100% Sorglospunks! von abranka ================================================================================ Kapitel 71: Sorglospunks auf Abwegen ------------------------------------ Es war ein frühherbstlicher Montagvormittag, als ich von dem vierteljährlichen Musentreffen auf dem Olymp in die mir so vertraute Wohngemeinschaft in dem kleinen Dorf mitten im idyllischen Schwabenländle zurückkehrte. Nichts hätte ahnen lassen, dass sich von da an etwas radikal ändern würde. Ganz radikal. So radikal, dass... Aber ich greife vor. Nun, es war ein frühherbstlicher Montagvormittag. Eigentlich war ich es gewohnt, dass ich bei meiner Rückkehr von fröhlichen Sorglospunksgesichtern begrüßt wurde, doch dem war diesmal nicht so. Statt begeisterten Musikern erwartete mich eine recht leere Diele. Na wunderbar. Auf der Suche nach meinen Patenkindern – als Muse der Band war ich schließlich so etwas wie eine Patin – sauste ich auf meiner Wolke durch die Wohnung. Easy, die Sängerin und Songwriterin der Sorglospunks, hockte in ihrem Zimmer und kritzelte fleißig auf einen Block. „Hey! Wo bleibt denn hier die Begrüßung?“, fragte ich fröhlich und gesellte mich zu ihr. Oha, Easy arbeitete an einem Songtext! Ganz allein und ohne meine Unterstützung. Im ersten Moment war ich ja wirklich stolz auf meinen Schützling Nummer eins, doch im zweiten fühlte ich mich doch ein wenig überflüssig. „Oh, sorry.“ Easy sah auf und irgendetwas an ihrem Blick kam mir gleich komisch vor. Sie sah mir gar nicht so richtig in die Augen. „Ich hatte da nur gerade eine Idee und war so vertieft...“, druckste sie herum. „Wusste gar nicht, dass du heute schon wiederkommst.“ „Das hatte ich eigentlich gesagt“, entgegnete ich und zog einen Schmollmund. „Hey, war keine Absicht.“ Easy lächelte schwach. „Sorry. Wir reden nachher, ja? Ich will das hier noch fertig bekommen...“ Und damit beugte sie sich auf schon wieder über ihren Block und kritzelte munter weiter an ihrem Songtext herum. Irgendetwas über Bäume und grüne Wiesen... Achselzuckend flog ich ein Zimmer weiter. Vielleicht würde sich Jack, das Percussions-, Blockflöten- sowie musikalische Vielseitigkeitswunder, ja eher freuen, mich zu sehen. Besagte Jack war gerade in die Lektüre eines Handbuchs über E-Geigen und deren Einbindung in die Punkmusik vertieft. E-Geige, ja, das war die Zukunft, wie sie schon vor Monaten in dem verregneten Sommer prophezeit hatte! „Hey! Ich bin wieder da!“ „Oh, hallo“, sagte sie und hob den Blick nur mühsam von den Buchseiten. „Wusste gar nicht, dass du heute schon zurückkommen wolltest...“ „Das ist eindeutig der Beweis, dass Easy und du Zwillinge seid.“ Ich verdrehte die Augen. „Sie sagte gerade das gleiche. Muss ich jetzt immer mit solch begeisterten Begrüßungen rechnen? Sonst freut ihr euch mehr...“ „Sorry, aber der Artikel ist so spannend...“ Ich sah ihr über die Schulter. „Staubschutz und Poliermittel für E-Geigen der Marke Musik-ahoi?“ Ich zog eine Augenbraue hoch. „Lass dich bloß nicht stören.“ Damit wandte ich mich um und suchte das dritte Bandmitglied im Bunde auf, den Komponisten und Gitarrenliebhaber Chris. Ausnahmsweise hockte dieser mal nicht vor dem PC und chattete mit seiner geliebten Freundin Umeko, sondern brütete über den Melodien für neue Sorglospunks-Hits. Umeko machte im Moment ein Praktikum auf der Hallig Hooge, sodass sie um diese Uhrzeit noch mitten in der Arbeit steckte und natürlich keine Zeit für einen ausgiebigen Chat hatte. „Hallo Chris.“ Mittlerweile war ich ja doch etwas desillusioniert und angefressen über die mangelnde Freude der Band über meine Rückkehr, dass ich gar nicht mehr damit rechnete, fröhlich begrüßt zu werden. Und so war es auch. „Oh, hi. Schon wieder da?