100% Sorglospunks! von abranka ================================================================================ Kapitel 69: Andere Muse, andere Sitten -------------------------------------- Abranka drehte den großen Umschlag mit dem Apollo-Siegel des Musenhauptquartiers unter kritischem Blick in ihren Händen. Der Flatterschuh-Kurier des Olymp hatte ihn gerade vorbeigebracht und bei Kuriersendungen, die auch noch das offizielle Siegel trugen, war die überirdische Muse der äußerst irdischen Band Sorglospunks stets skeptisch. Das Dumme war nur, dass sich am Inhalt nichts ändern würde, wenn sie darauf verzichtete, den Umschlag zu öffnen. Und aus rein logischen Gesichtspunkten war es besser, zu wissen, worum es ging, als später böse überrascht zu werden. Daher brach sie das Siegel und entfaltete den kurzen Brief. „Na großartig“, entfuhr es ihr. „Ein Praktikant…“ Eine knappe Viertelstunde hatte die Sorglospunks Notfallsitzung im Wohnzimmer. Easy – Sängerin, Songwriterin und Frontfrau in einer Person – sowie ihre Zwillingsschwester Jack – ihres Zeichens Multipercussionswunder, Triangelspezialistin und Bandvernunft – lümmelten sich auf dem Sofa. Gitarrist Chris saß mit seiner heißgeliebten Gitarre und einer großen Tube Politur im Sessel und bearbeitete sein Instrument liebevoll, während es sich die Bandmanagerin Nifen auf dem zweiten Sessel gemütlich gemacht hatte. Das Bandmaskottchen Kiwi hatte sich auf dem Teppich zusammengerollt und warf zwischendurch einen Blick unter ihren halbgeschlossenen Augenlidern hindurch, um ja nichts Wichtiges zu verpassen. Wichtig – das waren für Kiwi Schlagworte wie ‚Katzenfutter‘ und ‚zu dick‘. „Wir bekommen also Besuch“, fasste Nifen die Situation knapp zusammen, nachdem Abranka mit einer Mischung aus Aufgeregtheit und Genervtheit die Praktikanten-Ankündigung bekannt gegeben hatte. „Nicht nur. Im Endeffekt ist das so ein bisschen Check-up für die Musen und wenn ich auf dem Prüfstand stehe, dann ihr natürlich auch“, erwiderte Abranka und verkniff sich mit Mühe, die Augen zu verdrehen. „Ach, mach dir keine Sorgen. Wir sind doch genial. Alles wird gut“, warf Easy mit einem strahlenden Lächeln in die Runde. „Easy hat schon Recht. Was soll groß passieren?“ Chris zuckte die Schultern. „Im glücklichen Fall lernt besagter Praktikant sogar etwas von uns.“ Jack grinste. „Und sei es nur, wie man vernünftig Kaffee kocht und Schokokekse backt.“ „Oooooh… Wir backen Kekse?“, jubelte Easy. Damit war der sinnvolle Teil der Bandversammlung beendet und Abranka war wieder einigermaßen entspannt, als sie sich in die Küche begaben, um eine Keks-Back-Session zu beginnen. Sie musste allerdings zugeben, dass dieser Praktikant ihr erster war… Und sie war sich auch noch nicht ganz so sicher, warum Hippokrene – die Chefin der Musenzuteilungsabteilung – ausgerechnet ihr und den Sorglospunks einen Praktikanten vorbeischicken wollte. Irgendwie ahnte sie, dass dieser Praktikant nicht ganz normal sein würde. Denn wer war bitte schön schon total normal und landete bei den Sorglospunks? Morositus entpuppte sich als junger Mann mit Toga und noch ohne Wolke – die fliegende Wolke mit der Fähigkeit, unsichtbar zu werden und vielerlei inspirationsunterstützenden Inhalt zu tragen, erhielt man erst nach Erteilung des ersten Auftrags. Er hatte dunkle Haare, akurat zu Löckchen gedreht, hübsche grüne Augen und eine Nickelbrille. Und Abranka irritierte sofort, dass er versuchte, möglichst heimlichtuerisch durch die Tür zu schlüpfen. „Ich grüße Euch, große Inspirationsexpertin Abranka und bitte um Eure Lehre“, flüsterte er, während er zu Abranka auf die Wolke krabbelt. „Ihr könnt den Unsichtbarkeitsmodus aktivieren, damit Eure Schützlinge keine Störung erfahren.“ Abranka klappte der Unterkiefer runter. „Abrankaaaaaa!“, rief in diesem Augenblick Easy und stürmte aus dem Wohnzimmer. „Ist er das? Unser Praktikahant?