100% Sorglospunks! von abranka ================================================================================ Kapitel 38: Willkommen in Tristesse ----------------------------------- „Nifeeeen, wann haben wir wieder einen Auftritt?“, quengelte Easy, ihres Zeichens die sorglose Frontfrau der Sorglospunks – und wohl sorglosesten Band der Welt – ihre Managerin an. „In zwei Minuten weiß ich’s. Dann läuft unsere Ebay-Auktion aus“, erwiderte diese gut gelaunt und beobachtete wieder den Computerbildschirm. „Du versteigerst uns immer noch?“ Jack, Easys Zwillingsschwester und das Multipercussionswunder der Band, zog bedeutungsvoll eine Augenbraue hoch. Es gab da schließlich einige desaströse bis lebensgefährliche Zwischenfälle, in die die Chaos-anziehendste Band der Welt durch die Versteigerungen von Auftritten hineingeraten war. „Klar. Das ist immerhin eine einfache Möglichkeit, euch Auftritte zu beschaffen.“ „Und es ist weniger gefährlich als die Spam-Mails“, fügte Chris, seiner Berufung nach Gitarren- und Bassliebhaber, zu Nifens Erklärung noch hinzu. Anstatt Protest zu üben grinste die Bandmanagerin nur vor sich hin. Ich wusste, was das hieß: Dass sie von keiner der beiden Methoden abweichen würde, weil beide Erfolg versprachen. Und die Sorglospunks befanden sich nicht in der Position, irgendwelche Chancen zu vertun. Wenn sie einen Plattenvertrag haben wollten, mussten sie eben durch die kleinen – manchmal recht seltsamen – Clubs tingeln, auf – manchmal recht seltsamen – Privatfeiern auftreten, um Mund-zu-Mund-Propaganda zu schüren, auf Festivals spielen und an Wettbewerben teilnehmen, nur um irgendwann einmal den absoluten Volltreffer zu landen. Und dieser Volltreffer, der konnte schließlich so ziemlich überall warten. (An dieser Stelle sei einmal kurz erwähnt, um wen es sich bei mir handelt: Mein Name lautet Abranka und ich bin die Muse der Sorglospunks und hin und wieder berichte ich über das aufregende Leben dieser angehenden Superstars.) „Tristessania15 hat euch gebucht!“, jubelte Nifen. „Zu einem absoluten Rekordpreis!“ Neugierige Augen blickten ihr über die Schulter und stellten fest, dass ihre Worte tatsächlich der Wahrheit entsprachen. Diese Summe überstieg ihre bisherigen Gagen wirklich deutlich. „Aber was soll Tristessania15 sein?“, fragte Jack und runzelte die Stirn. Der Name klang schließlich äußerst verdächtig nach einem Teenager... Und die hatten bekanntlich nie Geld. Erst recht nicht, um diese doch ganz beachtliche Summe für einen Auftritt der Band zu bezahlen. „Genaueres erfahren wir noch. Immer mit der Ruhe.“ Die Managerin lächelte strahlend in die Runde. Mit der Gage waren einige finanzielle Probleme erst einmal aus der Welt und der Kassenwart sowie Bandphilosoph LennStar konnte ohne sorgenvolle Grübeleien seinen philosophischen Leidenschaften nachgehen. „Na, dann sind wir mal gespannt“, lächelte ich und schnappte mir Easys Arm. „Und wir zwei, wir versuchen es mal wieder mit einem neuen Songtext.“ Easy zog einen Schmollmund. „Muss das denn sein? Wir hatten doch gerade erst einen… Und sowieso und überhaupt!“ Jack grunzte unwillig. „Du bist echt die schreibfaulste Songwriterin unter der Sonne!“ Diese Worte quittierte Easy mit einer herausgestreckten Zunge und meine Aufforderung mit der Flucht in den Garten. Denn sie wusste, dass ich ihr definitiv nicht nachjagen würde. Jack schon, wie wir gerade wieder einmal sehen konnten. Aber das war wohl eher so eine Geschwistersache. „Und? Hast du endlich eine Info darüber, wohin wir fahren müssen und wann der Auftritt dort stattfindet?“, erkundigte ich mich zwei Tage später, als Nifen sich wieder einmal tapfer den PC von Chris erobert hatte, der nun schmollend von dannen zog und beabsichtigte, seine Gitarre zu polieren. „Mhm…“, machte Nifen bejahend und zeigte mir die E-Mail. Wir waren offenbar von dem Bürgermeister eines Örtchens namens Tristesse gebucht worden. Die Wegbeschreibung zu diesem Ort machte mich jedoch etwas stutzig. „Östlich der Sonne, nördlich des Eises und jenseits des Regenbogens?“ Ich zog eine Augenbraue hoch. Das roch nach Schwierigkeiten. Aber so richtig. „Na ja, mit Chis Wunderauto ist das gar kein Problem“, erwiderte Nifen lächelnd. „Und du weißt doch, dass sie für unsere Auftritte immer Zeit hat.“ Chi, das war die Kurzform für Chibichi und bei Chibichi handelte es sich um niemand geringeres als den Teufel höchstpersönlich, der nach einem misslungenen Seelendeal einen Narren an den Sorglospunks gefressen und sich zu unserer besten Freundin entwickelt hatte. Sie hatte mit uns schon einige Abenteuer durchgestanden und ein sehr wertvoller Gefährte war dabei stets ihr teuflisches Wunderauto Baby gewesen, das nicht nur ein glückbringendes Lenkrad besaß, sondern mit dem auch Reisen durch die Zeit und an alle möglichen fantastischen Orte außerhalb der gewohnten Realität möglich waren. „Ich ruf sie gleich an“, meinte ich noch, ehe ich auch schon mein Musentelefon zückte und beim Teufel durchklingelte. Drei Tage später war es so weit. Das Wunderauto – das innen glücklicherweise weitaus größer war, als es von außen schien – war mit den drei Sorglospunks, ihrem Maskottchen Kiwi, ihrer Managerin und ihrer Muse samt deren gemeinsamen Gepäck, bestehend aus einigen Koffern mit Klamotten und sonstigen wichtigen Dingen sowie den absolut notwendigen Musikinstrumenten, vollgestopft. „Aufi!