“ „Nein, ich bin nur eine Illusion“, gab ich patzig zurück. So langsam gingen mir die drei wirklich auf die Nerven. „Lass mich raten, du bist gerade intensiv beschäftigt und ich störe?“ „Äh, na ja... Also...“ Chris lächelte mich verlegen an und sein Gesicht gewann langsam eine dunkelrote Farbe. „Ja, ja, schon gut.“ Ich verschränkte die Arme vor der Brust und ließ den wenig glücklich dreinschauenden Gitarristen zurück. Ob sich wenigstens Nifen darüber freuen würde, dass ich wieder da war? Nun, es würde sich zeigen... Es überrascht euch vermutlich nicht, dass Nifen ähnlich zurückhaltend reagierte wie die anderen Bandmitglieder. Und somit tat ich das einzige, was ich tun konnte: Ich zog mich ins Wohnzimmer zurück, kramte aus meinem Wolkenkoffer eines meiner Lieblingsbücher – ‚Der Graf von Monte Christo’– hervor und las. Das ist das Beste, was man tun kann, wenn man gerade eigentlich nichts tun kann als abzuwarten. Die Sorglospunks schlichen regelrecht um mich herum. Immer wieder schlinzte einer durch die Tür oder tapste herein, doch mehr als zwei, drei Worte oder einen zusammenhängenden Satz brachte keiner von ihnen hervor. Na wunderbar. Und so etwas nannte sich Freunde. So langsam nervte mich das. Wenn man mich hier nicht wollte, dann konnte ich auch gerne gehen... Ich hatte noch einige Monate Urlaub übrig, da ich in meiner Zeit mit den Sorglospunks keinen einzigen Tag davon genommen hatte – und bei Musen verfällt der Jahresurlaub nicht, weil ihre Arbeitszeiten eh von den Anforderungen ihrer Schützlinge abhängen. Am nächsten Tag traute sich Nifen schließlich, eine Sorglospunks-Versammlung einzuberufen. Das hieß, Band, Muse und Managerin setzten sich zusammen. „Also, während du weg warst, da haben wir dieses Angebot bekommen...“, begann Jack und Nifen ergänzte: „Per Mail. Du weißt schon.“ Ich musste unwillkürlich grinsen. Oh ja, ich wusste, was das hieß. „Also, da war dieses Angebot und das klang wirklich gut...“ „Und jetzt seid ihr in Schwierigkeiten?“, unterbrach ich sie. „Nicht so direkt. Eigentlich halten wir das für eine ziemlich gute Idee...“ „Wir haben eine zweite Muse!“, platzte Easy heraus, die die Spannung einfach nicht mehr länger ertrug. „Ihr habt was???“ Ich starrte die vier mit offenem Mund an. Das war doch nicht wahr, oder? Hatten die denn keine Ahnung, was das hieß? Was das nach Musenrecht bedeutete? Nein, hatten sie wohl absolut nicht. Ich schlug die Hand vor das Gesicht. „Abranka...?“, fragte Nifen vorsichtig. „Wann habt ihr denn den Vertrag unterschrieben?“ Meine Frage war tonlos gestellt. Denn natürlich musste es dabei einen Vertrag geben. „Vorgestern“, antwortete Chris. Ich nickte. „Dann bin ich seit vorgestern nicht mehr eure Muse.“ „WAS???“, kam es aus vier Kehlen gleichzeitig. Sogar Kiwi, die bis dato im Sessel gepennt hatte, maunzte erschrocken. „Jeder Mensch – und jede Band, die nach musischem Recht als eine Persönlichkeit gelten – hat Anspruch auf eine Muse. Niemand kann zwei Musen haben. Wird eine zweite Muse angefordert, ist der Vertrag mit der ersten nichtig...“ „Das ist nen Scherz, oder?“ Easy guckte mich mit tellergroßen Augen an. Ich lächelte traurig. „Nein, ist es nicht. Ich muss meine Sachen packen und mich auf dem Olymp bei Hippokrene melden. Ich werde einen neuen Auftrag bekommen.“ In die Traurigkeit, diese tolle Band verlassen zu müssen, mischte sich nun aber auch etwas Wut. „Mensch, Leute, warum könnt ihr denn nicht einmal keinen Mist bauen!“ Betroffen senkten die vier die Köpfe. Auch Kiwi schaute bedröppelt drein und maunzte leise. Mein Musentelefon (MT) klingelte. Ich brauchte gar nicht auf die Nummer zu schauen, um zu wissen, dass das Hippokrene war. Sie war immer äußerst pünktlich und nahm ihre Aufgaben sehr genau. Und dazu gehörte, abservierte Musen zwei Tage nach Vertragsende zu sich zu zitieren. „Ja, Hippokrene?