100% Sorglospunks! von abranka ================================================================================ Kapitel 17: Eine kopfreiche Band dreht auf! ------------------------------------------- „Äh, Nifen... Hältst du es wirklich für eine gute Idee, dorthin zu fahren?“ Easy spähte skeptisch zu dem Schloss empor, das sich auf dem nahen, zwar nicht allzu hohen, aber doch von spitzen und steilen Felsnadeln umgebenen Hügel in den Nachthimmel erhob. Chris’ und Jacks Mienen zeigten nicht gerade mehr Begeisterung bei der Aussicht, zu diesem Gemäuer mit dem – geliehenen – Bandbulli emporzufahren. „Natürlich! Immerhin gebt ihr dort ein Konzert!“ Nifen strahlte die verunsicherte Band an und ignorierte die Tatsache, dass gerade einen Hügel weiter etwas erschienen war, das sehr an einen Wolf erinnerte und entsprechend heulte. Kurz sahen sich die Bandmitglieder irritiert an, aber ehe sie die Flucht ergreifen und jemand anderes das Steuer erobern konnte, saß Nifen auch schon hinter demselben. „Los, los, eine Show erwartet euch!“ Ich zog nur die Augenbraue hoch und flitzte mit der Wolke in den Passagierraum, wo ich zwischen Schlagzeug und Gitarrenkasten schwebte. Es ist zwar nett, jederzeit überall hinfliegen zu können, aber so eine Wolke steuert sich ja nun einmal auch nicht von allein. Außerdem kommen Tiere bei mir immer auf irgendwelche dummen Ideen. Der VW-Bulli rumpelte langsam die steile Straße empor. Die Anzahl der Fledermäuse am Himmel vergrößerte sich äußerst akut. In riesigen Schwärmen zogen sie über den Himmel und verdunkelten so teilweise sogar den vollen Mond. „Ich finde das hier unheimlich“, murmelte Jack, während der Wagen einen Augenblick lang vor der Schlossbrücke zum Halten kam. Der Überweg über das schmale Rinnsal, welches das Gemäuer umrundete, war äußerst wenig vertrauenserweckend. Dennoch gab Nifen Gas und bemühte sich, das Knirschen und Knarzen bewusst zu ignorieren. Trotz einiger abstürzender Steine und einem brechenden Holzbalken kam das Bandauto wohlbehalten auf der anderen Seite an. Kunststück, wenn man den Teufel auf seiner Seite wusste – aber diesen Vorteil hatten die Band noch nicht in jeder Hinsicht begriffen. Kaum waren die Autotüren geöffnet, da kam auch schon jemand durch das Portal und eilte dem Wagen entgegen. „Ah, ihr feid die Band, nifft wahr?“ „Was?“ Easy starrte die vorgebeugte Gestalt mit den kaum nicht zu bemerkenden Narben im Gesicht groß an. Sie ging ihr gerade mal bis zur Schulter – und Easy war noch nicht einmal das, was man von großem Wuchs nennt. „Ihr feid die Band, oder?“, wiederholte der Fremde geduldig. Easy starrte ihn – sie war sich zumindest sicher, dass es sich bei dieser Person um einen Mann handelte – noch immer an, musterte die grüne Haut, erneut die Narben, die sich einmal um den gesamten Kopf schlangen, die buckelige Nase, die Narben an den Handgelenken und die unterschiedlich großen Hände. Und die zweifarbigen Augen! „Nifeeeeeen!“ „Entschuldigen Sie, Herr Igor. Künstler.“ Nifen eilte auch schon herbei und winkte entschuldigend ab. Igor lächelte jedoch nur – wenigstens verzog er das Gesicht ein wenig. Vermutlich war er solche Reaktionen längst gewohnt. „Iff verstehe. Euer Gepäck?“ Äußerst mühelos hob die seltsame Gestalt den riesigen Berg aus Schlagzeug und Koffern an. Chris hatte seine Gitarre vorher gerettet. Freiwillig überließ er sie ja eh niemandem, daher war das keine Diskriminierungstendenz gegenüber grünhäutigen und unheimlich aussehenden menschlichen Wesen. Easy hatte nach einigem eifrigen Zupfen an Nifens Ärmel einen Fluchtversuch gestartet, war aber von ihrer Schwester rigoros aufgehalten worden. Schließlich konnte die Band kaum ohne ihre Frontfrau auftreten! Igor führte sie in ein recht luxuriöses Zimmer direkt neben dem Salon. „Die Herrfaften fpeifen noff. Wollt ihr auff etwaf effen?“, erkundigte er sich freundlich, woraufhin Nifen kurzerhand nickte. Das hieß immerhin eine Mahlzeit weniger, die von ihrem knappen Budget bezahlt werden musste. Außerdem würden sie vermutlich auch die Nacht hierbleiben – ihr Auftraggeber hatte entsprechendes bereits angedeutet. „Aff... Und pafft mit den Tintenfiffen auf. Fie beifen.