100% Sorglospunks! von abranka ================================================================================ Kapitel 37: Gute Fee, böse Fee ------------------------------ Als ich das leise Kichern und das kaum wahrnehmbare Klingeln von Glöckchen hörte, war es bereits zu spät. Ich versuchte noch, sie mit einem lauten „NEIN!“ aufzuhalten, aber ich konnte nichts mehr tun. Die kleine Fee, die unser Bandmaskottchen Kiwi aus dem Garten hereingeschleppt hatte, hatte sich entschlossen, den Sorglospunks ihren allergrößten Wunsch zu erfüllen. Auf einen Schlag lebten sie das Punk-Rock-Star-Leben, das sie immer schon hatten haben wollen. Das vertraute Chaos des WG-Wohnzimmers verschwand vor meinen Augen und machte dem riesigen Salon einer irrsinnig teuren Suite im wohl teuersten Hotel der Stadt platz. Und mit Stadt war in diesem Fall nicht das kleine beschauliche Dorf im Schwabenländle gemeint, in dem wir uns bis zu dieser Sekunde aufgehalten hatten. Oh nein. Das hier war ganz definitiv New York. „Oh. Mein. Gott.“ Ich schlug die Hände vors Gesicht. Feen. Warum hatte man die nicht schon längst ausgerottet? Diese ganzen Wunschgeschichten gingen doch immer nur schief! Und warum zum Teufel – nichts gegen Chi! – musste Kiwi ausgerechnet eine in unsere Wohnung schleppen? Ich sah mich hektisch nach der Katze um, konnte sie jedoch auf den ersten Blick nicht finden. Erst auf dem zweiten, dritten, wenn nicht sogar vierten Blick erkannte ich sie in der wohlgenährten Katze mitten auf dem regelrechten Thron aus Seidenkissen auf einem breiten Sessel wieder. Von der Fee war nirgends eine Spur zu sehen. Noch weitaus hektischer als ich nach Kiwi Ausschau gehalten hatte, suchte ich jetzt nach der Fee. Das Feenzauberregelungsgesetz, kurz FZRG, sah vor, dass eine Fee mindestens 48 Stunden bei den Menschen bleiben musste, denen sie einen Wunsch erfüllt hatte, um etwaige Wunscherfüllungsreklamationen entgegenzunehmen. Und das bedeutete, dass ich diese Fee in eben diesen 48 Stunden finden musste! Denn ich war mir sicher, dass dieser erfüllte Wunsch hier nur schiefgehen konnte. Das ging gar nicht anders! Feenwünsche gingen immer schief! (Und da sprach jetzt die umfangreiche Lebenserfahrung aus mir, die ich mir während meiner Tätigkeit als Muse angeeignet hatte. Schließlich war das jetzt nicht das erste Mal, dass ich es mit einer Fee zu tun hatte!) „Abranka!“, wurde mein Name mit dem fröhlichen und aufgedrehten typischen Easy-Singsang gerufen. „Woooo biiiist duuhuuu?“ Ich seufzte leise. Easy als Superstar. Jack als Superstar. Chris als Superstar. Ich gebe zu, in diesem Moment war ich ja auf alles gefasst. Aber nicht auf das, was da gerade durch die Tür in den Salon spazierte. Easy war erblondet. Statt der dunkelbraunen punkigen Zottelmähne waren ihre Haare zu Marilyn-Monroe-Locken gedreht und wippten, als wenn sie einen Preis dafür bekommen würden. Auf ihrer Nase thronte eine riesige – in diesem Raum vollkommen überflüssige – Sonnenbrille, über ihrer Schulter baumelte eine riesige, sackartige Handtasche mit Glitzersteinchen. Die gleichen Steinchen zierten ihren Gürtel und die halsbrecherisch hohen Sandaletten. Mir klappte unwillkürlich der Mund auf. Wo war die alternative Easy geblieben? Doch hoffentlich irgendwo da drin! „Schätzchen, passt dir 17.00 Uhr für einen neuen Song? Wir brauchen doch noch einen für das Konzert heute Abend“, trällerte sie. „Dann kann ich vorher noch zur Maniküre und Pediküre und habe genügend Zeit, um mein Outfit auszusuchen.“ Sie strahlte mich mit einem blendendweißen Zahnpastalächeln an. „Ja, Schätzchen?