“, jubelte Easy den Schlachtruf der Sorglospunks, während Chibichi das Gaspedal durchtrat und der Motor des Wunderautos voller Vorfreude auf einen weiteren Abenteuertrip aufheulte. Wir hielten uns an die Wegbeschreibung und stellten nach einer Weile fest, dass es um uns herum immer trister wurde. Nicht von der Landschaft her. Die war eigentlich nett mit den Wiesen und Feldern, aber sie war seltsam farblos. Die Farben wurden schwächer und besaßen regelrechte Grauschleier, wie Wäsche, die nach Jahrzehnten langsam ausblich. Und irgendwann, da war alles nur noch grau oder schwarz-weiß, wie Easy feststellte. „Sind wir in einem alten Fernseher gelandet? Da ist alles nur noch schwarz-weiß!“, rief sie aus. In diesem Augenblick fuhren wir an dem Ortseingangsschild ‚Tristesse’ vorbei. „Mann, der Name ist hier aber Programm!“, stellte Jack erschüttert fest. Die Straße vor uns sah aus wie eine typische Straße, die man wohl in jeder Kleinstadt der Welt finden konnte – nur war sie einfach trist und langweilig. Alles war grau in grau in grau in grau, keine Farbtupfer, nur graue und schwarz-weiße Langeweile. „Boah, nichts wie weg hier…“ Chris schüttelte den Kopf. So etwas hatte er noch nie gesehen. „Leute, ihr zieht den Auftritt durch! Das ist wichtig! Ihr könnt hier etwas Farbe reinbringen und Leben und…“, legte Nifen los, wurde jedoch von Chibichi unterbrochen. „Das mit der Farbe dürfte schwierig werden.“ Erschrocken sahen sich die Sorglospunks an und mussten feststellen, dass sie Recht hatte: Auch sie waren nun schwarz-weiß! „Ich will meine Farbe zurück!“, jammerte Easy, als wir ausstiegen. Chibichi hatte vor dem Rathaus gehalten, wo uns bereits eine kleine Delegation, bestehend aus dem Bürgermeister und seinen Mitarbeitern erwartete. „Gebt mir meine Farbe zurück!“ Damit rannte Easy auf den Bürgermeister zu – erkennbar war der gute Mann an der Schärpe über seinem Anzug –, packte ihn an den Aufschlägen seiner Jacke und schüttelte ihn durch. „Easy!“ Jack stürzte ihrer Schwester hinterher. Die Tristesser sahen Easy nur mit großen Augen an. Solch ein Verhalten waren sie offenbar nicht gewohnt, aber dennoch reichte es nicht aus, um Panik zu verursachen. Dafür war Easy wohl eindeutig zu ungefährlich. „Du kannst doch nicht auf unseren Auftraggeber losgehen!“ Fluchend und schimpfend zerrte Jack ihren Zwilling von dem Mann weg, der ein wenig verwirrt seinen Anzug richtete. „Entschuldigen Sie bitte. Easy ist ein wenig stürmisch und diese Umgebung hat sie doch etwas… aufgeregt“, ergriff Nifen das Wort und hoffte, das Schlimmste noch zu verhindern. Und das Schlimmste, das wäre, wenn wir nach Hause fahren müssten, ohne Geld und Auftritt. „Oh, ich nehme ihr das nicht übel.“ Der Bürgermeister lächelte. „Es ist erfrischend, solche Lebendigkeit zu erleben. Außerdem ist sie nicht die erste, der unser Ort ein wenig… fremdartig vorkommt.“ Nicht nur er, sondern seine gesamten Begleiter – zwei Frauen und ein Mann, bei denen es sich vermutlich um seine Mitarbeiter handelte – sahen betrübt drein. „Weil hier alles…“ „So trist ist“, vervollständige er Chibichis Satz. „Ganz genau.“ „Um nicht zu sagen trüb und grau“, murmelte Chris und sah sich um. Das Blumenbeet vor der Freitreppe, die zum Rathaus empor führte, war reich bepflanzt, aber grau in grau sahen selbst die schönsten Pflanzen langweilig und irgendwie tot aus. Chris erschauderte. „Wir hoffen, dass es euch gelingt, etwas Leben in den Ort zu bringen. Wir haben nur Großartiges von euch gehört.“ Der Bürgermeister rang sich zu einem Lächeln durch und strahlte uns geschult an. „Von wem haben Sie denn Großartiges über uns gehört?“, erkundigte sich Jack neugierig. Woher die Referenzen kamen, war schließlich immer gut zu wissen. „Oh, das war…“ „Meine Schwester war bei einem eurer Konzerte“, platzte eine der Mitarbeiterinnen des Bürgermeisters heraus, die sicherlich sehr hübsch gewesen wäre, wenn da nicht dieser Grauschleier gewesen wäre, der sie irgendwie nahezu zu ersticken schien. „Bei welchem denn?“, hakte Nifen nach. Sie war nicht minder neugierig als wir alle. „Bei einem Eishockey-Spiel…“ „Ah, das Konzert!“ Easy strahlte und trällerte vor sich hin. „Denn ihr seid Helden! Helden auf dem Eis! Wohohohoho! Helden! Helden auf dem Eis!“ Der Song war schließlich ein Dauerbrenner. „Genau!“, strahlte die junge Frau und wippte sofort mit. Da hatten wir ganz offensichtlich einen großen Fan. Auch der Bürgermeister wirkte recht angetan. Offenbar trafen wir recht genau seine Erwartungen. „Aber… Warum ist hier denn alles so farblos?“, fragte Easy, nachdem sie aufgehört hatte zu trällern, und runzelte ernst die Stirn. Eine Welt ohne Farbe – das ging doch nicht! „Nun ja…“ Der Bürgermeister druckste herum und seine Mitarbeiter wirkten auf einmal sehr still. „Wir sind… nun ja… verflucht…“, flüsterte er schließlich. Er schien besorgt zu sein, dass wir schlagartig die Kurve kratzen würden. Zwar sah man Chris sein Unbehagen nur allzu deutlich an – er hielt von diesem Gruselkram so überhaupt nichts! –, aber das hier wären nicht die Sorglospunks gewesen, wenn sie sich davon hätten erschrecken lassen. Abgesehen davon schien der gute Mann nicht zu ahnen, dass der Teufel höchstpersönlich gerade vor ihm stand. (Das war aber vermutlich auch gut so. Dank einem magischen Tarnmodus konnten übrigens nur wir die schwarzen Flügel und die Hörner von Chi sehen. Irgendwie muss der Teufel seine Identität ja schließlich verbergen können, wenn er auf Seelenjagd ist.) „Wie, verflucht?