100% Sorglospunks! von abranka ================================================================================ Kapitel 45: Befreit Chelone! ---------------------------- „Wow! Seht euch mal die Schildkröte da an!“ Easy flitzte von dem Stachelschweingehege weiter zu den Riesenschildkröten. „Die ist gigantisch! Fantastisch!“ Wir hatten uns entschieden, an diesem sonnigen Mittwoch im späten März einen Ausflug in den verhältnismäßig nahegelegenen Zoo zu machen. Jack, Easys Zwillingsschwester, war dieser mittlerweile an das Gehege gefolgt und erklärte knapp – und nach einem kurzen Blick auf die Erklärungstafel -, dass es sich bei dieser Schildkröte um eine Galapagosschildkröte handelte, die problemlos einhundert Jahre alt werden können. „Hundert Jahre!“, stieß Easy hervor. „Wahnsinn!“ „Schaff dir also lieber keine Schildkröte als Haustier an. Die überlebt dich noch“, ergänzte die Bandmanagerin Nifen trocken und beugte sich neben der Frontsängerin der Sorglospunks über das Geländer, um die Schildkröten besser sehen zu können. Das Exemplar, auf das Easy gezeigt hatte, war wirklich riesig. Auch im Vergleich zu den anderen Schildkröten in dem Gehege. „Die ist wohl die älteste“, mischte sich nun auch Chris ein, der Gitarrist, der sich bisher eher im Hintergrund gehalten hatte. „Alter und Größe dürften ja wohl zusammenhängen oder, Dr. Jack?“, zog er ihre Bandleaderin fröhlich auf. „Davon ist auszugehen“, dozierte Jack mit überheblichen Tonfall und Schalk in den Augen. „Dieses Exemplar, das sie dort sehen, ist bereits mehrere hundert Jahre alt. Aber da für die Menschen Schildkröten immer gleich aussehen, haben sie das natürlich nicht bemerkt und reichen sie von Zoo zu Zoo weiter, ohne zu ahnen, welches Wunder der Natur sie in ihrer Mitte haben.“ Bei ihren Worten hob die riesige Schildkröte den Kopf und blickte die Besucher aus ihren alten Augen aufmerksam an. Ich zuckte zusammen. In diesen Augen lag nicht die typische Lethargie, wie man sie von Zootieren kannte und gerade bei Schildkröten erwartete. Nein, diese Augen leuchteten nur so vor Intelligenz. Mich durchzuckte dieser Blick wie ein Blitzschlag. Als Muse habe ich ein sehr gutes Gespür dafür, wenn sich mir jemand oder etwas Übersinnliches gegenüber befindet. „Wer bist du?“, flüsterte ich unwillkürlich und wiederholte diesen Satz dann noch einmal auf Altgriechisch. Tatsächlich reagierte die Schildkröte und malte einige Zeichen in den Sand. „Hey, schaut mal, was sie da macht!“ Easy fiel vor lauter Begeisterung fast über die Brüstung. „Sie malt… Kauderwelsch.“ „Lass sehen.“ Ich schob mich an ihr vorbei und nutzte die Bewegungsfreiheit, die ich durch meine fliegende Wolke besaß und sah mir die Zeichen aus einem günstigeren Blickwinkel an. Schildkröte stand dort, auf Altgriechisch. Chelone. Mir klappte die Kinnlade herunter. Diese Schildkröte war niemand anderes als Chelone! „Sorglospunksversammlung!“, rief ich und flitzte zu den anderen zurück. „Was ist los?“, fragte Nifen sofort. „Das da in dem Gehege ist Chelone!“ „Wer ist Chelone?“, kam es sofort von Easy. „Chelone ist eine junge Frau gewesen, die es gewagt hat, als einzige von allen Menschen und Göttern nicht zu der Hochzeit von Zeus und Hera zu gehen. Natürlich haben sich alle sehr darüber aufgeregt und Hermes hat sie daraufhin in eine Schildkröte verwandelt…“ „Und das ist diese Schildkröte?“, rief Jack aus. „Schrecklich! Und das für so lange Zeit! Ich mein… Wann haben Hera und Zeus geheiratet?“ „Vor einer Ewigkeit.“ Meine Antwort war knapp und doch ausreichend genug. Chris schüttelte fassungslos den Kopf. „Und das nur, weil sie nicht da war?“ „Wir müssen ihr helfen!“, posaunte Easy. „Aber wie?