100% Sorglospunks! von abranka ================================================================================ Kapitel 21: Kopfüber in die Hölle --------------------------------- „Sagt mal...“ Easy wandte den Blick von dem Bindfadenregen vor dem Fenster ab. Der April verkündete seine Existenz nämlich auch dieses Jahr wieder mittels wechselhaften Wettererscheinungen. Die Sonnenphasen hoben die Stimmung in der WG der sorglosesten Band der Welt nahezu in den Himmel, während die Regenabschnitte zu depressiven Abstürzen führten – gegen die auch Nifens Aufheiterungsversuch durch die Bezeichnung des Regens als Flüssigsonne zu ihrer Enttäuschung keine Abhilfe schaffen konnte. So langsam machte sich die Bandmanagerin Sorgen, den diese Flüssigkeitssonnenepisode hielt nun schon fünf Tage an und allmählich wurde die Stimmung im Haus gruselig. Easy starrte ständig in den Regen hinaus, Jack dröhnte sich mit Kakao zu, Chris übte den Blues auf seiner Gitarre und Kiwi lag noch lethargischer auf ihrem Lieblingssessel als gewohnt. Selbst ich fand es langsam schwierig, wenigstens ansatzweise so etwas wie gute Laune und spritzige Ideen zu verbreiten, was bei einer Muse doch so einiges bedeutet. „Sagt mal...“, wiederholte Easy noch einmal, um diesmal fortzufahren: „Wann hat sich Chi eigentlich das letzte Mal gemeldet?“ „Weiß nicht“, kam es schließlich rund fünf Minuten später von Jack, da das musikalische Multitalent ein Einsehen mit seiner Zwillingsschwester hatte. „Das letzte Mal, als die Sonne geschienen hat?“ „Das ist ja schon eine Ewigkeit her!“ Die Frontfrau und Songwriterin der Sorglospunks war entsetzt. Flugs sauste sie zum Telefon und wählte die teuflische Nummer, die sie mit der obersten Herrin der Hölle verbinden sollte. Doch anstelle ihres Lieblingsteufels hatte sie nur den AB am Apparat. „Teuflischen Dank für Ihren Anruf. Leider sind wir derzeit nicht erreichbar, wir freuen uns jedoch, wenn Sie uns eine – möglichst sinnvolle – Nachricht hinterlassen, die keine Beschimpfungen beinhaltet. Gerne können Sie uns auch Ihre Nummer hinterlassen, dann rufen wir Sie bald zurück. Bitte sprechen Sie nach dem Kreischton.“ Als Easy auflegte, klingelten ihr noch ein wenig die Ohren, denn das mit dem Kreischton war äußerst ernst gemeint. Das nächste Mal würde sie den AB sicher nicht ausreden lassen. „Nicht da...“ Mit hängendem Kopf kam sie zurück ins Wohnzimmer. „Schon wieder nicht?“, entfuhr es mir. „Ich habe sie die letzte Woche x-mal angerufen, aber immer war nur die Mailbox dran.“ „Tja, der Teufel hat halt viel zu tun“, kam es desinteressiert von Chris, der für seine Antwort immerhin das wiederholende Gitarrenspiel von ungefähr drei depressiven Tönen unterbrach. „Schon... Aber für uns hat sie doch sonst immer Zeit.“ Jack runzelte die Stirn. „Irgendetwas stimmt da nicht.“ „Chi ist in Gefahr und wir müssen sie retten!“, entschied Easy sofort und tat das mit einem solchen Enthusiasmus, dass sich Nifen ihre ursprünglich geplante Erinnerung an die Tatsache, dass Chibichi nun einmal der Teufel war und über gewisse Fähigkeiten verfügte, aufgrund derer sie vermutlich gar nicht gerettet werden musste – am wenigsten von einer chaotischen, ständig desorientierten und viel zu sorglosen Band –, schweren Herzen verkniff. Vermutlich würde diese Aktivität wenigstens die depressiven Wolken aus dem Hause Sorglospunks vertreiben – und das war wiederum verdammt anstrebenswert. „Also, wie kommen wir in die Hölle?