Divine Justice von MajinMina (Göttliche Gerechtigkeit) ================================================================================ Kapitel 3: Kapitel 3 - Göttliche Gerechtigkeit ---------------------------------------------- Kenshin erfährt von Katsura Kogoro, was seine Aufgabe in Kyoto sein wird. Doch Hiko Seijuro’s Stimme lässt ihn noch nicht los... Ein sehr langes Kapitel... ich hoffe, es gefällt euch ;). Für ein paar Reviews wäre ich sehr dankbar! Kapitel 3 – Göttliche Gerechtigkeit „Arigatou, Katsura-sama.“ Dankbar nahm Kenshin den hießen Tee entgegen, den Katsura ihm reichte. Nach seinem Training im Innenhof war er geschwitzt und aufgeheizt gewesen, aber jetzt fröstelte ihn die kühle Herbstluft, die durchs offene Fenster in Katsuras privaten Raum hineinwehte. Auch wenn ihm kein langes Familienglück in der ländlichen Idylle vergönnt gewesen war, wusste Kenshin, dass die Erntezeit bereits vorüber war und die letzten Vorbereitungen für den in den Bergen meist sehr strengen Winter getroffen wurden. Die zugigen Löcher in den meist ärmlicheren Bauernhäusern würden gestopft, das Gemüse eingelagert und ein paar letzte Scheite Holz gehackt werden. Hier in Kyoto, wo er jetzt sein neues Leben unter Katsura Kogoro’s Obhut antreten würde, war es noch Herbst, denn die Stadt lag geschützt zwischen den Bergen und die feuchte Meeresluft brachte häufiger Regen als Schnee. Kenshin musste innerlich lächeln. Von einem Extrem ins andere. Erst hatte er als Einsiedler mit seinem eigenbrödlerischen Meister Jahrelang nichts als die Gesellschaft von Felsen, Bäumen oder Tieren genossen und jetzt war er ein einer riesigen Stadt, vollgestopft mit Menschen und voller Lärm. Noch wusste er nicht, welche Lebensweise er vorziehen sollte. Kenshins Blick glitt zu dem würdevollen Samurai vor ihm. Dieser Mann würde von nun an sein Meister sein und er würde in seiner Obhut stehen. Kenshin wartete gespannt, was Katsura ihm alles beibringen würde. Ohne viel zu zögern, hatte er ihm im Lager der Kihei-tai die Treue versprochen. Natürlich würde er sein Versprechen halten. Er hatte sich entschlossen, sein Schwert diesem Mann zu leihen – und sein Leben für ihn und sein Ziel einer gerechten Gesellschaft zu geben. Katsura musterte den Jungen vor ihm. Er war wirklich noch sehr jung. Dennoch... Die Freundlichkeit wich aus seinem Gesicht. „Himura Kenshin, ich möchte dir von meinem Meister erzählen,“ begann er. -- „Er war ein großer Mann. Ein großartiger Lehrmeister. Sein Name war Yoshida Shoin“. Katsura seufze und senkte den Blick. „Er glaubte an die Freiheit und an die Individualität jedes einzelnen Menschen – nicht nur der herrschenden Samuraiklasse. Für ihn waren alle Menschen gleich, egal ob Samurai, Händler oder Bauern“. Mit wachsender Leidenschaft in der Stimme fuhr er fort zu erzählen. „Ich und Takasugi Shinsaku hatten die große Ehre, unter ihm in der Shokason-Schule zu studieren. Nach dieser lehrreichen Zeit schickte er uns aus, ein neues Japan zu erschaffen. Schnell mussten wir erkennen, das nicht jeder nach der selben Freiheit strebte wie wir. Viele meiner Freunde wurden bei dem Versuch, Änderungen herbeizuführen, getötet. Auch unser hochgeschätzter Meister... starb bei einer geheimgehaltenen Massenexekution...“ Für einen kurzen Moment sah Kenshin tiefe Trauer in den Augen des Mannes aufflackern, den er jeden Moment mehr bewunderte. „Warum erzähle ich dir das? Weil ich möchte... weil es essenziell ist, das du verstehst! Yoshida-sensei brachte uns bei, wie wir die dreihundert Jahre lang andauernde Herrschaft des Shogunats beseitigen können – mit Chaos. Wir müssen diese alte Ordnung ins Chaos stürzen und damit vernichten. Aus der Asche wird die neue Ordnung, eine Ära des Friedens und der Freiheit, entstehen. Um diese Ziele erreichen zu können, müssen wir selbst uns auch dem Chaos hingeben. Das ist der Weg der Choshuu-Fraktion. Wir bringen Chaos und Unordnung, doch dadurch wird eine neue, gerechtere Ordnung entstehen. Das Chaos des Bakumatsu, das wir gesät haben und das Kyoto beherrscht ist unsere Stärke und unsere Motivation. Manchmal...“ Katsura unterbrach sich einen Moment und er sah plötzlich alt und müde aus. „Manchmal scheint es hoffnungslos. Wir Choshuu Ishin Shishi sind zahlenmäßig den Bakufu-Streitkräften um ein vielfaches unterlegen. Im Moment wäre ein direkter Konflikt aussichtslos. Deswegen können wir nur im Verborgenen handeln. Doch wie Yoshida-Sensei mir beibrachte, gewinnen am Ende diejenigen, die sich in ihren Entscheidungen und Zielen sicher sind und durchhalten. Und unsere Herzen müssen rein sein, rein und entschlossen.“ Er fixierte Kenshins strahlend blaue Augen und ihm war, als ob Katsura-sama bis auf den Grund seines Herzen zu schauen vermochte. „Himura – du hast das reinste Herz, das ich jemals gesehen habe.