“ Ich nickte ganz automatisch. Zu etwas anderem war ich vor lauter Schock gar nicht mehr in der Lage. „Wunderbar, Abrankachen. Wir sehen uns dann nachher. Tschüssili!“ Und damit warf sie mir eine Kusshand über die Schulter zu und rauschte aus der Tür. Mit offenem Mund starrte ich ihr nach. „Tschüssili???“ Es dauerte sicherlich fünf Minuten, bis ich mich aus meiner Starre lösen konnte. Das war Easy? So wurde Easy, wenn man schlagartig aus ihr einen Superstar machte??? Korrektur: So konnte Easy werden, wenn man per Feenmagie schlagartig aus ihr einen Superstar machte. Ich schauderte. Ich musste um jeden Preis diese verdammte Fee finden, damit das hier rückgängig gemacht wurde! Nur gut, dass Feenmagie auf überirdische Wesen wie Musen keinen Einfluss hat. Denn ansonsten wäre ich vielleicht auch so etwas geworden, würde nicht mehr klar denken können und nicht erkennen, dass das hier absolut falsch war! „Kiwi, hilf mir, diese Fee zu finden!“, forderte ich die Katze auf, während ich auf meiner Wolke suchend durch den Raum sauste. „Du hast sie doch vorher auch gefunden!“ Doch Kiwi drehte sich nur gemächlich um und schloss die Augen. „Mann, Kiwi!“ „Eher Katze, Kiwi“, erklang eine vertraute Stimme hinter mir. Ich schloss die Augen und atmete ganz tief durch, ehe ich es wagte, mich umzudrehen. Jack. Und Jack sah… verhältnismäßig normal aus. Sah man einmal von den Rastalocken ab, die ihr bis auf die Schulter reichten und ihr ein verwegenes Aussehen gaben. Dazu schwarzumrandete Augen und ein buntgestreifter Pulli. Und ein sehr, sehr, sehr süßlicher Geruch. „Äh, ja, da könntest du Recht haben“, murmelte ich. „Chizz, Abranka.“ Jack lächelte breit und ließ eine mir bis dato unbekannte Zahnlücke sehen. „Ist doch alles chizzy, lockerleicht. Die Welt ist ein Ballon, der sich im Fluss der Zeit dreht und dreht und dreht…“ „Äh, ja. Leg dich hin und schlaf noch ne Runde. Dann bist du für das Konzert wieder fit.“ Damit schob ich sie aus dem Raum. Erstaunlicherweise protestierte sie nicht, sondern steuerte in ihrem nebenan liegenden Hotelzimmer – sofern das Wort Zimmer für einen kleinen Empfangsraum, ein Schlafzimmer und ein eigenes Bad ausreichend ist – das zerwühlte Bett an. Nachdrücklich schloss ich die Tür von außen wieder. „Oh, Herr im Himmel, Herr in der Hölle und auf dem Olymp! Ich will gar nicht wissen, was Chris angestellt hat!“ Aber wie es so ist, kommt immer alles auf einmal und man erfährt Dinge, die man gar nicht wissen will, immer direkt und sofort. „Boah, seid doch mal leise!“, kam es hinter einer weiteren Tür her, die sich bis dato noch nicht geöffnet hatte. (Und so langsam bekam ich doch Horror, denn bisher hatte es nur fiese Überraschungen gegeben. Und die Management-Tür war – neben der Chris-Tür – bisher ja noch verschlossen geblieben…) Schlurfende Schritte waren zu hören, ein Knall, leises Fluchen und dann ging die Tür auf. Verpennt, gnädigerweise wenigstens einen kurzen Morgenmantel übergeworfen, der die meisten Details seines nackten Körpers verdeckte, blinzelte Chris mich an. „Was macht ihr denn hier für nen Krach? Wie soll man denn da schlafen?“, murrte er. „Chrissiii!“, säuselte es aus dem Hintergrund. „Komm wieder ins Bett!“ „Gleich!“, knurrte Chris zurück. „Libby oder Ninni oder wie auch immer…“ Ich zog eine Augenbraue hoch. „Aber mach schnell!“ Okay, DAS war eine andere Stimme als vorher. Meine Augenbraue rutschte noch etwas höher. Chris grinste verpennt. „Das Rockstarleben ist geil. Wenigstens, wenn man schlafen kann.