100% Sorglospunks! von abranka ================================================================================ Kapitel 36: Kiwi ist weg! ------------------------- „Kiwi ist weg!!!“ Easys Stimme gellte durch das Haus und ließ ihre Zwillingsschwester aus dem sanften Dämmerschlaf hochschrecken, in den Chris’ Herumgeklimper auf der Gitarre, um einen neuen Song – „Eine Powerballade muss das sein!“ – zu finden, sie versetzt hatte. „Boah, Hölle…“, knurrte Jack und richtete sich auf. Im gleichen Augenblick stürmte Easy das Wohnzimmer. Die sonst so sorglose Frontfrau der wohl sorglosesten Punkband der Welt war absolut nicht sorglos, sondern unverkennbar der Panik nahe. „Sie ist nicht in der Küche, nicht in meinem Zimmer, nicht im Keller, nicht im Garten, nicht in Lenns Fass, nicht in Nifens Büro, nicht…“, keuchte sie panisch. „Ruhig, Easy.“ Jack, das Multipercussionswunder, tätschelte ihrer Schwester die Schulter. „Genau, atme erst mal tief durch“, stimmte Chris, den die Bezeichnungen Komponist und Gitarrenliebhaber am besten beschrieben, ihr zu. „Was ist denn los?“, erkundigte sich in dem Augenblick Nifen, die Bandmanagerin, die gemeinsam mit mir den Raum betrat. Meine Wenigkeit ist die Muse der Band und als solche stets schwer damit beschäftigt, Easy in den Hintern zu treten, damit sie neue Songtexte schreibt, denn sie zeichnen vor allem KreaTief-Anfälle, Schreibblockaden und Schreibunlust aus. Dass dazu eine unglaublich kreative Art von Kreativität kam, machte mir meine Arbeit allerdings nicht unbedingt leichter. „Kiwi ist weg!!!“, heulte Easy und krallte sich so an Jacks Arm fest, dass diese leise aufstöhnte. „Immer mit der Ruhe. Katzen gehen manchmal einfach ein wenig weiter spazieren…“, versuchte Nifen das Nervenbündel zu beruhigen, doch damit hatte sie keinerlei Erfolg. „Nein! Kiwi geht nicht weg! Das findet sie viel zu anstrengend!“ Okay, Punkt für Easy, notierte ich in Gedanken. Denn das Bandmaskottchen besaß als Hobby tatsächlich das Leeren ihres Futternapfes und das Erschnorren von möglichst vielen Leckerchen, sodass sie a) recht gut genährt war und b) zuviel Bewegung für viel zu anstrengend hielt, wenn an deren Ende nicht eine ganz besondere Leckerei wartete. Das war auch die einzige Methode, wie wir sie hin und wieder zu Trainingszwecken auf das Laufband bekamen… „Und das letzte Mal, als sie weg war, da ist sie entführt worden!“ Und noch ein Punkt für Easy. Das war tatsächlich der Fall gewesen und niemand anderes als Wilhelm Tell hatte sich als der Entführer entpuppt. Schweigen herrschte nach Easys Einwänden. „Wir müssen was tun!!!“, jammerte diese, nachdem sich auch noch nach fünf Minuten nichts getan hatte. „Und was? Einfach drauflos stürmen bringt doch nichts.“ „Genau, das endet wir bei unserer Tour in die Hölle“, fügte Chris zu Jacks Worten hinzu. „Aber was machen wir dann?“, fragte Nifen. „Chibichi anrufen?“, warf ich ein. Denn der Teufel höchstpersönlich war unsere Allzweckwaffe gegen alle möglichen Probleme. „Chiiiiii!“, jubelte Easy und stürmte zum Telefon. Nur eine Minute später kam sie jedoch tief enttäuscht wieder zurück. „Höllische Konferenz. Sie kann da absolut nicht raus, obwohl sie gerne würde.“ Easy machte ein langes Gesicht. „Okay, dann müssen wir das selbst hinkriegen.“ Ich rieb mir die Hände. „Vorschläge?“ „Panik schieben.“ „Abwarten.“ „Was Essen.“ „Kaffee trinken.“ „Kiwi suchen.“ „Panik schieben.“ „Kiwi suchen!“ „In den WWWB-Markt gehen.“ „Im Tierheim nachfragen.“ „Lenn wecken.“ (Unseren Bandphilosophen, der draußen im Garten nach Diogenes’scher Manier in einem Fass lebte.) „Kiwi suchen!!“ „Schokolade essen.“ „E-Mails checken.“ „Einen neuen Song schreiben.“ „Kiwi suchen!!!