“ Nifen fuhr sich nachdenklich durch die Haare. „Na, Chi nimmt diesen Hermes in die Mangel und dann wird alles gut“, strahlte Easy. „Ganz so einfach dürfte das wohl kaum sein“, warf ich ein. „Hermes ist immerhin ein Gott. Und die Götter, der Teufel und der Rauschebart haben so eine Art Nicht-Angriffs-und-Gegenseitige-Toleranz-Pakt geschlossen. Und wenn sich Chi mit Hermes anlegt… Nun ja… Armageddon wäre dann doch recht wahrscheinlich.“ „Okay, das spricht eindeutig gegen diesen Plan.“ Nachdenklich zwirbelte Nifen eine Haarsträhne zwischen zwei Fingern. „Wir legen uns mit Hermes an!“, tönte Chris vollmundig. „Sicher?“ Ich zog eine Augenbraue hoch. „Wenn sich Menschen mit den Göttern anlegen, dann leben sie normalerweise nicht mehr sehr lange. Selbst Halbgötter wie die ganzen Helden tun das nicht. Die sind alle sehr jung gestorben.“ Schlagartig war Chris von dieser Idee nicht mehr besonders begeistert. „Gibt es keine friedliche Lösung?“, fragte Jack. „Wie wäre es denn, wenn sie sich einfach entschuldigt?“, warf Nifen ein. „Was?“ Irritiert blickte ich sie an. „Soweit mir bekannt ist, haben die Götter die Tendenz dazu, leicht beleidigt zu sein. Aber sie sind durchaus auch bereit, sich beschwichtigen zu lassen, oder nicht? Also… Wir schaffen Chelone auf den Olymp und sie entschuldigt sich direkt bei Zeus und Hera. Dann hat Hermes nichts mehr zu melden, sondern der Göttervater und seine Gattin entscheiden selbst.“ „Womit wir den Schwarzen Peter namens Hermes los wären.“ Chris strahlte. Ich hob die Schultern. „Versuchen wir es.“ Dann fiel mir etwas ein und ich musste breit grinsen. „Außerdem ist morgen der Hochzeitstag von Zeus und Hera. Das ist doch die perfekte Gelegenheit!“ „Super!“ Nifen strahlte. „Jetzt müssen wir nur noch Chelone hier wegbekommen.“ Jack warf der Schildkröte, die uns die gesamte Zeit über aufmerksam aus klaren Augen beobachtet hatte, einen langen Blick zu. Wir verbrachten die nächsten Stunden damit, Pläne zu schmieden. Und wer jemals auf die Idee gekommen ist, eine 200 Kilogramm schwere Schildkröte aus einem Zoo zu entführen und anschließend auf den Olymp bringen zu wollen, der kann sich ausmalen, dass nicht so einfach ist. Doch schließlich hatten wir einen Plan. Vor dem Zoo würde uns das derzeit unsichtbare Wolkenmobil der Glücksbärchis mit Schmusebärchi und Geheimnisbärchi erwarten. (Die Glücksbärchis halfen ihren Freunden ja bekanntlich gerne.) Mit in den Zoo hatten sie leider nicht kommen können, da sie noch einen wichtigen Auftrag in der Stadt erledigen und wenn wir unseren Zeitplan einhalten wollten, um rechtzeitig zu den Feierlichkeiten von Zeus’ und Heras Hochzeitstag auf dem Olymp einzutreffen, mussten wir die Entführung selbst erledigen. Leise schlichen die Sorglospunks durch den verlassenen, nächtlichen Zoo zu dem Schildkrötengehege. Alle vier hatten sich in grau-schwarz gemusterte Tarnkleidung gehüllt, die in den Schatten derart effektiv war, dass ich die vier nur anhand ihrer Bewegungen ausmachen konnte. Ich selbst musste mir über Tarnung wenig Gedanken machen, war ich für die meisten menschlichen Augen doch eh unsichtbar. „Chelone!