100% Sorglospunks! von abranka ================================================================================ Kapitel 56: Verborgen in der Kristallkugel ------------------------------------------ „Ob man echt in die Zukunft sehen kann?“, überlegte Easy, während die Sorglospunks auf dem trostlosen Jahrmarkt in ihrem heimatlichen Dorf im Schwabenländle standen. Sie starrte auf das Wahrsagerzelt, auf dem Madame Osmerta den ultimativen Blick in die Zukunft versprach. „Probier es aus“, sagte die Bandmanagerin Nifen trocken. „Aber bitte von deinem eigenen Geld“, fügte Jack, Easys Zwillingsschwester, hinzu. Schließlich musste die ohnehin äußerst leere Bandkasse nicht noch von Easys Eskapaden geschröpft werden. „Das ist doof“, schmollte die Sängerin und Frontfrau. „Nein, nur gerecht“, grinste Gitarrist Chris, der seine letzten Euronen für einen großen Bausch Zuckerwatte ausgegeben hatte. Die Bandmuse Abranka naschte hin und wieder etwas davon, aber ihr konnte Chris natürlich nicht böse sein. „Na gut. Ich will doch wissen, was die Zukunft bringt“, sagte Easy nach einiger Zeit des Zögerns und Zauderns schlussendlich und betrat entschlossen das Zelt. Nifen winkte Abranka, der Songwriterin zu folgen. Schließlich wusste man nie so genau, was geschah, wenn Easy irgendwo allein hinging, und die Bandmuse konnte sie auf ihrer fliegenden Wolke vollkommen ungesehen – da unsichtbar – begleiten. Im Inneren des Zeltes war es düster und stickig warm, obwohl draußen noch die gewöhnlichen Januartemperaturen von etwas über Null Grad Celsius herrschten. Schwummriges Licht und wilde Muster aus Sternen, Federn und Flügeln auf den Zeltwänden sorgten für eine unheimliche Stimmung. „Wie toll“, flüsterte Easy leise. Abranka grinste und sah sich neugierig um. Das Zelt besaß tatsächlich etwas Übernatürliches. Vielleicht war das hier ja eine echte Wahrsagerin. So etwas gab es tatsächlich, selbst wenn diese normalerweise nicht mitten in der Pampas jenseits des Rio Spätzle auftauchten, um dort für drei Euro in die Zukunft zu blicken. Allerdings war in der Nähe der Sorglospunks ja quasi nichts unmöglich und von daher wollte Abranka das lieber nicht ausschließen. Madame Osmerta entpuppte sich als junge Griechin mit matronenhafter Figur, schwarzen Haaren, strahlendweißen Zähnen und gigantischen goldenen Kreolen, die ihr bis auf die Schultern baumelten. Sie saß an einem kleinen Klapptisch, der unter einer schwarzen Tischdecke mit einem flirrenden Silbermuster verborgen war, und auf dem eine große glänzende Kristallkugel lag. „Setz dich!“, rief sie aus, als Easy zur ihr kam, und deutete auf den Stuhl ihr gegenüber. Gehorsam ließ sich Easy nieder und musterte die Wahrsagerin aufmerksam. „Du besitzt also den Mut, in den Fluss der Zukunft zu schauen“, raunte Madame Osmerta geheimnisvoll und blickte Easy tief in die Augen. „Mut? Was hat das denn mit Mut zu tun?“, fragte Easy skeptisch. „Nun, die Zukunft ist ein gefährliches Wasser“, lachte die Wahrsagerin meckernd. „Du kannst darin untergehen und ertrinken.“ Easy zuckte zusammen. Tod durch Ertrinken war etwas, das sie als absolut grauenhaft empfand. Sie schauderte. „Oder aber du kannst Kraft finden, die Welt aus den Angeln zu heben.“ Easy strahlte. Das klang doch weitaus besser. „Oder du wirst sehen, dass dein Leben klein und nutzlos ist und vergeht wie eine verdorrenden Blume in der Wüste: ohne Sinn und Verstand und ohne irgendetwas zu hinterlassen.“ Jetzt runzelte die Sorglospunksmitbegründerin die Stirn. „Hey, wollen Sie mir etwas über die Zukunft erzählen oder mir Angst machen? Ich kann nämlich auch ansonsten in die Geisterbahn gehen. Das ist unterhaltsamer!