“ Vollkommen entsetzt sah Morositus seine Mentorin an. „Ihr zeigt Euch Euren Schützlingen und habt ihnen von mir berichtet?“ „So machen wir das hier eben“, schnupfte Abranka und zog die Schultern entschlossen hoch. „Ich bin für die Sorglospunks nie unsichtbar. Ich benutze den Spezialunsichtbarkeitsmodus, mit dem mich bestimmte Leute dauerhaft sehen dürfen. Für Fremde bin ich dagegen immer unsichtbar. Das macht mir meine Arbeit leichter.“ Sie betrachtete den jungen Musenmann und seufzte innerlich. Hippokrene war ihr hierfür ja so etwas von schuldig. Denn sie ahnte so langsam, warum man ausgerechnet ihr Morositus geschickt hatte. „Aber, aber... im Musenhandbuch Kapitel 73 steht...“, stammelte Morositus und wurde sofort von Abranka unterbrochen. „Das Musenhandbuch ist eine Orientierungshilfe. Die Realität sieht etwas anders aus. Und jetzt komm, ich stelle dich der Band vor.“ Easy war hinter ihnen hergehibbelt und ließ sich als erste vorstellen, dann waren Jack, Chris, Nifen und das Maskottchen Kiwi an der Reihe. Morositus blickte die ganze Zeit über fast panisch von einem zum anderen. „Zu viele Menschen?“, fragte Abranka trocken. „Ja. Ihr... wie könnt Ihr mit so viel Aufmerksamkeit umgehen?“, fragte er mit großen Augen. „Wir sind Freunde“, erwiderte sie mit einem breiten Grinsen. „Heute Abend ist wieder ein Auftritt“, warf Nifen ein. „Denkst du, du dein Schützling ist dafür bereit?“ Abranka musterte Morositus und hob die Schultern. „Das ist praktische Erfahrung“, entschied sie schließlich und darauf kommt es ja an.“ Nifen zog eine Augenbraue hoch. Ihr war Abrankas Skepsis nicht entgangen und sie empfand den Musenpraktikanten auch als etwas seltsam. „Abrankaaaaaa... Songwritiiiiiiing!“, forderte Easy eine Stunde später. Abranka hatte ihrem Schützling alle möglichen Informationen über die Sorglospunks gegeben und ihm einige ihrer Erlebnisse erzählt. Seine Miene war dabei immer mehr von professionell und interessiert zu ungläubig und entsetzt gewechselt. „Aber... wie kannst du nur?“, fragte er mit aufgerissenen Augen. Abranka ignorierte mit einem Seufzer die – zugegebenermaßen blöde – Frage und widmete sich Easy. „Arbeit. Du entschuldigst mich.“ Damit ließ sie Morositus quasi stehen und widmete ihre Aufmerksamkeit Easy, die über dem gefährlichsten Stoff der Welt saß: einem weißen Blatt Papier. Während sie Easy mit einem guten Stoß Inspirationsenergie zur Seite stand, beobachtete sie Morositus aus dem Augenwinkel. Er wirkte so, als wenn er zum ersten Mal das Gefühl hätte, 'richtige' Musenarbeit von ihr zu sehen, und das ärgerte sie. Glaubte er wirklich, dass darin die gesamte Arbeit bestand? Neben jemandem zu hocken, Inspirationsenergie fließen zu lassen und sonst nichts? Dass all die Abenteuer, die ganze Bindung zu ihren Schützlingen, ihre Freundschaft und alles, dass das alles nicht wichtig war? Oder sogar verboten? Oh, dieser Kerl war so ein Idiot... Sie würde ganz sicher Chibichi, dem Teufel höchstpersönlich und eine sehr enge Freundin der Sorglospunks, eine Nachricht schicken und sich Murphy für eine Weile ausleihen. Und am besten schickte sie den teuflischen Dämonenkater erst bei Morositus vorbei und dann für einen Ferienaufenthalt von wenigstens zwei Wochen zu Hippokrene. Die hatte es nämlich wirklich nicht besser verdient. „Auf zum Auftritt“, hieß es einige Stunden später. Morositus wirkte vollkommen davon überfordert, dass sie tatsächlich mit hinaus fuhren in den Club, in dem die Sorglospunks spielen würden. „Aaaaaber... das ist ein Außeneinsatz“, sagte er vollkommen entsetzt. „Das ist laut Seite 399 Musenhandbuch...“ „Boah, Morositus, du nervst langsam“, entfuhr es Abranka. „Vergiss das blöde Handbuch und versuch mal selbst zu denken. Das hier sind meine Schützlinge. Das ist meine Band. Und die soll ich alleine lassen? Ernsthaft, du hast keine Ahnung von diesem Job.