100% Sorglospunks! von abranka ================================================================================ Kapitel 20: Wenn Sorglospunks Fußball spielen --------------------------------------------- „Schaut mal! Ganz in der Nähe findet ein Amateurfußballturnier statt! Für kleine Teams! Und die dürfen sogar gemischt sein!“ Ich hielt die Zeitung der wohl sorglosesten Band des Universums unter die Nase. „Ah, und?“ Chris blickte desinteressiert von seinem Schokomüsli auf. Als wenn die derzeitige Fußballfanausstattung meiner musischen Wolke kein Wink mit dem Zaunpfahl gewesen wäre. Die EM fand schließlich in noch nicht einmal mehr 70 Tagen statt und man – Muse! – musste schließlich rechtzeitig vorbereitet sein. „Oh nein! Verschone uns!“, stöhnte Jack auf, die so langsam genug von der gewissen Fußballverrücktheit einer bestimmten Bandmuse hatte. „Es ist kein Problem, dass wir dauernd Fußball schauen. Und auch keins, dass du nur noch davon redest. Aber wir werden mit Sicherheit nicht anfangen zu spielen!“ Das musikalische Multitalent der Band blickte zu Easy hinüber. Diese druckste äußerst offensichtlich herum und antwortete ihrer Zwillingsschwester schließlich nach einem äußerst auffordernden Blick: „Na ja... Aber es gibt einen Pokal zu gewinnen und damit können wir schon mal das Jubeln und die Danksagung für die Grammy-Verleihung üben.“ Ihr entging, dass die Bandmanagerin Nifen angesichts dieser äußerst niedlich-optimistischen Zukunftsplanung grinsen musste. Nicht, dass irgendjemand von Band und Crew Zweifel an Talent, Potenzial und zukünftigem Erfolg der Sorglospunks hatte, aber dieser schien nun einmal nicht direkt und sofort vor der Tür zu stehen. „Abgesehen davon...“, fuhr die Frontfrau der Band langsam fort, „fürchte ich, dass wir sonst mit einem musischen Streik rechnen dürfen.“ „Oh.“ Es ist ein faszinierendes Geräusch, wenn drei Menschen gleichzeitig – in diesem Fall Chris, Jack und Nifen – diesen Ton von sich geben. Noch interessanter wird es, wenn sich daraufhin drei Augenpaare auf einen richten und man darin Erkenntnis und ein übergroßes „Oh, verdammt!“ lesen kann. Es ist ja nicht so, als wenn ich meine Bedeutung für die Band jemals ausnutzen würde. Normalerweise bin ich ja immer für allen Unsinn zu haben und gerne auch der kreative Antriebsmotor, aber in diesem Fall durfte auch ich, eine ausgebildete Muse vom Olymp, mal stur sein und meinen eigenen Kopf haben. Näher würde ich doch sonst wahrscheinlich nie an das echte Spielgeschehen kommen... „Okay... Dann sehen wir das als besondere Promotionaktion“, entschied Nifen. Natürlich behielt sie immer den Überblick und erkannte auch den Nutzen in den absurdesten Dingen. „Wie viele Leute brauchen wir? Fünf?“ Easy schielte auf den Artikel. „Ein Maskottchen haben wir schon!“, trug Chris bei und wurde sofort von Jack ergänzt: „Und Trikots auch! Wir nehmen einfach unsere Fan-Shirts!“ Nifen nickte und notierte das gewissenhaft auf ihrem Das-ist-wichtig-Block. „Und die Mannschaft... Jack, Chris, ich... Du, Nifen, und Chibichi, und dann…” „Oh nein, Easy.“ Nifen schüttelte entschieden den Kopf. „Ich werde mit Sicherheit nicht mit euch auf dem Platz stehen. Erstens gucke ich Fußball allenfalls mal mit euch zusammen, kann mich aber nicht gerade dafür begeistern, zweitens kenne ich mich mit Fußball absolut nicht aus und drittens werden mich keine zehn Pferde dazu bringen, mich vor Publikum mit so was wie Fußball zum Affen zu machen!