“ „Abranka, du…“ „Ja, ich weiß. Ich mache mich gleich auf den Weg und bin in einer Stunde da.“ „Wunderbar. Ich habe schon ein paar gute Angebote für dich…“ „Toll. Das freut mich.“ Ich verdrehte die Augen und legte auf. Ich ahnte schon, was auf mich zukommen würde. Verkrachte Künstler, durchgedrehte Intellektuelle, geistlose Sportler… Das Übliche eben. Vielleicht sollte ich doch erst einmal Vertretungen übernehmen, denn eigentlich hatte ich gar keine Lust, mich direkt wieder fest zu binden… Die Sorglospunks wären nämlich mein Sechser im Lotto gewesen. Mein Goethe, mein Schiller, mein Shakespeare, meine Beatles, meine Rolling Stones, mein Mozart, mein... Aber das würde wohl außer mir keiner verstehen… Ich seufzte tief. „Ihr habt’s gehört, ich muss los…“ „Aber… aber… wir bleiben doch in Kontakt, oder?“ Easy versuchte, sich an meine Wolke zu klammern, doch ihre Hände glitten durch die wattige Masse hindurch. Bekanntlich besaßen Musenwolken nämlich nur für übersinnliche Wesen feste Substanz. Ich seufzte erneut. Am liebsten hätte ich der ganzen Gruppe ja gesagt, dass sie mich erst mal gern haben konnte und ich mich melden würde, falls ich wieder mit ihnen sprechen wollte. Aber der Blick in die aufgelösten Gesichter sorgte doch dafür, dass ich direkt wieder weich wurde. „Klar. Aber ich werde nicht viel Zeit haben…“ „Macht nichts. Hauptsache, wir… wir…“, stotterte Jack und brach dann verlegen lächelnd ab. Ich hatte sie aber auch so verstanden. Das schlechte Gewissen stand allen vier ins Gesicht geschrieben, als ich meine Wolke zum Fenster hinaus lenkte und mich auf den Weg Richtung Olymp machte. „Verdammt, wir müssen etwas tun!“, hörte ich Nifen fluchen, als ich noch nicht außer Hörweite war. „Genau. Irgendetwas muss es doch geben…“, stimmte Jack zu. „Gaia wird es garantiert nicht so lange mit Easy aushalten wie Abranka“, hoffte Chris. Dann war ich zu weit weg, um noch etwas zu verstehen. Gaia also. Ich zog mein Telefon hervor und rief Chibichi an. Wer, wenn nicht der Teufel, konnte sonst schon herausfinden, was da eigentlich passiert war und was ausgerechnet Gaia ausheckte? Denn mit der Inspirationsbranche hatte diese doch eigentlich gar nichts zu tun. Und das wollte ich nun doch wissen, auch wenn ich mich gerade äußerst verraten fühlte. Hippokrene ließ mir nicht viel Zeit, mich Wut, Enttäuschung und Niedergeschlagenheit hinzugeben. „Wunderbar, dass du schon da bist! Ich hätte hier…“, legte die oberste Mitarbeiterin Apollos und Zentrale Organisatorin der Museneinsätze (ZOM) los. Sie trug eine runde Brille auf der Nase und die grauen, beinahe vollkommen weißen Haare zu kurzen Löckchen aufgedreht, die fröhlich hüpften, wenn sie den Kopf schnell bewegte. „Hippokrene, kann ich erst einmal Vertretungen machen?“, bat ich leise. Urlaub war die andere Alternative, aber darauf hatte ich eigentlich keine Lust. „Ach, du willst nicht sofort was Festes, hm?“ Sofort machte sich Mitleid auf ihrem Gesicht breit. „Ich dachte nach der Band brauchst du direkt etwas Niveauvolles, Dauerhaftes…“ Ich zog einen Flunsch. „…aber ich weiß ja, dass sie für dich immer etwas Besonderes gewesen sind“, rettete sie den Augenblick gerade so eben. „Wie wäre es hiermit…“ Sie wühlte in dem Stapel an Urlaubsanträgen herum und zog eine blaue Mappe hervor. „Kassida braucht mal eine Pause. Ihr Mandant ist…“ Ich runzelte die Stirn. „Sag nicht der…“ „Doch, der Fußballer mit der überdrehten Frau. Die beiden haben zusammen immer einige bekloppte Ideen und Kassida ist jetzt erst einmal ausgebrannt und muss sich in den Pegasusbädern erholen und ihre Kreativität wieder auftanken. Was meinst du? Denkst du, du schaffst das?