“ Unsicher, was er mit dieser Feststellung anfangen sollte, errötete Kenshin und verbeugte sich. „Ihr bringt diesem Unwürdigen zuviel Ehre entgegen, Katsura-sama.“ „Nicht mehr als du verdienst Kenshin. Sieh mich an!“ Kenshin hob den Kopf und blickte erneut in die dunklen Augen Katsuras. Plötzlich war ihm, als könne er durch sie hindurchsehen, hinein in das Herz des Mannes vor ihm. Mehr als alle Worte Katsuras sagte ihm dieser kurze Augenblick der totalen Offenheit. In Stillem Einverständnis senkten beide ihre Blicke und verbeugten sich tief voreinander. Sie hatten jeweils in das Herz des anderen geblickt. Und beide hatten tiefes Vertrauen ineinander gefunden. Katsura wusste jetzt, das dieser Junge ihm ohne zu zögern bis in den Tod folgen würde. Und er wusste, dass er stark genug war, die schwere, nein, die schwerste aller Aufgaben in dieser Revolution zu übernehmen. „Kenshin... im Lager der Kiheitai habe ich dich gefragt, ob du mir dein Schwert und die Hiten-Mitsurugi-Technik zur Verfügung stellen willst. Und ob du für mich töten kannst... Du hast verstanden, worum es in dieser Revolution geht. Du hast deine Wahl getroffen. Doch ich frage dich erneut: Bist du bereit, die Aufgabe auszuführen, die für dich vorgesehen ist? Bist du bereit, das Alte zu zerstören? Kannst du der Bote der göttlichen Gerechtigkeit - des Tenchuu - sein? Die göttliche Gerechtigkeit mag denen gegenüber, die Unrecht und Schrecken verbreiten, wie Wahnsinn erscheinen. Doch hinter dem Wahnsinn wird am Ende ein neues Zeitalter stehen.“ Kenshin rückte hin und her. Er war sich nicht sicher, ob er alles von dem, was Katsura zu ihm gesagt hatte, verstanden hatte. Immerhin ging es hier um Dinge, die die Zukunft des ganzen Landes betrafen. Er bekam eine Gänsehaut angesichts der Möglichkeit, die ihm hier geboten wurde. „Was... muss der Bote der göttlichen Gerechtigkeit tun?“ fragte Kenshin atemlos. Katsura senkte den Blick. „Du musst dein Herz verschließen. Du musst stark sein. Du musst wahnsinnig werden und doch niemals das Ziel vor Augen verlieren.“ Kenshin blinzelte. Diese Antwort hatte ihm nicht wirklich weitergeholfen. Wie sollte er den Ishin Shishi nützen, wenn er wahnsinnig wurde? „Nur durch Wahnsinn,“ fuhr Katsura erklärend fort, „können wir unsere Gegner erschüttern und in die Knie zwingen. Wir verbreiten Chaos. Wir stürzen Kyoto in die blutige Revolution. Und wenn das Bakufu diesem Chaos nicht mehr Herr werden kann, wird es stürzen. Ich brauche dich, Kenshin, um dieses Chaos über unsere Feinde zu bringen. Dein Auftrag wird sein, diejenigen, die dem neuen Zeitalter im Wege stehen, zu töten. Wir können nicht offen gegen unsere Widersacher vorgehen. Deswegen brauchen wir jemanden, der sie heimlich beseitigt. Unser Losungswort wird „Tenchuu“ sein. Überall, wo das Tenchuu vollstreckt wird, werden die Menschen wissen, dass es für eine höhere Gerechtigkeit steht. Du musst unsere Feinde heimlich im Auftrag der göttlichen Gerechtigkeit töten. Mit deiner Hilfe beseitigen wir die Stützen und Standbeine des Shogunats. Dann ist es geschwächt und wir können offen vorgehen. Erkennst du, wie wichtig deine Aufgabe ist? Nur du hast das Talent dazu, der Revolution und dem neuen Zeitalter den Weg zu ebnen!“ Kenshin ließ Katsuras Worte in sich einsickern. Es schien sich alles zusammen zu fügen. Er hatte seinen Meister verlassen, um die Unruhen der Zeit, die so viele Menschenleben forderten, entgegenzutreten. Und hier saß er, mit der Möglichkeit vor Augen, ein neues Zeitalter zu schaffen. Wenn er mit seinem Schwert diese göttliche Gerechtigkeit vollführte – Menschen tötete – dann würde das neue Zeitalter schnell hereinbrechen. „Kein Mensch kann das, worum ich dich bitte, von dir verlangen,“ unterbrach Katsura seine Gedankengänge. „Ich verstehe vollkommen, wenn du diesen Auftrag ablehnst. Es wäre keine Schande.“ Kenshins Blick verhärtete sich. „Ihr fragtet mich, ob ich euch meinen Schwertarm zur Verfügung stellen will. Und ich antwortete euch, dass ich alles, was in meiner Macht steht, tun will, um eine neue Ära des Friedens und der Freiheit herbei zu führen. Ich habe euch mein Wort bereits im Lager der Kihei-Tai gegeben. Daran hat sich nichts und wird sich auch nichts ändern!“ Katsura nickte. Die Entscheidung war besiegelt – und somit auch das Schicksal des Jungen. „Gut. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Dein erster Auftrag wird bereits heute Nacht stattfinden. Hier...