“ Damit war Igor auch schon verschwunden und ließ eine Band zurück, die die vielen Aquarien in diesem Raum mit extrem großer Skepsis betrachteten. Tintenfische, die bissen? Kraken konnten das vielleicht, aber... Tintenfische? „Ich will’s gar nicht verstehen!“, entschied Jack schließlich. „Ziehen wir uns um. Die wollten schließlich eine Band in Abendgarderobe.“ Gesagt, getan. Als Igor mit einem großen Rollwagen voller Leckereien auftauchte, waren die Sorglospunks auftrittsbereit. Jack trug einen klassischen Smoking und hatte ihre Haare mit einer großen roten Schleife zusammengebunden, Chris hatte sich für einen coolen Frack entschieden und Easy hatte auf ein edles Dirndl in Dunkelrot mit schwarzer Spitzenbluse und schwarzer Schürze bestanden. Sie machten wirklich etwas her. Auch Nifen war sehr zufrieden mit ihnen. „Fick“, sagte der grünhäutige Diener mit seinem schiefen Lächeln, was Easy beinahe zu einem Wutausbruch brachte, ehe Jack ihr leise ins Ohr flüsterte, dass dieses Wort nun einmal bei seinem kuriosen Sprachfehler herauskam, wenn er ein Wort wie ‚schick’ benutzte. Easy beruhigte sich somit recht schnell wieder. Dann hatten sie erst einmal Zeit, ihr vorübergehendes Quartier beim Essen sowie danach ausgiebig zu inspizieren. Und so langsam wurde den vieren wirklich mulmig, selbst Nifen ließ dieser Ort nicht mehr kalt. Bei genauerer Betrachtung war ihnen aufgefallen, dass sämtliche Wandteppiche und Gemälde bei ihrer Darstellung von Personen, Tieren und sonstigen Geschöpfen ein kleines Detail unter den Tisch hatten fallen lassen: den Kopf. „Toll... Kopflose Jungfrauen“, moserte Chris, während er eines der Bilder betrachtete. Damit war kein Knutschen möglich und das machte diese Frauen eindeutig nicht unbedingt besonders interessant. Mal ganz abgesehen davon, dass das gruselig war. „Schon krass...“, murmelte auch Jack. „Keine Köpfe auf den Gemälden, keine Helme bei den Rüstungen, aber Kopffüßer in den Aquarien.“ „Hä?“ Easy blickte ihre Schwester verwirrt an. „Easy, hast du in Bio denn gar nicht aufgepasst?“ Jack seufzte tief. „Tintenfische sind Kopffüßer, die im Prinzip nur aus einem großen Kopf mit Gliedmaßen und Eingeweiden bestehen.“ „Ah.“ Easys Gesicht hellte sich auf. „Vielleicht versucht der Besitzer ja damit seinen akuten Kopfmangel zu kompensieren?“ „Daf kann man fo fagen.“ Igor stand – wieder mit diesem komischen schiefen Lächeln, das wohl die einzige Regung dieser Art war, die er vollbringen konnte – in der Tür. „Ihr feid dran.“ Und damit schnappte er sich das Schlagzeug und wuchtete es durch die Tür. „Äh... Ja... Sorglospunks – aufi?“ Easy versuchte optimistisch zu sein, aber ein kleiner Gruselschauer rann ihr über den Rücken und machte das nun nicht gerade einfacher. Die gesamte Band war ein wenig verunsichert, als sie die Bühne betrat. Und die Tatsache, dass die Beschreibung ‚akuter Kopfmangel’ auf die gesamte Zuhörerschaft zutraf, machte die ganze Sache nicht unbedingt besser. Die Personen, die dort saßen... Nun... Es waren wenigstens Personen und keine Werwölfe oder singenden Pilze oder so etwas. Das war ja schon mal positiv. Und sie trugen Abendgarderobe, sowohl die Männer als auch die Frauen. Und die Frauen überboten sich gegenseitig in der Menge an Schmuck, die sie tragen konnten. Allerdings war da noch etwas anderes. Sämtliche Menschen in diesem Raum hielt ihren Kopf unter dem Arm, darunter selbstverständlich auch derjenige, beim dem es sich offenbar um den Hausherrn handelte. Erkennbar war dieser Umstand nur an der Tatsache, dass er an dem Kopfende des ewig langen Tisches saß und somit den besten Blick auf die kleine Bühne hatte, auf der die Sorglospunks auftreten sollten. „Flucht?