“, hakte Chibichi sofort nach, denn als Teufel kannte sie sich natürlich mit Flüchen aus. „Das ist etwas, was wir besser drinnen in Ruhe besprechen sollten.“ Der Bürgermeister lächelte uns an und winkte uns dann, ihm in das Rathaus hineinzufolgen. „Gibt es auch Kaffee?“, fragte Easy sofort. „Aber sicher. Kekse haben wir auch da!“, lächelte die junge Frau, die sich als echter Sorglospunksfan entpuppt hatte. „Wunderbar!“ Damit war Easy zufrieden und schien sich momentan wenig Gedanken um ihre aktuelle Farblosigkeit zu machen. Wir anderen wechselten dafür einen sehr langen Blick. Sogar Kiwi mischte sich blicktechnisch ein und gab zu verstehen, dass sie von diesen Dingen auch nichts hielt. Zwar sah sie sowieso schwerpunktmäßig schwarz-weiß, aber ihre gewohnten Blau- und Gelbtöne fehlten ihr doch. Und Katzen mögen es bekanntlich gar nicht, wenn ihnen etwas fehlt. „Nun, die Hexe Schwarzschleiria hat uns verhext, weil sie Farben nicht mag. Hier war früher alles sehr bunt und lebhaft und...“, begann der Bürgermeister, wurde aber rüde von der Mitarbeiterin unterbrochen, die sich als Sorglospunksfan entpuppt hatte und die offenbar die persönliche Assistentin des Bürgermeisters war. „Sie hat uns mangelnden farblichen Geschmack vorgeworfen und wenn Sie mich fragen, dann hatte sie vollkommen Recht. Aber uns die Farbe zu stehlen, wäre wirklich nicht notwendig gewesen... Etwas mehr Modebewusstsein hätte doch ausgereicht. Ich meine, wenn sie schon Magie einsetzen kann, dann...“ „Ist ja schon gut!“, unterbrach sie ihr Chef mit einer unwirschen Handbewegung. „Jedenfalls hat uns Schwarzschleiria verflucht und wir können von diesem Fluch erst erlöst werden, indem wir Vertreter der drei Grundfarben Rot, Blau und Gelb nach Tristesse bringen. Aber da das absolut unmöglich ist, werden wir uns wohl mit dem grauen Leben abfinden müssen...“ Er seufzte tief. „Aber das soll nicht eure Sorge sein. Wir haben euch gebucht, um ein wenig mehr Leben in diese Stadt zu bringen und in den Menschen neue Lebensfreude zu wecken. Denn seit bei uns alles grau ist, sind die Leute auch... seelisch grau geworden.“ „Moment. Wenn wir hier die Lebensgeister wecken sollen, können wir auch versuchen, diesen Fluch aufzuheben! Das wäre sicher weitaus effektiver als ein simples Konzert!“, rief Easy aus, die mal wieder sprach, ohne vorher zu denken. Jack seufzte und verdrehte die Augen. „Schon wieder ein Abenteuer...“, murmelte sie. „Können wir nicht einmal einfach einen Auftritt hinter uns bringen, ohne dass irgendetwas Seltsames passiert? Gut, an die seltsamen Orte habe ich mich ja mittlerweile gewöhnt, aber immer die Abenteuer... Chi, kann man abenteuermüde werden?“ Doch Jacks Litanei wurde von uns größtenteils ignoriert. „Super Idee, Easy!“, stimmte Chris der Frontfrau zu. Zwar war er auch nicht übermäßig abenteuerwütig, aber er fand, dass man diesen Leuten einfach helfen musste. Diese Farblosigkeit belastete bereits jetzt sein sonst so sonniges Gemüt und sorgte dafür, dass er das Gefühl hatte, zu ersticken. Und das die ganze Zeit über ertragen? Oh, nein! Diesen Leuten musste man definitiv helfen! „Da wir ja ebenfalls grau geworden sind, hat sich der Fluch potenziell auf uns übertragen und wir bleiben grau, bis er aufgehoben wurde...“, überlegte Nifen laut und starrte auf ihre graue Hand. Immer grau sein zu müssen, das gefiel ihr überhaupt nicht. „Du meinst wie Grippe?“, fragte Jack entsetzt. „Ich will nicht grau bleiben!!!“ „Dann werden wir wohl helfen müssen...“ Meine Antwort war scheinbar gelangweilt, während ich gleichzeitig schon einige Suchbegriffe in meinen Mus-O-Puter eintippte und die Ooglymp-Suchmaschine nutzte. Chibichi tat gerade selbiges mit ihrem Hell-O-Berry. Vollkommen unvorbereitet konnten wir schließlich nicht losstürmen, nicht wahr? „Na gut.“ Jack seufzte leise. „Wo fangen wir an?“ „Entschuldigt, aber ihr müsst das wirklich nicht tun. Wir kommen schon klar. Wirklich. Ihr sollt Musik spielen und nicht...“, warf der Bürgermeister ein, doch Chris winkte ab. „Nett von Ihnen, aber vergessen Sie’s. Das ist schon entschieden und was Abenteuer angeht, haben wir einige Erfahrung. Erfolgsgarantie gibt’s zwar nicht, aber wir geben unser Bestes. Und außerdem kann ich meiner Freundin doch kaum in schwarz-weiß unter die Augen treten!“ „Also, wo starten wir?“, hibbelte Easy herum und versuchte entgegen ihres Wissens auf meine Wolke zu klettern, um mir über die Schulter zu schauen. Selbstverständlich glitten ihre Hände einfach durch meine Wolke hindurch, als wenn sie vollkommen substanzlos wäre. Und genau das war sie auch für alle, die keine solch übernatürlichen Entitäten waren, wie Chibichi und ich. „Wir müssen anfangen mit...“ Ich machte eine kleine Pause und überflog die Suchergebnisse. „Ja, mit...“ „Einer roten Schwanzfeder des Cadsepapageis!“, vollendete Chibichi gemeinsam mit mir den Satz. „Toll, und wo leben die?“ Easy machte große Augen. „Auf St. Dami. Das ist praktisch neben Madagaskar.“ „Na dann: Aufi!“, jubelte Easy um stürmte aus dem Büro. Wir anderen verabschiedeten uns von dem Bürgermeister, seiner Assistentin und den anderen und machten uns auf den Weg zu Baby. Denn das Wunderauto würde uns natürlich dorthin bringen, wo wir hoffentlich finden würden, was wir suchten. Es war früher Morgen, als wir endlich an dem Strand der Insel St. Dami standen und uns umsahen. Baby hatte uns natürlich schnell und sicher hierher gebracht. Und ich hätte schwören können, dass das Wunderauto unser Abenteuer bereits jetzt sehr genoss. „Dschungel“, stellte Jack trocken fest. „Ganz viel Dschungel.