“ Als sie Easy äußerst nachdenklichen Blick sah, fügte sie noch deutlicher hinzu: „Und hör auf nachzudenken, wo du zehn Pferde herbekommst! Auch keine hundert Pferde, Kiwis, Dämonen, Weihnachtswichtel oder sonst was bringen mich dazu! Vergiss es, Easy!“ Die Sängerin zog einen Schmollmund und nickte dann betrübt. „Okay, wir brauchen also noch zwei Spieler“, nahm Jack das Ruder in die Hand. „Abranka scheidet als meistens unsichtbare Entität leider aus...“ – was mir ein Seufzen entlockte, aber so war es nun einmal; natürlich hätte ich als unsichtbare Kraft mitmischen und das Spiel beeinflussen können, aber das war nicht fair und wir Musen waren durch unseren Berufsethos doch zu einer gewissen Mindestmoral verpflichtet – „...bleiben also noch LennStar und Chibichi. Chris, klopf mal an die Tonne und frag nach. Easy, du klingelst Chibichi an!“ Augenblicklich spritzten die beiden Sorglospunks davon, allerdings nur, um keine fünf Minuten später reichlich bedröppelt zurückzukommen. „Und?“ Erwartungsvoll sahen Jack und Nifen die beiden an, obwohl sie schon das Schlimmste ahnten. „Keine Chance“, begann Easy. „Chi steckt gerade in irgendwelchen höllischen Problemen. Sie könnte uns zwar den einen oder anderen Fußballprofi organisieren, der ihr seine Seele für den sportlichen Erfolg und eine Extraladung Eingebung verkauft hat, aber das ist ja ein Amateurturnier und wir sollten im Mittelpunkt stehen und nicht irgendwer sonst.“ Mein entsetztes Aufstöhnen angesichts dieser vergebenen Chance, solchen Stars doch einmal nahezukommen, ignorierte sie gnadenlos. Jack und Nifen nickten und brachten damit stumm ihr Lob zum Ausdruck, dass sich Easy nicht zu Unsinn hatte hinreißen lassen (auch wenn ihr das angesichts einer gewissen Begeisterung für Timo Hildebrand sicher nicht leicht gefallen war). Weder sollte die Band das Rampenlicht teilen, noch wegen dem Anschleppen von Profis disqualifiziert werden. „Und Lenn?“, fragte Nifen hoffnungsvoll. „Ist auf einem Philosophenkongress in Athen. Hat nen Zettel dagelassen.“ Chris hielt besagte Notiz, auf der diese Worte noch durch den Hinweis ergänzt wurden, dass er sich für den Mangel an Verabschiedung entschuldigte, aber der Kongress kurzfristig angesetzt worden sei, er um fünf Uhr morgens aufbrechen müsse und niemanden wecken wollte. „Na ja, außerdem hätte ihn seine Bettlakentoga sicher dabei behindert, über den Platz zu rennen...“ Der Gitarrist ließ unausgesprochen, dass er sich den bandeigenen Philosophen auch nicht so recht in einem anderen Outfit als besagter Toga vorstellen konnte. Uns anderen erging es sehr ähnlich, daher kommentierten wir das nicht weiter. „Okay...“ Nifen legte die Stirn in Falten. „Wenn euch sonst niemand mehr einfällt, müssen wir das Projekt eben begraben... Schade aber auch.“ Mittlerweile hatte sie entweder doch Gefallen an einem Fußballauftritt der imaginärsten besten Band der Welt gefunden oder sie wollte diese Möglichkeit, den Bekanntheitsgrad der Band zu mehren, noch nicht einfach so aufgeben. „Vielleicht doch die Profis...“, warf ich hoffnungsvoll ein und dachte dabei an einen ganz bestimmten, doch ich wurde erneut ignoriert. Ich war ja versucht zu schmollen, aber immerhin versuchten die vier meine Idee von der Turnierteilnahme umzusetzen, also konnte ich ihnen wiederum gar nicht böse sein. Daher verlegte ich mich darauf, mit den Beinen zu baumeln und abzuwarten, was ihnen einfallen würde. Zwei Stunden lang fiel ihnen nur dummerweise gar nichts ein und das Turnier fand immerhin schon Übermorgen statt. Was also nun? „Kommt, lasst uns heute das Mittagessen bestellen“, sagte Chris schließlich, als sein Magen vernehmlich in die nachdenkliche Stille knurrte. „Haben doch noch genug Reserven von dem Fasching-Auftritt.