“ Er reichte Kenshin einen schwarzen Umschlag. „Darin findest du Ort, Uhrzeit und den Namen des Feindes. Er ist einer der Hauptwaffenlieferanten für die Bakufu-Streitkräfte hier in Kyoto. Sein Verlust wäre ein harter Schlag und die Waffenzufuhr nach Kyoto würde einige Tage unkoordiniert und stockend sein – genug Zeit für uns, einen Vorteil aus dieser Situation zu gewinnen.“ Kenshin starrte auf den schwarzen Umschlag und es lief ihm kalt den Rücken herunter, als er ihn schließlich entgegennahm. Aus dem Augenwinkel beobachtete Katsura seine Reaktion. Er hatte viel Vertrauen in die Fähigkeiten des Jungen und er riskierte viel dabei, ihn für so eine gefährliche Aufgabe einzusetzen. Schließlich war er noch ein Junge, kaum fünfzehn Jahre alt. Er schloss die Augen. Ob der Junge für die Aufgabe dieser Art stark genug war, würde sich in wenigen Wochen zeigen. Noch war er nicht der einzige, der für die Ishin Shishi tötete und ob er der Beste Mann für diesen Auftrag war, würde sich herausstellen. Immerhin, überlegte Katsura, hatte der Junge in diesem Jahr gewissermaßen nur den Einstieg vor sich. Die wichtigsten Aufträge könnte er erst mit der Zeit erledigen und das war erst nach dem Winter. Doch bis dahin hätte er immerhin Gelegenheit sich einzuarbeiten und seine Willensstärke unter Beweis zu stellen. Niemand, der nicht einen starken Willen und ein klares Ziel vor Augen hatte, konnte in dieser Branche lange überleben... Katsura beschloss, es dem Jungen am Anfang so einfach wie möglich zu machen. „Er hat keine Familie,“ erklärte, die Augen auf den schwarzen Umschlag in Kenshins Händen gerichtet, „er lebt allein. Bekannt geworden ist er durch die Grausamkeit, mit der er seine Untergebenen behandelt. Und vor allem seine Feinde. Gnade ist ihm fremd, deswegen zeige auch du keine! Sei schnell und unsichtbar. Keiner darf von deiner Existenz erfahren und das du zu Choshuu gehörst, sonst ist nicht nur dein Leben verwirkt, sondern auch unsere Revolution in Gefahr! Das ist alles. Du kannst dich jetzt entfernen.“ Mühsam kam Kenshin auf die Beine. Sein Körper fühlte sich plötzlich sehr schwer an. Er sah sich selbst den schwarzen Umschlag nehmen, ihn im Ärmel seines Gi verstauen und ehe er wieder klar denken konnte, hatte er schon sein Zimmer, das Gott sei Dank leer war, erreicht. Wie nach einem harten Trainingstag erschöpft ließ er sich auf die Fensterbank fallen und betrachtete den Himmel. Die Sonne stand kurz vor Mittag. In der Nähe plätscherte ein Bach. Er konnte einige Leute auf der Straße vorbeigehen hören, im Gespräch vertieft, lachend. Alles schien so unwirklich. Dennoch - er hatte einfach das Gefühl, dass es nicht anders hätte kommen können. Vor wenigen Tagen war er noch bei seinem Shishou in den Bergen gewesen. Und jetzt war hier in Kyoto, und der Anführer der Choshuu Ishin Shishi übergab ihm persönlich eine der, wie er sagte, wichtigsten Aufgaben. Er hatte sein Wort gegeben. Für die friedliche neue Welt würde er auf Katsuras Auftrag hin Menschen töten. Er würde seine eigenen Hände beschmutzen, aber was bedeutete das schon? Für eine größere Sache war er bereit, sich zu opfern! Endlich konnte er den Tod derjenigen, die für ihn gestorben waren, wieder gut machen. Und er würde alles dafür geben. Als Yoshida kurz darauf das Zimmer betrat, um Kenshin zum Mittagessen abzuholen und ihn nach seinem Gespräch mit Kogoro-sama zu fragen, fand er nur dessen abgetragene Kleidung auf dem Futon liegend vor. „Aa... er hat die Choshuu-Uniform angezogen. Wird wohl schon losgeschickt worden sein.“ Neugierig ging er alleine zum Essensaal und grübelte, welchen Auftrag ein 14-jähriger wohl für die Ishin Shishi zu erledigen hatte. Unterdessen speiste Katsura alleine in seinem Zimmer. Er fühlte sich, als hätte er gerade jemanden umgebracht. Und das entsprach auch zum Teil der Wahrheit. Es war zwar letztendlich die eigene Entscheidung des Jungen gewesen, aber letzten Endes trug er die Verantwortung. Er dachte an Kenshins helle blaue Augen und an sein reines, offenes Herz. Wie entschlossen er eingewilligt hatte... Er hatte ja keine Ahnung, welch schwere Aufgaben noch vor ihm lagen. Und was die göttliche Gerechtigkeit für einen Wahnsinn bedeutete... Er hatte diesen unschuldigen Jungen heute zum Mörder gemacht. Aber eines wusste Katsura Kogoro schon jetzt – wie viele Menschen er auch immer dem Jungen zu töten befehlen würde – sein Geist würde rein und ohne Bedauern sein, denn nichts, was er sich sehnlichster wünschte war, durch seine Taten anderen Menschen zu helfen. -- Bunte Blätter segelten zu Boden und raschelten traurig. Der Herbst hatte sich über das Land gelegt, es in ein Meer aus flammendem Rot und leuchtendem Gelb verwandelt. Trostlos ragten bereits Gerippe kahl gewordener Bäume in den Abendhimmel. Eine unheimliche Stille lag unter den Bäumen, zwischen denen allmählich der Nebel hervor kroch und sich in einem bläulichem