“ „Das soll durchaus vorkommen“, kam es spitz von Nifen zurück. „Und ich schlage vor, wir fangen mal an zu suchen. Oder willst du weiter grau und farblos sein, während um dich herum alles so schön bunt ist wie hier?“ Sie deutete auf die vielen bunten Blüten, die grünen Blätter, den blauen Himmel und den hellen, gelben Sand. „Ja, ja, ja...“ Jack seufzte und marschierte gemeinsam mit ihrer Zwillingsschwester los. „Übrigens ist das eh nur alles deine Schuld, Nifen, weil du uns wieder bei Ebay reingesetzt hast!“, knurrte Jack noch ungehalten, dann war sie zwischen den ersten Bäumen verschwunden. Nifen zog einen Schmollmund. „Na ja, streng genommen...“, setzte Chris an, aber Nifens böser Blick brachte ihn dazu, sofort den Mund zu halten. „Genau, streng genommen hast du gar keine Schuld, weil du ja nicht wissen konntest, wer sich darauf meldet und die Truppe ersteigert.“ Ich lächelte Nifen aufmunternd zu, während wir dem Rest der Sorglospunksbagage folgten. „Ein Restrisiko bleibt halt immer. Damit kommen die schon zurecht. Jack hasst es nur, grau zu sein...“ „Da ist sie nicht die einzige...“ Nifen deutete mit dem Kinn auf Kiwi, die es sich auf meiner Wolke gemütlich gemacht hatte, und so schmollte, wie es nur eine beleidigte Katze kann. Ihr vorwurfsvoller Blick hätte einen Eisberg zum Schmelzen bringen können. „Na, dann sollten wir besser so schnell wie möglich diesen Papagei finden!“ Ich lächelte und ließ energisch meine Wolke vorwärts sausen. „Ich seh keinen roten Papagei!“, jammerte Easy nach gut zwei Stunden Suche. Jack sagte gar nichts, sondern hockte nur jämmerlich mit wunden Füßen auf dem Boden. Chris stand neben ihr und sah sich suchend um. „Da sind blaue Papageien, gelbe, grüne, violette, pinke, orangefarbene, welche in hellrosa und blassblau, aber keine roten!“, stellte er fest und kniff die Augen zusammen. „Seid ihr sicher, dass die nicht ausgestorben sind?“ „Sehr sicher.“ Chibichi und ich nickten synchron und zogen dann beide unsere omnidimensionalen Kommunikationsgeräte hervor. Beinahe ebenfalls synchron brachten wir beide ein „Oh“ hervor. „Was oh?“, fragte Nifen sofort und schaute Chibichi über die Schulter. „Der ist nur fünf Zentimeter groß??? Kunststück, dass wir den nicht finden! Daran sind wir dreimal vorbeigerannt, ohne irgendeins von den Tieren zu bemerken!“ „Sorry?“, brachte ich kläglich hervor. „Komm, Nifen, machen wir weiter. Oder willst du für immer schwarz-weiß-grau bleiben?“, sagte Chris und marschierte mit neuem Eifer voran. Wenn er mal keine Gitarre zur Hand hatte, um sie zu polieren, war sein Tatendrang durchaus nützlich. „Komm, Kiwi.“ Chibichi tat das, was wir vermutlich von Anfang hätten tun sollen: Sie nutzte den Katzenspürsinn, um den Vogel aufzustöbern. Und so war es auch. Nach einer langen, nervenaufreibenden Überredungsaktion, uns zu ihrem eigenen Nutzen zu helfen, stießen wir dank Kiwi auf eine richtige Kolonie der Cadsepapageien– die wir zwischen all den roten Blüten gar nicht bemerkt hatten. Nur wenig später hielten wir nicht nur eine rote Feder in der Hand. Sicherheitshalber, da wir ja Murphy kannten, steckten wir gleich einen ganzen Wust roter Federn ein, die wir zwischen Blättern und Zweigen hervorklaubten und die die Vögel dort verloren hatten. (Kein Papagei wurde bei unserem Abenteuer verletzt!) Nun konnten uns auf den Weg machen, die nächste Grundfarbe zu besorgen. Blau war unser nächstes Ziel. Chibichi und ich trafen bei unseren Recherchen auf folgendes „Etwas“, das wir brauchten: einen Tropfen vom Blau des Himmels. Genauer gesagt von dem klaren blauen Himmel der sogenannten blauen Stunde. „Wie soll das denn gehen???“ Jack starrte uns entgeistert an. Sie war zwar viel Unmögliches gewohnt, aber hier sah sie dann doch die Grenze erreicht. Farbe vom Himmel holen – das war ganz eindeutig unmöglich! „Chi, Abranka? Wie kriegen wir das hin?“, fragte Easy uns beide mit großen Kulleraugen, während Nifen und Chris überlegten, ob sie nicht eine Wette darüber abschließen sollten, ob wir jemals wieder unsere Normalfarbe zurückgewinnen würden. Dummerweise waren sie sich – trotz bis dato berechtigten Vertrauens in unsere sorglospunkigen Problemlösefähigkeiten in ungewöhnlichen (äußerst ungewöhnlichen!) Situationen – nicht einig, wer auf unseren Erfolg setzten wollte. „Denkst du auch, was ich denke?“, fragte mich der Teufel und grinste breit. „Wenn deine Gedanken gerade auch das Wort Regenbogenmaler beinhalten, dann ja“, erwiderte ich mit einem beinahe noch breiteren Grinsen. „Aufi, wir haben ein neues Ziel!“, rief Nifen und klatschte in die Hände, damit alle rasch in das teuflische Wunderauto stiegen. „Und unterwegs erzählt ihr uns alles über diesen Regenbogenmaler“, forderte sie noch, ehe sie die Autotür geräuschvoll schloss. „Aye, Sir!