“ Und damit drehte er sich um und wackelte wieder zurück. Stumm schüttelte ich den Kopf. Steckte das wirklich alles in den Sorglospunks drin? Waren diese Seiten ihrer Persönlichkeiten in ihnen verborgen? Oder war das alles nur eine Nebenwirkung von der Feenmagie? So oder so – ich wollte meine Sorglospunks wiederhaben!!! „Du gottverdammte Fee, komm sofort raus!!!“ Wenn ihr je eine wütende Muse erlebt habt, dann wisst ihr sehr genau, dass man uns am besten niemals wütend erleben sollte. Vor wütenden Musen haben sogar Medusen Angst – und Feen sowieso. „Hey, reg dich ab! Sie wollten es so!“, protestierte die Fee mit glockenheller Stimme, während sie aus dem Blumentopf einer riesigen Palme emporflog. „Mach es wieder rückgängig!“ „Das geht nur, wenn sie es selbst wollen! Sie sind glücklich! Sie haben das, was sie wollten. Warum regst du dich überhaupt so auf?“ „Weil sie das hier eben nicht wollten! Jedenfalls nicht… SO!“ Die Fee schüttelte den Kopf. „Sorry. Da kann ich nichts machen. Sie müssen sagen, dass sie das nicht wollen. So lautet das FZRG.“ Ich runzelte die Stirn. „Gut. Aber du bleibst hier, klar? Ich will, dass du es hörst, wenn sie sagen, dass sie das hier nicht gut finden.“ Die Fee nickte. „Geht klar. Feenehrenwort!“ Ich nickte knapp und verzog dann Gesicht. Wie zum Teufel sollte ich die Truppe denn davon überzeugen, dass sie das Leben am finanziellen Abgrund in der WG im Schwabenland diesem Luxus vorzogen? Als erstes rief ich Chibichi an. Chibichi ist schließlich niemand anderes als der Teufel höchstpersönlich und außerdem eine der besten Freundinnen der Sorglospunks. Dann gingen wir zusammen zu dem Sorglospunkskonzert. Die drei hauten uns von den Socken. Sie waren toll. Einfach nur toll. Easy rockte, dass ihre Marilyn-Locken nur so flogen, Chris zerriss zwischenzeitlich sogar die Saiten von seinem geliebten Bass und Jack hämmerte auf das Schlagzeug ein, dass beinahe die Funken flogen. Die Stimmung war unglaublich. Das da oben, das waren wirklich echte Superstars. Welche von den ganz, ganz großen. Chi und ich sahen uns an. „Sie sind gut.“ „Sehr gut sogar.“ „Mhmhm.“ „Aber so weit sind sie noch nicht…“ „Nope.“ „Sonst wären sie ja nicht so abgehoben.“ „Exakt.“ „Sogar Kiwi ist abgehoben.“ Chi zog eine Augenbraue hoch. „Na ja, oder eher in die Breite gegangen.“ „Okay, also, du bist dir sicher, wir überzeugen die wohl beste Band der Welt dazu, dass sie ihren Superstar-Status wieder aufgibt, um durch die Dörfer zu tingeln und Nifens seltsame Auftritte zu machen?“ „Exakt.“ „Na, worauf warten wir noch?“ Chi grinste breit. Wir waren ja beide sehr versucht, einfach etwas teuflischen Druck auf die Fee auszuüben und sie damit zu nötigen, ihre Wunscherfüllung zurückzunehmen, aber das hätte lebenslange Teufelsüberwachung bedeutet, einhergehend mit dem Verbrauch von Unmengen teuflischer Energie sowie in Verbindung mit einer Fee, die beständig darauf warten würde – warten musste! –, dass dieser Schutz einmal nachließ und sie den Zauber erneut durchführen konnte… Oh nein, das FZRG war nicht zu umgehen. Wir mussten nach seinen Regeln spielen, auch wenn das gerade Chi nicht leicht fiel. Glücklicherweise hatten die Sorglospunks über all den Ruhm noch nicht ihre Freundschaft mit und Zuneigung für Chibichi vergessen, sodass wir nach dem Konzert mit drei in Bademäntel gehüllten Sorglospunks im Salon zusammensaßen. „Oh, Kaffee!“, quietsche Easy glücklich und schlang die Hände um ihre Tasse. „Den hab ich ewig nicht mehr getrunken.“ „Und Schokolade!“, fügte Jack mindestens ebenso glücklich hinzu. Schokolade war nämlich bei ihrem Fitnesstrainer verpönt, sodass es unmöglich geworden war, diese zu essen. „Nifeeeen!