100% Sorglospunks! von abranka ================================================================================ Kapitel 49: Hilferuf aus Fútbolopia ----------------------------------- Fanpost war für die Sorglospunks noch immer eine Seltenheit. Zwar kamen hin und wieder nette E-Mails oder direkte Antworten über Twitter, aber richtige Fanpost, die mit Postsäcken in die Wohnung gekarrt wurde und die aus Bergen an Geschenken bestand, hatten sie noch nie bekommen. Daher hatte es Abranka, die Bandmuse, nur allzu gerne übernommen, diese Aufgabe wahrzunehmen. Sie war also auch die offizielle Fanpostbeauftragte der Band. Im Endeffekt bedeutete das nur, einmal am Tag daran zu denken, den Briefkasten zu leeren. Gleichzeitig war es für sie eine willkommene Ausrede, sich um die Fanpost kümmern zu müssen, wenn Easy, die Sängerin der Sorglospunks, gerade einmal wieder absolut uninspirationswillig und Songtext schreibunlustig war. „Wir haben Post! Fanpost!“, gellte an diesem schönen Juni-Tag auf einmal Abrankas Stimme durch die Sorglospunks-WG. Augenblicklich ließen die drei Sorglospunks und ihre Managerin alles stehen und liegen und sausten gen Wohnzimmer, wo Abranka bereits auf alle wartete. „Was ist es?“, fragte Chris, der Gitarrist, aufgeregt. „Geschenke! Geschenke!“, jubelte Easy. „Lies schon vor!“, drängelte Jack, das Multipercussionswunder, während sich die Bandmanagerin Nifen ganz entspannt auf der Couch zurücklehnte und darauf wartete, dass Abranka endlich beginnen konnte. „Also…“ Abranka räusperte sich demonstrativ und zückte dann einen Brief, was bei Easy einen tiefen Seufzer auslöste. Keine Geschenke. Wie deprimierend! „Liebe Sorglospunks, ich liebe eure Musik über alles und bin froh, euren Youtube-Channel gefunden zu haben. Leider kann ich eure Musik nicht allzu oft hören, da ich dem sehr abgeschiedenen Dorf Fútbolopia in Südamerika lebe und nur alle zwei Wochen eine halbe Stunde Internetzeit bekomme. Natürlich kenne ich auch eure Homepage! Ich staune jedes Mal über die Abenteuer, die ihr dort erzählt…“ Die drei Sorglospunks warfen Nifen einen langen Blick zu. Offenkundig musste hin und wieder doch mal auf die Homepage geguckt werden, um herauszufinden, was dort eigentlich drauf stand. Nicht, dass da außer Schokolieblingssorte und Kaffeetrinkgewohnheit noch irgendetwas Peinliches zu finden war! „…und genau deswegen schreibe ich euch. Ich brauche eure Hilfe! Mein ganzes Dorf braucht eure Hilfe! Bitte, ihr habt so vielen Leuten geholfen – könnt ihr nicht auch unser Dorf retten? Kommt bitte sofort! Euer Ronaldo“ „Das ist definitiv keine normale Fanpost“, stellte Jack trocken fest. „Nein, ganz klar ein Hilferuf.“ Easy nickte. „Und wir machen’s!“ „Aber wir wissen doch gar nicht, worum es geht!“, kam es von Jack wieder zurück und ehe die beiden Zwillingsschwestern in einen heftigen Geschwisterstreit abdriften konnten, mischte sich Nifen ein. „Nun, wir könnten Chi um Hilfe bitten, um nach Fútbolopia zu kommen und uns die ganze Geschichte mal aus der Nähe anzuschauen… Und dann können wir ja entscheiden. Immerhin ist das ein Fan. Es wäre jedenfalls toll, um weiter bekannt zu werden“, schlug Nifen mit purer Gelassenheit vor. „Aber keine Kostüme, klar?“, gab Jack zurück. „Ist gebongt!