Dunst über ganz Kyoto legte. Der Horizont begann sich langsam zu verdunkeln. Plötzlich schoss ein aufgeregt zwitschernder Vogel aus dem Geäst und löste Kenshin Himura aus seiner Erstarrung. Wie lange saß er jetzt schon hier, am Stadtrand von Kyoto? Er hatte die Einsamkeit gesucht, und ein Wäldchen gefunden, nicht ganz außerhalb der Stadt, aber doch genug abgeschieden. Es lag auf einer Anhöhe und ein kleiner Schrein stand unweit hinter den letzten Bäumen. Vor ihm in der Talsohle breitete sich Kyoto aus, dominiert von dem mehrgeschossigen Kaiserpalast, dessen höchsten Zinnen noch im Abendrot glitzernden, während die Stadt bereits ins Dunkel sank. Abrupt stand Kenshin auf und streckte seine steifen Glieder. Nicht, dass er es nicht gewohnt war, Stunden in ein und der selben Position zu verharren... es war, als wolle sein Körper stumm dem Wiederstand leisten, was heute noch auf ihn wartete... Mit einem plötzlichen Schock traf ihn die Realität. Heute noch würde er das erste Mal in seinem Leben einen Menschen töten. Fröstelnd zog er langsam sein Schwert. Es fühlte sich jetzt besonders schwer in seiner Hand an. Er betrachtete die Klinge... sein Spiegelbild in ihr. Die roten Haare flammten in der Abendsonne wie Feuer. Seit er um die Mittagszeit hierher gekommen war, hatte er nichts getan, als dazusitzen und über die Vergangenheit nach zu grübeln. Über das, was ihm sein Shishou beigebracht hatte – und besonders über die Lehre Katsura-samas und die göttliche Gerechtigkeit, die seinen Einsatz erforderte. Würde die Notwendigkeit seine Taten rechtfertigen? Die vielen Stunden Nachdenkens hatten ihm keine Antwort gebracht und leise seufzend befürchtete er, dass er wohl auch keine Antwort auf seine Fragen geben würde. Dem einzigsten, dem er sich jetzt rechtfertigen musste, war Katsura-sama, der auf ihn zählte. Und sein eigenes Gewissen. Zweifelte er etwa an der Richtigkeit seines Handelns? Wofür hatte er denn sonst seinen Meister verlassen, wenn nicht, um endlich etwas zu verändern, egal, mit welchen Mitteln... Er verstärkte seinen Willen, rief sich Katsuras entschlossenes Gesicht in Erinnerung. Es gab jetzt keinen Platz für Zweifeln oder Zögern. Um der neuen Ära willen war Entschlossenheit gefragt. Und um sich von allen lästigen, unbeantwortbaren Fragen zu befreien, begann er erneut seine Schwertübungen. Eine nach der anderen ging er durch, während die Sonne immer weiter sank, verbissen zuerst, dann zunehmend entspannter. Das Kata tat seine übliche Wirkung – es beruhigte seine innerliche Aufgewühltheit. Nach einiger Zeit waren er und sein Schwert wieder eins, so wie es immer gewesen war. Geschwitzt aber innerlich ruhig beendete Kenshin seine Übungen. Sein Schwert glitt in die neue Scheide neben dem neuen Wakizashi an seinem Gürtel – seine Insignien als Samurai Choshuus und – was nur Kenshin wusste – als Vertrauter Katsura Kogoros. Entschlossenen Schrittes begab sich Kenshin in Richtung des Ji-Mugen-Schreins, gerade als die Sonne hinter den letzten Gipfeln der Kyoto einrahmenden Berge verschwand. Ji-Mugen-Schrein. So stand es in dem Umschlag. Dort würde Hanzo Tamamoto um kurz vor Mitternacht auf ihn warten. Besser gesagt, ER würde ihn dort erwarten, hatte doch Tamamoto keinerlei Ahnung von dem endgültigen Treffen, das ihm bevor stand. Er ging nur seinem wöchentlichen, scheinheiligen Gebet nach, jede Woche der selbe Tag, die selbe Uhrzeit – Räucherstäbchen anzünden für sein Seelenheil. Kenshins Blick verdüsterte sich. Katsura hatte ihm gegenüber die Verbrechen dieses Mannes angedeutet. Verdient er es deshalb, zu sterben? Da, der Schrein war schon in Sichtweite. Er hatte nur eine knappe Stunde von dem Wäldchen aus gebraucht. Dann musste es jetzt gegen 21 Uhr sein. Gut. Genug Zeit, den Platz zu inspizieren. Der Schrein war winzig, eine kleine Hütte zwischen lichten Bäumen. Schnell, einem Schatten gleich, glitt Kenshin einen nahen Baum hinauf und versteckte sich zwischen den Ästen. Jetzt konnte er nur noch warten... ...Warten... Da! Etwas raschelte. Das musste Hiko sein! Kenshin hielt den Atem an. Den halben Tag hatte er sich hier in der Baumkrone versteckt. Ihm tat alles weh. „Versuche, mich zu überraschen. Du musst dein Ki gut verstecken. Sonst spüre ich deine Anwesenheit“. Das waren die Worte seines Meisters gewesen, dann war er im Wald verschwunden. Unsicher, was wohl jetzt wieder für ein ungewöhnliches Training auf ihn wartete und was für neue schmerzliche Methoden sein Meister für ihn bereit hielt, hatte sich Kenshin auf den Weg gemacht. Zuerst war er seinem Meister gefolgt, doch dann war sein Ki plötzlich wie ausgelöscht. „Grmpf..