“ Ich salutierte spaßeshalber und kraulte Kiwi, während ich kurz das zusammenfasste, was in unseren Kreisen über den Regenbogenmaler bekannt war. Der Regenbogenmaler ist, wie sein Name schon verrät, derjenige, der den Regenbogen an den Himmel malt. Doch er ist nicht nur das. Er sorgt auch dafür, dass der Himmel beständig seine Farbe verändert. Der Regenbogenmaler ist derjenige, der uns spektakuläre Sonnenaufgänge und Sonnenuntergänge bewundern lässt. Er ist der Herr der Farbe und des blauen Himmels. Und er ist ein äußerst seltsamer Kauz... Das Regenbogenatelier befand sich derzeit – natürlich ist es mobil – dreizehn Wolken jenseits des Olymp und zwei Westwinde unterhalb des himmlischen Himmels. Es ist ein Ort, den aufzusuchen schwer zu ertragen ist, denn während man das tut, entwickelt das gewöhnliche Gehirn, mit dem die meisten Lebewesen – Katzen ausgenommen – ausgestattet sind, die seltsame Tendenz, aus den Ohren krabbeln zu wollen. Aus diesem Grund und um sowohl eure Gesundheit, liebe Leser, sowie die meine zu schonen, verzichte ich lieber auf eine detaillierte Beschreibung. Wenn ihr euch sein Aussehen doch ausmalen wollt, so stellt euch dieses Atelier wie den Escher-Raum vor – nur noch verdrehter und verwirrender, da neben den uns vertrauten drei Dimensionen auch noch die vierte, die Zeit, in dem Atelier verdreht ist. So gibt es also beispielsweise Orte und Dinge, die nur jeden zweiten Sonntag im Monat existieren. Vermutlich könnt ihr euch auch vorstellen, dass jemand, der an diesem Ort lebt, nicht mehr im allgemeinen Sinne „normal“ ist, sondern eher „anders“. Anders in dem Sinne, dass ihm entweder wirklich das Gehirn aus den Ohren geflutscht ist oder aber in dem Sinne, dass er einen Weg gefunden hat, sich an diese Gegebenheiten anzupassen. Ich bin mir ehrlich gesagt nicht ganz so sicher, was davon letztendlich bei dem Regenbogenmaler der Fall ist. Es dauerte eine ganze Weile, bis wir das Regenbogenatelier schließlich erreichten, und nachdem ich meinen Bericht beendet hatte, begann ich alle Hexen anzutelefonieren, die ich kannte. Zum Brechen eines Hexenfluches brauchte man schließlich bekanntlich eine Hexe. Der Regenbogenmaler befand sich, wie es zu erwarten gewesen war, mitten in dem Hauptraum des Ateliers und rührte dort einige Farben zusammen. Er war menschlich und doch schien sich sein Körper an die Gegebenheiten im Atelier so angepasst zu haben, dass es Kopfschmerzen machte, ihn länger zu beobachten. „Hat sein Arm da gerade hinter uns gegriffen?“, fragte Chris mit großen Augen, denn das waren wenigstens drei Meter gewesen, die der Arm gerade überbrückt hatte. „Wie macht er das?“ „Stell keine Fragen, auf die du keine Antwort haben möchtest“, murmelte ich leise und bedeutete der Truppe still zu sein. Und bis auf Easy gelang mir das auch. „Cool! Du malst also den Himmel an? Malst du mir einen Extra-Easy-Sonnenuntergang?“, quietschte sie los. Der Blick, mit dem der Regenbogenmaler sie daraufhin bedachte, war nicht besonders freundlich zu nennen. „So grummelig, wie du guckst, wohl eher nicht. Schade. Aber das Schwabenland, kann das einen schönen Sonnenuntergang bekommen?“ „Was ist das Schwabenland?“ Verwirrt sah der Regenbogenmaler Easy an. „Da kommen wir her. Das ist unser zu Hause.“ „Und wo ist das?“ „Na, in Deutschland. Ecke Stuttgart und noch etwas weiter südlich.“ Sie strahlte ihn an. „Schwabenland...“ Der Regenbogenmaler rollte das Wort regelrecht auf der Zunge hin und her. „Ein interessanter Name. Ja, ein Ort mit einem solchen Namen könnte einen schönen Sonnenuntergang verdient haben.“ Er lächelte. Und das war ein weitaus unheimlicherer Anblick als sein grimmiger Blick zuvor. Irgendwie hatte die seltsame Dimensionalität in diesem Raum nämlich etwas Komisches mit seinen Zähnen angestellt. „Und was führt euch her? Ein Sonnenuntergang dürfte das wohl kaum sein.“ Sein stechender Blick fixierte uns der Reihe nach. „Und ihr habt niemand Geringeres dabei als den Teufel höchstpersönlich. Meint ihr etwa, das macht euer Anliegen wichtiger?“ „Schauen Sie uns doch an!“, legte Jack los. „Wir sind schwarz-weiß. Grau!!! Das ist es, was wir als Anliegen haben. Wir wollen unsere Farbe zurück!!!“ „Da kann ich euch nicht bei helfen.“ Der Regenbogenmaler sah uns seelenruhig an. „Doch, das können Sie schon. Wir brauchen etwas Blau. Das Blau des Himmels in der blauen Stunde“, erklärte Nifen ruhig und legte Jack beruhigend die Hand auf den Arm. „Damit würden Sie uns wirklich sehr helfen“, fügte ich freundlich hinzu. „Mhm...“, machte der Regenbogenmaler. „Mhm... Mhm... Hmmmmh... Mhm... Hmmmmmhmhm... Mmmmhhh...“ „Mau“, machte Kiwi und blickte ihn aus ihren grauen Katzenaugen finster an. „Also gut.“ Die Sorglospunks jubelten los. „Aber unter einer Bedingung.“ Sofort waren sie still. „Ich will die Farbe eurer Musik einfangen.“ „HÄ???“ Easy brachte auf den Punkt, was wir alle dachten. „Ihr spielt, ich ziehe die Farbe aus dem Stück und damit habe ich die Farbe eurer Musik in meiner Sammlung. Es kann gut sein, dass der Himmel einmal diesen Farbton brauchen wird.“ Der Regenbogenmaler deutete auf seine umfangreiche Farbensammlung. Misstrauisch sahen wir uns an. Was, wenn das hieß, dass sich dadurch die Sorglospunks-Musik dauerhaft verändern würde? Wenn sie ihre Persönlichkeit, ihren Charakter, ja, ihre Farbe, verlor? Das wäre unser Ruin! (Nun ja, der Ruin, des nicht vorhandenen Reichtums und Erfolgs.) „Bei allen Farben des Regenbogens, eure Musik wird nicht darunter leiden!“, rief der Regenbogenmaler ungeduldig aus und verdrehte demonstrativ die Augen. Und das war wirklich noch gruseliger als das Lächeln vorhin. Irgendwie schienen seine Augen nämlich einmal quer durch seinen Schädel zu kullern. „Okay... Holt die Instrumente aus dem Auto!