“, stellte Easy die naheliegendste logische Frage. „Moment. Müssen wir dort überhaupt hin?“, wandte Chris ein. Seine Begeisterung, mal eben einen Abstecher in die Hölle zu machen, hielt sich doch in äußerst engen Grenzen. „Klar. Von hier können wir doch nichts tun“, wischte Easy seine Bedenken lässig bei Seite. „Solange wir keinen Selbstmord begehen müssen, um dorthin zu kommen“, murmelte der Gitarrist leise. „Quatsch.“ Jack grinste breit. „Es gibt einen ganz einfachen Weg hinein.“ „Ach, und wie?“ „Na, durch den Notausgang!“ Ihr Grinsen wuchs noch mehr in die Breite und drohte so langsam, ihr Gesicht zu halbieren. „Genial!“ Easy hatte nur einen Sekundenbruchteil später das gleiche Grinsen drauf und erinnerte wieder einmal daran, dass Jack und sie trotz extremer charakterlicher Unterschiede äußerst eng verwandt waren und sich beinahe zum Verwechseln ähnlich sahen. „Ah, ja.“ Chris seufzte tief und fand dann doch noch ein weiteres Hindernis auf ihrem Weg in die Hölle. „Und wo soll der Notausgang rauskommen, durch den wir so genialerweise einsteigen werden?“ „Äh...“ Jetzt waren die beiden Schwestern ratlos. Dass solche Details aber auch immer Schwierigkeiten machten mussten! „Och, ich würde drum wetten, dass der direkt am WWWB-Markt rauskommt. Oder, Abranka?“, brachte sich Nifen mit ihrer unnachahmlichen Logik mit ein. „Exactement.“ Ich nickte zustimmend. Der Teufel war schließlich nicht blöd und wusste sehr genau, dass man nach der Benutzung des Notausgangs sehr wahrscheinlich in einer Situation stecken konnte, in der man einen derartig gut sortierten und günstigen Supermarkt äußerst dringend gebrauchen konnte. „Was ist mit Kiwi?“, zog Chris sein letztes Ass. Vielleicht er besser hier bleiben und aufpassen... „Kommt mit“, entschied Easy sofort und ohne nachzudenken. „Für den Teufel ist sie die beste Spürkatze, die wir uns wünschen könnten!“ Wo sie Recht hatte, hatte sie Recht, denn Kiwis Chibichi-Begeisterung war uns nur zu bekannt. Sie mochte sie immerhin fast so sehr wie ihr Futter und das bedeutete bei Kiwi doch so einiges. Und somit wurde mir das Bandmaskottchen in den Arm gedrückt, weil es mich am wenigstens behindern würde. Man wusste ja schließlich nicht, wie sich der Abstieg in die Hölle so darstellen würde... Erstaunlicherweise war der Notausgang der Hölle beim WWWB-Markt sehr schnell gefunden – das Schild „Nicht betreten! Feuergefahr!“ war aber auch wirklich eindeutig. Und so beschritten wir den Fluchtweg aus der Hölle in umgekehrter Richtung. Er war – gelinde ausgedrückt – äußerst langweilig und schlichtweg dafür ausgelegt, dass man ihn möglichst schnell hinter sich ließ. Daher gab es keinerlei Ziergegenstände, obwohl das mich persönlich bei Chibichi ja nicht gewundert hätte. Es dauerte wohl gut eine Stunde, bis wir endlich eine schwarze Tür erreichten, die derjenigen glich, durch die wir in diesen Tunnel gekommen waren. Schweigend verharrten die sonst so sorglosen Sorglospunks und ihre Managerin. „Sagt mal... hätten wir nicht eigentlich abwärts laufen müssen?“, fragte Jack auf einmal. „Der Weg war ganz eben und die Hölle liegt doch unter der Erde, oder?