“ hatte er gemurmelt. Sein Meister beherrschte offensichtlich die Kunst des Ki-maskierens. Also warten. Warten, bis sein Meister zufällig irgendwo in der Nähe vorbeikam. Jetzt war es soweit. Also keinen Fehler machen! Nur noch wenige Meter. Hiko näherte sich genau seinem Baum. Kenshin konzentrierte sich. Er versuchte innerlich ruhig zu werden und nichts von seinem Kämpfergeist nach außen dringen zu lassen. Als er einen Blick auf den Weisen Mantel seines Shishous haschen konnte, sprang er lautlos und schneller wie der Blitz vom Baum. Er versuchte ein Ryu Tsui Sen und zielte auf die Schulter seines Meisters. Doch in dem Moment, in dem sein Holzschwert eigentlich treffen sollte, war sein Meister verschwunden, sein Bokken traf hart die Erde, gefolgt von seinem Körper, niedergeschlagen von der Wucht des Gegenangriffs. „Baka Deshi!“ Zischte Hiko Seijuro erzürnt. Mit zusammengebissenen Zähnen kam Kenshin wieder auf die Beine und versuchte, den hämmernden Schmerz in seinem Rücken, da wo ihn Hikos Schwert mit der stumpfen Seite der Klinge getroffen hatte, zu unterdrücken. „Was hab ich dir gesagt?“ Herrschte dieser ihn an. „Maskiere dein Ki! Was machst du? Du wirfst es mir förmlich ins Gesicht. Schon Kilometer entfernt konnte ich deine Dummheit spüren. Was glaubst du, wäre ich sonst direkt zu dem Baum gelaufen? Das wäre schon ein außergewöhnlicher Zufall gewesen!“ „Aber Shishou.. ich hab’s versucht! Ich hab...“ „Du hast dich nicht unter Kontrolle. Du musst lernen, deine Gefühle in dir abzuschotten und nicht nach außen strahlen zu lassen. Du beherrscht zwar nach hartem Training jetzt die Kunst, die Ki deines Gegners zu spüren und im Gegenzug deine eigene Ki einzusetzen, deine Gegner einzuschüchtern, zu provozieren oder zu täuschen. Doch die wahre Kunst ist es, sein Ki vollkommen zu verstecken. Unsichtbar zu werden. Wenn du dies meisterst, dann erst hast du Kontrolle über dich. Dieser Schritt ist sehr wichtig für die Schwertkunst. Also... wenn du’s nicht bald schaffst, mich unvorbereitet zu überraschen, dann können wir das Training gleich sein lassen!“ Grimmig packte Kenshin sein Bokken. „Hai!“ rief er wütend. „Wir werden in diesem Waldstück trainieren. Dann ist der Raum schon mal begrenzt. Das heißt, früher oder später werde ich dir über den Weg laufen. Doch sollte ich dich vorher spüren, dann wird das gleiche passieren wie eben...,“ lächelte Hiko und war verschwunden. Kenshin rieb sich den schmerzenden Rücken. Das konnte ja heiter werden! Es hatte damals 5 Tage gedauert, bis Kenshin es schaffte, seinen Shishou wenigstens mit dem Bokken zu berühren. Er hatte trotzdem einen Konterschlag eingesteckt. Doch von der Leichtigkeit, mit der er diesen weggesteckt hatte, konnte Kenshin sagen, dass sein Meister erfreut war. Ein Lob bekam er trotzdem nicht zu hören. „Fünf Tage? Wieso hat das so lange gedauert? Fünf Tage musste ich durch den Wald rennen und auf deinen Angriff warten. Wenn wir bei der Hütte sind, wirst du gleich das Bad anheizen. Ich fühle mich so verspannt... außerdem muss meine Kleidung dringend gewaschen werden. Mein Essen möchte ich in’s Bad haben. Ich hoffe, es ist noch genug Sake da, sonst musst du ins Dorf laufen und welchen holen...“ Jetzt, mit genug zeitlichem und räumlichen Abstand konnte er über die exzentrische Art seines Meisters lächeln. Damals hatte er eher das Gefühl, gleich zu sterben. „Shishou...,“ flüsterte er in die Baumkrone. Komisch, dass ihm ausgerechnet jetzt diese Erinnerung kam. Obwohl die Situation ähnlich war, konnten die Umstände nicht verschiedener sein. Hier stand er in der Baumkrone, nicht mit einem Bokken, sondern mit einem Schwert. Bereit, zu töten. Sein Körper verkrampfte sich, als sein Herz plötzlich das Rasen anfing. Was war denn jetzt los? Warum war er plötzlich so nervös? Ruhig. Konzentration. Atmen. Er hörte Schritte. War die Zeit so schnell vergangen? Angestrengt spähte er durch das Halbdunkel der heraufziehenden Nacht. Dunkel genug, ihn zwischen dem spärlichen Laub zu verstecken. Hell genug, den Mann auf dem Weg zum Schrein seinen Blicken preiszugeben. Er spannte sich an. Tausend Gedanken rasten ihm durch den Kopf. Was, wenn er nicht allein ist? Keiner durfte ihn sehen! Doch er war allein. Warum dreht er nicht einfach um? Dreh um! Geh weg! Seine Finger krampften sich um seinen Schwertgriff. Jetzt gab es kein zurück. Dieser Mann war ein Verbrecher. Er verdiente es, zu sterben. Für die neue Ära! Katsura-samas Auftrag musste ausgeführt werden! Er erspürte die Ki des Mannes – sie war energisch, launisch, grausam. Und schwach. Auch wenn dieser Mann es an die Spitze eines Waffenkonglomerates gebracht hatte, war sein Kämpfergeist der eines im Grunde seines Herzens feigen Mannes, der seinen Ruhm auf Intrigen und Verrat gebaut hatte. Kenshin mobilisierte all seine Willenskraft