“ Nun war es Abranka, die grinsen musste. Als wenn sich Easy so einfach einwickeln ließ. Allerdings musste die Muse auch zugeben, dass die Wahrsagerin eine gute und professionelle Show ablieferte. Sie klang angemessen düster und geheimnisvoll. „Mein liebes Kind“, Madame Osmerta plusterte sich zu ihrer vollen Größe von rund einem Meter neunzig auf, „du solltest vorsichtig sein. Die Wasser der Zukunft sind tief. Es sind nur gut gemeinte Warnungen, die ich dir mit auf den Weg gebe.“ „Ja, ja, ja.“ Easy winkte ab. „Sie klingen wie meine Schwester. Entweder fangen wir jetzt an oder ich gehe – und ich erzähle dann allen, dass es keinen Spaß macht, zu Ihnen zu kommen. Ich bin in einer Band, wissen Sie. Und wir sind hier in der Region recht bekannt.“ Die dunklen Augenbrauen der Wahrsagerin wanderten nach oben und in ihre Augen trat ein unguter Glanz. Abranka sauste an Easys Schulter und raunte leise: „Ich glaube nicht, dass das gerade eine gute Idee war… Du hast sie verärgert.“ „Na, dann fängt sie wenigstens endlich mal an!“, moserte Easy zurück und gab sich keine Mühe, leise zu sprechen. „Konzentriere dich auf die Kugel. Wir beginnen.“ Sofort war Easy Feuer und Flamme und starrte gehorsam in die Wahrsagekugel. Nebel füllte diese aus und wogte in dicken Schlieren hin und her. Schatten zogen vorbei, schienen fester und dunkler zu werden und lösten sich wieder in graues Wohlgefallen auf. „Die Zukunft besitzt unendlich viele Möglichkeiten. Du wirst hier und jetzt einige davon zu Gesicht bekommen“, sprach die Wahrsagerin mit dramatischer Stimme. „Selbstverständlich wird auch deine unsichtbare Begleiterin all das sehen können, was du siehst.“ Abranka zuckte zusammen. Madame Osmerta hatte sie bemerkt? Das war nicht gut. Gar nicht gut. Ihre inneren Alarmglocken schrillten. Das hier, das war vielleicht einen der Moiren! Und das war gar nicht gut. Oh nein, wenn Easy tatsächlich eine der Schicksalsgöttinnen verärgert hatte, dann war das überhaupt nicht gut! Und zwar ganz egal, welche von den dreien es war. Verärgerte man eine der Schicksalsschwestern, dann verärgerte man alle – und meist auch gleich noch die entfernten Cousinen Parzen, Nornen und Zorya. „Was auch immer geschieht, Easy, sei respektvoll“, flüsterte Abranka der Sorglospunksfrontfrau eindringlich ins Ohr. „Das meine ich ernst!“ Easy war zu fasziniert von der Kristallkugel, um die Muse anzusehen, aber diese hoffte, dass sie dennoch zu dem sorglosen Wesen vorgedrungen war und etwas mehr Vorsicht ausgelöst hatte. Allerdings war sie auch realistisch genug, um zu wissen, dass man bei Easy eigentlich immer mit dem Unerwarteten rechnen musste. „Schließ deine Augen, Easy“, sagte Madame Rosmerta. „Schließ deine Augen und sieh die Zukunft.“ „Aber wie soll ich denn dann sehen, was in der Kugel passiert?“, fragte Easy verwirrt. Dass die Wahrsagerin sie bei ihrem Namen nannte, obwohl sie sich gar nicht vorgestellt hatte, fiel ihr gar nicht auf. „Oh, das wirst du. Das wirst du. Und auch Abranka wird mit dir zusammen alles sehen können. Zwei zum Preis von einer – das ist mein Angebot heute für euch.“ Ihr entfuhr ein meckerndes Lachen, das die junge Frau weitaus älter klingen ließ, als sie aussah. Abranka rann ein kalter Schauder über den Rücken und am liebsten hätte sie Easy gepackt und wäre mit ihr aus dem Zelt geflohen. Für einen Augenblick hatte sie einen Blick auf die unsterbliche und übernatürliche Gestalt der Wahrsagerin erhalten. Uralte Augen, strähnige Haare und eine wissende Aura waren die netteren Dinge, die sie gesehen hatte. Ihre Vermutung war richtig: das hier war eine der Moiren, der Schicksalsgöttinnen. Und dummerweise durfte man