100% Sorglospunks! von abranka ================================================================================ Kapitel 55: Easy on tour ------------------------ „Fernweh! Ohoohooo! Ich hab Fernweh! Gib mir Sonne, gib mir Strand, gib mir Cocktails in die Hand und einen wunderschönen kleinen Sorglospunkplaaaaatz!“ Easy hatte es sich samt Gitarre im Sessel des WG-Wohnzimmers gemütlich gemacht und trällerte sich den Winterblues von der Seele. „Schon wieder?“, fragte Nifen im Vorbeigehen Chris, der auf der Couch lümmelte und seine Gitarre polierte. „Sommers wie Winters, Frühling wie Herbst…“ Der Gitarrist und Komponist der Sorglospunks verdrehte die Augen. „Du weißt doch: Eine Tasse Kaffee hilft meist.“ Jack, ihres Zeichens Easys Zwillingsschwester und Multipercussionswunder, kam mit einem frisch aufgebrühten Kakao aus der Küche. „Ergo: Wenn’s dich stört, schalte es ab und gib ihr Kaffee.“ Grummelnd stand Chris auf, um eine Tasse Kaffee zu organisieren. Diese bescherte der wohl sorglosesten WG der Welt immerhin eine Pause von einer knappen halben Stunde. Dann legte Easy wieder los. „Fernweh! Ohoohooo! Ich hab Fernweh! Gib mir Meer, gib mir Sand, gib mir Sonne in die Hand und einen wunderschönen kleinen Sorglospunkplaaaaatz!“ „Na, dann unternimm doch was gegen dein Fernweh!“, schimpfte Chris, dem die sprichwörtliche Hutschnur platzte. Easy sah ihn empört an. „Sei doch froh, dass ich hier Songs schreibe!“ „Ja, sicher. Meine blutenden Ohren danken! Ich wiederhole es noch mal: Mach endlich was gegen dein verdammtes Fernweh! Ich kann das Gejammer nicht mehr hören!“ „Mache ich auch! Und die Songs kommen dann alle auf ein Easy-Solo-Album!“ Flugs sprang die Songwriterin auf und stürmte nach draußen. Jack und Nifen sahen sich an. „Fünf, vier, drei…“, zählte Jack, während Nifen trocken meinte: „Weiß sie, wie kalt es draußen ist? Und dass Schnee liegt?“ Jack grinste und zählte zu Ende. Einen Sekundenbruchteil nach der Eins wurde die Tür aufgerissen, eine durchgefrorene Easy griff nach Stiefeln, dicker Jacke, Mütze, Schal und Handschuhen und war dann auch schon wieder beleidigt von dannen gezogen. Bibbernd zog sich Easy den Schal enger um den Hals und die Mütze tiefer ins Gesicht. Und nun? Wieder rein auf keinen Fall! Also würde sie jetzt auch direkt losziehen. Ha, und einen Albumtitel hatte sie auch schon: Easy on tour. Die Gitarre über der Schulter marschierte Easy die Straße hinunter und aus der gemütlichen, wenn auch äußerst kleinbürgerlichen Siedlung heraus, in der das Sorglospunks-Ein-Familienhaus stand. Und wohin gehen? Na, das war doch wohl einfach… „Und ich gehe dorthin, wohin mich meine Füße tragen! Ja, ich gehe dahin, wohin mich meine Füße führen!“ Und in diesem Falle bedeutete das, dass es Easy in die idyllische Innenstadt des kleinen Örtchens verschlug. Tja, und was brauchte jedes herausragende Album? – Genau, einen politischen Protestsong. Und das war gleichbedeutend damit, dass Easy weiter zum Marktplatz marschierte und sich direkt vor dem Rathaus aufbaute. Darauf vertrauend, dass die letzte Dosis Inspirationsbonbons noch wirkte, haute sie in die Saiten und schmetterte los: „Hey, du, Politiker, du Redentier! Ich hab ne Meinung und die tu ich kund! Ich bin dagegen! Ganz egal, was du sagst! Ich bin dagegen, auch wenn du mich verklagst! Hey, du, Politiker, du Redentier! Mach dich weg von hier! Hey, ja, weg von hier! Denn ich, ich bin dagegen! Ganz egal, was du sagst! Ich bin dagegen, auch wenn du mich verklagst!