doch der Fahrstuhl fuhr nicht los. Stattdessen quäkte eine unangenehme Computerstimme: „Passwort!“ und ein Buchstabenfeld an der Wand leuchtete auf. „Und jetzt?“, fragte Chris mutlos, der sich bereits wieder auf das Sorglospunks-WG-Sofa zurücksehnte. „Na, wir knacken den Code!“, rief Jack enthusiastisch. „Und wie?“ „Wir raten.“ „Aber die Chancen stehen doch eins zu einer Million!“ „Und genau deswegen wird es klappen.“ Jack grinste zuversichtlich, schloss die Augen und drückte die Buchstabentasten wahllos drauflos. „Passwort falsch! Bitte Passwort eingeben!“, quäkte die Computerstimme. „Mist!“ „Und jetzt? Was, wenn uns jemand erwischt?“ Chris wurde langsam sorgenvoll. „Ach, Quatsch. Wer soll uns denn schon erwischen?“, winkte Easy ab. „Kann ich euch helfen?“, fragte in diesem Augenblick jemand hinter ihnen. Und als die drei sich umdrehten, stand dort niemand anderes als ein gewaltiger Engel mit Schwingen so breit, dass sie die noch immer geöffnete Fahrstuhl fast ausfüllten. Seine äußerst eindrucksvolle Erscheinung wurde nur durch die prallen Einkaufstüten in seinen Händen und die knallroten Gummistiefel an seinen Füßen gemindert. In Eden nahmen derweil die Feierlichkeiten ihren Lauf. Natürlich bestand auch diese Gartenparty zu einem Großteil aus harten Holzbänken – die diverse magische und göttliche Gestalten für sich bequemer gestalteten –, dem umständlichen System der Wertmarken, Getränke- und Futterständen sowie Spiel- und Spaßattraktionen wie die obligatorische Hüpfburg für Kinder und Junggebliebene. Momentan hopsten dort neben Jungengeln und -dämonen auch die Götterväter Zeus und Odin. Im Hintergrund dröhnte die unvermeidliche Partymusik und es war klar, dass dieser im Laufe der Feier die größte Bedeutung zukommen würde. Wenigstens, bis die Band auftrat. „Wir wollen in den Himmel!“, platzte Easy raus. „Das ist erfreulich. Allerdings ist Menschen normalerweise kein Zugang zu den himmlischen Gefilden gestattet.“ Der Engel zog eine überirdisch schöne Augenbraue hoch. „Wir sind die Band für die Gartenparty“, flunkerte Jack drauflos. „Man hat uns auf den Fahrstuhl zur Anreise verwiesen, aber leider vergessen, uns das Passwort zu geben.“ Der Engel seufzte. „Klingt ganz nach Lydaels Planung…“ Er trat an das Buchstabenpult und tippte gedankenschnell eine recht lange Buchstabenkombination ein. Und während es aufwärts ging, erlaubten sich die drei Sorglospunks bereits, zu frohlocken. Jetzt konnte es doch gar nicht mehr schwer sein, nach Eden zu kommen! Die Stimmung auf der Party wurde immer besser, auch wenn es die Musik nicht geworden war. Dennoch gab es einiges an Liedern, die man einfach kannte und entsprechend mitsang. So konnte sich Abranka beispielsweise überhaupt nicht verkneifen „Ein Stern, der deinen Namen trägt hoch am Himmelszelt, den schenk ich dir heut Nacht!“ aus voller Kehle mitzusingen. Chibichi erwischte es erst nach der Verteilung der Losgewinne. Dabei hatte Abranka einen Stimmungsarmreif aus den Hephaistos-Schmieden gewonnen, der tatsächlich Funken sprühend ihre gute Laune präsentierte, während Chibichi kritisch eine Vase mit eingefassten Goldfischen beäugte. Diese würde entweder nächstes Jahr wieder in den Lostopf wandern oder alternativ irgendeinem verhassten Dämon ins Büro gestellt. Als sie den Fahrstuhl verließen, standen sie nach wenigen Schritten vor einem gewaltigen Tor mit reichen goldenen Verzierungen. Dort hielt ein hünenhafter Engel Wache, gegen den ihre Fahrstuhlgesellschaft fast zerbrechlich wirkte. „Sei gegrüßt, Raphael“, wandte sich der Wächter an den anderen Engel. „Hast du alles bekommen?“ „Oh ja.“ Der berühmte Erzengel grinste breit. „Alles für die Wackelpuddingüberraschung. Dass der Teufel aber immer auch so vergesslich ist…“ Der Wächter hob die Schultern. „So ist das nun einmal.“ „Eben. Oh, Petrus, prüfe die drei hier“ – Raphael wies auf die Sorglospunks – „besser gründlich. Es sind Musiker ohne Instrumente.“ Und damit marschierte Raphael durch das Tor und überließ die Sorglospunks der ungeteilten Aufmerksamkeit von Petrus. „Das ist Wahnsinn! Warum schickst du mich in die Hölle? Hölle, Hölle, Hölle, Hölle!“ Bei dem zweiten „Hölle“ hielt nichts mehr Chibichi auf ihrem Platz. Lautstark mitsingend und ihr Glas Waldmeisterbowle schwenkend sprang sie auf den Tisch. „Warum schickst du mich in die Hölle? Hölle, Hölle, Hölle, Hölle!“ Das Lied konnte gar nicht lange genug dauern! Und die Stimmung war bombig. „Wer seid ihr und was wollt ihr?“ Petrus funkelte die Sorglospunks an. Er war der aufmerksamste und beste Wächter der Himmelspforten. Außerdem hatte er im Moment eine absolut unterirdische Laune, weil er wieder einmal beim Knobeln, wer heute den Dienst während der Party übernehmen würde, verloren hatte und schon wieder nicht bei der grandiosen himmlischen Gartenparty dabei sein konnte. „Wir sind die Überraschungsband“, erklärte Jack eingeschüchtert und fragte sich dabei, ob das hier wirklich so eine gute Idee war. Natürlich wollten sie noch immer auf die Party – aber Petrus machte ihr doch etwas Angst. „Ich wiederhole das, was Raphael gerade angedeutet hat: Wo sind eure Instrumente?“ Petrus’ Miene wurde keinen Deut freundlicher. „Äh…“ Jack blickte sich Hilfe suchend zu Easy und Chris um. „Na, schon da“, sagte Chris gedankenschnell. „Unsere Muse hat die mitgebracht. Wir sollten nachkommen. Wir haben uns wegen ihr da“ – er deutete auf Easy, die eine möglichst unglaubwürdige Unschuldsmiene zur Schau stellte – „verspätet und dann unseren Wolkenexpress verpasst. Und dann hieß es ‚Nehmt den Fahrstuhl’, aber niemand hat uns gesagt, dass wir dafür ein Passwort brauchen… Ehrlich: Wenn das jetzt noch mehr Ärger gibt, machen wir das hier nie wieder!“ Petrus runzelte nachdenklich die Stirn. Überraschungsbands gab es teilweise häufiger auf der Gartenparty. Allerdings… Diese unbekannten Hüpfer hier? Das letzte Mal waren es immerhin die Beatles und davor die Rolling Stones gewesen. „Petrus, Petrus, hier ist alles in Ordnung! Sie haben Recht!“ Ein hochgewachsener Mann im Trikot des FC Olympia anno Weltbeginn kam herbeigeeilt. „Sie werden schon erwartet! Lass sie endlich durch, du alter Spielverderber!“ Petrus gab ein unfreundliches Grunzen von sich. Noch immer lag Skepsis in seiner Miene, als er das Tor öffnete und die drei Sorglospunks hindurchließ. „Aber wehe, sie machen Ärger! Du trägst die Verantwortung dafür!“ „Ja, ja, ja!“ Der Retter in der Not winkte ab, legte Easy und Jack je einen Arm um die Schultern und schob die beiden Mädels vorwärts in die Richtung, aus der die Musik kam. „Warum seid ihr so spät dran? Der ganze Spaß ist doch schon längst im Gange!“ Dann wurde seine freundliche Miene undurchdringlich. „Aber ihr werdet ihn sicher noch auf eine neue Stufe heben.“ „Klar. Wir sind ja nicht umsonst die Sorglospunks!“ Easy grinste breit, während Chris darüber grübelte, wo er diesen Mann vorher schon einmal gesehen hatte. „Moskau, Moskau, wirf die Gläser an die Wand! Russland ist ein schönes Land! Ha ha ha ha ha! Moskau, Moskau, komm wir tanzen auf dem Tisch, bis der Tisch zusammenbricht! Ho ho ho ho ho!“ Abranka und Chibichi hüpften untergehakt auf dem Tisch im Kreis. Doch sie waren nicht die einzigen, die quasi die Sau rausließen. Am Nebentisch, der von lauter jungen Hexen besetzt war, wirbelte Himeka ihren Besen Jensen so durch die Luft, dass Funken aus seinem Reisigbund flogen. Und auf der Tanzfläche starteten Hera, Freya, Bast und Kali eine große Polonäse. „Abranka, Chibichi!“ Raphael kam angewetzt, so schnell das in seinen roten Gummistiefeln möglich war. Er war noch mit der Wackelpuddingüberraschung beschäftigt gewesen, als er auf einmal die drei Sorglospunks in äußerst schlechter Gesellschaft hatte vorbeigehen sehen. Da hatte er sofort gewusst, dass sie in akuten Schwierigkeiten steckten. Und als alter Freund der Muse und des Teufels konnte er das natürlich nicht einfach so ignorieren. „Komm, tanz mit!“, rief Chibichi ausgelassen, während Abranka augenblicklich ahnte, dass irgendetwas nicht in Ordnung war. Wenn der gelassene Raphael auf einmal wenig eindrucksvoll, mit Wackelpuddingpulver bekleckst und zerzausten Flügeln angerannt kam, war tatsächlich irgendetwas los. „Was ist?“ „Hermes! Er hat die Sorglospunks reingelassen und bringt sie zum Rauschebart!“ „Oh nein!“ Abranka wurde blass. Es galt ein äußerst strenges Verbot für lebende Menschen im Himmel an sich und ganz speziell noch ein viel engeres im Garten Eden. Schließlich wusste ja jeder, was hier passiert war. Auch wenn man Adam und Eva mittlerweile verziehen hatte und sie sich hier ebenfalls irgendwo im Partyvolk herumtrieben. Dennoch: Diese Regeln existierten und sie zu verletzten brachte einen in absolut himmlische Schwierigkeiten. Und die waren erfahrungsgemäß noch schlimmer als die höllischen. Abranka steckte zwei Finger zwischen die Lippen und pfiff laut. Ihre Wolke sauste sofort von dem Wolkenparkplatz zu hier hinüber. Denn selbstverständlich war ihr ständiges Gefährt gemäß Standardeinstellung auf ihren persönlichen Pfiff programmiert. Dann griff sie Chibichis Arm und zog diese mit auf die Wolke. „Nicht mehr tanzen, mitkommen!“ Und während sie zum Rauschebart hinüberrauschten, erklärte die Muse dem Teufel, was los war und wie sie dieses Problem zu lösen gedachte. „Menschen!“ Odin, der sich neben dem Rauschebart gerade von seinem Hüpfburgabenteuer erholte – Zeus sprang noch neben den Kindern darin herum –, starrte die Sorglospunks mit offenem Mund an. „Menschen“, fügte der Rauschebart hinzu und seine gütige Miene bekam einen weniger freundlichen Ausdruck. „Äh…“ Jack ahnte auf einmal, dass sie in Schwierigkeiten waren. Hermes grinste hämisch. „Ich empfehle mich.“ Er verneigte sich und als Jack bei seinem Abgang die Sandalen mit den Flügeln in die Augen fielen, wusste sie, dass dieser Mistkerl sie von Anfang nur hatte in Schwierigkeiten bringen wollen. „Mistkerl! Elender!“, fluchte sie. „Rauschebart!“ Chibichis Stimme durchdrang das Dröhnen der Musik nahezu mühelos. „Die drei sind meine Überraschung für das Gartenfest. Denn so nett die Beatles und die Stones auch waren, dieses Jahr wollte ich etwas Besonderes mitbringen. Und da die versprochene Wackelpuddingüberraschung ja jetzt von einem deiner Erzengel zusammengerührt wird, habe ich mir die drei ausgedacht.“ Chibichi grinste den Rauschebart so gewinnend an, wie das möglich war, wenn man gerade mit voller Wolkengeschwindigkeit durch halb Eden gesaust war und einem noch die Nase von dem Fahrtwind prickelte. „Oh.“ Die Miene des Rauschebarts veränderte sich minimal. Es war ihm anzusehen, dass er dem Frieden noch nicht ganz traute. Odin jedoch gab den Ausschlag. „Eine neue Überraschungsband! Wie erfrischend!“ Er strahlte über das ganze Gesicht. „Das ist doch toll!“ Der Rauschebart nickte nur und gab Chibichi damit zu verstehen, dass ihre Erklärung angenommen war, auch wenn seine Augen deutlich sagten, dass er wusste, dass das alles nicht so ganz stimmte. Aber er war wiederum auch in viel zu großer Feierlaune, als dass er sich von solch einem Zwischenfall die Stimmung vermiesen lassen würde. Abranka atmete tief durch und ließ die Wolke neben den Sorglospunks hinabsinken. „Okay, in einer Stunde seid ihr auf der Bühne. Ich organisiere euch bis dahin eure Instrumente. Und wehe ihr trinkt so viel Alkohol, dass ihr nicht mehr vernünftig spielen könnt!“ Die Muse funkelte ihre drei Schützlinge an. „Und wehe, ihr macht so einen Unsinn jemals wieder!“ „Was denn? Wir dürfen im Garten Eden spielen. Das ist doch genial!“ Easy strahlte über das ganze Gesicht und auch Jacks unfreundlicher Ellbogenstoß in ihre Seite konnte ihre gute Laune nicht ändern. Und so standen zwei Stunden später die drei Sorglospunks mit ihrer Muse auf der Bühne. Denn Abranka konnte nicht anders, als die drei im Auge zu haben. Ganz besonders, wo Easy gesagt hatte, dass dieser Anlass seinen eigenen Song verdiente… Und diesen spielten sie dann auch gewohnt spontan und improvisiert, als die Stimmung am besten war. „Einfach so hereinmarschiert in den Garten Eden Einfach so hereinmarschiert in die Party des Jahres! Einfach so durchgeschlüpft So, wie es sich gehört! Ihr seid das Partyvolk! Die Stimmung, die uns süchtig macht! Ihr seid Himmel und Hölle! Hades und Olymp! Ihr seid das Partyvolk! Das beste Publikum der Welt! Ihr seid Himmel und Hölle! Asgard und Utgard! Oh oh oh oh oh! Oh oh oh oh oh! Hier zu sein ist das größte auf der Welt! (Auf der Welt, auf der Welt!) Ihr seid das Partyvolk! Die Stimmung, die uns süchtig macht! Ihr seid Himmel und Hölle! Hades und Olymp! Ihr seid das Partyvolk! Das beste Publikum der Welt! Ihr seid Himmel und Hölle! Asgard und Utgard!“ Und während die Sorglospunks spielten, rockten Raphael und Odin vor der Bühne ab und Odin flüsterte dem Erzengel dabei leise zu, dass er auch gerne Gummistiefel trug, aber doch eher quietschgelb bevorzugte. Hermes dagegen machte den Versuch, sich in der wirklich grandiosen Wackelpuddingüberraschung zu ertränken. Und der Rauschebart gratulierte Chibichi zu ihrer wirklich tollen Überraschungsband. Kapitel 51: Rotes Gras – schwarzer Tod? --------------------------------------- Es begann damit, dass das Gras im Vorgarten und in dem wesentlich größeren Garten hinter dem Haus braun und trocken wurde. Jack, das Multipercussionswunder, war die erste, der dieser Umstand auffiel. „Easy, du musst den Garten gießen!“, rief sie zu ihrer Zwillingsschwester in den ersten Stock hinauf. Denn dort brütete die Frontfrau und Songwriterin wider Willen über neuen Texten. „Mach’s doch selbst!“, gab diese lautstark zurück. Schließlich ließ sich doch ein waschechter Sorglospunk von niemandem irgendetwas sagen. Und so blieb der Rasen ungegossen. Schließlich fühlte sich auch Gitarrist Chris schon aus Prinzip nicht zuständig und die Bandmanagerin Nifen ging davon aus, dass die drei Sorglospunks sich schon einigen würden, besonders da sie ja nur für die Zimmerpflanzen verantwortlich war und mit dem Rasen nichts zu tun hatte. Die Bandmuse Abranka weilte derzeit auf einem Kongress zum Thema ‚Genies der Musikgeschichte’, während Bandphilosoph LennStar eine philosophische Reise durch Indien unternahm. Zwei Tage später fiel den Vieren beim Frühstück etwas Beunruhigendes auf. Nach dem ersten Schluck Hallo-wach-Kaffee merkte Chris nüchtern an: „Der Rasen ist rot.“ „Oh mein Gott!“, entfuhr es Jack, während Easy kreischte: „Der Garten brennt!“ und nach draußen stürmte, um Abhilfe zu schaffen. In ihrer Aufregung bemerkte sie den Mangel an Flammen, Hitze und Feuer an sich erst, als sie die Wiese schon vollkommen unter Wasser gesetzt hatte. „Nun, Feuer ist es nicht“, meinte Nifen trocken, als sie nach draußen getreten waren, und sich bückte, um einige Halme abzuzupfen. „Farbe auch nicht“, ergänzte Jack mit gerunzelter Stirn. Die Halme waren tatsächlich durch und durch rot. „Eine der sieben Plagen?“ Chris sprach den Gedanken aus, ehe er weiter darüber nachgedacht hatte. Sofort zeigte Jacks Gesicht eine äußerst sorgenvolle Miene, war sie doch schließlich die Erstgeborene der Zwillinge. „Nee…“ Nifen schüttelte energisch den Kopf. „Bei den sieben Plagen wird das Wasser rot und nicht das Gras. Und unser Wasser hier ist doch vollkommen klar. Nein, das kann keine der Plagen sein.“ „Aber was ist es dann?“ Jack war noch immer sichtlich unbehaglich zumute. „Momentan einfach nur rotes Gras.“ Nifen hob die Schultern. „Vielleicht ist das ja nur ein blöder Scherz“, vermutete Easy, die sich jetzt doch ein wenig blöd vorkam, weil sie so hektisch reagiert hatte. Mit einem kurzen Lächeln wuschelte Jack ihr durch die Haare. „Komm, wir machen ein paar Fotos und stellen die ins Netz. Dann ist das da“ – sie deutete auf die rote Gras-Matschfläche – „wenigstens zu irgendetwas nutze.“ Weitere zwei Tage später wurde die aktuelle Hitzefront durch Regenwetter abgelöst. Doch während woanders dicke Tropfen vom Himmel prasselten, war es bei einem kleinen 08/15-Einfamilienhaus mitten im Schwabenland anders. Dort bestand der Regen nicht wie gewohnt aus Wassertropfen, sondern aus kleinen silbrig-pinken Glitzerflocken, die leise zu Boden sanken. „Pink…“, stöhnte Nifen auf. Denn dieses Glitzerzeug sah auf dem noch immer roten Rasen – der a) zur Attraktion der Nachbarschaft geworden war und b) der Bandhomepage einige Tausend Klicks beschert hatte – ziemlich verboten aus. „Zumindest sind es keine Frösche“, sagte Chris trocken und betrachtete das Schauspiel, während er sich in Gedanken Froschmatsche vorzustellen versuchte. „Oder Hunde und Katzen“, fügte Easy hinzu. „Kiwi fände das nicht toll. Ganz und gar nicht.“ Kiwi war ihres Zeichens nicht nur eine hübsche getigerte Katze, sondern auch das Bandmaskottchen. Jack holte ohne ein weiteres Wort die Kamera. 20.000 Klicks aka zwei Tage später lag das pinke Glitzerzeugs noch immer auf dem roten Gras. Misstrauisch beäugten Bandmanagerin und Sorglospunks das Geschehen draußen. Nach Adam Riese und gemäß all ihren Erfahrungen mit Murphy musste heute quasi wieder etwas geschehen. Und das tat es auch. „Sagt mal, wird der Teich größer?“ Easy starrte die kleine Wasserfläche neben Lenns derzeit unbewohntem Fass an. „Du spinnst!“, hatte Jack schon auf der Zunge liegen, doch mit bereits geöffnetem Mund verstummte sie. Der Teich wurde tatsächlich größer! Und dunkler! „Hilfe…“, jammerte Chris leise, als das schwarze Wasser über das Ufer trat und das Fass umspülte. Nifen zog eine Augenbraue nach bester Vulkanier-Manier hoch. „Okay, wir brauchen ganz eindeutig Hilfe.“ „Chiiiiiii!“, rief Easy nur und stürmte Richtung Telefon. Chibichi, der Teufel höchstpersönlich, hatte zwar schon viel gesehen und gehört, aber das hier war ihr alles vollkommen neu. „Hör zu, Easy, ich kann hier dummerweise gerade nicht weg, sonst wäre ich ja schon längst im Turboaufzug. Die Furien haben Luzifer bekniet, sie wieder einzustellen, und diese Bande binde ich mir nicht wieder ans Bein. Das ist zu gefährlich! Aber jetzt muss ich mit ihm darüber debattieren…“ „Ich dachte, mit denen ist alles wieder gut.“ Easy runzelte die Stirn. „Quatsch. Das sind Furien. Rachegeister. Was glaubst du, was die letztlich antreibt?“ Chibichi stockte. Ihr kam da ein Gedanke. „Holt Abranka aus ihrer Tagung. Sie muss zu euch kommen. Sofort! Und ich versuche, das hier so gut abzukürzen, wie es nur geht. Und Easy: Seid vor allem vorsichtig!“ Von dem Teufel eingeschüchtert und nun besorgter als zuvor legte Easy auf und berichtete wortgetreut, was Chibichi gesagt hatte. Mittels ihres Hell-o-Berry war es für Nifen kein Problem, Abranka auf dem Olymp zu erreichen. Die Muse erkannte die Notlange sofort und rief nur: „Ich bin in zwei Stunden da!“, ehe sie wieder auflegte. Die zwei Stunden zogen sich wie Kaugummi. Die drei Sorglospunks und ihre Managerin behielten den Garten im Auge, als wenn das rote Gras, das pinke Glitzerzeug und das schwarze Wasser, das bei Lenns Fass aufgehört hatte zu steigen, jederzeit aufspringen und sie attackieren könnte. Sobald die Muse da war, wurde Kriegsrat gehalten. „Eine Entwarnung haben wir schon mal: Hermes ist gerade anderweitig beschäftigt“, erklärte Abranka. „Der ist nämlich gerade in Zeus’ Auftrag beim alten Rauschebart und vor einem großzügigen Abendmahl kommt der da nicht weg.“ „Chi hat gerade noch mal angerufen und bestätigt, dass die drei Furien unten bei ihr sind und persönlich um Wiedereinstellung betteln. Die scheiden wohl auch aus“, fügte Nifen hinzu. „Aber wer könnte dann dahinter stecken?“, fragte Chris in die Runde. „Das ist alles kaum ein Zufall.“ „Nein, wirklich nicht.“ Jack zog die Nase kraus. „Und die Carelesspunks? Was, wenn die irgendetwas damit zu tun haben?“ Easy war diese schlechte Sorglospunkskopie immer noch ein Dorn im Auge, den sie tatkräftig verabscheute. „Easy, ruf mal Chuck 1 an und bitte ihn, da vorbeizufahren und Nachforschungen anzustellen.“ „Menno, Nifen. Warum immer ich?“, schmollte die Frontfrau. „Ganz einfach: Weil er das dir zuliebe sofort macht.“ Nifen lächelte und reichte Easy das Telefon. Chuck 1 ließ sich natürlich nicht lange bitten. Er schwang sich direkt in den klapprigen Kükenbulli und sauste los. Das bedeutete erneutes Warten. Und diese Zeit nutzten Abranka und Nifen für einige gemeinsame Recherchen. Währenddessen verriet die Muse Nifen einen Verdacht, der sich langsam zu erhärten schien. „Sprich: Wenn es die Carlesslis nicht sind, muss es wohl so sein…“, fasste Nifen ihre gemeinsamen Überlegungen zusammen. Abranka nickte nur. „Wir haben Antwort von Chuck!“, rief Jack schließlich hinüber und schnell flitzten die zwei wieder zu den anderen. Easy legte gerade auf und verkündete: „Die Carlesspunks sind zu Hause auf dem Sofa und gucken ‚Das Geständnis – heute sage ich ihm alles!’.“ „Iek, gruselig!“, entfuhr es Jack. „Aber Chuck hat nichts Verdächtiges feststellen können. Die sind wohl sauber“, fügte Easy leicht enttäuscht hinzu. Schließlich war den Carelesspunks absolut alles bis auf Unschuld zuzutrauen. „Das bedeutet…“, setzte Nifen an, wurde aber von Chris unterbrochen: „Dass wir absolut keine Ahnung haben?“ „Nee, dass du die Klappe halten sollst, damit Nifen ausreden kann!“ Jack verpasste dem Gitarristen eine bedingt liebevolle Kopfnuss. „Das bedeutet…“ Die Bandmanagerin ließ sich gar nicht aus der Ruhe bringen. „…dass wir es mit einem Kreativen Poltergeist zu tun haben.“ „Uh, Geister!“ Das gefiel Chris nicht besonders, waren doch Geister und ähnliche Gruselgestalten nicht so unbedingt sein Ding. „Nein, nicht Geister, nur ein Geist.“ Easy tätschelte ihm tröstend die Schulter. „Und was will der Geist? Er muss ja was wollen, wenn er uns nervt“, mischte sich jetzt Jack ein. „Nun, das müssen wir herausfinden“, erwiderte Abranka. „Und wie das?“ „Wir interpretieren seine Zeichen. Denn Poltergeister sprechen nicht.“ „Rotes Gras, pinker Glitzerschnee und schwarzes Wasser? Was soll das denn bitte bedeuten???“ Chris’ Stimme überschlug sich fast. „Wir fragen Murphy. Als Dämonenkater sollte der doch eigentlich Poltergeistisch verstehen“, warf Nifen in die Runde. „Und wo ist der gerade?“ So langsam war Jack genervt. „Na, bei Kiwi. Den hält’s doch nie lange in der Hölle.“ Nifen grinste breit und marschierte los, um Murphy zu holen. Derweil klingelte Easy bei Chi durch, damit der Teufel die Katzisch-Übersetzung übernehmen konnte. Die Übersetzungskette war zwar auf den ersten Blick etwas kompliziert, funktionierte dafür aber erstaunlich gut. Murphy maunzte in Richtung Telefonlautsprecher, was er von den Poltergeistzeichen hielt, während Chibichi das wiederum übersetzte. „Wir brauchen irgendwann einmal einen Universaltranslator“, murmelte Jack leise. Etwa fünfzehn Minuten später hatten die Sorglospunks eine ungefähre Vorstellung von dem, was der Poltergeist wollte. Erstens wollte er ihre Aufmerksamkeit, was sie sich ja eh schon gedacht hatten. Zweitens wollte er, dass sie ihm einen Gefallen taten, was auch nicht gerade unerwartet kam. Tja, und drittens war dieser Gefallen doch etwas unerwartet. Der Poltergeist war nämlich niemand anderes ein junger Komponist, der tragischerweise sein Ableben bei einem Autounfall mit einem Möbelwagen gefunden hatte und dabei von einer Kommode erschlagen worden war. Da er allerdings seine einzige große Komposition noch nicht hatte fertig stellen und der Welt vorführen können, war er als Geist zurückgeblieben – in dieser Kommode. Und diese hatte ihren Weg in die Sorglospunks-WG gefunden. In dieser Kommode hatte der Geist viel Zeit verbracht und sich nicht sehen lassen, da er zu sehr mit seinem tragischen Schicksal beschäftigt gewesen war. Erst als er sich langsam mit seinem Geisterdasein abgefunden hatte, war ihm aufgefallen, dass er sich in der Nähe einiger junger, vielversprechender Musiker befand, die ihm vielleicht helfen konnten, seinen Traum zu verwirklichen. Daher hatte er begonnen, zu versuchen, sich ihnen verständlich zu machen. Angefangen hatte es mit Rappeln in Schränken und Klirren von Tassen und Gläsern, dem Verstreuen von Kaffee („Sorry, Kiwi, dass wir dich in Verdacht hatten!“) und schließlich mit den gezielten jüngsten Großaktionen. „Faszinierend, was da alles drin steckte…“, murmelte Abranka und schüttelte den Kopf. Murphy warf ihr einen langen Blick zu, der deutlich sagte, dass sie doch bitte schön still sein sollte, weil er schließlich Ahnung hatte. „Wie hat er das eigentlich gemacht?“, erkundigte sich Chris vorsichtig. Möbel rücken, Geschirr klirren lassen – das konnte ja noch nachvollziehen. Aber rotes Gras, pinkes Glitzerzeugs und schwarzes Wasser? Das ging doch bitte schön über die Durchschnittsfähigkeiten eines Geistes hinaus, oder? Doch auch dafür gab es eine Erklärung: Jeder Kreative Poltergeist besaß quasi ein gewisses Kontingent an übernatürlichen Ereignissen, das er abrufen konnte. Drei Stück waren das pro Geist. Und ihr persönlicher Poltergeist hatte mit diesen drei Dingen eben dieses Kontingent ausgeschöpft. „Uff“, machte Chris leise. Er hatte schon Böses für die Internetverbindung der WG befürchtet. „Na, dann lass ihn mal seine Noten rüberrücken, Chris bastelt dann dran rum und Easy schreibt einen Text dazu“, entschied Jack, die den Poltergeist möglichst schnell beruhigt sehen wollte. „Könnte sich der Geist übrigens auch mal zeigen? Ich mag es nicht, mit irgendwelchen Unsichtbaren unter einem Dach zu leben!“ „Leider hat er es versäumt, seine menschlichen Gestalt mittels Konzentration beizubehalten“, kam Chibichis erklärende Stimme aus dem Telefon. „Aber Mehl oder Kaffeepulver sollten in seinem Ektoplasma hängen bleiben, sodass seine Gestalt zu sehen ist.“ Easy flitzte sofort los, um Mehl zu holen – Kaffee war schließlich zu wertvoll –, und Nifen erkundigte sich nach dem Namen des Geistes. „Lars.“ Nifen zog eine Augenbraue hoch. Ein Geist namens Lars. Ein bisschen cooler hätte er ja schon heißen können… Das machte auf der Homepage schließlich etwas mehr her. Mit etwas Mehl war Lars zu Gestalt geholfen – die akut an die klassischen Bettlakengespenster erinnerte – und er konnte immerhin mit einem Stift auf ein Blatt Papier seine Noten selbst malen. „Klasse, warum hat er uns denn nicht einfach geschrieben, sondern diesen Zirkus veranstaltet?“, moserte Jack leise, während Easy bereits artig auf ihrem Bleistift herumkaute und von Abranka kräftig inspiriert wurde. „Ich wage zu bezweifeln, dass wir ihm geglaubt hätten.“ Nifen zog eine Augenbraue hoch. Denn auch wenn viele komische Dinge im Hause Sorglospunks geschahen, hieß das noch lange nicht, dass sie wirklich alles auf Anhieb glaubten. Einem Brief war leichter zu misstrauen, wie wenn Lucky Luke oder die Grinsekatze tatsächlich vor der Tür standen. Drei Stunden später war es so weit. Die Sorglospunks hatten ihre Instrumente im Garten aufgebaut, damit auch ja die ganze Nachbarschaft ihren neusten Song hören konnte – denn das würde Lars die gewünschte Erlösung beschaffen. Und Chris hatte aus Lars’ Melodie eine tolle Punkballade gebastelt, die sich wirklich hören lassen konnte. „Mit rotem Gras, da fing alles an. Das war die erste Botschaft von dir. Pinker Schnee, der kam dann dazu. Und schwarzes Wasser, ohohooo So drohend wie der Tod. Und du, du bist da. Irgendwo, wo ich dich nicht sehen kann. Ich dich nicht sehen kann. Nicht sehen kann. Und mit rotem Gras, da riefst du nach mir. Und mit pinkem Schnee, da sprachst du mich an. Und mit schwarzem Wasser, da schriest du hinaus in die Welt: Ich bin da, ich bin da. Irgendwo, wo du mich nicht sehen kannst. Mich nicht sehen kannst. Nicht sehen kannst. Und ich weiß, ja, ich weiß, du bist hier und du bist ein Geist.“ Es machte nur leise „Puff“, als sich Lars, der Poltergeist, auflöste und seiner Erlösung entgegenstrebte. Er hinterließ nur dieses Lied und einen kleinen Haufen Mehl auf dem roten Gras. Kapitel 52: Klonkaklonk ----------------------- Schatten lagen über der sorglosesten WG der Welt. Schlechte Laune hatte Einzug erhalten und machte den drei Sorglospunks, ihrer Managerin, ihrer Bandmanagerin und auch ihrem Maskottchen das Leben schwer. Gekeife, Gefauche, Gemecker und Geschimpfe waren an der Tagesordnung. Das Geld war knapp, der letzte Auftritt und der letzte gute Song zu lange her. Kurzum: Die Sorglospunks hatten ihren ersten richtig tiefen Tiefpunkt erreicht. Selbst die gute alte Motivationsschokolade half nicht mehr. „Boah, mir geht das Gezicke hier auf den Keks“, stöhnte Jack auf, als sie sich auf das Sofa fallen ließ. Kiwi kommentierte diese plötzliche Bewegung des Plüschpolsters unter ihren Pfoten mit einem unwirschen Fauchen. „Dann geh doch weg!“, gab Easy giftig zurück. „Geht doch am besten beide!“, brüllte Chris über den aufkeimenden Streit der Schwestern hinweg, während Nifen nur kurz ins Wohnzimmer hineinschaute und dann entschied, dass sie sich das nicht antun würde, auch wenn sie große Lust, einfach mal alle drei Sorglospunks mit den Köpfen zusammenzuknallen und zu warten, was dann passierte. Abranka reichte es jetzt. Sie schnappte sich Nifens Hell-o-Berry – das Jack der Bandmanagerin „versehentlich“ entführt hatte – und machte sich auf die Suche nach einer Lösung. All ihre kleinen Tricks, um die Stimmung aufzuhellen, waren nämlich mittlerweile versickert. „Pflegen Sie Ihr Lächeln! Na, das klingt doch perfekt.“ Sie grinste, als sie diese seltsame Homepage mit dem großen Bild eines lächelnden Mundes gefunden hatten. Und dann schrieb sie eine kurze E-Mail, in der sie um Hilfe bat. Schaden konnte das doch garantiert nicht. Und jetzt hieß es nur noch abwarten. „Jaaaaack! Ich bring dich um, wenn du mir nicht sofort mein Hell-o-Berry zurückbringst!“ Beiläufig fand besagtes Gerät seinen Weg von der Musenwolke auf die Kommode im Flur, ehe die Muse selbst lieber in den Garten sauste, um dort ein wenig Ruhe zu genießen. Zwei Tage später gab es draußen ein komisches Rauschen und dann knallte irgendetwas mit ziemlicher Geschwindigkeit in den Teich und setzte LennStars Philosophenfass unter Wasser. Glücklicherweise war der Bandphilosoph mal wieder nicht daheim. „Boah, was war das denn?“ „Sind die da draußen jetzt alle bekloppt geworden?“ „Die Welt geht unter!!!“ „Lasst den Krach sein!“ So klangen die Reaktionen der Sorglospunks und ihrer Managerin, während Abranka, die mittlerweile ebenfalls etwas gereizt war, als erste neugierig aus dem Fenster blickte – und ein akutes Dejà-vu bekam. Da lag schon wieder ein UFO in ihrem Garten. „Oh Mann, könnten diese verdammten fliegenden Untertassen nicht mal irgendwo anders abstürzen?“, moserte Chris. Und dann flitzte er ganz schnell seinen beiden Bandkolleginnen sowie Nifen und Abranka hinterher, die bereits auf dem Weg nach draußen waren, um das Etwas in ihrem Garten zu betrachten und etwaige Besucher zu begrüßen. Mit einem vernehmlichen Klonkaklonk polterte der Insasse des untertassenförmigen Fluggeräts aus der Luke. „Mist.“ Fluchend richtete sich die knapp einen Meter fünfzig große Gestalt auf und klopfte sich den Dreck von dem silbrigen Overall. „Ist das ein Schwanz???“, entfuhr es Easy, die den Neuankömmling mit offenem Mund anstarrte. „Ja, ist es.“ Der Fremdling hob den Kopf und die Sonne spiegelte sich auf dem Visier seines Helmes. „Was dagegen?“ „Äh… Nö.“ Easy grinste. „Ist nur nicht gerade menschlich“, mischte sich Jack ein und fragte gereizt: „Also, was bist du und was willst du?“ „Ich wurde beauftragt, zu euch zu kommen, um…“ Ehe er jedoch aussprechen konnte, ergriff Jack schon wieder das Wort. „Boah, ich wusste es doch. Schon wieder jemand, der die Welt erobern, verknechten oder sonst was will. Ich geh wieder rein. Ich hab die Nase voll! Welt, rette dich gefälligst alleine!“ „Äh, nein.“ Der Pseudoastronaut schüttelte den Kopf. „Aber ich sehe gerade, weswegen ich hier bin.“ „Pflegen Sie Ihr Lächeln!“, las Chris in dem Augenblick die Aufschrift auf dem Flugobjekt vor. Abranka entfuhr ein leises Quietschen. Damit war sie ja an diesem Chaos im Garten schuld. „Exakt. Ich bin hier, um euch euer Lächeln zurückzugeben. Und angesichts der Atmosphäre, die hier herrscht, ist das auch mehr als notwendig.“ Der seltsame Gast schüttelte den Kopf. „Okay… Können wir wenigstens mal dein Gesicht sehen?“, fragte Nifen. „Es ist etwas komisch, mit einem verspiegelten Visier zu reden und nicht zu wissen, wie das Gegenüber eigentlich aussieht.“ „Oh ja, Entschuldigung.“ Die kurzen Arme mit den behandschuhten dreifingerigen Händen griffen nach dem Helm und zogen ihn mit einem Ruck herunter. „WAH! Ein Dinosaurier!“ Easy sprang sofort zwei Meter zurück und ging hinter Chris in Deckung, der wiederum hinter sie sprang, sodass sich die beiden Sorglospunks Deckung suchend zehn Meter von dem Flugobjekt und ihrem Besucher entfernt hatten, ehe sie begriffen, wie albern ihr Verhalten war. Unwillkürlich musste Nifen darüber grinsen und ein leises Glucksen entwich ihr. „Mir scheint, zumindest einer von euch braucht meine Behandlung nicht mehr.“ Der Dinosaurier lächelte zufrieden und ließ dabei scharfe Zähne aufblitzen. Dem ganzen Erscheinen nach war er offenbar ein Fleischfresser und keiner von diesen eher tumben Pflanzenfressern der Dino-Ära. „Du frisst keine Menschen, oder?“, erkundigte sich Jack trocken. „Nein, nein. Natürlich nicht!“ Echte Empörung zeigte sich in den klaren Echsenaugen. „Wie heißt du?“, erkundigte sich Abranka. „Mein Name ist Abranka, das da ist Nifen, das Jack und die zwei Angsthasen dahinten sind Easy und Chris.“ „Klonkaklonk.“ „Interessanter Name.“ Nifens Augenbraue rutschte nach oben. „Nun, Raptomanen geben ihren Kindern den Namen nach dem ersten Geräusch, das sie von sich geben. Ich bin noch als Ei von der Brutplattform auf den Boden gefallen.“ Klonkaklonk zuckte mit den Schultern. „Es ist besser, als Urgh oder Wäh zu heißen.“ „Das mit Sicherheit.“ Die Bandmanagerin nickte knapp und wollte fortfahren, doch Chris, der jetzt langsam seine Angst vor dem menschlich anmutendem Dinosaurier verloren hatte, mischte sich ein: „Was hast du vorhin mit Behandlung gemeint?“ „Oh, ich wurde bestellt.“ Klonkaklonk lächelte in die Runde. „Um euch euer Lächeln zurückzubringen.“ „Hey, wir sind immer gut drauf, klar?“, fauchte Jack. „Ja, klar, merkt man“, gab Abranka zurück. „Habt ihr eigentlich eine Ahnung, wie ihr euch die letzten Wochen benommen habt?“ Die Muse stemmte die Hände in die Hüften. „Wie denn?“ Jack kam noch immer nicht von ihrer metaphorischen Palme herunter. „Wie ein Haufen Kaninchen auf Karottenentzug, die auf dem Weg sind Kannibalen zu werden!“ Stille. Dann entfuhr Easy ein leises „Oh“. „Und wie bringst du das Lächeln wieder zurück?“, erkundigte sich Nifen zwischenzeitlich bei Klonkaklonk, denn diese technischen Dinge interessierten sie immer. „Oh, das ist einfach. Ich habe da einen Lachstaub, der Lächeln und Lachen animiert und dafür sorgt, dass die gute Laune wieder zurückkommt. Und danach finden die Leute normalerweise ihr Lachen von selbst wieder und können sich wieder darum kümmern.“ „Komm doch rein auf einen Kaffee.“ „Oder Kakao“, mischte sich Easy in Jacks Angebot ein. „Genau. Dann kannst du uns das alles etwas genauer erzählen.“ Nifen grinste breit. Das klang nach einer guten Geschichte und gute Geschichten hörte sie immer gerne. Eine gute Geschichte war es tatsächlich, die im Wohnzimmer der Sorglospunks-WG auf dem bequemen Sofa erzählt wurde. „Wahrscheinlich muss ich vorne anfangen. Ganz besonders, wenn ich an eure Geschichtsschreibung denken.“ Klonkaklonks grüne Klauen hatten sich um einen großen Becher Kakao geschlossen. „Geschichtsschreibung?“, entfuhr es Nifen neugierig. Geschichte war schließlich eines ihrer Lieblingsthemen. „Ja. Denn in eurer Geschichtsschreibung berücksichtigt ihr die Raptomanen nicht. Wobei es für euch eigentlich wenig überraschend sein sollte, dass sich aus den Raptoren intelligentes, humanoides Leben entwickelt hat. Immerhin seid ihr aus den kleinen pelzigen, affenähnlichen Wesen hervorgegangen. Nun, jedenfalls haben wir eine rechte hohe Zivilisation entwickelt und…“ „Du kommst auch von der Erde?“, fragte Chris und bekam von Jack eine leichte Kopfnuss. „Hallo? Denk mal! Nach dem, was er gesagt hat, tut er das!“ „Aber… warum wissen wir denn nichts von euch?“, warf Easy mit großen Augen ein. „Na, weil unsere Zivilisation untergegangen ist.“ Obwohl Klonkaklonk lächelte, war eine gewisse Traurigkeit in seinen Augen zu sehen. „Ich bin der letzte von uns…“ Betroffenes Schweigen machte sich in dem Wohnzimmer breit. „Und warum… bringst du den Leuten ihr Lächeln zurück?“ Easy ergriff erneut das Wort. „Weil es das Lächeln war, das meinem Volk gefehlt hat. Sie hatten alles – Wissen, Reichtum, ja, nahezu Perfektion. Aber in all dem ging ihre – sagen wir – Menschlichkeit verloren. Härte und Egoismus fanden nicht nur Einzug in das Leben, sondern wurden ausschließlich. Das Lächeln verschwand. Einige wenige Raptomanen entschieden sich, den Kampf gegen den Verlust des Lächelns aufzunehmen und gründeten Pflegen Sie Ihr Lächeln!. Mittels ihrer hochfortschrittlichen Technik konnten sie eine spezielle Substanz entwickeln, die es möglich machte, den Raptomanen ihr Lächeln und damit auch ihr Glück und ihre Lebensfreude zurückzugeben.“ „Und, und, und?“ Easys Herumhibbeln brachte die Neugierde aller Anwesenden zum Ausdruck. „Wir waren zu spät.“ Klonkakonks Feststellung der Katastrophe war äußerst nüchtern und in den Echsenaugen war keine Regung zu lesen. „Egoismus, Härte, Anspannung und in der Folge auch Gewalt griffen immer mehr um sich. Auch meine Eltern wurden ihr Opfer und am Ende war ich allein übrig.“ Betroffenes Schweigen breitete sich aus. „Äh… Auch auf die Gefahr hin, dass das unhöflich erscheinen mag, aber… wieso lebst du noch? Das ist doch vor Millionen von Jahren passiert, oder nicht?“, warf Jack ein. Und sie klang dabei nicht mehr so zickig wie in den letzten Wochen. „Oh, das ist einfach.