“ Ich nickte ganz automatisch. Natürlich schaffte ich das. Ich hatte Easy zu Songs inspiriert und diverse Live-Improvisations-Auftritte inspiriert. Da würde ich einen alternden Fußballer mit übertriebenem Geltungsbedürfnis schon in den Griff kriegen. Dachte ich jedenfalls. Bereits nach einer halben Stunde Regenerationsvertretung für Kassida wusste ich, warum sie den Besuch in den Pegasusbädern so dringend brauchte. Der Kerl war die Hölle! Und all der Glitzer auf den T-Shirts. Grau-en-haft! Ich schwebte neben ihm her, wedelte hin und wieder mit meinem Inspirationsstab, um ein paar Instantideen zu verteilen und einige absurde Ideensplitter wieder einzufangen, aber damit es nicht noch peinlich werden konnte als eine gescheiterte Doku-Soap auf einem Privatsender. Kassida mochte für so etwas immer zu haben sein, ich fand das aber eher peinlich und unterirdisch. Von daher freute ich mich noch mehr, als es ohnehin der Fall gewesen wäre, über Chibichis Anruf. „Chiiii!“, jubelte ich in das MT und fand im gleichen Augenblick, dass ich wie eine Easy-Kopie klang. „Abranka, bin ich wirklich bei dir gelandet und nicht bei den Sorglospunks?“, fragte Chibichi amüsiert und kicherte in den Hörer. „Ja, ja, lach du nur. Ich habe hier absoluten Entzug an vernünftigen Leuten!“, jammerte ich und bekam dafür das verdiente bedauernde „Ooooooohhhhh“ zu hören. „Sie vermissen dich auch“, sagte der Teufel dann mit einem Lächeln in der Stimme. „Na, immerhin.“ Ich zog einen Schmollmund. „Hey, es tut ihnen wirklich Leid. Sie hatten keine Ahnung, was sie da tun.“ „Das macht es nicht unbedingt besser.“ „Ja, schon…“ „Wie ist es denn genau passiert?“, fragte ich schließlich nach einem Augenblick des Schweigens, denn immerhin wollte ich wissen, was Sache war. Es ging schon allein ums Prinzip! Selbst, wenn ich unbeabsichtigt abserviert worden war. „Also, das war so…“ „Inspiration gesucht? Gaia gibt sie! Gaia – die ultimative Zweitmuse für jeden Künstler und angehenden Superstar! Mit dem Herz für die Erde Prestige gewinnen und punkten! Gaia ist für Sie da! Noch heute anmelden!“ Nifen blickte die drei Sorglospunks erwartungsvoll an, als sie mit Vorlesen geendet hatte. „Was sagt ihr?“ „Klingt toll!“, jubelte Easy. „Oh ja. Eine zweite Muse können wir schon alleine gebrauchen, um Abranka etwas zu entlasten. In letzter Zeit war es ja schon viel“, überlegte Jack. „Und wenn kein Haken dabei ist, könnten wir diese Gaia ja engagieren“, fügte Chris hinzu. „Nein, kein Haken.“ Nifen hielt die Ausdrucke hoch. Dass ein winzigkleiner schwarzer, kaum wahrnehmbarer Rand am unteren Ende des Blattes das Kleingedruckte darstellte, übersah sie, denn das sah schließlich wie ein unwillkürlicher Streifen beim Ausdrucken aus. „Super! Dann schreiben wir noch mehr Songtexte! Zwei Musen sind noch besser als eine!“, freute sich Easy. „Und zwei Musen können dich noch mehr unter Druck setzen als eine“, flachste Jack. „Ja, ja, lach du nur“, kam prompt die Antwort von ihrer Zwillingsschwester. „Aber du wirst dann auch gepiesackt und musst auch Songs schreiben!“ Easy malte sich die Zukunft schon in buntesten Farben aus. „Hier müsst ihr unterschreiben.“ Nifen reichte den Vertrag herum und ließ alle unterschreiben. „Dann kann Abranka auch endlich mal Urlaub machen“, sagte Easy mit einem breiten Lächeln. „Klar, den braucht sie von dir auch ganz bestimmt.“ Chris grinste und fügte dann hinzu: „Aber verdient hat sie es. Ohne sie wären wir ja nie so weit gekommen.“ „Oh ja!“ Die Aussage fand Zustimmung von allen Seiten. „Ach, und warum waren die vier dann so seltsam, als ich zurückgekommen bin? Eigentlich hätten sie mir das doch freudig mitteilen müssen“, grollte ich unbeholfen. Ich konnte mir die Szene sehr gut vorstellen. So reagierten die Sorglospunks doch immer auf neue Ideen. „Na ja, eine halbe Stunde nach Abschicken des Vertrages und Erhalt der Eingangsbestätigung hatten sie dann doch ein schlechtes Gewissen, weil sie nicht wollten, dass du dich ersetzt fühlst. Wie sagte Easy so schön? Aber Abranka ist und bleibt unsere Muse Nummer eins!