“ „Mhm, okay, Kiwi suchen gewinnt“, sagte ich. „Aber wo sollen wir anfangen zu suchen?“, moserte Jack. „Kiwi kennt den Weg in die Hölle, zu den Glücksbärchis, ins Comicland, ins Literaturland… Sie kann überall sein!“ „Ja, aber…“ „Es ist absolut unmöglich, sie zu finden, Easy! Wenn du keinen Kiwi-Sensor hast, packen wir das nie!“ „Lief da nicht neulich eine ‚Stolz und Vorurteil’-Verfilmung?“, warf Chris in den Raum. „Ja..“ Nifen war sofort wie elektrisiert. „Du meinst, sie ist dahin?“ „Kiwi hat ziemlich vor dem Bildschirm geklebt und jedes Mal gemaunzt, wenn Mr. Darcy auftauchte“, gab ich zu Bedenken. „Wir müssen nach ‚Stolz und Vorurteil’!“, entschied Easy und in diesem Fall fielen sogar Jack keine Einwände mehr ein. Nifen ging bereits los, um ihre SuV-Ausgabe zu holen, während Chris einen Spiegel organisierte. „Schaffen wir das denn ohne Chibichi?“, fragte Jack besorgt, als wir alle zusammen saßen, uns an den Händen hielten, um eine lange Sorglospunks-und-Crew-Kette zu bilden, und Nifen das Buch aufschlug. „Ach, klar. Ich bin schließlich auch etwas übernatürlich.“ Ich zwinkerte ihr zu und bedeutete Nifen mit dem Lesen zu beginnen, während ich konzentriert in den Spiegel blickte. In der ganzen Welt gilt es als ausgemachte Wahrheit, dass ein begüterter Junggeselle unbedingt nach einer Frau Ausschau halten muss… Die Welt schien urplötzlich nur noch aus Worten auf Spiegeln zu bestehen, die durch sie tausendfach gespiegelt wurden. Alles drehte sich von oben nach unten, wurde vielfach gespiegelt, gebrochen und wieder zusammengefügt. Und einen Wimpernschlag später saßen wir im matschigen Gras neben einem schlammigen Weg im südlichen England. Eine Kutsche fuhr im rasenden Tempo an uns vorbei und die galoppierenden Pferde und der ratternde Wagen bespritzten uns von oben bis unten mit Schlamm. „Bäh!“ Jack sprang auf und wollte der Kutsche schon Faust schwingend hinterher, doch Chris hielt sie geistesgegenwärtig zurück. Wir waren schließlich nicht hier, um rasende Kutscher zu vertrimmen. „Also, Nifen, wo müssen wir lang?“ Schließlich war Nifen ein absoluter SuV-Fan und somit perfekt als unserer menschliches Navigationssystem geeignet. „Da lang. Wenigstens, wenn ihr annehmt, dass Kiwi wirklich Richtung Netherfield gelaufen ist.“ Nifens hochgezogene Augenbraue verriet nur allzu deutlich ihre Skepsis. „Tja, leider haben wir keinen Katzenflüsterer dabei“, murrte Jack und stapfte als erste los. „Wo befinden wir uns eigentlich in der Handlung?“, erkundigte sich Easy. Eine sehr berechtigte Frage, würde das doch den Ort beeinflussen, an dem sich die Charaktere aufhielten. „Ziemlich am Anfang, glaub ich“, erwiderte Nifen. „Allerdings ist das schwer zu sagen, weil die Landschaft natürlich immer gleich aussieht…“ „Gleich schön immerhin“, grinste Chris. Er hatte Recht. Diese englischen Wäldchen, die sich mit den Feldern und Wiesen abwechselten, waren wirklich äußerst idyllisch. „Sagt mal…“, begann Jack nach einer Weile des Wanderns, „Was sagen wir eigentlich Bingley und Darcy, wenn wir denen gegenüberstehen? Gebt uns unsere Katze raus?“ „Klar, was sonst!“ Easy war dafür natürlich sofort Feuer und Flamme. „Wir sollten eher höflich fragen“, warf ich ein. „Es könnte ja sein, dass wir uns irren…“ „Oder dass Kiwi in einem späteren Teil der Handlung gelandet ist und sich in Pemberley befindet. Da gibt es immerhin tolle Fischteiche…“, warf Nifen ein „Kannst du dir Kiwi beim Fische fangen vorstellen?“ Chris’ sah die Bandmanagerin ungläubig an. „Nein, aber an einem Tisch, wo Fisch serviert wird“, entgegnete diese fröhlich. „Und bei einem Haus mit ertragreichen Fischteichen in der Nähe, dürfte es häufiger mal welchen geben, oder meinst du nicht?