“ Der Raptomane grinste und ließ seine scharfen Zähne aufblitzen. „Ich habe mich eingefroren. Der Computer hat mich regelmäßig aus der Stasis aufgeweckt, wenn besondere Aktivitäten auf der Erde zu verzeichnen waren, doch erst seit einigen Jahren bin ich wieder durchgängig auf den Beinen.“ „Weil wir Menschen deine Hilfe brauchen“, vervollständigte Nifen. „Exakt.“ Klonkakonk nickte. „Die Menschheit entwickelt die gleichen Tendenzen wie mein Volk vor Millionen von Jahren. Dieser Tendenz versuche ich entgegenzuwirken.“ „Indem du Aufträge zur Aufheiterung annimmst?“ Abranka zog skeptisch eine Augenbraue hoch. „Nicht nur. Ich habe die komplette Lächel-Offensive gestartet. Mit lustigen Katzenvideos, Comedians und und und.“ „Du steckst hinter Mario Barth???“ Easys Augen wurden groß. „Nein.“ Klonkakonk schüttelte mit großen Augen den Kopf. „Nein, mit dem habe ich nichts zu tun.“ „Gut zu wissen.“ Demonstrativ wischte sich die Songwriterin der Sorglospunks die Stirn ab. Gelächter schüttelte die Sofabrigade. Es dauerte, bis sich die sechs wieder beruhigt hatten. „Mir scheint, dass ihr meine Hilfe nun nicht mehr braucht“, meinte Klonkakonk trocken, was erneutes Gekicher zur Folge hat. „Vergesst nur nicht, wie wichtig das Lächeln und Lachen ist.“ „Mit Sicherheit nicht.“ Die drei Sorglospunks, aber auch ihre Managerin und ihre Muse schüttelten energisch den Kopf. „Und weißt du was? Wir werden dich auf deiner Missions des Lächelns unterstützen!“, rief Easy aus. „Genau!“ Chris war sofort dafür. „Wir werden ganz viel Lächeln säen unter den Menschen! Denn das können wir!“, jubelte Jack. Von da an machten sich die Sorglospunks noch mehr zum Ziel, jeden Tag wenigstens einmal zu lächeln und aus ganzem Herzen zu lachen. Einfach, damit die Welt ein besserer Ort wurde – und ein guter blieb. Und selbstverständlich schrieb Easy einen Song über dieses Erlebnis. „Klonk, Klonk, Klonk, Klonkaklonk! Klonk, Klonk, Klonk, Klonkaklonk! Ooooooh! Uuuuuuh! Aaaaaaah!“ „Easy, du weißt schon, dass ein paar Laute allein noch keinen tollen Songtext machen, oder?“ Kapitel 53: Der Graf von Atlantis --------------------------------- „Nifeeeeeeeen!“ Easy stürmte in das Büro der Bandmanagerin der Sorglospunks. „Nifen, es reicht. Es ist genug! Es geht nicht mehr!!!“ Nifen seufzte leise, ließ die Maus sinken und wandte sich von dem Bildschirm ab. Ihr neues Neopets-Meisterwerk musste also auf seine Fertigstellung warten, bis die aktuelle Sorglospunks-Krise gelöst war. „Was ist denn los?“ „Mensch, Easy, renn doch nicht so schnell!“ Jack kam keuchend hinter ihrer Zwillingsschwester hergestürzt, dicht gefolgt von Chris. Damit waren nun alle drei Sorglospunks bei ihrer Managerin versammelt. Ein untrügliches Anzeichen, dass irgendetwas wirklich im Argen liegen musste. „Abranka!“, begann Easy. „Sie raubt uns noch den Verstand! Man weiß gar nicht mehr, was einen als nächstes erwartet!“ „Na, das schon. Nur was davon nicht“, warf Chris ein. „Genau! Mal dröhnt Eminem aus dem Wohnzimmer, dann Country. Dann wiederum wird den ganzen Tag nur ‚Star Trek’ oder ‚Babylon 5’ geguckt! Und dann wiederum nur Jane Austen!“, fuhr Jack fort. „Genau! Ich habe ‚Stolz und Vorurteil’ jetzt zehnmal gesehen! Und ‚Sinn und SinnlichkeitÄ fünf!“ Easy stemmte die Hände in die Hüften „Vergiss nicht ‚EmmaÄ. Das gab’s schon viermal“, half Chris freundlich aus. „Oder den BVB! Nichts gegen Fußball, aber alles hat Grenzen!“ Jack schüttelte den Kopf. Die letzte Dekoration des Wohnzimmers, als das Derby gegen Schalke stattgefunden hatte, war wirklich zu viel gewesen! Der Schoko-Zitronen-Kuchen im BVB-Look war ja noch in Ordnung gewesen, nicht aber das dazu passende Geschirr und die gigantischen BVB-Fahnen an den Wänden… „Und jedes Mal, wenn ich einen neuen Song schreiben will, dann schlägt sie mir irgendwas vor, was damit zu tun hat!“ Easy jammerte lautstark. „Ich will keine Lieder über irgendwelche Städte in Texas oder so singen. Und ich will auch nicht rappen! Bitte nicht!“ Nifen seufzte leise. Sie hatte schon gesehen, dass sich das alles langsam hochgeschaukelt hatte, aber sie war auch der Überzeugung gewesen, dass sich das auch wieder legen würde. „Ehrlich: Lieber wieder Ace of Base anstatt das jetzt! Bei Ace of Base weiß man wenigstens, woran man ist.“ Jack wirkte vollkommen verzweifelt, was für die Bandvernunft wirklich ungewöhnlich war. „Und was soll ich eurer Meinung nach tun?“ Nifen musterte ihre drei Schützlinge, während sie gleichzeitig selbst über eine Antwort auf ihre Frage nachdachte. „Mach, das das aufhört!!!“, kam es von allen dreien im Chor. Das war definitiv eindringlich. Die Bandmanagerin strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn. Chibichi, der Teufel und ihr Problemlöser Nummer eins, war gerade mal wieder auf einer Konferenz. Diesmal auf Wolke 7, wo es um irgendwelche wichtigen Besprechungen mit dem Rauschebart ging, weswegen bei ihr immer nur die Mailbox ansprang. „Okay, ich überleg mir was.“ Nifen winkte den Dreien zu verschwinden, was diese auch schmollend taten. Aber immerhin war dieses Versprechen besser als gar nichts. Sobald die drei Musiker aus ihrem Büro verschwunden waren, lehnte sich Nifen auf ihrem Bürostuhl zurück und stieß sich ab. Während sie sich langsam im Kreis drehte, dachte sich intensiv nach. Was konnte man machen, wenn eine Muse ihre Schützlinge so… misshandelte? Bedrängte? Beschallte? Wie nannte man das eigentlich, was Abranka da tat? Kurzum: Sie brauchte Hilfe. Und wer konnte da besser helfen als ihr Hell-o-Berry, in dem ein Haufen übersinnliche Rufnummern gespeichert waren? Und genau dort fand sie eine erste Anlaufstation: die Musenhotline. Eine Hotline war doch sicher ein guter Start. Sie zuckte mit den Schultern und rief an. Nach der erwarteten und unvermeidlichen Zeit in der Warteschleife – mit nach zwei Minuten äußerst nervtötend wirkende Harfenmusik – erklang eine äußerst vertraute Stimme am anderen Ende der Leitung. „Musenhotline. Guten Tag, Sie sprechen mit Himeka, was kann ich für Sie tun?“ „Hime???“ „Nifen? Wie schön, eine vertraute Stimme am Apparat zu haben.“ Himeka lachte. „Wie viele Nebenjobs hast du denn?“ „Ach, ich mag die Abwechslung.“ Die junge Hexe am anderen Ende klang gelassen und amüsiert zugleich. „Und die Musenhotline ist immer eine nette Sache. Die meisten Anfragen sind einfach zu bearbeiten und zwischendurch hat man genug Zeit, um Schokolade zu essen oder zu lesen.“ „Und warum dann die Warteschleife?“ „Na, es kann doch keiner mit vollem Mund rangehen.“ Himeka lachte erneut. „Aber genug davon. Wie kann ich dir helfen? Ist etwas mit Abranka?“ „Oh ja. Es ist sogar viel mit Abranka.“ Und dann begann Nifen zu schildern, womit die Muse sie alle malträtierte, wobei aber zumindest die Jane Austen-Verfilmungen bei ihr nicht als Qual zählten, hatte sie doch die meiste Zeit mitgeguckt. „Mhm… Das klingt wirklich nicht gut. Nein, gar nicht gut…“ Im Hintergrund konnte Nifen hören, wie Himeka in die Tasten haute und offenbar irgendetwas recherchierte. „Also, den Symptomen nach, ist sie a) nicht ausgelastet genug und braucht b) dringend neue Anregungen, zum Beispiel durch einen Ortswechsel.“ „Okay… Heißt das etwa, unsere Muse braucht Inspiration?“ „Ja, so in etwa kann man das nennen. Auf Fachidiotisch heißt das Deinspirations-Langeweile-Syndrom, kurz DeLaSy.“ „Unsere Muse langweilt sich mit uns???“ „Na ja, wann hattet ihr das letzte Konzert?“ „Vor zwei Wochen.“ „Wann hat Easy den letzten Song geschrieben?“ „Vor zwei Wochen. Aber sie sitzen ja täglich dran.“ „Auch eine Muse kann ein Burn-Out- oder Bore-Out-Syndrom bekommen. Wobei es bei ihr noch nicht so weit ist. Das ist gerade eben ein DeLaSy. Das ist wirklich kein großes Problem. Beschert ihr einfach einen Tapetenwechsel. Macht einen Ausflug, unternehmt was. Spielt ein großes Konzert, geht zu einem Bandwettbewerb oder einem Songcontest. Da gibt es viele Möglichkeiten.“ „Mhm… Auf jeden Fall Danke.“ „Wenn noch etwas ist, ruf einfach wieder an.“ „Ja, klar. Bis dann.“ Nifen legte auf und verschränkte die Arme im Nacken. Jetzt fehlte nur noch eine Idee, was sie machen konnten, um das DeLaSy ihrer Bandmuse zu behandeln. Die Antwort kam wie so oft per E-Mail. Nifen hatte die Sorglospunks vor einer Weile bei der Über- und Unterirdischen Musikervereinigung angemeldet und erhielt nun den wöchentlichen Newsletter. Normalerweise stand da immer lauter langweiliges Zeugs drin, aber dieses Mal gab es einen echten Volltreffer. Zwei Minuten und einen Ausdruck später sauste sie ins Wohnzimmer und rief gegen den Film-Lärm aus: „Wir gehen nach Atlantis!“ „Wir tun was?“ Die Sorglospunks-Brigade, die das Sofa belegt hatte und auf höchster Lautstärke versucht, einen Film zu gucken, während aus den hinteren Räumlichkeiten lautstarke Countrymusik dröhnte. Nifen seufzte, bedeutete Jack, den Ton abzustellen, und rief dann noch einmal: „Wir gehen nach Atlantis!“ „Auswandern? Super!“ Chris war sofort begeistert. „Nein, natürlich nicht Auswandern.“ Die Bandmanagerin schüttelte angesichts dieser Bemerkung empört den Kopf. „Ich habe euch doch gestern erst erklärt, dass wir Abranka helfen müssen, damit sie zu ihrer Inspirationsform zurückfindet und dass sie dafür einen Tapetenwechsel braucht.“ „Und wir ansonsten Gefahr laufen, alles an Countrymusik und jeglichen Song von Eminem auswendig zu kennen, schon klar“, winkte Jack ab und schwieg dann artig, damit Nifen fortfahren konnte. „Und es gibt eben diesen Wettbewerb in Atlantis.“ Sie hielt diesen Ausdruck hoch. „Der Graf von Atlantis lädt engagierte Bands ein, sich an der Ausschreibung zur Komposition einer neuen Hymne zu beteiligen. Das Vorgehen ist recht einfach. Wir fahren hin, spielen vor dem Auswahlkomitee vor, kommen in die Endrunde, Abranka inspiriert Easy zu einer tollen Hymne und dann gewinnen wir das Ding. Und haben wieder eine normale Muse.“ „Jedenfalls, wenn es glatt läuft.“ Chris’ Augenbrauen wanderten nach oben. „Bei uns läuft schließlich nie etwas glatt.“ „Ja, aber selbst wenn wir direkt in der ersten Runde rausfliegen, haben wir es versucht“, setzte sich Jack energisch für den Wettbewerb ein. „Genau! Und so lange kann uns Abranka nicht beschallen!“ Easy sprang auf. „Wann geht’s los?“ Chris fackelte nicht mehr lange. „Ich melde euch noch online an und dann können wir sofort aufbrechen. Easy, fängst du Abranka ein?“ Nifen strotzte nur so vor Tatendrang. „Geht klar!“ Sofort salutierte die Songwriterin und Frontfrau eifrig. „Äh, und wie kommen wir nach Atlantis?“, fragte Chris kleinlaut, was jedoch in der euphorischen Aufbruchsstimmung unterging. Abranka war nicht ganz so begeistert von dem Ausflug gewesen war, aber schließlich mit dem Versprechen, mit einem MP3-Player vollgestopft mit Musik und ihrem BVB-Trikot versorgt zu werden überzeugt worden, dass sie die Sorglospunks natürlich begleitete. Wahrscheinlich hätte sie es sich sowieso nicht nehmen lassen, ihre Schützlinge zu unterstützen. Aber gerade Nifen wollte auf Nummer sicher gehen. Nicht nur wegen Abrankas nervigem DeLaSy, sondern auch weil die Muse immerhin quasi das Ass im Ärmel dieser Band war. Der Weg nach Atlantis war eigentlich recht einfach. Im WWWB-Markt gab es schließlich einen Fahrstuhl, der nicht nur in den Himmel und Hölle führte. Zu seinen anderen Zielorten gehörte auch Atlantis und somit mussten die Sorglospunks mitsamt dem Bollerwagen, auf dem sie ihre Instrumente transportierten, nur einsteigen und dann ging es auch schon los. Atlantis sah etwas anders aus, als die fünf es erwartet hatten. „Sollte es hier nicht überall von Wasser so wimmeln? Immerhin ist Atlantis untergegangen?“, fragte Easy und sah sich mit großen Augen um. „Ähem…“ Nifen deutete nach oben auf den scheinbar blauen Himmel. „Das da oben ist eine Kuppel über der du das Meer siehst. Und das sind keine Vögel sondern Fische. Von daher sieht das hier schon ziemlich versunken aus.“ „Oh. Cool!“ „Wo müssen wir denn hin?“, erkundigte sich Jack und blickte sich neugierig um. Die hellblauen und hellgrünen Häuser sahen eher mittelalterlich denn hypermodern aus, auch wenn gerade hinter dieser gewaltigen Kuppel ziemlich viel Technik – oder potenziell auch Magie – stecken musste. In diesem Augenblick beantwortete das lautstarke Dröhnen von Technomusik durch die schmalen Gassen Jacks Frage. „Immer der Musik nach“, sagte Nifen fröhlich und marschierte vorne weg. Abranka lenkte ihre Wolke neben ihr her und nach kurzer Diskussion, wer jetzt für den Bollerwagen verantwortlich war, folgten auch die drei Sorglospunks. Ihr Weg führte sie durch die hübschen Straßen hinauf über einige Treppen, die dankenswerterweise mit schicken, hölzernen Aufzügen ausgestattet waren, deren Funktionsweise sie schnell herausgefunden hatten, nachdem sie den Bollerwagen noch die erste Treppe hochgewuchtet hatten. Am Ziel ihres Weges stand ein gewaltiges Tor, an dem sie das erste Mal einen Eindruck der Bewohner von Atlantis bekamen. Die Leute sahen normal aus. Menschlich eben, was in der Erlebniswelt der Sorglospunks schließlich nicht unbedingt selbstverständlich war. Eine große Menschenmenge drängte sich vor dem Tor, hinter dem sich der Kiesweg zum Schloss erstreckte. Alle besaßen sie langes, sorgfältig gepflegtes Haar und alle trugen bodenlange Gewänder in zumeist blauen und grünen Farbtönen. Vereinzelt gab es jedoch auch gelbe oder rote Farbkleckser. „Dürfen wir mal durch?“, rief Jack über die Menge hinweg. „Wir wollen auch vorspielen!“ Mit neugierigem Raunen machten ihnen die Leute Platz und ließen sie zu der Torwache hindurch, die nach der Anmeldenummer fragte und diese in einem tragbaren Computer kurz kontrollierte, ehe sie die Band hindurchwinkte. Dort klebte ihnen eine zweite Torwache jeweils einen dicken, knallroten Aufkleber mit dem Bandnamen und ihrer Registrierungsnummer auf den Bauch. „Offenbar sind alle reichlich gespannt auf dieses Ereignis“, meinte Chris. „Klar, das geht um die Nationalhymne. Was denkst du denn? Wenn Deutschland auf einmal eine neue Hymne bekommen sollte, würden die Leute doch garantiert auch neugierig sein.“ Easy schüttelte den Kopf. „Ja, aber die würden nicht vor dem Bundestag oder dem Schloss Bellevue campieren“, grinste Jack. „Sicher?“ Easy zog eine Augenbraue hoch. „Ich würd’s tun.“ „Das glaub ich dir sofort!“ Schnatternd und gut gelaunt marschierten sie durch den weitläufigen Park, dessen Bäume und Büsche in verschiedene Fisch- und Muschelformen geschnitten worden waren, auf das türkisleuchtende Schloss zu. An dem Tor erwartete sie erneut eine Wache, die sie in den Wartesaal eskortierte, in dem bereits ein gutes Dutzend anderer Bands wartete. Rock und Pop waren dort ebenso vertreten wie Klassik, Techno und Heavy Metal. Eine äußerst bunte Mischung an äußerst bunten Interpreten, unter denen die Sorglospunks kaum auffielen. Nifen runzelte die Stirn. Nicht Aufzufallen war nicht unbedingt eine gute Sache. Aber im Zweifelsfall stachen sie sicher durch ihre Musik hervor. Und während die anderen Bands, Sängerinnen und Sänger nervös waren, spielten die Sorglospunks in Ruhe eine Runde Karten und frotzelten herum. „Äh, welche Songs sollen wir eigentlich spielen?“, fragte Chris urplötzlich. Sie waren als nächstes an der Reihe und so langsam sollten sie sich darüber vielleicht Gedanken machen. „‚Talent’!“, rief Nifen sofort. „Fehlen noch zwei.“ Jack grinste. „Ich bin für den ‚Rote-Faden-Song’!“ „Und ich für… für… den ‚Anti-Mathe-Song’!“ Easy war schließlich immer gegen Mathe. „Und ich für ‚Post it, Baby’.“ Chris gab seinen Vorschlag als letzter ab, weswegen Nifen diesen Song schlichtweg zu ihrer Alternative erklärte, falls sie noch einen vierten Song brauchen sollten. „Schaffen wir noch eine Runde?“, fragte Jack und mischte die Karten erneut. „Ach, sicher.“ Easy grinste und sah sie auffordernd an. Eine Viertelstunde später standen sie vor dem Komitee und sortierten ihre Instrumente. Nifen lehnte an der Tür und musterte kurz die zehn Personen, die dort saßen. Drei jungendliche Atlanter, drei mittelalte Atlanter, drei alte – nahezu greise – Atlanter und dazu noch eine junge Frau, die durch ihr schickes, erkennbar teures Kostüm auffiel und mit einem äußerst prüfenden Blick die drei Sorglospunks musterte. Die Muse schwebte neben Nifen und maß mit einem ebenfalls äußerst aufmerksamen Blick die Runde. „Herzlich Willkommen in Atlantis.“ Die junge Frau ergriff das Wort, was aufgrund ihrer herausstechenden Erscheinung wenig überraschend war. „Mein Name ist Siroya. Wie ihr sicher schon in den Ausschreibungsunterlagen gelesen habt, bin ich die Sprecherin des Grafen von Atlantis. Leider ist es ihm nicht möglich, an der ersten Ausscheidungsrunde teilzunehmen, daher übernehme ich seine Funktion. Jeder der hier Anwesenden hat eine Stimme. Die Atlanter werden entscheiden und nur, falls es Zweifel an der sinnhaftigkeit dieser Entscheidung gibt, werde ich eingreifen.“ Siroya lächelte und strich sich über das perfekt frisierte, weißblonde Haar. Diese Frau hatte Macht – und sie genoss es. Sie war den Sorglospunks von der ersten Sekunde an unsympathisch. Sie hatte eine äußerst arrogante und selbstgefällige Art, die das absolute Gegenteil der Musiker aus dem Schwabenland darstellte. „Ihr könnt beginnen.“ Kurz darauf klangen die ersten Töne von ‚Talent’ durch den Raum. „Mit ganz viel Geld kauf’ ich Talent, denn Gott hat leider Gottes verpennt, mir welches mitzugeben!“ Nifen sah, wie der Song zwar den Jury-Mitgliedern des normalen Volkes gefiel, jedoch auch, dass Siroya den Mund missbilligend verzog. Vermutlich war ihr das zu selbstironisch oder zu frech. Auch die nächsten zwei Songs konnten sie offenbar nicht überzeugen, obwohl die restliche Jury bereits begeistert mitwippte und die Band längst adoptiert hatte. Selbst als sie einen vierten Song forderte – erst nach kritischem Blick auf die Neun, die eigentlich die Entscheidung treffen sollten –, war sie offenbar nicht zufriedenzustellen. „Liebe Sorglospunks, wir wissen euren Einsatz sehr zu schätzen. Aber leider, leider passt eure Musik…“ Am anderen Ende des Raumes wurde eine Tür mit solcher Wucht aufgestoßen, dass sie mit einem ohrenbetäubenden Knall gegen die Wand schlug. Hereingestürmt kam eine regelrechte Albtraumgestalt. Mit aufgerissenen Kulleraugen starrten die Sorglospunks und ihre Crew auf diese Person. Die Flügeln waren das, was einem als erstes ins Auge sprang: Sie haben eine gewaltige Spannweite von sicherlich vier Metern, eine Höhe von sicher zwei Meter fünfzig, der eine Flügel besaß schwarze Federn, der andere war schneeweiß gefiedert. Dazu kamen ein nachtschwarzes Outfit, schwarze Haare, die bis zu den Kniekehlen reichten, und hellrote Spitzen hatte, rotglühende Augen, und spitze Elfenohren, die aus dem dichten Haar herausragten. Als er den Mund öffnete, blitzend viel zu weiße und äußerst spitze Vampirzähne auf. „Nein, nein, nein! Siroya, ich will sie! Sie sind weiter!“ Erst die Stimme verriet, dass diese Badfic-Gestalt ein Mann war. „Aber Graf… Das…“ „Doch, doch, doch! Diese Band kommt in die nächste Runde!“ Ein wenig außer Atem blieb der Graf von Atlantis vor den Sorglospunks stehen, die jetzt einer nach dem anderen den Mund wieder zumachten. Er stemmte die Hände in die Hüften und funkelte seine Sprecherin an. „Natürlich.“ Siroya nickte leicht, aber der Blick, mit dem sie die Sorglospunks bedachte, war alles andere als freundlich. Und so wie sie danach den Grafen ansah, war da irgendetwas im Busch. Nifens Sinn für einen guten Plot und eine dramatische Handlung sprang sofort an. Bei den anderen machte sich die Sorglospunks-Lebenserfahrung breit: Sie ahnten, dass sie auf dem besten Wege waren, in irgendwelche Schwierigkeiten zu geraten. Es waren nur eine Handvoll Teilnehmer in die zweite Runde gekommen. Etwas, das aber angesichts der harten Hand von Siroya wenig überraschend war. Immerhin wären die Sorglospunks ja auch fast rausgeflogen. Und dieser Umstand war es, der die fünf dazu brachte, Kriegsrat zu halten. Das erste Mal seit Wochen war Abranka wieder voll bei der Sache. „Wir müssen es hier möglichst weit schaffen!“, war die Kampfansage der Muse. „Schon allein, um es dieser komischen Frau zu zeigen.“ „Und weil wir den Grafen auf unserer Seite haben“, fügte Easy hinzu. „Der irgendwie komisch aussieht…“, ergänzte Jack, was für kurzes Schweigen sollte. Dann gab es reihum ein fröhliches Achselzucken. Mit einem „Kann der ja auch nix zu“ wischte Easy diesen Gedanken direkt bei Seite. „Wie geht es nun weiter?“, fragte die Muse, die zuvor von Nifens Erläuterungen des ganzen Prozederes äußerst wenig mitbekommen hatte. „Als nächstes spielen die Bands vor einem großen Publikum einen Song und wer dort von der Menge mittels Jubelpegel weitergewählt wird, darf im großen Finale seine Version der Hymne ebenfalls vor großem Publikum vorspielen“, erklärte Nifen. „Wer entscheidet bei der letzten Runde?“ „Wieder das Volk.“ „Du meinst theoretisch.“ Jack zog demonstrativ beide Augenbrauen hoch und wackelte damit. „Denn seien wir mal ehrlich: Diese Siroya hat hier alles fest im Griff. Vielleicht sogar den Grafen.“ Düsteres Nicken war die Antwort. „Wir müssen Atlantis vielleicht retten?“, fragte Chris leise und bekam nur bedeutungsvolle Blicke als Antwort. Die Sorglospunks waren schließlich nicht gerade bekannt dafür, dass sie sich vor ihrer Verantwortung drückten. Und sie hatten das Herz am rechten Fleck. Aber erst würden sie erst einmal mehr von Atlantis kennenlernen. Denn schließlich war es eine dumme Idee, sich Hals über Kopf in irgendetwas hineinzustürzen ohne die wesentlichen Fakten zu kennen.. Was allerdings nichts daran änderte, dass sie das meistens doch taten. Da der nächste Auftritt erst am morgigen Tag stattfinden sollte, nutzten sie die Zeit, um sich in der Stadt umzusehen. Atlantis entpuppte sich wirklich als äußerst faszinierend und verbarg unter ihrer blauen und grünen Oberfläche einen Haufen interessanter Dinge. So war das atlantische Stadtmuseum wirklich ein Juwel und das nicht nur im Hinblick auf spannende Geschichten aus der Vergangenheit, sondern auch bezüglich technischer Errungenschaften – wohlgemerkt der Vergangenheit –, die im heimischen Schwabenland ihresgleichen suchten. Da waren der Wasserlüfter, der salziges Meerwasser durch die schützende Kuppel brachte und in wertvollen Süßwasserregen verwandelte, die Energiekristallleuchter, die Licht ausstrahlten, das dem der Sonne glich, und schließlich die Kakaopäppelmaschine, die für das perfekte Wachstum der atlantischen Kakaopflanzen Sorge trug. „Hey, hier steht etwas über den Grafen!“, rief Easy aus, als sie sich in dem Raum über den Ursprung Atlantis’ umsahen. „Cool!“ Jack und die anderen flitzten aufgeregt zu ihr hinüber. Glaubte man dieser Zeittafel, war Atlantis von dem Grafen im Jahre 6.000 vor Christi gegründet worden, einer Zeit, in der die alten Ägypter noch im Sand gespielt hatten. Atlantis war eine blühende Kultur gewesen, die jedoch mehr und mehr den Neid ihrer Nachbarn auf sich gezogen hatte. Krieg folgte auf Krieg. Um die Stadt in Sicherheit zu bringen und endlich ein friedliches Leben für die Bevölkerung zu ermöglichen, entschied sich der Graf, der zuvor stets eine goldene Maske und ein gewaltiges Gewand aus weißen Federn getragen hatte, einen Deal mit den Göttern zu machen. Er veränderte sich und wurde zu dieser Fangirly-Albtraumgestalt, in der er den Sorglospunks begegnet war. Zu dieser Zeit trat auch der erste Sprecher des Grafen in Erscheinung, der das Volk in der Stunde der Not zusammenhielt, während die ganzen technischen Finessen der Atlanter genutzt wurden, um die Stadt im Meer zu versenken und durch die gewaltige Kuppel vor den tödlichen Wassermassen zu schützen. Das war der Beginn des unterseeischen Zeitalters von Atlantis. „Also, ich finde diese Grafen-Sache reichlich seltsam“, stellte Nifen fest. „Denkst du auch, dass er kaum 8.000 Jahre alt sein kann? Und dass die Kleidung wirklich perfekt ist, um den Leuten vorzugaukeln, dass es immer noch der gleiche Graf ist, obwohl da jemand anderes in den Klamotten steckt?“, grinste Abranka. „Exakt.“ Nifen erwiderte das Grinsen. „Aaaaaaaber, das ist ja kaum etwas, das rechtfertigen würden, dass wir uns hier in irgendetwas einmischen“, warf Jack ein, die die Nase gestrichen voll davon hatte, ständig irgendwen oder irgendwas zu retten. „Schauen wir mal.“ Chris zuckte mit den Schultern. Allen Fünfen war jedoch ein eher ungutes Gefühl gemeinsam. Am Abend machten Sorglospunks und Crew es sich in der Taverne „Zum Hammerhai“ gemütlich, in der sie auch ihre Zimmer gemietet hatten. Der Gastraum war rustikal, aber sehr gemütlich eingerichtet und bei dem guten Essen ließen die Fünf ihrer Fantasie freien Lauf. Diese Spekulationen über den Grafen reichten von einem tatsächlichen Unsterblichen – einem Halbgott vielleicht – über einen machtbesessenen gräflichen Familienclan – der irgendwann eine geheime Gräfin hervorgebracht hatte – bis hin zu einer intriganten Sprecherdynastie. Eine in einen dunkelblauen Mantel gehüllte Gestalt am Nebentisch lauschte ihrem Gespräch mit wachsender Neugier und als Jack schließlich seufzend sagte: „Wetten, dass Atlantis doch gerettet werden muss?“, da traf sie eine Entscheidung. Die unheimliche Gestalt beugte sich zu dem Sorglospunks-Tisch hinüber und fragte mit dumpfer Stimme: „Wollt ihr die Wahrheit wissen?“ Kurz wurden einige skeptische Blicke ob der Unterbrechung und dieses Angebots gewechselt, dann sagte Easy mit einem strahlenden Lächeln: „Klar doch! Kaffee gefällig?“ „Immer.“ Der Fremde drehte seinen Stuhl und gesellte sich der ausgelassenen Runde hinzu. Nachdem er seine Tasse Kaffee bekommen hatte, Easys Nerven bis zum Zerreißen gespannt waren und akute Neugier die restlichen Vier überflutet hatte, begann er zu sprechen. „Was ich euch nun erzähle, geschieht unter dem Siegel der absoluten Verschwiegenheit. Ich erzähle es auch nur, weil ich mitbekommen habe, dass ihr viele Dinge begreift und äußerst erfinderisch seid. Der Graf von Atlantis ist längst nichts mehr als eine armselige Galionsfigur in einem albernen Outfit. Ein Junge, der von klein auf für diese Rolle erzogen und ausgebildet wurde, um diese später als Halbwüchsiger und Erwachsener zur Zufriedenheit der Sprecherdynastie zu erfüllen.“ Schweigen senkte sich über den Tisch, das sich hart und unwirklich von dem fröhlichen Lärm um sie herum abhob. Niemand schenkte ihnen Beachtung und schien etwas von der Bedeutung dieses Gesprächs zu erahnen. „Siroya ist es, die diese Stadt beherrscht, nicht der Graf. Und Siroya herrscht nicht zum Wohle des Volkes, sondern nur zu ihrem eigenen.“ „Wieso? Den Leuten hier geht es doch nicht schlecht“, warf Jack ein und deutete auf die ausgelassenen Menschen um sie herum. „Niemand darf Atlantis verlassen. Ken Bürger, kein Besucher – niemand. Denn Atlantis soll Siroyas eigene kleine Welt bleiben. Weil sie weiß, dass sie den Stadt nicht mehr halten könnte, wenn Einflüsse von außen ungefiltert und unkontrolliert zu uns vordringend würde. Sie kontrolliert alle Wareneinfuhren und jegliche Kommunikationsverbindungen nach außen. Was uns einst schützte, ist nun unser Gefängnis geworden.“ „Aber, wir laufen hier doch herum! Und die anderen doch auch alle!“, rief Chris aus, der bereits Böses ahnte. „Momentan noch. Alle Teilnehmer des Wettbewerbs, die bereits ausgeschieden sind, wurden direkt nach ihrem Auftritt in die Kerker gebracht, um dort ihre Erinnerungen auszulöschen. Anschließend werden sie den Genpool von Atlantis auffrischen.“ Stille herrschte, bis er fortfuhr: „Unsere technische Entwicklung ist durchaus auch ein Fluch.“ „Besonders für die unschuldigen Opfer“, ergänzte Nifen mit einem pikierten Gesichtsausdruck. „Was bedeutet, wir müssen Atlantis retten, wenn wir nicht hier bleiben und unser Gedächtnis verlieren wollen. Na super!“ Jack stöhnte auf. „Warum immer wir?“ „Helft ihr uns?“ Seine Worte klangen bittend. Sein Gesicht jedoch war weiterhin unter der Kapuze nicht zu sehen. „Welche Wahl haben wir?“ Nifen zuckte mit den Schultern. „Aber eine Frage habe ich noch: Wer bist du?“ Ihr Gegenüber schlug die Kapuze zurück und ließ ein absolutes Durchschnittsgesicht sehen. „Der Graf von Atlantis.“ Seltsamerweise zweifelte an diesen Worten keiner von ihnen. Der Graf von Atlantis stellte sich ihnen als Tammin vor. Tatsächlich war erst einundzwanzig Jahre alt und steckte seit seiner Geburt in diesem Desaster von Zwang, Verhaltensregeln und Lügen fest. Allein die Tatsache, dass er sich am heutigen Tage in die Auswahlzeremonie eingemischt hatte, war gegen jede Regel gewesen und hatte ihm eine unerfreuliche Unterhaltung mit Siroya beschert. Jedoch hatte ihm die Musik der Sorglospunks einfach viel zu gut gefallen, als dass er sich hatte raushalten können. Etwas, das vielleicht das klügste war, das er bisher getan hatte. Er konnte nicht genau erklären, wann er angefangen hatte, an seinem Dasein und den Dingen, die er tat, zu zweifeln. Er wusste nur, dass diese Lüge nicht gut war. Und dass das Volk etwas anderes verdient hatte. Denn schließlich waren die Atlanter doch reichlich klug und hatten so Vieles auf die Beine gestellt. Da war doch eine Demokratie, wie in den Büchern, die er heimlich im Schloss gelesen hatte, viel besser, oder nicht? Auf jeden Fall war alles besser, als diese knallharte Isolation und die grausame Behandlung ahnungsloser Nicht-Atlanter. Er hatte es sich angewöhnt, sich aus dem Schloss zu schleichen – was nicht einfach war – und sich unter die Atlanter zu mischen, um sie kennen und verstehen zu lernen und herauszufinden, was dieses Volk wirklich brauchte. Und was Atlantis wirklich fehlte, war Freiheit. Freiheit war etwas, für das die Sorglospunks absolut waren. Daher war auch Jack kein bisschen mehr missgelaunt, als die Entscheidung feststand, dass sie Atlantis helfen würden. Jetzt hieß es nur noch, einen erfolgreichen Plan zu schmieden. Die Nacht war kurz und der nächste Tag kam schnell. Glücklicherweise waren Sorglospunks und Crew kurze Nächte gewohnt. Dennoch fiel der erste Probelauf für den neuen Song ‚Freiheit’ – der natürlich im Geheimen stattfand – äußerst dürftig aus. Nifen brachte schließlich das Problem auf den Punkt: „Ihr wisst doch: Ihr seid am besten, wenn ihr improvisiert. Also improvisiert einfach auf der Bühne.“ Sie grinste aufmunternd in die angespannte Runde. „Wer spielt mit mir Karten?“ Und so verbrachte die äußerst nervöse obwohl sonst so sorglose Band die Zeit vor ihrem Auftritt wieder mit einem Kartenspiel. „Sorglospunks! Die Sorglospunks bitte!“, kam viel zu schnell die Aufforderung, dass sie an der Reihe waren und die Bühne betreten sollten. Die Menschenmenge, die das gewaltige Stadion ausfüllte, in dessen Mitte die kreisrunde Bühne aufgebaut war, war äußerst beeindruckend. Es hätte niemanden überrascht, wenn gut die Hälfte der atlantischen Bevölkerung hier gewesen wäre. Und der Rest hielt sich vermutlich auf den Plätzen der Stadt und in den Lokalen auf, auf deren Leinwände das Spektakel übertragen wurde. Doch entscheidend war hier die Meinung – der Jubel – des Stadionpublikums. Und Siroya. Diese saß neben dem Grafen von Atlantis wie die alten römischen Kaiser im Kolosseum in einer eigenen Loge und betrachtete von dort das Geschehen. Soweit das aus der Entfernung beurteilbar war, sah sie nichts besonders glücklich aus, als die Sorglospunks die Bühne betraten. „Hallo Atlantis!“, rief Easy gut gelaunt ins Mikro. Ihre Nervosität war schlagartig verschwunden, als sie den Boden betreten hatte, der die Welt bedeutete. Genauso ging es Chris und Jack. Das hier war schließlich ihr Element – und es war ja auch nicht das erste Mal, dass sie in einer eher prekären Situation auf der Bühne standen und ihr Bestes geben mussten, weil verdammt viel davon abhing. „Wohooooo!“, jubelten Chris und Jack in ihre Mikros, ehe sie Easy das Feld überließen. Nifen beobachtete insbesondere Siroya von ihrem Platz am Bühnenrand aus, während Abranka ein Inspirationsgewitter bereithielt. „Wir sind die Sorglospunks und wir haben euch heute ein Lied mitgebracht, das von einem der wichtigsten Dinge der Welt handelt: Freiheit!“ Easy riss die Faust in den Himmel und Jack startete mit einem gewaltigen Schlagzeugeinsatz. Chris ließ die Gitarre aufheulen und sobald die beiden die richtige Melodie aus ihren Soli gezaubert hatten, begann Easy zu singen. „In den Straßen der Welt, da kann ich sie sehen und finden. Woooooaaaaahaaaa finden! Ich weiß, sie ist hier. Ich weiß, sie ist überall. Ohoooooo Freiheit, beste Freundin Freiheit. Freiheit! Auf den Feldern, auf den Flüssen und den Meeren, da sieht man sie tanzen. Reich mir die Hand. Ohoooooo. Reich mir die Hand. Ja, reich mir deine Hand! Ohoooooo Freiheit, beste Freundin Freiheit. Freiheit!“ Nifen hatte genau gesehen, wie sich Siroyas Gesicht immer mehr verfinstert hatte. Es war genauso, wie sie es vorhergesehen hatten: Die graue Eminenz von Atlantis wollte, dass die Bevölkerung gar nicht erst auf die Idee kam, über gewisse Dinge nachzudenken. Und Freiheit war natürlich ein Thema so brisant wie ein Molotowcocktail. Siroya hob die Hand und auf der Bühne fiel urplötzlich der Strom aus. Die Musik klang nur noch dünn und schwach in die Runde und konnte das Stadion ohne die Verstärker und die Mikrofone natürlich nicht mehr füllen. Erste Unmutsbekundungen wurden laut. So hatte sich Siroya das wohl gedacht. Aber sie hatte nicht mit den Sorglospunks gerechnet. Jeder der Drei zog einen Kristallleuchter hervor, die aus dem Stadtmuseum stammten und die sie sich dort mit gräflicher Erlaubnis ausgeliehen hatten. Schnell erstrahlten die drei Musiker in warmem Licht. Erster Jubel brandete hoch. Easy formte die Hände zu einem Trichter und brüllte mit aller Kraft: „Los, singt mit uns! Sagt es nach hinten weiter: Singt mit uns!“ A Capella stimmten die Sorglospunks mit voller Inbrunst den Refrain an. „Ohoooooo Freiheit, beste Freundin Freiheit. Freiheit!“ Kaum hallte der Text sicher durch das Stadion, fügten sie noch die zweite Bridge hinzu, sodass schließlich fast 200.000 Leute aus voller Kehle „Reich mir die Hand. Ohoooooo. Reich mir die Hand. Ja, reich mir deine Hand! Ohoooooo Freiheit, beste Freundin Freiheit. Freiheit!“ schmetterten. Das war echte Gänsehautatmosphäre. Als schließlich der Storm auf der Bühne wieder anging und tosender Jubel durch das Stadion tobte, der fast das Jubelpegelmeter sprengte, stand der Graf demonstrativ auf und applaudierte. Siroya erhob sich ebenfalls, doch wenn Blicke töten könnten, wäre kein Sorglospunk lebendig von der Bühne heruntergekommen. Phase 1 des Planes war damit ein voller Erfolg. Doch entscheidend war Phase 2. Von diesem Erfolg hing alles ab. Kaum waren die Sorglospunks wieder von der Bühne und unten in den Katakomben verschwunden, da nutzte Nifen ihr Hell-o-Berry, um Himeka anzurufen. Sie brauchten noch Hilfe und zwar Hilfe von einem Technikcrack. Danach hörten sie sich ihre potenzielle Konkurrenz an und erlebten, wie mehr als einmal der Strom ausfiel, wenn eine Band der Sprecherin des Grafen nicht gefiel. Wie sie es abgesprochen hatten, signalisierte der Graf immer wieder, dass er mit Siroyas Entscheidung nicht einverstanden war und unterstützte demonstrativ die Bands, die ihm tatsächlich gefielen. Somit sah es so aus, als wenn es Siroya kaum gelungen war, diese Ausscheidungsrunde nach ihren Wünschen zu beeinflussen. Der nächste Tag brachte die Entscheidung. Wieder wurde im Stadion aufgetreten und wieder war es zum Bersten gefüllt. Dieses Mal würden nur sicherlich keine Kristallleuchter und ein großes Chorsingen dafür sorgen, dass alles ein gutes Ende fand. Das musste es aber auch nicht. Schließlich hatten die Sorglospunks und der Graf das – hoffentlich – richtige Ass im Ärmel. Bei der zweiten Band, einer ziemlichen coolen Boygroup, die ihre Version der Hymne mit viel Herzschmerz vortrugen, gab es erstmals eine technische Störung. Dieses Mal beschränkte sich Siroya offenbar nicht allein auf Stromausfälle, sondern ließ auch allerlei andere Raffinessen aus dem Sack. Die Girlgroup danach rutschte auf dem glatten Boden ständig aus, der Rockband danach explodierte der Verstärke. Nifen nickte in Richtung Tammin. Jetzt war er an der Reihe. Gleichzeitig machten sich die Sorglospunks fertig für ihren Auftritt. „Lass das, Siroya. Du hast verkündet, dass das Volk entscheiden soll. Jetzt musst du damit leben“, sagte Tammin leise zu der Sprecherin und drückte gleichzeitig die Taste auf dem tief in der Tasche seines Kostüms vergrabenen Hell-o-Berry, die die Verbindung zu Himekas Computer weit entfernt von Atlantis herstellte. „Wer bist du schon?“ Herablassend sah sie ihn an. „Du bist ein kleiner Junge von der Straße, der in einem albernen Kostüm steckt und nur meine Marionette ist. Nichts anderes. Das hier ist meine Stadt! Das hier ist meine Show, das wird meine Hymne! Was haben die da unten schon zu melden? Sie sind nur die Basis meines Lebens!“ „Du vergisst eins, Siroya…“ Der Graf stand langsam auf. „Und was?“ Mit vor Zorn funkelnden Augen sprang sie auf. „Dass das Volk am wichtigsten ist.“ Mit einer dramatischen Geste breitete er die Arme aus. Und tausende Kilometer entfernt von Atlantis drückte Himeka auf die richtige Taste und auf einmal konnten alle Atlanter über die Lautsprecher hören, welche Worte Siroya und der Graf gerade gewechselt hatten. „Du wagst es?“ Siroyas Stimme überschlug sich und dramatisch mit den Armen gestikulierend schrie sie: „Wachen! Ergreift ihn!“ Die Wächter blickten von Siroya zu dem Grafen und wieder zurück. „Nein. Wachen, ergreift sie!