“ „Kochen nach Zahlen heute also!“ Easy strahlte, hieß das doch, dass sie wenigstens nicht in die Küche abkommandiert werden konnte. „Ich nehm das Hühnchen!“, verkündete Jack sofort, ohne auch nur einen Blick in die Karte des bandeigenen Lieblingsitalieners geworfen zu haben. Selbstverständlich kannten sie diese alle auswendig. „Das ist es!“ Easy sprang auf und stürzte zum Telefon. „Hä, willst du auch Hühnchen?“ Chris checkte gar nichts, während Jack und Nifen grinsen mussten. Sie beide konnten Easys verdrehte Gedankengänge meistens weitaus besser nachvollziehen, auch wenn sie das manchmal ein wenig erschreckend fanden. „Denkst du auch an zwei überdimensionale Plüschküken?“, fragte Jack Nifen mit einem äußerst breiten Grinsen. „Exactement.“ Die Managerin strahlte zurück. „Sie sind dabei!“ Easys Jubelschrei schallte durch das ganze Haus und riss selbst Kiwi aus den wohlverdienten Katzenträumen, aufgrund derer sie die ersten Entscheidungen hinsichtlich ihrer Karriere als Fußballmaskottchen verpasst hatte. Verschlafen tapste sie aus Chris’ Zimmer, wo sie sein Kopfkissen schlafenderweise eingehaart hatte und landete in Easys Fängen. Schlagartig wurde sie hochgerissen und mit ausgiebigen Knuddeleinheiten bedacht. „Bommel, wir werden ein Fußballturnier gewinnen!“ Zwei Tage später, nachdem die Meldung für die Turnierteilnahme gerade erledigt war und das Turniergelände vor ihnen lag, war Easy die einzige, die noch mit Optimismus an dem Glauben an den Erfolg festhielt. Jack und Chris wollten sich nur noch möglichst wenig blamieren und Nifen hoffte, dass ihr Team lange genug mithielt, damit sich wenigstens einige Leute die Internetadresse auf den T-Shirts merken konnten und neugierig darauf wurden. Die Trikots hatten aufgrund der Teammitgliedschaft von Chuck & Chuck modifiziert werden müssen. Auf der Vorderseite prangten die beiden Bandsymbole nebeneinander, während sich auf der Rückseite die beiden Bandnamen und die Internetadressen den Platz teilen mussten. Das sah nicht ganz so optimal aus, war aber das Beste, was sie in der kurzen Zeit hatten zustande bringen können. Und angesichts dessen, was hier so einige andere Teams trugen, mussten sie sich nun wirklich nicht verstecken. Jack argwöhnte ja, dass sogar die Kükenkostüme von Chuck & Chuck hier nicht aufgefallen wären, aber darauf hatten die beiden zugunsten von Beweglichkeit auf dem Platz und besserer Spieleffizienz verzichtet. Chuck eins und Chuck zwei von der auf Durchbruch hoffenden Countryband mit den wohl schrägsten Kostümen der Welt strahlten eine positive Gelassenheit aus und verkündeten jedem, der es hören – oder auch nicht hören – wollte, dass sie ihr Bestes geben würden und Dabei sein doch sowieso alles sei. Das Procedere des Turniers war recht einfach: K.O.-Spiele gegeneinander, fünf Runden bis zum Finale mit einer Spieldauer von jeweils zwanzig Minuten, parallele Spiele, damit sich das nicht alles ewig hinzog und keiner ausgeruhter als die anderen in die nächste Runde ging. Dazwischen waren natürlich Pausen eingeplant. Ähnlich wie beim Hallenfußball war ein relativ kleines Stück Rasen mit einer Bande umzäunt worden. Der Ball würde also meist abprallen und nur bei hohen Schüssen ins Aus gehen. So langsam fragte ich mich, wo ich die Band da eigentlich reingeritten hatte. Klar, Fußball war und ist toll und wird das auch immer sein. Aber ein Amateurturnier mit lauter verbissenen Verrückten? Das hatte ich den Sorglospunks dann doch nicht antun wollen. Aber jetzt waren wir hier und hatten das durchzustehen. Klammheimlich zückte ich jedoch mein überirdisches Handy und machte einen kurzen Anruf. Manche Dinge musste man ja doch nicht vollkommen in einer Katastrophe enden lassen. „Wir spielen als erstes gegen die Tiger von Stuttgart!