um seinen Auftrag ausführen zu können. Er fühlte, dass dieser Mann böse war, jemand, der Schwache ausbeutete und quälte. Er erinnerte sich an die Wut der Hilflosigkeit, die er empfunden hatte, als er zusehen musste, wie Männer dieser Art seine Beschützerinnen töteten. Diesmal war er nicht hilflos. Diesmal konnte er seine Wut in eine Tat der Genugtuung umwandeln. Dieser Mann würde niemandem mehr weh tun! Hanzo Tamamoto ging direkt unter ihm vorbei, und als er ihm den Rücken kehrte, sprang Kenshin geräuschlos aus seinem Versteck. Seine Miene hatte sich versteinert. Sein Blick war entschlossen. Er ließ seiner bisher versteckten Wut freien Lauf und warf seinem Opfer seine feindliche Ki entgegen. „Tamamoto Hanzo ... für deine Verbrechen gegen unschuldige Menschen wirst du nun im Namen des Tenchuu büßen.” Er war selbst überrascht, wie fest seine Stimme klang. Erschrocken ob der unerwarteten feindlichen Ki und der kalt ausgesprochenen Drohung fuhr Tamamoto herum und seine Augen weiteten sich einen kurzen Moment vor Entsetzen und Ungläubigkeit, bevor ihn die Klinge traf, das Licht seiner Augen auslöschte und den Schrei, der seiner Kehle entfuhr, ein einem Röcheln enden ließ. Kenshin stand da und starrte in das leblose, verzerrte, ihn immer noch ungläubig anstarrende Gesicht. Das Gesicht zu dem Namen in dem Umschlag. Er fühlte nichts. Dann hob er seinen Blick zu den Sternen, die inzwischen hell glitzernd am Himmel standen. Er hatte immer mit seinem Shishou die Sterne betrachtet. Sie beide zusammen, friedlich, ohne Sticheleien und ohne die Anstrengung des Trainings. Fast wie Vater und Sohn... -- Es dauerte einige Minuten, bis der eigenartige, aber nicht unbekannte Geruch Kenshins Nase erreicht hatte... Blitzartig durchzuckten ihn Erinnerungensfetzen an jene grauenvolle Vollmondnacht vor fünf Jahren, in der er zum ersten Mal die schreckliche Intensität dieses Geruches kennen gelernt hatte. Blut. Es war auf seinen Händen, auf seinem dunkelblauen Gi und seinen grauen Hakama, auf seinem Schwert, selbst in seinen Haaren, von wo aus es langsam zu Boden tropfte. Der Geruch von Blut. Wärmlich-süß und gleichzeitig metallisch-kalt. Ihm wurde nicht übel. Er war überrascht. Überrascht, wie einfach alles war. Wie einfach er diesen Auftrag ausgeführt hatte. Wie alles nach Plan verlaufen war. Wie einfach töten war. „Hey du!“ Kenshin fluchte innerlich ob seiner Nachlässigkeit und fuhr herum. Er spürte kein feindliches Ki, und der Mann, der sich ihm näherte, hatte die Choshuu-Uniform an. „Ich bin Izuka!“ Außer Atem hastete der Fremde an ihm vorbei zu der am Boden liegenden Leiche. „Saubere Arbeit!“ entfuhr es ihm. „Ein gründlicher und akkurater Schnitt. Erstes Mal für dich?“ Etwas perplex war Kenshin nur im Stande zu nicken. Wer war diese seltsame Gestalt? Ein schmächtiges Männchen mit verschlagenem Gesicht, schwarzen, kurzen Haaren und einem kleinen Bärtchen. Sein Erscheinen war genauso rätselhaft wie seine Ki, aus deren vielschichtigen Empfindungen so gut wie gar nicht schlau zu werden war. Izuka bemerkte Kenshins durchdringenden Blick und wandte sich ihm mit einem verschwörerischen Lächeln zu. „Du bist Himura-san, nicht? Unverkennbar, wie mir Katsura-san mitteilte, an deinen roten Haaren. Wie ich schon sagte, ich bin Izuka. Katsura Kogoros Mann für die Koordination der Geheimoperationen. Kurz gesagt, mein Job ist es, deinen Job zu überprüfen und zu begutachten, haha. Hier!“ Er reichte Kenshin ein Stück Reispapier. Langsam und immer noch misstrauisch nahm er es entgegen. „Reiß dich zusammen, Junge.“ Izuka interpretierte Kenshins zögerliches Verhalten wohl als Schock. „Einige übergeben sich. Andere weinen. Wieder andere verlieren gleich den Verstand. Das ist ganz verschieden bei dem Job als Attentäter...“ Attentäter?! So hatte es Katsura-sama nicht ausgedrückt... Mit belegter Stimme konnte Kenshin endlich antworten. „Ich fühle mich eigentlich ganz gut. Es war... leichter, als ich dachte.“ Langsam zog er das Reispapier über die blutige Schwertschneide und wischte auch das Blut von seinem ledernen Handschutz. Aus dem Augenwinkel sah er, wie Izuka einen Zettel mit der Aufschrift „Tenchuu“ auf den Rücken des Toten legte. „Lass uns schnell gehen“. Freundlich lächelnd packte er Kenshin am Ärmel und zog ihn hinter sich her, den Lichtern der Stadt entgegen. Kenshin ließ sich willenlos von Izuka führen, der offensichtlich ein Vertrauter Katsura-samas war und der nun, auf dem Weg zurück zur Stadt, unbekümmert ein fröhliches Lied in die Nachtluft trällerte. Ja, dieser Mann war wirklich seltsam. Wie schaffte er es, in einem Moment einen blutüberströmten Körper zu begutachten und im nächsten ein Lied zu pfeifen? „Nani?