“ Der Graf deutete auf seine Sprecherin. Seine Flügel und das wehende Haar verliehen ihm eine Größe und Autorität, die Siroya nicht besaß und niemals in den Augen der Atlanter besitzen würde. Auch wenn bis zu diesem Tag immer all ihre Befehle ohne irgendeinen Hauch von Zweifel befolgt hatten, hatte sie doch eines vergessen: Für das Volk vertrat sie die Interessen des Grafen. Er war die Autorität und nicht sie. Denn schließlich hatte die gesamte Dynastie der Sprecher den Grafen als den wahren Machthaber und den Herrscher über Atlantis aufgebaut. Während die Palastwachen, die keifende und fluchende Siroya abführten, trat der Graf an die Brüstung der Loge und blickte auf sein Volk hinab, das mittlerweile ziemlich unruhig wurde. „Atlanter! Was ihr gehört habt, ist die reine Wahrheit. Seit Jahrtausenden sind es die Sprecher, die die Macht an sich gerissen und euren ursprünglichen Herrscher zu einer reinen Marionetten degradiert haben. Die ausgeschiedenen Musiker wurden in die Kerker gesperrt und sollen nach Löschung ihrer Erinnerung gezwungen werden, bei uns zu bleiben. Ist das etwa ein Verhalten, das wir dulden können? Ich sage nein! Genauso wenig, wie es sein darf, dass Atlantis abgeschottet ist von aller Außenwelt und für uns alle zu einem Gefängnis geworden ist. Ist das ein Leben, das wir leben sollen? Ich sage nein! Wir werden auch einen Weg finden, unsere Stadt zu schützen, ohne dass wir wie in einem Aquarium leben! Und ich sage, dass ihr keinen Herrscher braucht, der sich hinter einer komischen Verkleidung versteckt!“ Damit warf er die Flügel ab, zog die Perücke von seinem Kopf, entfernte die Elfenohren und spuckte die Vampirzähne aus. Tammin blickte in die Runde und fuhr fort: „Hier und jetzt soll ein Neuanfang beginnen. Und zwar damit, dass ihr alle entscheidet, welches Lied unsere neue Hymne werden wird!“ Schweigen herrschte, dann begannen die ersten Menschen zu applaudieren und nach und nach fielen alle ein, bis eine Woge des Applauses und Jubels durch ganz Atlantis wogte. „Als nächstes möchte ich meine guten Freunde die Sorglospunks auf der Bühne begrüßen, die mir sehr dabei geholfen haben, dass ich euch hier und heute die Wahrheit sagen kann.“ Die Sorglospunks betraten grinsend die Bühne und winkten fröhlich in die Runde. „Hallo Atlantis! Es ist toll hier zu sein und es ist toll, euch helfen zu können. Das da oben ist echt ein dufte Typ und euer aller Wohl liegt euch echt am Herzen! Denkt daran, wenn ihr entscheidet, wie es mit euch und eurem Atlantis weitergehen soll!“ Easy hatte wie immer das Wort ergriffen. „Und jetzt spielen wir für euch unseren Song für Atlantis. Ob er eure Hymne werden wird – ihr entscheidet!“ Damit nickte Easy ihrer Zwillingsschwester und Chris zu, die mit einem ruhigen Beat begannen. „Unter dem Meer Tief unter dem Meer Geschützt, verborgen, versunken Voller Leben und voller Glück Insel der Freiheit Insel des Lebens Insel der Weisheit Insel des Lichts Atlantis, Atlantis Hier bist du, mein Atlantis Atlantis, Atlantis Du beschützt mich und ich stehe ein für dich Du bist mein Heim und ich bin dein Teil Insel der Hoffnung Insel des Friedens Insel der Zukunft Insel der Inseln Atlantis, Atlantis Hier bist du, mein Atlantis Atlantis, Atlantis“ Der Atlantis-Song der Sorglospunks wurde nicht die neue Nationalhymne. Das Volk liebte den Song zwar, entschied sich jedoch für eine eher traditionell Variante mit Streichern und viel Kampf und Triumph im Text. Dennoch würden die Atlanter die Sorglospunks wohl niemals vergessen. Immerhin hatten sie ihnen geholfen, einen Neuanfang zu machen. Siroya war zu gemeinnütziger Arbeit verurteilt worden und musste nun den vielen alten Atlantern als helfende Hand zur Seite stehen. Somit hatte sie die Gelegenheit, viel über das Volk zu lernen. Atlantis war zu einer Demokratie geworden und man hatte sich entschieden, den Präsidenten der Stadt weiterhin Graf zu nennen. Zu ihrem ersten Präsidenten war Tammin gewählt worden. Die Sorglospunks kehrten glücklich und zufrieden nach Hause zurück. Natürlich nicht, ohne versprochen zu haben, sich regelmäßig bei Tammin zu melden. „Boah, Home sweet home.“ Jack ließ sich genüsslich auf das Sofa fallen. „Ist das schön, wieder daheim zu sein!“ Chris tat es ihr gleich und Easy stürzte sich mit einem freudigen Quietschen auf Kiwi, um das Bandmaskottchen kräftig durchzuknuddeln. „Aber bitte keine bösen Musiküberraschungen mehr, Abranka, ja?“, fragte Jack mit großen Augen. „Nee, nee…“ Abranka grinste. „Keine Sorge. Mir ist nicht danach.“ Kollektives Aufseufzen erfüllte das Wohnzimmer der Sorglospunks-WG und Nifen grinste breit. Da hatte Himeka ja Recht gehabt. Ein toller, erfolgreicher Ausflug mit einem grandiosen Auftritt und zwei neuen Songs, das DeLaSy war abgewendet und die Welt wieder in Ordnung. Und während Easy Kiwi ausgiebig knuddelt, summte sie leise vor sich: „Home sweet home, ja, home sweet home. Meine Katze ist meine Welt. Ja, ich bin nur glücklich, wenn meine Katze da ist und ich eine Tasse Kaffee hab!“ Kapitel 54: Monsterparty ------------------------ „Monsterparty Eieieiei Monsterparty Eieieiei!” Lauthals sang Easy, die Frontfrau und Sängerin der Sorglospunks, bei dem Song von den Ärzten mit und schwang den Wischmopp im Takt durch die Küche. Die gesamte Sorglospunks-WG stand im Zeichen der ‚Mission Monster’. Denn Halloween hatte dieses Jahr auch das Schwabenland erreicht und wurde in dem Dorf das erste Mal richtig groß und organisiert gefeiert. Eigentlich gehörten die Sorglospunks nicht zu den Einwohnern der deutschen Lande jenseits des Rio Spätzle, die allzu viel von importierten Feierlichkeiten hielten, aber in diesem Falle machten sie eine Ausnahme. Der Grund dafür war einfach: Publicity. Wenigstens hatte die Bandmanagerin Nifen das gesagt. Der andere Grund war der, dass es schlichtweg Spaß machen würde. Und Halloween war eine herrliche Ausrede, um sich vollkommen infantil verhalten zu können. Auch wenn die Sorglospunks dafür eigentlich nie eine Ausrede brauchten. Der Plan war recht einfach: Die fünf Bewohner der Sorglospunks-WG – LennStar war ja schon wieder mal im warmen Griechenland unterwegs – würden sich schön gruselig verkleiden und Abranka, die Bandmuse, durfte sogar auf ihrer fliegenden Wolke für die Durchschnittsbewohner des Schwabenlandes sichtbar werden. Auch Chibichi hatte sich als Besuch angesagt – und sie brauchte sich gar nicht erst zu verkleiden. Die Hörner und Flügel des echten Teufels waren schließlich eindrucksvoll genug. Außerdem würde zumindest das Wohnzimmer in eine richtige Gruselhöhle verwandelt werden, in der die mutigen Süßigkeitenjäger ihre Beute erhalten würden. Für später am Abend war dann ein kostenloses Open-Air-Konzert im Vorgarten vorgesehen. An sich eine perfekte Planung für einen perfekten Halloweentag. Weit entfernt in einer anderen Dimension, die normalerweise nur durch die Albträume der Menschen mit der uns bekannten Welt verbunden ist, leben die Monster. Große und Kleine, Flauschige und Schuppige, Gruselige und nicht so Gruselige, Haarige und Schlangenhäutige, Tierartige und Pflanzenartige, Fleischfresser und Vegetarier, Mutige und Ängstliche. „Halloween wird wieder langweilig“, maulte das rote, haarige Monster und richtete seine orangefarbene Schleife, die ihm die gelben Augen von der Haarmasse freihielt. „Sowas von“, seufzte das kleine, quirlige Monster mit den scharfkantigen Schuppen, das zwischen den Füßen des Roten hockte. „Na, dann machen wir dieses Jahr doch einfach etwas anderes.“ Das dritte Monster in der Runde erinnerte an eine Mischung aus einem zwei Meter großen Werwolf mit einem ebenso großen Velociraptor: Fell und Schlangenhaut wechselten sich ab, scharfe wolfsartige Reißzähne waren kombiniert mit den tödlichen Klauen des Velociraptors. Kurzum: Es sah aus wie ein wirklich gewordener Tötungsalbtraum. „Und was?“, kam es erneut gemault von dem rothaarigen Monster. „Wir gehen auf eine Party.“ „Party, cool!“ Das quirlige Monster sprang auf und hopste in die Luft. „Und wo?“ „Im Schwabenland.“ Das Werwolf-Killerdino-Monster zog einen verknickten Ausdruck aus den Tiefen eines Bündel Fells hervor. „Hier, lest das.“ „Ich kann nicht lesen!“, jammerte das quirlige Monster traurig. „Also, hier steht…“ Das rote Haarmonster schnappte sich den Zettel und las vor: „Mission Monster! Monsterparty bei den Sorglospunks! Kommt her, bringt Grusel- und Feierspaß mit! Mit Gratiskonzert um 20:00 Uhr im Garten.“ „Cool!“ „Da gehen wir hin.“ Das Werwolf-Velociraptor-Monster grinste breit. Denn an Halloween, da können die Monster aus der Dimension, die sonst nur über unsere Albträume mit unserer Welt verbunden ist, auch ohne Albtraum unter uns wandeln… „Es geht los! Es geht lohos!“, jubilierte Easy, als die ersten Kinder vor der Tür auftauchten und nach Süßem oder Saurem fragten. Stolz führte die gruselige Songwriter-Dämonin die fünf Kiddies in die Gruselhöhle im Wohnzimmer. Chibichi hatte mit ein paar echt höllischen Accessoires wie echten Gargoyles und einem kleinen Lavapool in einem feuerfesten Steinbecken nachgeholfen. Abranka trug Vampirzähne, die dafür sorgten, dass sie nuschelte, und den nachtschwarzen Umhang, den sie bei dem Grafen von Atlantis abgestaubt hatte. Jack hatte sich als Mumie zurechtgemacht und Chris war ein Zombiegitarrist. Nifen hatte zwar versucht, wenigstens den Verkleidungszwang zu umgehen, war aber schließlich dazu genötigt worden, sich in ein Gespenst mit viel weißer Schminke im Gesicht zu verwandeln. Selbst Kiwi war verkleidet – als Höllenkatze mit schwarzen Flügeln auf dem Rücken. Die Kinder staunten zwar nicht schlecht, aber meinten schließlich, dass sie sich nicht richtig gruseln würden. Schmollend gab ihnen Easy nur die Hälfte der für Besuche vorgesehenen Süßigkeiten. „Wir sind nicht gruselig?“ Jack stemmte die Hände in die Hüften. „Was bilden die sich eigentlich ein? Sollen wir hier mit echten Monstern aufwarten, oder was?“ In diesem Augenblick klingelte es wieder an der Tür. „Wehe, die gruseln sich jetzt nicht! Ich habe nicht extra die ganzen Spinnweben aufgehängt, damit sich niemand gruselt!“ Noch immer Gift und Galle spuckend stampfte Jack zur Tür. „Ja?“, fauchte sie, während sie die Tür gleichzeitig aufriss. Lautes Aufkreischen von mehreren Personen drang bis ins Wohnzimmer. Die verbliebenen Sorglospunks und Entitäten blickten sich nur kurz an und stürmten dann Richtung Haustür. Jack stand dort, hatte die Hand aufs Herz gepresst und blickte die drei Gestalten vor der Tür mit großen Augen an. Dort befanden das rote, haarige Monster, das kleine, schuppige, quirlige Monster sowie das Killer-Dino-Werwolf-Monster und schauten mit einem ebenso entsetzten Gesichtsausdruck zurück. „Wir wollen nur Party machen und keinen Herzinfarkt kriegen!“, motzte das rothaarige Monster los. „Hey, wir auch!“, gab Jack giftig zurück. „Aber das rechnet doch niemand damit, dass jemand mit derart schlechter Aura die Tür aufmacht!“ „Dann solltest du halt am besten nirgendwo mehr klingeln!“ Jack wollte die Tür schon wieder zuknallen, doch Nifen hinderte sie daran. Die Bandmanagerin hatte einen Gedankenblitz. Chibichi beugte sich derweil zu Abranka hinüber und flüsterte leise: „Echte Monster, nicht wahr?“ „Jepp.“ Die Muse nickte. Als Entitäten war es für die beiden natürlich kein Problem zwischen Schein und Sein zu unterscheiden, wenn es um überirdische, nicht-natürliche und dimensionsfremde Wesen ging. Beide zuckten mit den Schultern und beschlossen, den Dingen ihren Lauf zu lassen. Nifen hatte in der Zwischenzeit die Situation unter Kontrolle gebracht. Denn was war bitte schön ein Halloween-Konzert ohne vernünftige Monster? Und die Kostüme dieser drei waren derart gut, dass sie auf jeden Fall engagiert werden mussten. Nach zähen Verhandlungen standen den drei Monstern ein Berg Süßigkeiten und eine kleine Tüte Kaffeepulver zu. „Super!“ Nifen schlug in die Pranke des großen Killermonsters ein. „Und wie heißt ihr?“, fragte Easy neugierig aus dem Hintergrund. „Äh…“ Die drei Monster sahen sich an. „John“, hustete das Rothaarige. „Paul!“, kam es von dem Kleinen und „George!“, vervollständigte das Bestien-Monster die Runde. „Ah, ja.“ Chris zog eine Augenbraue wissend hoch, kommentierte die ganze Sache aber nicht weiter. Vielleicht steckten da ja irgendwelche sonst extrem konservativ-langweiligen Dorfhoheiten in den Kostümen, die ihr Hobby lieber nicht verraten wissen wollten. Alles lief prima – bis zum Konzert. Denn die drei Monster hatten noch nie ein Sorglospunks-Konzert erlebt und keine Ahnung von dem Wert der Improvisation der Sorglospunks. Sie sahen nur eins: Man durfte offenbar machen, worauf man gerade Lust hatte. Und das bedeutete, dass sich George mit lautem Gebrüll auf einen Zuschauer stürzte, der ihn ausgelacht hatte, und ihm den Kopf abreißen wollten. „George!“ John und Paul stürmten mit lautem Gekreische vor – was angesichts ihres Aussehens reichlich gruselig war – und wollten eingreifen, doch Nifen war schneller. Da sie ein Küchenschlossgespenst war – etwas Individualität musste schließlich sein – trug sie ein Nudelholz bei sich. Und eben dieses nutzte sie, um George außer Gefecht zu setzen. Benommen sackte das Dino-Monster zu Boden und sie lächelte den Zuschauern entschuldigend zu. „Er nimmt seine Rolle immer so ernst!“, rief sie und deutete auf das sich langsam wieder berappelnde Monster. Lachen und Applaus war die Antwort darauf. Die Sorglospunks selbst hatten von dem Zwischenfall nichts mitbekommen, denn immerhin waren sie gerade dabei, einen neuen Song zu improvisieren. „Oh, oh, oh, Komm doch mit zu unserer Monsterparty! Monsterparty, Monsterparty! Yeeeeheeeeheee Monsterparty!“ Nifen hielt das Nudelholz locker über der Schulter und allein dieser Anblick sorgte dafür, dass sich George mit einem verlegenen Lächeln trollte, um gemeinsam mit John und Paul zu der Musik abzurocken. So weit, so gut. Misstrauisch kniff die Managerin die Augen zusammen. Abranka war gerade mit Inspirieren beschäftig – aber Chibichi war greifbar. Und so sah sich der Teufel einige Sekunden später einer äußerst ungehaltenen und bewaffneten Bandmanagerin gegenüber. „Das sind echte Monster, oder? Keine verkleideten Menschen, nicht wahr?“ Chibichi warf einen kurzen Blick auf das Nudelholz, das von der Begegnung mit dem Monsterkopf eine Delle zurückbehalten hatte, und lächelte gewinnend. „Bingo. Keks?“ Chibichi hielt Nifen eine Packung mit Schokokeksen hin, die sie vor den Halloween-Kids in Sicherheit gebracht hatte. Nifen zuckte mit den Schultern und nahm einen Keks. Dann tappte sie ungeduldig mit der Fußspitze auf den Boden, um zu signalisieren, dass sie noch auf weitere Antwort wartete. „Na ja, es gibt da diese Monsterdimension. Die einzige Verbindung zu unserer Welt besteht über die Albträume. Eigentlich. Außer an Halloween. An Halloween können die Monster auch so in diese Welt hinüberkommen und unter den Menschen wandeln. Da fallen sie ja nicht auf, weil eh alle Welt verkleidet ist.“ Chibichi verschwieg an dieser Stelle lieber, dass die Monster bis Silvester in der Menschenwelt festhängen würden, wenn sie nicht rechtzeitig zurückkamen. Denn das Silvesterfeuerwerk vertrieb nicht nur symbolisch die Geister des alten Jahres, sondern gleichzeitig auch etwaige von Halloween zurückgebliebene Monster. „Und warum habt ihr uns nichts davon gesagt?“ Nifen knabberte an ihrem Keks. Einiges an Spannung war bereits von ihr abgefallen. Chibichi grinste. „Was glaubst du, was Easy und Chris dann getan hätten?“ Ihr Gegenüber legte nur den Kopf schief, ging diverse Szenarien gedanklich durch und grinste dann ebenfalls breit. „Okay, Punkt für euch zwei.“ „Und Jack hätte die drei verprügelt. Mit Sicherheit.“ „Zweiter Punkt für euch.“ Nifen hob die Hand und piekste Chibichi mit dem Zeigefinger auf die Stirn. „Dennoch mag ich es nicht, belogen zu werden.“ „Das ist ein Punkt für dich. Zusammen mit dem Nudelholz macht das dann unentschieden.“ Der Teufel zuckte die Schultern. „Und jetzt?“ „Na, wir sagen ihnen erst mal nichts. Was denn sonst?“ Nifen lachte. „Komm, wir feiern ne Monsterparty! Schalalala! Eine Monsterparty!“ Easy trällerte noch immer vor sich hin, als das Chaos im Garten langsam verschwand und eine gemütliche Sofarunde mit leckerem Kakao nach diesem rundum gelungenen Tag winkte. „Na los, Jungs! Jetzt gibt’s noch Kakao!“, rief Jack den drei Monstern zu, die langsam unruhig wurden. Immerhin war Halloween gleich zu Ende und sie mussten auf jeden Fall das letzte Dimensionstor nach Hause nehmen, sonst hingen sie in der Menschenwelt bis Silvester fest. Nicht, dass es hier nicht interessant und unterhaltsam und die Sorglospunks nicht supernett und lustig gewesen wären. Nein. Aber wenn man zu spät zurückkam, dann bedeutete das immer eine Wagenladung Ärger wie Albtraum- oder – im allerschlimmsten Fall – Halloweenverbot. „Äh, wir müssen langsam…“ Paul war es, der das Wort ergriff. George haderte immer noch ein klein wenig mit den Regeln in dieser Welt, die ihm den Nudelholzschlag eingebracht hatten. (Denn eine Regel lautete offenbar, dass man niemandem den Kopf abreißen durfte.) Und John hatte viel zu viel Gefallen daran gefunden, dem Bandmaskottchen Kiwi den Rücken zu kraulen, was diese ganz besonders toll fand, und bekam eh gerade nicht allzu viel mit. „Wieso das denn?“ Easy blickte das kleine geschuppte Monster mit ihrem besten Dackelblick an. „Weil es sonst Ärger gibt.“ Paul lächelte verlegen und ließ sein Haifischgebiss sehen. Jetzt blickte sogar John auf. „Er hat Recht. Das gibt riesigen Ärger, wenn wir zu spät kommen.“ Seine roten Haare standen ihm schlagartig regelrecht zu Berge. „Solch große Monster und so große Angst?“, spottete Jack. „Sind eure Ehefrauen so übel? Oder eure Mütter? Wer seid ihr überhaupt?“ „Äh… John, Paul und George?“, gab Paul zögernd zur Antwort. „Klar und ich bin Ringo.“ Jack rollte die Augen. „Also?“ „Jahack…“ Nifen zupfte die Bandvernunft, die sich gerade bedingt vernünftig verhielt, am Ärmel. „Ich glaube, wir sollten sie einfach gehen lassen.“ „Nö. Ich will das jetzt wissen.“ Das Multipercussionswunder stellte auf stur und sah die drei Monster an. „Also?“ „Na ja… Das letzte Dimensionstor bleibt nicht ewig geöffnet und wir müssen es erwischen, denn sonst sitzen wir hier bis Silvester fest und das ist zwar ganz toll bei euch, aber das gibt Zuhause Ärger, und wir wollen eigentlich keinen Ärger, sondern nächstes Halloween am liebsten wieder zu euch kommen und wieder mit euch so einen tollen Tag haben und wir werden auch im Internet verfolgen, wie es mit euch weitergeht, und uns alle Videos von euch angucken und…“, sprudelte Paul hervor. „Dimensionstor?“ Das war das einzige Wort, das die drei Sorglospunks von dem Ganzen aufgriffen. „Nö, ne?“ Jack schlug die Hand vor die Stirn. „Müssen wir etwa eure Welt retten?“ „Äh, nein, der geht’s gut.“ Paul machte große Augen, was reichlich unheimlich aussah. „Müssen wir unsere Welt vor euch retten?“, warf Easy ein und zitterte dabei ein wenig. „Äh, nein. Wir wollen ja nach Hause.“ John schüttelte den Kopf. „Uaaaaaaaa! Echte Monster!“, kreischte Chris und ließ sich nur von Nifen und dem Versprechen, dass sie das Nudelholz wieder einsetzen würde, falls ihn eines der Monster bedrohte, beruhigen. „Das war unser bestes Halloween“, sagte in diesem Augenblick George und lächelte in die Runde. Das war das erste Mal, dass sein Lächeln nicht bedrohlich wirkte. „Dürfen wir nächstes Jahr wiederkommen? Ich werde auch niemandem mehr versuchen, den Kopf abzureißen.“ „Na ja…“ Jack blickte in die Runde. Easy nickte beigeistert, da sie praktisch sofort wieder vergessen hatte, dass sie gerade noch etwas Angst verspürt hatte. Chris deutete auf Nifens Nudelholz: „Wenn das Nudelholz wieder dabei ist.“ Nifen, Abranka und Chibichi grinsten und nickten nur. Und Kiwis demonstratives Schnurren war ebenso eine eindeutige Antwort. „Ist gebongt! Nächstes Jahr feiern wir wieder eine Monsterparty!“ Jack strahlte die drei Monster an. „Komm, wir feiern ne Monsterparty! Schalalala! Eine Monsterparty!“ Kapitel 55: Easy on tour ------------------------ „Fernweh! Ohoohooo! Ich hab Fernweh! Gib mir Sonne, gib mir Strand, gib mir Cocktails in die Hand und einen wunderschönen kleinen Sorglospunkplaaaaatz!“ Easy hatte es sich samt Gitarre im Sessel des WG-Wohnzimmers gemütlich gemacht und trällerte sich den Winterblues von der Seele. „Schon wieder?“, fragte Nifen im Vorbeigehen Chris, der auf der Couch lümmelte und seine Gitarre polierte. „Sommers wie Winters, Frühling wie Herbst…“ Der Gitarrist und Komponist der Sorglospunks verdrehte die Augen. „Du weißt doch: Eine Tasse Kaffee hilft meist.“ Jack, ihres Zeichens Easys Zwillingsschwester und Multipercussionswunder, kam mit einem frisch aufgebrühten Kakao aus der Küche. „Ergo: Wenn’s dich stört, schalte es ab und gib ihr Kaffee.“ Grummelnd stand Chris auf, um eine Tasse Kaffee zu organisieren. Diese bescherte der wohl sorglosesten WG der Welt immerhin eine Pause von einer knappen halben Stunde. Dann legte Easy wieder los. „Fernweh! Ohoohooo! Ich hab Fernweh! Gib mir Meer, gib mir Sand, gib mir Sonne in die Hand und einen wunderschönen kleinen Sorglospunkplaaaaatz!“ „Na, dann unternimm doch was gegen dein Fernweh!“, schimpfte Chris, dem die sprichwörtliche Hutschnur platzte. Easy sah ihn empört an. „Sei doch froh, dass ich hier Songs schreibe!“ „Ja, sicher. Meine blutenden Ohren danken! Ich wiederhole es noch mal: Mach endlich was gegen dein verdammtes Fernweh! Ich kann das Gejammer nicht mehr hören!“ „Mache ich auch! Und die Songs kommen dann alle auf ein Easy-Solo-Album!“ Flugs sprang die Songwriterin auf und stürmte nach draußen. Jack und Nifen sahen sich an. „Fünf, vier, drei…“, zählte Jack, während Nifen trocken meinte: „Weiß sie, wie kalt es draußen ist? Und dass Schnee liegt?“ Jack grinste und zählte zu Ende. Einen Sekundenbruchteil nach der Eins wurde die Tür aufgerissen, eine durchgefrorene Easy griff nach Stiefeln, dicker Jacke, Mütze, Schal und Handschuhen und war dann auch schon wieder beleidigt von dannen gezogen. Bibbernd zog sich Easy den Schal enger um den Hals und die Mütze tiefer ins Gesicht. Und nun? Wieder rein auf keinen Fall! Also würde sie jetzt auch direkt losziehen. Ha, und einen Albumtitel hatte sie auch schon: Easy on tour. Die Gitarre über der Schulter marschierte Easy die Straße hinunter und aus der gemütlichen, wenn auch äußerst kleinbürgerlichen Siedlung heraus, in der das Sorglospunks-Ein-Familienhaus stand. Und wohin gehen? Na, das war doch wohl einfach… „Und ich gehe dorthin, wohin mich meine Füße tragen! Ja, ich gehe dahin, wohin mich meine Füße führen!“ Und in diesem Falle bedeutete das, dass es Easy in die idyllische Innenstadt des kleinen Örtchens verschlug. Tja, und was brauchte jedes herausragende Album? – Genau, einen politischen Protestsong. Und das war gleichbedeutend damit, dass Easy weiter zum Marktplatz marschierte und sich direkt vor dem Rathaus aufbaute. Darauf vertrauend, dass die letzte Dosis Inspirationsbonbons noch wirkte, haute sie in die Saiten und schmetterte los: „Hey, du, Politiker, du Redentier! Ich hab ne Meinung und die tu ich kund! Ich bin dagegen! Ganz egal, was du sagst! Ich bin dagegen, auch wenn du mich verklagst! Hey, du, Politiker, du Redentier! Mach dich weg von hier! Hey, ja, weg von hier! Denn ich, ich bin dagegen! Ganz egal, was du sagst! Ich bin dagegen, auch wenn du mich verklagst!“ Die hell erleuchteten Fenster des Rathauses öffneten sich und die Mitarbeiter blickten auf Easy hinunter. Gleichzeitig sammelte sich die unvermeidliche neugierige Menschenmenge um Easy. (Denn in jeder Stadt – sei sie auch noch so klein und selbst, wenn sie nur aus zwei Häusern besteht – lebt irgendwo dieses seltsame Tier namens Menschenmenge und kommt zu jedem möglichen Anlass heraus.) Und je größer die Menschenmenge wurde, desto inbrünstiger sang Easy ihr Lied. Schließlich kam der Bürgermeister, ein gemütlicher und beliebter Mann mittleren Alters mit einem gemütlichen Bauch und einem wenigstens ebenso gemütlichen Schnauzbart, aus der Tür des Rathauses und ging zu Easy. Selbstverständlich kannte er die Sängerin der Sorglospunks von diversen Feierlichkeiten und Auftritten, denn immerhin waren die Sorglospunks die berühmtesten Einwohner des Dorfes. „Hallo Easy“, sagte er freundlich, als sie das Lied mit einem großen Finale und einer vierfachen Wiederholung des Refrains beendet hatte. „Hallo Herr Bürgermeister.“ „Ein schönes Lied, wirklich. Sehr motivierend und aufrüttelnd. Nur: Wogegen bist du?“ „Oh.“ Schlagartig ging Easy auf, dass sie da etwas vergessen hatte. Aber sie wäre kein Sorglospunk gewesen, wenn sie sich nicht zu helfen wüsste und nicht improvisieren könnte. „Das ist ein universeller Protestsong. Der geht bei allen Gelegenheiten. Ganz egal, ob man gegen Atomkraft oder den Bau eines Bahnhofs ist. Dieses Lied funktioniert immer! Das ultimative Protestlied. Was ganz Neues!“ „Ah, ja.“ Der Bürgermeister kratzte sich am Kopf und war froh, dass seine kleine Tochter noch in dem Alter war, in dem ihre Welt aus Duplosteinen und Windeln bestand und noch keine wirren Ideen Einzug in ihren Geist gefunden hatten. „Möchtest du einen Kaffee trinken?“, fragte er daher. „Logo!“ Easy strahlte. Gratiskaffee war schließlich immer super. Und außerdem mochte sie den Bürgermeister – selbst wenn sie gerade gegen ihn protestiert hatte –, denn schließlich hatte sie ihn vor zwei Jahren auch gewählt. Gestärkt mit Kaffee und vollgefuttert mit einem ganzen Teller Schokoplätzchen zog Easy weiter. Schließlich hatte sie ja das Fernweh aus dem Haus gezogen und sie würde nicht eher umkehren, ehe sie das Heimweh packte. Sie setzte sich an die Bushaltestelle neben dem Rathaus und stieg in den nächsten Bus, der dort hielt. Hier drin war es immerhin viel wärmer und gemütlicher als draußen. „Unterwegs, unterwegs, unterwegs. Jaha, ich bin unterwegs. Fahre Meile um Meile, wandere Meter für Meter, denn ich bin unterwegs. Egal ob nach Nirgendwo oder gar nach Tokio, egal ob Stuttgart, Schwabenland oder gleich Berlin! Überall, da will ich hin! Unterwegs, unterwegs, unterwegs. Jaha, ich bin unterwegs.“ Zwei Haltestellen später warf sie der Busfahrer raus. Zwar tat er das mit der Anmerkung, dass er ihre Musik wirklich mögen würde und er das nur täte, weil keine Musik in den Fahrzeugen der Busgesellschaft gestattet war, aber nichtdestotrotz war Easy tödlich beleidigt. Der zweite Rausschmiss heute! Sie war ja wohl ganz eindeutig verflucht! Wenige Minuten später wusste Easy, wie sehr verflucht sie tatsächlich war. Das war ja eisig kalt! Und eine halbe Stunde Fußmarsch trennte sie noch von dem herrlich verlockenden – da es gleichbedeutend war mit warmen – Dorf. Das Fernweh wollte sie ja eigentlich in die andere Richtung ziehen, aber dort gab es kilometerweit nichts als leere Straße, Schnee, Eis und Kälte. Und das war natürlich etwas, was sie sich nicht antun wollte. „Oh, Fluch, du hast mich eingeholt! Dein eisiger Hauch friert mir am Bauch! Du killst mich noch, du kalter, kalter Killerfluch! Sehnsucht habe ich nach Sonne, Meer und Sand, nach Sommermärchen, Fußballschland! Oh, Fluch, du bringst mich um! Dein eisiger Hauch friert mir am Bauch und nicht mehr will ich noch als Gnade vor deinem Joch!“ Bald verstummte Easy allerdings, da es ihr auch zum Singen zu kalt war. Stattdessen schritt sie schneller aus, um sich warm zu halten – und um schneller wieder ins Warme zu kommen. Der Winter war aber auch eine blöde Zeit, um auf Tour zu gehen, das Zigeunerblut zu entdecken und dem Sonnen-Fernweh zu Fuß nachzugeben. Es dauerte tatsächlich rund 30 Minuten bis Easy die örtliche Kneipe – unweit des Marktplatzes – erreicht hatte. Wohlige Wärme umfing sie beim Eintreten. „Hallo Easy!“, begrüßte sie der Wirt von der Theke aus fröhlich. „Einen Kaffee bitte! Ich zahle mit Musik!“, rief sie zurück, was gutmütiges Lächeln unter den Besuchern hervorrief. Dass die Sorglospunks häufiger mal abgebrannt waren, war hier kein Geheimnis. Dass man sich aber auch immer auf die Band als Stimmungskanone verlassen konnte, war aber ebenso kein Geheimnis, und gemeinsam mit dem nahezu legendären Ruf der Sorglospunks – und besonders Jacks – im örtlichen Fußballverein sorgte das dafür, dass man den Bandmitgliedern stets mit Sympathie und Wohlwollen gegenübertrat. Ein Gratiskaffee bzw. ein Kaffee gegen Musik gehörte da quasi zum guten Ton. „Wo hast du den Rest gelassen?“, erkundigte sich einer der Fußballjungs, der an der Theke saß und an einem heißen Kakao nippte. Er spähte über Easys Schulter und hielt Ausschau nach Jack. „Zuhause auf dem Sofa. Sie wollten mein Fernweh nicht mehr ertragen.“ Ihr Tonfall machte nur allzu deutlich, dass sie noch immer beleidigt war. „Oh…“ Der Fußballer war einen kurzen Augenblick enttäuscht, beschloss dann aber, dass die Zwillingsschwester seines Schwarms auch gute Gesellschaft war. „Und dein Fernweh führt dich ausgerechnet hierher?“ „Nee!“ Easy schüttelte heftig den Kopf. „Ich bin auf Tour! Allerdings isses bei diesem Wetter echt ätzend, wenn man weder Auto noch Privatjet hat. Von daher bin ich nur bis hier gekommen.“ „Hier ist dein Kaffee.“ Der Wirt schob ihr den dampfenden Becher herüber. „Musik gibt’s danach“, sagte Easy strahlend, schloss die Hände genüsslich um die heiße Tasse und atmete den heißen Kaffeedampf genüsslich ein. Der Abend verlief lustig und unterhaltsam. Nachdem Easy ihre neusten Solo-Songs – inklusive des ultimativen Protestsongs – vorgetragen hatte, improvisierte sie gemeinsam mit ihrem Publikum. Resultat waren Zeilen wie „Ich trinke Kaffee nie mit Latte, Salz und Pfeffer, nur mit Milch und Zucker!“ oder „Spaghetti am Morgen, Spaghetti am Mittag, Spaghetti am Abend, Spaghetti inner Nacht! Oh ja, ich bin ein Spaghettitier! Ja, euer Spaghettitier!“ Und ganz am Ende, da musste Easy dann doch feststellen, dass es Zuhause immer noch am allerschönsten und besten war. „Das Fernweh, ja, das Fernweh, das ist weg. Doch Heimweh habe ich, Heeeeeiiiimweeeeeeh! Nach Kaffee, Katze, Tee und Bett! Ganz besonders nach Kaffee, Katze, Tee uuuuuund Beeeeeett!“ So zog Easy zufrieden, matt und nur noch ein winziges bisschen beleidigt zurück nach Hause. Kapitel 56: Verborgen in der Kristallkugel ------------------------------------------ „Ob man echt in die Zukunft sehen kann?“, überlegte Easy, während die Sorglospunks auf dem trostlosen Jahrmarkt in ihrem heimatlichen Dorf im Schwabenländle standen. Sie starrte auf das Wahrsagerzelt, auf dem Madame Osmerta den ultimativen Blick in die Zukunft versprach. „Probier es aus“, sagte die Bandmanagerin Nifen trocken. „Aber bitte von deinem eigenen Geld“, fügte Jack, Easys Zwillingsschwester, hinzu. Schließlich musste die ohnehin äußerst leere Bandkasse nicht noch von Easys Eskapaden geschröpft werden. „Das ist doof“, schmollte die Sängerin und Frontfrau. „Nein, nur gerecht“, grinste Gitarrist Chris, der seine letzten Euronen für einen großen Bausch Zuckerwatte ausgegeben hatte. Die Bandmuse Abranka naschte hin und wieder etwas davon, aber ihr konnte Chris natürlich nicht böse sein. „Na gut. Ich will doch wissen, was die Zukunft bringt“, sagte Easy nach einiger Zeit des Zögerns und Zauderns schlussendlich und betrat entschlossen das Zelt. Nifen winkte Abranka, der Songwriterin zu folgen. Schließlich wusste man nie so genau, was geschah, wenn Easy irgendwo allein hinging, und die Bandmuse konnte sie auf ihrer fliegenden Wolke vollkommen ungesehen – da unsichtbar – begleiten. Im Inneren des Zeltes war es düster und stickig warm, obwohl draußen noch die gewöhnlichen Januartemperaturen von etwas über Null Grad Celsius herrschten. Schwummriges Licht und wilde Muster aus Sternen, Federn und Flügeln auf den Zeltwänden sorgten für eine unheimliche Stimmung. „Wie toll“, flüsterte Easy leise. Abranka grinste und sah sich neugierig um. Das Zelt besaß tatsächlich etwas Übernatürliches. Vielleicht war das hier ja eine echte Wahrsagerin. So etwas gab es tatsächlich, selbst wenn diese normalerweise nicht mitten in der Pampas jenseits des Rio Spätzle auftauchten, um dort für drei Euro in die Zukunft zu blicken. Allerdings war in der Nähe der Sorglospunks ja quasi nichts unmöglich und von daher wollte Abranka das lieber nicht ausschließen. Madame Osmerta entpuppte sich als junge Griechin mit matronenhafter Figur, schwarzen Haaren, strahlendweißen Zähnen und gigantischen goldenen Kreolen, die ihr bis auf die Schultern baumelten. Sie saß an einem kleinen Klapptisch, der unter einer schwarzen Tischdecke mit einem flirrenden Silbermuster verborgen war, und auf dem eine große glänzende Kristallkugel lag. „Setz dich!“, rief sie aus, als Easy zur ihr kam, und deutete auf den Stuhl ihr gegenüber. Gehorsam ließ sich Easy nieder und musterte die Wahrsagerin aufmerksam. „Du besitzt also den Mut, in den Fluss der Zukunft zu schauen“, raunte Madame Osmerta geheimnisvoll und blickte Easy tief in die Augen. „Mut? Was hat das denn mit Mut zu tun?“, fragte Easy skeptisch. „Nun, die Zukunft ist ein gefährliches Wasser“, lachte die Wahrsagerin meckernd. „Du kannst darin untergehen und ertrinken.“ Easy zuckte zusammen. Tod durch Ertrinken war etwas, das sie als absolut grauenhaft empfand. Sie schauderte. „Oder aber du kannst Kraft finden, die Welt aus den Angeln zu heben.“ Easy strahlte. Das klang doch weitaus besser. „Oder du wirst sehen, dass dein Leben klein und nutzlos ist und vergeht wie eine verdorrenden Blume in der Wüste: ohne Sinn und Verstand und ohne irgendetwas zu hinterlassen.“ Jetzt runzelte die Sorglospunksmitbegründerin die Stirn. „Hey, wollen Sie mir etwas über die Zukunft erzählen oder mir Angst machen? Ich kann nämlich auch ansonsten in die Geisterbahn gehen. Das ist unterhaltsamer!“ Nun war es Abranka, die grinsen musste. Als wenn sich Easy so einfach einwickeln ließ. Allerdings musste die Muse auch zugeben, dass die Wahrsagerin eine gute und professionelle Show ablieferte. Sie klang angemessen düster und geheimnisvoll. „Mein liebes Kind“, Madame Osmerta plusterte sich zu ihrer vollen Größe von rund einem Meter neunzig auf, „du solltest vorsichtig sein. Die Wasser der Zukunft sind tief. Es sind nur gut gemeinte Warnungen, die ich dir mit auf den Weg gebe.“ „Ja, ja, ja.“ Easy winkte ab. „Sie klingen wie meine Schwester. Entweder fangen wir jetzt an oder ich gehe – und ich erzähle dann allen, dass es keinen Spaß macht, zu Ihnen zu kommen. Ich bin in einer Band, wissen Sie. Und wir sind hier in der Region recht bekannt.“ Die dunklen Augenbrauen der Wahrsagerin wanderten nach oben und in ihre Augen trat ein unguter Glanz. Abranka sauste an Easys Schulter und raunte leise: „Ich glaube nicht, dass das gerade eine gute Idee war… Du hast sie verärgert.“ „Na, dann fängt sie wenigstens endlich mal an!“, moserte Easy zurück und gab sich keine Mühe, leise zu sprechen. „Konzentriere dich auf die Kugel. Wir beginnen.“ Sofort war Easy Feuer und Flamme und starrte gehorsam in die Wahrsagekugel. Nebel füllte diese aus und wogte in dicken Schlieren hin und her. Schatten zogen vorbei, schienen fester und dunkler zu werden und lösten sich wieder in graues Wohlgefallen auf. „Die Zukunft besitzt unendlich viele Möglichkeiten. Du wirst hier und jetzt einige davon zu Gesicht bekommen“, sprach die Wahrsagerin mit dramatischer Stimme. „Selbstverständlich wird auch deine unsichtbare Begleiterin all das sehen können, was du siehst.“ Abranka zuckte zusammen. Madame Osmerta hatte sie bemerkt? Das war nicht gut. Gar nicht gut. Ihre inneren Alarmglocken schrillten. Das hier, das war vielleicht einen der Moiren! Und das war gar nicht gut. Oh nein, wenn Easy tatsächlich eine der Schicksalsgöttinnen verärgert hatte, dann war das überhaupt nicht gut! Und zwar ganz egal, welche von den dreien es war. Verärgerte man eine der Schicksalsschwestern, dann verärgerte man alle – und meist auch gleich noch die entfernten Cousinen Parzen, Nornen und Zorya. „Was auch immer geschieht, Easy, sei respektvoll“, flüsterte Abranka der Sorglospunksfrontfrau eindringlich ins Ohr. „Das meine ich ernst!“ Easy war zu fasziniert von der Kristallkugel, um die Muse anzusehen, aber diese hoffte, dass sie dennoch zu dem sorglosen Wesen vorgedrungen war und etwas mehr Vorsicht ausgelöst hatte. Allerdings war sie auch realistisch genug, um zu wissen, dass man bei Easy eigentlich immer mit dem Unerwarteten rechnen musste. „Schließ deine Augen, Easy“, sagte Madame Rosmerta. „Schließ deine Augen und sieh die Zukunft.“ „Aber wie soll ich denn dann sehen, was in der Kugel passiert?“, fragte Easy verwirrt. Dass die Wahrsagerin sie bei ihrem Namen nannte, obwohl sie sich gar nicht vorgestellt hatte, fiel ihr gar nicht auf. „Oh, das wirst du. Das wirst du. Und auch Abranka wird mit dir zusammen alles sehen können. Zwei zum Preis von einer – das ist mein Angebot heute für euch.“ Ihr entfuhr ein meckerndes Lachen, das die junge Frau weitaus älter klingen ließ, als sie aussah. Abranka rann ein kalter Schauder über den Rücken und am liebsten hätte sie Easy gepackt und wäre mit ihr aus dem Zelt geflohen. Für einen Augenblick hatte sie einen Blick auf die unsterbliche und übernatürliche Gestalt der Wahrsagerin erhalten. Uralte Augen, strähnige Haare und eine wissende Aura waren die netteren Dinge, die sie gesehen hatte. Ihre Vermutung war richtig: das hier war eine der Moiren, der Schicksalsgöttinnen. Und dummerweise durfte man denen nicht davonlaufen, wenn sie einem die Ehre einer Audienz gewährten. Easy schloss nach einem weiteren Augenblick des Zögerns die Augen. Auch Abranka tat es ihr gleich, obwohl sie dabei ein richtig, richtig, richtig schlechtes Gefühl hatte. Die Moire lächelte und bewegte ihre Hände in einem komplizierten Muster über der Kristallkugel. Schleier aus Schatten und Dunkelheit lösten sich aus der Kugel und erfüllten allmählich den Raum. „Gehen wir in das Morgen…“, die Stimme von Madame Osmerta erklang in der Dunkelheit, die Easy und Abranka umgab. „Folgt mir.“ Gehorsam stiefelten sie beide hinter der Wahrsagerin her durch die Dunkelheit. Allmählich wurde es heller und das erste, was Easy sagte, war: „Hey, warum sitzt du nicht auf deiner Wolke?“ Abranka zuckte mit den Schultern. „Sie existiert hier wohl nicht.