“, verkündete Easy aufgeregt. Ich musterte die Tiger kurz. Riesige männliche Schränke, die in ihrer Freizeit wohl alle Bodybuilding als Hobby besaßen und echt im Tigermusterlook antraten. Himmel! Wir konnten froh sein, wenn wir die erste Runde überlebten! Jack zitterte nach dem Anblick der Tiger sogar leicht, als sie in ihr Tor ging. Easy und Chuck eins würden stürmen, während Chris und Chuck zwei die Verteidigung übernahmen. Nach den Erfahrungen im Training – gegen einige Jungs aus dem benachbarten Sportverein, die seit einem gewissen Jugendfußballturnier bekennende Jack-Fans waren – bedeutete das, dass auf dem Platz heilloses Chaos herrschte und sich Jack hinten im Tor die Seele aus dem Leib brüllte. Ich hoffte nur, dass das gut ging und diese Megatiger sie nicht einfach überrannten. Nifens Gesicht drückte Ähnliches aus und die Kraft, mit der sie eine verwirrte Kiwi an sich presste, verriet alles Weitere über ihre Nervosität und Unruhe. „Auffi!“, brüllte Easy den wohl uncoolsten Kampfschrei der Weltgeschichte und rannte furchtlos los. Chuck eins blieb tapfer neben ihr, auch wenn in seinen Augen eine gewisse Angst stand. Aber gegenüber einer Frau wie Easy konnte er diese natürlich nicht zeigen. Ihr gelang es wirklich, einem Tiger den Ball abzunehmen und in einer bananenartigen Kurve ins Tor zu hämmern. „Eins zu null für die Chuck-Sorglospunks!“, hieß es damit. Und das musikalischste Team des Turniers legte los. Die Tiger entpuppten sich als reichlich zahnlos und unbeweglich. Somit hatten die beiden Wirbelwinde Easy und Chuck eins kein Problem, ihnen den Ball abzunehmen und sie auszuspielen. Und nachdem Chris und Chuck zwei ihren anfänglichen Respekt überwunden hatten, mischten auch sie kräftig mit. Jack fing sogar irgendwann an, sich hinten im Tor zu langweilen, weil kaum ein Schuss in ihrer Nähe kam. Sie schien aber dennoch das chaotische Treiben ihrer Mannschaft zu genießen. „Puh!“ Nifen stieß erleichtert die Luft aus, als die Chuck-Sorglospunks mit 5:0 gewonnen hatten. Mir ging es ähnlich. „Puh“ brachte alles ziemlich gut zum Ausdruck. Die anderen Spiele wurden ebenfalls abgepfiffen, dann gab es eine kurze Pause und in der Zwischenzeit konnte man schon mal zu dem neuen Gegner hinüberschielen. Es waren... Zylinderträger. Anders konnte man diese Mannschaft kaum nennen. Eine Horde Männer, die schwarze Zylinder auf dem Kopf trugen, dazu weiße kurze Hemden und schwarze Hosen sowie weiße Socken und wiederum schwarze Schuhe. Sogar an eine kleine Fliege hatten sie alle gedacht! Passenderweise nannten sie sich Gentlemen. „Bin ja mal gespannt...