“ Chris ergriff die Initiative. Und tatsächlich waren sie fünf Minuten später so weit, dass sie – selbstverständlich mit improvisiertem Titel und Text – loslegen konnten. „Queeeer über den Himmel durch Blau und Violett, durch Weiß und ein bisschen Grün Queeeeer durch die Nacht, über den Tag und in den Morgen Queeeer durch die ganze Welt bis hierher sind wir gereist Und das nuuuuur für ein kleines Tröpfchen Blau! Oh, yeah, nuuuuur für ein Tröpfchen Blau!“ „Blau ist eingesackt, wir können los!“, verkündete Chibichi. Wir bedankten uns noch einmal artig beim Regenbogenmaler, der das jedoch kaum zur Kenntnis nahm, sondern sich lieber um einen anstehenden Farbwechsel kümmerte. „Und? Wo finden wir das Gelb?“, hibbelte Chris los. „Auf dem Meeresgrund“, erklärte Chibichi. „Oha.“ Nifen zog eine Augenbraue hoch. „Ist Baby auch tauchfähig?“ Das brachte ihr einen langen Blick des Teufels ein. „Du sprichst von meinem Wunderauto, das durch die Zeit reisen kann. Glaubst du tatsächlich, etwas Wasser kann Baby aufhalten? Natürlich können wir tauchen“, antwortete sie schließlich pikiert. „Sorry. Ich wollte nur sichergehen.“ Als Managerin besaß Nifen schließlich ein ganz spezielles Organisationsgen, das sich immer wieder mal meldete. „Und was suchen wir auf dem Meeresgrund?“, mischte sich Jack ungeduldig ein. „Eine besondere Korallenart. Die gelbe Selektivkoralle.“ Chibichi lenkte Baby bereits in Richtung Erde und Ozean. „Ah... Na, das wird sicher ein Spaß“, sagte Easy und schaute lächelnd aus dem Fenster. „Wie sieht es aus, Abranka?“, erkundigte sich Chibichi, während die Band mittlerweile wieder in Schweigen versunken war. „Hast du jemanden erreichen können?“ „Schon. Wenigstens ein paar. Aber die Mädels sind schon mit Notfalleinsätzen beschäftigt. Ich habe nur noch ein Ass im Ärmel...“ „Wen denn?“ „Na, du weißt schon...“ „Sie? Na, das wird aber interessant werden.“ „Du übertreibst. Sie ist lieb.“ „Aber schusselig...“ „Nur manchmal!“ „Ruf sie an. Wir haben ja eh nichts zu verlieren.“ Chi lächelte mir kurz zu und ich wählte die letzte übriggebliebene Nummer. „Geht keiner dran.“ Ich seufzte leise. Jetzt konnten wir noch hoffen, dass sie zurückrief. Die Selektionskoralle war eine ungewöhnliche, bisher noch nicht offiziell – von Menschen – entdeckte Korallenart, die nicht einfach irgendwo wuchs, sondern in den tiefsten und unwirtlichsten Tiefen des Marianengrabens. Sie schien von den dort aus dem Erdinneren aufsteigenden Gasen zu leben. Irgendwie jedenfalls. Nachdem wir in den Atlantik eingetaucht waren, sank Baby beständig immer tiefer und zu unserer großen Freude blieben wir dabei auch trocken. Fische zogen an dem Auto vorbei und glotzten lautlos durch die Scheiben hinein. Je tiefer wir kamen, desto dunkler wurde es – und desto bizarrer sahen die Fische aus. In dem Lichtkegel der Scheinwerfer konnten wir einige Exemplare äußerst gut beobachten und bei den meisten waren wir sehr froh, dass sie recht schnell auch wieder verschwanden, nachdem sie festgestellt hatten, dass Autoscheinwerfer ungleich Futter waren. „Äh, sag mal... Wie kommen wir an die Korallen eigentlich ran? Wenn wir die Tür aufmachen, dann saufen wir doch ab“, warf Nifen urplötzlich ein. Etwas war ihr schon die ganze Zeit komisch vorgekommen und sie hatte nicht den Finger drauflegen können, doch jetzt war der Groschen gefallen. „Chi, sag mir bitte, dass du immer noch eine Seelengreifzange unter der Motorhaube versteckt hast“, sagte ich nervös. Wasser war absolut nicht mein Element und diese Tiefe hier erst recht nicht. Und ich wusste, wer von uns würde „aussteigen“ müssen, wenn diese Greifzange nicht mehr da oder nicht funktionstüchtig war. Eine universell einsetzbare Musenwolke konnte manchmal auch ein Fluch sein. „Klar. Oder denkst du etwa, ich hole mittlerweile die Seelen mit der Hand aus dem Höllenfeuer? Also wirklich... Ich bin zwar hitzebeständig, aber so feuerfest noch lange nicht! Ts, ts, ts...“ Chibichi schüttelte amüsiert den Kopf. „Da, da, da!“, rief Easy in dem Augenblick aufgeregt aus. Und tatsächlich: Im Lichtkegel des Wunderautos kamen gelbe Korallen in Sicht. „So, jetzt nur noch der Greifer ausgefahren, eine Koralle geschnappt und fertig.“ Chibichi drückte einen Knopf auf dem Armaturenbrett und ein kleiner Joystick zur Steuerung des Seelengreifers wurde ausgefahren. „Darf ich, darf ich, darf ich?“, quengelte Chris und wurde netterweise vom Teufel an das Steuergerät gelassen. „Aber nichts kaputt machen!“, warnte Jack noch, was jedoch nur ein lapidares „Ja, ja, ja“ von Chris bewirkte. Geschickt steuerte er den Greifer – eine aus Teflon bestehende Hand mit roten Teufelsklauen – und schaffte es nach kurzer Zeit, eine der Korallen damit zu greifen. Sachte zog er daran und versuchte, sie abzubrechen, doch nichts geschah. Er zog fester. Noch immer nichts. Er zog mit aller Macht des Wunderautos und drückte den Knopf für den Notfallrückwärtsgang. Es krachte und knackte, ein großes Stück Koralle wurde mit Wucht aus dem Boden gerissen, ein Loch klaffte auf und die sprichwörtliche – nicht die tatsächliche – Hölle brach los. Heißes Gas strömte empor und erhitzte das Wasser schlagartig. Der Boden knackte und bebte, während er immer weiter aufriss. „Weg hier!!!“, kreischte Jack auf und Chibichi ließ sich das nicht zweimal sagen. Und während die chaotische Vernichtung hinter uns versuchte, uns zu erwischen und von dem Angesicht der Erde sowie diverser anderer Welten zu tilgen, meinte Jack giftig zu Chris: „Ich hab doch gesagt, du sollst nichts kaputt machen!!!