“ Nifen grinste. Das Cowboy-Outfit hatte bei Jack offenkundig einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Chris seufzte leise und verschwand schon mal, um zu packen. Immerhin musste seine geliebte Gitarre sicher verstaut werden. „Ich rufe Chi an“, erklärte Abranka und zog ihr Musentelefon hervor. Keine zwei Minuten später war klar, dass Chibichi, der Teufel höchstpersönlich, leider keine Zeit hatte, aber sie schickte ihnen Baby vorbei, damit Nifen dann diesen ganz speziellen Wagen nach Fútbolopia steuern konnte. Und sie bestand darauf, dass nur Nifen fuhr. Immerhin konnte Baby überall hinfahren – und wer wusste schon, wohin das in den Händen von Sorglospunks führen würde… Es war etwas komplizierter den Weg nach Fútbolopia zu finden, da Easy ständig versuchte, das Wunschlenkrad zu reiben und sich etwas Tolles zu wünschen. Das nahm erst ein Ende, als Nifen und Jack Easy schließlich gemeinsam dazu verdonnerten, einen neuen Song zu schreiben – und zwar über die gemeinsame Reise und das Wunschlenkrad und erst wenn dieser Song toll war, durfte sie das Lenkrad wieder anfassen. Da die Jury aus Jack und Nifen bestand, war klar, dass das während der Fahrt niemals der Fall sein würde. Chris schlief die gesamte Zeit über und Abranka strickte an einem Ideenschal, den sie Easy bei dem nächsten Kreatief um den Hals wickeln wollte. Doch endlich erreichten sie die richtigen Koordinaten. Hier war überall nur Dschungel. Dschungel, Dschungel und Dschungel. Irgendwo hier im südlichsten Zipfel Venezuelas lag das Dorf. Oder war das hier schon Kolumbien oder bereits Brasilien? Es spielte hier keine Rolle mehr. Es gab hier nur den Dschungel. Grenzen waren das letzte, was hier irgendjemanden interessierte. „Da vorne!“ Easy hopste auf ihrem Sitz herum und deutete durch die Frontscheibe. Tatsächlich! Dort ragten hohe Palisaden zwischen den Bäumen empor. Sie passierten ein großes Tor, an das Dutzende von alten Lederbällen gebunden waren, und befanden sich dadurch praktisch sofort auf dem großen Dorfplatz. „Sie sind es! Sie sind es!“ Ein Junge, vielleicht vierzehn Jahre alt, barfuß und mit hellbrauner Haut – wie Milchkaffee – und kurzem schwarzen Haar stürmte auf den Wagen zu. „Die Sorglospunks! Das sind sie! Sie werden uns helfen!“ „Hallo Ronaldo!“ Nifen schlussfolgerte schnell, wer der Junge war. Sie stoppte den Wagen und die Sorglospunks strömten ins Freie. „Ist das warm hier…“, murrte Chris und blickte sich dann neugierig um. Alles hier erinnerte an… Bälle. Fußbälle, um genau zu sein. Offenbar waren das hier richtige Fußballfans. Keine fünf Minuten später waren die Sorglospunks von neugierigen Dorfbewohnern umringt, die sie begutachteten und schließlich begeistert ausquetschten. Über alles. Und ganz besonders über Fußball. Ronaldo war es schließlich, der sich durchsetzte und verkündete, dass das schließlich seine Gäste seien und entsprechend die drei Sorglospunks, ihre Managerin und ihre Muse zu einer kleinen Hütte führte, dort seinen Eltern vorstellte und ihnen schließlich bei einem Glas kühlen Tee erzählte, was hier eigentlich los war. „Also, ich habe euch um Hilfe gebeten, weil wir immer mehr Probleme mit unseren Nachbarn haben, dem Dorf Arbitropa.“ Und dann schilderte Ronaldo, dass sich die Arbitroper immer in die Fußballspiele der Fútbolopier einmischten und ihnen erzählen wollten, was sie falsch machten, aber gleichzeitig nicht kicken konnten und dass das alles einfach nur noch grauenhaft war. Die beiden Häuptlinge hatten sich bis aufs Blut zerstritten und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis es zu einem Krieg kommen würde. Und genau deswegen hatte er die Sorglopunks um Hilfe gebeten. So glücklich wie ihn ihre Musik machte, mussten sie doch auch in der Lage sein, hier alle anderen glücklich zu machen. Als Ronaldo geendet hatte und die fünf aus seinen großen Augen hoffnungsvoll ansah, wurde ihnen allen ganz anders. Das Lob ging natürlich runter wie Öl, aber: Wie helfen und einen Krieg verhindern? Es war Nifen, die als erstes eine Idee hatte. „Weißt du was? Zeig uns mal, wie ihr spielt. Lass uns mal schauen, was passiert, in Ordnung?