100% Sorglospunks! von abranka ================================================================================ Kapitel 39: Blau-weiße Matrosenbedrohung ---------------------------------------- „Und? Endlich einen neuen Song geschrieben?“ Jack ließ sich neben ihrer Zwillingsschwester Easy und damit auch der Songwriterin der Band auf das Sofa fallen. Easy schnaubte nur dumpf, während der Gitarrist Chris trocken auflachte. „Nur wenn wir ab jetzt ausschließlich über Schiffe, Eisberge und Untergänge singen!“ Er schüttelte den Kopf. „Was?“ Das Multipercussionswunder Jack verstand gar nichts mehr. „Na, also die Songs sind nur noch über Schiffe, Eisberge, Untergänge und Wracks und Sinken und Absaufen und...“ Easy rang verzweifelt die Hände. „Warum denkste nicht an was anderes?“ Mit offenem Mund starrte Jack ihre Schwester an. Noch immer verstand sie nur Bahnhof und Chinesisch essen gehen. Wo war denn bitte das Problem? „Na, das mache ich doch!!! Aber ich schreibe trotzdem über das Schiffszeug!“ „Oh.“ Jetzt war auch der Groschen bei Jack gefallen. „Warum?“ „Keine Ahnung!!! Das ist ja das verdammte Problem!“, explodierte Easy und tigerte daraufhin wie wild durch das Wohnzimmer. „Ich hab ja nichts falsch gemacht! Ich mag Schiffsuntergänge ja noch nicht einmal!“ Sie seufzte und rang theatralisch die Hände. „Wir versuchen gerade herauszubekommen, ob das an Abranka liegt. Nifen hat mir ihr geredet und telefoniert jetzt gerade mit Chi... Das ist eine echte Sorglospunks-Krise, da brauchen wir Hilfe.“ Chris sprach, während er gleichzeitig seine Gitarre liebevoll polierte. Das tat er immer besonders liebevoll, wenn die Krise besonders groß war. „Und wie.“ Jack sah sich vor ihrem geistigen Auge schon im Matrosenanzug auftreten. Schaudernd und kopfschüttelnd versuchte sie, dieses Bild wieder loszuwerden. „Okay, Leute, Chi nimmt den Turbospezialaufzug und dürfte in eins... zwei... drei...“ Während die Bandmanagerin Nifen ins Wohnzimmer kam, zählte sie und gerade als sie die Vier aussprechen wollte, klingelte es an der Tür. „Jetzt da sein.“ „Ich bin da!“ Chibichi, bei der es sich um niemand anderes als den Teufel höchstpersönlich handelte, stürzte in die Wohnung. „Bitte Details über die Musenkrise.“ Das ließ sich Easy natürlich nicht zweimal sagen und legte mit ihrer Jammertirade über Schiffsunglücke, Eisberge, Wracks und so weiter und so fort los. „Und du denkst überhaupt nicht daran?“, hakte Chibichi sicherheitshalber noch einmal nach. Das klang ernst – und wenn etwas wirklich derart ernst klang, dann musste man auf Nummer sicher gehen. „Ja! Ich denke an Kekse und Schokolade und Kaffee und Kiwi und Kaffee und Schokolade und Fußball und Wolken und Sonne und Kaffee und Schokolade und...“ Chibichi hob die Hand und unterbrach damit Easys Wortschwall. „Das ist absolut ernst. Wir haben einen Fall der Musendominanz.“ „Hä?“, kam es von den Sorglospunks samt Managerin gleichzeitig. „Das bedeutet, dass eine Muse derart von irgendetwas gefesselt oder beeindruckt ist, dass ihre gesamte Inspirationsfähigkeit davon überlagert wird. Das ist... wie mit einem Ohrwurm. Es existiert nichts anderes mehr.“ Die Miene des Teufels war sehr ernst. „Es gibt viele großartige Musen, die durch solche Fixierungen nie wieder als Muse arbeiten konnten. Aber genauso gibt es solche, die dadurch besonders kreative Künstler hervorgebracht haben.“ „Wie meinst du das?“ Jack zog eine Augenbraue hoch. „Ich glaub, Chi meint so etwas wie Monet und seine Seerosenbilder oder Picassos häufige Verwendung der Farbe Blau“, warf Nifen ein. „Exakt.