“, murmelte ich leise und sah Nifen nur nicken. Unsere drei Sorglospunks und die zwei Chuck-Hähne schienen die ganze Sache jedoch eher locker zu nehmen. Wenn sie einen Haufen Bodybuilder hatten erledigen können, dann würden sie auch bei einigen komischen Zylinderkerlen nicht kuschen! Direkt nach dem Anpfiff zeigte sich, dass das eine gute Idee gewesen war. Denn diese Gentlemen waren auch welche – sie winkten Easy regelrecht zum Tor hindurch und ließen ihr freie Bahn. Chuck eins und zwei sowie Chris bekamen kein Bein gegen sie auf die Beine. Die Jungs wurden hart angegangen – nach bester englischer Fußballmanier. Da sich die feinen britisch angehauchten Herren das Gleiche jedoch nicht mit den beiden Frauen im Team trauten, hieß es, dass a) Jacks Kasten blitzeblank blieb, weil niemand ernsthaft darauf schoss und b) Easy die Torjägerliste innerhalb weniger Minuten mit fünf Toren Vorsprung anführte. Ein leichter Sieg. Sehr leicht. Aber wenn man ein Sorglospunk ist, dann darf das Leben schließlich auch mal so spielen! Nächste Runde. Mittlerweile waren Nifen und ich – und vermutlich auch Kiwi, wirklich sicher bin ich mir aber nicht, da ich kein Kätzisch spreche und allenfalls ihre Körpersprache deuten kann – von dem Geschehen fasziniert. Offenbar hatte man hier ganz tief in das Kuriositätenkabinett gegriffen. Im Viertelfinale standen sie nämlich nichts anderem gegenüber als einer Horde Clowns! Ich schüttelte noch immer den Kopf über derart viele Musen auf Abwegen, während Nifen mit den Schultern zuckte. „Sieh es so: Mit den Schuhen ist es ein Wunder, dass sie so weit gekommen sind. Damit treten die nämlich keinen Ball. Ich wette, die haben nur gewonnen, weil sich ihre Gegner fußballunfähig gelacht haben.“ Diese Analyse war äußerst treffend, zeigte sich doch schon nach den ersten clownschen Ballkontakten, dass Easy für diese Art des Lachens äußerst anfällig war. Die Frontfrau katapultierte sich somit lachenderweise ins fußballerische Aus, während Chris und Chuck eins ihr Bestes taten. Chuck zwei litt dummerweise an chronischer Angst vor Clowns und versuchte ständig soviel Abstand wie nur möglich zwischen die bunten Gestalten und sich zu bringen. Nun, es sorgte nicht unbedingt für ein konzentriertes Spiel, wenn die Gegenspieler dauernd stolpernd durch die Gegend taumelten und der eigene Mitspieler kreischend quer über das Spielfeld schoss und nur artig innerhalb der Umgrenzung blieb, weil Jack ihm irgendetwas Grausames – und äußerst Fantasievolles – angedroht hatte. Das Ende vom Lied – oder eher Lachen – war ein knapper 2:1-Sieg, der allein Chris’ genialem Ich-stolpere-über-einen-überdimensionalen-Clownschuh-reiße-dem-Gegenspieler-die- Hose-runter-erwische-den-Ball-im-Fallen-irgendwie-und-haue-ihn-mitsamt-meinem- Schuh-ins-Tor-weil-der-Torwart-vor-Lachen-keine-Luft-mehr-bekommt-Tor zu verdanken war. Damit hatte er sich mindestens einen Preis für das absurdeste Tor der Fußballgeschichte verdient – dummerweise hatte es natürlich niemand gefilmt, sodass ihm noch nicht einmal ein Platz in der Klick-Hitliste von Youtube geschenkt werden konnte. Das Leben war manchmal aber auch ungerecht. Halbfinale. Mal ehrlich: Mein Anruf beim besten Teufel der Unterwelt musste wirklich Wunder gewirkt haben, dann so weit hätte niemand von uns diesen zusammengewürfelten Haufen dem Feld kommen sehen. Das Problem war, dass ich auch nicht viel tun konnte. Oh, Ideenfunken schicken, ja. Nur, wie würde deren Umsetzung aussehen? Entsprechend hielt ich mich zurück. Die drei Sorglospunks schlugen sich ja auch so wirklich gut und die beiden Countryküken taten das Ihrige. Mehr konnte man wirklich nicht erwarten. Außerdem hatte ich nicht umsonst um teuflische Unterstützung gebeten. Und jetzt... Jetzt standen ihnen die chinesischen Drachen gegenüber – und das war kein Scherz. Diese chinesischen Amazonen traten im kurzen kimonoartigen Oberteil mit schwarzen