“ „Idioten.“ Ich seufzte leise. „Wusstest du, dass Gaia die Mutter der Furien ist?“, erkundigte sich Chibichi nachdenklich. „Mhm… Aber eigentlich können die sich nicht ausstehen. Deswegen zweifele ich an einem Zusammenhang.“ Ich legte die Stirn in Falten. „Na, ich bleib auf jeden Fall dran…“ „Okay. Und ich muss Schluss machen. Die Mikrowellencurrywurst ist aufgegessen und mein Schützling hat schon wieder was vor…“ Ich verdrehte die Augen und legte auf. Nach einer Woche bekam ich meine nächste Vertretung zugeteilt. Kassida hatte sich wirklich herzzerreißend bedankt und bei der ZOM die Überlegung geweckt, unerfahrene Musen vor ihrem ersten Auftrag durch einige verschiedene Urlaubsvertretungen zu schicken, um diese auf alle Möglichkeiten des Musendaseins vorzubereiten. Mit Chibichi telefonierte ich regelmäßig, doch bisher hatte sie mir recht wenig Neues erzählen können. Seit sie die Furien gefeuert hatte, war es doch etwas schwieriger, an Informationen über diese heranzukommen und so paddelte selbst der Teufel gerade ein wenig. Sie unterstanden jetzt den Titanen, was die ganze Sache nicht unbedingt besser machte. Mittlerweile überlegte Chibichi sogar, die Furien wieder einzustellen, um sie wenigstens unter Beobachtung zu halten… „Hey, was gibt’s?“, fragte ich in mein MT, während ich gleichzeitig meinen neuesten Schützling im Blick behielt. Hauptsächlich bestand meine Aufgabe darin, blöde Sprüche aus dem Ärmel zu schütteln. Aber nach meiner langjährigen Sorglospunks-Erfahrung war das nun wirklich eine simple Aufgabe. Ich griff einfach auf meine Easy-Erfahrung zurück und würzte die mit Machogehabe und Niveaulosigkeit. Fertig. „Gaia hat sich bei den Sorglospunks sehen lassen.“ „Was? Erzähl mehr!“, hibbelte ich los und lauschte dann neugierig den Ausführungen des Teufels. „Wir können nicht mit einer Muse arbeiten, die nicht vor Ort ist!“, schimpfte Jack. „Wer soll Easy denn bitte schön in den Hintern treten? E-Mails und Telefonanrufe reichen da nicht! Wir brauchen Ideenblitze und Ideenkonfetti! Und jemanden, bei dem man sich einfach mal ausheulen kann!“ Die restlichen Sorglospunks, ihre Managerin und auch das Maskottchen Kiwi nickten zustimmend. Jack hatte sich ein Herz gefasst und Gaia endlich angerufen, um der Unzufriedenheit der Sorglospunks mit ihrer neuen Muse endlich Luft zu machen. Und während Jack sprach, hockten die anderen daneben, bemühten sich, mucksmäuschenstill zu sein – Easy war sicherheitshalber geknebelt worden – und lauschten dem Gespräch über den Lautsprecher. „Meine anderweitigen Verpflichtungen erlauben es mir nicht…“ „Du hast dich uns noch nicht einmal vorgestellt! Wir haben eine Muse, die wir noch nie gesehen haben!“, konterte Jack sofort. „Wir wollen dich wenigstens mal kennenlernen! Das könnte alles viel einfacher machen.“ Schweigen am anderen Ende der Leitung. „Also gut, ich komme morgen vorbei.“ Dann klickte es und Gaia hatte aufgelegt. Jack sah die anderen zufrieden an. Ging doch! Jetzt würden sie endlich ihre neue Muse kennenlernen. Und ausloten können, wie die so tickte und ob es da nicht irgendetwas gab, was half, diesen Vertrag aufzulösen… Am nächsten Tag warteten die vier – samt Kiwi – aufgeregt auf Gaia. Ob sie auch eine fliegende Wolke besaß? Und Ideenblitze? Gaia sah weitaus anders aus, als es irgendjemand der Sorglospunks erwartet hatte. Sie kam nicht auf einer Wolke, sondern ganz schnöde zu Fuß. Das war die erste Enttäuschung. Gaia war hübsch mit wallenden braunen Haaren, braunen Augen, einem sonnengebräunten, leicht erdigem Teint, einer knielangen Toga und einem grünen Umhang. Alles an ihr ließ einen an Natur, an Pflanzen und Tiere denken. Aber nichts an Inspiration, Musik und Songwriting. „Hallo“, lächelte sie verlegen in die Runde. „Ich bin Gaia. Schön, euch kennenzulernen.