“ Sie schüttelte den Kopf. Das einzig Positive war, dass er bisher seine gestelzte Sprache verloren hatte. Damit war er ihr aber auch übelst auf den Keks gegangen. Morositus schaute Abranka entsetzt an und diese schüttelte den Kopf. Als die Band die Bühne betrat, machte sich Abranka ebenfalls bereit. „Du willst doch nicht etwas wirklich...?“, fragte Morositus. Dass sein Blick entsetzt war, erklärte sich allmählich fast von selbst. „Und ob.“ Abranka grinste breit. „Andere Muse, andere Sitten. Also schmier dir das Musenhandbuch in die Haare oder aufs Butterbrot. Du kannst später deinen Job so machen, wie du es für richtig hältst. Aber das hier, das ist mein Job. Und den mache ich so, wie es für richtig halte. Und ehe du darüber fluchst, dass dich Hippokrene so einer Regeln biegenden unkonventionellen Muse wie mir zugeteilt hat, denk einmal über dein hilfloses Klammern an allen festgehaltenen Orientierungshilfen nach. In dem Sinne: Halt die Klappe und schau einem Profi bei der Arbeit zu.“ Morositus schloss empört den Mund und verschränkte die Arme vor der Brust. Abranka ignorierte ihn, was nicht so einfach war, da er ja immer noch direkt neben ihr auf der Wolke hockte, aber irgendwie ging das schon. Stattdessen richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf Easy, die jetzt das Mikro ergriff. „Hallo ihr Liebhaber der fantastischen Werke! Hier sind die Sorglospunks, die bekanntlich beste Band der Welt! Und hier und heute im Schaukelnden Kobold haben wir für euch den absolut genialen neusten Song! Enjoy!“ Jack legte am Schlagzeug mit einem Donner los, Chris haute in die Saiten und Easy hob die Stimme. Gleichzeitig ließ Abranka ein Inspirationsgewitter sondergleichen los. „Ohohohoho Komm tanz mit mir Komm tanz mit mir Hier, im Schaukelnden Kobold Komm tanz mit mir Komm tanz mit mir Heute Nacht! Durch die kalte Septembernacht führte mein Weg mich hierher, durch die kalte Septembernacht bin ich gewankt, bis hierher, an deine Tür Und hier, da stehen wir du und ich und du sagst, du kannst nicht und ich sage, doch du kannst und ich habe Recht, und das weißt du Ohohohoho Komm tanz mit mir Komm tanz mit mir Hier, im Schaukelnden Kobold Komm tanz mit mir Komm tanz mit mir Heute Nacht! Und du sagst, hey, das geht doch nicht und ich sage, doch ganz klar und du sagst, nein, das willst du nicht und ich sage, und wie du willst und du willst, und du willst Ohohohoho Und wir tanzen, ja, wir tanzen, hier, im Schaukelnden Kobold Ja, wir tanzen, wir tanzen, diese ganze Nacht!“ Unter jubelnden Applaus beendeten die Sorglospunks ihr neustes Lied und wechselten dann zum Repertoire bereits bestehender Stücke. Abranka lehnte sich erschöpft, aber zufrieden zurück. Das war doch wieder gut gegangen. „Was ist?“, fragte sie, als ihr Blick auf Morositus fiel, der sie mit großen Augen und einem diesmal nicht entsetzten Gesichtsausdruck ansah. Nein, stattdessen glaube sie darin sogar so etwas wie Anerkennung zu sehen. „Das war... wie sagt ihr? Wahnsinn! Absolut und totaler Wahnsinn!“ Er klatschte mit Begeisterung in die Hände. „Ich wusste nicht, dass Inspiration so so so so... inspirierend sein kann!“ Sein Tonfall glitt in Richtung Easy-Jubel. „Nun...“, setzte Abranka an, doch Morositus unterbrach sie direkt wieder. „Ich weiß jetzt, was du meinst. Im Musenhandbuch ist so etwas nicht vorgesehen, doch hier ist das genau das Richtige. Solch eine Inspiration braucht deine Band. Und deswegen bist du die beste Muse für sie. Regeln hin oder her.“ Seine Augen glühten vor Begeisterung. „Die Muse macht die Regeln. Die Muse macht die Sitten!“ „Äh ja...“ Abranka tätschelte ihm die Schulter und hoffte, dass sich seine Begeisterung für ihre Person möglichst bald wieder legen würde. Ansonsten würde sie sich Murphy für drei Wochen ausleihen müssen... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)