Hosen – die beide sicher auch irgendeinen Fachbegriff hatten, der mir jedoch als europäisch geprägter Muse natürlich nicht einfiel – an. Ein großer Drache prangte auf Vorder- und Rückseite des Oberteils. Sie sahen sehr, sehr, sehr gefährlich aus. Ich musste nur unsere Spieler ansehen, um zu wissen, dass sie wirklich unruhig wurden und doch so etwas wie Angst bekamen. Bodybuilder – kein Problem. Zylinderkerle – kein Problem. Clowns – kein Problem. Aber hier und jetzt, bei den aggressiven Gesichten und dem Wissen um diverse Hongkong-Filme, wurde es auch der sorglosesten Band der Welt mulmig zumute. „Abranka... Ich hab Schiss...“, murmelte Easy mir regelrecht zur Bestätigung zu. Tja, was sollte ich dazu groß sagen? „Kann ich verstehen, das hätte ich an deiner Stelle auch“, erschien mir nicht gerade eine motivierende und Mut machende Antwort zu sein. Also sagte ich nur: „Easy, ihr seid die beste imaginärste Band der Welt, wer könnte euch schon schlagen? Vergiss nicht, ihr habt den Teufel auf eurer Seite.“ „Chi ist hier?“ Braune Augen strahlten mich an. Ich hatte unseren wohl mächtigsten Verbündeten zwar noch nicht erspäht, aber ich war mir sicher, dass sie da war. Schließlich hatte sie mir am Telefon ja versprochen alles zu tun, was sie konnte – und die bisherigen Leistungen der Chuck-Sorglospunks konnten doch nur das Resultat eines kleinen höllischen Eingriffs sein. „Klar. Sie ist doch euer größter Fan.“ „Toll!“ Damit hopste Easy davon, schlug Chuck eins kräftig die Schulter, wuschelte Chris durch die Haare, stupste Chuck zwei auf die Nase und drückte Jack an sich. Sie war wie ausgewechselt. „Haben Musen keinen Antilügen-Ehrenkodex?“ Nifen zog eine Augenbraue hoch und kraulte Kiwi nachdenklich den Kopf. Die Katze schnurrte leise und hatte sich offenbar so langsam mit ihrer Fußballturniermaskottchenrolle abgefunden. Ich hob die Schultern. „Gelogen ist es nicht. Ich habe Chibichi vorhin angerufen und um Unterstützung gebeten...“ „Ah...“ Nifen zog eine Augenbraue hoch und nickte dann leicht. Sie hatte offenbar verstanden, dass mir angesichts gewisser Gegner doch mulmig geworden war und ich keine Verletzungsmisere im Hause Sorglospunk verursachen wollte. Entsprechend entspannte sich auch die Managerin ein wenig und gemeinsam sahen wir zu, wie sich die Chuck-Sorglospunks auf den fußballerischen Kampf gegen die chinesischen Drachen vorbereitet. Keine zwei Minuten später wurde das Spiel angepfiffen und Easy und Chuck eins stürzten sich mit halsbrecherischer Geschwindigkeit auf den Ball. Nur einen Wimpernschlag später herrschte unglaubliches Chaos auf dem Feld. Nachdem sich die vier Chinesinnen, die sich auf dem Spielfeld befanden, zu einem Teil dieses menschlichen Knäuels entwickelt hatten, ließen auch Chuck zwei und Chris nicht lange auf sich warten. Todesmutig warfen sie sich in den menschlichen Haufen hinein. Dann sah man nur noch Arme und Beine durcheinander wirbeln und die fast obligatorische Staubwolke. Die beiden Torfrauen übertrafen sich gegenseitig mit ihren Anfeuerungsrufen, konnten jedoch mit Sicherheit genauso wenig vom Geschehen ausmachen wie wir. Es war der Ball, der die Staubwolke als erstes verließ – dicht gefolgt von Easy, deren Haare vollkommen verstrubbelt waren und der ein Schuh fehlte, aber einen Fußball konnte man ja auch mit Socken schießen. Jedenfalls, wenn man gewinnen wollte! Also schoss sie. Der Schuss war viel zu leicht und äußerst seltsam angedreht, weil sie ohne Schuh einfach keinen richtigen Wumms hinter den Ball bekam, aber es reichte... Denn offenbar war die chinesische Torhüterin die Schwachstelle des Teams, weswegen sich die Feldspielerinnen mit derartiger Bissigkeit in das Spielgeschehen stürzten. Nur einen Sekundenbruchteil später erklang auch schon der Abpfiff. Irritiert sah ich Nifen an. Auch sie hatte offenbar nicht mitbekommen, dass dieses staubaufwirbelnde Chaos derart lange angedauert hatte... „Interessanter Sport. Das soll Fußball sein?