“ Fragende Blicke richteten sich auf mich, die deutlich sagten „Du warst doch schon mal hier“. „So einfach ist das nicht. Die Hölle hat doch neun Kreise – von denen man jeweils alle anderen Kreise erreichen kann – und für jeden gibt es unterschiedliche Zugänge. Der Hades, in den ich damals mit Orpheus gegangen bin, ist einer der Kreise und kann durch einen simplen Abstieg erreicht werden. Das muss aber nicht immer so sein. Wenn mich übrigens nicht alles täuscht, dann führt uns diese Tür in den innersten Kreis der Hölle. Lange genug waren wir dafür jedenfalls unterwegs.“ Außerdem hatte ich zwischendurch die kleinen Markierungen gesehen, die verrieten, welchen Höllenkreis man gerade durchquerte. Da jedoch außer mir hier niemand Dämonisch lesen konnte, hatte ich darauf verzichtet, auf diese Tatsache hinzuweisen. „Mhm.“ Die vier blickten erneut auf die Tür. „Tja, auffi!“ Easy lächelte und drückte die Klinke mit einem kräftigen Ruck herunter. Entgegen aller Erwartungen schlug uns keine heftige Feuerwand entgegen. Die Luft war zwar warm, aber eher auf eine angenehme Art und Weise als zu heiß. „Oh. Dann gibt es die Lavatunnel wohl in einem anderen Kreis“, stellte Jack verblüfft fest. „Ist doch gut.“ Chris grinste erleichtert. Er hatte schon mit dem Allerschlimmsten gerechnet, doch das hier war eindeutig gar nicht so heftig... „Ja, dann sterben wir nicht noch versehentlich.“ Easy grinste breit und marschierte voran. Die anderen folgten ihr etwas langsamer nach. Man musste sich ja nicht noch euphorischer in die Hölle stürzen, als sie das ohnehin schon taten. Eine felsige Höhlenlandschaft mit vielen Erhebungen, Senken und Stalagmiten lag vor uns (die Stalagtiten konnte man nicht sehen, weil die sich wahrscheinlich viel zu weit oben befanden, denn auch die Decke dieser Höhle war nicht erkannbar) und der Himmel – sofern man das über uns so nennen konnte – glühte in einem dumpfen Rot. Der Rest war relativ grau, aber hier und da gab es ein paar feurige oder wasserhaltige Springbrunnen und die eine oder andere Bepflanzung, die hier unten sogar gut gedieh. Alles sah hier reichlich bürokratisch aus – also waren wir vermutlich genau in der bürokratischen Zentrale der Hölle gelandet. So langsam begriff ich auch die Existenz des Notausgangs hier. Denn so, wie ich Chibichi kannte, war das letzte, womit sie sich gerne befasste, irgendein langweiliger Verwaltungskram. Vermutlich musste man sie überraschen oder überwältigen, damit sie diesen Aufgaben nachkam und selbst dann war sie wahrscheinlich gleich auf dem Sprung zur Flucht... Und dann brauchte man natürlich einen WWWB-Markt in der Nähe des Ausgangs, um Nervennahrung zu tanken. War ja nur logisch. Und allmählich keimte in mir ein Verdacht, wo die oberste Herrscherin der Unterwelt wohl stecken mochte. „Mal ehrlich, dieser Teil der Hölle ist voll langweilig“, moserte Jack schließlich, während wir einem geschwungenen Pfad durch das langweilige und nichtssagende Panorama folgten. Wie zur Widerlegung ihrer Worte trafen wir hinter der nächsten Biegung auf einen... Teufel. (mit Betonung auf einen – den Teufel kannten wir ja bereits) Die Hörner und die Zügenfüße sowie die rote Haut waren dafür ein ziemlich gutes Zeichen. Und dieser rothäutige Höllenbewohner war nicht alleine, sondern stand neben einem Mann, der – nur mit einem Lendenschurz und dicken Wollsocken bekleidet – an einen Felsen gekettet war. Auf der Spitze dieses Fels hockte ein Adler und schielte zu den beiden herunter. „Findest du es nicht auch faszinierend, dass ihm Leber noch schmeckt? Mir würde sie schon längst zu den Ohren wieder rauskommen“, sagte der angekettete Mann. „So wie jedem anderen deine Sprüche“, gab der Wächter, denn um einen solchen handelte es sich wohl, zurück. „Hey, ich habe nun einmal kaum eine andere Beschäftigung, als über diesen verdammten Adler zu schimpfen! Zufälligerweise bin ich festgekettet...