“ Ronaldo nickte begeistert, sprang auf die Füße und flitzte voraus. Vier der fünf Besucher taten sich da doch recht schwer ihm zu folgen. Nur Abranka hatte es auf ihrer fliegenden Wolke leicht, musste sie doch einfach nur ein wenig die Geschwindigkeit erhöhen. Auf dem Fußballplatz entstand innerhalb kürzester Zeit ein schnelles, atemberaubendes Spiel. Solche Balltricks und einen derartiges Ballgefühl hatten die fünf bisher nur im Fernseher gesehen. Bei der Weltmeisterschaft zum Beispiel. Das waren solche Ballkünstler, nach denen sich jeder Fußballverein Europas die Finger lecken würde! Es war der Häuptling, der Nifen genau diese Frage beantwortete. „Es gehen wenige hier weg und entscheiden sich für ein Leben in eurer Welt. Und für ein Leben in der Welt des modernen Fußballs. Dieser Fußball hier ist anders. Urtümlicher. Ohne dieses Korsett.“ „Mhm…“, machte die Bandmanagerin. Das hier war wirklich eine vergessene Welt. Eine Welt, die zwar Berührungen mit der so genannten Zivilisation besaß, die aber von dieser nicht so recht wahrgenommen wurde und die sich sehr bewusst für und gegen Kontakte entschied. „Ja, aber dafür gibt es schon viele üble Szenen… Fouls und so.“ Jack deutete auf den Platz. Dank ihrer Fanclique aus dem örtlichen Fußballclub im Schwabenland kannte sie sich mittlerweile recht gut mit Fußball aus und war nicht mehr nur ein begeisterter Fan, der auf Tore wartete. Der Häuptling blickte Jack lange an und erzählte dann, wie der Fußball eigentlich entstanden war – und dass Fútbolopia tatsächlich das Heimatland des Fußballs war. „Begonnen hat alles zu der Zeit, als die kleinen Stämme noch kein Spanisch sprachen und uns die weißen Männer fremd waren. Wenn es Krieg gegeben hatte, war das eine schlimme Zeit und es gab wenig Erfreuliches. Bis, ja, bis ein kleiner Junge einmal über einen Toten stolperte und dessen Kopf durch die Gegend kickte. Ihm machten das kullernde Geräusch und die Bewegung Spaß und so trat er den Kopf weiter… Das war der erste Fußball. Danach wurde es zur Tradition, mit den Köpfen der Besiegten Fußball zu spielen. Solange, bis sie auseinander fielen. Und natürlich wurden vorher die Unterkiefer abgemacht. Die gingen immer so lästig auf…“ Easy schauderte und rief empört: „Wie grausam!“ „Na und? Ihr habt Hexen verbrannt und noch viel Schlimmeres getan. Ihr solltet unsere Vorfahren nicht verurteilen.“ Sein scharfer Blick sorgte aber nicht dafür, dass Easy sich beruhigte. Im Gegenteil. Sie wollte sich noch viel mehr aufregen, doch Jack gelang es schließlich, sie wieder zu beruhigend und dem Häuptling weiterhin zuzuhören. „Irgendwann gab es immer weniger Feinde und immer mehr Frieden und statt mit Menschenköpfen spielte man schließlich mit den ersten Bällen. Das Spiel verbreitete sich in ganz Südamerika und kam mit den weißen Eroberern nach Europa, wo es dem rudimentären Ballspiel seinen neuen Schliff gab. Man kann also getrost sagen, dass wir das Mutterland des Fußballs sind.“ „Eines Fußballs ohne Regeln.“ Chris verzog den Mund, während wieder einer der Jungen über den holperigen Platz kullerte. Ehe der Häuptling darauf etwas mit zornblitzenden Augen erwidern konnte, stürmte auf einmal ein Haufen schwarz-weiß gekleideter Jungen auf das Spielfeld und blies kräftig in kleine Pfeifen hinein, was ein ohrenbetäubendes Getöse bedeutete. „Seht ihr! Deswegen wird es Krieg geben!