“ Chibichi rettete uns gerade noch so den Hals. Aber auch nur, indem sie wirklich auf einige Tricks zurückgriff. Kaum hatten wir die Wasseroberfläche durchbrochen, als der Teufel Chris gegenüber ein lautstarkes und äußerst nachdrückliches Verbot aussprach, noch einmal irgendetwas in dem teuflischen Wunderauto anzufassen. Vollkommen kleinlaut nahm Chris das drakonische Urteil ergeben an. Beinahe im gleichen Moment klingelte mein Musentelefon. Sie war es! Unsere einzige, letzte Hexenhoffnung hatte zurückgerufen! Und sie hatte Zeit und kam nach Tristesse! „Sie ist unterwegs, Chi. Und jetzt gib Gas, denn ich weiß nicht, was die Tristessanier davon halten, wenn da eine Hexe auf einem Besen angedüst kommt. Immerhin haben die nicht besonders gute Erfahrungen mit Hexen gemacht.“ „Das ist doch ein Argument“, lachte Chibichi und trat das Gaspedal noch etwas mehr durch. Als wir in Tristesse eintrafen, beobachteten die Einwohner bereits das Herannahen der Hexe auf ihrem Besen. Und so, wie ihre Gesichter aussahen, würden sie diesem für sie äußerst ungebetenen Gast wahrlich keinen freundlichen Empfang bereiten. Vermutlich waren einige bereits unterwegs, um Fackeln zu holen. „Sie kommt in friedlicher Absicht!“, rief ich und verließ das teuflische Wunderauto als erste. „Genau, das ist eine gute Hexe!“, fügte Easy lautstark hinzu und hüpfte hinter mir her. „Habt ihr uns hereingelegt und wollt ihr alles noch schlimmer machen und uns noch mehr verfluchen?“, fragte der Bürgermeister misstrauisch und mit äußerst finsterer Miene. All sein vorheriges Vertrauen in uns und unsere Fähigkeiten war schlagartig verschwunden. „Aber nein!“, stieß Nifen empört hervor. „Wir wollen helfen!“ „Und was tut dann die Hexe hier?“ „Hexenflüche lassen sich nur durch Hexenmagie brechen, ist doch klar“, lächelte ich und bemühte mich, dabei so gewinnend und vertrauenserweckend wie möglich war. Unweit von uns entfernt landete gerade die Hexe. Die Landung mit einem Besen ist nicht besonders einfach. Man muss die Fluggeschwindigkeit und -höhe – möglichst gleichzeitig – weit genug senken, sodass man mit den Füßen problemlos und ungefährdet den Boden berühren kann. Ist man zu schnell unten, landet man – mit etwas Glück – auf dem Hintern (und mit etwas Pech auf einem Knochen, der das äußerst übel nimmt, indem er nämlich aufgrund der plötzlichen Belastung bricht). Ist man zu schnell unterwegs, während man bereits den Boden berührt, ist das auch mit einer äußerst hohen Sturzgarantie verbunden. Bei dieser Hexe geschah ersteres. Dabei ließ sie sich allerdings mit einer derartigen Gelassenheit auf den Hintern plumpsen, dass sich bei mir sofort der Eindruck breit machte, dass sie vermutlich fast immer so landete. Mit wild abstehenden roten Haaren – eine Frisur mochte vor dem Flug einmal vorhanden sein, doch nun war das nicht mehr der Fall –, einem äußerst breiten Lächeln im Gesicht und dem Besen unter dem Arm, stürmte sie auf uns zu. „Hallo Abby, hallo Chi! Hallo Leute, ich bin Himeka und das hier ist mein Besen Jensen!“, grüßte sie strahlend in die Runde. Das war die personifizierte Harmlosigkeit und man konnte den Leuten um uns herum regelrecht ansehen, wie ihr Argwohn sich legte und völlig verschwand. Äußerst verschämt wurden einige Fackeln fallen gelassen und im Gebüsch der Randbepflanzung des Platzes verborgen. „Wie du siehst, brauchen wir den Farbwiederherstellungszauber wirklich äußerst dringend. Jack hat alle Zutaten. Leg los, sobald du kannst“, erklärte Chibichi noch. Himeka nickte verstehend und machte sich sogleich an die Arbeit. Und während sie das tat, indem sie zuerst einen riesigen Kessel aus ihren Gepäcktaschen – jeder Besen, der zu etwas nützlich sein sollte, besaß welche – hervorzauberte und eine beinahe vollständige Hexenküchen mitten auf dem Platz vor dem Rathaus aufbaute, wandte sich Nifen nachdenklich an mich. „Sag mal, seit wann tragen Hexen eigentlich Toga?“ Sie deutete auf die Toga, die Himeka über ihren Reisehosen trug. (Selbstverständlich kann man nicht mit einem Rock oder ungeeigneten Hosen mit unbequemen Nähten an den exakt falschen Stellen auf einem Besen fliegen. Oder besser gesagt: Man kann schon. Aber man bereut es sehr schnell.) „Oh, Himeka war mal eine Muse.“ Ich grinste. „Sie war mal eine Muse?“ Nifen spitzte neugierig die Ohren. „Wie wird eine Muse denn zu einer Hexe?“ „Indem sie als Muse nicht besonders... geeignet ist.“ Schnell sprach ich weiter. „Oh, versteh mich nicht falsch: Himeka ist ein wunderbarer Mensch und sie hat auch sehr viele Ideen, aber... der Job war einfach nicht der richtige für sie. Zuerst wurde sie auf dem Olymp versetzt und arbeitete als Gehilfin des Schicksals. Das ist nicht weiter seltsam, Musen übernehmen oft Aufgaben bei anderen Göttern als Apollo. Wir sind sozusagen ein Betrieb, der ständig Arbeitskräfte ausleiht, wenn wir sie entbehren können. Und aufgrund der immer mehr abnehmenden Fantasie der Menschen, brauchen wir weniger Musen und... nun ja...“ Bevor ich den Faden noch vollständig verlor, kehrte ich zu dem eigentlichen Thema zurück. „Die Arbeit mit dem Schicksal war auch nicht ihr Ding und daher beschloss sie von einem Tag auf den anderen, dass sie Hexe wird. Das war vor zweihundert Jahren und wie du siehst, ist sie immer noch dabei.“ Ich lächelte. „Und eigentlich ist sie auch richtig gut.