“ Die hell erleuchteten Fenster des Rathauses öffneten sich und die Mitarbeiter blickten auf Easy hinunter. Gleichzeitig sammelte sich die unvermeidliche neugierige Menschenmenge um Easy. (Denn in jeder Stadt – sei sie auch noch so klein und selbst, wenn sie nur aus zwei Häusern besteht – lebt irgendwo dieses seltsame Tier namens Menschenmenge und kommt zu jedem möglichen Anlass heraus.) Und je größer die Menschenmenge wurde, desto inbrünstiger sang Easy ihr Lied. Schließlich kam der Bürgermeister, ein gemütlicher und beliebter Mann mittleren Alters mit einem gemütlichen Bauch und einem wenigstens ebenso gemütlichen Schnauzbart, aus der Tür des Rathauses und ging zu Easy. Selbstverständlich kannte er die Sängerin der Sorglospunks von diversen Feierlichkeiten und Auftritten, denn immerhin waren die Sorglospunks die berühmtesten Einwohner des Dorfes. „Hallo Easy“, sagte er freundlich, als sie das Lied mit einem großen Finale und einer vierfachen Wiederholung des Refrains beendet hatte. „Hallo Herr Bürgermeister.“ „Ein schönes Lied, wirklich. Sehr motivierend und aufrüttelnd. Nur: Wogegen bist du?“ „Oh.“ Schlagartig ging Easy auf, dass sie da etwas vergessen hatte. Aber sie wäre kein Sorglospunk gewesen, wenn sie sich nicht zu helfen wüsste und nicht improvisieren könnte. „Das ist ein universeller Protestsong. Der geht bei allen Gelegenheiten. Ganz egal, ob man gegen Atomkraft oder den Bau eines Bahnhofs ist. Dieses Lied funktioniert immer! Das ultimative Protestlied. Was ganz Neues!“ „Ah, ja.“ Der Bürgermeister kratzte sich am Kopf und war froh, dass seine kleine Tochter noch in dem Alter war, in dem ihre Welt aus Duplosteinen und Windeln bestand und noch keine wirren Ideen Einzug in ihren Geist gefunden hatten. „Möchtest du einen Kaffee trinken?“, fragte er daher. „Logo!“ Easy strahlte. Gratiskaffee war schließlich immer super. Und außerdem mochte sie den Bürgermeister – selbst wenn sie gerade gegen ihn protestiert hatte –, denn schließlich hatte sie ihn vor zwei Jahren auch gewählt. Gestärkt mit Kaffee und vollgefuttert mit einem ganzen Teller Schokoplätzchen zog Easy weiter. Schließlich hatte sie ja das Fernweh aus dem Haus gezogen und sie würde nicht eher umkehren, ehe sie das Heimweh packte. Sie setzte sich an die Bushaltestelle neben dem Rathaus und stieg in den nächsten Bus, der dort hielt. Hier drin war es immerhin viel wärmer und gemütlicher als draußen. „Unterwegs, unterwegs, unterwegs. Jaha, ich bin unterwegs. Fahre Meile um Meile, wandere Meter für Meter, denn ich bin unterwegs. Egal ob nach Nirgendwo oder gar nach Tokio, egal ob Stuttgart, Schwabenland oder gleich Berlin! Überall, da will ich hin! Unterwegs, unterwegs, unterwegs. Jaha, ich bin unterwegs.“ Zwei Haltestellen später warf sie der Busfahrer raus. Zwar tat er das mit der Anmerkung, dass er ihre Musik wirklich mögen würde und er das nur täte, weil keine Musik in den Fahrzeugen der Busgesellschaft gestattet war, aber nichtdestotrotz war Easy tödlich beleidigt. Der zweite Rausschmiss heute! Sie war ja wohl ganz eindeutig verflucht! Wenige Minuten später wusste Easy, wie sehr verflucht sie tatsächlich war. Das war ja eisig kalt! Und eine halbe Stunde Fußmarsch trennte sie noch von dem herrlich verlockenden – da es gleichbedeutend war mit warmen – Dorf. Das Fernweh wollte sie ja eigentlich in die andere Richtung ziehen, aber dort gab es kilometerweit nichts als leere Straße, Schnee, Eis und Kälte. Und das war natürlich etwas, was sie sich nicht antun wollte. „Oh, Fluch, du hast mich eingeholt! Dein eisiger Hauch friert mir am Bauch! Du killst mich noch, du kalter, kalter Killerfluch! Sehnsucht habe ich nach Sonne, Meer und Sand, nach Sommermärchen, Fußballschland! Oh, Fluch, du bringst mich um! Dein eisiger Hauch friert mir am Bauch und nicht mehr will ich noch als Gnade vor deinem Joch!