“ Der Teufel nickte. „Aber da ihr wohl kaum Punkband mit Schwerpunkt auf Schiffslieder werden wollt, sollten wir uns dringend überlegen, wie wir Abranka helfen können.“ Heftiges Kopfnicken war die Reaktion auf ihre Worte. „A propos: Wo steckt sie eigentlich?“ „Oh... Im Bad.“ Nifen stockte kurz. „Sie lässt Schiffe sinken...“ Schweigen. „Das...“, durchbrach Chibichi schließlich die Stille, „…klingt wirklich nicht gut.“ Eine Sekunde dauerte es noch, dann flitzten Band, Managerin und Teufel – samt Bandmaskottchen, das neugierig geworden war – Richtung Bad. „Äh, anklopfen?“, fragte Chris noch schnell rücksichtsvoll, während Nifen schon die Tür aufstieß. „Nö, sie schwebt über der Wanne.“ Und so war es auch. Abranka saß auf ihrer Wolke und sah zu, wie ein recht aufwändiges Schiffsmodell in den Fluten der Badewanne versank. Sie blickte auf, als die Tür an die Wand schlug und bedachte die Band mit einem Gesichtsausdruck, der eindeutige Verblüffung signalisierte. „Brennt das Haus ab oder warum seid ihr so in Panik?“ „Du...!“, wollte Easy rausplatzen, doch Jack hatte ihre Zwillingsschwester geübt in einen kräftigen Klammergriff genommen und hielt ihr den Mund zu. „Ähm, also...“, fuhr Nifen weitaus diplomatischer und weniger nach der Mit-der-Tür-ins-Haus-fallen-Methode fort, „Wir machen uns Sorgen um dich. Im Moment scheinst du dich viel mit... Schiffen und Schiffsunglücken zu befassen.“ „Oh, ja.“ Abranka lächelte. „Ich finde das spannend.“ „Na ja... Aber... du guckst jeden Abend einen Film über so etwas. Sei es über die Titanic oder die Britannic oder die Lusitania oder...“ Nifen stockte. Moment. Die Titanic. Das musste es sein. Der berühmte Kinofilm war die letzten fünf Tage wenigstens dreimal im Wohnzimmer gelaufen, dicht gefolgt von der Dokumentation über das Wrack. Und das Modell, das sah doch arg nach diesem berühmten Schiff aus! „Es ist die Titanic, oder?“ Abranka runzelte die Stirn. „Ich weiß nicht, was du meinst.“ Dann beugte sie sich vor und holte das Modellschiff aus dem Wasser und barg es nahezu schützend in den Händen. „Der Untergang jährt sich bald, nicht wahr?“ Auch Chibichi war nun ein Kronleuchter aufgegangen. „Am... 4. April.“ „Kann sein.“ Abranka hob unbeteiligt die Schultern. „Mensch Muse, wir wollen dir helfen!“, platzte es jetzt aus Easy heraus, die Jacks Hände irgendwie von ihrem Mund bekommen hatte. „Wir sind doch Freunde!“ Jack verdrehte die Augen und versuchte Easy irgendwie doch noch irgendwie den Mund wieder zu versiegeln, während diese weiter über Freundschaft und Abenteuer plapperte. „Sagen wir es so...“ Chibichi hatte es sich mittlerweile neben Abranka auf der Wolke gemütlich gemacht. „Wenn wir das nicht in den Griff kriegen, schreibt Easy auf immer und ewig über Schiffe und Schiffsunglücke und die Band muss ihr Outfit ändern...“ „Oh nein! Keine Matrosenanzüge!!!“ Jack gab Easy schlagartig frei. „Das kannst du uns nicht antun!!!“ „Solange ich die Kapitänsmütze kriege“, kam es trocken von Chris. „Hast du sie noch alle??? Die steht dem Bandleader zu! Mir!“, jaulte Easy auf. Abranka musste lachen. „Ihr seid echt...“ Sie schüttelte noch immer lachend den Kopf. „Raus damit. Was ist los? Ansonsten musst du die drei in diesem Jammer- und Quengelzustand noch länger ertragen.“ Chibichi grinste und knuffte die Muse in die Seite. „Teufel, das überleb ich nicht.“ Abranka verdrehte die Augen. Im Wohnzimmer erfuhr die Band dann die Geschichte, die hinter der ausgiebigen Badewannen-Schiff-Versenk-Session und den Titanic-Filmeabenden stand. Und im Mittelpunkt stand nichts anderes als das wohl berühmteste Wrack der Welt höchstpersönlich. Denn wie Abranka erzählte, war sie selbst 1912 an Bord dieses stolzen Kreuzfahrtschiffes gewesen... 