“, rief ich leise, als wir das Gehege erreicht hatten. Die große Schildkröte streckte den Kopf aus dem Stall und ich meinte so etwas wie ein Lächeln auf ihrem Gesicht zu sehen, als sie auf uns zukam. Sofort handelten alle nach Plan. Nifen und Easy kletterten ins Gehege, um Chelone mit dem Zaubertrank einzusprühen, Easy und Jack standen Schmiere und Chuck und Chuck würden in fünf Minuten mit dem Transportmittel auftauchen. „Hoffentlich wirkt das Zeug auch“, murmelte Easy ungewohnt pessimistisch, während sie Chelone einsprühten. „Klar. Kiwi war doch auch auf einmal so leicht wie eine Feder“, gab ich zurück und erinnerte damit an unser Experiment, um hinsichtlich der Wirksamkeit des Tranks sicherzugehen. „Kiwi wirkt aber auch keinen 200 Kilo“, kam es pikiert von Easy zurück. Gut, da hatte sie Recht. Aber Himeka war der Überzeugung gewesen, dass das Ursprungsgewicht für die Reduzierung auf die Masse einer Feder keine Rolle spielte. Nifen hatte das Seil um Chelones Panzer geschlungen, festgezurrt und reichte mir nun das Ende. Ich schwebte höher und beobachtete, wie sich das Seil erst straffte und die Schildkröte dann den Boden unter den Füßen verlor. Geistesgegenwärtig legte Nifen Easy die Hand auf den Mund und verhinderte gerade eben noch, dass diese ein lautes Jubelgeheul ausstieß. „Los, schnell. Der Trank wirkt nicht lange. Nur fünf Minuten“, erinnerte mich Jack, die sich weit über das Geländer gebeugt hatte. Ich nahm mir ihre Worte zu Herzen und rechnete gleichzeitig damit, dass die Wirkung eher aufhörte, da ich Himeka und ihre Hexenkünste ja kannte. Tatsächlich hatten wir vielleicht zwei Minuten, um Chelone über die Umzäunung zu bekommen, ehe der Trank nachließ. Und während ich spürte, wie die Schildkröte immer schwerer wurde und dem Boden regelrecht entgegenstrebte, schossen Chuck und Chuck – beide in ihrer Kükenverkleidung – mit einem Bollerwagen um die Ecke. Schnell ließ ich Chelone darauf ab. Keine Sekunde zu früh, denn schlagartig hatte sie ihr richtiges Gewicht wieder und der Wagen ächzte unter ihrem Gewicht. „Hoffentlich funktioniert das…“, murmelte Jack leise und beäugte den Holzwagen kritisch. „Ach klar.“ Chuck eins winkte ab. „Wir transportieren zu Auftritten unser Zeug oft damit und das wiegt etwa genauso viel wie die Schildkröte.“ „Dann legt euch in die Riemen und zieht.“ Chuck zwei ergriff nun die Initiative und trat an die Deichsel. Die beiden Chucks legten los, die Sorglospunks schoben kräftig von hinten, während ich den Part der Luftaufklärung übernahm. Bei den Löwen stießen wir dann auf die drei Wächter. „Hey, was tut ihr da?“ Ich hatte die Drei nicht bemerkt, weil sie durch das Vordach des Raubtierhauses gut verdeckt gewesen waren. „Die entführen eine Schildkröte!“ „Ich rufe die Polizei!“ „Hey, hey, hey, immer mit der Ruhe. Das ist gar nicht, wonach es aussieht. Wir sind…“ Easy hob beschwichtigend die Hände. Panisch sah ich zu Nifen und Jack hinüber, die Easy am nächsten waren. Jemand musste Easy dringend zum Schweigen bringen! Gott sei Dank tat Jack das auch in diesem Moment, indem sie Easy kräftig auf den Fuß trat und sie als nächstes dafür ausschimpfte, ihr den Ellenbogen in die Seite gerammt zu haben. „Das stimmt doch gar nicht!“, empörte sich diese und während die beiden Schwestern lautstark stritten, ergriff Chuck eins wie vorgesehen das Wort. „Meine streitsüchtige Kameradin hat Recht, es ist tatsächlich nicht so, wie es auf den ersten Blick scheint.“ „Ach?“ Der Wächter, der uns als erstes angeschrieen hatte, zog skeptisch eine Augenbraue hoch. „Ja. Wir sind Musiker und wie ihr seht, treten wir immer als Küken auf. Und Chucky“ – er deutet damit auf die Schildkröte – „wollte eben kein Küken mehr sein, sondern eine Schildkröte. Das Kostüm ist auch wirklich gut geworden, nicht wahr?“ Zustimmendes Grunzen entfuhr zwei der Wächter nahezu unwillkürlich. „Nun, aber der gute Chucky ist leider etwas eigen und hat hier das Verhalten der Schildkröten studiert und sich unter sie gemischt. Was reichlich dumm ist, wenn das Kostüm so schwer ist wie seins und er es nicht alleine ausziehen kann…“ „Oh.