“ „Ich wusste gar nicht, dass du so groß bist.“ „Und ich nicht, dass dir eine Toga steht.“ „Was?“ Easy blickte erstaunt an sich herunter. Ebenso wie Abranka trug sie eine griechische Toga und bis zu den Knien geschnürte Sandalen. „Na klasse, dann habe ich morgen eine Erkältung und kann nicht mehr singen.“ Sie seufzte tief. Jack würde sie dafür umbringen. „Ähem.“ Madame Osmerta hüstelte demonstrativ, um die Aufmerksamkeit der beiden wieder auf sich zu lenken. „Seht!“, sagte sie dann dramatisch und deutete mit ausgebreiteten Armen auf die Szene vor ihnen. Sie standen vor dem hübschen Ein-Familien-Haus der Sorglospunks. Die Farbe blätterte zwar von dem Haus ab und es sah gefühlte hundert Jahre älter aus, als es derzeit war, aber es war definitiv ihr Haus. Die Haustür öffnete sich und eine alte Frau mit Rollator kam heraus. „Denk daran, Easy“, brüllte eine kratzende Stimme der Oma nach, „dass du auch Katzenfutter kaufst! Kiwi die 10. braucht auch was zu Essen!“ „Halt doch die Klappe!“, kreischte Easys altes alter Ergo zurück. Die Augen der jungen Easy wurden groß. Wenn sie alt war, sollten sie alle noch immer genauso leben? Was war denn mit Luxus und Durchbruch und so? Neben der alten Easy wurde jetzt eine Musenwolke sichtbar, auf der eine nicht erkennbar gealterte Abranka saß und Socken strickte. Leise fluchte sie vor sich hin, während ihr eine Masche von der Stricknadel fiel. Es war offensichtlich, dass sie sich langweilte und nichts lieber wollte, als auf den Olymp zurückzukehren. Soweit ihr Gesichtsausdruck das nicht bereits deutlich aussagte, so tat es spätestens die große Flagge neben ihr, auf der in großen Buchstaben stand: Zurück zum Olymp! „Das würdest du tun?“, fragte die junge Easy verletzt und blickte die Muse ohne Wolke an ihrer Seite an. Diese schüttelte den Kopf und zuckte gleichzeitig die Achseln. „Ich weiß ja nicht, was da passiert ist…“ Schließlich hatte sie schon einige ihrer Schützlinge irgendwann verlassen, wenn diese sie nicht mehr gebraucht hatten. „Och, kein Drama“, warf Madame Osmerta ein. „Es gibt noch andere Möglichkeiten.“ Sie schnippte mit den Fingern und alle drei fanden sich in einer neuen Szene wieder. Die Welt ging unter. Ein gigantischer Vulkan ragte mitten in der Wohnhaussiedlung des kleinen Dorfs empor und spuckte gewaltige Qualmwolken in den düsteren Himmel. Easys und Abrankas Augen wurden groß. „Woooaaaah! Was ist das?“, entfuhr es der Sängerin. „Ihr habt die falschen Leute verärgert und konntet euren Kopf nicht schnell genug aus der Schlinge ziehen.“ Madame Osmerta lächelte auf eine giftige Art und Weise. „Denn nicht immer ist euch das Glück hold und immerhin habt ihr euch mit Hermes einen Gott zum Feind gemacht… Was für eine dumme Idee.“ Sie hob den Zeigefinger warnend. „Auf Dauer kriegt ihr so echte Schwierigkeiten.“ „Hey, Hermes hat sich über Kleinkram aufgeregt!“, empörte sich Easy. „Und?“ Die Wahrsagerin zuckte mit den Schultern. „Äh, Easy, du solltest über die Götter wissen, dass sie genug Zeit haben, um aus einer Lappalie ein verdammt großes Drama zu machen.“ Abranka starrte auf den Vulkan, der nun Lava spuckte und das hübsche Sorglospunks-Heim in den rotglühenden Fluten zerstörte. „Gehen wir weiter.“ Madame Osmertar schnippte erneut mit den Fingern. Ein Krankenhaus erwartete sie dieses Mal. Chris, Nifen, Abranka und die Bandfreundin Chibichi saßen auf dem Flur und warteten. Von Ungeduld war allerdings wenig zu spüren, spielten sie schließlich mit äußerst großer Begeisterung Karten. Die Gegenwart-Easy und die Gegenwart-Abranka blickten sich an. Zukunfts-Jack und Zukunfts-Easy waren nicht dabei, was Böses ahnen ließ. Sie gingen einen Raum weiter und platzten mitten in eine Geburt hinein. „Iek!“ Vor Schreck schlug Easy die Hände vor die Augen. „Ist doch schon vorbei.“ Abranka tätschelte ihr ruhig die Schulter, woraufhin Easy vorsichtig blinzelend die Augen wieder öffnete und sich umsah. Kurz darauf sackte sie ohnmächtig in dem Armen der Muse zusammen. Ihr zukünftiges Ich hielt gerade Zwillingsjungs in den Armen und ihr zur Seite stand einer von Jacks Fußballjungs. Doch damit nicht genug: Auch die Zukunfts-Jack hatte gerade Zwillinge entbunden – allerdings Mädchen – und neben ihrem Bett stand mit dem klassischen Vaterstolz in den Augen ebenfalls einer der Dorf-Fußballjungs. „Och, wecke sie auf. Das Schönste gibt es doch noch zum Abschluss.“ Die Wahrsagerin schüttelte den Kopf und murmelte etwas von „Warum warne ich die Leute wohl, hm? Empfindliche Sterbliche…“ Ein Fingerschnippen später standen die drei in der angekündigten letzten Szene. Easy kam langsam wieder zu sich und blickte sich misstrauisch um. Sie rechnete jetzt mit allem. Vor allem mit grauseligen Überraschungen. Ganz so schlimm wie der letzte Blick in die Zukunft war es nicht. Die Sorglospunks lagen in Gefrierkapseln. Deren Zähler sprang gerade auf Null und die Kapseln öffneten sich. Alle fünf– natürlich waren Nifen und das Bandmaskottchen Kiwi mit dabei – wurden aus dem Kryogenierungsschlaf geweckt und mit einem großen Hei-ho von einem Haufen Ärzte wieder ins Leben zurückgebracht. „Willkommen im Jahr 4.000!“, wurden die Vier begrüßt. „Wie geil!“, sagte Easy. „Wir erleben das Jahr 4.000!“ Abranka nahm das eher gelassen auf. Als Muse hatte sie schon einige Jahrtausende auf dem Buckel und von daher gab es eher keine Zweifel, dass sie auch dieses Jahrtausend erleben würde – ausgenommen natürlich, sie schaffte es, vorher umgebracht zu werden. Madam Osmerta brachte die beiden zurück in die Gegenwart. „Wir werden sehen, was du gelernt hast, Easy. Und wir werden sehen, was du begriffen hast, Abranka.“ Die beiden schauten die Wahrsagerin an und wollten noch mit Fragen hervorsprudeln, aber ihr Gegenüber wandte sich einfach ab und verschwand hinter einem Vorhang. Als Easy dort nachschaute und ihr nachrufen wollte, war Madame Osmerta bereits verschwunden. „Und jetzt?“, fragte Easy, während sie hinausging und Abranka auf ihrer Wolken neben ihr herschwebte. „Wir leben weiter. Und du vergisst am besten nicht, was du heute gesehen hast. Die Moiren gewähren einem Menschen selten eine Audienz.“ „Na, was habt ihr erfahren?“, erkundigte sich Jack neugierig, denn die drei hatten natürlich draußen gewartet. Nifen und Chris waren auch sofort ganz Ohr. „Dass die Zukunft noch nicht feststeht und alles möglich ist. Echt alles.“ Easy schauderte ein wenig. „Und dass man nicht die falschen Leute verärgern sollte…“ Kapitel 57: Die Reise ins Chris‘ -------------------------------- „Hilfe!“, gellte Nifens Stimme durch die Sorglospunks-Residenz mitten im schönen Schwabenländle. Während die Sorglospunks-Zwillingen Jack und Easy augenblicklich in Richtung Managementbüro stürmten, kam ihnen Kiwi entgegengeschossen. Das katzige Bandmaskottchen hielt nicht viel davon, sich im lauten Chaos aufzuhalten und wenn die sonst so gelassene Nifen schon laut schrie, dann stand das Chaos nicht nur vor der Tür, sondern war schon unbemerkt durch die Hintertür oder eine Fußbodenritze eingedrungen. Abranka, die Bandmuse, zischte auf ihrer Wolke an den Zwillingen vorbei und sauste mit eingezogenem Kopf dicht unter dem Türrahmen hindurch in das Büro. Die Bandmanagerin Nifen stand mit hilflos wedelnden Armen neben dem Computer, vor dem der Gitarrist Chris hockte. Im ersten Moment hofften sie noch darauf, dass der Streit um den schnellen Rechner mal wieder etwas eskaliert war, doch Nifens Worten ließen anderes ahnen: „Er sagt nichts! Ich habe ihn angestoßen und er reagiert nicht. Er macht gar nichts mehr!“ Abranka flog etwas näher und hielt Chris die Hand vor die Nase. „Doch, er atmet.“ „Na, immerhin“, gab Nifen sarkastisch zurück. „Aber… aber…“, keuchte Easy hektisch. „Was machen wir denn jetzt?“ „Einen Arzt rufen“, schlug die Bandvernunft Jack vor, die gewohnt ruhig blieb. „Ich glaube nicht, dass das ein Fall für einen Arzt ist.“ Abranka wedelte mit der Hand vor Chris‘ Gesicht herum. „Das sieht mehr nach einem magisch-übersinnlichen Problem aus.“ „Wie kommst du darauf?“, erkundigte sich Nifen. Magisch-übersinnlich klang noch immer nicht gut, aber auf jeden Fall besser als die Vorstellung, dass Chris ernsthaft krank war und einen Gehirnschlag erlitten hatte oder so. „Instinkt.“ Abranka zuckte mit den Schultern. „Außerdem hat er gerade diese komische Homepage da offen.“ Sie deutete auf den Monitor. Die zwei verbliebenen Sorglospunks und ihre Managerin beugten sich vor den Bildschirm. ‚Die Reise ins Ich – explorieren Sie sich selbst und entdecken Sie Ihr Innerstes!‘ stand dort in wabernd grünen Lettern auf einem dunkelblauen Hintergrund. „Klingt nach einem Fall für Hime“, murmelte Jack. Die Bandfreundin und Hexe Himeka war schließlich die Universalhilfe der Sorglospunks und hatte sicher irgendein Ass im Ärmel, mit dem sie ihnen weiterhelfen konnte. „Und Chiiii rufen wir auch an!“, rief Easy, die immer auf die gewaltigen Kräfte des Teufels zählte. Gesagt, getan. Eine Viertelstunde später flitzte Himeka auf ihrem Besen Jensen durch das Fenster ins Büro. Die Vier hatten sich nämlich nicht getraut, Chris zu bewegen, sondern ließen ihn sicherheitshalber erst einmal dort sitzen. Auch Chibichi tauchte kurz darauf auf und warf gemeinsam mit Himeka einen nachdenklichen Blick auf den außer Gefecht gesetzten Sorglospunk. „Reise ins Ich, hm?“ Chibichi legte die Stirn in Falten und fuhr sich durch die roten Haare. „In der Tat.“ Himeka kratzte sich den Nacken. „Klingt nach einem Zweifronteneinsatz.“ „Sehe ich genauso.“ „Gut.“ Chibichi grinste, während sie sich den vier ungeduldig wartenden Freundinnen zuwandte. „Himeka holt was, womit ihr Chris vor Ort helfen könnt. Und ich werde in der Zwischenzeit mal sehen, was ich über den Autor dieser Homepage herausfinden kann, denn da sind so einige Dämonenflüche im Spiel. Und zwar verdammt alte Flüche.“ Sie runzelte die Stirn. „Klingt nicht gut“, sagte Nifen trocken. „Nein, gar nicht gut.“ Der Teufel schüttelte den Kopf. „Ich mache mich schon mal an die Arbeit.“ Sie nickte kurz und zog dann ihr Hell-o-Berry aus der Tasche, um einige Mails zu schreiben und ein paar Leute anzubrüllen. Normalerweise funktionierte das schließlich. Während Chibichi ihre höllische Basis – mit Kiwi auf ihren Knien, da die Katze den Teufel abgöttisch liebte – im Wohnzimmer aufgebaut hatte, machten sich die Sorglospunks und Himeka in Nifens Büro breit. Matratzen waren auf dem Boden verteilt worden und Himeka hatte jedem der Vier eine Schlafbrille in die Hand gedrückt. „Ich werde euch gleich mit einem Hypnosemator beschießen. Eure Hypnosesensoren – die Schlafbrillen da – werden diesen verstärken und die Signale in eure Gehirne schicken. Dann wirke ich einen Verbindungszauber, der euch in Chris‘ Verstand hinein bringt. Wenn irgendetwas ist und ihr raus wollt, müsst ihr das Losungswort sagen. Es lautet Petunie.“ „Petunie? Warum nicht Kaffee oder Kiwi?“, erkundigte sich Jack. „Weil es etwas sein muss, dem ihr in eurem Alltag nicht allzu oft begegnet, denn sonst ruft ihr es ganz schnell aus und seid schwups wieder bei mir und wir dürfen noch einmal von vorne anfangen. Alles klar?!“ „Jupp.“ „Passt schon.“ „Fang an.“ „Ready!“ Die Vier legten sich hin und ließen sich von Himeka in Chris‘ Ich hineinkatapultieren. Sie landeten mitten im Nirgendwo an einer Kreuzung. „Ah, ja, und hier finden wir also mal eben Chris‘ Selbst, ja?“, fragte Jack mit ätzender Stimme. „Klang irgendwie einfacher…“, murmelte Abranka, die tatsächlich ohne Wolke materialisiert war und mit ihren antiken Sandalen laufen musste. „Ich hätte Turnschuhe anziehen sollen“, fügte sie mit einem Blick auf ihre Füße hinzu. „Ach, meckert doch nicht. Auf geht’s.“ Easy strahlte in die Runde. „Und wohin?“, erkundigte sich Nifen. „Wohin sollen wir gehen?“ „Na, den Schlappen nach. Ist doch logisch.“ Die Sängerin der Sorglospunks deutete mit ausgestrecktem Finger auf ein Paar fußleere Schlappen, die wenige Meter von ihnen entfernt den Pfad entlangschlappten, der in eine dunstige Ferne führte. Die anderen sahen sich an, zuckten mit den Schultern und entschieden sich, Easys Vorschlag geschlossen anzunehmen, denn einen besseren hatten sie schlichtweg nicht zu bieten. Also folgten sie den Schlappen. Kurz darauf begann Easy zu singen: „Mit nem Affen auf der Schulter und nem Bier in der Hand, ziehn wir weiter, immer weiter, bis dahin ins ferne Land!“ Der Weg zog sich lang und eintönig in leichten Windungen über eine triste Ebene aus totem Gras. Der Himmel war schmutziggrau und verbesserte ihre Stimmung nicht gerade. Nunmehr schweigend stapften sie dahin. „Lauft!“ Urplötzlich brüllte Easy dieses eine Wort in die Leere hinein und sprintete los. Ohne nur einen Gedanken an den Grund dafür zu verschwenden, rannten Nifen und Abranka ihr hinterher. Jack dagegen warf einen Blick zurück und wollte wissen, was los war. Nur einen Wimpernschlag später folgte sie ihren Freundinnen. Diese Bestie, die sie da gerade jagte, war wirklich nicht hübsch. Sie sah aus wie ein Alien aus der berühmten Filmreihe, das mit Fell bedeckt war und Ballons hinter sich herzog. „Nicht umdrehen! Rennen!“, presste Easy aus ihren angestrengten Lungen hervor. „Da vorne ist ein Abgrund!“, kreischte Abranka entsetzt, als sie einen Hügel hinabhetzten und das schwarze Loch sichtbar wurde. „Prima! Wir müssen fallen!“ „Du bist doch bescheuert, Easy!“ Jack besaß kaum noch Luft, um diese Worte herauszupressen. „Vertraut mir!“ Mit einem energischen Satz sprang Easy in das schwarze Loch hinein. Auf den Lippen hatte sie den wilden Kampfschrei der Sorglospunks: „Aufi!“ Mit geschlossenen Augen sprang Abranka hinterher, dann kam Nifen, die fassungslos in das Nichts unter sich starrte und noch während sie fiel, gar nicht glauben konnte, dass sie gerade tatsächlich gesprungen war. Jack machte eine Vollbremsung. Kies und Sand polterten hinab und verloren sich nach Sekundenbruchteilen im dunklen Nichts. „Hey!“, schrie sie hinter den Dreien her, doch der Schall verlor sich so schnell, dass sie noch nicht einmal mehr Easys Schrei hören konnte. Der Boden dröhnte und das befellte Alien war fast heran. Geifer tropfte ihm von dem aufgerissenen Mal mit den scharfen Zähnen. „Oh, verdammt!“ Mit geschlossenen Augen und einem gellenden Schrei auf den Lippen sprang sie. Wider Erwarten landete Jack weich. Sie saß in einem Haufen Federkissen und wühlte sich langsam daraus hervor. Easy, Nifen und Abranka hockten unweit entfernt. „Boah, Easy! Woher wusstest du, dass wir nicht sterben würden???“, fragte Jack atemlos. Langsam rappelte sie sich auf und ging zu den anderen. „Typisches Traumpanorama. Man landet als erstes an einem komischen Ort, dann rennt man vor was Fiesem weg und dann fällt man.“ Easy zuckte die Schultern. „Ist dir das noch nie aufgefallen?“ Jack schüttelte den Kopf und fuhr sich durch die Haare. „Und was kommt jetzt?“ „Na ja, jetzt kommt Stufe 2, was bedeutet, dass vermutlich irgendetwas Skurriles passieren wird, das wir ganz normal finden.“ „Und das bedeutet, wir sind unserem Ziel etwas näher gekommen.“ Nifen grinste. „Das Biest vorhin war quasi die erste Verteidigungslinie.“ „Supi. Ich weiß gar nicht, ob ich die nächste kennenlernen will“, gab Abranka zur Antwort. „Kopf hoch, Muse. Wir brauchen dich für die guten Ideen, wenn Easys Intuition nicht mehr reicht.“ Freundschaftlich tätschelte Nifen ihr den Rücken. „Also, wir haben die Wahl zwischen dem Dschungel da hinten, dem komischen Schloss da vorne und, dem Raumschiffding auf der anderen Seite.“ Jack knautschte die Stirn. „Easy, was meinst du?“ „Ist egal. Passieren wird es überall.“ „Dann das Raumschiff!“, rief Abranka aus. „Das sieht aus wie die Enterprise!“ „War ja klar.“ Jack rollte mit den Augen. „Du bist dir schon darüber im Klaren, dass du Schuld an der Anwesenheit dieses Raumschiffes hier bist, weil es bei dir in letzter Zeit immer nur Star Trek hier, Star Trek da, Star Trek juchie, Star Trek juchei heißt?“ „Na und?“ Die vier Mädels zogen los und betraten alsbald das Raumschiff. „Schnell, wir müssen den Warpkern abwerfen!“ Umeko, Chris‘ japanische Freundin, gekleidet in eine Sternenflottenkapitänsuniform, stand auf einmal vor ihnen. „Äh, was?“ Jack und Nifen guckten perplex, während Abranka über beide Ohren strahlte und Easy der Traum-Umeko um den Hals fiel. „Umeko! Schön, dich zu sehen.“ „Ja, ja, und jetzt los, Kadetten!“ Damit stürmte die Sternenflotten-Umeko davon und in Ermangelung anderer Möglichkeiten folgten sie ihr. Wie aus dem Nichts trugen sie auf einmal Kadettenuniformen. „Wo sind denn die anderen alle?“, fragte Abranka schnaufend, als sie kurz nach Captain Umeko im Maschinenraum ankamen. „Die Crew hat das Schiff bereits verlassen. Die Borg entern das Schiff. Wir müssen noch den Warpkern abwerfen, ehe wir weg können.“ Umeko begann hektisch auf einer Bedienungstafel herumzuhacken. „Äh… Und warum soll der Warpkern abgeworfen werden? Können wir nicht einfach das Schiff in die Luft jagen? Selbstzerstörung und so?“, erkundigte sich Nifen. „Na, deswegen werfen wir den Warpkern ja ab“, sagte Umeko und begann über technische Details zu sprechen, die selbst Abranka nicht mehr nachvollziehen konnte. „Kurz gesagt: Der Warpkern jagt das Borg-Schiff in die Luft, ja?“, fasste Abranka die Situation schließlich zusammen. „Exakt. Und jetzt helft mir!“ „Aye!“ Abranka war sofort Feuer und Flamme und nahm sich Bedienungstafeln vor, die sie noch nie zuvor von Nahem gesehen hatte, aber die sie nun perfekt bedienen konnte. „Nifen, kalibrier die Phasergewehre neu, damit wir uns gegen die Borg wehren können!“, brüllte Umeko. Schlagartig war es laut geworden. Es schien, als wenn eine mechanische Armee durch das Schiff stapfte. „Wenn ich den Energiekontrollkonverter quer mit der Phasenvarianz von Pi-Drittel hoch acht verbinde und eine energetische Rückkopplungsschaltung in gegenseitiger Verknüpfung mit Energieausstoß und dem vertikalen Zielfinder auf Basis der Junktionstheorie erzeuge, dann müsste das gehen!“, rief Nifen über den Lärm zurück und machte sich an die Arbeit. Easy bibberte vor Angst und wartete auf das erste fertig kalibrierte Gewehr, während Jack die Augen rollte. „Absurd“, murmelte sie leise. „Alles total absurd.“ Auch als die ersten Borg durch die Tür marschierten und Easy das Feuer eröffnete, fand Jack es nicht weniger absurd, schnappte sich jedoch ebenfalls ein Gewehr und deckte die todbringenden Aliens mit dichtem Energiefeuer ein. „Macht schneller!“, schrie sie Captain Umeko und Abranka zu, die sich nahezu überschlugen. „Warpkern ist ausgestoßen!“ Umekos Stimme drang kaum durch den Kampflärm. Dann verschwand die Welt in dem gleißenden Licht der Explosion. „Boah, ey. Nie wieder!“, schimpfte Jack, als sie sich auf einer friedlichen Lichtung in einem wildwucherndem unberührten Wald wiederfanden. „Was nie wieder?“, fragte Nifen keck. „Träume! Aliens! Star Trek!“ Jack wollte noch weiter zetern, brach dann aber ab, als sie sah, dass sie nicht mehr allein waren. „Chris! Endlich!“ „Oh, ihr hier?“, erkundigte sich der Gitarrist überrascht. „Können wir nach Hause gehen? Irgendwie hab ich mich hier verirrt.“ „Klar.“ Easy grinste breit und ehe die anderen auch nur den Versuch machen konnten, Details zu der Situation zu verlangen, rief sie auch schon: „Petunie!“ Die Sorglospunks erwachten in Nifens Büro. „Chris!“ Easy war als erstes auf den Beinen und fiel ihm um den Hals. „Äh, was war eigentlich los? Ich hab doch nur geträumt, oder?“, fragte Chris verwirrt und streckte dann seine steifen Arme. „Autsch.“ „Nein, du warst eher… weggetreten“, erklärte Himeka vergnügt, die sorgfältig über die Sorglospunks gewacht hatte. „Und warum?“ „Na, das wüssten wir auch gerne“, warfen Abranka und Nifen unisono ein. „Ich hab zumindest eine Spur gefunden“, kam es von Chibichi, die die fröhliche Rückkehr hatte hören können und herüber gekommen war. „Du hast eine Homepage geöffnet, die mit Dämonenflüchen bedeckt ist. Ziemlich kompliziertes, gemeines Zeug, die den Nutzer bei Aktivierung – ich wette, du hast da ein paar Sachen angeklickt – in seinem Innersten einsperren. Warum weiß ich leider nicht. Was war es denn, was du gesehen hast?“ „Ein wilder, sehr urwüchsiger Wald voller Tiere und – logischerweise – Pflanzen. Da waren Wölfe, Bären und Luchse.“ Chris’ schauderte. Jack meinte dazu trocken: „Klingt nach einem Verfechter von ‚Zurück zur Natur‘.“ „In der Tat.“ Chibichi zog die Nase kraus. „Ein paar radikale Umweltschützer vertreten ja die Ansicht, dass die Menschheit ausgeschaltet werden muss, damit die Natur eine Chance hat. Und es wäre durchaus logisch, die Menschen nach und nach in sich selbst einzusperren und dort mit der idealen Natur zu konfrontieren… Ich werde mal meine dämonischen Kontakte darauf ansprechen. Und immerhin haben wir einen Namen: Shirokko.“ „Na, aber wir müssen dieser Shirokko ja nicht unbedingt noch einmal wiederbegegnen…“, meinte Easy und lächelte. Für sie war alles jetzt vorbei. „Wer weiß, wer weiß…“, murmelte Abranka leise und schaute Chibichi an. In den Augen des Teufels las sie die gleiche Ahnung, die auch sie verspürte. Kapitel 58: One, two, three, four --------------------------------- Jack musterte von der Bühne aus das Publikum. Da war reichlich viel Leder im Spiel. Leder, gemischt mit einigen Portionen Lack, mal mit Schnüren, mal mit Nieten, mal mit Spitze und mal auch mit etwas Pelz. Sie seufzte leise. Warum konnten sie nie irgendwo auftreten, wo es eher normal war? Sie zupfte ihren Schottenrock zurecht und setzte eine grimmige Miene auf. Wehe, Nifen oder Easy würden versuchen, sie in solch ein grauenhaftes Outfit zu stecken! Sie fand schließlich ihren schicken Schottenrock mit der noch schickeren engen Korsage richtig toll und punkig. Die Drummerin der Sorglospunks nahm hinter ihrem Schlagzeug Platz und wartete auf das Startsignal. Ihre Zwillingsschwester Easy zappelte bereits hinter dem Mikrofon herum und machte noch einige Streckübungen, während ihr Gitarrist Chris sein Instrument liebevoll streichelte. Die Bandmanagerin Nifen stand neben dem Inhaber der ‚Pforten der Dunkelheit’ und nickte einige Male ernst. Dann gingen die Scheinwerfer an und der Spaß begann. Das Publikum verschwamm vor Jacks Augen und sie blinzelte mehrfach, um ihre Sicht wieder klar zu bekommen. Wahrscheinlich wurde hier auch noch komisches Zeug geraucht. Zur Betäubung oder so, um noch viel tollere Dinge mit Peitschen, Ketten und heißem Wachs anstellen zu können. Jack verdrehte die Augen. Dann klopfte sie sich verwirrt auf das rechte Ohr. Easy sang doch jetzt nicht wirklich so einen Unsinn, oder? Doch, tat sie. „One, two, three, four One, two, three four Five, six, seven Five six, seven Eight, nine, ten, eleven Eight, nine, ten, eleven Twelve, twelve, twelve!” Und das auch noch zur Melodie des klassischen Volksliedes ‚Bruder Jakob’. Jack war vollkommen verwirrt. Vor allem, weil das Publikum vollkommen begeistert mitging und auch noch bei der fünfzehnten Wiederholung des Textes aus vollem Halse mitsang. Infantil. Alle infantil und verrückt geworden. Garantiert. Jack wurde heiß. Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn und blinzelte wieder in Richtung Publikum. Bildete sie sich das ein oder waren sie alle näher gekommen? Und warum sahen die alle so komisch und bedrohlich aus? „Mörder!“, gellte es aus der ersten Reihe. Aber dort hatte niemand gesprochen. Nein. Eine Lederjacke hatte auf Schulterhöhe einen Mund bekommen und brüllte. Die Nieten sahen dabei wie kleine Hörner aus. Bei der Person daneben kamen die Worte aus einer Öffnung auf dem Oberschenkel, bei dem nächsten waren es die ledernen Stiefel. „Mörder!“ Und immer näher kamen sie, die ledergekleideten Gestalten, deren Kleidung auf einmal lebendig geworden war und die Menschen, die in ihnen steckten, wie Marionetten fortbewegten. „Mörder!“ Jack schrie auf. „Hey, sie ist wieder da!“ Easy seufzte erleichtert. „Was?“ Jack fegte das nasse Handtuch, das auf ihrer Stirn gelegen hatte, beiseite und setzte sich ruckartig auf. „Was ist los? Hier war…“ Sie erstarrte. Sie saß neben der Bühne auf dem Boden. Easy, Nifen und Chris kauerten neben ihr. „Die Korsage war zu eng geschnürt. Du hast dich selbst ausgeknockt“, erklärte Nifen. „Oh Gott…“ Jack sackte zurück und schloss die Augen. „Ich wird aber trotzdem Veganer…“, murmelte sie und dachte mit Schaudern an die brüllenden Lederklamotten zurück. „Alles in Ordnung?“, erkundigte sich besorgt der Wirt, der in einer besonders engen Lederhose steckte. Jack schaute ihn an, erkannte in den Kniekehlen Falten, die aussahen wie ein Mund und schrie erneut auf. „Veganer! Sowas von Veganger!“ Chris schüttelte den Kopf, während Easy mit dem Zeigefinger eine kreisende Bewegung an der Schläfe machte. Hoffentlich war Wahnsinn nicht ansteckend… Kapitel 59: Mit Vollgas ----------------------- Die fünfzehnjährige Easy hibbelte nervös hinter der Bühne herum. Sie mochte Schulaufführungen nicht besonders, aber irgendwie hatte ihr Klassenlehrer es geschafft, alle Schüler der 9b mit einigen fiesen Tricks und Drohungen dazu zu bringen, teilzunehmen. Gemeinsam mit ihrer Zwillingsschwester Jack und Chris, die beide in die 9a gingen, hatte sie entscheiden, eine Punkband zu gründen. Am schlimmsten war die Namensfindung gewesen. Von die Anti-Untoten über die Eintagsfliegen bis Namenlos Glücklich und Schlafanzugfabrik war alles dabei gewesen, aber hängen geblieben waren sie letztlich an diesem: Sorglospunks. Das Songwriting hatte sich dagegen recht einfach gestaltet; zumindest aus Jacks Sicht: Sie hatte ihrer Zwillingsschwester einfach einen Kugelschreiber und einen Block in die Hand gedrückt und gesagt: „Easy, du bist ab sofort unser Songwriter. Immerhin ist die Bandsache auf deinem Mist gewachsen.“ Chris grinste dazu nur und kommentierte, dass er gerne zu Easys Texten komponieren würde. Immerhin: „Bin ich ja das Musikgenie von uns.“ Selbstredend, dass Jack ihm eine Kopfnuss dafür gab. Aber so war die Arbeitsteilung in der Band schon einmal vorprogrammiert: Easy schrieb, Chris komponierte und Jack motivierte, stutzte zurecht oder brachte Verstand in die Runde. Die Schulaufführung war nun ihr Debüt als Sorglospunks. „Hey, Easy, wird schon.“ Jack grinste und klopfte ihrer Zwillingsschwester beruhigend auf die Schulter. Sie selbst empfang die gleiche Nervosität, behielt sie aber lieber für sich, da sie damit Easy nur noch mehr aufgestachelt hätte. Chris streichelte versunken seine Gitarre und ging in Gedanken noch mal die richtigen Griffe durch. Immerhin spielte er erst seit knapp einem Jahr und hatte noch nie vor Publikum auf der Bühne gestanden. Jack tätschelte ihr Schlagzeug und ließ die Sticks um die Finger kreisen. Ihr Song war nicht schlecht. Von gewissen Standpunkten aus betrachtet. Aber interessant würde es definitiv werden. Und dann ging der Vorhang hoch. Scheinwerferlicht blendete sie. Easy räusperte sich und quietschte ins Mikro: „Hallo Schwabenland! Wir sind die Sorglospunks! Und wir rocken drauf los!“ Sie hob die Hand und Chris startet mit einem gewaltigen Gitarrenriff, in das Jack mit dem Schlagzeug einstieg. Easys Blick glitt hektisch über das Publikum, während sie sich an ihren Songtext zu erinnern suchte. Wie war der noch mal? Ach, was interessierte schon der Songtext? Sie konnte doch auch improvisieren! „Hey, du! Hey, hey, hey du! Ja, genau, du! Dich, dich, mein ich! Hab ich’s dir, dir, dir, dir denn schon gesagt? Ich liebe deinen rosaroaten Pokemonschlafanzug!“ Irgendwo im Publikum kicherte eine Muse auf Urlaub vor sich hin und schnappte sich ihr überirdisches Handy um mit der Musenzentrale auf dem Olymp in Kontakt zu treten. „Oh, das war so geil, so geil, so geil, so geil!“, jubelte Easy hinter Bühne und sprang mehrfach hintereinander in die Luft. „Geilomat, geilomat, geilomat!“, rief Chris aus und legte einen wilden Tanz mit seiner Gitarre hin. Jack lachte lauthals und konnte sich kaum noch einkriegen. „Das ist wie ne voll neue Welt zu finden!“, kreischte sie übermütig. „Yeah! Mit Vollgas in das neue Leben!“ „Mit Vollgas auf die Bühne!“ „Mit Vollgas sind wir Sorglospunks!!!“ Kapitel 60: Falsch verbunden ---------------------------- Das Telefon klingelte. Easy war die erste, die es in die Finger kriegte und flötete fröhlich hinein: „Villa Sorglospunks, Easy am Apparat!“ „Zwei Salami-Pizza und eine Lasagne zur…“ „Hier ist keine Pizzeria! Hier sind die Sorglospunks!“ „Hä? Aber ich will Pizza!“ „Gibbet hier nicht! Hier gibbet nur die beste Band der Welt!“ „Die kenne ich nicht. Ich will Pizza bestellen…“ „Falsch verbunden!“ Easy legte auf und schüttelte den Kopf. Leute gab es… Das Telefon klingelte. Dieses Mal war Jack, Easys Zwillingsschwester, als erste am Apparat. „Ja? Jack hier?“ „Müller-Meier-Schmidt hier. Ich brauche einen Termin für den fünfzehnten…“ „Äh… Falsch verbunden?“ „Was? Ist da nicht die Praxis von Dr. Hasenzahn?“ „Neihein!“ „Aber ich habe doch die Praxis angerufen. Ist denn heute schon der erste April?“ „Neihein! Sie sind hier bei den Sorglospunks und unsere Art von Terminen wollen Sie nicht. Sie sind falsch verbunden.“ „Aber ich habe doch…“ „Falsch verbunden!“ Jack legte kopfschüttelnd auf. Das Telefon klingelte. Chris wühlte sich aus den Tiefen der Gitarrenpoliturmeditation hervor und klemmte sich den Hörer unters Kinn, während er sein heißgeliebtes Instrument weiter polierte. „Jau?“ „Wer ist da?“ Die schrille Stimme ließ ihn zusammenschrecken. „Chris. Und Sie sind?“ „Ich will aber die Lisa sprechen!“ „Hier ist keine Lisa.“ „Aber ich hab die Lisa angerufen. Holen Sie die Lisa!“ „Nee… Hier ist keine Lisa!“ „Veralbern Sie mich nicht! Ich hab die Lisa angerufen, also holen Sie die Lisa!“ „Sie haben sich verwählt!“ „Nein, ich will die Lisa…“ „Falsch verbunden!“ Chris drückte frustriert und kopfschüttelnd den roten Knopf und brach die Verbindung ab. Das Telefon klingelte noch zehnmal, aber da jedes Mal die gleiche Nummer angezeigt wurde, nahm Chris nicht mehr ab. Das Telefon klingelte. Bandmanagerin Nifen hob mit einem Lächeln auf den Lippen ab. Schließlich hatte sie mal gelesen, dass das Gegenüber am anderen Ende des Hörers das Lächeln hören konnte, auch wenn es das nicht sah. „Nifen, Bandmanagerin Sorglospunks. Hallo.“ „Guten Tag, Nifen. Sie haben gewonnen! Alles, was Sie dafür noch tun müssen, ist…“ „Ich habe aber kein Gewinnspiel mitgemacht.“ „Nun, für Ihren Gewinn von 100.000 Euro müssen Sie nur noch…“ „Hallo? Ich habe kein Gewinnspiel mitgemacht!“ „Aber deswegen rufe ich Sie ja an. Sie müssen nur noch…“ „Ich bin mit dem Teufel befreundet, wissen Sie? Es ist eine schlechte Idee, mir so einen Unsinn andrehen zu wollen.“ „Aber für die 100.000 Euro müssen Sie nur…“ „Nehmen Sie uns lieber von Ihrer Liste. Wirklich. Ansonsten schicke ich Ihnen den Teufel mal vorbei. Mit Pech und Schwefel und so. Sie wissen schon. Die verspeist Seelen wie Ihre zum Abendessen.“ Es wurde aufgelegt. Nifen stellte das Telefon kopfschüttelnd bei Seite. „Easy, was macht der neue Song?“, rief sie Richtung Wohnzimmer. „Sekunde! Chris, zwo, drei, vier…“, klang es zurück. Dann schallte Easys Stimme durch das Haus. „Klingelingeling! Klingelingeling! Telefon, oh, Telefon, oh Telefon! Wer ist denn nun wieder dran? Die besten Freunde aus Berlin, der hochersehnte Lottogewinn? Nein, es ist nur wieder falsch verbunden! Falsch verbuuuuundeeeen! Ich bin wieder Pizzadienst, noch Praxis, noch XYZ, noch Idiot! Ruf mich nur an, wenn du nen Sorglospunk willst! Ohoohooo! Ruf mich nur an, wenn du nen Sorglospunk willst!“ Kapitel 61: Eine Frage von Respekt? ----------------------------------- Abranka, die Muse der Sorglospunks, hatte Post bekommen. Easy, ihres Zeichens Frontfrau und neugierigstes Element der sorglosesten Band der Welt, schielte der Muse über die Schulter, als diese den Brief öffnete. Siegel, Papier und goldene Schrift deuteten daraufhin, dass es Post vom Olymp war. Etwas, das äußerst selten vorkam, denn normalerweise erhielt Abranka einfach nur Nachrichten über ihr Musentelefon. Mit gerunzelter Stirn las sie und sagte dann: „Ein Musenlehrgang, zu dem ich gehen muss.“ Sie seufzte. „Ihr müsst also die neuen Songs alleine basteln.“ „Wie??? Ohne dich geht das doch nicht!!!“, entfuhr es Easy. Abranka lächelte dem aufgeregten Sorglospunk beruhigend zu. „Doch, doch, du schaffst das.“ „Jack! Chris! Nifen! Abranka muss weeeeheeeeeg!“, heulte Easy da aber auch schon. Die zwei anderen Sorglospunks und die Bandmanagerin eilten zu den beiden und ließen sich kurz erzählen, was los war. „Das sind nur zwei Tage“, beruhigte Managerin Nifen die drei sorgenvollen Sorglospunks. Easy war besorgt, weil sie ohne Inspiration sicher noch weniger Songs zu Papier bringen würde als ohnehin. Jack war besorgt, weil sie Easy dann ja noch mehr würde treten müssen als ohnehin schon immer. Und Chris war besorgt, dass es darüber zwischen den Zwillingsschwestern zu Streit kommen würde, der ihn wiederum daran hindern würde, in Ruhe seine Gitarre zu polieren oder mit seiner Freundin Umeko zu chatten. „Abranka kommt danach doch wieder und alles ist gut. Das ist nicht viel anders, wie wenn Lenn zu einer seiner Tagungen geht.“ „Und da ist er übrigens seit zwei Wochen wieder und ihr habt das gar nicht mitgekriegt“, ergänzte Abranka Nifens Worte trocken. Der Lehrgang mit dem großen Thema ‚Respekt’ fand wie üblich im Tagungscenter des Olymps statt. Abranka musste ja zugeben, dass sie lieber bei ihren Sorglospunks geblieben wäre, anstatt sich diesen – meist – Unsinn anzutun, aber es gab leider diese schrecklichen Pflichtveranstaltungen, die man nicht schwänzen durfte. Abranka kannte niemand von anderen Musen, also gab es vielleicht gab nette neue Bekanntschaften zu machen. Die Leiterin des Seminars, Dike, die Personfikation der Gerechtigkeit, betrat den Raum und begrüßte ihre zehn Schützlinge. „Hallo zusammen, ich bin Dike und werde mit euch in den nächsten zwei Tagen das Thema Respekt bearbeiten. Wir werden uns dabei die theoretische Seite ansehen, dann eure praktische Erfahrung und schließlich erörtern, wie man eure Arbeitsumstände vielleicht verbessern kann.“ Sie lächelte in die Runde. Wie auch die zehn Musen war Dike in eine lange Toga gewandet und trug hochgeschnürte Sandalen. Ihre schwarzen Locken waren zu einer aufwändigen Hochsteckfrisur frisiert. „Ich bin Spencer und arbeite als Muse für einen Doktoranden der Erziehungswissenschaften“, fing die erste Muse an – er gehörte zu den wenigen männlichen Musen. „Marcia, Muse einer erfolglosen Malerin.“ „Diana, Muse einer sehr erfolgreichen Sängerin.“ „Shinya, Muse eines sehr erfolgreichen japanischen Sängers.“ Shinya schielte zu Diana hinüber, die kurz antwortete: „Amerikanische Sängerin.“ Im gleichen Metier verortete man sich ja gerne. „Tain, Muse einer Fanfiction-Autorin.“ Tain verzog das Gesicht etwas und signalisierte mehr als deutlich, dass sie ihren Job offenbar derzeit nicht besonders mochte. „Stefano, Muse eines erfolgreichen deutschen Produzenten, Songwriters und so weiter mit einem schrecklichen Englisch.“ Wieder eine männliche Muse und er rollte demonstrativ die Augen. Abranka fühlte sich auf einmal mit ihren Schützlingen sehr glücklich. „Eurestia, Muse einer Autorin.“ Eurestia lächelte fröhlich in die Runde und machte einen recht ausgeglichenen Eindruck. Damit war sie die erste. „Kira, Muse eines Krimiautors.“ „Darcy, Muse eines Blumenzüchters.“ „Blumenzüchter?“, entfuhr es Tain. „Sowas geht auch?“ „Natürlich. Kreativität ist ja nicht auf Malen, Schreiben und Singen begrenzt.“ „Oh, ich sollte umschulen!“, stieß Tain hervor. „Abranka, Muse der deutschen Band Sorglospunks.“ Sie hielt nichts davon, ihre Schützlinge zu anonymisieren. Wer wollte, konnte eh problemlos herausfinden, wer für wen zuständig war. „Erfolgreiche Band?“, erkundigte sich Diana neugierig. „Regional ja, der Rest kommt sicher noch.“ Abranka lächelte sie zuversichtlich an. „Ach ja…“, seufzte Diana. „Die glücklichen Zeiten des Anfangs. Die vermisse ich am meisten.“ „Nun, lasst uns mit einer Sache beginnen: Empfindet ihr Respekt für eure Schützlinge? Gebt einfach nur Handzeichen. Bitte die Hand heben für Ja“, forderte Seminarleiterin Dike sie auf. Vier Hände gingen hoch. Sechs hoben sich bei Nein. Abranka sah die sechs neugierig an. Ihre Hand hatte sie bei Ja gehoben, da sie allen ihren Schützlingen großen Respekt entgegen brachte. Sie waren sehr verschieden, sehr aktiv und interessant. Es machte Spaß, mit ihnen zu arbeiten und es war schön, mit ihnen befreundet zu sein. Wenig überraschend hatte sich Fanfiction-Muse Tain bei Nein gemeldet; die anderen waren Shinya, Diana, Kira, Marcia und Stefano. Interessanterweise all die Musen, die einen eher unzufriedenen Eindruck machten. „Und jetzt hebt die Hand, ob ihr das Gefühl habt, dass eure Schützlinge euch respektieren. Wer sagt Nein?“ Es waren wieder die gleichen sechs, die die Hände hoben. Doch jetzt sprach Dike sie direkt darauf an. „Woher kommt dieses Gefühl?“ „Sie macht grauenhafte Dinge aus Ideenfunken. Ich will gar nicht wissen, wie oft ich Misshandlungen, Vergewaltigungen, Mary Sues, schlechte Rechtschreibung, einen wirklich grauenhaft undurchdachten Plot und undurchdachte Charaktere, die vollkommen OOC sind, auf die Menschheit losgelassen habe.“ Tain schlug die Hände vors Gesicht. „Es macht keinen Spaß mehr! Und ich habe das Gefühl, dass sie einfach nur Unsinn zusammenklöppelt und die Schuld immer auf mich abwälzt. Sie schreibt bei jedem zweiten ihrer Minikapitel, dass ihre Muse an den abgedrehten Ideen schuld ist! Ich bin es leid, schuld zu sein!“ Die anderen nickten verständnisvoll. Ja, das konnte jeder von ihnen nachvollziehen. „Er ist kreativ“, setzte Shinya an, „aber er macht mir auch das Leben schwer. Ich stehe unter ständigem Druck und muss immer liefern, liefern, liefern. Es muss immer etwas Neues sein. Ein neues Lied, ein neuer Film, eine neue Frisur, am besten alles gleichzeitig und jetzt sofort. Ich bin einfach müde… Und habe das Gefühl, dass meine Arbeit nicht wirklich geschätzt wird, sondern selbstverständlich ist.