“ Der Reihe nach stellten sich die Sorglospunks vor. Gaia lächelte freundlich und verbreitete allein durch ihre Anwesenheit eine wirklich gute Stimmung, aber auch die konnte eine gewisse Skepsis, besonders bei Nifen und Jack, nicht vertreiben. Easy hatte da weniger Hemmungen. Sie fasste Gaia am Arm und zerrte sie regelrecht mit in Richtung Schreibtisch, wo sie ihr beim Songschreiben helfen sollte. Chris flitzte direkt hinterher, um sofort die passende Musik für die neuen Texte zu komponieren. Nifen und Jack sahen sich an. „Sie ist nett.“ „Ja, wirklich nett.“ Schweigen. „Aber keine Muse.“ „Sie versucht es zumindest.“ „Mhm…“ „Tut sie doch.“ „Ja, schon…“ „Aber sie ist keine Muse, nicht wahr?“ „Genau.“ Nifen griff nach dem Telefon und wählte die teuflische Rufnummer. Es wurde Zeit, hier doch noch ein anderes Register zu ziehen. „Und weiter?“, fragte ich nach. „Im Moment nichts weiter. Ich versuche aber, mir Gaia auf einen Kaffee zu schnappen und sie mal etwas auszuhorchen. Irgendwie erscheint sie mir doch etwas gestresst und unter Druck…“, antwortete der Teufel. „Kann gut sein“, entgegnete ich schnippisch. „Sie hat ja jetzt auch zwei Branchen, um die sie sich kümmern muss. Um die Erde und um die Inspiration. Dass das nicht gut gehen kann, hätte ich dir schon vorher sagen können.“ „Schon klar. Aber ich glaub, da steckt noch etwas anderes dahinter. Ich kenne Gaia eigentlich nicht als jemanden, der andere aus ihren Aufgaben herausdrängt. Das ist nicht ihr Stil…“ „Mhm…“ Ich kannte Gaia nur äußerst flüchtig. Sie war noch seltener auf dem Olymp als wir Musen und kam nur zu den wichtigsten Versammlungen. Und genau bei diesen Gelegenheiten hatte ich sie einige Male reden gehört. So sehr es mir auch widerstrebte es zuzugeben, da ich sie gerne als böse und niederträchtige Person gesehen hätte, die mir meinen Lieblingsjob geklaut hatte, war sie mir dort als verständig, wenn auch überarbeitet und angespannt erschienen. „Viel Erfolg“, sagte ich schließlich. „Die singst wie eine Kanalratte, wenn sie Käse findet!“, ließ mein Schützling in dem Moment einen seiner Sprüche los. Und während Chibichi noch lauthals lachte und sich dabei weniger über den Spruch als vielmehr über mein Vertretungsschicksal amüsierte, legte ich auf. Zumindest hatte ich das Glück, diese Vertretung nur kurz machen zu müssen, da Namida, die ihn normalerweise betreute, darauf brannte, zu ihrem Schützling zurückzukehren. Ich war also nicht die einzige Muse, die ihre Mandanten wirklich gerne mochte – und zwar Mandanten, bei denen das viele andere Musen absolut nicht nachvollziehen konnten. Wenn ich das nächste Mal deswegen wieder aufgezogen werden würde, konnte ich mir ja die Gründung eines Vereins zur Förderung der Akzeptanz von derartigen Vorlieben überlegen. Aber vermutlich steckte bei den anderen Musen nur Neid dahinter, nicht auch derart zufrieden zu sein. Meine nächste Vertretung war für Cassiopeia. Auch sie war recht zufrieden mit ihrem Mandanten, fluchte aber regelmäßig darüber, dass sie ihren Look dem seinen anpassen musste und es ja nahezu unmöglich sei, mit ihm mitzuhalten. Dazu muss gesagt werden, dass Cassiopeia die Ansicht vertritt, dass Muse und Mandant einen ähnlichen Stil besitzen sollten – und sich auf natürliche Weise die Muse im Laufe der Zeit eh entsprechend an den Mandanten anpasst – und somit stets auf diese Dinge bedacht war. Ich muss zugeben, dass auch ich mittlerweile einige punkige Indizien an mir entdeckt hatte. Seien es die Buttons auf meiner – wenn auch eher seltener gebrauchten – Handtasche oder aber die bunten Chucks, die meine Riemchensandalen ersetzt hatten. Und nicht zu vergessen, die