1912. Natürlich war es nicht mein erster Einsatz als Muse. Ich bin schon seit einer ganzen Weile im Geschäft und da sieht man so einiges. Dass ich mich auf die Musikbranche spezialisieren würde, hatte sich auch relativ bald abgezeichnet. Und so begleitete ich meinen Schützling Jonathan Sterlings an diesem Tag zu seinem ersten Arbeitstag im Bordorchester der Titanic. Es war eine große Ehre für ihn, in seinem jungen Alter von gerade einmal zwanzig Jahren ausgewählt worden zu sein, um das hochklassige Orchester vor seinem exklusiven Publikum der Ersten Klasse zu spielen. Dieser Schritt war einer, der seinen weiteren Weg bestimmen sollte – der erste Schritt sollte es sein auf dem direkten Weg hinauf in die besten Orchester der Welt. Er spielte Violine virtuos und ausgezeichnet, wenn auch nicht so perfekt, wie es vielen Russen gelang. Aber der junge Engländer besaß Biss und Ehrgeiz – und mit mir eine Muse, die genug Erfahrung auf dem Gebiet der Musik hatte, um ihn mit ihrer Inspiration in die richtige Richtung zu schubsen und ihn auf seinem Weg tatkräftig zu unterstützen. Und schließlich war es meine Idee gewesen, dass er sich für die Titanic bewarb... Ihr könnt euch sicherlich vorstellen, wie aufgeregt wir waren, als das Schiff am 10. April aus dem Hafen von Southampton, wenngleich mit einiger Verzögerung aufgrund eines Unfalls, fuhr und sich auf seinen Weg in Richtung New York machte. Die Welt öffnete ihre Tore ganz weit von uns und ließ uns hindurch. Und dann war da dieses Schiff... Dieses großartige Schiff mit seinen gigantischen Ausmaßen und einem Luxus, den Jonathan immer wieder staunend begutachtete, als wenn er nicht von dieser Welt war, und der selbst mich, die ich ja den Olymp gewohnt bin, faszinierte. Es ist eigentlich nicht zu erklären, aber die Titanic war etwas ganz besonderes. Und das von dem ersten Moment an, in dem man sie erblickte. Wie ihr wisst, dauerte die Fahrt der Titanic nicht allzu lange. In der Nacht des 14. April kollidierte sie mit einem Eisberg und begann zu sinken... Um mich musste ich mir wenig Sorgen machen – dank meiner fliegenden Wolke konnte ich jederzeit gefahrlos das Schiff verlassen. Nicht so mein Schützling. Er war auf einen Platz in einem der Rettungsboote angewiesen und doch befand er sich auf der Seite des Schiffes, wo der diensthabende Offizier nur Frauen und Kinder gestattete, in die Boote zu steigen und diese zu dem viel zu schwach besetzt zu Wasser gelassen wurden. Die Panik verbreitete sich weiter und weiter. Es erschien den Menschen, als wenn sich Gott gegen sie stellte, denn zuvor hatte es geheißen, dass nicht einmal Gott die Titanic würde versenken können. Und doch geschah genau in diesem Augenblick das Undenkbare: Die Titanic sank. Ich versuchte Jonathan klar zu machen, dass er das Schiff verlassen musste, dass es keine andere Wahl gab, wenn er überleben wollte, doch er... Das Orchester begann zu spielen und Jonathan zögerte keinen Augenblick. Er gesellte sich zu seinen Kameraden hinzu und spielte mit ihnen. Alles, was ich wollte, war diesen Jungen über die Reling zu befördern, aber... Es gibt gewisse Spielregeln als Muse: Zwinge deinen Schützling niemals zu einer Entscheidung über sein gesamtes Leben. Solche Entscheidungen sind nicht immer klar zu erkennen, doch diese war es. Jonathan spielte noch, als die Titanic sich neigte und selbst noch, während er das Heck sich in die Höhe erhob und er den Boden unter den Füßen verlor. Vermutlich war es dumm, aber das war seine Entscheidung... „Trauerst du ihm nach?