“ „Geht mir genauso“, fügte Diana hinzu. „Vor allem Frisuren und Kleider machen mich wahnsinnig. Das ist so schrecklich viel!“ Marcia schimpfte über schlechten Stil und unappetitliche Bilder, Kira über den ewig gleichen Plot, aus dem sie ihren Autor einfach nicht herausbekam und Stefano über die erfolgreichen, wenngleich einfach schlechten und gleich klingenden Lieder, die sein Schützling hervorbrachte. Während sie über diese Aspekte diskutierten, die ihr Empfinden von Respekt beeinflussten, konnte sich Abranka nicht das Gefühls erwehren, dass sie in einem glücklichen Musen-Paradies lebte. Sicher, die Sorglospunks machten es ihr manchmal nicht einfach. Gerade bei den Spontanimprovisationen auf der Bühne musste sie immer alles geben, aber dennoch war es abwechslungsreich. Außerdem war sie ein Teil der Sorglospunks-Familie und nicht eine Angestellte, die dort nur ihren Job machte. Nein, sie gehörte dazu. Und das Gefühl hatten wohl viele ihrer Kolleginnen und Kollegen nicht. Na ja, über das Ergebnis ihrer Inspiration konnte sie sich manchmal nur den Kopf schütteln, aber dennoch gefiel es ihr. Außerdem war das Ergebnis ja immer die Sache desjenigen, den man inspirierte. Man konnte niemandem die spezielle Umsetzung einer Idee aufzwingen. In der Pause gesellte sich Abranka zu Eurestia. „Machst du deinen Job gerne?“ „Ja.“ Sie grinste Abranka fröhlich an. „Ich darf mit allen möglichen Plotbunnys spielen und mein Schützling ist für alles Mögliche offen. Sicher, manchmal geht sie mir mit ihren Deadlines auf die Nerven und es ist anstrengend, ihr irgendwelche Ideen noch einmal langsam ein zweites Mal zu erzählen, damit sie mit Schreiben nachkommt, wenn es doch viel spannender wäre, schon wieder eine neue Idee anzugehen.“ Eurestia hob die Schultern. „Hey, aber es macht Spaß. Wir werfen uns die Bälle zu und das ist wirklich selten. Ich möchte jedenfalls keinen anderen Schützling haben. Und du?“ „Ich könnte mir keinen besseren Job wünschen.“ Abranka lächelte. „Die Band macht mir Spaß, weil sie anders und sehr lebhaft ist. Und Abenteuer gibt es auch. Wie könnte ich da Langeweile haben oder das Gefühl, dort keinen Respekt zu erfahren? Wir sind Freunde, eine Familie…“ „Bei mir ist es aber ähnlich. Manchmal haben wir Probleme mit der Dissertation und das Projekt läuft jetzt eigentlich viel zu lange, aber ich kann ihn zu so vielen tollen Dingen inspirieren und ich mag seine Aufsätze und Ideen. Es ist schön, mit ihm zu arbeiten, weil er alles durchdenkt, auch wenn er sich dabei manchmal im Weg steht.“ Spencer hatte sich zu ihnen gesellt. Auch Darcy gab in diesem Gespräch nun ihren Senf dazu: „Ich liebe Blumen. Ich bin immer unheimlich gespannt auf das, was er als nächstes tut und was das Ergebnis unserer gemeinsamen Arbeit sein wird. Ich habe das Gefühl, mit jeder einzelnen Pflanze wertgeschätzt zu werden. Und genau das stecke ich dann wieder in meinen Job. Ich liebe ihn einfach!“ Genau diese Worte wiederholten sie alle vier schließlich in der Runde und sorgten damit für Unmut und Diskussionen bei den anderen sechs. „Ich mag das Ergebnis ja auch! Aber die Art der Arbeit… Die Arbeitsbedingungen“, jammerten Shinya und Diana. Stefano, Tain und Marcia dagegen betonten, dass man als Muse doch auch das Ergebnis mögen musste, wenn man schon all seine Energie mit hineingesteckt hatte. Dazu kamen auch die Arbeitsbedingungen und das Gefühl, einfach nur eine Selbstverständlichkeit und ein Ideen-Sklave zu sein. Kira dagegen hatte das Problem, dass sie einfach keine neuen Ideen an ihren Schützling durchgeben konnte. Am Ende kochte er aus ihnen immer das gleiche Süppchen nach Schema F, das sogar seinen Lesern langsam auffiel. Kira verzweifelte langsam daran, neue Ideen zu finden, und verlor den Mut, sie ihm noch vorzuschlagen. „Ich glaube, die Frage von Respekt stellt sich in zweierlei Hinsicht“, sagte Abranka nach der zweiten Pause. „Wie meinst du das?“, erkundigte sich Dike neugierig. „Nun… Wie du am Anfang schon deutlich gemacht hast, empfinden wir oder empfinden keinen Respekt für unsere Schützlinge – und sie umgekehrt oder eben nicht. Aber wenn man jemandem keinen Respekt entgegen bringt, kann man auch keinen erwarten. Wenn ich die Arbeit von jemandem nicht mag, kann ich sie schlechtreden oder aber ich kann sagen ‚Okay, ich mag es nicht, aber ich respektiere, dass du deine Kraft hineingesteckt hast und es dir am Ende gefällt.’ Sicher, das macht uns unseren Job nicht einfacher.“ Sie beugte sich vor und blickte ihren Kolleginnen und Kollegen nach und nach ins Auge. „Jemand muss damit anfangen. Und da wir darüber reden, wäre es eine gute Sache, wenn wir damit anfangen. Unsere Arbeit ist ja doch auch eine besondere Dienstleistung. Und eine Dienstleistung wiederum bedeutet auch zuvorkommend zu sein. Und wenn jemand mit seinem Schützling nicht zurechtkommt, dann besteht ja auch immer die Möglichkeit, sich versetzen zu lassen. Ich meine, es bringt ja nichts, für jemand Erfolgreiches zu arbeiten, den und dessen Arbeit man letztlich nicht ausstehen kann. Was bringen die Extrapunkte für die gute – da erfolgreiche – Arbeit, wenn man unglücklich ist?“ Demonstrativ lehnte sie sich zurück. „Sicher, ich habe leicht reden, weil bei mir alles zusammenpasst. Und dennoch ist das meine Sicht der Dinge.“ Natürlich ging daraufhin empörtes Geplapper los. Am Ende des Tages war mehr als die Hälfte der Musen nicht wirklich in Stimmung, beim Abendessen mit Abranka zu reden. Damit konnte sie aber gut leben. Mit Eurestia, Stefano und Kira hatte sie nette Gesprächspartner gefunden, die ihren Argumenten sehr zugänglich gewesen waren und diese unterstützten. „Wie hast du dieses gute Verhältnis zu deinen Schützlingen aufgebaut?“, erkundigte sich Diana am zweiten Tag. Nachdem sie die Nacht über Abrankas Worte hatte schlafen können, hatte sie zumindest wohl darüber nachgedacht. „Weil wir viel zusammen durchgemacht haben.“ Abranka lächelte. „Wir sind zusammen in die Hölle hinabgestiegen, haben die Konkurrenz geschlagen, unsere Fehde mit den Furien, hatten mit Werwölfen zu tun, waren bei den Marsupilamis, sind durch die Literaturwelt und die Märchenwelt gereist, haben Nifens Ace of Base-Phasen überstanden, akuten Geldmangel, akuten Kaffeemangel, und schlechte Kritiken… Wir sind zusammengewachsen.“ „Du hast Anteil genommen“, stellte Shinya fest. „Genau. Sie sind meine Freunde und meine Familie geworden. Und somit…“ „…hast du Respekt.“ Tain nickte. „Ich mag meinen Schützling ja eigentlich auch. Nur ihre Geschichten…“ „Dann inspiriere sie doch dazu, mal was anderes zu lesen und vielleicht auf andere Gedanken zu kommen“, warf Kira ein. „Ich werde das mal mit meinem versuchen. Und ihn nach draußen kriegen, um etwas mehr von der Welt zu sehen.“ „Gute Idee.“ Dike grinste in die Runde. „Und ich stimme Abranka zu: Wenn ihr euren Job wirklich nicht mehr leiden könnt, dann lasst euch versetzen. Ihr leidet, euer Schützling leidet. Und am Ende geht es niemandem von euch gut. Tut das weder euch noch eurem Schützling an. Habt Respekt vor euch selbst und euren Bedürfnissen.“ Respekt war eben auch eine Frage von Gerechtigkeit. Jetzt begriff Abranka, warum Dike für dieses Seminar ausgewählt worden war. Wieder daheim fiel ihr Easy als erstes um den Hals. „Abranka, Abranka, Abranka! Toll, dass du wieder da bist.“ „Sie hat einen Song für dich geschrieben“, sagte Jack und grinste so breit, dass es der Bandmuse ein wenig unheimlich wollte. „Genau! Komm, Chris und ich spielen ihn für dich.“ Das Wohnzimmer wurde spontan zur Sorglospunks-Bühne und kurz darauf scholl Easys Stimme durchs Haus: „Ideenlos, ideenlos, ohne meine Muse bin ich nur ideenlos. Kein Satz passt aufs Papier, kein Wörtchen find ich hier. Ich bin nur ideenlos, ideenlos. Oh, Muse, bleib doch bei mir! Ich brauch dich hier! Bist mein Freund, meine Inspiration, ohne dich find ich keinen Ton!“ Kapitel 62: Gut gemeint = gut? ------------------------------ Für Nifen. Gut gemeint = gut? Eine kranke Muse war nie ein Grund zur Freude im Hause Sorglospunks. Noch weniger war dies der Fall, wenn es draußen mehr als 30°C im Schatten waren und eine schlechtgelaunte Muse mit einer Kanne Kamillentee, einer großen Flasche Wasser, einer Ladung Tabletten, einem Haufen Taschentücher, einem Ventilator und viel Husten und Schniefen auf dem Sofa hockte. „Habt ihr die Glücksbärchis schon laufen lassen?“, fragte Jack, das temporäre Bandgenie, leise ihre Zwillingsschwester. Easy nickte und ihr kurzer, dunkelbrauner Pferdeschwanz wippte bei der Bewegung auf und ab. „Direkt als erstes. Aber es hilft nichts! Sie ist immer noch mies drauf und ihr geht es nicht gerade besser...“ Die quirlige Sängerin schüttelte sorgenvoll den Kopf. „Und jetzt?“, klinkte sich Chris ein und spähte neben den Schwestern durch die Wohnzimmertür Richtung Sofa. Von dort hörte man leises Schniefen, dann ein kräftiges Husten und ein dumpfes „Ich hasse es!“ „Disney. Rauf und runter.“ Easy hob die Schultern. „Und hoffen, dass es ihr bald besser geht.“ „Oh Mann, so schlecht ist sie ja sonst nie drauf, wenn sie krank ist...“, seufzte Jack. Sie strich sich über den festen Dutt, zu dem sie heute ihre dunklen Haare hochgesteckt hatte. Immerhin war es schweinewarm und dann waren warme Haare im Nacken wirklich einfach nur eklig. „Na, sie ist ja auch nicht nur krank“, mischte sich die Bandmanagerin Nifen ein, die das Gespräch ihrer drei Schützlinge gehört hatte. „Da ist noch diese männliche Muse aus ihren wöchentlichen Inspirationstrainings und...“ „Oh. Verliebt.“ Jack zog die Augenbrauen hoch und Easy machte große Augen, dann quietschte sie: „Wie schööööön!“ „Schön?“ Chris, dank Umeko äußerst erfahren, was die tiefen Krisen der Verliebtheit anging, schnitt eine Grimasse. „In welcher Phase ist sie? Doch wenigstens Phase 2, oder?“ Wissend strich er sich über seinen kurz geschorenen, dunklen Kinnbart. „Phase?“, echoten Jack und Easy. „Nun, Phase 1 ist die selige Verliebtheit mit viel Glück und so. Ich würde mal sagen, das haben wir nicht. Eher Phase 2, die tiefe Krise mit Verzweiflung, Zweifeln, Vermissen und irriger Hoffnung wider aller Hoffnung. Phase 3 ist dann wahlweise die glückliche Erfüllung, die dann in Liebe übergeht, oder aber das Scheitern und die noch tiefere Krise mit Heulkrämpfen, Herz rausreißen und so.“ „...also, mir macht das Angst!“, entfuhr es Easy. „Wenn das so weitergeht...“ „Ich sehe unsere neuen ungeschriebenen Songs alle verschwinden...“, murmelte Jack. „Und Abranka noch mehr leiden“, fügte Easy mit einem vorwurfsvollen Blick Richtung Schwester hinzu. „Nun, wir können ihr dabei wohl kaum helfen“, stellte Nifen trocken fest. „Nur zuhören und so.“ „Pöh! Wir sind Sorglospunks! Wir können alles!“, rief Easy empört aus. „Genau!“, schloss sich Chris an, der ein gewisses Mitgefühl mit der Bandmuse verspürte und wusste, dass er bei Umeko unheimlich punkten würde, wenn er sich so ritterlich und einfühlsam verhielt. „Wird nicht einfach, aber...“ Jack zog die Nase kraus und heckte offenbar schon einen Plan aus. „Ihr spinnt doch“, sagte Nifen und schüttelte den Kopf. „Ich rufe lieber mal die Glücksbärchis an und bitte um einen heilenden Besuch. Vielleicht auch für eure geistige Gesundheit.“ Und während Nifen die Sorglospunks an der Tür zum Wohnzimmer zurückließ, hatte Jack bereits die rudimentäre Idee eines Plans. „Wir müssen zum Olymp und diese männliche Muse erst einmal ausfindig machen!“ „Und wie willst du das tun?“, fragte Chris, dem ein Hauch von Zweifel kam. „Der WWWB-Markt. Da hat‘s doch den Fahrstuhl nach überall“, winkte Easy lässig ab. „Und woher willst du wissen, welche Muse das ist?“ „Na, Hippokrene ist doch diejenigen, die das ganze Musenbüro organisiert und die wird Listen haben, wer mit Abranka zum Inspirationstraining geht – und da finden wir das heraus.“ Jack grinste, als wenn das das einfachste von der Welt wäre. Abranka hatte schließlich oft genug über Hippokrene, die das Musenbüro im Auftrag von Apollo leitete, geflucht. Immerhin hatte die Gute mittlerweile schon einige Jahrhunderte auf dem Buckel und sich im Laufe der Zeit zu einem richtigen Drachen entwickelt. Aber Jack hegte keinen Zweifel daran, dass sie mit einer großen Portion Sorglospunks-Charme doch alles erreichen konnten, was sie wollten. „Aufi!“, rief Easy aus und stürmte Richtung Wohnungstür. Damit war die Wahl getroffen – sie würden diese Mission angehen! Nifen schaute dem chaotischen Haufen nach, der gerade in die Affenhitze des Sommers verschwand, und entschied sich, nichts zu tun, um sie daran zu hindern. Sollten sie sich doch lieber so beschäftigen, anstatt hier herumzulungern, über die Hitze und Abranka zu stöhnen und ihr auf den Keks zu gehen. Schließlich war auch einer Bandmanagerin mal warm. Und auch eine Bandmanagerin konnte auch mal absolut nicht danach sein, sich mit ihren nervigen Schützlingen zu befassen, insbesondere, wenn es a) unerträglich warm war, b) eine äußerst quengelige Muse auf der Couch hockte und sich im Disney-Panorama einlullen ließ und c) sie einfach auch mal ihre Ruhe haben wollte. Und so lange der Disney-Nachschub im Wohnzimmer nicht abriss, hatte sie daran gerade wenig Zweifel. „Ah, hallo Schmusebärchi“, sagte sie ins Telefon und lächelte, denn Lächeln konnte man schließlich am anderen Ende der Leitung hören. Das Telefon zwischen Kinn und Schulter geklemmt telefonierte sie mit dem Glücksbärchi Nummer eins, der ihr hoffentlich bald Rettung vor der kranken Muse bescherte, und zwirbelte gleichzeitig ihren blonden Pferdeschwanz, um ihn dann mit Hilfe von zwei Kulis hochzustecken. Die Ecke des Olymps, in dem sich das Musenbüro befand, sah etwas anders aus, als die drei Sorglospunks auf Mission erwartet hatten. Hier bestand nicht alles aus Wolken und irgendwie sah das hier eher wie eine Kulisse aus einem Hollywoodfilm aus. Ihr Ziel war ein hübsches griechisches Herrenhaus, an dem das große Schild ‚Musenbüro‘ prangte, knapp darunter hing noch ein ‚Stellen frei – bewerben Sie sich noch heute!‘. „Na, aufi!“, jubelte Easy und stürmte durch die Tür. Chris und Jack folgten ihr wesentlich verhaltener. Insbesondere Chris begann langsam zu grübeln, ob sie Abranka mit einem Auftritt hier oben wirklich einen so großen Gefallen tun würden. Er stellte sich vor, was gewesen wäre, wenn Easy und Jack bei Umekos Arbeitgeber aufgelaufen wären, und gruselte sich. Allerdings sah er auch die Ausweglosigkeit, die beiden Zwillingsschwestern von ihrer Mission abzubringen – also blieb nur eins: Schadensbegrenzung! Eine ältliche Dame mit Lesebrille auf der Nase, einem kunstvollen Dutt und einer schicken Toga saß an dem Empfangstresen. Das Namensschild verriet ihnen, dass sie Hippokrene jetzt schon gefunden hatten. „Hallo Hippokrene“, krähte Easy. „Wir sind für Abranka hier und...“ Hippokrene räusperte sich auf eine Art und Weise, die sogar Easy die Sprache verschlug, und sagte mit herablassender Stimme: „Sorglospunks. Easy, Jack, Chris“ – sie deutete mit ihrer Schreibfeder auf denjenigen, dessen Namen sie nannte – „Schützlinge von Abranka und trotz Übersinnlichkeitsbonus nicht berechtigt, den Olymp zu betreten. Nennt mir einen guten Grund, nicht die Wache zu rufen.“ Ihr Lächeln erinnerte an das Lächeln eines Krokodils, das sich auf eine gute Mahlzeit freut. Schlagartig wussten alle drei Sorglospunks, warum Abranka so oft über Hippokrene fluchte. Mit dieser Dame war offenbar überhaupt nicht gut Kirschen essen. „Äh, also... Abranka ist krank und...“, begann Jack. „Ich weiß. Sie hat sich bereits für ihre Trainings abgemeldet.“ Hippokrene bedachte die drei Eindringlinge mit einem unfreundlichen Blick über ihren Brillenrand. „Ja, aber...“, setzte Easy an und wurde durch Chris unterbrochen: „Wir wollen ihr eine Freude machen – da ist jemand in ihrem Trainingskurs, über dessen Besuch sie sich sehr freuen würde und den wollen wir einladen. Damit sie schneller gesund wird. Dann ist sie auch schneller wieder aktiv und macht ihnen weniger Scherereien. Denn ich wette doch, ihre Zahlen stimmen durch einen Musenausfall erst einmal nicht, was? Und der gute Apollo mag es sicher gar nicht, wenn die Inspirationskurve auf der Erde deutlich zurückgeht. Na ja, und wir wissen doch alle, dass Abranka bei uns – und besonders bei Easy – eine absolute Meisterleistung vollbringt.“ Chris stützte sich lässig auf die Theke und schenkte Hippokrene einen herzerweichenden Dackelblick, den er sonst nur Umeko gegenüber anwandte, wenn er großen Mist gebaut hatten. Hippokrene erwiderte den Blick des jungen Mannes ungerührt und drückte eine Taste auf ihrer Sprechanlage. „Die Garde bitte ins Musenbüro. Wir haben ungebetene Gäste von der Erde.“ Ihre Stimme war kalt. „Los, raus hier!“, rief Easy ängstlich und stürmte zur Tür. Jack und Chris folgten ihr eilig, denn wirklich große Lust, die Wache kennenzulernen, hatten sie alle nicht. Im Schweinsgalopp ging es zum Aufzug zurück. In der Sicherheit der Kabine zog Jack ein Pergament hervor. „Super Ablenkungsmanöver, Chris. Ich hab die Kursliste.“ Sie grinste breit, während sie auf Easys Gesicht ein freudiges Strahlen und auf Chris‘ abgrundtiefes Entsetzen breit machte. Es ging also noch weiter... Geduldig hörte Nifen zu, wie Abranka jammerte und von ihrem Angebeteten erzählte. „Und dann hat er gesagt blablablablabla... und dann habe ich gesagt blablabalabla... Und dann hat er gemacht blablablabla... und dann habe ich gemacht blablablablabla... blablablabla blablablabla... Was meinst du, wie kann man das interpretieren?“ Und wenn Nifen die hoffnungsvollen Augen der Bandmuse sah, konnte sie kaum anders, als sich doch Zeit für die ewig gleichen Geschichten nehmen und ihr so viel Mut machen, wie der gesunde Menschenverstand zuließ. Gleichzeitig sehnte sie sich zugegebenermaßen nach dem gemütlichen Liegestuhl, den sie im Keller aufgestellt hatte. Ihr aktuelles Buch und den MP3-Player mit ihrer ganzen Ace of Base-CD-Sammlung hatte sie auch schon bereit gelegt. Und sobald Abrankas kurze Aufmerksamkeitsspanne wieder von ihrem angebeteten Musenmann zum nächsten Disney-Film wanderte, würde sie sich die nächste Stunde in den Keller verdrücken. Sie hoffte nur, dass die Glücksbärchis möglichst bald auftauchten. „Also... Wie heißt ihr Angebeteter noch?“, fragte Jack, die bei Abrankas Gejammer die meiste Zeit auf Durchzug gestellt hatte. Immer war sie Easys Schwester und entsprechend auf eine möglichst gute Überlebensstrategie bei akutem Gequengel gepolt. „Äh... Irgendwas mit T...“, murmelte Easy und machte große Augen. „Gibt es Namen mit T?“ „Ja, drei.“Jack nickte. „Dann besuchen wir eben alle drei.“ „Seid ihr sicher? Ich mein, wenn wir bei dem Falschen aufschlagen – damit machen wir Abranka kaum eine Freude...“ „Stimmt.“ Jack legte die Stirn in Falten. „Wir können ja vorsichtig vorfühlen.“ „Und sowieso können wir feststellen, ob dieser Kerl unsere Muse überhaupt verdient hat“, sagte Easy entschlossen. Jack nickte. Das war eine gute Idee. Chris‘ neigte den Kopf vorsichtig und bereitete sich innerlich auf ein akutes Donnerwetter vor, wenn sie wieder zu Hause waren. „Okay... Thedrem heißt der erste. Er arbeitet in... Möp.“ Jack seufzte. „Wo arbeitet er denn?“, fragte Chris hoffnungsvoll nach. Wenn dieser Ort zu schwer zu erreichen war, dann würden sie das ganze Vorhaben vielleicht doch noch abblasen... „...Hamburg... Und Bahntickets sind so teuer. Und das dauert. Und ein Auto leihen ist auch teuer und...“, ratterte Jack die Schwierigkeiten runter, sodass Chris noch mehr Hoffnung schöpfte – doch Easy machte sie wirkungsvoll zunichte. „Hey, ist doch voll einfach: Chi hat doch nen Superteufelsturboaufzug, der sie an jeden Ort der Welt bringen kann. Für dann, wenn es noch schneller gehen muss als mit Baby. Wir schleichen uns einfach in den Aufzug und fertig!“ Hinter dem liebevollen Kosenamen Chi verbarg sich niemand anderes als Chibichi, der Teufel höchst persönlich und eine sehr gute Freundin der Sorglospunks. „Super!“ Jack strahlte ihre Schwester an. Manchmal teilten sie sich eben doch die Rolle des Bandgenies. „Äh.... und die Wachen? Ihr wisst schon – groß, Hörner, Flügel, ziemlich schlechter Atem und noch schlechtere Laune?“ Chris machte seinen Einwurf vorsichtig und ihm war sein Unbehagen mehr als deutlich anzusehen. „Ist doch Pippifax, wo wir grad den Wächtern des Olymp entkommen sind“, winkte Easy ab. Damit war es beschlossen. Der Fahrstuhl fuhr hinab in die Hölle. Leise huschten drei Sorglospunks den mit dicken Teppichen ausgelegtem Tunnel entlang. Das flackernde Licht knöcherner Lampen erhellte den Weg. Sie waren offenbar direkt in einem Flügel von Chibichis Höllenpalast gelandet. „Boah, wir sollten ihr ein paar Hell-o-Kitty-Lampen schenken“, murmelte Jack mit Blick auf die Lampen. „Die Dinger gehen ja mal gar nicht. Und der Teppich erst!“ „Sicher ne Idee von Luzifer.“ Easy sollte die Augen. Es war ja bekannt, dass Chi und Luzifer nicht gerade gut aufeinander zu sprechen waren und Luzifer regelmäßig irgendwelche Putschversuche startete. Die Sorglospunks waren sich recht sicher, dass Chi Luzifer sowieso nur noch nicht aus der Hölle geworfen hatte, weil er a) unterhaltsam war, sie b) aufmerksam und fit hielt und sie ihn c) somit viel besser im Blick hatte. Chibichi war schließlich mit allen Wassern gewaschen: Sie war der Teufel. „Die auch?“, quietschte Chris entsetzt, als zwei Wächter um die Ecke bogen. Sie rugen gold-schwarze Rüstungen, hatten dunkelrote Haut, die sich über gewaltigen Muskelbergen spann, schwarze Fledermausflügel, schwarze Hörner und einen sehr, sehr bösen Blick, als eben dieser auf die drei Eindringlinge fiel. „Wah!!!“ Easy kreischte als erste los, wandte sich um und rannte. Chris schaffte die 180°-Drehung in neuer Rekordzeit und sparte sich ebenso wie Jack das Kreischen, um mehr Luft zum Rennen zu haben. Dumpf dröhnte der Boden, als die beiden Wachen ihnen nachjagten. „Habt ihr die Schwerter gesehen?“, fragte Easy keuchend. „Die haben gebrannt!!!“ „Red nicht, renn!“, wies ihre Schwester sie zurecht und bog um die nächste Ecke. „Links!“, kreischte Chris und synchron bogen die Sorglospunks bei der nächsten Kreuzung in den linken Gang ab, dann in den rechten, noch mal rechts, wieder links, zweimal geradeaus. In der Zwischenzeit hatte sich die Horde, die sie verfolgte auf sechs Wächter vergrößert. Wenigstens waren es noch sechs gewesen, als Easy das letzte Mal gewagt hatte, über die Schulter zu sehen. Seither war auch sie viel zu sehr damit beschäftigt zu rennen und das konnte man nun mal am besten, wenn man nicht nach hinten schaute. „Da vorne!“, keuchte Chris und deutete auf eine große, dunkelpinke Tür, auf der ein großes Hell-o-Kitty abgebildet war. „Chiiiiiii!“, legte Easy all ihr Entsetzen in den Aufschrei, als sie zu dritt durch die Tür stürmten, über schwarzen Mamor-Boden mit pinken Katzenpfoten-Applikationen rutschten, eine vollkommen entsetzte Sekretärin zum Aufspringen brachten, die goldene Tür mit der Augenklappen-Hell-o-Kitty sahen, hinter der sich der Superteufelsturboaufzug verbarg, und genau darauf zustürmten. „Stehenbleiben!“, kreischte die entsetzte Sekretärin. „Das ist nur für den Teufel höchstpersönlich! Zutritt verboten!“ Acht Höllenwächter donnerten durch die Tür und die drei Sorglospunks entschieden, dass jetzt wirklich keine Zeit war, noch darauf zu warten, dass Chibichi eingriff und ihnen den Hals rettet – wer wusste schon, ob sie überhaupt da war? – und so stürzten sie sich in den Fahrstuhl und Jack brüllte: „Hamburg! Turbomäßig, hopphopp!“ Die Aufzugtüren schlossen sich gerade noch rechtzeitig. Ein Flammenschwert wurde mit einem enttäuschten Knurren kurz vor Zusammenknallen der Türen zurückgezogen und dann sausten sie schon in Richtung Erde. Was sie nicht mehr hörten, war die zornige Stimme Chibichis, als sie aus ihrem Büro trat und lautstark brüllte: „Was ist hier los?“ Nifen schaltete kurz die Musik aus und lauschte auf das ausgeliehene Babyfon. Während sie hier unten im kühlen Keller saß, konnte sie damit gleichzeitig überwachen, ob die kranke Bandmuse oben im Wohnzimmer irgendetwas Komisches anstellte. Gott sei Dank war das gerade nicht der Fall. Sie konnte unverkennbar den Toy Story-Song ‚Du hast nen Freund in mir‘ hören und das leise röchelnde Schnarchen einer schlafenden kranken Muse. Beruhigt stellte sie die Musik wieder an und vertiefte sich erneut in ihr Buch. „Und wo müssen wir hier hin?“, fragte Easy, als sie aus einer unscheinbaren Tür in der Nähe der Landungsbrücken traten. „Äh... Wir halten die Augen offen nach einer Wolke mit jemandem drauf?“, entgegnete Jack. „Musen sind aber nur sichtbar, wenn sie sichtbar sein wollen“, murmelte Chris und verdrehte die Augen. „Warum sagst du das erst jetzt???“ „Na ja...“ Er hob die Schultern und schaute die Zwillinge unschuldig an, die ihn gerade beide böse anfunkelten. In dem Moment ging Easys Handy. „Chiiii!“, quietschte sie glücklich in den Hörer. „Hey, was war denn bitte hier unten los?“, erkundigte sich der Teufel und bekam von Easy eine kurze Zusammenfassung. „Und wir wollten ja reinschauen, aber die Horde hinter uns war doch ein bisschen zu flink, also sind wir gleich in den Fahrstuhl und ab nach Hamburg. Und jetzt stehen wir hier und haben keine Ahnung, wie wir hier die richtige Muse finden sollen.“ „Mhm... Okay, ich schicke euch einen Boten mit drei Übersinnlichkeitsbrillen und einem Hell-o-Pad. Das brauche ich aber wieder zurück. Die Dinger sind noch in der Testphase und ich will nicht, dass euch der Schwefelakku noch um die Ohren fliegt. Das Hell-o-Pad darf aber nur Jack benutzen, klar?“ „Versprochen!“, flötete Easy begeistert. „Okay. Und bitte schickt Murphy dann weiter zu seinem nächsten Job. Nicht, dass er euch noch Ärger macht.“ „Auch versprochen!“ Und dann setzten sich die drei Sorglospunks auf eine Bank und warteten geduldig darauf, dass Murphy mit einem Sack in der Schnauze und reichlich saurer Miene bei ihnen auftauchte. „Danke, Murphy!“, strahlte Jack den Kater an. Chris bedankte sich ebenfalls höflich und Easy knuddelte den geflügelten Dämonenkater in einem Anfall kindlichen Leichtsinns kräftig durch. Murphy schnaufte empört. Dieses Mädel wusste doch, wer er war! Was fiel ihr eigentlich ein? Hm, hatten die drei nicht so eine hübsche Katze namens Kiwi? Ja, er musste doch eindeutig noch einmal das Hause Sorglospunks besuchen... Immerhin war die nervige Knuddelperson gerade nicht zu Hause. Mit einem dämonischen Grinsen auf dem Gesicht wand er sich aus Easys Armen und machte sich auf den Weg. „Denkt an deinen nächsten Auftrag!“, rief Jack ihm noch hinterher, doch das waren Worte, die er geflissentlich ignorierte. Immerhin war er Murphy. „Okay, also...“ Jack tippte auf dem Hell-o-Pad rum und begriff sehr schnell, wie es funktioniert. Dann scrollte sie durch das Musenverzeichnis und fand die männliche Muse, die sie hier in Hamburg finden wollten: Thedrem. Himmel, das Ding besaß sogar eine aktuelle Aufenthaltsanzeige! Ob das so legal war? Vermutlich würden Rauschebart und Olymp Gift und Galle spucken, sobald sie davon erfuhren. Aber andererseits... vielleicht hatten die ja auch etwas Vergleichbares. Jack zuckte die Achseln. „Er ist im World of Coffee!“ „Kaffee! Aufi!“, jubelte Easy und sofort machten sich die drei Sorglospunks auf den Weg. Im World of Coffee hatten sie – nach einer ausgiebigen Kaffeebestellung – die gesuchte Muse schnell entdeckt. Er hockte neben einem Hobbyzeichner auf seiner Wolke und betrachtete recht gelangweilt die Umgebung. Sein Schützling zeichnete sehr fleißig das Innere des gemütlichen Raumes und machte seine Muse gerade recht überflüssig. Jack pfiff durch die Szene und als Thedrem aufblickte, winkte sie ihn zu sich. Verwunderte folgte die männliche Muse der Aufforderung. „Hallo... Wer seid und ihr warum könnt ihr mich sehen?“ Thedrem hatte kurze schwarze Locken, stechende schwarze Augen und trug stilecht Toga und Sandalen. „Wir sind die Sorglospunks und die Schützlinge von Abranka“, strahlte Easy ihn und lächelte ihr perfektes entwaffnendes Lächeln. Der Name bewirkte sogleich Erkennen auf Thedrems Gesicht. „Und sehen können wir dich wegen der schicken Brillen.“ Easy deutete auf ihre Nase. „Klar soweit?“ „Klar.“ Thedrem grinste sie charmant an. „Und warum seid ihr hier?“ „Nun, Abranka ist ja eine Freundin von uns und wir dachten, wir schauen uns mal an, mit wem sie so bei ihren Trainings abhängt.“ Easy zwinkerte ihm plump zu, was er jedoch direkt als Flirtversuch auffasste. „Und, was denkst du?“ Thedrem hängte legte die Beine über den Rand seiner Wolke und beugte sich vor. Ein Goldkettchen blitzte unter dem Ausschnitt seiner Toga auf. Chris zog eine Grimasse. Irgendwie begann das gerade peinlich zu werden. „Nun ja... Du wirkst ganz nett.“ Easy strahlte ihn noch immer an und merkte nicht, dass da gerade ein Südländer in Flirtmodus gewechselt war. Jack schlug die Hand vor die Stirn und stöhnte leise auf. Das war auf keinen Fall jemand, auf den Abranka ein Auge geworfen hatte! Und während Thedrem Easy über sein anforderungsreiches Dasein als Muse eines Zeichners berichtete und schließlich ihre Hand ergriff, schnappte sich Jack das Hell-o-Pad, um die nächste Muse auszumachen. „Thadas, Tokio, Japan.“ „Wir brauchen wieder den Fahrstuhl“, stellte Chris trocken fest. „Exakt.“ Jack grinste. „Und wir sollten Easy mitnehmen, ehe sie noch verheiratet ist...“ Sie warf einen Blick zu ihrer Zwillingsschwester hinüber, die jetzt gerade kapiert hatte, dass sie akut angeflirtet wurde und in Panikmodus verfiel. „Easy? Wir müssen los!“, rief Jack mit einem süffisanten Unterton. „Oh, yeah! Sorry.“ Ein hektisches Lächeln in Richtung Thedrem, dann riss sie ihre Hand los und warf noch ein knappes „War nett dich kennenzulernen!“ über die Schulter zurück und stürmte den anderen hinterher. Im heimischen Schwabenland hörte Nifen ihren Namen deutlich aus dem Babyfon und machte sich auf den Weg nach oben. Abranka hatte den Toy Story-Ausflug beendet und kämpfte nun mit einer reichlich anhänglichen Kiwi. Das katzige Bandmaskottchen war eigentlich hauptsächlich dann aufdringlich, wenn sie fand, dass es endlich Zeit für etwas zu Fressen war. Nur sah Abranka es gerade dummerweise überhaupt nicht ein, diesen Wink mit dem Zaunpfahl verstehen zu wollen. Und Kiwi wollte ihren genialen Felinopyximatic 2000 nur ungern benutzen, um sich selbst eine Dose Katzenfutter zu öffnen, wenn irgendjemand zu Hause war. Immerhin wusste man ja nie, ob man dabei nicht doch erwischt wurde – und dieses Gerät und sein Betreiben erklären zu wollen, war wirklich nichts, was Kiwi anstrebte. Erfreulicherweise erbarmte sich Nifen und rief die Bandkatze mit einem kurzen „Komm, Kiwi!“ in die Küche, wo es dann endlich etwas zu Fressen gab. Dann setzte Nifen noch eine Kanne Tee für die kranke Bandmuse auf, versorgte sie damit, hörte sich ihr Ich-bin-krank-Gejammer noch eine Weile an und als es in die nächste Disney-Runde ging, verdrückte sie sich wieder aus der heißen Wohnung in den kühlen Keller. Tokio war wirklich erschlagend. Die Menge an bunter Lichtreklame und Menschen sorgte dafür, dass die drei Sorglospunks die Kinnladen herunterklappten. Sie hatten zwar schon viel erlebt, aber das hier war doch eine ganz andere Nummer. „Oh Gott. Wie sollen wir uns nur hier zurechtfinden?“, jammerte Easy und schlug die Hände vors Gesicht. „Sollen wir nicht vielleicht doch nach Hause gehen?“, fragte Chris vorsichtig. Vielleicht konnte man ja hier die Katastrophe nach dem ersten peinlichen Auftritt noch etwas Eingrenzen. „Quatsch“, rief Jack großspurig. „Wir haben doch das Hell-o-Pad. Damit wird es ein Kinderspiel diesen Thadas zu finden.“ Übermütig tippte sie auf dem neuen Spielzeug herum und rief dann: „Shibuya. Ein Einkaufszentrum. Wir folgen einfach hier dem Ding.“ Sie hielt das Hell-o-Pad in die Höhe und grinste siegessicher. „Das hat sogar eine Wegweiserfunktion und kann uns Japanisch übersetzen!“ Einen akuten Kulturschock durch die japanische U-Bahn später hatten sie das richtige Einkaufszentrum in dem Tokioter Vergnügungsviertel Shibuya erreicht. „Und wo ist er?“, fragte Chris. Die Enge in der U-Bahn war zu viel für ihn gewesen und er sehnte sich gerade am allermeisten nach einem Liegestuhl im Garten. Am besten unter dem Baum, direkt neben dem Teich. Damit er zwischendurch die Füße in das kühle Nass stecken und die Fische etwas erschrecken konnte. Ja, das wäre wirklich großartig. Und was tat er stattdessen? Er war am anderen Ende der Welt mit zwei Verrückten unterwegs. Stumm schlug er die Hand vor die Stirn und hoffte, dass er nie wieder so eine dumme Entscheidung treffen würde. Vielleicht konnte er sich ja absetzen und Umeko besuchen... Jack packte ihn am Arm und zerrte ihn mit. So viel zu seinen Fluchtgedanken. Wahrscheinlich hatte sie sie gewittert. „Da vorne!“ Jack zeigte in Richtung Bühne, die sich über dem ganzen Gedränge an Teenagern erhob und auf der ein junges Mädchen mit pinkfarbenen Haaren einen belanglosen Popsong trällerte. Direkt daneben schwebte eine sichtlich gelangweilte männliche Muse auf ihrer Wolke. Er hatte kurze schwarze Haare mit rotgefärbten Spitzen, hellblaue Augen und trug einen aufwändig gemusterten Yukata mit roten Drachen auf schwarzem Grund. Sein ganzes Styling biss sich unglaublich mit dem seines Schützlings, der nach rosafarbenem Bonbonpapier aussah – und das nicht nur von den Haaren her. Wie den drei Sorglospunks sofort auffiel, passte Abranka immer zu ihnen – aber das mochte vielleicht auch an dem generell durchgeknallten, universellen und bunten Stil der Sorglospunks liegen. „Brauchen wir mit dem überhaupt zu reden?“, murmelte Chris leise. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Abranka an so einem Kerl gefallen fand. „Klar. Sieht doch fesch aus.“ Jack grinste breit, pfiff auf zwei Fingern und winkte Thadas zu. Da sich dieser im Unsichtbarkeitsmodus befand, war er natürlich neugierig, wie die drei Europäer ihn entdecken konnten und flog – betont langsam und noch immer demonstrativ gelangweilt zu ihnen herüber. „Konichiwa.“ „Ja, dir auch.“ Easy konnte diesen Kerl auf Anhieb nicht leiden und beschloss, dass er niemals gut genug für Abranka war. „Ignorier sie.“ Jack strahlte Thadas an. „Hi. Ich bin Jack, das sind Easy und Chris und wir gehören zu den Sorglospunks und sind die Schützlinge von Abranka.“ „Ah, Abranka. Ich erinnere mich an sie.“ Thadas nickte, doch seine Miene verriet nicht, ob es sich um positive oder negative Erinnerungen handelte, vielleicht waren es auch neutrale. „Nun, also...“, fing Jack an zu plaudern, während sich Easy zu Chris zurückzog. „Ich mag ihn nicht. Abranka soll ihn auch nicht mögen. Sie hat was viel Besseres verdient, als diesen selbstverliebten Kerl, der sich absolut nicht für seinen Schützling interessiert“, raunte sie leise. Chris nickte nur. Er konnte sich auch nicht vorstellen, dass Abranka auch nur auf die Idee kam, diesen Typen zu mögen, nur weil er ‚fesch‘ aussah. „Jahack!“, rief Easy energisch. „Wir müssen lohos!“ „Einen Moment nur!“ Jack winkte entnervt ab und strahlte Thadas nur noch mehr an. „Jahack! Wenn du nicht kommst, geh ich Umeko besuchen!“, knurrte Chris genervt. Die Drohung wirkte. Denn Jack wusste nur zu gut, dass Chris dann für die nächsten Woche nicht freiwillig ins Schwabenländle zurückkommen würde. „Sorry.“ Sie strahlte Thadas an. „Ich muss los.“ Entnervt starrte sie ihre Bandkollegen an, während Thadas – noch immer demonstrativ gelangweilt – zu seinem Schützling zurückflog und ihr tanzendes Gehopse mit halbem Auge verfolgte. „Na, wohin als nächstes?“, fragte Easy quietschvergnügt. „Woher wollt ihr wissen, dass das nicht der Richtige war?“, knurrte Jack. „Intuition.“ Chris zuckte mit den Schultern. Und Easy fügte süffisant hinzu: „Bandmehrheit. Zwei Stimmen gegen eine. Wohin geht‘s als nächstes?“ Derweil hatte im Schwabenland Nifen eine weitere Runde Aufbauarbeit geleistet und Abranka in ihren glücklichen Nachmittagsschlaf geschickt. Der würde hoffentlich eine Weile dauern. Ansonsten würde sie doch noch mal bei Schmusebärchi anrufen und auf einen ganz dringenden Notfalleinsatz bestehen. „USA... Warum bitte die USA?“, stöhnte Chris. „Wir reisen hier durch die halbe Welt!“ „Na und? Ist doch cool!“ Easy strahlte und schaute sich um. Sie standen auf der Hauptstraße einer winzigen Stadt irgendwo mitten in Kansas. Jenseits des knappen Dutzends Häuser gab es nichts als Felder. „Den Teufelsaufzug könnten wir auch für eine coole Promotiontour nutzen. Dann können wir überall spielen, ohne dass es extra kompliziert wird. Ist doch super!“ Jack zog eine Augenbraue hoch. Irgendwie hatte sie so das Gefühl, dass in der Hölle gerade wegen ihnen eh die sprichwörtliche Hölle los war und der Superteufelsturboaufzug ihnen nicht mehr allzu lange zur Verfügung stehen würde. Chibichi mochte zwar der Teufel und Oberboss der Hölle sein – aber dummerweise gab es da diesen gigantischen Verwaltungsapparat, der ihr immer ziemlich auf den Keks gehen konnte. Und ihr Erzfeind Luzifer hatte in eben diesen Verwaltungsapparat ziemlich viele gute Kontakte und würde sicher alle Strippen ziehen, um den Sorglospunks – und damit Chi – das Leben so schwer wie möglich zu machen. „Also, wo steckt dieser Toradyn?“, fragte Chris und hoffte, dass sie bald wie möglich die Kurve kratzen konnten. „Nicht weit. Nur zwei Kilometer die Richtung!“ Jack deutete die Straße hinab. Mit weitaus weniger Elan als zuvor marschierten die drei Sorglospunks die Straße entlang und stellten nach sehr kurzer Zeit fest, dass es hier wirklich richtig heiß war und der Schweiß ihnen nur so in Strömen herunterlief. „Boah, ich hoffe echt, der Kerl isses wert!