“, raunte Easy leise Jack zu, doch diese schüttelte nur den Kopf. „Hast du die Schwerter gesehen? Und die Rüstungen? Und die Bögen? Vergiss es“, gab sie genauso wenig hörbar zurück. Die Wandverzierung schien in dem Salon fast nur aus diesen Dingen zu bestehen – abgesehen von reichlich kopflosen Gemälden. Easy nickte resigniert und marschierte zum Mikro. Nun, sie waren eine junge und aufstrebende Band und sie würden alle von sich überzeugen! Auch kopflose Leute! „Einen wunderschönen guten Abend, liebes Publikum!“ Das war der Punkt, an dem ich lieber vorsichtig wurde und meine Wolke noch etwas näher an Easy heranmanövrierte. Man wusste ja nie, was sie bei diesen Ansagen ausheckte. „Wir sind die – bisher noch kopfreiche – Band Sorglospunks und Ihre heutige Abendunterhaltung. Genießen Sie die Show!“ Kopfreich. Sowas konnte auch nur Easy einfallen... Die Reaktion auf dieses eine Wort bestand darin, dass sich die ersten Zuschauer bereits nach flugfähigen und werfbaren Gegenständen umsahen – und dummerweise gab es in diesem Raum, wie bereits erwähnt, ziemlich viele scharfe Gegenstände. Ergo: Die Sorglospunks sollten dringend begeistern und nicht abschrecken, denn den üblichen Tomaten-Eier-Regen würde es hier wohl kaum geben. „Also dann... Unsere Bandhymnen – für euch!“ Und damit legte die Band los und spielte das volle Programm von den Tomaten über schäumende Träume und Faust bis hin zum neusten Weltendeknaller. Ich sortierte in der Zwischenzeit schon einmal meine Ideenblitze, wusste ich doch schon längst, was unabwendbar kommen würde. Der neue Song ganz am Ende der Show, um das Publikum ganz besonders zu beschenken, zu beeindrucken und um ein ganz einmaliges Konzerterlebnis zurückzulassen. Gut, und irgendwie konnte Easy unter dem Publikumsdruck am besten arbeiten. Und so war es. Das Publikum war längst auf der Seite der Band und hatte Easy ihre reichlich dämliche Eingangsbemerkung verziehen. Die kopflosen Herrschaften warfen sogar ihre Köpfe vor Begeisterung in die Luft und fingen sie wieder auf. Vermutlich auch, um besser sehen zu können und eine neue Perspektive auf das Geschehen zu bekommen, auch wenn jedem normalen Lebewesen so etwas Kopfschmerzen bereitet hätte. Gut, aber kopflose Menschen konnte man kaum als ‚normale Lebewesen’ bezeichnen. Meine Blitze waren bereit. Und ich legte los. Easy auch. Und Jack und Chris auch, sobald Easys Melodievorschläge bei ihnen gelandet waren und sie daraus etwas basteln konnten. „Kopflos, warum denn so kopflos? Kopflos, warum denn so kopflos?“ Nifens strafender Blick traf mich, doch ich konnte doch nichts für das, was Easy hier anstellte! Das war definitiv ihre Sache! Ich inspiriere schließlich nur und bin nicht für das verantwortlich, was jemand aus dieser Inspiration macht. „Kopflos, ja, warum denn so kopflos? Das Leben ist schön! Auch ohne Kopf! Gib mir deinen und du kriegst dafür meinen. Zusammen sind wir dann kopfreich, kopfreich, kopfreich! Ja, zusammen sind wir dann kopfreich, kopfreich, kopfreich! Und niemals wieder kopflos! Also reich mir deine Hand, wirf mir deinen Kopf zu. Wir tauschen, einfach so! Also, warum noch kopflos? Denn zusammen sind wir kopfreich, kopfreich, kopfreich! Ja, zusammen sind wir immer kopfreich, kopfreich, kopfreich!“ Müßig zu erwähnen, dass der Song nach dem ersten kritischen Moment für große Begeisterung gesorgt hatte, nicht wahr? Was man aber vielleicht doch erwähnen sollte, wäre das Desaster, das die dadurch ausgelöste Kopftauschaktion mit sich brachte. Dass Easy auf einmal aufgefordert wurde, auch ihren Kopf zu tauschen, sie sich weigerte, der Gastgeber beleidigt war und die Band samt Nifen und mir schließlich ihr Heil in einem recht hektischen Aufbruch – kräftig unterstützt von der guten Seele Igor – suchte. Hey, aber der Auftritt war dennoch ein Erfolg. Diese Leute werden die Sorglospunks niemals wieder vergessen... Gut, die Sorglospunks sie auch nicht. Ich sollte Easy wohl dringend ein paar neue Ideen für Träume bescheren, damit sie nicht mehr mitten in der Nacht aufsprang und durch das Haus brüllte „Gib mir meinen Kopf wieder!“... Ja, sollte ich vielleicht. Habe ich schon erwähnt, dass ich mit dem Teufel befreundet bin? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)