“ Eine äußerst vertraute Stimme war es, die diese Worte neben mir sprach. „Chibichi!“ Ich lächelte den Teufel an. „Gib es zu, das ist dein Werk!“ „Äh, was?“ Ihr Gesichtsausdruck machte nur allzu deutlich, dass sie verwirrt war. „Ausnahmsweise bin ich einmal vollkommen unschuldig. Ich habe erst jetzt die Zeit gefunden, herzukommen...“ Es passiert nicht oft, dass ich sprachlos bin, aber in diesem Augenblick war es so weit. Ich starrte den rothaarigen Teufel mit offenem Mund an. Nifen bekam derweil einen Lachanfall. „Das heißt, sie haben das wirklich alles allein geschafft? Ganz allein das Finale erreicht? Wie genial!“ Genial – das brachte es wirklich auf den Punkt. Anders konnte man diese Tatsache wirklich nicht ausdrücken. Unser Chaotenhaufen hatte sich bei diesem vollkommen verrückten Pseudofußballturnier selbst ins Finale gebracht. Wow! „Chiiiiii!“ Easy hatte ihren Lieblingsteufel entdeckt und stürmte über das Spielfeld. Und während Chibichi auch von Jack und Chris begeistert begrüßt und Chuck eins und zwei vorgestellt wurde, brachte ich langsam meine Gesichtsmuskeln wieder unter Kontrolle. Das war wohl die Lektion, niemals wieder an den Fähigkeiten und dem Willen der wohl eindeutig zu recht sorglosesten besten imaginären Band der Welt zu zweifeln. „Finale, oho! Finale, oho!“, schmetterten die beiden Chucks und Chris schließlich begeistert los, wo hinein Easy und Jack nur allzu begeistert einstimmten. Nach kurzer äußerst deutlicher Aufforderung taten wir restlichen drei – Nifen, Chibichi und ich – es ihnen gleich. So musste man sich mindestens fühlen, wenn man zum DFB-Pokalfinale nach Berlin fuhr – oder zum WM- oder EM-Finale! „So, die nächsten packen wir auch noch!“ Easy strahlte in die Runde und erhielt ein lautstarkes „Ja!“ als Antwort. Als ich jedoch unseren Finalgegner sah, wurde ich skeptisch. Es waren fünf Jungs, etwa elf Jahre alt, die als vermutlich einzige richtige Fußballtrikots trugen. Diese besaßen die Aufschrift „EM-Team 2016“ – und vermutlich war das auch die Zielsetzung dieser Jungs: Fußballprofi zu werden und 2016 mit voraussichtlich 19 Jahren an der Fußballeuropameisterschaft teilzunehmen. Entweder waren die fünf also extrem abgehoben und steckten voller unrealistischer Träume oder aber sie spielten tatsächlich im verein und arbeiteten hart für dieses Ziel. Und nachdem ich sah, wie der kleine blonde Junge mit der Nummer 20 auf seinem Rücken den Ball jonglierte, wusste ich ganz genau, dass es letzteres war. Das hier, das konnten wirklich die deutsche Fußballstars von Übermorgen sein! „Ich könnte ja jetzt nachhelfen...“, murmelte Chibichi mir mit teuflisch funkelnden Augen zu. Langsam schüttelte ich den Kopf. „Aus zwei Gründen nein: Erstens sollen unsere Mädels und Jungs das mal schön alleine machen. Es reicht, dass der Glaube, dass du helfen würdest, ihnen Mut gegeben hat. Und zweitens wäre es unfair – ihnen gegenüber und gegenüber den Jungs. Ich erkenne Talent, wenn ich welches sehe und die fünf da, die haben unglaublich viel davon...