“, quengelte Easy nach knapp hundert Metern. Rund dreißig Minuten später – in der Hitze lief es sich bedingt gut – erreichten sie eine Ansammlung von Polizeiautos und ein Absperrungsband. In einem der Felder liefen viele uniformierte Leute herum, drückten nummerierte Aufsteller auf den Boden und machten Fotos. „Oh, oh, Tatort.“ Chris zog gruselnd die Schultern hoch. Sowas sah man doch bitte nur im Fernsehen und nicht in Wirklichkeit. „Was macht diese Muse von Beruf?“, fragte Easy mit ebenfall leisem Gruseln. „Sein Schützling ist Profiler...“, murmelte Jack. „Na super...“ Easy stöhnte auf. „Hier treibt sich ein Serienmörder rum. Klasse. Sowas wollte ich schon immer wissen. Hast du ne Ahnung, was mir das für Albträume bescheren wird? Ich schwöre dir – jedes Mal, wenn ich nachts wach werde, werde ich dich auch wecken! Und zwar besonders grausam!“ „Hey, da vorne ist er“, unterbrach Chris den aufkeimenden Streit zwischen den Schwestern. Und tatsächlich. Eine Muse schwebte neben einem dunkel gekleideten Mann, der neben einer Polizisten über das Feld stapfte. „Toradyn!“, rief Easy aus und zog damit die Aufmerksamkeit eines Dutzends Polizisten auf sich. Einen Sekundenbruchteil später war der Sheriff bei ihnen. „Was tun Sie hier?“ Der große Mann mit der sonnengegerbten Haut, dem gewaltigen Bauch und den grauen Haaren funkelte sie an. „Das hier ist ein Tatort!“ „Touristen. Wir sind nur auf der Durchreise und wollten ein paar Schritte gehen, um uns umzusehen, und sind hier reingestolpert.“ Jack lächelte ihn entwaffnend an und hoffte, dass er ihnen glaubte. Sie hatte definitiv keine Lust, auch nur eine Minute in irgendeinem Provinzgefängnis zu verbringen und verhört zu werden, nur weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort die noch falscheste Person verärgert hatten. Denn dieser Sheriff sah so aus, dass er nur noch einen winzigen Funken brauchte, um in die Luft zu gehen. Vermutlich hasste er es, dass a) ein Mord ihn aus seiner Mittagspause gerissen hatte und b) hasste er es vermutlich noch mehr, dass ausgerechnet das FBI hier vor Ort war und ihm sagte, was er zu tun hatte. Er setzte dazu an, etwas zu sagen, hielt inne und überlegte es sich dann sichtlich anders. „Verschwindet!“, knurrte er und wandte sich um, um zum Tatort zurückzugehen. „Uff...“, machte Easy leise. „Wer seid ihr und was wollt ihr?“, fragte Toradyn, dem es zu verdanken war, dass der Sheriff sich um andere Dinge kümmerte. Er beugte sich von seiner Wolke herunter und betrachtete die drei Sorglospunks aus seinen hellgrünen Augen, die äußerst intensiv durch seine Brille blickten. Seine Haare waren kurz und blond, er trug den gleichen schwarzen Anzug wie sein Schützling und hatte einen modernen Laptop auf dem Schoß. Ganz offenkundig ging er voll und ganz in seinem Job auf. Und er war sicher nicht Abrankas Typ, denn sie hatte noch nie für blonde Männer mit grünen Augen geschwärmt. „Wir sind die Sorglospunks und Abrankas Schützlinge“, stellte Jack sie vor. „Und...“ „Ah, Abranka.“ Toradyn nickte. „Grüßt sie ganz lieb von mir. Hab sie seit einem Jahr nicht mehr gesehen, seit sie den Kurs gewechselt hat. Ich hoffe, ihr gefällt es bei den ganzen Musikstar-Musen. Ich fände das ja etwas langweilig... Keine Abwechslung, keine anderen Anregungen. Nun ja, aber vielleicht streitet sie sich deswegen ja auch so oft mit Hippokrene.“ Er warf einen kurzen Blick über die Schulter. „Ich muss weitermachen. Wie gesagt: Grüßt sie bitte ganz lieb von mir.“ Damit schwebte er wieder zurück. „Kurs gewechselt???“ Chris und Easy entfuhren die Worte so synchron, als wenn sie Zwillinge wären. „Jaaaaahaaaack!“ „Äh...“ Hektisch zog Jack die Liste hervor, die sie von Hippokrenes Schreibtisch gemopst hatte, und schaute aus das Datum. Juni 2011! „Woher hast du das Ding? Ablage P wie Papierkorb? Oder Ablage A wie Alt???“ Chris stemmte die Hände in die Hüften. „Wir fahren jetzt sofort nach Hause und wehe irgendwer von euch erzählt Abranka je von dieser absolut dämlichen Mission! Warum bin ich überhaupt mitgekommen? Ihr seid doch total bescheuert! Ich hätte zu Hause bleiben und Eistee schlürfen und die Füße in den Teich stecken können! Und meine Gitarre schwitzt sich sicher schon zu Tode!“ Damit machte er auf dem Absatz kehrt und vor sich hin zeternd marschierte er voran in Richtung Superteufelsturboaufzug. Jack und Easy folgten ihm weitaus langsamer. „Wir könnten die aktuelle Liste klauen“, murmelte Easy so leise, dass Chris es nicht hören konnte. Von einmal gefassten Plänen konnte sie sich immer nur eher schwer verabschieden. „Ja – aber denk mal an diese Wächter und wie eklig Hippokrene war... Die wird Abranka doch schon aus Prinzip auf die Nase binden, dass wir da waren und was Komisches wollten. Und ich will keinen Ärger mit Abranka. Stell dir mal vor, sie streikt dann oder so.“ Jack zog die Schultern hoch. Das war schließlich ein grauenhafter Gedanke! Die Band ohne Abranka! Mit einer streikenden Muse – keine Songs mehr, versaubeutelte Auftritte, weil ihre spontanen Improvisationsaktionen nicht mehr klappten! Schweigend erreichten sie den Superteufelsturboaufzug, den Chris mit mürrischer Stimme in ihre Heimatstadt schickte. „Und diese Superbrillen und das Hell-o-Pad lassen wir hier drinnen liegen. Dann schicken wir den Fahrstuhl zu Chi zurück und alles ist wieder gut.“ „Aber...“ Jack tätschelte das Hell-o-Pad mit großen Augen. So ein tolles Spielzeug sollte sie wieder hergeben? Grauenhaft! „Denk an den Schwefelakku und die Testphase. Nicht, dass das Ding noch in die Luft geht, wenn du nachts damit kuschelst“, sagte Easy trocken, nahm ihrer Schwester das tolle Hightechspielzeug aus den Händen und legte es gemeinsam mit ihrer Übersinnlichkeitsbrille auf den Boden. Jack seufzte und legte ihre Brille daneben. Chris warf seine lässig dazu. Dann stiegen sie aus und durch die offene Tür drückte Chris den Knopf für Chis Hauptquartier. „Home sweet home“, murmelte Easy leise und verspürte eine leise Euphorie angesichts der Tatsache, dass sie auf dem heimischen Marktplatz standen und die frische – wenngleich verdammt warme – Luft des Schwabenländles um ihre Nasen wehten. „Aufi!“, sagte Chris fröhlich und legte seinen Bandkollegen die Arme um die Schultern. „Gehen wir nach Hause.“ „Juhu!“, jubelte Easy und auch Jack rang sich ein Lächeln ab. Dem Hell-o-Pad würde sie aber noch lange nachtrauern. Einträchtig erreichen die Sorglospunks ihre Residenz und nassgeschwitzt, aber froh über das gut überstandene Abenteuer stürmten sie erst die Küche, um ihre trockenen Kehlen zu befeuchten, und dann das Wohnzimmer. Auf der Couch schlummerte selige eine noch immer kranke, aber sich sichtlich auf dem Weg der Besserung befindende Bandmuse. „Oh, hey. Zurück von eurer Mission?“, grinste Nifen die drei an. „Ja, das war echt...“, begann Easy und stutzte dann, als Schmusebärchi sich aus dem Sessel erhob. Der rotbraune Glücksbärchi mit dem roten Herzen auf dem weißen Bauch grüßte freundlich in die Runde. „Schmusebärchi! Toll, dass du kommen konntest! Geht es Abranka besser?“, schaltete Easy sofort um. „Es geht aufwärts.“ Schmusebärchi lächelte. „Ich habe ihr ein paar Glücksstrahlen verpasst, damit es etwas schneller geht, aber normalerweise reicht schon die harmonische Ausstrahlung eines Glücksbärchis, um Musen auf den Weg der Besserung zu bringen.“ „Wunderbar.“ Jack war erleichtert. Neuer Inspiration stand also bald nichts mehr im Wege. Die Sorglospunks waren gerettet und würden nicht in absoluter Mittelmäßigkeit untergehen. „Aber...“, fuhr Schmusebärchi fort und seine Stimme bekam etwas freundlich-zurechtweisendes, das die drei Sorglospunks sorgenvoll die Ohren spitzen ließ. „Ich muss mich schon etwas über euch wundern. Ihr seid ihre Freunde und reist dann durch die Weltgeschichte, wenn sie euch am meisten braucht? Sicher, eine kranke Muse...“ „Gleichzeitig auch noch liebeskrank“, fügte Nifen leise hinzu und verdrehte mit einem amüsierten Lächeln in den Mundwinkeln die Augen. „...ist nicht immer leicht zu ertragen, aber mit etwas Tee kochen, hätscheln und zuhören wäre ihr doch geholfen gewesen.“ „Ja, aber wir wollten ihr doch helfen!“, warf Easy ein. „Genau. Wir haben nach der männlichen Muse gesucht, in die sie verknallt ist und...“ Jack brach ab, als sie den jetzt äußerst strengen Blick von Schmusebärchi sah. Oh, oh. „Was seid ihr denn für Freunde, indem ihr so etwas versucht?“ Schmusebärchi schüttelte den Kopf. „Liebesdinge sind etwas, das diejenigen selbst hinbekommen müssen. Auch wenn es schwierig ist. Wie viele Leute kennt ihr denn, die erfolgreich verkuppelt wurden? Und außerdem – was, wenn das schief geht? Was, wenn ihr findet, dass derjenige nicht genug für eure Abranka ist? Und was, wenn er wegen euch auf einmal dem Ganzen keine Chance mehr gibt? Weil ihr euch so seltsam benehmt?“ „Ähm... Aber dann hat er Abranka nicht verdient?“, warf Easy kleinlaut ein, auch wenn die Botschaft bei ihr angekommen war. „Mischt euch in so etwas nicht ein. Ihr seid doch ihre Freunde! Seid für sie da, hört euch ihr Gejammer an, macht ihr Mut und stärkt ihr Selbstbewusstsein – und helft ihr, das selbst hinzubekommen. Oder habt ihr kein Vertrauen in sie?“ Drei Sorglospunks murmelten kleinlaut, dass das doch natürlich der Fall war und sie alle Abranka ganz unglaublich lieb hatten. „Gut.“ Jetzt lächelte Schmusebärchi. „Und jetzt seid für sie da. Und vielleicht erzählt ihr ihr am besten nicht von eurem Abenteuer.“ Er zwinkerte den dreien vergnügt zu. „Und Abranka wird sich mit Sicherheit auch revanchieren, wenn sie wieder fit ist. Schließlich seid ihr Freunde. Und Freunde sind doch immer für einander da.“ „Oh, ich fürchte Hippokrene wird ihr verraten, dass wir auf dem Olymp waren“, murmelte Chris leise. Er wusste jedenfalls jetzt, dass er nie wieder so eine blöde Entscheidung treffen würde. Und Umeko gegenüber würde er die ganze Aktion wohl doch besser verschweigen. Außer er erwähnte, dass er auf seine beiden Bandkollegen aufgepasst hatte... Ja, doch, das konnte vielleicht funktionieren, ohne dass er lügen und verschweigen musste und wie ein totaler Volldepp da stand. „Nun... Hippokrene und Abranka mögen sich eh nicht besonders.“ Nifen hob die Schultern. „Von daher wird sie darauf eher wenig geben. Und ansonsten erzählt ihr ihr die Geschichte eben in ein paar Wochen, wenn sich die Wogen geglättet haben.“ Sie grinste. „Und jetzt würde ich vorschlagen, dass wir alle eine Runde Eis essen, während sich unsere Lieblingsmuse gesund schläft.“ Da es mittlerweile früher Abend war und die Sonne draußen nicht mehr so brannte, zogen sich die Sorglospunks samt Managerin und ihrem Glücksbärchi-Besucher sowie fünf großen Eisbechern in den Garten zurück. Irgendwann holte Chris seine Gitarre, klimperte ein paar Noten, Jack trommelte auf den leeren Eisbechern und Easy begann leise zu singen: „Oh ja... Freundschaft! Yeaheeheee... Freundschaft! Wir sind die Sorglospunks und wir gehen durch dick und dünn! Und wieder zurück! Rauf in den Olymp, hinab in die Hölle, durch die ganze Welt! Nur für dich! Ohohoho! Nur für dich! Weil du unser Freund bist! Oh ja... Freundschaft Yeaheeheee... Freundschaft Und wenn wir Mist bauen, dann aber so richtig! Halbe Dinge gibt es nicht! Rauf in den Olymp, hinab in die Hölle, durch die ganze Welt! Nur für dich! Ohohoho! Nur für dich! Weil du unser Freund bist! Oh ja... Freundschaft! Yeaheeheee... Freundschaft!“ Und als das Lied zu Ende war und die drei Musiker aufblickten, sahen sie Abranka aus dem offenen Fenster zu ihnen hinüberschauen. „Ich will nicht wissen, was ihr angestellt habt, oder?“, fragte sie mit einem vergnügten Zwinkern. Dann flog sie auf ihrer Wolke durch das Fenster und gesellte sich zu ihren Freunden. Kapitel 63: Wunsch frei! ------------------------ 11. August 2012, im tiefsten Schwabenländle jenseits des Rio Spätzle in einem kleinen äußerst urschwäbischen Dorf. Die Perseiden waren angekündigt worden und als waschechte Idealisten und Träumer ließen es sich die Sorglospunks – die da aus Chris und den Zwillingsschwestern Easy und Jack bestanden – nicht nehmen, gemeinsam mit ihrer Bandmanagerin Nifen und ihrer Bandmuse Abranka mitten in der Nacht auf dem Dach der Sorglospunks-Residenz zu sitzen und nach Sternschnuppen Ausschau zu halten. Es war eine laue, sternenklare Nacht, die den perfekten Blick auf das Himmelsschauspiel versprach. „Und, was wollt ihr euch wünschen?“, fragte Easy hibbelig und blickte aus braunen Knopfaugen aufgeregt in die Runde. Das war ihre erste Sternschnuppenacht und natürlich konnte die quirlige Frontfrau der Sorglospunks ihre Begeisterung kaum zügeln. Jack verpasste ihrer Zwillingsschwester eine kurze Kopfnuss. „Dummkopf! Du weißt doch, dass man die Wünsche nicht verraten darf, weil sie sonst nicht Wirklichkeit werden.“ Schmollend hielt sich Easy den Hinterkopf und wuschelte durch ihre braunen Haare. „Aber das ist doch doof, wenn wir das nicht voneinander wissen…“ „Nee, gar nicht.“ Chris schüttelte energisch den Kopf. Mit Grausen dachte er an die letzte Odyssee, die Easys und Jacks Wir-tun-Abranka-etwas-Gute-damit-sie-schnell-wieder-gesund-wird-Aktion nach sich gezogen hatte. Oh nein, eindeutig wollte er nicht, dass sie irgendetwas von seinen Wünschen wussten! Insbesondere, da auch bei Bandvernunft Jack besagte namensgebende Vernunft manchmal durchaus einen Aussetzer hatte. „Genau. Ein paar Geheimnisse müssen sein.“ Abranka zwinkerte fröhlich in die Runde und reichte die Dose mit den Schokokeksen weiter. Schokolade musste bei solch einem Event schließlich sein. Mit ihrer Wolke hatte sie es hier auf dem Dach am bequemsten und bunkerte entsprechend die Verpflegung. Damit bestand einfach die geringste Absturzgefahr für so schöne Dinge wie die Kaffeekanne und die Keksdose. Schmollend schob sich Easy einen Keks zwischen die Lippen. „Eben. Manche Dinge möchte man vielleicht gar nicht voneinander wissen…“, sagte Nifen zweideutig. „So? Was wollen wir von dir denn nicht wissen?“ Jack griff den verbalen Ball nur zu gerne auf. „Wie meine Socken nach einem langen Tag riechen zum Beispiel.“ Die Bandmanagerin bedachte Jack mit einem bedeutungsvollen und sehr, sehr ernsten Blick. „Iiiiiiiieeeeek!“ Jack verzog das Gesicht. „Siehste!“ Schlagartig war es mit der Ernsthaftigkeit vorbei und Nifen musste lauthals lachen. Nur einen Sekundenbruchteil später stimmten Abranka, Chris und schließlich auch Easy und Jack sein. Ja, manches sollte man wirklich besser nicht wissen… „Hey, ihr, hey, hey, hey, ihr! Hey, ihr Perseiden! Ich hab hier nen Wunsch, ich hab hier nen Wunsch!“, begann Easy leise zu summen. Jack trommelte rhythmisch auf dem Deckel der Keksdose und Chris machte die Beatbox. Seine Gitarre wäre ihm lieber gewesen, aber dafür hätte er ja wieder reingehen müssen und bei seinem Glück garantiert den Beginn des Sternschnuppenspektakels verpasst. „Ohohohoho! Hey, ihr Perseiden! Kommt doch endlich runter! Ich hab hier nen Wunsch, ich hab hier nen Wunsch!“ Abranka und Nifen wechselten kurz einen Blick und grinsten kurz. Die Bandmuse hob dabei entschuldigend die Schultern –sie war an diesem Inspirationsanfall gerade nicht schuld, waren ihre Inspirationsblitze sowie alle anderen Notfallinspirationsutensilien gut in der Musenwolke verstaut. „Kommt schon, kommt schon! Ohohohoho! Wunsch frei! Wunsch frei! Wuhuuuuuunsch freeeeeeiiiii!“ Easy blickte herausfordernd zum Himmel empor; irgendetwas musste ihr leidenschaftlicher Gesang schließlich bewirkt haben – und tatsächlich erschienen dort die ersten Sternschnuppen. „Wow…“, murmelte Jack leise und ließ den Keksdosendeckel sinken. Das war doch wirklich einmal gigantisch. Schweigend saßen die fünf Freunde auf dem Dach und schauten andächtig dem Fall der Perseiden zu. Mal weiß, mal gelblich und mal grünlich schimmernde Lichtpfeile schossen über den Himmel und verschwanden nach einer viel zu kurzen Zeitspanne wieder im dunklen Nichts. Jeder für sich schickte leise Wunsch für Wunsch auf die Reise. „Und?“, fragte Nifen schließlich mit einem zufriedenen Lächeln auf dem Gesicht. „Fühlt sich das gut an?“ „Jaaaaaaa!“, rief Easy aus. „Ich habe mir gewünscht, dass…“, sprudelte sie wieder ab, doch ihre Zwillingsschwester verpasste ihr einen kräftigen Klaps auf den Hinterkopf, ehe sie weitersprechen konnte. „Schon vergessen? Du darfst deinen Wunsch nicht verraten!“ Jack schüttelte den Kopf ob der akuten Dämlichkeit ihrer Schwester. Manchmal wunderten sie sich sehr, dass sie wirklich den gleichen Genpool teilten. „Menno!“ Schmollend rieb sich Easy den Kopf. „Aber ich will doch drüber reden.“ „Quasselstrippe“, kam es von Chris. Nifen ergänzte ähnlich liebevoll: „Labertasche.“ „Pöh!“ Empört blähte die Sängerin die Wangen auf. „Sing lieber noch was.“ Abranka zwinkerte Jack zu, während sie ihre Worte an Easy richtete. Und Jack begriff sofort und fing an, wieder einen leichten Beat auf den Keksdosendeckel zu trommeln. Chris beatboxte gehorsam – diesmal war es die Faulheit, die ihn daran hinderte, die Gitarre zu holen; fürs nächste Mal Sternschnuppengucken hatte er sich gedanklich aber schon eine Notiz gemacht – und kurz darauf klang Easys Stimme wieder durch die Nacht: „Und ihr zieht vorüber, und ihr zieht vorüber, ihr Perseiden! Und ihr nehmt ihn mit meinen Wunsch, meinen Wunsch! Und ihr zieht vorüber, zieht vorüber, ihr Perseiden! Und macht ihn wahr, meinen Wunsch, meinen Wunsch!“ „Das ist doch mal ein Wort“, murmelte Abranka und verschränkte zufrieden die Arme hinter dem Kopf. „In der Tat.“ Nifen warf der Muse einen Seitenblick zu. „Chancen, dass dein Wunsch wahr wird?“ „Wer weiß.“ Abranka zuckte mit den Schultern. „Deiner?“ „Wer weiß.“ Die beiden grinsten sich an. „Oh, hey, Toradyn von meinem früheren Musenseminar hat sich gemeldet. Der ist jetzt Profilermuse in den USA und wollte mit mir ein paar tolle Interpretationsideen für Spuren und so bequatschen. Aber Krimi ist nicht so meins.“ Die Muse schnitt eine Grimasse. Durch die Kriminalprüfung war sie schon in der Musengrundschule mit Harfe und Füllhorn durchgefallen. Das war absolut nicht ihr Ding. „Aber du als CSI-Fan…“ „Sicher.“ Nifen nickte. „Das könnte spannend werden.“ „Und nett ist er auch noch“, warf Abranka ein. „Ansonsten hätte ich’s dir gar nicht vorgeschlagen.“ „Das weiß ich durchaus zu schätzen.“ Ein Grinsen machte sich auf Nifens Gesicht breit. Dann lauschten die beiden wieder der Spontanmusik ihrer Schützlinge – und ließen den Abend vorüberziehen, um sich dann dem neuen Tag zu stellen. „Und ihr zieht vorüber, zieht vorüber, ihr Perseiden! Und macht ihn wahr, meinen Wunsch, meinen Wunsch!“ Kapitel 64: Chaos, Chaos! ------------------------- Nifen schaute sich die chaotischen Zustände in dem Hinterzimmer der Kneipe an, in der die Sorglospunks an diesem Abend ihrenAuftritt hatten. Drei Sorglospunks wuselten kopflos durcheinander, suchten nach Klamotten, Getränken, etwas zu Essen und verbreiteten wachsende Panik. Die Bandmanagerin war davon überzeugt, dass die drei vermutlich rund dreihundert Meter vor der eigenen Haustür hoffnungslos verhungern würden, wenn sie einmal vollständig auf sich allein gestellt sein sollten. Ein tiefer Seufzer entfuhr ihr und sie warf einen Seitenblick zur Bandmuse Abranka, die auf ihrer Wolke einen mittelgroßen Koffer balancierte, in den Nifen quasi das Backup zu der Sorglospunks-Ausrüstung gestopft hatte. Die drei Sorglospunks mochten das pure Organisationschaos sein – Nifen war jedoch das Gegenteil. „Wo sind meine Sticks?!“, jammerte Bandvernunft und Drummerin Jack lautstark. Sie durchwühlte drei Taschen und war dann kurz davor, ihrer Zwillingsschwester Easy an die Kehle zu gehen. „Du solltest sie doch einpacken, Easy!“ „Hab ich doch!“, protestierte diese empört. „Da!“ Sie zeigte auf zwei zerbrochene Sticks, die am Boden ihrer Tasche lagen und offenbar die Kollision mit der Kaffeekanne nicht überlebt hatten. „Eaaaaasyyyyyyyy!“, brüllte Jack los. Nifen streckte kommentarlos die Hand aus, Abranka ließ ebenso kommentarlos ein paar Ersatzsticks hineinfallen und Nifen drückte diese Jack in die Hand. „Waaaaaah!“ In diesem Augenblick kreischte Easy entsetzt auf und starrte auf ihren Rock. Ein gewaltiger Kaffeefleck breitete sich auf dem Schottenmuster aus. Mit einem leisen Seufzer notierter Abranka für das nächste Mal Ersatzkleidung auf ihrer Chaos-Beseitigungsliste. Dieses Mal hatten sie an so etwas noch nicht gedacht. „Keine Panik, Easy“, sagte Nifen sanft und band der hysterischen Frontfrau der Sorglospunks gelassen ihren Schal um die Hüfte. Dieser verbarg den Fleck größtenteils und lenkte farblich davon ab. Mehr konnte sie nicht dagegen tun, aber vermutlich würde das ausreichen. „Mein Lieblingsplektrum!“, stöhnte Chris entsetzt auf. „Ohne das kann ich nicht spielen! Und meine Gitarre hat einen Fleck! Da!“ Stillschweigend reichte die Bandmuse der Managerin ein Ersatzplektrum, das exakt so aussah wie Chris‘ Lieblingsplektrum, und eine Tube Politur. „Himmel, wann sind wir endlich dran?“, murmelte Abranka leise, während Jack mit ihren neuen Sticks jonglierte, Easy den Schal zurechtrückte und dabei weiter Kaffee schlürfte und Chris den winzigen Fleck auf seiner Gitarre wegpolierte. „Zwei Minuten.“ „Gott sei Dank.“ Und dann war es endlich so weit. Die Horde des Vor-Auftritt-Chaos, besser bekannt als die Sorglospunks, betrat die Bühne. „Hallo Leute! Wir sind die Sorglospunks! Und wir haben einen neuen Song für euch!“, rief Easy gut gelaunt ins Mikro. Und gemeinsam mit Jack und Chris und unter einiger Inspirationshilfe von Abranka legte sie dann los: „Wo wir sind, ist Chaos Chaos! Organisation ist nicht unser Ding! Chaos, Chaos! Wo wir sind, ist Chaos, Chaos! Organisation ist nicht unser Dihiiiiiing!“ Kapitel 65: Springen, Laufen, Werfen ------------------------------------ Niemand hatte je gesagt, dass das Dasein als aufstrebende junge Band leicht war. Manchmal gab es akute Durststrecken und manchmal hangelte man sich von einem langweiligen Routineauftritt zum nächsten, nur um auf den nächsten großen Knaller zu hoffen. Gott sei Dank gab es bei den Sorglospunks nie langweilige Routineauftritte. Nein, stattdessen boten sie immer die Abwechslung von der Abwechslung. Schließlich hatten sie nicht umsonst Kontakte in Himmel, Hölle und Olymp. Allerdings fiel es auch unter diesen Umständen der Bandmanagerin Nifen manchmal schwer, gute Auftrittsmöglichkeiten für die angehende beste Band der Welt aufzutreiben. In diesem Fall bedeutete es, dass sich Easy – Frontfrau, Sängerin und gezwungenermaßen Songwriterin –, Jack – Mulitpercussionstalent, Bandvernunft und Schlagzeugerin – sowie Chris – Bass- und Gitarrenliebhaber mit Leidenschaft sowie Komponist – verpflichtet sahen, bei den Bundesjugendspielen ihrer Heimatstadt aufzutreten. „Uh, geil, sporteln!“, war Easys Reaktion. Da konnte man schließlich ein, zwei Kilo verlieren, die man sich über den langen Winter mit viel zu viel Schokolade angefuttert hatte. „Mhm, meine Fußballerjungs sind dafür zu alt, was?“, überlegte dagegen Jack. Und Chris wiederum rief nur aus: „Oh Gott, Kinder und Teenager!“ Nifen blieb auf jeden Fall hart und schleppte die Band gnadenlos auf den Sportplatz, der bereits vor eifrigen Kindern und Jugendlichen nur so wimmelte. Ehrensache, dass die Bandmuse Abranka die Sorglospunks auf ihrer unsichtbaren fliegenden Wolke begleitete. Ihre Inspiration war mit Sicherheit spätestens beim ersten Improvisationssong gefragt. Der Direktor der örtlichen Schule – Herr Meier-Schmidt – begrüßte sie auch sofort mit Begeisterung. „Nifen, wie schön, dass Sie da sind. Und das ist die Band? Schön, schön.“ Er strahlte die Sorglospunks an. „Natürlich sind wir die Band“, schmollte Jack. Sie war den Tag über schon in eher schlechter Laune und die Tatsache, dass der lokale Schuldirektor die berühmtesten Kinder des Dorfs nicht kannte, traf gerade den falschen Nerv. „Der Herr Direktor meint das nicht so, Jack“, sagte Chris in dem Moment auch schon und tätschelte der Bandkollegin sanft die Schulter. Hilfesuchend blickte der Schuldirektor Nifen an. „Schlechte Laune. Künstler“, meinte diese mit einem Schulterzucken. „Also, sollen wir zwischendurch schon ein bisschen spielen, um die Kids anzufeuern oder erst später?“ „Na ja, momentan haben wir wohl definitiv ein Motivationsproblem...“ Herr Meier-Schmidt seufzte tief und deutete auf die Kinder, die sich leidlich bewegten und sich lieber unterhielten und Unsinn machten, anstatt auf ihre Lehrer zu hören. „Mhm, ich wüsste da was.“ Nifen grinste breit und tauschte einen wissenden Blick mit der Bandmuse. Keine zehn Minuten später waren die drei Sorglospunks in Sportklamotten gestopft worden und wurden von Herrn Meier-Schmidt den Schülern vorgestellt. „Liebe Schülerinnen und Schüler! Heute wartet auf euch nicht nur die Herausforderung, euch eure Sporturkunden zu verdienen. Nein! Die drei besten Sportler in allen Disziplinen werden ebenfalls mit Medaillen ausgezeichnet. Und damit ihr nicht allein um Medaillen kämpft, werden die Sorglospunks – Easy, Jack und Chris – mit euch kämpfen!“ Er applaudierte und auf den Gesichtern der Kinder machte sich mittlerweile zumindest so etwas wie Interesse breit. Als erstes stand der 100-Meter-Lauf an. Easy starrte die Strecke an. „So lang sind 100 Meter? Haben die sich nicht vermessen? Das sind doch wenigstens 250 Meter!“ „Darf ich ab der Hälfte gehen?“, fragte Chris mit großen Augen. Jack fixierte die Laufbahn nur schweigend, als wenn es sich dabei um ihren größten Feind handeln würde. In Gedanken wälzte sie bereits die Frage, wie sie sich bei Nifen für diese Zwangsbewegung rächen konnte. Sie würde mindestens die Ace of Base-CD-Sammlung verstecken und alle MP3s der Band von den Computern löschen! Zwei Minuten später kam der Pfiff der zuständigen Sportlehrerin und die drei Sorglospunks stürmten los. Nun, das Rennen beschrieb man besten so: Usain Bolt rannte (selbstverständlich) schneller und hätte die Sorglospunks vermutlich noch rückwärts und auf einem Bein hüpfend geschlagen. Aber das bedeutete für die Schulkinder auch, dass die Sorglospunks schlagbar waren – und somit gingen sie mit viel Ehrgeiz und Elan an den Lauf heran. Als nächstes war das Werfen an der Reihe. „Juhu, darin bin ich gut!“, jubelte Easy, schnappte sich den Ball und donnerte ihn nach fünf Metern auf den Boden. Chris schüttelte den Kopf. „Du wirfst wie ein Mädchen...“ „Ich bin ein Mädchen!“, fauchte Easy zurück und stemmte empört die Hände in die Hüften. „Aber du darfst doch nicht von oben herab werfen... Du musst nach oben werfen.“ In diesem Augenblick schnappte sich Jack ihren Ball und stellte sich vor, dass das Nifens aktuelles Lieblingsbuch war, dass sie mit Energie wegschleuderte. Der Ball zimmerte nur so an allen vorbei. „Wow!“ Chris machte große Augen. Jack dagegen grinste nur. Weitspringen... Abranka schaute dem ganzen Treiben mit Amüsement zu. Sie selbst hatte ja bei den olympischen Kinderspielen beim Weitspringen einmal den absoluten Negativrekord aufgestellt. Und sie fand es äußerst beruhigend zu sehen, dass Chris ihr hier in nichts nachstand. Dafür hopste Easy wie ein Flummi in den Sand. Jack dagegen hielt sich im guten Mittelfeld. Das mochte aber auch daran liegen, dass sie Nifen zwischenzeitlich böse anfunkelte. Offenbar hielt sich die schlechte Laune der Bandvernunft sehr hartnäckig. Die Siegerehrung war wenig überraschend: Es war tatsächlich in allen drei Disziplinen einigen Schülern gelungen, die Sorglospunks zu schlagen, sodass diese gar keine Medaillen bekamen. Easy zog beleidigt eine Schnute. „Da zwingst du uns schon, so was zu machen und dann kriegen wir noch nicht einmal eine Medaille“, wandte sie sich beleidigt an Nifen. „Genau.“ Jack legte ihrer Zwillingsschwester tröstend den Arm um die Schultern. „Als wenn wir je eine Chance gehabt hätten.“ „Na ja, ihr seid eben besser, wenn euch irgendwelchen höllischen Kreaturen jagen“, warf Abranka trocken ein. Bekanntlich konnten die Sorglospunks dann sehr schnell rennen und das sogar sehr lange und sehr ausdauernd. Aber da ging es dann auch wirklich um etwas – und zwar immer um deutlich mehr als eine dusselige Medaille, nämlich üblicherweise um ihr Leben oder die ganze Welt. „Und deswegen bekommen wir nichts?“, fragte Chris. Sogar auf seiner Miene war deutliche Enttäuschung zu sehen. „Wartet ab, was Herr Meier-Schmidt noch sagt“, wies Nifen die drei zurecht und grinste. Das wiederum weckte bei den Sorglospunks ein wenig Hoffnung. „...und nun für die Sorglospunks Easy, Jack und Chris noch Ehrenmedaillen, weil sie heute hier mit euch teilgenommen haben, obwohl sie eigentlich nur hier sind um zu singen“, sagte der Schuldirektor und bat die drei Sorglospunks zu sich, um ihnen goldene Medaillen um den Hals zu hängen. Easy, Jack und Chris strahlten. „Und nun freuen wir uns darauf, euch singen zu hören!“, rief Herr Meier-Schmidt aus und flüchtete von der Bühne. „Heyho, heyho!“, rief Easy ins Mikro. Dann hielt sie ihre Medaille hoch und gab ihr einen dicken Kuss. „Ihr seid toll! Und alle Sieger! Medaille hin oder her! Und deswegen ist dieser Song hier jetzt ganz allein für euch!“ Sie nickte Jack und Chris zu. Die Bandmuse Abranka grinste und schwang ihre Ideenblitze. „Rennen, Laufen, Werfen! Ja, Rennen, Laufen, Werfen! Alles hier und heute, alles nur für diesen einen Zweck: Wer ist der schnellste, wer ist der Beste, wer ist der Größte, wer ist der Sieger, wer ist unschlagbar? Ohohohoo Medaillenjagd! Und ich bin der Beste! Ohohohoo Medaillenjagd! Und ich stehe auf dem Treppchen ganz oooooben! Und wir alle, wir alle, wir sind Sieger, ja Sieger! Und wir alle, wir alle sind die Sieger! Wir sind die Besten, wir sind unschlagbar, hier und heute, nur für diesen Tag!“ Kapitel 66: Morgengrauen ------------------------ „Aaaaaaaaaaahhhhhh!“ Der Schrei gellte am frühen Montagmorgen durch die wohl sorgloseste Residenz im Schwabenländle. Jack und Chris, die bereits aufgestandenen Bandmitglieder der Sorglospunks, saßen über der ersten Tasse Kaffee in der Küche besagter Residenz und bemühten sich, auch ihren geistigen Zustand in 'wach' zu verändern. Müde blinzelten sie und nippten dann nahezu synchron erneut an ihrem Kaffee, ohne sich an diesem Schrei zu stören. „Aaaaaaaaaahhhh!“, ertönte es in diesem Moment jedoch wieder. „Okay, das ist sogar für Easy einmal zu viel“, entschied die Bandmanagerin Nifen, die im Gegensatz zu Jack und Chris bereits hellwach war, und machte sich auf den Weg zu Easys Schlafzimmer. Noch immer etwas benebelt folgten ihr Jack und Chris. Wieder gellte ein Schrei aus besagtem Schlafzimmer und Nifen stieß in großer Sorge die Tür auf. „Ich bin blind! Hilfe, Leute, ich bin blind!“, kreischte Easy panisch und wedelte mit ihren Armen in der Luft herum. Sie saß auf ihrem Bett und erinnerte entfernt an eine wildgewordene Windmühle. Nifen starrte die Frontfrau der Sorglospunks sprachlos an. Chris schob seinen Kopf durch die Tür, schüttelte den Kopf und stapfte zwecks Kaffeenachschub zurück in die Küche. Jack sah ihre Zwillingsschwester einen Augenblick lang an und sagte dann trocken: „Nimm einfach die verdammte Schlafmaske ab.“ Kapitel 67: Chinesische Besessenheit ------------------------------------ „Ich grab mich durch nach China, das find ich total prima! Ich grab mich durch nach China, hey, das ist echt prima!“ Jack starrte aus dem Fenster und sah mit offenem Mund zu, wie ihre Zwillingsschwester Easy im Vorgarten mit einer großen Schaufel hantierte und ein Loch buddelte. Es waren draußen annähernd 30°C im Schatten und ihre sonst eher bewegungsfaule Schwester – außer, wenn sie sportelte, wie sie sagte – grub da draußen lautstark singend ein Loch! „Chriiiiiis! Niiiiiifeeeeeen! Abrankaaaaaaa! Hilfeeeee!“, rief sie nach den anderen drei Mitbewohnern der Sorglospunks-Residenz, dem Wohnort der sorglosesten Band der Welt. Während Jack Percussionswunder und Bandvernunft war und Easy Sängerin sowie Frontfrau, handelte es sich bei Chris um den Gitarristen, bei Nifen um die Bandmanagerin und bei Abranka um die übernatürliche Bandmuse. Die drei waren binnen kürzester Zeit bei Jack. „Was denn?“ „Wo brennt's?“ „Ich hab Kaffee!“ „Da draußen!“ Jack deutete durch das Fenster. Die drei folgten ihrem Finger mit den Augen und rissen eben diese auf. „Woah. Was ist mit Easy los?“, fasste Chris als erstes die Situation in Worte. „Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Ich glaub aber, sie dreht durch“, erwiderte Jack trocken. „Na ja, wäre nicht das erste Mal“, kommentierte Abranka leicht amüsiert, aber ihr Gesichtsausdruck machte deutlich, dass sie sich dennoch Sorgen machte. „Wir sollten sie reinholen. Sonst bekommt sie noch einen Hitzschlag“, sagte die praktisch denkende Nifen. Eine Viertelstunde später war es ihnen endlich gelungen, Easy ins Wohnzimmer zu bugsieren, mit einer Flasche Wasser zu versorgen und sie allmählich davon abzubringen, weiter ihr Vier-Zeilen-Lied zu trällern. „Easy, was ist los?“, fragte Abranka. „Warum willst du nach China?“ „Na, da muss ich hin. Da komm ich doch her“, antwortete diese mit großen Augen. „Äh, Easy, du bist sowas von ein Schwabenlandurgewächs...“, sagte Jack und tätschelte ihrer Zwillingsschwester die Schulter. „Nein, nein. Ich komme aus China.“ Die vier wechselten einige lange Blicke. „Ich ruf Chi an“, murmelte Abranka nur und verschwand in den Nebenraum, während Nifen, Chris und Jack weiterhin versuchten, Easy zu entlocken, warum es sie auf einmal nach China zog. Chibichi, der Teufel höchstpersönlich, schaffte es, sich binnen neuer Rekordzeit aus der aktuellen Höllenkrise loszueisen und schleuderte mit dem Wunderauto Baby vor die Haustür. „Okay, wo ist der Patient?“, fragte sie, während sie ins Wohnzimmer rauschte. „Bitte schön. Kannst du eigentlich auch Exorzismus?“, erkundigte sich Nifen, während sie auf Easy deutete. „Falsche Seite.“ Chibichi grinste. „Aber Dämonen, Geister und so weiter und so fort kann ich trotzdem erkennen und anstatt sie mit Gewalt rauszuwerfen, kann ich ihnen eine Alternative anbieten.“ Ihr Grinsen wurde teuflisch. „Aber wir wissen ja noch nicht, ob sie besessen ist“, warf Jack ein. Sie wusste noch nicht, was ihr lieber war: Eine durchgeknallte Zwillingsschwester – das ließ ja nicht unbedingt Gutes für sie selbst ahnen, da sie den gleichen Genpool teilten – oder eine besessene Zwillingsschwester – denn das wiederum ließ nichts Gutes für das Katastrophenanziehungspotenzial der Band ahnen. „Na, dann lass Chi das doch endlich rausfinden.“ Chris rollte mit den Augen und fasste Jack am Arm, damit sie etwas Abstand zu dem Teufel hielt. Grummelnd ließ Jack ihn gewähren. Chibichi zog ihren Hell-o-Berry aus der Tasche und gleich darauf ein seltsames Ding, das wie eine übergroße Erdbeere-am-Stil aussah. „Was ist das?“, fragte Nifen und zog eine Augenbraue hoch. „Mein Besessenheit-o-Mator. Ein praktisches Add-on zum Hell-o-Berry.“ Chibichi grinste ihr teuflisches Grinsen. „Gebaut von den Glücksbärchis?“, kicherte Abranka. „Volltreffer. Die waren mir noch einen Gefallen schuldig.“ Der Teufel zwinkerte vergnügt in die Runde, wurde dann aber ernst. Sie stöpselte den Besessenheit-o-Mator in das Hell-o-Berry ein und der BoM reagierte mit einem dunkelroten Glühen. Chibichi führte das Gerät in einem Abstand von etwa fünf Zentimetern über Easys Kopf. Nicht nur Abranka fühlte sich in diesem Augenblick an diverse Folgen Star Trek erinnert. „Oh, oh...“ Als Chibichi diesen Laut von sich gab, waren die anderen Vier sofort ganz Ohr. „Ich fürchte, wir haben da doch eine Besessenheit.“ Der Teufel seufzte. „Chinesischer Geist?“, riet Nifen ins Blaue. „Bedauerlicherweise exakt.“ Chibichi schnitt eine Grimasse. „Wissen wir welcher?“, erkundigte sich Abranka. „Huli Jing. Die Fuchsfee.“ „Aha.“ Chibichis Antwort sorgte für Ratlosigkeit unter den nicht-besessenen Sorglospunks und Crew-Mitgliedern. Easy/die Fuchsfee dagegen lachte auf. „Sieh an, sieh an. Nach all der Jahrtausende erkennst du mich nur mit Mühe.“ Sie bedachte den Teufel mit einem höhnischen Grinsen. „Was willst du?“, fragte Chibichi und stemmte die Fäuste in die Hüften. „Nach Hause!“ Easy/die Fuchsfee sprang auf. „Über Jahrhunderte war ich eingesperrt, bis mich dieses Mädchen endlich befreit hat! Verschleppt hat man mich während der Zeit aus meiner Heimat und nun will ich wieder zurück!“ „Befreit?“ Chibichi blickte fragend in die Runde. Jack rollte die Augen. „Easy hat heut Vormittag im Museum in Stuttgart eine komische Vase zertrümmert. Sie ist dagegen gestolpert... Na ja, wir sind hingefahren, weil wir dachten, dass eine Ausstellung über chinesische Kunst und Kultur sie vielleicht inspirieren könnte...“ „Und stattdessen hat sie einen Mitbewohner mitgebracht“, ergänzte Chris trocken. „Immerhin unfreiwillig“, warf Nifen zu Easys Ehrenrettung ein. „Trotzdem.“ Chris verschränkte die Arme vor der Brust und zog einen Flunsch. „Hallo?“ Easy/die Fuchsfee schrie empört auf. „Ich weise euch daraufhin, dass ich anwesend bin und es äußerst unhöflich finde, wenn ihr über mich in der dritten Person redet!“ „Na und?“ Jack bedachte ihre besessene Zwillingsschwester mit einem schwesterlich-abfälligen Blick. „Machen wir doch sonst auch. Hast dir halt den falschen Wirt ausgesucht.“ „So?“ Easy/die Fuchsfee baute sich vor Jack auf, doch ehe sie irgendetwas weiter sagen konnte, legte Chibichi ihr die teuflische Hand auf die Schulter. „Mädchen, du weißt, wer ich bin, nicht wahr?“ „Und?“ Sie erwiderte den Blick des Teufels herausfordernd. „Du steckst gerade in dem Körper einer Freundin von mir. Einer Freundin, die mir sehr wichtig ist. Wag es, irgendetwas anzustellen, was ihr weh tut und du sitzt viel schneller im höllischen Hochsicherheitstrakt, als du höllischer Hochsicherheitstrakt sagen kannst!“ „So?“ Easy/die Fuchsfee trat einen Schritt zurück. Dann holte sie aus, um zuzuschlagen. Chibichi handelte schneller, als ein anderer der Anwesenden reagieren konnte. Sie knallte Easy den BoM vor die Stirn und das HoB gegen die Schläfe. Schnell drückte sie eine Taste an dem HoB und ein kreischendes Geräusch erklang. „Boah, Chi!