“ „Wenn nichts schief geht“, ergänzte Chibichi mit einem breiten Grinsen. „Denn das ist die zweite Sache, in der Himeka wirklich verdammt gut ist. Was glaubst du, weswegen wir so viel von den einzelnen Zutaten mitgebracht haben?“ „Oh.“ Nifen beobachtete, wie Himeka den ersten Trank anrührte und er nach etwa fünf Minuten mit einer heftigen Explosion den Kessel verließ. Die Schaulustigen wichen erschrocken zurück und entgingen dadurch dem klebrig-heißem Regen aus undefinierbarem Zeug, als die Schwerkraft ihren Job tat und den Kesselinhalt wieder zur Erde zurückkehren ließ. „Oh“, wiederholte Nifen, diesmal unterstützt von Jack. „Normalerweise kriegt sie es immer rechtzeitig hin.“ Ich lehnte mich auf meiner Wolke zurück und machte etwas Platz für Chibichi, die sich das ganze Spektakel aus einer bequemeren Position ansehen wollte. Außerdem konnte sie so Kiwi eine Weile auf den Schoß nehmen. „Na, ich hoffe mal, ihr habt Recht. Denn so wie ich das sehe, fasst Easy jetzt mit an...“, murmelte Jack und sah ihrer Zwillingsschwester zu, die schwungvoll einige Tropfen blaue Farbe in den Kessel klecksen ließ. Einige Explosionen später waren die meisten Bewohner – bis auf den harten Kern bestehend aus dem Bürgermeister und seiner Assistentin – in ihren Häusern verschwunden und sahen sich das Spektakel aus der vermeintlich sicheren Ferne an. (Ein querschlagender Kochlöffel und ein zertrümmertes Fenster hatten da schon etwas anderes angedeutet.) Jack hatte Easy schließlich regelrecht eingefangen und jetzt rührte Himeka alleine an dem nächsten Versuch. „Ist sie eigentlich tatsächlich so ungeschickt oder ist dieser Zauber so schwer?“, erkundigte sich Chris trocken. „Na ja... Beides, schätze ich mal.“ Ich hob die Schultern. „Aber ehe du meckerst: Unsere Hexenauswahl nicht besonders groß. Wir können sehr froh sein, dass Himeka hier ist.“ Ich funkelte ihn an. „Hey, ich hab ja nichts gegen sie gesagt. Sie ist nett.“ „Und irgendwie cool“, fügte Jack mit einem Grinsen hinzu. „Punkig!“, jubelte Easy. Und in diesem Augenblick gelang der Zauber. In einem breit gefächerten Regenbogen ergoss sich die Farbe aus dem Kessel, floss über den Boden und färbte alles ein, was sie berührte. Die Farbe wurde von dort aus weitergegeben und breitete sich wie ein Flächenbrand aus. „Wir sind wieder bunt!“ Die Sorglospunks führten einen ausgelassenen Freudentanz auf, bei dem die Bewohner von Tristesse sehr schnell mitmachten. Die Zeit des schwarz-weißen Daseins hatte endlich ein Ende! Der Bürgermeister wollte uns sofort für unsere Farbrettungsdienste mit dem Gehalt bezahlen, für das er uns ersteigerte hatte und verlangte gar nicht mehr, dass die Band spielte. Aber das konnten wir natürlich nicht auf uns sitzen lassen! Und so trafen sich am Abend die glücklichen, wieder äußerst farbenfrohen Bewohner von Tristesse auf dem Marktplatz, wo das erste Sorglospunks-Konzert der Stadt stattfinden sollte. Chibichi, Himeka und Nifen hatten es sich in der ersten Reihe gemütlich gemacht, während ich natürlich bei der Band war. Ich kannte doch meine Schützlinge und wusste, dass sie wieder einen neuen Song abliefern würden. Das Adrenalin beim Konzert und das Wissen, um ein erfolgreich überstandenes Abenteuer, waren eben immer noch die beste Inspiration. Und ansonsten konnte ich ja mit ein paar zündenden Ideenblitzen nachhelfen. Jack haute auf die Drums, Chris haute in die Saiten und Easy legte los. „Willkommen, willkommen in Tristesse! Jaaaaa, willkommen, willkommen in Tristesse! Alles grau, alles bunt Alles traurig, lebensfroh Alles grau, alles bunt Ach, wen kümmert’s schon! Hexenzauber, Zaubermacht Hier in dieser Sommernacht! Farbenzauber, Regenbogenkraft Hey, das haben wir geschafft! Und duuuu... Nimm mir meine Farbe nicht! Und duuuu... Nimm mir meine Farbe nicht! Und duuuu... Sing jetzt mit!“ Muss ich noch erwähnen, dass das Konzert ein voller Erfolg war? Vermutlich nicht. Aber eins ist doch noch erzählenswert. Von oben, drei Wolken links vom Olymp und zwei Nordwinde rechts vom himmlischen Himmel, beobachtete uns der Regenbogenmaler und wippte fröhlich mit dem Fuß im Takt zu unserer Musik, während er mit den Ohren einen Sonnenuntergang malte. Ein kleines Nachspiel hatte unser Auftritt in Tristesse allerdings. Als wir wieder zu Hause waren und die Sorglospunks samt Managerin und Maskottchen todmüde in ihre Zimmer wankten, wandte ich mich an Chibichi. „Chi... Wo warst du denn in der Pause?“ „Im Büro des Bürgermeisters. Ich musste da noch etwas nachsehen... Das war mir bei unserer Ankunft aufgefallen und ich wollte mich vergewissern.“ „Was meinst du?“ „Jemand hat Nifens Ebay-Anzeige ausgedruckt und dem Bürgermeister zugeschickt. Mit einem kurzen Text.“ „Mensch, Chi! Lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!“ „Dass das Richtige für die Stadt wäre. Und es war mit M. At unterschrieben...“ Ich riss die Augen auf. „Du meinst...“ „Megaira, Alekto und Tisiphone. Ja, ich glaube, die Furien melden sich wieder zurück…” „Na, aber die kriegen wir auch noch klein!“, sagte ich energisch nach einem kurzen Moment des Zögerns. Immerhin hatten es die Furien geschafft, ihre ganzen Aktionen derart zu übertreiben, dass Chibichi sie aus der Hölle geworfen hatte. Und dieser Rauswurf bedeutete wohl auch, dass sie sich nun vollkommen an uns austoben würden... Aber ich wäre nicht die Muse der Sorglospunks gewesen, wenn ich nicht sorglos gelächelt hätte. Chibichi lächelte ebenfalls. „Och, da bin ich mir ziemlich sicher.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)