“ fragte Izuka, als ob er ihn gehört hätte, „wunderst du dich über mich? Da bist du nicht der Erste. Es gab schon Attentäter vor dir, die haben mich das auch gefragt. Warum ich so fröhlich sein kann, obwohl ich fast täglich mit blutigen Leichen zu tun habe...“. Er spuckte aus. „Naah, was soll ich dazu sagen? Das Leben ist kurz. Man sollte nicht zu lange bei den schlechten, sondern lieber bei den guten Momenten verweilen. Deswegen...,“ drehte er sich zu Kenshin um, „biege ich jetzt in Richtung Gion-Viertel ab. Willst du mitkommen, und dir dein Trübsal von süßer Gesellschaft verscheuchen lassen?“ „Ie, ich muss ablehnen. Arigatou, Izuka-san, aber ich möchte lieber allein sein.“. „Na gut. Anderen vor dir hat die Ablenkung geholfen, also dachte ich, ich frage wenigstens. Bis zum nächsten Mal!“ sprach er und war so schnell verschwunden, wie er gekommen war. Irritiert blieb Kenshin zurück. Bis zum nächsten Mal? Soweit hatte er noch gar nicht gedacht...Er hatte sich jetzt schon kaum überwinden können. Und es gab noch mehr wie ihn? Hatte Katsura nicht betont, wie wichtig er war, nur er? Hätte dann nicht ein anderer den Job von gerade eben machen können? Seinen Job. Er war jetzt ein Attentäter... Ein Auftragsmörder... Mörder... Mit einem Schlag traf es ihn und er musste sich an der Hauswand, an der er gerade stand, festkrallen um nicht einfach umzufallen. Seine Beine waren plötzlich wie Gummi, er konnte kaum atmen und seine Hände zitterten. Er hatte gerade einen Menschen getötet. Einfach so. Zack. Noch viel schlimmer – er hatte nichts dabei empfunden. Er hatte noch das Blut dieses Menschen an sich – er sah das Gesicht vor sich, Augen vor Entsetzen geweitet, Mund sprachlos offen – er roch es, er spürte es an sich kleben. Horror und Ekel ergriffen von ihm Besitz und er rannte wie ein Gejagter den restlichen Weg zur Herberge zurück. Schnurstracks ging er in Richtung Badehaus und wenn ihm Menschen begegnet wären, hätte er es nicht bemerkt. Er roch nur das Blut und wollte so schnell wie möglich sauber werden. Sauber! Er schüttete einen Eimer Wasser über sich und zuckte zusammen. Eiskalt. Genau wie er. Eiskalt hatte er eben einen Mann getötet. Hatomo war bewaffnet gewesen. Er war noch dazu höchstwahrscheinlich ein vielfacher Mörder. Er hatte sterben müssen, um der neuen Ära den Weg zu ebnen und Kenshin vertraute Katsura’s Entscheidung bedingungslos. Es war Notwendig. Dennoch... es war ein Mensch. Und er hatte ihn zwar gewarnt, aber so schnell getötet, dass er nicht die geringste Chance hatte, sich zu verteidigen. Der nächste Eimer kaltes Wasser platschte über ihn. Panikartig zog er seine Kleidung aus und schleuderte sie in die Ecke. Nachdem er sich abgeschrubbt und einige Eimer Wasser mehr gelehrt hatte, band er sich ein Handtuch, das er glücklicherweise noch im Waschraum fand, um und war schon dabei, den Raum zu verlassen, als sein Blick auf die immer noch in der Ecke zusammengeknüllt liegende Uniform fiel. Das Blut, das seinen dunkelblauen Gi leicht dunkel färbte, fiel kaum auf. Dennoch sprang es ihm sofort ins Auge. Waschen. Sofort. Er konzentrierte sich auf die einfachen Handlungen um nicht in Panik zu verfallen. Schrubben. Wasser. Abtrocknen. Waschen. Er fand ein Waschbrett und schrubbte wild seinen Gi. Soweit er es im Mondlicht erkennen konnte, war das Wasser nicht einmal leicht rot gefärbt. Dennoch wusch er ihn drei Mal und seine Hakama zur Sicherheit auch, bevor er beides zum Trocknen an die Luft hing. Erst jetzt merkte er, das es ungewöhnlich ruhig in der Herberge war. Die meisten Männer waren wohl ausgegangen. Es musste wohl Wochenende sein. Wahrscheinlich feierten sie wie Izuka-san in Gion, tranken, würfelten, scherzten... Es kam ihm seltsam vor, das andere Menschen unbeschwert ihr Leben führen konnten, während er hier stand und immer noch das längst abgewaschene Blut an seinen Händen fühlte. Doch gut, dass keiner da war. Es wäre ihm unerträglich gewesen, jetzt einen Menschen zu treffen. Noch dazu im Handtuch, nachts mitten auf dem Hof, im Herbst. Schnell stieg er die Treppe zu seinem und Yoshidas Zimmer hinauf. Vor der Tür hielt er kurz inne, doch er spürte und hörte nichts, also war offensichtlich keiner da. Erleichtert glitt er ins dunkle Zimmer, zog sich schnell seinen Schlafkimono an und schlüpfte unter die Decke. Sein Schwert, dass er zuvor ebenfalls gründlich gereinigt hatte, legte er griffbereit neben sich. Doch der Schlaf wollte nicht kommen. Alles was er sehen konnte, sobald er die Augen schloss, war das verzerrte Gesicht des Mannes und sein Schwert, das dieses Gesicht spaltete wie eine reife Melone. Er fühlte noch die Bewegung seiner Arme, den Wiederstand, auf den sein Schwert stieß, und das Geräusch, als er es herauszog und der Körper zu boden platschte wie ein nasser Sack, röchelnd und dann stumm. Er starrte an die Decke und hörte sein Herz schwer in der Brust klopfen. „Baka...