“, schrie Jack auf und hielt sich die Hände auf die Ohren. Abranka stopfte sich einen Teil ihrer Wolke in die Ohren und bot die Wolkenwatte kommentarlos auch ihren Freunden an. Der Kampf Chibichi mit BoM und HoB gegen Easy/die Fuchsfee dauerte zwei Stunden. Dann endlich hörte das grauenhafte Geräusch auf und Easy sackte bewusstlos zu Boden. Eine fuchsförmige Wolke verließ Easys Körper und suchte nach einem anderen Wirt. Chibichi schickte sie mit grimmiger Miene in den gelb angelaufenen WG-Kaktus. Lebendig war schließlich lebendig. „Endlich...“ Nifen seufzte erleichtert und eilte zu Easy. „Geht es ihr gut?“, fragte Jack besorgt. „Ja, ja, sie bekrabbelt sich wieder.“ Chibichi lächelte. „Und dieses chinesische Fuchsbiest wird sich tatsächlich im höllischen Hochsicherheitstrakt wiederfinden. Ich habe sie ja gewarnt...“ „Hast du.“ Abranka grinste breit und klopfte Chibichi auf die Schulter. „Bleibt eigentlich das komische Muster auf Easys Stirn oder geht das wieder weg?“, erkundigte sich Chris neugierig, während er auf Easy herabsah. Auf ihrer Stirn prangte ein roter erdbeerförmiger Abdruck. „Mhm, das sollte weggehen...“ Chibichis Lächeln wurde verlegen. „Genauso, wie unsere Nachbarn hoffentlich ganz schnell dieses grauenhafte Geräusch wieder vergessen werden...“, murmelte Jack. „Hey...“ Easy schlug die Augen auf und blickte von unten zu ihren fünf besten Freunden empor. Sechs, korrigierte sie sich in Gedanken, denn in diesem Augenblick kam Kiwi um die Ecke gekatzt und schaute nach, was ihre Mitbewohner denn mal wieder angestellt hatten. „Ich hab da ne tolle Idee für einen neuen Song... Ich grab mich durch nach China, das find ich total prima! Ich grab mich durch nach China, hey, das ist echt prima!“ Jack wandte sich händeringend an Chibichi: „Chi, bist du dir sicher, dass sie nicht mehr besessen ist???“ Kapitel 68: Pli-pla-pleite -------------------------- „Und wir sind pleite, pli-pla-pleite Absolut pleite, ja, total pleite, pli-pla-pleite!“ Jack verdrehte entnervt die Augen, während ihre Zwillingsschwester Easy vor sich hinsang. Sicher, Easy war die Sängerin der Band, aber das bedeutete noch lange nicht, dass sie so auf etwas derart Ernstes wie einen negativen Kassensturz reagieren sollte. „Easy!“ „Pli-pla... Jack?“ Easy stockte und schaute ihre Schwester mit großen Augen an. „Klappe. Wir müssen denken.“ „Oki.“ Demonstrativ legte Easy die Hand vor den Mund und nachdem Jack sie noch einmal böse angesehen hatte, weil sie noch ein bisschen weitergesummt hatte, war sie still. Chris, seines Zeichens nicht verwandt mit den beiden Schwestern, aber als Gitarrist und Bassist der Band ebenfalls wohnhaft in der gleichen Residenz, betrachtete die Handvoll Münzen, die auf dem Tisch lag. Das war ihre gesamte Barschaft. Keine zwei Euro. „Wir sind sowas von am Arsch“, sagte er mit einem tiefen Seufzer. Jack seufzte leise. Wenn Easy wenigstens nicht die Bankkarte und die Kreditkarten verloren hätte! Sogar ihre Kundenkarten vom WWWB-Markt, bei dem sie quasi endlosen Kredit hatten, waren weg. Und ohne Kundenkarten hatten sie dort keine Chance auf neuen Kredit. Und für neue Kundenkarten brauchten sie eine Bürgschaft... Und ihre bester übersinnlicher Bürge – Chibichi – war im Moment auch nicht erreichbar. Dazu kam, dass ihre Bandmanagerin Nifen erst in zwei Tagen aus dem Heimaturlaub zurückkam. Nifen war ihr absoluter Problemlöser. Wenn die drei Sorglospunks etwas vergeigten, gelang es ihr eigentlich immer, alles in Ordnung zu bringen. Außerdem war Freitagabend. Keine Chance, noch irgendwo an Bares zu kommen. Ihnen stand ein grausames Wochenende bevor. Insbesondere, da sie es irgendwie geschafft hatten, vollkommen zu vergessen, irgendwann in der Woche einzukaufen und sowohl der Kühlschrank als auch sämtliche Vorratsschränke mittlerweile einfach leer waren. Sonst sorgte Nifens Organisationstalent ja immer dafür, dass sie rechtzeitig für Nachschub sorgten. Tatsache war, dass die drei sonst so sorglosen Sorglospunks Easy, Jack und Chris bis zum Kinn im Pleitedesaster steckten. Und das momentan ungewohnt allein. Nifen war auf Heimaturlaub, die Bandmuse Abranka hatte sich mit der besten Bandfreundin Chibichi – ihres Zeichen der Teufel und regelmäßige Heldin-des-Tages – in einen überirdischen Erholungskurs verabschiedet und selbst Bandphilosoph und Bandkassenbeschützer LennStar war außer Haus, da er mal wieder irgendwo in der Weltgeschichte auf einem Philosophenkongress unterwegs war. Nur das Bandmaskottchen Kiwi war daheim, was dummerweise aber bedeutete, dass sie noch ein hungriges Maul mehr zu füttern hatten. Denn als echte Bandkatze legte Kiwi natürlich wenig wert darauf, Mäuse zu fressen und zog das leckere Markenfutter vom WWWB-Markt vor. Aber die Anwesenheit von Kiwi bedeutete, dass ihre restlichen zwei Euro in Katzenfutter investiert werden würden. Kiwi ging schließlich vor. Gott sei Dank hatten sie noch ihre Kaffeeplantage auf dem Dachboden. Es war schon schlimm genug, dass der Schokovorrat aufgebraucht war. Aber Sorglospunks ohne Kaffee – das bedeutete ein Desaster sondergleichen. „Okay“, sagte Jack. „Vorschläge?“ „Unsere Nachbarn anpumpen?“, fragte Chris. „Hast du sie noch alle?“, entfuhr es Easy. „Die hetzen uns wieder den Tierschutzverein auf den Hals. Und sei es nur mit der bescheuerten Behauptung, dass wir Kiwi seelische Grausamkeiten zumuten.“ Energisch schüttelte sie den Kopf. „Punkt für Easy.“ Jack schnitt eine Grimasse. Leider hatte ihre Zwillingsschwester absolut Recht. Auf ihre Nachbarn konnten sie leider nicht zählen. Was blieb also noch? „Mhm... Hat das Star Burger heute Abend nicht das berühmte Wettessen, bei dem Teilnehmer umsonst essen dürfen?“, warf Chris in die Runde. „Minimum sind 5 Burger.“ Jack verzog das Gesicht. „Uns wird höllisch schlecht werden... „Aaaaber wir sind satt.“ Easy grinste. „Star Burger aufi!“ Und damit brachen die drei Sorglospunsks zu ihrem ersten Burger-Wettessen auf. Es waren ihnen schlecht geworden. Elendig schlecht. Und alle drei wussten, dass sie niemals wieder an einem Burger-Wettessen teilnehmen würden. Niemals wieder. Aber immerhin sorgte dieses Erlebnis dafür, dass sie am Samstag noch bis in den späten Nachmittag hinein sehr satt waren. Sehr, sehr satt. Und es bedeutete, dass sie mit vollkommen überfüllten Bäuchen in den Fußgängerzone der Nachbarstadt – da ihr heimisches Dorf zu klein war, um dort nennenswert viel Publikum anzuziehen – mit ihren Instrumenten standen und sich als Straßenmusiker verdingten. „Ohohooo... Iss niemals zuviel Burger, iss niemals zuviel Burger...“ Jack verdrehte die Augen, während Easy den spontanen Text schmetterte. Ihre Improvisation war ohne ihre Bandmuse Abranka einfach grauenhaft. Noch nie zuvor hatte sie ihre Muse so vermisst wie gerade. Und Nifen. Denn die hätte dafür gesorgt, dass sie niemals in diese peinliche Lage geraten wären. Und so war das Resultat des fleißigen Musikeinsatzes nur eine kleine Menge Münzen, die aber immerhin für ein günstiges Brot vom Backshop und etwas Aufschnitt beim Discounter reichte. Sie würden also heute nicht verhungern. „Easy, keine Improvisationen ohne Abranka oder ich reiße dir das nächste Mal den Kopf ab“, grummelte Jack, während sie in ihr Butterbrot biss. „Du hast voll keinen Punk mehr in dir“, schmollte Easy zurück. „Wir sind doch immer so!“ „Aber ohne Abrankas inspirierenden Fähigkeiten sind wir dann einfach nur schlecht.“ Chris seufzte in Selbsterkenntnis. „Also sollten wir bei unseren bisherigen Songs bleiben. Das ist echt besser.“ Easy ließ den Kopf hängen. „Ohne Abranka und Nifen sind wir gar nichts!“, jammerte sie herzergreifend. „Ich will Schokolade!“ Jack seufzte und schob ihr ein Stück der superbilligen Schokolade rüber, die sie sich gerade noch hatten leisten können. Easy nahm es und verzog das Gesicht. Es war zwar Schokolade, aber noch schlimmer als gar keine Schokolade war manchmal nicht die richtige Schokolade. „Hey, Montag ist Nifen wieder da. Die Bank hat wieder auf. Und alle unsere Problemen lösen sich dann ganz schnell.“ Jack lächelte ihre Schwester ermutigend an. „Aber das bedeutet wir haben noch den Sonntag vor uns“, sagte Chris. „Irgendeine Idee dafür?“ „Das wird einfach.“ Jack grinste breit. „Die Fußballjungs haben Grillfest. Ich habe vorhin mal bei ihnen durchgeklingelt und wir sind herzlich eingeladen. Als Gegenleistung müssen wir nur ein paar Songs spielen.“ Sie warf Easy einen durchdringenden Blick zu. „Ja, ja, ja, ohne Improvisation. Ich hab's verstanden.“ Easy rollte mit den Augen und nahm noch ein Stück der Schokolade. Am Montagmorgen saßen die drei Sorglospunks gerade beim kargen Kaffee-Brot-Restaufschnitt-Frühstück, als ein Taxi vorfuhr. „Nifeeeeeen!“ Easy sprang begeistert auf. „Das Leiden hat ein Ende!“ „Halt!“ Mit vom Kater brummenden Schädel stand Jack auf. „Bevor du rausstürmst: Woran denkst du?“ „Wir hatten eine tolle Zeit und unsere Vorräte sind uns leider heute Morgen ausgegangen. Ich habe zwar die ganzen Karten verbummelt, aber wir waren klug und haben super hausgehaltet und absolut nicht gehungert?“, gab Easy mit einem kulleräugigen Augenaufschlag zurück. Chris grinste in seinen Kaffee hinein. „Exakt. Diese Sache bleibt ganz unter uns. Sonst hält uns der Rest noch für total unfähig.“ Jetzt musste Chris lachen. „Tun die doch eh.“ „Na und? Wir müssen sie darin ja nicht noch bestätigen.“ Jack seufzte tief. „Oder?“ „Ganz deine Meinung.“ Easy nickte und salutierte demonstrativ. Dann sprang sie Richtung Tür und trällerte vor sich hin: „Und wir sind pleite, pli-pla-pleite Absolut pleite, ja, total pleite, pli-pla-pleite!“ Jack stöhnte auf und hielt sich die Hände vor das Gesicht. Sie wettete, dass es genau fünf Minuten dauern würde, bis Easy Nifen alles erzählte... Kapitel 69: Andere Muse, andere Sitten -------------------------------------- Abranka drehte den großen Umschlag mit dem Apollo-Siegel des Musenhauptquartiers unter kritischem Blick in ihren Händen. Der Flatterschuh-Kurier des Olymp hatte ihn gerade vorbeigebracht und bei Kuriersendungen, die auch noch das offizielle Siegel trugen, war die überirdische Muse der äußerst irdischen Band Sorglospunks stets skeptisch. Das Dumme war nur, dass sich am Inhalt nichts ändern würde, wenn sie darauf verzichtete, den Umschlag zu öffnen. Und aus rein logischen Gesichtspunkten war es besser, zu wissen, worum es ging, als später böse überrascht zu werden. Daher brach sie das Siegel und entfaltete den kurzen Brief. „Na großartig“, entfuhr es ihr. „Ein Praktikant…“ Eine knappe Viertelstunde hatte die Sorglospunks Notfallsitzung im Wohnzimmer. Easy – Sängerin, Songwriterin und Frontfrau in einer Person – sowie ihre Zwillingsschwester Jack – ihres Zeichens Multipercussionswunder, Triangelspezialistin und Bandvernunft – lümmelten sich auf dem Sofa. Gitarrist Chris saß mit seiner heißgeliebten Gitarre und einer großen Tube Politur im Sessel und bearbeitete sein Instrument liebevoll, während es sich die Bandmanagerin Nifen auf dem zweiten Sessel gemütlich gemacht hatte. Das Bandmaskottchen Kiwi hatte sich auf dem Teppich zusammengerollt und warf zwischendurch einen Blick unter ihren halbgeschlossenen Augenlidern hindurch, um ja nichts Wichtiges zu verpassen. Wichtig – das waren für Kiwi Schlagworte wie ‚Katzenfutter‘ und ‚zu dick‘. „Wir bekommen also Besuch“, fasste Nifen die Situation knapp zusammen, nachdem Abranka mit einer Mischung aus Aufgeregtheit und Genervtheit die Praktikanten-Ankündigung bekannt gegeben hatte. „Nicht nur. Im Endeffekt ist das so ein bisschen Check-up für die Musen und wenn ich auf dem Prüfstand stehe, dann ihr natürlich auch“, erwiderte Abranka und verkniff sich mit Mühe, die Augen zu verdrehen. „Ach, mach dir keine Sorgen. Wir sind doch genial. Alles wird gut“, warf Easy mit einem strahlenden Lächeln in die Runde. „Easy hat schon Recht. Was soll groß passieren?“ Chris zuckte die Schultern. „Im glücklichen Fall lernt besagter Praktikant sogar etwas von uns.“ Jack grinste. „Und sei es nur, wie man vernünftig Kaffee kocht und Schokokekse backt.“ „Oooooh… Wir backen Kekse?“, jubelte Easy. Damit war der sinnvolle Teil der Bandversammlung beendet und Abranka war wieder einigermaßen entspannt, als sie sich in die Küche begaben, um eine Keks-Back-Session zu beginnen. Sie musste allerdings zugeben, dass dieser Praktikant ihr erster war… Und sie war sich auch noch nicht ganz so sicher, warum Hippokrene – die Chefin der Musenzuteilungsabteilung – ausgerechnet ihr und den Sorglospunks einen Praktikanten vorbeischicken wollte. Irgendwie ahnte sie, dass dieser Praktikant nicht ganz normal sein würde. Denn wer war bitte schön schon total normal und landete bei den Sorglospunks? Morositus entpuppte sich als junger Mann mit Toga und noch ohne Wolke – die fliegende Wolke mit der Fähigkeit, unsichtbar zu werden und vielerlei inspirationsunterstützenden Inhalt zu tragen, erhielt man erst nach Erteilung des ersten Auftrags. Er hatte dunkle Haare, akurat zu Löckchen gedreht, hübsche grüne Augen und eine Nickelbrille. Und Abranka irritierte sofort, dass er versuchte, möglichst heimlichtuerisch durch die Tür zu schlüpfen. „Ich grüße Euch, große Inspirationsexpertin Abranka und bitte um Eure Lehre“, flüsterte er, während er zu Abranka auf die Wolke krabbelt. „Ihr könnt den Unsichtbarkeitsmodus aktivieren, damit Eure Schützlinge keine Störung erfahren.“ Abranka klappte der Unterkiefer runter. „Abrankaaaaaa!“, rief in diesem Augenblick Easy und stürmte aus dem Wohnzimmer. „Ist er das? Unser Praktikahant?“ Vollkommen entsetzt sah Morositus seine Mentorin an. „Ihr zeigt Euch Euren Schützlingen und habt ihnen von mir berichtet?“ „So machen wir das hier eben“, schnupfte Abranka und zog die Schultern entschlossen hoch. „Ich bin für die Sorglospunks nie unsichtbar. Ich benutze den Spezialunsichtbarkeitsmodus, mit dem mich bestimmte Leute dauerhaft sehen dürfen. Für Fremde bin ich dagegen immer unsichtbar. Das macht mir meine Arbeit leichter.“ Sie betrachtete den jungen Musenmann und seufzte innerlich. Hippokrene war ihr hierfür ja so etwas von schuldig. Denn sie ahnte so langsam, warum man ausgerechnet ihr Morositus geschickt hatte. „Aber, aber... im Musenhandbuch Kapitel 73 steht...“, stammelte Morositus und wurde sofort von Abranka unterbrochen. „Das Musenhandbuch ist eine Orientierungshilfe. Die Realität sieht etwas anders aus. Und jetzt komm, ich stelle dich der Band vor.“ Easy war hinter ihnen hergehibbelt und ließ sich als erste vorstellen, dann waren Jack, Chris, Nifen und das Maskottchen Kiwi an der Reihe. Morositus blickte die ganze Zeit über fast panisch von einem zum anderen. „Zu viele Menschen?“, fragte Abranka trocken. „Ja. Ihr... wie könnt Ihr mit so viel Aufmerksamkeit umgehen?“, fragte er mit großen Augen. „Wir sind Freunde“, erwiderte sie mit einem breiten Grinsen. „Heute Abend ist wieder ein Auftritt“, warf Nifen ein. „Denkst du, du dein Schützling ist dafür bereit?“ Abranka musterte Morositus und hob die Schultern. „Das ist praktische Erfahrung“, entschied sie schließlich und darauf kommt es ja an.“ Nifen zog eine Augenbraue hoch. Ihr war Abrankas Skepsis nicht entgangen und sie empfand den Musenpraktikanten auch als etwas seltsam. „Abrankaaaaaa... Songwritiiiiiiing!“, forderte Easy eine Stunde später. Abranka hatte ihrem Schützling alle möglichen Informationen über die Sorglospunks gegeben und ihm einige ihrer Erlebnisse erzählt. Seine Miene war dabei immer mehr von professionell und interessiert zu ungläubig und entsetzt gewechselt. „Aber... wie kannst du nur?“, fragte er mit aufgerissenen Augen. Abranka ignorierte mit einem Seufzer die – zugegebenermaßen blöde – Frage und widmete sich Easy. „Arbeit. Du entschuldigst mich.“ Damit ließ sie Morositus quasi stehen und widmete ihre Aufmerksamkeit Easy, die über dem gefährlichsten Stoff der Welt saß: einem weißen Blatt Papier. Während sie Easy mit einem guten Stoß Inspirationsenergie zur Seite stand, beobachtete sie Morositus aus dem Augenwinkel. Er wirkte so, als wenn er zum ersten Mal das Gefühl hätte, 'richtige' Musenarbeit von ihr zu sehen, und das ärgerte sie. Glaubte er wirklich, dass darin die gesamte Arbeit bestand? Neben jemandem zu hocken, Inspirationsenergie fließen zu lassen und sonst nichts? Dass all die Abenteuer, die ganze Bindung zu ihren Schützlingen, ihre Freundschaft und alles, dass das alles nicht wichtig war? Oder sogar verboten? Oh, dieser Kerl war so ein Idiot... Sie würde ganz sicher Chibichi, dem Teufel höchstpersönlich und eine sehr enge Freundin der Sorglospunks, eine Nachricht schicken und sich Murphy für eine Weile ausleihen. Und am besten schickte sie den teuflischen Dämonenkater erst bei Morositus vorbei und dann für einen Ferienaufenthalt von wenigstens zwei Wochen zu Hippokrene. Die hatte es nämlich wirklich nicht besser verdient. „Auf zum Auftritt“, hieß es einige Stunden später. Morositus wirkte vollkommen davon überfordert, dass sie tatsächlich mit hinaus fuhren in den Club, in dem die Sorglospunks spielen würden. „Aaaaaber... das ist ein Außeneinsatz“, sagte er vollkommen entsetzt. „Das ist laut Seite 399 Musenhandbuch...“ „Boah, Morositus, du nervst langsam“, entfuhr es Abranka. „Vergiss das blöde Handbuch und versuch mal selbst zu denken. Das hier sind meine Schützlinge. Das ist meine Band. Und die soll ich alleine lassen? Ernsthaft, du hast keine Ahnung von diesem Job.“ Sie schüttelte den Kopf. Das einzig Positive war, dass er bisher seine gestelzte Sprache verloren hatte. Damit war er ihr aber auch übelst auf den Keks gegangen. Morositus schaute Abranka entsetzt an und diese schüttelte den Kopf. Als die Band die Bühne betrat, machte sich Abranka ebenfalls bereit. „Du willst doch nicht etwas wirklich...?“, fragte Morositus. Dass sein Blick entsetzt war, erklärte sich allmählich fast von selbst. „Und ob.“ Abranka grinste breit. „Andere Muse, andere Sitten. Also schmier dir das Musenhandbuch in die Haare oder aufs Butterbrot. Du kannst später deinen Job so machen, wie du es für richtig hältst. Aber das hier, das ist mein Job. Und den mache ich so, wie es für richtig halte. Und ehe du darüber fluchst, dass dich Hippokrene so einer Regeln biegenden unkonventionellen Muse wie mir zugeteilt hat, denk einmal über dein hilfloses Klammern an allen festgehaltenen Orientierungshilfen nach. In dem Sinne: Halt die Klappe und schau einem Profi bei der Arbeit zu.“ Morositus schloss empört den Mund und verschränkte die Arme vor der Brust. Abranka ignorierte ihn, was nicht so einfach war, da er ja immer noch direkt neben ihr auf der Wolke hockte, aber irgendwie ging das schon. Stattdessen richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf Easy, die jetzt das Mikro ergriff. „Hallo ihr Liebhaber der fantastischen Werke! Hier sind die Sorglospunks, die bekanntlich beste Band der Welt! Und hier und heute im Schaukelnden Kobold haben wir für euch den absolut genialen neusten Song! Enjoy!“ Jack legte am Schlagzeug mit einem Donner los, Chris haute in die Saiten und Easy hob die Stimme. Gleichzeitig ließ Abranka ein Inspirationsgewitter sondergleichen los. „Ohohohoho Komm tanz mit mir Komm tanz mit mir Hier, im Schaukelnden Kobold Komm tanz mit mir Komm tanz mit mir Heute Nacht! Durch die kalte Septembernacht führte mein Weg mich hierher, durch die kalte Septembernacht bin ich gewankt, bis hierher, an deine Tür Und hier, da stehen wir du und ich und du sagst, du kannst nicht und ich sage, doch du kannst und ich habe Recht, und das weißt du Ohohohoho Komm tanz mit mir Komm tanz mit mir Hier, im Schaukelnden Kobold Komm tanz mit mir Komm tanz mit mir Heute Nacht! Und du sagst, hey, das geht doch nicht und ich sage, doch ganz klar und du sagst, nein, das willst du nicht und ich sage, und wie du willst und du willst, und du willst Ohohohoho Und wir tanzen, ja, wir tanzen, hier, im Schaukelnden Kobold Ja, wir tanzen, wir tanzen, diese ganze Nacht!“ Unter jubelnden Applaus beendeten die Sorglospunks ihr neustes Lied und wechselten dann zum Repertoire bereits bestehender Stücke. Abranka lehnte sich erschöpft, aber zufrieden zurück. Das war doch wieder gut gegangen. „Was ist?“, fragte sie, als ihr Blick auf Morositus fiel, der sie mit großen Augen und einem diesmal nicht entsetzten Gesichtsausdruck ansah. Nein, stattdessen glaube sie darin sogar so etwas wie Anerkennung zu sehen. „Das war... wie sagt ihr? Wahnsinn! Absolut und totaler Wahnsinn!“ Er klatschte mit Begeisterung in die Hände. „Ich wusste nicht, dass Inspiration so so so so... inspirierend sein kann!“ Sein Tonfall glitt in Richtung Easy-Jubel. „Nun...“, setzte Abranka an, doch Morositus unterbrach sie direkt wieder. „Ich weiß jetzt, was du meinst. Im Musenhandbuch ist so etwas nicht vorgesehen, doch hier ist das genau das Richtige. Solch eine Inspiration braucht deine Band. Und deswegen bist du die beste Muse für sie. Regeln hin oder her.“ Seine Augen glühten vor Begeisterung. „Die Muse macht die Regeln. Die Muse macht die Sitten!“ „Äh ja...“ Abranka tätschelte ihm die Schulter und hoffte, dass sich seine Begeisterung für ihre Person möglichst bald wieder legen würde. Ansonsten würde sie sich Murphy für drei Wochen ausleihen müssen... Kapitel 70: Missing Presumed...?! --------------------------------- Easy, ihres Zeichens Frontfrau und Sängerin der imaginärsten Band der Welt, schielte im Halbschlaf in Richtung Wecker. Der digitale Schlafräuber irritierte sie, auch wenn sie nicht genau sagen konnte warum. Dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen: Da fehlte doch was. Vorne zeigte er eine Null an, dann kam eine Leerstelle, dann der Doppelpunkt, dann eine Eins und eine Vier. „Hä?“ Sie setzte sich auf, rieb sich die Augen und nahm den Wecker in die Hand. Dann zuckte sie mit den Schultern und wollte sich schon wieder in ihr Kissen kuscheln, als die Tür aufgerissen wurde. „Verdammt, Easy! Du solltest seit einer Viertelstunde im Bad sein! Es ist schon nach Acht!“, wurde sie liebevoll von ihrer Zwillingsschwester Jack – Bandvernunft und Percussionswunder – angebrülllt. „Das sagt mein Wecker aber nicht!“ „Meiner aber! Und jetzt beweg dich!“ Murrend, knurrend und vor sich hinfluchend hievte sich Easy aus dem Bett und schielte noch einmal gen Wecker. Schon komisch. Da fehlte doch echt die Acht. Eine halbe Stunde später saß sie zum Frühstück in der Küche und beim Blick auf die Digitalanzeige des Backofens, die ebenfalls die Uhrzeit anzeigte, stutzte Easy erneut. „Sagt mal, Leute... Da fehlt die Acht. Bei meinem Wecker auch.“ „Ach, Easy, iss, trink deinen Kaffee und...“, fuhr Jack sie an, doch Nifen, die Bandmanagerin, unterbrach sie. „Easy hat Recht. Da fehlt die Acht.“ „Vielleicht ist das Ding ja einfach nur kaputt...“, knurrte Chris, das dritte Bandmitglied sowie Gitarrrenliebhaber, und versteckte sich nach Möglichkeit hinter seinem gewaltigen Kaffeebecher. „Nein.“ Nifen blickte auf ihr Handy. „Da fehlt auch die Acht.“ Und sie meinte nicht nur die Anzeige der Uhrzeit, sondern auch die Ziffer auf der entsprechenden Taste. „Aber bei meinem analogen Wecker nicht“, murmelte Jack und stopfte sich noch einen Löffel Müsli in den Mund. „Da zeigt der Zeiger aber auch nur auf eine bestimmte Position, oder? Auf deinem Wecker stehen doch gar keine richtigen Zahlen, nur Striche.“ „Mhm... Stimmt“, gab Jack widerwillig zu. „Lasst uns das besser mal prüfen.“ Nifen verschwand in Richtung Büro, um den Laptop anzuschmeißen, während Easy ins Wohnzimmer stürmte, um den Fernseher anzuschalten. Da gab es schließlich auch genügend Zahlen. „Sogar auf der Fernbedienung fehlt die Acht!“, schrie Easy auf. „Beim Laptop auch!“ „Wir haben eine vermisste Acht!!!“ „Himmel, beruhige dich, Easy.“ „Boah, ihr seid doch alle bekloppt. Ich geh wieder ins Bett.“ „Vergiss es, Chris. Du bleibst hier. Alle ins Wohnzimmer zur Lagebesprechung!“ Nifen brachte stimmgewaltig Ordnung in das gebrüllte Chaos. „Und was machen wir jetzt?“, fragte Easy mit großen Augen. „Herausfinden, ob das nur uns betrifft“, entschied Jack. „Wir ziehen schließlich bergeweise komische Dinge an – und es muss nicht sein, wenn bei uns die Achten fehlen, dass...“ „...die auch woanders fehlen“, beendete Chris ihren Satz. „Guter Plan.“ „Sehr guter Plan.“ Nifen nickte bestätigend. „In den Garten! Aufi!“, brüllte Easy und stürmte voran in den Garten. Dort blieb sie mit offenem Mund abrupt stehen. Kreischende Leute rannten vorbei. Über die Straßen stapften gewaltige haushohe Achten auf T-Rex-Beinen mit langen Armen, scharfen Klauen und offenbar sehr hungrigen Mäulern. Gerade vernaschte eine schwarze Acht die Leiterin des örtlichen Tierschutzvereins, der den Sorglospunks im Zusammenhang mit ihrem Maskottchen Kiwi ständig auf die Pelle rückte. Jacks Fanclub aus Fußballspielern stürmte gerade an ihnen vorbei, verfolgt von einer riesigen roten Acht. Dazwischen galoppierten große weiße Pferde, auf deren Rücken Ritter in silbernen Rüstungen saßen. Ihre Umhänge, Brustpanzer und Schilde zierte das Unendlichkeitszeichen – eine auf der Seite liegende Acht. Sie schienen die Acht-Monster zurückdrängen zu wollen, waren aber hoffnungslos unterlegen. „Oh, verdammt“, entfuhr es Nifen, die als erstes die Sprache wiederfand. „Das unterschreibe ich“, ergänzte Jack und hielt sich an Chris' Schulter fest. Ihre Beine drohten nachzugeben und das, obwohl sie schon viel Absurdes und Gefährliches gesehen hatte. „Ich mag Achten nicht...“, murmelte Easy leise. Die schwarze Acht, die gerade noch die Tierschutzvereinchefin verspeist hatte, drehte den Kopf und fixierte die Sorglospunks aus kleinen gemeinen Augen. „Ohoh.“ Als die Acht losstürmte, schalteten auch die Sorglospunks auf Turbo. „Ins Haus!“, brüllte in diesem Augenblick die Bandmuse Abranka, die bisher mit Abwesenheit geglänzt hatte. Die vier kamen ihrer Aufforderung sofort nach. Abranka schaltete auf Sichtmodus und flog mit ihrer magischen Wolke vor die schwarze Acht, um sie von ihren Freunden abzulenken. Die vier erreichten die vermeintlich sichere Haustür und drehten sich um. „Abrankaaaaa!“, brüllte Easy laut. Die Muse versuchte noch, dem gewaltigen Maul der Acht auszuweichen, doch es war zu spät. Einen Sekundenbruchteil später war sie verschwunden. „Neeeeeeiiiiiin!“, schrien nun auch Jack, Chris und Nifen. Die schwarze Acht grinste hämisch, war mit einem Satz über den Sorglospunks und beugte sich hungrig hinab. „Aaaaaaaah!“ „Boah, Easy, steh endlich auf!“ Jack riss ihrer Zwillingsschwester die Bettdecke weg, in der diese sich hoffnungslos verstrickt hatte. „Abrankaaaaa!!!“, kreischte Easy, sprang aus dem Bett und stürzte aus dem Zimmer. „Ich glaub, jetzt ist sie vollkommen bekloppt geworden...“, murmelte Jack und folgte ihr kopfschüttelnd in Richtung Küche. Dort fiel Easy gerade der verblüfften Muse um den Hals. „Du lebst, du lebst, du lebst!“, jubelte Easy dabei die ganze Zeit. Abranka tätschelte ihr den Rücken und schaute zu Nifen hinüber. „Ich glaube, unsere Kleine hatten einen Albtraum...“ „Der hoffentlich kein Lied wert ist“, knurrte Chris leise und nippte mit halbgeschlossenen Augen an seiner morgendlichen Tasse Kaffee. Acht Uhr morgens war wirklich eine grausam frühe Zeit. Kapitel 71: Sorglospunks auf Abwegen ------------------------------------ Es war ein frühherbstlicher Montagvormittag, als ich von dem vierteljährlichen Musentreffen auf dem Olymp in die mir so vertraute Wohngemeinschaft in dem kleinen Dorf mitten im idyllischen Schwabenländle zurückkehrte. Nichts hätte ahnen lassen, dass sich von da an etwas radikal ändern würde. Ganz radikal. So radikal, dass... Aber ich greife vor. Nun, es war ein frühherbstlicher Montagvormittag. Eigentlich war ich es gewohnt, dass ich bei meiner Rückkehr von fröhlichen Sorglospunksgesichtern begrüßt wurde, doch dem war diesmal nicht so. Statt begeisterten Musikern erwartete mich eine recht leere Diele. Na wunderbar. Auf der Suche nach meinen Patenkindern – als Muse der Band war ich schließlich so etwas wie eine Patin – sauste ich auf meiner Wolke durch die Wohnung. Easy, die Sängerin und Songwriterin der Sorglospunks, hockte in ihrem Zimmer und kritzelte fleißig auf einen Block. „Hey! Wo bleibt denn hier die Begrüßung?“, fragte ich fröhlich und gesellte mich zu ihr. Oha, Easy arbeitete an einem Songtext! Ganz allein und ohne meine Unterstützung. Im ersten Moment war ich ja wirklich stolz auf meinen Schützling Nummer eins, doch im zweiten fühlte ich mich doch ein wenig überflüssig. „Oh, sorry.“ Easy sah auf und irgendetwas an ihrem Blick kam mir gleich komisch vor. Sie sah mir gar nicht so richtig in die Augen. „Ich hatte da nur gerade eine Idee und war so vertieft...“, druckste sie herum. „Wusste gar nicht, dass du heute schon wiederkommst.“ „Das hatte ich eigentlich gesagt“, entgegnete ich und zog einen Schmollmund. „Hey, war keine Absicht.“ Easy lächelte schwach. „Sorry. Wir reden nachher, ja? Ich will das hier noch fertig bekommen...“ Und damit beugte sie sich auf schon wieder über ihren Block und kritzelte munter weiter an ihrem Songtext herum. Irgendetwas über Bäume und grüne Wiesen... Achselzuckend flog ich ein Zimmer weiter. Vielleicht würde sich Jack, das Percussions-, Blockflöten- sowie musikalische Vielseitigkeitswunder, ja eher freuen, mich zu sehen. Besagte Jack war gerade in die Lektüre eines Handbuchs über E-Geigen und deren Einbindung in die Punkmusik vertieft. E-Geige, ja, das war die Zukunft, wie sie schon vor Monaten in dem verregneten Sommer prophezeit hatte! „Hey! Ich bin wieder da!“ „Oh, hallo“, sagte sie und hob den Blick nur mühsam von den Buchseiten. „Wusste gar nicht, dass du heute schon zurückkommen wolltest...“ „Das ist eindeutig der Beweis, dass Easy und du Zwillinge seid.“ Ich verdrehte die Augen. „Sie sagte gerade das gleiche. Muss ich jetzt immer mit solch begeisterten Begrüßungen rechnen? Sonst freut ihr euch mehr...“ „Sorry, aber der Artikel ist so spannend...“ Ich sah ihr über die Schulter. „Staubschutz und Poliermittel für E-Geigen der Marke Musik-ahoi?“ Ich zog eine Augenbraue hoch. „Lass dich bloß nicht stören.“ Damit wandte ich mich um und suchte das dritte Bandmitglied im Bunde auf, den Komponisten und Gitarrenliebhaber Chris. Ausnahmsweise hockte dieser mal nicht vor dem PC und chattete mit seiner geliebten Freundin Umeko, sondern brütete über den Melodien für neue Sorglospunks-Hits. Umeko machte im Moment ein Praktikum auf der Hallig Hooge, sodass sie um diese Uhrzeit noch mitten in der Arbeit steckte und natürlich keine Zeit für einen ausgiebigen Chat hatte. „Hallo Chris.“ Mittlerweile war ich ja doch etwas desillusioniert und angefressen über die mangelnde Freude der Band über meine Rückkehr, dass ich gar nicht mehr damit rechnete, fröhlich begrüßt zu werden. Und so war es auch. „Oh, hi. Schon wieder da?“ „Nein, ich bin nur eine Illusion“, gab ich patzig zurück. So langsam gingen mir die drei wirklich auf die Nerven. „Lass mich raten, du bist gerade intensiv beschäftigt und ich störe?“ „Äh, na ja... Also...“ Chris lächelte mich verlegen an und sein Gesicht gewann langsam eine dunkelrote Farbe. „Ja, ja, schon gut.“ Ich verschränkte die Arme vor der Brust und ließ den wenig glücklich dreinschauenden Gitarristen zurück. Ob sich wenigstens Nifen darüber freuen würde, dass ich wieder da war? Nun, es würde sich zeigen... Es überrascht euch vermutlich nicht, dass Nifen ähnlich zurückhaltend reagierte wie die anderen Bandmitglieder. Und somit tat ich das einzige, was ich tun konnte: Ich zog mich ins Wohnzimmer zurück, kramte aus meinem Wolkenkoffer eines meiner Lieblingsbücher – ‚Der Graf von Monte Christo’– hervor und las. Das ist das Beste, was man tun kann, wenn man gerade eigentlich nichts tun kann als abzuwarten. Die Sorglospunks schlichen regelrecht um mich herum. Immer wieder schlinzte einer durch die Tür oder tapste herein, doch mehr als zwei, drei Worte oder einen zusammenhängenden Satz brachte keiner von ihnen hervor. Na wunderbar. Und so etwas nannte sich Freunde. So langsam nervte mich das. Wenn man mich hier nicht wollte, dann konnte ich auch gerne gehen... Ich hatte noch einige Monate Urlaub übrig, da ich in meiner Zeit mit den Sorglospunks keinen einzigen Tag davon genommen hatte – und bei Musen verfällt der Jahresurlaub nicht, weil ihre Arbeitszeiten eh von den Anforderungen ihrer Schützlinge abhängen. Am nächsten Tag traute sich Nifen schließlich, eine Sorglospunks-Versammlung einzuberufen. Das hieß, Band, Muse und Managerin setzten sich zusammen. „Also, während du weg warst, da haben wir dieses Angebot bekommen...“, begann Jack und Nifen ergänzte: „Per Mail. Du weißt schon.“ Ich musste unwillkürlich grinsen. Oh ja, ich wusste, was das hieß. „Also, da war dieses Angebot und das klang wirklich gut...“ „Und jetzt seid ihr in Schwierigkeiten?“, unterbrach ich sie. „Nicht so direkt. Eigentlich halten wir das für eine ziemlich gute Idee...“ „Wir haben eine zweite Muse!“, platzte Easy heraus, die die Spannung einfach nicht mehr länger ertrug. „Ihr habt was???“ Ich starrte die vier mit offenem Mund an. Das war doch nicht wahr, oder? Hatten die denn keine Ahnung, was das hieß? Was das nach Musenrecht bedeutete? Nein, hatten sie wohl absolut nicht. Ich schlug die Hand vor das Gesicht. „Abranka...?“, fragte Nifen vorsichtig. „Wann habt ihr denn den Vertrag unterschrieben?“ Meine Frage war tonlos gestellt. Denn natürlich musste es dabei einen Vertrag geben. „Vorgestern“, antwortete Chris. Ich nickte. „Dann bin ich seit vorgestern nicht mehr eure Muse.“ „WAS???“, kam es aus vier Kehlen gleichzeitig. Sogar Kiwi, die bis dato im Sessel gepennt hatte, maunzte erschrocken. „Jeder Mensch – und jede Band, die nach musischem Recht als eine Persönlichkeit gelten – hat Anspruch auf eine Muse. Niemand kann zwei Musen haben. Wird eine zweite Muse angefordert, ist der Vertrag mit der ersten nichtig...“ „Das ist nen Scherz, oder?“ Easy guckte mich mit tellergroßen Augen an. Ich lächelte traurig. „Nein, ist es nicht. Ich muss meine Sachen packen und mich auf dem Olymp bei Hippokrene melden. Ich werde einen neuen Auftrag bekommen.“ In die Traurigkeit, diese tolle Band verlassen zu müssen, mischte sich nun aber auch etwas Wut. „Mensch, Leute, warum könnt ihr denn nicht einmal keinen Mist bauen!“ Betroffen senkten die vier die Köpfe. Auch Kiwi schaute bedröppelt drein und maunzte leise. Mein Musentelefon (MT) klingelte. Ich brauchte gar nicht auf die Nummer zu schauen, um zu wissen, dass das Hippokrene war. Sie war immer äußerst pünktlich und nahm ihre Aufgaben sehr genau. Und dazu gehörte, abservierte Musen zwei Tage nach Vertragsende zu sich zu zitieren. „Ja, Hippokrene?“ „Abranka, du…“ „Ja, ich weiß. Ich mache mich gleich auf den Weg und bin in einer Stunde da.“ „Wunderbar. Ich habe schon ein paar gute Angebote für dich…“ „Toll. Das freut mich.“ Ich verdrehte die Augen und legte auf. Ich ahnte schon, was auf mich zukommen würde. Verkrachte Künstler, durchgedrehte Intellektuelle, geistlose Sportler… Das Übliche eben. Vielleicht sollte ich doch erst einmal Vertretungen übernehmen, denn eigentlich hatte ich gar keine Lust, mich direkt wieder fest zu binden… Die Sorglospunks wären nämlich mein Sechser im Lotto gewesen. Mein Goethe, mein Schiller, mein Shakespeare, meine Beatles, meine Rolling Stones, mein Mozart, mein... Aber das würde wohl außer mir keiner verstehen… Ich seufzte tief. „Ihr habt’s gehört, ich muss los…“ „Aber… aber… wir bleiben doch in Kontakt, oder?“ Easy versuchte, sich an meine Wolke zu klammern, doch ihre Hände glitten durch die wattige Masse hindurch. Bekanntlich besaßen Musenwolken nämlich nur für übersinnliche Wesen feste Substanz. Ich seufzte erneut. Am liebsten hätte ich der ganzen Gruppe ja gesagt, dass sie mich erst mal gern haben konnte und ich mich melden würde, falls ich wieder mit ihnen sprechen wollte. Aber der Blick in die aufgelösten Gesichter sorgte doch dafür, dass ich direkt wieder weich wurde. „Klar. Aber ich werde nicht viel Zeit haben…“ „Macht nichts. Hauptsache, wir… wir…“, stotterte Jack und brach dann verlegen lächelnd ab. Ich hatte sie aber auch so verstanden. Das schlechte Gewissen stand allen vier ins Gesicht geschrieben, als ich meine Wolke zum Fenster hinaus lenkte und mich auf den Weg Richtung Olymp machte. „Verdammt, wir müssen etwas tun!“, hörte ich Nifen fluchen, als ich noch nicht außer Hörweite war. „Genau. Irgendetwas muss es doch geben…“, stimmte Jack zu. „Gaia wird es garantiert nicht so lange mit Easy aushalten wie Abranka“, hoffte Chris. Dann war ich zu weit weg, um noch etwas zu verstehen. Gaia also. Ich zog mein Telefon hervor und rief Chibichi an. Wer, wenn nicht der Teufel, konnte sonst schon herausfinden, was da eigentlich passiert war und was ausgerechnet Gaia ausheckte? Denn mit der Inspirationsbranche hatte diese doch eigentlich gar nichts zu tun. Und das wollte ich nun doch wissen, auch wenn ich mich gerade äußerst verraten fühlte. Hippokrene ließ mir nicht viel Zeit, mich Wut, Enttäuschung und Niedergeschlagenheit hinzugeben. „Wunderbar, dass du schon da bist! Ich hätte hier…“, legte die oberste Mitarbeiterin Apollos und Zentrale Organisatorin der Museneinsätze (ZOM) los. Sie trug eine runde Brille auf der Nase und die grauen, beinahe vollkommen weißen Haare zu kurzen Löckchen aufgedreht, die fröhlich hüpften, wenn sie den Kopf schnell bewegte. „Hippokrene, kann ich erst einmal Vertretungen machen?“, bat ich leise. Urlaub war die andere Alternative, aber darauf hatte ich eigentlich keine Lust. „Ach, du willst nicht sofort was Festes, hm?