silberne Sternchenhalskette mit den dazu passenden Ohrringen, die ich stets trug. Und meine Haare… Nun, lassen wir das. Cassiopeia brauchte also Urlaub und ich übernahm die Vertretung. Mein neuster Schützling war damit niemand anderes als einer der größten Stars der japanischen Musikszene. Jemand, der beinahe alle fünf Minuten den Look wechselte und seine Haarfarbe so oft wie – hoffentlich – seine Socken. Ich muss zugeben, das gefiel mir. Oh ja, an den Jungen konnte ich mich echt gewöhnen. Kreativ, äußerst kreativ und ein wirklich offener Geist für jegliche Inspiration… Klingelingeling. „Ja?“, fragte ich in das MT, ohne überhaupt nachgesehen zu haben, wer mich da anrief. „Abrankaaaaaa!“, jubelte mir die hohe Easy-Stimme ins Ohr. „Hi.“ Ich war vollkommen perplex. Mit Easy hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. „Wie geht es dir? Vermisst du uns? Wir vermissen dich ganz doll! Gaia ist zwar nett, aber irgendwie klappt das alles nicht so richtig. Sie hat von Musik keine Ahnung und will dauernd, dass wir uns an Vogelstimmen und Walgesängen orientieren! Was hat das denn noch mit Punk zu tun???“ Easys Stimme überschlug sich fast. „Also echt jetzt! Wir brauchen dich! Komm zurück!“ Ich musste lächeln. Es war schön zu hören, gebraucht zu werden, denn irgendwie hatte ich ja doch befürchtet, dass die Sorglospunks mich nicht mehr gebrauchen konnten, weil Gaia ihren Job richtig toll machte… „Ganz so einfach ist das nicht, Easy.“ „Aber, aber… Wenn wir da einen Antrag an diesen Apol… Apolo… Appo-Dingsda stellen, dann kannst du doch sicher zurückkommen, oder?“ Die Frage war vollkommen treuherzig gestellt. „Schauen wir mal.“ „Toll!“ Ich konnte ihr Strahlen regelrecht vor mir sehen. „Ich geb dir Jack, die will auch noch mit dir reden!“ Im Endeffekt sprach ich mit allen Sorglospunks, natürlich auch mit Nifen und selbst Kiwi ließ es sich nicht nehmen, ein paar Maunzer in den Hörer zu schicken. Der Grundtenor aller war der gleiche: Gaia war nett, hatte aber keine Ahnung von Musik und inspirierte in der Hinsicht bedingt gut. Selbst Jack, die ja offen für alles war, hatte Meeresrauschen als Rhythmusmaschine vollkommen abgelehnt. Gleichzeitig kicherte Nifen im Hintergrund und erinnerte daran, dass man ja Elefanten als Trompetenspieler nehmen könnte… Kaum hatten die Sorglospunks aufgelegt, klingelte mein MT erneut. Ich warf einen kurzen Blick hinüber zu meinem Schützling, der sich gerade rote Strähnen in das hellblonde Haar färben, während ich abnahm. „Abranka, es gibt da eine Lücke, die wir nutzen können!“, feuerte mir Chibichi sofort den neusten Stand ins Ohr. „Schieß los!“ Die Fegefeuer-Bar war ein Ort, an dem man nahezu alle Bewohner des Himmels, der Hölle, des Olymp, der Unterwelt sowie alle weiteren mythologischen und übernatürlichen Geschöpfe treffen konnte. Die Bar mit dem daran angeschlossenen Restaurant und Café sowie der kleinen Kegelbahn war sozusagen die neutrale Zone, die von allen Seiten ungeachtet aller sonst vorhandener Differenzen akzeptiert wurde. Wer hier den Waffenstillstand brach, konnte darauf vertrauen, nicht nur Gott und die Welt, sondern tatsächlich alle gegen sich aufzubringen. Nicht von ungefähr hatte Chibichi diesen Ort ausgewählt, um sich mit Gaia zu treffen. Vorher hatte sie extra noch mit Hyperion, einem der Titanen, gesprochen, um sicher zu gehen, dass die Furien nicht überraschenderweise hierhin ausgingen. Da Hyperion ihr noch etwas schuldete, waren die Furien gerade am Südpol zu einer geheimen Mission unterwegs. Chibichi lehnte sich zurück und nippte an ihrem Erdbeerkaffee. Sie saß in einem gemütlichen Sessel und wartete auf Gaia. Vor ihr stand ein niedriger Tisch, auf dem um diese Tageszeit noch ein Schälchen mit Schokoladenkeksen stand. Sobald es Abend wurde, wurden diese stets gegen salzige Erdnüsse ausgetauscht. Gaia wirkte abgehetzt, als sie sich Chibichi gegenüber in den Sessel fallen ließ. „Hallo.