denen nicht davonlaufen, wenn sie einem die Ehre einer Audienz gewährten. Easy schloss nach einem weiteren Augenblick des Zögerns die Augen. Auch Abranka tat es ihr gleich, obwohl sie dabei ein richtig, richtig, richtig schlechtes Gefühl hatte. Die Moire lächelte und bewegte ihre Hände in einem komplizierten Muster über der Kristallkugel. Schleier aus Schatten und Dunkelheit lösten sich aus der Kugel und erfüllten allmählich den Raum. „Gehen wir in das Morgen…“, die Stimme von Madame Osmerta erklang in der Dunkelheit, die Easy und Abranka umgab. „Folgt mir.“ Gehorsam stiefelten sie beide hinter der Wahrsagerin her durch die Dunkelheit. Allmählich wurde es heller und das erste, was Easy sagte, war: „Hey, warum sitzt du nicht auf deiner Wolke?“ Abranka zuckte mit den Schultern. „Sie existiert hier wohl nicht.“ „Ich wusste gar nicht, dass du so groß bist.“ „Und ich nicht, dass dir eine Toga steht.“ „Was?“ Easy blickte erstaunt an sich herunter. Ebenso wie Abranka trug sie eine griechische Toga und bis zu den Knien geschnürte Sandalen. „Na klasse, dann habe ich morgen eine Erkältung und kann nicht mehr singen.“ Sie seufzte tief. Jack würde sie dafür umbringen. „Ähem.“ Madame Osmerta hüstelte demonstrativ, um die Aufmerksamkeit der beiden wieder auf sich zu lenken. „Seht!“, sagte sie dann dramatisch und deutete mit ausgebreiteten Armen auf die Szene vor ihnen. Sie standen vor dem hübschen Ein-Familien-Haus der Sorglospunks. Die Farbe blätterte zwar von dem Haus ab und es sah gefühlte hundert Jahre älter aus, als es derzeit war, aber es war definitiv ihr Haus. Die Haustür öffnete sich und eine alte Frau mit Rollator kam heraus. „Denk daran, Easy“, brüllte eine kratzende Stimme der Oma nach, „dass du auch Katzenfutter kaufst! Kiwi die 10. braucht auch was zu Essen!“ „Halt doch die Klappe!“, kreischte Easys altes alter Ergo zurück. Die Augen der jungen Easy wurden groß. Wenn sie alt war, sollten sie alle noch immer genauso leben? Was war denn mit Luxus und Durchbruch und so? Neben der alten Easy wurde jetzt eine Musenwolke sichtbar, auf der eine nicht erkennbar gealterte Abranka saß und Socken strickte. Leise fluchte sie vor sich hin, während ihr eine Masche von der Stricknadel fiel. Es war offensichtlich, dass sie sich langweilte und nichts lieber wollte, als auf den Olymp zurückzukehren. Soweit ihr Gesichtsausdruck das nicht bereits deutlich aussagte, so tat es spätestens die große Flagge neben ihr, auf der in großen Buchstaben stand: Zurück zum Olymp! „Das würdest du tun?“, fragte die junge Easy verletzt und blickte die Muse ohne Wolke an ihrer Seite an. Diese schüttelte den Kopf und zuckte gleichzeitig die Achseln. „Ich weiß ja nicht, was da passiert ist…“ Schließlich hatte sie schon einige ihrer Schützlinge irgendwann verlassen, wenn diese sie nicht mehr gebraucht hatten. „Och, kein Drama“, warf Madame Osmerta ein. „Es gibt noch andere Möglichkeiten.“ Sie schnippte mit den Fingern und alle drei fanden sich in einer neuen Szene wieder. Die Welt ging unter. Ein gigantischer Vulkan ragte mitten in der Wohnhaussiedlung des kleinen Dorfs empor und spuckte gewaltige Qualmwolken in den düsteren Himmel. Easys und Abrankas Augen wurden groß. „Woooaaaah! Was ist das?“, entfuhr es der Sängerin. „Ihr habt die falschen Leute verärgert und konntet euren Kopf nicht schnell genug aus der Schlinge ziehen.“ Madame Osmerta lächelte auf eine giftige Art und Weise. „Denn nicht immer ist euch das Glück hold und immerhin habt ihr euch mit Hermes einen Gott zum Feind gemacht… Was für eine dumme Idee.“ Sie hob den Zeigefinger warnend. „Auf Dauer kriegt ihr so echte Schwierigkeiten.