“ Nifen legte mir die Hand auf die Schulter und gab mir damit zu verstehen, dass sie genau wusste, was ich meinte. Chibichi lächelte. „Also keine teuflische Unterstützung.“ „Doch, du bist ja hier.“ Ich lachte und knuffte sie in die Seite. „Aber keine, die über Anfeuern hinausgeht.“ Damit startete ich meine Wolke durch und sah mir das Spielgeschehen von weiter oben an. Es war ein Debakel, aber das hatte ich vorher schon geahnt. Das EM-Team 2016 war schlichtweg sehr gut und ließ unsere fünf Spielerinnen und Spieler – um politisch korrekt zu sein – total alt aussehen. Die Jungs besaßen Ehrgeiz, Willen, Fußballtalent und Technik. Und gerade die letzten beiden Dinge gingen den Chuck-Sorglospunks ab. Und da es sich dabei um etwas handelte, das sich nicht mit Begeisterung und Elan wettmachen ließ, lagen sie sehr schnell mit 0:3 hinten. Faszinierenderweise kostete sie das weder ihren Spaß noch ihre Spielbegeisterung. Unsere fünf blieben emsig bei der Sache und schafften immerhin noch das Ehrentor nach einer sorglosen Jack-Chris-Easy-Kombination, sodass der Endstand schließlich 1:7 lautete. (Womit Easy übrigens auch in der Torjägerliste auf Platz zwei hinter den kleinen blonden Balljongleur zurückfiel und allenfalls eine kleine Ehrenmedaille erhalten würde.) Die Siegerehrung bedeutet immerhin auch einen kleinen Pokal für unsere Chuck-Sorglospunks, sodass nun auch die erste Trophäe über dem Kamin ihren Platz finden würde. Und das war doch immerhin etwas. Zufrieden und erschöpft machten wir uns nach einer ausgiebigen Feier auf den Heimweg. Ich hatte in der Zwischenzeit bei Apollos Musenbüro auf dem Olymp angerufen und auf diese fünf Fußballjungs aufmerksam gemacht, denn ich würde sie gerne in acht Jahren bei der EM spielen sehen. Pegasus höchstpersönlich hatte mir zugesichert, dass diese fünf in das sportliche Überwachungssystem aufgenommen werden würden. Somit war ich sehr zufrieden. Easy war aufgrund des Pokals und ihrer kleinen Medaille sehr zufrieden, Chris, weil er Umeko nachher von dem tollen Erfolg berichten konnte, Jack, weil sie sich nicht blamiert hatte und den Pokal ihrem Fußballfanclub zeigen konnte, Nifen, weil die Band sicher tolle Werbung für sich hatte machen können, auch wenn kein spontaner Auftritt herausgesprungen war und sie nur ihre Digitalkamera dabei gehabt hatte, aber keine Videokamera – somit würde die Bandhomepage eben nur mit ein paar Turnierfotos aktualisiert werden können –, Chibichi, weil die Sorglospunks zufrieden waren, Chuck eins, weil er viel Zeit mit Easy hatte verbringen können, für die er eine kleine Schwäche besaß, Chuck zwei, weil sie alle ihr Bestes gegeben hatten – und Kiwi, weil es endlich nach Hause ging, es dort Futter geben würde und sie als erfolgreiches Fußballmaskottchen auf einen entsprechenden Leckerchenbonus hoffen durfte (was mir übrigens Chibichi gesteckt hatte). Easy begann schließlich leise vor sich hinzuträllern. „Was singst du da?“, erkundigte sich Jack neugierig. „Unseren neuen Song!“, erwiderte ihre Zwillingsschwester strahlend und schmetterte mit voller Inbrunst los: „Wir sind Zweiter! Whohoho! Und damit besser, als jeder dachte! Wir sind Zweiter! Whohoho!“ Nach einem kurzen Augenblick des Zögerns und des Einfindens in die doch recht simple Melodie, stimmten wir alle ein, steckte in diesen Zeilen doch unglaublich viel Wahrheit. Easy hatte diesen Song übrigens treffend „Die Hymne des ultimativen Zweiten“ getauft. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)