“ Ein teuflisches Lächeln auf den Lippen strahlte Chi sie an. Gaia erwiderte die Begrüßung und bestellte sich dann einen doppelten Kakao mit Sahne. Chibichi zog eine Augenbraue hoch. Oha. Ein doppelter Kakao mit Sahne bedeutete in der Regel massig Stress bis hin zu vollkommenen Land-unter-Erscheinungen. „Alles klar?“, erkundigte sie sich somit auch, als der Kakao da war und Gaia die Hände um den großen Bottich geschlossen hatte. „Gar nichts ist mehr klar. Ich wollte der Erde helfen! Der Natur und ihren Bewohnern! Und was ist passiert? Ich gehe nur noch mehr in Arbeit unter als vorher und einen Nutzen gebracht hat gar nichts!“ Resigniert nippte sie an ihrem Kakao. „Was hätte denn einen Nutzen bringen sollen?“ „Na, der Einstieg in das Inspirationsgeschäft. Hast du eine Ahnung davon, wie wenig Aufmerksamkeit die Erde bekommt? Wie wenig die Menschen auf ihre Umgebung achten und wie wenig Bedeutung sie all dem beimessen? Das muss geändert werden, denn sonst geht dieser Planet vor die Hunde! Und zwar nicht vor die netten Höllenhunde, sondern vor die gruseligen Pitbulls des Nichts! Und dann ist Schluss mit allem! Aber das versteht ja wieder mal keiner. Und den Menschen das zu verklickern, das ist doch auch unmöglich…“ „Hey, hey, immerhin mit der Ruhe.“ Chibichi schenkte ihr ein beruhigendes Lächeln. „Wir sprechen das bei der nächsten Vollversammlung an und…“ „Die ist aber erst in 50 Jahren!“ „Dann lassen wir eben eine außerordentliche Sitzung einberufen. Wenn ich das fordere, passiert das auch noch dieses Jahr.“ „Das würdest du tun?“ Gaia blickte den Teufel treuherzig an. „Natürlich.“ Chibichi winkte lässig ab. „Allerdings…“, fügte sie dann hinzu. „Ist nichts, was der Teufel tut ohne Preis“, ergänzte Gaia. „Was willst du?“ „Erst einmal Informationen. Wer hat dich auf den Einstieg ins Inspirationsgeschäft gebracht? Und vor allem: warum?“ „Ach, das war die erste gute Idee meiner Töchter Alekto, Megaira und Tisiphone. Sie meinten, dass ich die Möglichkeit hätte, die Menschen auf die Belange der Erde besser aufmerksam zu machen, wenn große Künstler und bekannte Personen des öffentlichen Lebens dahingehend inspiriert sind. Weil die viele Menschen erreichen…“ Chibichi zog eine Augenbraue hoch. Bei jedem anderen hätte sie das ja als eine hochehrenvolle Idee bewertet, wenn da nicht die niederträchtige Unterwanderung der Sorglospunks gewesen wäre. Vermutlich hatten die drei sogar noch extra dafür gesorgt, dass die Sorglospunks genau diese E-Mail bekamen. Und nicht nur einmal. Nifen hatte doch gesagt, dass sie diese Mail ungefähr zwanzig Mal im Postfach gehabt hatte... Was für Biester! „Aber?“ „Ich bin für das Inspirationsgeschäft nicht gemacht! Es funktioniert einfach nicht!“ Gaia seufzte. „Weißt du… Ich habe da eine Idee...“ Der Teufel legte Gaia beruhigend die Hand auf den Unterarm. „Und die Idee, die kostet dich sogar überhaupt nichts.“ Ich lächelte, als ich das hörte. Denn ich hatte so eine Ahnung, wie Chibichis Idee aussah… Keine Woche später gab es einen internationalen Tag der Umwelt, an dem Konzerte in aller Welt stattfanden, um an die Bedeutung der Erde für das menschliche Leben zu erinnern. Und in einem kleinen Dorf im Schwabenländle schwang sich die sorgloseste Punkband der Welt – gerade frisch mit ihrer Muse wiedervereinigt – auf die Bühne. „Für die Erde und für Gaia!“, rief Easy fröhlich ins Mikrophon, während ich die Ideenblitze schwang und Chris sowie Jack musikalisch in den Startlöchern standen, um den live und spontan auf der Bühne zu komponierenden Song für die Erde zu spielen und das Publikum zum Toben zu bringen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)