“ Bald verstummte Easy allerdings, da es ihr auch zum Singen zu kalt war. Stattdessen schritt sie schneller aus, um sich warm zu halten – und um schneller wieder ins Warme zu kommen. Der Winter war aber auch eine blöde Zeit, um auf Tour zu gehen, das Zigeunerblut zu entdecken und dem Sonnen-Fernweh zu Fuß nachzugeben. Es dauerte tatsächlich rund 30 Minuten bis Easy die örtliche Kneipe – unweit des Marktplatzes – erreicht hatte. Wohlige Wärme umfing sie beim Eintreten. „Hallo Easy!“, begrüßte sie der Wirt von der Theke aus fröhlich. „Einen Kaffee bitte! Ich zahle mit Musik!“, rief sie zurück, was gutmütiges Lächeln unter den Besuchern hervorrief. Dass die Sorglospunks häufiger mal abgebrannt waren, war hier kein Geheimnis. Dass man sich aber auch immer auf die Band als Stimmungskanone verlassen konnte, war aber ebenso kein Geheimnis, und gemeinsam mit dem nahezu legendären Ruf der Sorglospunks – und besonders Jacks – im örtlichen Fußballverein sorgte das dafür, dass man den Bandmitgliedern stets mit Sympathie und Wohlwollen gegenübertrat. Ein Gratiskaffee bzw. ein Kaffee gegen Musik gehörte da quasi zum guten Ton. „Wo hast du den Rest gelassen?“, erkundigte sich einer der Fußballjungs, der an der Theke saß und an einem heißen Kakao nippte. Er spähte über Easys Schulter und hielt Ausschau nach Jack. „Zuhause auf dem Sofa. Sie wollten mein Fernweh nicht mehr ertragen.“ Ihr Tonfall machte nur allzu deutlich, dass sie noch immer beleidigt war. „Oh…“ Der Fußballer war einen kurzen Augenblick enttäuscht, beschloss dann aber, dass die Zwillingsschwester seines Schwarms auch gute Gesellschaft war. „Und dein Fernweh führt dich ausgerechnet hierher?“ „Nee!“ Easy schüttelte heftig den Kopf. „Ich bin auf Tour! Allerdings isses bei diesem Wetter echt ätzend, wenn man weder Auto noch Privatjet hat. Von daher bin ich nur bis hier gekommen.“ „Hier ist dein Kaffee.“ Der Wirt schob ihr den dampfenden Becher herüber. „Musik gibt’s danach“, sagte Easy strahlend, schloss die Hände genüsslich um die heiße Tasse und atmete den heißen Kaffeedampf genüsslich ein. Der Abend verlief lustig und unterhaltsam. Nachdem Easy ihre neusten Solo-Songs – inklusive des ultimativen Protestsongs – vorgetragen hatte, improvisierte sie gemeinsam mit ihrem Publikum. Resultat waren Zeilen wie „Ich trinke Kaffee nie mit Latte, Salz und Pfeffer, nur mit Milch und Zucker!“ oder „Spaghetti am Morgen, Spaghetti am Mittag, Spaghetti am Abend, Spaghetti inner Nacht! Oh ja, ich bin ein Spaghettitier! Ja, euer Spaghettitier!“ Und ganz am Ende, da musste Easy dann doch feststellen, dass es Zuhause immer noch am allerschönsten und besten war. „Das Fernweh, ja, das Fernweh, das ist weg. Doch Heimweh habe ich, Heeeeeiiiimweeeeeeh! Nach Kaffee, Katze, Tee und Bett! Ganz besonders nach Kaffee, Katze, Tee uuuuuund Beeeeeett!“ So zog Easy zufrieden, matt und nur noch ein winziges bisschen beleidigt zurück nach Hause. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)