“ Das Argument war durchaus schlagend zu nennen und somit schwieg Chris. Wenigstens so lange, bis wir stehenblieben, um einer weiteren Kutsche auszuweichen, die den Weg entlangrauschte. Darin saß niemand anderes als die rothaarige Caroline Bingley. „Biest…“, murmelte Easy leise. Auch sie hatte wenigstens eine der vielen SuV-Verfilmungen gesehen – wenn man mit einem derartigen Fan wie Nifen unter einem Dach lebte, geschah das früher oder später nahezu zwangsweise – und besaß keine allzu hohe Meinung von der jungen Dame. „Kopf hoch. Mit etwas Glück laufen wir ihr gleich nicht über den Weg.“ Jack tätschelte Easy die Schulter. „Du kennst doch unser Glück…“, murrte diese. Easy sollte Recht behalten. Niemand anderes als Caroline Bingley war im Salon anwesend, als wir – völlig verdreckt und verschwitzt – an die Tür geklopft und von einem Bediensteten unter gerümpfter Nase eingelassen worden waren. Mit hochgezogenen Augenbrauen, kritisch-abfälligen Blick und einem angewidert verzogenen Mund betrachtete sie uns. „Was führt die Herrschaften zu uns?“, fragte sie direkt, vermutlich, um uns am besten sofort wieder loszuwerden. „Wir suchen unsere Katze!“, platzte Easy heraus. Und das, obwohl wir vorher abgesprochen hatten, dass Nifen reden würde. „Eure Katze?“ Jetzt war Caroline Bingley verblüfft. „Warum sollte Eure Katze hier sein?“ „Wegen Mr. Darcy!“ Wieder war Easy schneller als Nifen. Jack trat ihrer Schwester unsanft auf den Fuß und fasste sie am Arm, in der Hoffnung dafür sorgen zu können, dass diese das nächste Mal den Mund hielt. „Wegen Mr. Darcy?“ Es war überraschend festzustellen, dass Verblüffung steigerungsfähig war, aber in dem Gesicht von Caroline Bingley ließ sich genau das ablesen. „Wieso?“ „Das wissen wir leider auch nicht.“ Diesmal war Nifen schneller, denn Jack hatte Easy einfach den Mund zugehalten. Das war manchmal die effektivste Methode, um die energiegeladene Frontfrau zu bändigen. „Wir haben nur den Verdacht, dass…“ Weiter kam sie nicht. „Aufgrund eines Verdachtes stört Ihr mich bei meiner Nachmittagsruhe und erlaubt Euch, mir eine solch verrückte Geschichte zu erzählen?“ Der verblüffte Ausdruck in Caroline Bingleys Augen wurde zornig. „Verlasst augenblicklich mein Haus!“ „Aber Kiwi…“, jammerte Easy leise unter Jacks Hand hindurch. „Raus!“ „Mist!“, fluchte Chris, als wir wieder draußen waren. „Hast du Kiwi irgendwo sehen können?“, wandte sich Nifen an mich, da ich während des wenig erfreulichen Gesprächs mit der Hausherrin die Zeit dafür genutzt hatte, mich im Unsichtbarkeitsmodus ein wenig umzusehen. „Nein. An keinem ihrer Lieblingsorte war sie.“ Das bedeutete, dass ich vorrangig nach sonnigen Schlafplätzen, weichen Kissen und in der Nähe von Futter Ausschau gehalten hatte. „Es waren auch keine Spuren zu entdecken.“ Wie Katzenhaare zum Beispiel. Oder schlammige Pfotenabdrücke. „Also auf nach Pemberley.“ Nifen ging voran und fand recht schnell die nächste Haltestelle des Literaturexpresses. Einer Ahnung folgend nannte sie als unser Ziel das Ende des Romans – und damit den Teil, in dem das gemeinsame Leben von Elizabeth und Fitzwilliam Darcy als Ehepaar begann. Und das in der neusten Verfilmung nur als kitschige Zusatzszene zu sehen war. „Na, ich hoffe mal, die sind freundlicher als dieses Biest…“, murmelte Easy. „Hey, wenn du Nifen hättest reden lassen, dann wären wir sicher nicht so schnell rausgeflogen! Nur, weil du deine verdammte Klappe nie halten kannst…!“, fuhr Jack ihre Zwillingsschwester an. Sie hatte ganz offensichtlich langsam genug. „Pst! Oder wollt ihr, dass wir uns so ankündigen?“, zischte Nifen den beiden Streithennen zu und läutete an der Tür, denn mittlerweile standen wir bereits vor der Haustür zu dem großen Anwesen. Beinahe augenblicklich wurde die Tür aufgerissen und Georgiana Darcy stand vor uns. „Seid gegrüßt, Ihr lebhaften Gäste! Nur herein!