“ „Jetzt schieb deine mangelnde Einbildungskraft und Fantasie ruhig auf die Umstände und mach es dir damit leicht!“ Easy wollte die beiden Streithähne gerade unterbrechen, doch Nifen hielt sie davon ab. „Wer weiß, ob wir hier so willkommen sind. Lass uns lieber schnell vorbeigehen.“ Gesagt, getan. Erst als wie die beiden weit hinter uns gelassen hatten und die Worte „Verdammt, ich wünschte, du würdest noch mal nach Socken jammern! Das war wenigstens unterhaltsam!“ hinter ihnen verklangen, wagte Easy ihre Frage zu stellen: „Wer war das denn? Und was hat er für diese Strafe angestellt?“ „Das ist Prometheus“, erklärte ihr die Bandmanagerin wie aus der Pistole geschossen. „Er hat den Göttern das Feuer gestohlen und es zu den Menschen gebracht. Tja, und dafür hat Zeus ihn an einen Felsen ketten lassen, wohin jeden Tag ein Adler kommt und ein Stück von Prometheus’ Leber frisst.“ „Ist ja bäh!“ Easy schüttelte sich. „Und grausam!“, fügte Chris hinzu, dem nun wieder mulmig wurde. „Kinder, ihr redet von einem Gott. Die denken nun einmal nicht wie Menschen.“ Ich schüttelte den Kopf. „Außerdem solltet ihr nicht vergessen, dass Chibichi nun einmal der Teufel ist und diese Tatsache einige gewisse Aufgaben und Verpflichtungen mit sich bringt...“ Dankenswerterweise wurde dieses Thema danach nicht erneut angeschnitten. Allerdings war klar, dass sich die Sorglospunks definitiv vornahmen, niemals zur Bestrafungszwecken in der Hölle zu landen. Weiter ging es. Mittlerweile trafen wir häufiger diese seltsamen Paare aus Bestraften beziehungsweise Folteropfern und Wächtern. Einer, bei dem wir natürlich vollkommen fasziniert eine Zwischenstation einlegten, war Sisyphos, denn diesem entglitt – gerade als wir vorbeigingen – der Stein, den er mühsam den Hang hochgewälzt hatte, einen halben Meter vor der Spitze und donnerte mit Getöse herab. „Verdammt! Das war schon wieder die falsche Technik!“, fluchte er hingebungsvoll, während sein teuflischer Bewacher mitleidig lächelte. „Was ein Mist.“ Easy schüttelte den Kopf. „Er war so kurz davor...“ Leise flüsterte Nifen ihr den mythologischen Hintergrund dieser Geschichte ins Ohr. Dass Sisyphos die Götter ein wenig zu häufig herausgefordert und gelinkt hatte und zur Strafe jetzt diesen Felsen den Hang emporwälzen musste – nur, damit dieser kurz vor dem Gipfel wieder herunterrollte. „Oh.“ Easy schaute Sisyphos zu, der nun am Fuße der Steigung eine Verschnaufpause einlegte und leise mit sich selbst sprach. Dann sah er auf und bemerkte uns. „Und das passiert mir auch noch vor Zuschauern – wie ärgerlich!“, rief er aus. Sofort drehte sich der gehörnte Wächter um und schaute uns an. An dieser Stelle sei erwähnt, dass ich von mythologischen Entitäten aller Art natürlich gesehen werden kann, sodass auch mir dieser stechende und äußerst prüfende Blick nicht erspart blieb. „Wer seid ihr und was habt ihr hier zu suchen?