“, jubelte Easy dann, als die Managerin zu dem Team hinzustieß. Ausnahmsweise hatte sie weder das Handy am Ohr, noch die Zigarette in der Hand. Auch für sie hatte es irgendwann Schokoladenverbot gegeben, sodass die Zigarette – immer mit Mentholgeschmack – die einzige Lösung zu sein schien. Mal abgesehen davon, dass das in das Managerbild passte. Wie ich so in die Runde blickte, wirkten die Sorglospunks, ihre Managerin und sogar das Maskottchen Kiwi viel entspannter als den Rest des Tages über. „Wir haben ewig nicht mehr so zusammengesessen“, stellte Chris fest. „Schade eigentlich.“ „Na, du bist ja immer mit deinen Groupies beschäftigt!“, ätzte Jack. „Und du mit deinem Gekiffe! Und Easy mit ihre Haaren!“, schoss Chris zurück. „Was ist mit meinen Haaren?“, fragte Easy mit kugelrunden Augen. „Hey, immer mit der Ruhe!“ Chibichi hob beruhigend die Hände. „Atmet mal tief durch. Ihr seid doch mehr als eine Band – ihr seid doch die besten Freunde!“ Die Zwillinge und ihr Bassist sahen sich an. „Ganz genau“, stimmte Nifen zu. „Ihr seid die besten Freunde. Deswegen finde ich auch, dass ihr die Band nicht auflösen solltet.“ „WAS???“, brüllten Chi und ich. „Das kann doch nicht euer Ernst sein? Was habt ihr vor???“ „Die Sorglospunks auflösen“, sagte Easy monoton. „Auf der Bühne ist alles super, aber so zusammen… Da passt nichts mehr. Ich kapier Jack nicht, Jack kapiert mich nicht, Chris kapieren wir beide nicht und er uns nicht… Und sogar Kiwi kapiert nichts mehr.“ Besagtes Maskottchen gab in dem Augenblick ein klägliches Maunzen von sich. „Ihr seid nicht mehr ihr selbst“, fasste Nifen die Situation leise zusammen. „Und ich bin es auch nicht mehr…“ Sie seufzte und warf einen langen Blick auf die Schokolade, die Chibichi und ich auf dem Tisch ausgebreitet hatten. „Ach, Mensch, greif zu!“ Damit drückte ich ihr eine ganze Tafel in die Hand. „Das Elend ist doch echt nicht mehr mitanzusehen!“ „Genau. Wir müssen etwas tun!“, fügte Chibichi hinzu. „Und was?“ Jack machte ein langes Gesicht und zupfte an ihren Rastalocken. „Was sollen wir denn tun? Wir müssten noch mal ganz von vorne anfangen…“ „Yeah. In ner WG mit wenig Geld und kuriosen Auftritten überall in Deutschland und darüber hinaus…“, ergänzte Chris. „Yeah…“ Easy blickte träumerisch ins Leere. „Wisst ihr noch das Haus mit dem Garten in dem Dorf, mit dem Fußballplatz und dem WWWB-Markt in der Nähe…“ „Oh ja…“ Dreifaches Seufzen war die Antwort. „Wollt ihr denn zurück?“, fragte Chibichi lauernd. „Nichts wäre schöner…“, hauchte Jack, „Wünscht ihr euch das?“, hakte ich nach. „Klar!“, kam es vierfach und mit einem bekräftigenden Maunzen zurück. Ein leises Klingeln erklang und Chibichi und ich grinsten breit. Vor unseren Augen wich das teure Hotel dem gewohnten WG-Chaos. „Endlich zuhause…“, seufzte ich und entdeckte dann die Fee, die neben der Wohnzimmerlampe schwebte. „Und du: Verzieh dich. Und sag deinen Kolleginnen, dass sie sich hier bloß nie blicken lassen sollen!“ „Ja, ja, ja.“ Die Fee verzog das Gesicht. „Mit solch einer Furie wie dir will es eh keiner zu tun haben.“ Sie sauste in Richtung Fenster. Dort hielt sie noch einmal inne und blickte zurück. „Na ja, und so sind sie wohl wirklich glücklicher…“ Sie lächelte und dann war sie nach draußen in den wolkigen Himmel verschwunden. „Puh…“, machte ich und lächelte dann. „Chiiii, kannst du Kiwi bitte sagen, dass sie nie wieder Feen anschleppen soll, weil sie sonst auf Dauerdiät gesetzt wird?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)