“ Sofort machte sich Mitleid auf ihrem Gesicht breit. „Ich dachte nach der Band brauchst du direkt etwas Niveauvolles, Dauerhaftes…“ Ich zog einen Flunsch. „…aber ich weiß ja, dass sie für dich immer etwas Besonderes gewesen sind“, rettete sie den Augenblick gerade so eben. „Wie wäre es hiermit…“ Sie wühlte in dem Stapel an Urlaubsanträgen herum und zog eine blaue Mappe hervor. „Kassida braucht mal eine Pause. Ihr Mandant ist…“ Ich runzelte die Stirn. „Sag nicht der…“ „Doch, der Fußballer mit der überdrehten Frau. Die beiden haben zusammen immer einige bekloppte Ideen und Kassida ist jetzt erst einmal ausgebrannt und muss sich in den Pegasusbädern erholen und ihre Kreativität wieder auftanken. Was meinst du? Denkst du, du schaffst das?“ Ich nickte ganz automatisch. Natürlich schaffte ich das. Ich hatte Easy zu Songs inspiriert und diverse Live-Improvisations-Auftritte inspiriert. Da würde ich einen alternden Fußballer mit übertriebenem Geltungsbedürfnis schon in den Griff kriegen. Dachte ich jedenfalls. Bereits nach einer halben Stunde Regenerationsvertretung für Kassida wusste ich, warum sie den Besuch in den Pegasusbädern so dringend brauchte. Der Kerl war die Hölle! Und all der Glitzer auf den T-Shirts. Grau-en-haft! Ich schwebte neben ihm her, wedelte hin und wieder mit meinem Inspirationsstab, um ein paar Instantideen zu verteilen und einige absurde Ideensplitter wieder einzufangen, aber damit es nicht noch peinlich werden konnte als eine gescheiterte Doku-Soap auf einem Privatsender. Kassida mochte für so etwas immer zu haben sein, ich fand das aber eher peinlich und unterirdisch. Von daher freute ich mich noch mehr, als es ohnehin der Fall gewesen wäre, über Chibichis Anruf. „Chiiii!“, jubelte ich in das MT und fand im gleichen Augenblick, dass ich wie eine Easy-Kopie klang. „Abranka, bin ich wirklich bei dir gelandet und nicht bei den Sorglospunks?“, fragte Chibichi amüsiert und kicherte in den Hörer. „Ja, ja, lach du nur. Ich habe hier absoluten Entzug an vernünftigen Leuten!“, jammerte ich und bekam dafür das verdiente bedauernde „Ooooooohhhhh“ zu hören. „Sie vermissen dich auch“, sagte der Teufel dann mit einem Lächeln in der Stimme. „Na, immerhin.“ Ich zog einen Schmollmund. „Hey, es tut ihnen wirklich Leid. Sie hatten keine Ahnung, was sie da tun.“ „Das macht es nicht unbedingt besser.“ „Ja, schon…“ „Wie ist es denn genau passiert?“, fragte ich schließlich nach einem Augenblick des Schweigens, denn immerhin wollte ich wissen, was Sache war. Es ging schon allein ums Prinzip! Selbst, wenn ich unbeabsichtigt abserviert worden war. „Also, das war so…“ „Inspiration gesucht? Gaia gibt sie! Gaia – die ultimative Zweitmuse für jeden Künstler und angehenden Superstar! Mit dem Herz für die Erde Prestige gewinnen und punkten! Gaia ist für Sie da! Noch heute anmelden!“ Nifen blickte die drei Sorglospunks erwartungsvoll an, als sie mit Vorlesen geendet hatte. „Was sagt ihr?“ „Klingt toll!“, jubelte Easy. „Oh ja. Eine zweite Muse können wir schon alleine gebrauchen, um Abranka etwas zu entlasten. In letzter Zeit war es ja schon viel“, überlegte Jack. „Und wenn kein Haken dabei ist, könnten wir diese Gaia ja engagieren“, fügte Chris hinzu. „Nein, kein Haken.“ Nifen hielt die Ausdrucke hoch. Dass ein winzigkleiner schwarzer, kaum wahrnehmbarer Rand am unteren Ende des Blattes das Kleingedruckte darstellte, übersah sie, denn das sah schließlich wie ein unwillkürlicher Streifen beim Ausdrucken aus. „Super! Dann schreiben wir noch mehr Songtexte! Zwei Musen sind noch besser als eine!“, freute sich Easy. „Und zwei Musen können dich noch mehr unter Druck setzen als eine“, flachste Jack. „Ja, ja, lach du nur“, kam prompt die Antwort von ihrer Zwillingsschwester. „Aber du wirst dann auch gepiesackt und musst auch Songs schreiben!“ Easy malte sich die Zukunft schon in buntesten Farben aus. „Hier müsst ihr unterschreiben.“ Nifen reichte den Vertrag herum und ließ alle unterschreiben. „Dann kann Abranka auch endlich mal Urlaub machen“, sagte Easy mit einem breiten Lächeln. „Klar, den braucht sie von dir auch ganz bestimmt.“ Chris grinste und fügte dann hinzu: „Aber verdient hat sie es. Ohne sie wären wir ja nie so weit gekommen.“ „Oh ja!“ Die Aussage fand Zustimmung von allen Seiten. „Ach, und warum waren die vier dann so seltsam, als ich zurückgekommen bin? Eigentlich hätten sie mir das doch freudig mitteilen müssen“, grollte ich unbeholfen. Ich konnte mir die Szene sehr gut vorstellen. So reagierten die Sorglospunks doch immer auf neue Ideen. „Na ja, eine halbe Stunde nach Abschicken des Vertrages und Erhalt der Eingangsbestätigung hatten sie dann doch ein schlechtes Gewissen, weil sie nicht wollten, dass du dich ersetzt fühlst. Wie sagte Easy so schön? Aber Abranka ist und bleibt unsere Muse Nummer eins!“ „Idioten.“ Ich seufzte leise. „Wusstest du, dass Gaia die Mutter der Furien ist?“, erkundigte sich Chibichi nachdenklich. „Mhm… Aber eigentlich können die sich nicht ausstehen. Deswegen zweifele ich an einem Zusammenhang.“ Ich legte die Stirn in Falten. „Na, ich bleib auf jeden Fall dran…“ „Okay. Und ich muss Schluss machen. Die Mikrowellencurrywurst ist aufgegessen und mein Schützling hat schon wieder was vor…“ Ich verdrehte die Augen und legte auf. Nach einer Woche bekam ich meine nächste Vertretung zugeteilt. Kassida hatte sich wirklich herzzerreißend bedankt und bei der ZOM die Überlegung geweckt, unerfahrene Musen vor ihrem ersten Auftrag durch einige verschiedene Urlaubsvertretungen zu schicken, um diese auf alle Möglichkeiten des Musendaseins vorzubereiten. Mit Chibichi telefonierte ich regelmäßig, doch bisher hatte sie mir recht wenig Neues erzählen können. Seit sie die Furien gefeuert hatte, war es doch etwas schwieriger, an Informationen über diese heranzukommen und so paddelte selbst der Teufel gerade ein wenig. Sie unterstanden jetzt den Titanen, was die ganze Sache nicht unbedingt besser machte. Mittlerweile überlegte Chibichi sogar, die Furien wieder einzustellen, um sie wenigstens unter Beobachtung zu halten… „Hey, was gibt’s?“, fragte ich in mein MT, während ich gleichzeitig meinen neuesten Schützling im Blick behielt. Hauptsächlich bestand meine Aufgabe darin, blöde Sprüche aus dem Ärmel zu schütteln. Aber nach meiner langjährigen Sorglospunks-Erfahrung war das nun wirklich eine simple Aufgabe. Ich griff einfach auf meine Easy-Erfahrung zurück und würzte die mit Machogehabe und Niveaulosigkeit. Fertig. „Gaia hat sich bei den Sorglospunks sehen lassen.“ „Was? Erzähl mehr!“, hibbelte ich los und lauschte dann neugierig den Ausführungen des Teufels. „Wir können nicht mit einer Muse arbeiten, die nicht vor Ort ist!“, schimpfte Jack. „Wer soll Easy denn bitte schön in den Hintern treten? E-Mails und Telefonanrufe reichen da nicht! Wir brauchen Ideenblitze und Ideenkonfetti! Und jemanden, bei dem man sich einfach mal ausheulen kann!“ Die restlichen Sorglospunks, ihre Managerin und auch das Maskottchen Kiwi nickten zustimmend. Jack hatte sich ein Herz gefasst und Gaia endlich angerufen, um der Unzufriedenheit der Sorglospunks mit ihrer neuen Muse endlich Luft zu machen. Und während Jack sprach, hockten die anderen daneben, bemühten sich, mucksmäuschenstill zu sein – Easy war sicherheitshalber geknebelt worden – und lauschten dem Gespräch über den Lautsprecher. „Meine anderweitigen Verpflichtungen erlauben es mir nicht…“ „Du hast dich uns noch nicht einmal vorgestellt! Wir haben eine Muse, die wir noch nie gesehen haben!“, konterte Jack sofort. „Wir wollen dich wenigstens mal kennenlernen! Das könnte alles viel einfacher machen.“ Schweigen am anderen Ende der Leitung. „Also gut, ich komme morgen vorbei.“ Dann klickte es und Gaia hatte aufgelegt. Jack sah die anderen zufrieden an. Ging doch! Jetzt würden sie endlich ihre neue Muse kennenlernen. Und ausloten können, wie die so tickte und ob es da nicht irgendetwas gab, was half, diesen Vertrag aufzulösen… Am nächsten Tag warteten die vier – samt Kiwi – aufgeregt auf Gaia. Ob sie auch eine fliegende Wolke besaß? Und Ideenblitze? Gaia sah weitaus anders aus, als es irgendjemand der Sorglospunks erwartet hatte. Sie kam nicht auf einer Wolke, sondern ganz schnöde zu Fuß. Das war die erste Enttäuschung. Gaia war hübsch mit wallenden braunen Haaren, braunen Augen, einem sonnengebräunten, leicht erdigem Teint, einer knielangen Toga und einem grünen Umhang. Alles an ihr ließ einen an Natur, an Pflanzen und Tiere denken. Aber nichts an Inspiration, Musik und Songwriting. „Hallo“, lächelte sie verlegen in die Runde. „Ich bin Gaia. Schön, euch kennenzulernen.“ Der Reihe nach stellten sich die Sorglospunks vor. Gaia lächelte freundlich und verbreitete allein durch ihre Anwesenheit eine wirklich gute Stimmung, aber auch die konnte eine gewisse Skepsis, besonders bei Nifen und Jack, nicht vertreiben. Easy hatte da weniger Hemmungen. Sie fasste Gaia am Arm und zerrte sie regelrecht mit in Richtung Schreibtisch, wo sie ihr beim Songschreiben helfen sollte. Chris flitzte direkt hinterher, um sofort die passende Musik für die neuen Texte zu komponieren. Nifen und Jack sahen sich an. „Sie ist nett.“ „Ja, wirklich nett.“ Schweigen. „Aber keine Muse.“ „Sie versucht es zumindest.“ „Mhm…“ „Tut sie doch.“ „Ja, schon…“ „Aber sie ist keine Muse, nicht wahr?“ „Genau.“ Nifen griff nach dem Telefon und wählte die teuflische Rufnummer. Es wurde Zeit, hier doch noch ein anderes Register zu ziehen. „Und weiter?“, fragte ich nach. „Im Moment nichts weiter. Ich versuche aber, mir Gaia auf einen Kaffee zu schnappen und sie mal etwas auszuhorchen. Irgendwie erscheint sie mir doch etwas gestresst und unter Druck…“, antwortete der Teufel. „Kann gut sein“, entgegnete ich schnippisch. „Sie hat ja jetzt auch zwei Branchen, um die sie sich kümmern muss. Um die Erde und um die Inspiration. Dass das nicht gut gehen kann, hätte ich dir schon vorher sagen können.“ „Schon klar. Aber ich glaub, da steckt noch etwas anderes dahinter. Ich kenne Gaia eigentlich nicht als jemanden, der andere aus ihren Aufgaben herausdrängt. Das ist nicht ihr Stil…“ „Mhm…“ Ich kannte Gaia nur äußerst flüchtig. Sie war noch seltener auf dem Olymp als wir Musen und kam nur zu den wichtigsten Versammlungen. Und genau bei diesen Gelegenheiten hatte ich sie einige Male reden gehört. So sehr es mir auch widerstrebte es zuzugeben, da ich sie gerne als böse und niederträchtige Person gesehen hätte, die mir meinen Lieblingsjob geklaut hatte, war sie mir dort als verständig, wenn auch überarbeitet und angespannt erschienen. „Viel Erfolg“, sagte ich schließlich. „Die singst wie eine Kanalratte, wenn sie Käse findet!“, ließ mein Schützling in dem Moment einen seiner Sprüche los. Und während Chibichi noch lauthals lachte und sich dabei weniger über den Spruch als vielmehr über mein Vertretungsschicksal amüsierte, legte ich auf. Zumindest hatte ich das Glück, diese Vertretung nur kurz machen zu müssen, da Namida, die ihn normalerweise betreute, darauf brannte, zu ihrem Schützling zurückzukehren. Ich war also nicht die einzige Muse, die ihre Mandanten wirklich gerne mochte – und zwar Mandanten, bei denen das viele andere Musen absolut nicht nachvollziehen konnten. Wenn ich das nächste Mal deswegen wieder aufgezogen werden würde, konnte ich mir ja die Gründung eines Vereins zur Förderung der Akzeptanz von derartigen Vorlieben überlegen. Aber vermutlich steckte bei den anderen Musen nur Neid dahinter, nicht auch derart zufrieden zu sein. Meine nächste Vertretung war für Cassiopeia. Auch sie war recht zufrieden mit ihrem Mandanten, fluchte aber regelmäßig darüber, dass sie ihren Look dem seinen anpassen musste und es ja nahezu unmöglich sei, mit ihm mitzuhalten. Dazu muss gesagt werden, dass Cassiopeia die Ansicht vertritt, dass Muse und Mandant einen ähnlichen Stil besitzen sollten – und sich auf natürliche Weise die Muse im Laufe der Zeit eh entsprechend an den Mandanten anpasst – und somit stets auf diese Dinge bedacht war. Ich muss zugeben, dass auch ich mittlerweile einige punkige Indizien an mir entdeckt hatte. Seien es die Buttons auf meiner – wenn auch eher seltener gebrauchten – Handtasche oder aber die bunten Chucks, die meine Riemchensandalen ersetzt hatten. Und nicht zu vergessen, die silberne Sternchenhalskette mit den dazu passenden Ohrringen, die ich stets trug. Und meine Haare… Nun, lassen wir das. Cassiopeia brauchte also Urlaub und ich übernahm die Vertretung. Mein neuster Schützling war damit niemand anderes als einer der größten Stars der japanischen Musikszene. Jemand, der beinahe alle fünf Minuten den Look wechselte und seine Haarfarbe so oft wie – hoffentlich – seine Socken. Ich muss zugeben, das gefiel mir. Oh ja, an den Jungen konnte ich mich echt gewöhnen. Kreativ, äußerst kreativ und ein wirklich offener Geist für jegliche Inspiration… Klingelingeling. „Ja?“, fragte ich in das MT, ohne überhaupt nachgesehen zu haben, wer mich da anrief. „Abrankaaaaaa!“, jubelte mir die hohe Easy-Stimme ins Ohr. „Hi.“ Ich war vollkommen perplex. Mit Easy hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. „Wie geht es dir? Vermisst du uns? Wir vermissen dich ganz doll! Gaia ist zwar nett, aber irgendwie klappt das alles nicht so richtig. Sie hat von Musik keine Ahnung und will dauernd, dass wir uns an Vogelstimmen und Walgesängen orientieren! Was hat das denn noch mit Punk zu tun???“ Easys Stimme überschlug sich fast. „Also echt jetzt! Wir brauchen dich! Komm zurück!“ Ich musste lächeln. Es war schön zu hören, gebraucht zu werden, denn irgendwie hatte ich ja doch befürchtet, dass die Sorglospunks mich nicht mehr gebrauchen konnten, weil Gaia ihren Job richtig toll machte… „Ganz so einfach ist das nicht, Easy.“ „Aber, aber… Wenn wir da einen Antrag an diesen Apol… Apolo… Appo-Dingsda stellen, dann kannst du doch sicher zurückkommen, oder?“ Die Frage war vollkommen treuherzig gestellt. „Schauen wir mal.“ „Toll!“ Ich konnte ihr Strahlen regelrecht vor mir sehen. „Ich geb dir Jack, die will auch noch mit dir reden!“ Im Endeffekt sprach ich mit allen Sorglospunks, natürlich auch mit Nifen und selbst Kiwi ließ es sich nicht nehmen, ein paar Maunzer in den Hörer zu schicken. Der Grundtenor aller war der gleiche: Gaia war nett, hatte aber keine Ahnung von Musik und inspirierte in der Hinsicht bedingt gut. Selbst Jack, die ja offen für alles war, hatte Meeresrauschen als Rhythmusmaschine vollkommen abgelehnt. Gleichzeitig kicherte Nifen im Hintergrund und erinnerte daran, dass man ja Elefanten als Trompetenspieler nehmen könnte… Kaum hatten die Sorglospunks aufgelegt, klingelte mein MT erneut. Ich warf einen kurzen Blick hinüber zu meinem Schützling, der sich gerade rote Strähnen in das hellblonde Haar färben, während ich abnahm. „Abranka, es gibt da eine Lücke, die wir nutzen können!“, feuerte mir Chibichi sofort den neusten Stand ins Ohr. „Schieß los!“ Die Fegefeuer-Bar war ein Ort, an dem man nahezu alle Bewohner des Himmels, der Hölle, des Olymp, der Unterwelt sowie alle weiteren mythologischen und übernatürlichen Geschöpfe treffen konnte. Die Bar mit dem daran angeschlossenen Restaurant und Café sowie der kleinen Kegelbahn war sozusagen die neutrale Zone, die von allen Seiten ungeachtet aller sonst vorhandener Differenzen akzeptiert wurde. Wer hier den Waffenstillstand brach, konnte darauf vertrauen, nicht nur Gott und die Welt, sondern tatsächlich alle gegen sich aufzubringen. Nicht von ungefähr hatte Chibichi diesen Ort ausgewählt, um sich mit Gaia zu treffen. Vorher hatte sie extra noch mit Hyperion, einem der Titanen, gesprochen, um sicher zu gehen, dass die Furien nicht überraschenderweise hierhin ausgingen. Da Hyperion ihr noch etwas schuldete, waren die Furien gerade am Südpol zu einer geheimen Mission unterwegs. Chibichi lehnte sich zurück und nippte an ihrem Erdbeerkaffee. Sie saß in einem gemütlichen Sessel und wartete auf Gaia. Vor ihr stand ein niedriger Tisch, auf dem um diese Tageszeit noch ein Schälchen mit Schokoladenkeksen stand. Sobald es Abend wurde, wurden diese stets gegen salzige Erdnüsse ausgetauscht. Gaia wirkte abgehetzt, als sie sich Chibichi gegenüber in den Sessel fallen ließ. „Hallo.“ Ein teuflisches Lächeln auf den Lippen strahlte Chi sie an. Gaia erwiderte die Begrüßung und bestellte sich dann einen doppelten Kakao mit Sahne. Chibichi zog eine Augenbraue hoch. Oha. Ein doppelter Kakao mit Sahne bedeutete in der Regel massig Stress bis hin zu vollkommenen Land-unter-Erscheinungen. „Alles klar?“, erkundigte sie sich somit auch, als der Kakao da war und Gaia die Hände um den großen Bottich geschlossen hatte. „Gar nichts ist mehr klar. Ich wollte der Erde helfen! Der Natur und ihren Bewohnern! Und was ist passiert? Ich gehe nur noch mehr in Arbeit unter als vorher und einen Nutzen gebracht hat gar nichts!“ Resigniert nippte sie an ihrem Kakao. „Was hätte denn einen Nutzen bringen sollen?“ „Na, der Einstieg in das Inspirationsgeschäft. Hast du eine Ahnung davon, wie wenig Aufmerksamkeit die Erde bekommt? Wie wenig die Menschen auf ihre Umgebung achten und wie wenig Bedeutung sie all dem beimessen? Das muss geändert werden, denn sonst geht dieser Planet vor die Hunde! Und zwar nicht vor die netten Höllenhunde, sondern vor die gruseligen Pitbulls des Nichts! Und dann ist Schluss mit allem! Aber das versteht ja wieder mal keiner. Und den Menschen das zu verklickern, das ist doch auch unmöglich…“ „Hey, hey, immerhin mit der Ruhe.“ Chibichi schenkte ihr ein beruhigendes Lächeln. „Wir sprechen das bei der nächsten Vollversammlung an und…“ „Die ist aber erst in 50 Jahren!“ „Dann lassen wir eben eine außerordentliche Sitzung einberufen. Wenn ich das fordere, passiert das auch noch dieses Jahr.“ „Das würdest du tun?“ Gaia blickte den Teufel treuherzig an. „Natürlich.“ Chibichi winkte lässig ab. „Allerdings…“, fügte sie dann hinzu. „Ist nichts, was der Teufel tut ohne Preis“, ergänzte Gaia. „Was willst du?“ „Erst einmal Informationen. Wer hat dich auf den Einstieg ins Inspirationsgeschäft gebracht? Und vor allem: warum?“ „Ach, das war die erste gute Idee meiner Töchter Alekto, Megaira und Tisiphone. Sie meinten, dass ich die Möglichkeit hätte, die Menschen auf die Belange der Erde besser aufmerksam zu machen, wenn große Künstler und bekannte Personen des öffentlichen Lebens dahingehend inspiriert sind. Weil die viele Menschen erreichen…“ Chibichi zog eine Augenbraue hoch. Bei jedem anderen hätte sie das ja als eine hochehrenvolle Idee bewertet, wenn da nicht die niederträchtige Unterwanderung der Sorglospunks gewesen wäre. Vermutlich hatten die drei sogar noch extra dafür gesorgt, dass die Sorglospunks genau diese E-Mail bekamen. Und nicht nur einmal. Nifen hatte doch gesagt, dass sie diese Mail ungefähr zwanzig Mal im Postfach gehabt hatte... Was für Biester! „Aber?“ „Ich bin für das Inspirationsgeschäft nicht gemacht! Es funktioniert einfach nicht!“ Gaia seufzte. „Weißt du… Ich habe da eine Idee...“ Der Teufel legte Gaia beruhigend die Hand auf den Unterarm. „Und die Idee, die kostet dich sogar überhaupt nichts.“ Ich lächelte, als ich das hörte. Denn ich hatte so eine Ahnung, wie Chibichis Idee aussah… Keine Woche später gab es einen internationalen Tag der Umwelt, an dem Konzerte in aller Welt stattfanden, um an die Bedeutung der Erde für das menschliche Leben zu erinnern. Und in einem kleinen Dorf im Schwabenländle schwang sich die sorgloseste Punkband der Welt – gerade frisch mit ihrer Muse wiedervereinigt – auf die Bühne. „Für die Erde und für Gaia!“, rief Easy fröhlich ins Mikrophon, während ich die Ideenblitze schwang und Chris sowie Jack musikalisch in den Startlöchern standen, um den live und spontan auf der Bühne zu komponierenden Song für die Erde zu spielen und das Publikum zum Toben zu bringen. Kapitel 72: Bring den Knoten zum Platzen! ----------------------------------------- Easy brütete über dem weißen Blatt Papier. Die Frontfrau, Sängerin und leider Gottes auch Songwriterin der sorglosesten Band der Welt, den Sorglospunks, stand kurz vor der absoluten Verzweiflung. Es wäre vielleicht besser gewesen, wenn ihre beiden Bandgenossen – ihre Zwillingsschwester und Multipercussionswunder Jack sowie Gitarrist Chris – sie wenigstens in Ruhe gelassen hätten. Aber Ruhe war im Sorglospunkshauptquartier mitten im wunderschönen Schwabenländle üblicherweise immer fehl am Platz und absolute Mangelware. Chris hüpfte zwischendurch vorbei und suchte irgendetwas, während Jack ständig reinschaute und schlaue Sprüche von sich gab. Außerdem strich auch das Bandmaskottchen, die Katze Kiwi, ständig um sie herum. „Das ist doch alles ganz easy, Easy!“, rief Jack. Chris suchte sein Gitarrenpoliermittel. Kiwi sprang auf Easys Schoß. „Entspann dich, dann fließen die Worte schon“, meinte Jack. Chris suchte seine Socken. Kiwi bestand auf Streicheleinheiten. „Schreib doch über den Sonnenuntergang“, sagte Jack. Chris suchte das Laptopnetzteil. Kiwi sprang wieder runter. „Schreib doch über uns“, schlug Jack vor. Chris suchte sein Lieblings-T-Shirt. Kiwi sprang auf den Schreibtisch und spielte mit Easys Stift fangen. „Schreib doch über diesen Typen, den du mal so toll fandest“, kicherte Jack. Chris suchte eine rote Socke. Kiwi legte sich mitten auf das weiße Blatt Papier. „Hey, schreib doch über Kiwi!“, begeisterte sich Jack. Chris suchte eine grüne Socke. Kiwi rollte sich einmal quer über den Schreibtisch. „Denk daran, dass ich gutes Schlagzeugsolo brauche“, erinnerte Jack. Chris suchte neue Gitarrensaiten. Kiwi sprang laut klagend wieder runter. „Hey, Easy, was hast du bisher?“, fragte Jack. Chris brauchte dringend das Fernsehprogramm. Kiwi maunzte ganz kläglich, dass sie hier ja wohl noch verhungern müsse. „Bring den Knoten zum Platzen!“, steuerte Jack die ultimative Weisheit bei. Chris schaute nur kurz rein und sprang dann in Deckung. Kiwi verschwand in Richtung Küche. Zumindest sorgt der letzte Spruch dafür, dass Easys Geduldsfaden riss. „Verpeif dich! Sonst schreib ich über dich und das wird nicht nett!“ Easy warf ihren Kugelschreiber hinter Jack her und erntete zumindest leises Lachen ihrer Schwester. Das war aber auch echt empörend. Wie sollte sie denn bitte so einen neuen Song schreiben? Und das Dumme war ja sowieso, dass Jack Recht hatte. Irgendwie musste sie diesen Knoten zum Platzen bringen. Momentan brachte ja noch nicht einmal mehr Abrankas Inspirationskonfetti etwas. Die Bandmuse war die ganze Zeit über nicht von Easys Seite gewichen und hatte sie immer wieder mit Inspirationskonfetti und Ideenbonbons versorgt. Easy argwöhnte, dass die Muse die meiste Zeit entweder träumte oder las. Aber immerhin verkniff sie sich jegliches Zutexten oder sonstwie geartetes Nerven. Das war das letzte, was Easy gerade gebrauchen konnte. „Alexander der Große hat den Gordischen Knoten ja einfach mit einem Schwert zerschlagen“, sagte Abranka in diesem Augenblick. „Vielleicht musst du nur dein Schwert finden.“ „Ein Schwert gegen einen Anti-Ideenknoten?“, grummelte Easy leise. „Im übertragenden Sinne.“ Abranka zwinkerte ihr zu. „Ich geh einen Kaffee trinken...“ Easy seufzte und erhob sich. Dann streckte sie sich ausgiebig und flitzte so heimlich wie möglich in die Küche. Kaffee war schließlich die ultimative Waffe gegen alles, aber sie wollte gleichzeitig nicht unbedingt ihren nervigen Bandkollegen über den Weg laufen. Große Heimlichkeit war hier aber nicht möglich, da dort die Bandmanagerin Nifen stand und Kekse backte. Leckere Double-Schoki-Cookies. Sie mopste sich welche frisch vom Backblech und verschwand dann mit ihrem Kaffee zusammen wieder an den Schreibtisch. „Viel Erfolg beim Schreiben!“, rief Nifen ihr nach. „Ich habe übrigens einen Auftritt nächste Woche beim Fußballrudelgucken organisiert!“ Easy stöhnte auf und vergrub das Gesicht in den Händen. „Okay, die wollen einen geplatzten Knoten, die kriegen einen geplatzten Knoten“, grummelte sie schließlich und griff nach dem Stift. Einen Augenblick später seufzte sie, stand auf und holte den Kugelschreiber aus dem Flur zurück. Sie hatte vergessen, dass sie Jack mit ihrem einzigen Lieblingsstift beworfen hatte. Dann flitzte der Stift nur so über das Papier und eine halbe Stunde später brüllte sie: „Chris, schlepp deine Gitarre her! Jack, bring deine Minitrommel mit! Wir haben einen Song!“ Neugierig kamen die beiden Sorglospunks mit Nifen im Schlepp ins Wohnzimmer herüber. Abranka grinste nur wissend und lehnte sich auf ihrer Wolke zurück. Sie fand ja, dass der neue Song etwas hatte. Easy räusperte sich und legte dann los: „Ich sitze hier vor dem weißen Blatt und dieser blöde Knoten macht mich ganz matt. Lass mich los, lass mich frei, verpfeif dich doch! Lass mich los, lass mich frei, verpfeif dich doch! Doch nein, nein, nein, ich sitz noch immer hier und nichts geht weg, nichts lässt mich los, nichts lässt mich frei, nichts verpfeift sich. Nichts lässt mich los, nichts lässt mich frei, nichts verpfeift sich. Komm, hol mein Schwert! (Ich hol dein Schwert!) Komm, hol mein Schwert! (Ich hol dein Schwert!) Und ich zerschlag den Knoten! Ich zerschlag den Knoten! Und der Knoten macht 'Platz'! Und der Knoten macht 'Platz'! Jahahaaaa, der Knoten macht 'Platz'! (pla-pla-pla-platz den Knoten platz den Knoten pla-pla-pla-platz den Knoten!) Komm, hol mein Schwert! (Ich hol dein Schwert!) Komm, hol mein Schwert! (Ich hol dein Schwert!) Und ich zerschlag den Knoten! Ich zerschlag den Knoten!“ Easy hielt inne und strahlte in die Runde. „Na?“ „Joa...“, machte Chris. „Ich mag den Beat und dass wir Background singen dürfen. Das ist cool.“ „Joa...“, kam es von Jack. „Knotig, würd ich sagen.“ „Passt schon“, gab Nifen dazu und reichte lauwarme Kekse herum. „Hmpf.“ Easy verschränkte die Arme vor der Brust. „Dann platzt ihr das nächste Mal doch eure eigene Knoten.“ „Nee, deine sind viel schöner.“ Jack lachte und wuschelte ihr durch die Haare. „Iss einen Keks.“ Seufzend nahm Easy einen Keks und knabberte schnell genussvoll daran. Abranka griff derweil die Melodie auf und summte den Refrain vor sich hin. Also, sie war sich sicher, dass das Lied das Potenzial zu einem modernen Klassiker hatte. Kapitel 73: Gartendschungel --------------------------- Dass sich etwas tun musste, ging den Sorglospunks erst allmählich auf. Die Musikern oft zu eigene Faulheit machte sich bei der Band nur allzu oft bemerkbar. In der Regel hatte die Bandmanagerin Nifen ihre Schützlinge ganz gut im Griff und die drei Sorglospunks – Easy, ihre Zwillingsschwester Jack und der nicht mit den beiden verwandte Chris – machten meist, was sie ihnen sagte. Spätestens dann, wenn sie ihnen damit drohte, dass sie den Kaffee und/oder die Schokolade versteckte. „Oh“, machte Easy an diesem schönen Frühlingsmorgen, als sie Kiwi in die frischluftige Freiheit entließ, die katzige Kiwi den Garten betrat – und verschwand. In diesem Fall war das Verschwinden nahezu wortwörtlich zu nehmen – das Gras stand so hoch, dass von Kiwi weder die Ohren noch die Schwanzspitze zu sehen waren. „Eindeutig oh“, ergänzte Jack. „Möglicherweise“, schränkte Chris ein. „Und sowas von eine Aufgabe, die zu erledigen ist.“ Nifen gesellte sich zu den dreien und beobachtete mit ihnen, wie sich eine durch Kiwis Bewegung ausgelöste Woge durch das Gras bewegte. „Öhm, da ist noch dieser Song...“, fiel Easy ein. „Und meine Gitarre braucht dringend eine neue Politur“, merkte Chris an. „Mein Schlagzeug muss geölt werden“, fügte Jack glatt hinzu. „Und wir müssen uns um den Garten kümmern, ehe wir wieder die übereifrigen Omas vom Tierschutzverein auf der Matte stehen haben oder einen wütenden Nachbarn, weil wir dem Viechzeug Obdach gewährend, das ihm die Tomaten abknabbert.“ Nifen verschränkte die Arme vor der Brust und schaute in die Runde. „Och nö“, kam es dreistimmig zurück. „Prima, behaltet die Harmonie bei und wir haben demnächst ein neues Stilelement in der Musik.“ Nifen grinste breit. „Also, ich bin dafür, unseren Privatdschungel zu lassen“, murrte Easy. „So? Damit Lenn künftig eine Machete braucht, um den Weg zu seinem Fass zu finden?“ Nifen deutete auf ein braunes Etwas, das neben dem Teich gerade so durch das Gras schimmerte. „Hey, der ist doch eh meist nicht da!“ Easy war nicht bereit, sofort wieder klein beizugeben. Tatsächlich war der Bandphilosoph und Teilzeitkassenwart LennStar aktuell auf einem Eremiten-Philosophen-Treffen in irgendeiner Bergregion. Nifen warf Easy einen langen Blick zu. „Ich bekomme gerade die Idee, dass deine Lieblingstasse künftig ewig in der Spüle vor sich hinschimmelt.“ Easy zog einen Schmollmund. Es stimmte ja, dass Spülen nicht gerade zu ihren Lieblingsaufgaben im Haushalt gehörte. Da sauste sie lieber mit Staubsauger und Wischer durch das Haus, anstatt die Hände in Spülwasser zu baden. „Punkt für dich“, murmelte sie. Die drei Sorglospunks machten sich etwas missmutig, aber schon mit einem minimalen Anflug von Motivation auf die Suche nach den Gartenwerkzeugen. Im Schuppen direkt neben dem Haus standen der handbetriebene Rasenmäher, Harke, Hacke, Rechen, Schubkarre und Spaten. Alles wurde artig geschultert und an der Hauswand aufgereiht. „Zuerst ein Weg zur Tonne“, beschied Jack. Chris und Easy schoben im Teamwork den Rasenmäher vorwärts, fluchten, rissen hohes Gras aus dem Mäher und Jack harkte dahinter den frischen Schnitt sofort zusammen. Nifen beobachtete die drei und hielt Getränke und Verbandsmaterial bereit. Sie verfluchte gerade, dass die Bandmuse Abranka auf einer Musen-Fortbildung im Olymp war und ihnen nicht mit ihren guten Ideen sowie ihrem Inspirationsfeuerwerk zur Seite stehen konnte. „Autsch!“, quietschte Easy in diesem Augenblick und war damit die erste, die Nifens Pflaster-Klebe-Talent in Anspruch nehmen musste. Während der kurzen Verarztungspause schaute Jack über das Gras. Eigentlich sahen die im Wind wogenden Gräser richtig schön und idyllisch aus. Dazwischen wuchsen viele Blumen und ihre Vielfalt ging eindeutig über Gänseblümchen, Löwenzahn und Wiesenschaumkraut hinaus. Eigentlich war das hier ein kleines Gartendschungelparadies. Sie stützte das Kinn auf den Stiel der Harke und überlegte, ob sie das hier nicht einfach alles so lassen konnten. Plötzlich schoss Kiwi an ihr vorbei. Das Bandmaskottchen sah weder nach rechts noch nach links, als es Jack und Chris passierte, zwischen Easys Füßen hindurchpreschte, Nifens linken Knöchel beinahe anrempelte und ins Haus verschwand. „Was war das denn?“, entfuhr es Chris. „Keine Ahnung. Ob eine Maus sie angegriffen hat?“ Jack zog die Augenbrauen hoch. „Kiwi!“ Easy drückte das Pflaster selbst final fest und flitzte ihrer Katze hinterher. Nifen dagegen fixierte den Garten. „Da drin muss irgendetwas sein, dass ihr Angst gemacht hat.“ „Da drin?“ Jetzt war es Chris, der skeptisch dreinschaute. „Was soll da schon sein? Mäuse? Bienen? Käfer?“ „Chris, bist du nicht lange genug ein Sorglospunk um zu wissen, dass in unserer Nähe nichts irgendwie normal ist?“, fragte Nifen mit einem leisen Seufzer in der Stimme. „Ich hasse es, wenn du mit sowas Recht hast“, murmelte Jack und spähte nun deutlich angestrengter in die Wiese. „Und jetzt?“ Chris war etwas unbehaglich zumute. Warum konnten sie nicht einfach nur eine normale Band sein und zur Abwechslung mal darauf verzichten, irgendwelche komischen Dinge anzuziehen, die unbedingt ihnen passieren mussten? „Wir sehen nach.“ Easy war wieder hinter ihnen aufgetaucht und zitterte schier vor Wut. „Kiwi hat sich unter der Couch verkrochen und ist noch nicht einmal für ihr Lieblingsfutter wieder aufgetaucht! Wer auch immer sie so erschreckt hat, der kann sich auf was gefasst machen!“ Sie schnappte sich den Spaten und stapfte los. Selbstverständlich folgten ihr die anderen. Easy allein und wütend auf irgendjemanden loszulassen, war nie eine gute Idee. Außerdem teilten sie alle diesen Zorn, dass jemand oder etwas ihrem Maskottchen – so trantütig, ungeschickt, zerstörerisch und verfressen es auch manchmal sein mochte – derart erschreckt hatte. Sie fanden – Gras, Blumen, Bienen, Käfer, einige Schmetterlinge, ein paar Vögel und wohl auch eine Maus, die schnell vor ihnen davon huschte. Das war aber auch erst einmal alles. „Hier ist nichts.“ Chris blieb schnaufend neben dem Gartenteich stehen, in den er fast hineingeplumpst war, weil er ihn viel zu spät gesehen hatte. „Oh doch, hier ist etwas.“ Easy rammte den Spaten in die Erde und stemmte die Hände in die Hüften. „Wir können auch dem verdammten Garten einen Kahlschlag verpassen!“, rief sie. Jack spähte über die Schulter. Es war ein Sonntagvormittag – die Nachbarn saßen hoffentlich noch beim Frühstück und würden nicht verwundert lauschen, was die komischen Sonderlinge da draußen wieder anstellten. So etwas bedeutete am Ende nur immer Ärger und irgendwelche Beschwerdebriefe im Briefkasten. „Aber das wäre wohl kaum in eurem Interesse! Ihr könnte nämlich nirgends hin, nicht wahr?“, fügte Easy hinzu und blickte mit zornfunkelnden Augen über das Gras. Nifen war kurz davor einzuwenden, dass Easys ambitonierte Rede wohl nichts gebracht hatte, als sich auf einmal eine kleine Gestalt vor ihnen durch die Gräser schob. Sie war knapp 15 cm hoch und trug eine rote Mütze. Ihr folgten noch ein Dutzend weiterer Zwerge. Es waren Gartenzwerge. Ganz unverkennbar Gartenzwerge. „Oh, bei Chi, bei Gott, bei Apollo und wem sonst noch. Ein wilder Gartenzwergstamm ist in unseren Garten eingezogen“, murmelte Chris leise. „Wer seid ihr und was habt ihr mit Kiwi gemacht?“ Easy ließ sich auf die Knie nieder und funkelte den Zwerg an, der als erstes herausgekommen war. „Hallo...“, kam es schüchtern zurück. „Wie euer Freund richtig festgestellt hat, sind wir freie Zwerge und die Katze hat sich unserem Lager genähert und wollte eines unserer Kinder angreifen.“ „Kiwi? Wohl kaum.“ Easy schüttelte ungläubig den Kopf. „Äh... und wenn sie das Kind mit einer Maus verwechselt hat?“, warf Jack ein. „Sie sind ziemlich klein... Und Kiwis...“ „So blöd ist Kiwi nicht.“ Wütend funkelte Easy ihre Schwester an. „Aber es könnte ihr ein Versehen passiert sein.“ „Nun, und wir haben eure Katze dann verscheucht. Und dann habt ihr gedroht, den Garten zu roden... und...“ „Immer mit der Ruhe.“ Nifen sprang jetzt ein und schob Easy sanft bei Seite. „Du holst erst einmal Kiwi, damit sie sehen kann, dass es hier Leute gibt, die nicht auf ihrer Speisekarte stehen. Und wir setzen uns dann hier erst einmal zusammen und unterhalten uns.“ Sie lächelte den Gartenzwerg aufmunternd an, der über ihre Worte recht dankbar zu sein schien. Nifen, Chris und Jack ließen sich nebeneinander im Schneidersitz nieder, die Gartenzwerge machten es sich ihnen gegenüber zumindest etwas gemütlicher. Es war aber nicht zu übersehen, dass sie immer noch auf dem Sprung waren. Das war aber auch kein Wunder, fand Jack. Wenn sie so klein wäre und eine ausgewachsene Katze würde vor ihr auftauchen, dann würde sie das vermutlich auch ziemlich Furcht einflößend finden. Der Anführer der Gartenzwerge stellte sich ihnen als Eichenblatt vom Rotmützenstamm vor. Die anderen Gartenzwerge hatten so klangvolle Namen wie Gänseblüte, Kleeblatt, Pusteblume, Kiesel, Tautropfen, Spinnenwebe und Grassamen. Easy hatte Kiwi schnell gefunden und die Katze begriff auch zügig, was die Band von ihr wollte. Ihr trotziger Blick sagte mehr als deutlich Und-dafür-habt-ihr-mich-aus-meinem-Beruhigungsschläfchen-geweckt? Aber Kiwi blieb ruhig neben ihnen sitzen und betrachtete die neuen Nachbarn aufmerksam. „Wie lange wohnt ihr denn schon in unserem Garten?“, erkundigte sich Easy neugierig. Nun, da Kiwi keinen Grund mehr hatte, Angst zu haben, war sie gespannt auf die Geschichte der Gartenzwerge. „Als das Gras höher wuchs, sind wir durch die anderen Gärten gekommen. Hier müssen wir nicht so tun, als wenn wir nur Figuren wären, sondern können uns die ganze Zeit über normal bewegen“, erklärte Eichenblatt. „Und das Verstecken fällt uns in dem hohen Gras natürlich leicht. Es gibt nicht mehr viele Orte für Leute wie uns.“ Nifen nickte nachdenklich. „Aber wenn ihr das Gras mäht, dann werden wir wieder fortgehen müssen.“ Eichenblatt klang müde, so wie jemand, der diese Entscheidung schon sehr viele Male hatte treffen müssen. Sie war notwendig für das Überleben seines Volkes, aber glücklich war er damit erkennbar nicht. „Wie wäre es denn... wenn wir das Gras nicht mähen?“ Jack schaute zu Nifen hinüber. „Ich finde den Garten so eigentlich ganz schön. Er ist wild und ungezähmt – so wie wir. Und die Nachbarn haben eh immer etwas über uns zu reden, dann sollen sie sich doch ruhig auf den Garten konzentrieren.“ Nifen nickte langsam und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Wenn ihr den Weg zwischen Haus und Philosophentonne und Teich freihalten würdet, dann würden wir den Rest des Gartens nicht anrühren“, schlug sie vor. „Was meint ihr?“ „Das meint ihr ernst?“, quietschte Eichenblatt vor Begeisterung. „Ihr würdet uns hier leben lassen?“ „Klar. Gartenzwerge sind doch auch Menschen“, sagte Chris ganz cool. „Ganz genau. Aber seid gewarnt: Wo Sorglospunks sind, sind normalerweise Ärger und Überraschungen nicht allzu weit.“ Nifen zwinkerte Eichenblatt fröhlich zu. „Was sind Sorglospunks?“, fragte dieser verwirrt, denn bei all den wichtigen Dingen war es niemandem aufgefallen, dass sie den Gartenzwergen gar nicht erklärt hatten, dass sie eine Band waren. „Oh, das ist einfach...“ Easy grinste breit. Jack schnappte sich die Harke, Chris den Rechen. Das waren zwar improvisierte Instrumente, aber das würde schon funktionieren. „Heyho! Willkommen, willkommen! Neue Freunde wohnen ab jetzt hier! Heyho! Willkommen, willkommen! Gartenzwerge, hallo da! Unser Garten ist jetzt euer! Kiwi frisst euch garantiert auch nicht! Gartenzwerge, hallo da! Heyho! Willkommen, willkommen! Neue Freunde wohnen ab jetzt hier! Heyho! Willkommen, willkommen! Und der Garten, der hat neues Leben, und der Garten, er behält hohes Gras! Und wenn die Nachbarn meckern, na, dann meckern sie halt! Dafür sind Freunde doch dahaaaaaa!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)