“, fuhr er uns an. Nifen legte Easy geistesgegenwärtig die Hand auf den Mund und hinderte sie somit daran, unser Vorhaben auszuplaudern. Das war wahrscheinlich auch besser so. Stattdessen ergriff ich das Wort. „Oh, wir gehören zu der Touristengruppe, die heute Kreis vier besucht. Sie wissen ja von dem Projekt ‚Austausch der Kulturen’, nicht wahr? Nun und bedauerlicherweise wurden wir wegen der Katze von unserer Gruppe getrennt und haben uns verlaufen. Wenn Sie uns vielleicht...“ „Da lang“, wurde ich rüde unterbrochen, während der Wächter seine schwefelgelben Augen verdrehte und in eine bestimmte Richtung wies. „Bis zu dem Aufzug mit der großen Vier drauf. Ich sag aber noch den Furien Bescheid, dass es schon wieder Ärger gibt.“ Damit war für ihn die Sache erledigt. Er wandte sich um und zog sein mobiles Höllophon aus der Tasche. „Los, bewegt euch!“, zischte ich meinen vier Freunden zu und sauste voraus. Genau bis hinter die nächste Biegung blieben wir auf dem Weg, den uns der Höllenbewohner gezeigt hatte, dann zweigten wir ab und hielten auf die nächstliegenden großen Gebäude zu. „Was ist denn?“, fragte Jack verwirrt. Sie erhielt die Antwort in Form eines lauten Aufschreis. „WIE? DAS TOURISTENPROJEKT WURDE EINGESTELLT? WARUM SAGT SOWAS EINEM DENN HIER NIE JEMAND?“ „Deswegen“, fügte ich trocken hinzu. „Seit rund 1.000 Jahren gibt es die Touristenbesuche und das Kulturaustauschprogramm nicht mehr. Es gab da so ein paar üble Zwischenfälle...“ „Aber...“ Chris war verwirrt. „Je größer ein Unternehmen, desto schlechter die Kommunikation“, erwiderte ich grinsend. „Allerdings haben wir mit den Furien jetzt wirklich ein großes Problem.“ „Wieso?“ Easy zog die Stirn kraus, während ich ihr knapp die Sache mit den Furien erläuterte. Sie waren Teil der Unterwelt und hier so etwas wie die Spezialpolizei. Die drei Furien Alekto, Megaira und Tisiphone zeichneten sich vor allem dadurch aus, ihre Opfer niemals aus den Augen zu verlieren und ihnen auf der Spur zu bleiben, bis sie sie gefunden hatten. Außerdem waren sie äußerst sadistisch veranlagt und neigten dazu, ihre Gefangenen äußerst schnell und effektiv in den Wahnsinn zu treiben. Mindestens. „Oh.“ Die vier sahen mich perplex an. „So ist das. Und wenn die drei rauskriegen, dass ihr noch lebendig seid, dann wird es wirklich unangenehm. Also ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, dass uns Kiwi mal ihre Spürkatzeneigenschaften vorführt.“ Damit nahm ich die dösende Katze von meinem Schoß und setzte sie auf den Boden. Ein vorwurfsvoller Blick traf mich, der äußerst deutlich zum Ausdruck brachte, dass Kiwi gar nichts davon hielt, a) gestört worden zu sein und b) jetzt irgendetwas tun zu sollen. „Los, such Chibichi“, forderte ich sie auf. Keine Reaktion. „Komm schon, Bommel, wo ist Chi?“, half Easy nach. Wieder null Reaktion. „Ich zieh dir das Fell über die Ohren!“, brüllte Chris, der jetzt wirklich Panik schob. Die Aussicht auf die Begegnung mit drei waschechten Furien ließ in ihm alle Angst und jegliche Bedenken, die er bereits vor dem Antritt dieses Abenteuers gehegt hatte, wieder hochkommen. Doch Kiwi leckte sich nur in Ruhe die rechte Vorderpfote sauber. Jack sah hilfesuchend zu Nifen, die sich jetzt vorbeugte und der Katze etwas ins Ohr flüsterte. Nur einen halben Atemzug später marschierte Kiwi mit hochaufgerichtetem Schwantz los – und wir fünf hinterher. „Was hast du ihr gesagt?