“, trällerte sie und bedeutete uns einzutreten. Chris lächelte unsere Gastgeberin strahlend an und schien einen Augenblick lang zu vergessen, dass in der Realität seine hübsche japanische Freundin auf ihn wartete. Sie führte uns in den Salon, wo wir ebenso höflich wie zurückhaltend von Darcy und Elizabeth begrüßt wurden. „Verzeihen Sie, unsere Frage mag ungewöhnlich erscheinen, aber haben Sie vielleicht eine Katze gesehen? Sie ist grau-braun-getigert und ein wenig füllig…“, fiel Nifen nahezu mit der Tür ins Haus, da sie gewisse Sorge hatte, ansonsten keinen Ton herauszubekommen. „Nicht, dass ich wüsste.“ Darcy warf einen Blick zu Elizabeth hinüber. „Nein, wir haben nur einige schwarz-weiße Katzen im Garten.“ Elizabeth hob die Schultern. „Aber bitte, trinkt doch eine Tasse Tee mit uns.“ Sie lächelte in die Runde. Nifen nahm das Angebot sofort an und notgedrungen ließen sich auch die eingefleischten Kaffeejunkies Easy, Jack und Chris nieder. Ich nutzte derweil die Gelegenheit, mich im Haus umzusehen. Keine fünf Minuten später war ich wieder zurück und glitt auf meiner Wolke unsichtbar an Nifen heran. „Es gibt Kiwi-Spuren im ersten Stock. Und in der Küche.“ „Bist du dir sicher?“, raunte sie mir zu und versuchte dieses Flüstern als Hüsteln zu tarnen. „Hundertprozentig.“ Meine Kiwi-Haar- und Pfotenabdruckerfahrung sprachen für sich. „Mr. Darcy, Mrs. Darcy“, ergriff Nifen das Wort. „Bitte verzeiht meine Unterbrechung, aber wieso gibt es Katzenspuren im ersten Stock, wo Ihr doch ausschließlich Katzen im Garten habt?“ Verwirrt sahen die beiden uns an. „Vielleicht ist eine der Katzen über das Vordach hereingekommen. So etwas geschieht manchmal.“ Elizabeth hob die Schultern. „Aber wie kommt Ihr auf diese Spuren?“ Darcy kniff die Augen zusammen. „Ihr wart die ganze Zeit über hier.“ „Nicht alle.“ Auf Nifens Stichwort hin wurde ich sichtbar, was zur Folge hatte, dass Darcys Blick nur noch finsterer wurde. „So dankt Ihr unsere Gastfreundschaft? Indem Ihr spioniert?“ Seine Stimme glich einem Donnergrollen. „Ich sollte Euch direkt vor die Tür setzen!“ „Warte. Sie werden Ihre Gründe haben“, warf Elizabeth ein. „Wir suchen doch nur unsere Kiwi!“, jammerte Easy. „Sie ist weg… und… und…“ Sie rang die Hände, weil ihr die Worte fehlten, um diese Katastrophe adäquat auszudrücken. „Miau?“, erklang es auf Bodenhöhe. Mit großen grünen Augen und einem Was-macht-ihr-denn-hier-für-einen-Zirkus-Blick sah Kiwi zu Easy empor. „Mieze, komm…“ Georgiana kam in den Raum gerannt und blieb erschrocken stehen. „Georgiana, was hat das zu bedeuten?“ Darcy blickte seine Schwester fordernd an. „Ich… Die Katze ist so lieb und schön und… ich wollte sie ja nicht behalten, nur ein bisschen. Als Gast sozusagen…“ stotterte das Mädchen. Easy nahm derweil ihren persönlichen Liebling auf den Arm und knuddelte sie glücklich. Darcy wollte noch etwas zu seiner Schwester sagen, doch Nifen ging dazwischen. „Da wir Kiwi wieder haben und ich mir sicher bin, dass sie freiwillig hierher spaziert ist, lassen wir das doch einfach auf sich beruhen.“ Sie lächelte in die Runde. Easy nickte heftig und auch Georgiana schien darüber recht erfreut zu sein, auch wenn sie Kiwi traurig anblickte. Selbst mit einem anderen Kätzchen war sie mit Sicherheit nicht so schnell zu trösten. Ein kleiner Sorglossong dagegen war doch ein wenig lindernder… „Und Caroline Bingley ist ne alte…“ „Lass das, Easy!“ „We’re lost in Austen! Ohoho, we’re lost in Austen! Mitten hier in Stolz und Vorurteil! We’re lost in Austen!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)