“ „Hey, Hermes hat sich über Kleinkram aufgeregt!“, empörte sich Easy. „Und?“ Die Wahrsagerin zuckte mit den Schultern. „Äh, Easy, du solltest über die Götter wissen, dass sie genug Zeit haben, um aus einer Lappalie ein verdammt großes Drama zu machen.“ Abranka starrte auf den Vulkan, der nun Lava spuckte und das hübsche Sorglospunks-Heim in den rotglühenden Fluten zerstörte. „Gehen wir weiter.“ Madame Osmertar schnippte erneut mit den Fingern. Ein Krankenhaus erwartete sie dieses Mal. Chris, Nifen, Abranka und die Bandfreundin Chibichi saßen auf dem Flur und warteten. Von Ungeduld war allerdings wenig zu spüren, spielten sie schließlich mit äußerst großer Begeisterung Karten. Die Gegenwart-Easy und die Gegenwart-Abranka blickten sich an. Zukunfts-Jack und Zukunfts-Easy waren nicht dabei, was Böses ahnen ließ. Sie gingen einen Raum weiter und platzten mitten in eine Geburt hinein. „Iek!“ Vor Schreck schlug Easy die Hände vor die Augen. „Ist doch schon vorbei.“ Abranka tätschelte ihr ruhig die Schulter, woraufhin Easy vorsichtig blinzelend die Augen wieder öffnete und sich umsah. Kurz darauf sackte sie ohnmächtig in dem Armen der Muse zusammen. Ihr zukünftiges Ich hielt gerade Zwillingsjungs in den Armen und ihr zur Seite stand einer von Jacks Fußballjungs. Doch damit nicht genug: Auch die Zukunfts-Jack hatte gerade Zwillinge entbunden – allerdings Mädchen – und neben ihrem Bett stand mit dem klassischen Vaterstolz in den Augen ebenfalls einer der Dorf-Fußballjungs. „Och, wecke sie auf. Das Schönste gibt es doch noch zum Abschluss.“ Die Wahrsagerin schüttelte den Kopf und murmelte etwas von „Warum warne ich die Leute wohl, hm? Empfindliche Sterbliche…“ Ein Fingerschnippen später standen die drei in der angekündigten letzten Szene. Easy kam langsam wieder zu sich und blickte sich misstrauisch um. Sie rechnete jetzt mit allem. Vor allem mit grauseligen Überraschungen. Ganz so schlimm wie der letzte Blick in die Zukunft war es nicht. Die Sorglospunks lagen in Gefrierkapseln. Deren Zähler sprang gerade auf Null und die Kapseln öffneten sich. Alle fünf– natürlich waren Nifen und das Bandmaskottchen Kiwi mit dabei – wurden aus dem Kryogenierungsschlaf geweckt und mit einem großen Hei-ho von einem Haufen Ärzte wieder ins Leben zurückgebracht. „Willkommen im Jahr 4.000!“, wurden die Vier begrüßt. „Wie geil!“, sagte Easy. „Wir erleben das Jahr 4.000!“ Abranka nahm das eher gelassen auf. Als Muse hatte sie schon einige Jahrtausende auf dem Buckel und von daher gab es eher keine Zweifel, dass sie auch dieses Jahrtausend erleben würde – ausgenommen natürlich, sie schaffte es, vorher umgebracht zu werden. Madam Osmerta brachte die beiden zurück in die Gegenwart. „Wir werden sehen, was du gelernt hast, Easy. Und wir werden sehen, was du begriffen hast, Abranka.“ Die beiden schauten die Wahrsagerin an und wollten noch mit Fragen hervorsprudeln, aber ihr Gegenüber wandte sich einfach ab und verschwand hinter einem Vorhang. Als Easy dort nachschaute und ihr nachrufen wollte, war Madame Osmerta bereits verschwunden. „Und jetzt?“, fragte Easy, während sie hinausging und Abranka auf ihrer Wolken neben ihr herschwebte. „Wir leben weiter. Und du vergisst am besten nicht, was du heute gesehen hast. Die Moiren gewähren einem Menschen selten eine Audienz.“ „Na, was habt ihr erfahren?“, erkundigte sich Jack neugierig, denn die drei hatten natürlich draußen gewartet. Nifen und Chris waren auch sofort ganz Ohr. „Dass die Zukunft noch nicht feststeht und alles möglich ist. Echt alles.“ Easy schauderte ein wenig. „Und dass man nicht die falschen Leute verärgern sollte…“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)