“, fragte Easy neugierig. „Betriebsgeheimnis“, erwiderte Nifen geheimnisvoll und legte zur Bekräftigung den Finger an die Lippen. Ich nahm mir fest vor, Nifen bei Gelegenheit darüber auszuhorchen, doch im Moment war für uns einfach nur wichtig, dass es Kiwi gelang, Chibichi ausfindig zu machen – und zwar am besten bevor uns wiederum die Furien aufspürten. Unser hektischer Weg führte uns sehr direkt auf das größte der grauen Gebäude zu. Hier nahm hier die Höllenbewohnerdicht sprunghaft zu, sodass uns allmählich wirklich mulmig wurde. Nun, aber Kiwi kannte garantiert den Weg, es gab vermutlich keinen anderen und daher hatten wir keine andere Wahl, als uns in das rothäutige und gehörnte Getümmel zu stürzen. Zwar drehten sich einige der grau gekleideten Bürokratenteufel zu uns um, aber niemand versuchte, uns aufzuhalten. Das wirklich Beamtenmentalität in Reinkultur: etwas sehen, aber nicht handeln, da keine entsprechende Anweisung vorliegt. Vor einem riesigen Gebäude mit einer gigantischen rotverglasten Drehtür blieb Kiwi stehen und maunzte nachdrücklich. Dort mussten wir also rein. Neugierig spähten wir durch das rote Glas. Eine große Empfangshalle lag dahinter, in der sich ungefähr eine Handvoll höllischer Besucher befanden. An sich kein Problem. War nur die Frage, wie wir an der tentakelhaarigen Empfangsdame vorbeikamen, die diese Halle beherrschte. Und wer solche Personen kennt, weiß, dass – egal, wo sie sich befinden, ob auf dem Olymp, an der Himmelspforte oder in einer schnöden menschlichen Behörde – man nie unbefugt eintreten kann. „Ich hab eine Idee“, verkündete Jack. „Was auch immer passiert: Rennt hinter mir her.“ Damit schob sie Kiwi in die Tür und folgte ihr, während wir uns wiederum an Jacks Fersen hängten. Wir hatten zwar keine Ahnung, was sie vorhatte, aber ein sorgloser Plan kam uns gerade recht. Wie erwartet sah der tentakelige Empfangsdrachen sofort auf, als wir reinkamen. „TSEK!“, brüllte Jack. „Die Katze hat eine Weihwasserbombe gefressen!“ Und während wir äußerst ungestört Kiwi hinterher rennen konnten, brach in der Empfangshalle das nackte Chaos aus und sie leerte sich schlagartig. Vermutlich hatte keiner der Anwesenden Lust, uns bei unserer lebensgefährlichen Aufgabe Gesellschaft zu leisten. „TSEK?“, fragte Easy mit riesigem Respekt vor diesem genialen Einfall ihres Zwillings. „Teuflisches Sondereinsatzkommando. Mir fiel nichts Besseres ein.“ Jack lachte. „Oh, Mist!“ Chris hatte einen Blick hinter uns geworfen und dort drei Frauengestalten in togaähnlichen Gewändern ausgemacht, die uns a) verfolgten und deren Gesichter b) furchteinflößend verzerrt waren. „Die Furien!“ Glücklicherweise prallten wir in diesem Augenblick mit der sich öffnenden Tür eines Sitzungssaals zusammen. Was daran glücklich ist? Heraus kam niemand Geringeres als die oberste Herrscherin der Hölle höchstpersönlich: Chibichi. „Chi, halt uns die Furien vom Leib!“, jammerte Easy sofort und sprang hinter ihrem Lieblingsteufel in Deckung. Wir anderen taten es ihr gleich, während Kiwi triumphierend um Chibichis Beine strich. „Das ist nicht eure Beute!“, sagte der Teufel hoheitsvoll, als die Furien sie erreicht hatten und geifernd ihre Hände nach uns ausstreckten. An sich waren sie ja sogar recht hübsch, aber der Wahnsinn entstellte ihre Gesichter völlig. Als auf ihre Worte keine Reaktion folgte, schlug Chibichi Megaira wuchtig auf die Finger. „Pfoten weg, sonst setzt’s was! Und jetzt verzieht euch!