“, unterbrach Easy die Ausführungen Abrankas. Verwirrt zog die Muse die Stirn kraus und schüttelte lächelnd den Kopf. „Nein. Er hat seine Wahl getroffen.“ „Aber warum dann die Titanic?“ „Wegen dem Schiff selbst.“ Das erklärte die spontane Musendominanz. Chibichi beriet sich flüsternd mit Nifen. Das Schiff hatte Abranka offenbar derart beeindruckt, dass sie nur noch daran denken musste. Vor allem, wo sie jetzt daran erinnert worden war. Und wie bei einem Ohrwurm gab es nur eine wirklich gute Methode, das zu bekämpfen… „Aha.“ Easy zupfte nachdenklich an ihrer Unterlippe und grinste dann breit. „Sollen wir sie besuchen? Das Wunderauto kann doch in die Vergangenheit fahren und dann kannst du das Schiff noch mal sehen.“ Und damit brachte Easy die einzige Therapiemethode auf den Punkt, die Chibichi eingefallen war. „Aber bitte im Hafen. Den Untergang will ich gar nicht sehen“, warf Chris ein. „Cool, wir besuchen die Titanic!“, freute sich Jack und machte sich sofort auf die Suche nach ihrer Digitalkamera. Diesen Augenblick musste sie schließlich festhalten! „Widerworte sind zwecklos, wir brechen auf“, entschied Nifen und lächelte Abranka an. Diese erwiderte das Lächeln breit. Und während die Sorglospunks samt Crew nach draußen gingen, um das bereits dort stehende Wunderauto zu besteigen (als Wunderauto wusste es natürlich, wann es gebraucht wurde und war dann auch entsprechend schnell da), nahm Chibichi Abranka bei Seite: „Und das nächste Mal, wenn du noch mal irgendwohin zurückreisen willst, dann sag’s doch einfach.“ „Hey, ich hab gar nicht gesagt, dass ich zurückwill!“ Protestierend hob die Muse die Hände. „Am Jahrestag muss ich nur halt immer daran denken. Das ändert sich ja auch nicht, wenn wir nach Southampton 1912 reisen.“ „Nee, aber vielleicht quälst du Easy dann nicht so.“ Der Teufel zwinkerte vergnügt und schob Abranka in den Wagen, ehe sie selbst einstieg und diesen auf den Weg nach Southampton am 10. April 1912, exakt 12:50 Uhr. Gehüllt in lange Mäntel, um ihre ungewöhnliche Kleidung zu verbergen, standen die Sorglospunks, ihre Managerin, ihre Muse und der Teufel auf dem Kai, von dem die Titanic ablegte. Die tatsächliche Abfahrt hatte sich wegen einer Kollision verzögert, doch nur brach das mächtige und stolze Schiff zu der Reise auf, von der es niemals wiederkehren sollte. Als sich die Titanic immer weiter gen Horizont entfernte und die Truppe genug gewunken hatte, ergriff Easy das Wort: „Okay, ein Lied kriegt sie, aber dann ist gut, ja?“ Mit dem wie einstudiert wirkenden Dackelblick sah sie die Bandmuse. Diese musste lachen. „Okay. Eins und dann ist gut.“ „Und du bist geheilt?“, erkundigte sich Jack misstrauisch. „Nicht, dass wir doch noch Matrosenanzüge tragen müssen...“ „Allenfalls an Karneval.“ Abranka lachte übermütig und während sie gemeinsam zu dem teuflischen Wunderauto zurückgingen, trällerte Easy bereits den neuen sorglosen Titanic-Hit. „Ohooo Ohooo Yeah, yeah, yeah Titanic, Titanic Titanic, Titanic Keine Panik auf der Titanic Titanic, Titanic Titanic, Titanic Keine Panik auf der Titanic Ohoooo Ohoooo Yeah, yeah, yeah Titanic, Titanic…” „Äh, Easy, du solltest dringend an der Vielseitigkeit deines Textes feilen”, sagte Jack sanft, während sie ihrer Zwillingsschwester liebevoll den Arm um die Schulter legte. Die Aussichten, doch nicht für den Rest ihres Lebens im Matrosendress auf der Bühne stehen zu müssen, hatte sie ganz eindeutig milde gestimmt. „Singst du den Refrain trotzdem mit?“ Bettelnd sah Easy sie an. Jack seufzte leise und stimmte dann ein. „Titanic, Titanic Titanic, Titanic Keine Panik auf der Titanic…” Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)