“ murmelte er, als er seinen Meister mit vorwurfsvollem und stechendem Blick vor sich sah. Plötzlich sah er sich selbst auf einem Baum stehen. Wie damals, bei seinem Training mit Hiko. Da. Er sah den Mann kommen. Er sah sich vom Baum springen. Er holte mit einem weiten Streich aus und schlug das Schwert in den Kopf – seines Meisters?! Blutüberströmt sank der Körper zu Boden. „Shishou!!“ schrie er. Was hatte er getan? „Mörder..“ flüsterten die unbewegten Lippen der Leiche am Boden. „Du hast mich getötet.“ „Nein...“ flehte Kenshin. Er schreckte hoch. Verlor er jetzt den Verstand? Oder hatte die Müdigkeit ihm diesen Streich gespielt? Jetzt war er jedenfalls hellwach. „Shishou...“ Kenshin setzte sich auf und nahm das Schwert, das ihm sein Meister geschenkt hatte, zur Hand. Langsam zog er es aus der Scheide und war überrascht, es nicht voller Blut sondern schön glänzend zu sehen. Sein Albtraum von gerade eben... Shishou... Er fühlte plötzlich das Gewicht eines Lebens auf seinen Schultern lasten, schwer wie ein großer Felsbrocken. Er konnte kaum atmen. Was hatte er getan? Die Endgültigkeit seiner Tat traf ihn wie ein Schlag ins Gesicht. Es war nur ein Traum, in dem er Hiko getötet hatte. Doch Kenshin wusste, das es keinen Unterschied machte. Heute hatte er den Hiko in sich selbst getötet. Die mahnende Stimme seines Meisters war verstummt. Er hatte sie mit seinem Willen besiegt und mit Blut besiegelt. Er hatte die Lehren seines Meisters missachtet. Zugunsten Katsura-samas Tenchuu. Das Schwert in seinen Händen hätte er am liebsten aus dem Fenster geworfen. Er fühlte sich unwürdiger denn je, es zu besitzen. Er hatte das Schwert, das ehrwürdige Schwert seines Meisters, ein Geschenk an ihn, für einen Mord missbraucht. Seinen Meister verraten. Scham und Schuld trieben endlich Tränen in seine Augen und er weinte leise und lange. „Nächstes Mal...“ hallten Izukas Worte in seinem Kopf wieder. Er mochte nicht daran denken, doch er wusste, das es weitergehen würde. Er hatte sich zu diesem Leben entschieden und Katsura-sama sein Wort gegeben! Und er wusste, das seine Taten nicht umsonst waren. Er wusste, das sie ein Ziel hatten. Auch wenn sie schrecklich waren. Ja, jetzt verstand er plötzlich alles. Alles, was Kasura seit dem Lager der Kihei-Tai zu ihm gesagt hatte. Die Philosophie hinter der göttlichen Gerechtigkeit und ihren Wahnsinn. Sie war grausam und unbarmherzig. Aber sie musste vollführt werden. Und einer musste es tun. Und er würde derjenige sein. Auch wenn er dafür seine Unschuld opfern musste. Er fühlte sich nicht länger hilflos. Das war gut. „Klammere dich an dieses Gefühl!“ befahl er sich. „Auch wenn ich mich schuldig mache, ich bringe die neue Ära damit schneller zu den Menschen!“ Er dachte an Akane-san und die anderen Mädchen von damals. Was für ein erbärmliches Leben sie geführt hatten. Verkauft, erschlagen... nie wieder würde er so etwas zulassen. Für andere Akane-sans dort draußen in der Welt würde er weitermachen. Nicht verzweifeln. Weitermachen. „Katsura-sama...“ Er sah das ernste und doch freundliche Gesicht des Mannes vor ihm, den er zutiefst bewunderte und wertschätzte. „Es muss getan werden,“ flüsterte seine Stimme. Mit diesem Bild vor Augen sank er langsam in den Schlaf. Er schlief fest – es war ein körperlich und geistig fordernder Tag gewesen. Und als Yoshida, der sich trotz seines betrunkenen Zustandes alles Mühe gab, das Zimmer leise zu betreten, gegen drei Uhr nachts hereinstolperte, wachte er nicht einmal auf. -- Nächstes Kapitel: Kenshin kehrt vorerst in den normalen Alltag zurück und freundet sich mit seinem Zimmergenossen Yoshida besser an – doch beide haben ihre Geheimnisse... Anmerkungen: Als Quellen habe ich wie immer den Manga und die OVAs (die ersten 4) benutzt. Auch einige englische FFs waren sehr hilfreich. Vor allem „Descent into Madness“ von Conspirator und „Snow Raven“ von Krista Perry möchte ich jedem, der kein Problem mit Englisch hat, ans Herz legen! [ Edit: Falls sich jemand wundert, ich habe die ehemaligen Kapitel 4 und 5überarbeitet und hier mit reingezogen, beide Kapitel waren recht kurz und gehörten eigentlich sowieso zusammen. Jetzt endlich bin ich mit dem Kapitel, das dieser FF schließlich ihren Namen gibt, zufrieden ;)] Yoshida Shoin: führender Sonnō-jōi-Intellektueller, der gegen die Verträge mit den Amerikanern war und eine Revolution gegen das Bakufu plante. Arigatou = Vielen Dank Gi = Kimono-Oberteil Bok(k)en = Holzschwert Baka Deshi = dümmlicher Schüler Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)