“ „Unsssersss...“, kam es trotzig von der geschlagenen Furie. Irgendwie war das ja doch etwas unheimlich, dass sie sich von ihrem Boss nichts sagen lassen wollte. „Meins!“, donnerte Chibichi zurück und ließ ihre eindrucksvolle Teufelsstimme von den Wänden widerhallen. Zischend, fauchend und seltsam tänzelnd zogen sich die drei Furien zurück. Uns allen entwich ein erleichtertes Aufseufzen. Wir waren entkommen! „Wundert euch nicht, wenn die Biester noch mal Ärger machen. So schnell geben die nicht auf. Klasse Spürhunde, aber wissen nie, wann sie aufhören sollen. Ruft mich sofort an, wenn’s Probleme gibt, klar?“, instruierte uns Chibichi, ehe sie schließlich das zum Ausdruck brachte, was sie wohl schon längst gedacht haben musste. „Was zur Hölle macht ihr eigentlich hier?“ „Wir wollten dich retten...“, kam es kleinlaut von Easy, der ihre erst geniale Idee jetzt so richtig bescheuert vorkam. „Aha.“ Verwirrt sah Chibichi von Jack und Chris zu Nifen und mir. Und während Nifen ihr die genauen Umstände dieser Idee erklärte, nahm sie Kiwi auf den Arm und kraulte sie liebevoll. Als die Sorglospunks-Managerin schließlich geendet hatte, musste Chibichi schließlich lachen. „Ihr seid verrückt. Liebenswert, aber verrückt.“ „Lass mich raten: Du konntest dich nicht länger vor Verwaltungszeug drücken?“, trumpfte ich auf und servierte allen die Überlegung, die längst in mir gereift war. Der Teufel lachte. „So in etwa. Und wir mussten noch etwas bei der Modernisierung der Seeleneintreiberei klären. Politiker sind ja ein guter Fokus, aber Stars und Sternchen muss man dringend mehr berücksichtigen. Aber erklär das mal diesen verknöcherten Beamtengehirnen.“ Sie verdrehte die Augen. „Logisch, dass die Sitzung ewig gedauert hat, oder?“ Und ihr Blick fügte noch unterschwellig hinzu, dass sie es sehr bedauerte, diese Kerle nicht einfach ins Höllenfeuern werfen und dort vergessen zu können. Selbst solch ein Unternehmen wie die Hölle brauchte eben einen Verwaltungsapparat. Da half alles nichts. „Aaaaaber, wenn ihr schon mal hier seit, kann ich euch erst einmal alles zeigen. Und dann könntet ihr ein kleines Konzert vor den Schülern der höllischen Akademien geben. Die müssen dringend mal wieder etwas Vernünftiges hören!“ Gesagt, getan. Nach der Höllentour betraten wir eine Bühne, die mitten im coolen sechsten Höllenkreis aufgebaut war. Hier war es sommerlich heiß und die Gegend erinnerte mich persönlich an das alte Griechenland. Vermutlich waren hier auch die Foltermethoden derart klassisch. Höllenpferde, die Körper auseinander rissen, die dummerweise vergessen hatten, dass sie gar keinen Schmerz mehr empfinden mussten, weil sie ja tot waren... Vor uns breitete sich ein Amphitheater voller junger Teufel und Dämonen aus, die gespannt auf unsere Show warteten. Kiwi hatte im Publikum sogar den Dämonenkater erspäht, der ihr vor einer ganzen Weile im WWWB-Markt begegnet war und überlegte, ob es sich lohnen würde, diese Bekanntschaft zu erneuern. Vielleicht konnte er ihr ja noch mal in Sachen Futterschwierigkeiten weiterhelfen... Müßig zu erwähnen, dass der Auftritt ein voller Erfolg war, oder? Den krönenden Abschluss bildete übrigens der neue Höllensong: „Für den Teufel, ja, für den Teufel, da gehen wir auch kopfüber in die Hölle!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)