“, fauchte der Häuptling ungehalten und richtete seine Wut jetzt auf die Neuankömmlinge. „Mhm…“ Jacks Stirn legte sich in Falten. Wenn man einmal durch das Getöse und Gewimmel hindurchblickte, dann merkte man vor allem eins: Diese Jungs wollten dem Spiel mehr Struktur geben. Das Rumgeschubse beenden, ebenso das hinterhältige Hangeln nach dem Ball. Sicher, das machte die Spieler vielleicht auf Dauer besser, aber es sorgte auch dafür, dass ihre Knochen sehr viel mitmachen mussten. Und so viele traurige Jungs, wie am Spielfeldrand standen, weil sie nicht mehr konnten, gaben doch einen Hinweis darauf, dass diese Konfrontationen durchaus Folgen besitzen konnten… „Ich hab da ne Idee!“ Jack stürzte sich mitten ins Getümmel und war auf einmal zwischen all den Jungs verschwunden. „Was meinst du, sollten wir ihr helfen?“, fragte Easy und neigte sich Nifen hinüber. Diese zuckte mit den Achseln. „Sie soll nur auf ihre Finger aufpassen, die braucht sie zum Spielen.“ „Außerdem hat sie die Fußballjungs zuhause auch in den Griff gekriegt“, erinnerte Abranka und fummelte an einigen Ideenblitzen herum. Sie ahnte, worauf Jack hinauswollte und würde sie nach allen Kräften unterstützen. Schließlich hatte Jack es geschafft, dass sie die Jungen aus beiden Dörfern um sie herum auf den Boden gesetzt hatten. Auch die Mädchen – die immer auf einem gesonderten Platz spielten und das deutlich gesitteter als die Jungs – kamen jetzt hinüber und kurz darauf hockten das Halbe Dorf Fútbolopia und das halbe Dorf Arbitropa vor Jack auf dem Boden und blickten sie erwartungsvoll an. „Fußball ist großartig“, sagte Jack zur Einleitung und schaute in die Runde. „Fußball ist der tollste Sport, den es gibt. Aber das wisst ihr. Aber Fußball besteht nicht nur aus tollen Ballkunststücken und grandiosen Toren. Aus Drama, Kampf und Krampf. Nein, Fußball besteht auch aus Regeln. Aus Regeln, die dem wilden Spiel etwas mehr Struktur geben, ohne es zu zähmen. Aus Regeln, die verhindern, dass ihr euch die Beine blutig tretet und dass jemand direkt vor der Torlinie lauert, um einen Ball rüberzuschubsen. Regeln heißen nicht, dass das Spiel schlechter wird. Im Gegenteil. Es gibt Regeln, die das Spiel spannender machen. Denn sie sind auch eine Herausforderung.“ Sie hielt kurz inne und ließ das Raunen und Flüstern um sich herum auf sich wirken. „Die Fútboloper sind die geborenen Fußballer.“ Heftiger Applaus antwortete ihr auf diese Worte. „Doch die Arbitroper sind die geborenen Schiedsrichter. Warum also nicht eure Kräfte bündeln und daraus ein Fußballspiel machen, das wirklich spannend ist und bei dem es weniger blutige Knie und frustrierte Fußtritte gibt? Ein Spiel, das immer noch vor Fußballkunst so strotzt? Warum nicht?“ Erst breitete sich Schweigen aus, dann gab es langsam erste vereinzelte Jubelrufe und dann war der ganze Platz davon erfüllt. „Und wir helfen euren Häuptlingen gerne dabei, Regeln aufzustellen, mit denen ihr alle leben könnt.“ Jetzt war das Getöse wirklich groß. Der Häuptling aus Fútbolopia guckte zwar immer noch sehr skeptisch, aber gleichzeitig war ihm auch anzusehen, dass er begriff, welche Chance das hier sein konnte. Und einen Krieg wollte hier schließlich niemand. Zwei Tage später stand das Regelwerk für das Fútbolo-Abritop’sche Fußballspiel. Sie waren etwas anders als sie auf den großen Plätzen und bei der FIFA galten, aber das war in Ordnung. Schließlich war das hier ein anderer Ort als die Welt da draußen. Das hier war eine kleine, herrliche vergessene Fußballwelt. Eine Welt, an die man den Rest des Planeten gar nicht unbedingt erinnern musste. „Los, los, los, kick den Ball! Los, los, los, kick den Ball! Schieß den Ball ins Tor! Halt ihn hoch, flank ihn her! Ich schieß den Ball ins Tor!“, trällerte Easy bei der Rückfahrt und Jack war sich nicht so wirklich sicher, ob das tatsächlich ein Hit werden konnte. Aber andererseits… Fußballsongs gingen immer… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)