“ Jetzt wurde auch der skeptische Wächter langsam zugänglicher. Ich grinste. Chuck eins hatte ihn. Keine Viertelstunde später waren wir aus dem Zoo raus und die drei Wächter hatten uns sogar mit dem Bollerwagen geholfen. Einen Augenblick später wurde das Wolkenmobil auch schon sichtbar. „Los, rein mit Chelone und dann nichts wie weg“, flüsterte Nifen. Gesagt, getan. Kaum war Chelone in dem Wolkenmobil untergebracht, sausten Chuck und Chuck schon mit dem Bollerwagen in die Dunkelheit davon. Wir dagegen machten uns nun auf zum Olymp. Das Wolkenmobil schwankte zwar stark unter seiner schweren Last, hielt aber tapfer durch. „Vielen, vielen Dank noch mal!“, riefen wir alle und winkten den Glücksbärchis, nachdem diese uns direkt vor dem Herrscherpalast auf dem Olymp abgesetzt hatten. Wir brauchten jetzt nur noch durch diese Tür gehen und würden vor Zeus und Hera stehen. Ich schluckte trocken. Sogar mir waren Zeus und Hera manchmal unheimlich und ich war immerhin eine Muse. Die Sorglospunks spürten natürlich meine Unruhe und genauso beklommen drückten schließlich Easy und Chris das große Tor auf. Wir betraten den Herrschersaal des Zeus. Prunk, Pracht und Party schlugen uns entgegen. Mit offenen Mündern marschierten wir mit der Galapagosschildkröte an unserer Seite hindurch und auf die Thronsessel zu, von denen Zeus und Hera über ihre Feierlichkeiten herrschten. Um uns herum wurde es immer stiller, immer mehr Götter, Halbgötter und Entitäten anderer Art zeigten auf uns und staunten. Kurz bevor wir Zeus erreichten, stellte sich uns ausgerechnet Hermes in den Weg. „Sie ist bestraft und verbannt!“, kreischte er und zeigte anklagend auf Chelone. „Und sie ist hier, um sich bei Zeus und Hera zu entschuldigen!“, fauchte Easy und stemmte die Fäuste angriffslustig in die Hüften. „Geh aus dem Weg! Das ist eine Sache zwischen ihr und Zeus und Hera. Oder entscheidest du für die beiden?“ Zeus’ aufmerksamen Blick im Rücken machte Hermes, dass er aus dem Weg kam. Aber mit Sicherheit war er uns – und besonders Easy – von diesem Augenblick an nicht besonders wohlgesonnen. Wenige Schritte später standen wir dann vor dem Göttervater höchstpersönlich. Ich senkte automatisch zur Ehrerbietung den Kopf. Chelone tat es ebenso, nur die Sorglospunks blieben aufrecht und etwas unsicher stehen. Schließlich winkte Jack vorsichtig und murmelte halblaut: „Hi.“ Ehe jedoch irgendjemand etwas zu dieser formlosen und unangemessenen Begrüßung sagen konnte, ergriff Chelone das Wort. „Ehrenwerter Zeus, hochverehrte Hera. Ich möchte mich auf das Aufrichtigste bei Euch für mein Fernbleiben bei Eurer Hochzeit entschuldigen.“ Ihre Stimme klang rau und alt. „Damals war ich jung und dumm, nun bin ich alt und weise. Und deswegen erwarte ich nicht von Euch, dass Ihr meine Bestrafung aufhebt.“ Sie lächelte. „Ich kann Euch verstehen.“ Hera und Zeus wechselten einen verblüfften Blick. „Und warum bist du dann hier?“, fragte Zeus irritiert. „Um mich zu entschuldigen.“ Hera beugte sich zu ihrem Gatten hinüber und flüsterte leise etwas. Zeus lächelte und nickte. „Nun, deine Bestrafung können wir dir tatsächlich nicht abnehmen. Jedoch… Gibt es etwas anderes, das du dir von uns wünscht?“ Chelone lächelte. „Wenn du dafür sorgen könntest, dass ich immer gut behandelt werde und niemand irgendwann einmal eine Suppe aus mir macht, reicht mir das.“ „So sei es“, nickte Zeus. „Und nun…“, ergriff jetzt Hera das Wort. „Werden wir feiern. Und wo wir unplanmäßig solch musikalische Gäste haben, hoffen wir natürlich auf ein kleines Konzert.“ Sie schenkte der Band, ihrer Managerin und mir ein strahlendes Lächeln. Und die Sorglospunks ließen sich natürlich nicht zweimal bitten! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)