Die Magie der Musik 2 von abgemeldet (Die Fürsorge eines Bruders) ================================================================================ Kapitel 14: ------------ Kapitel 14 Daniel lief die Stufen zu Kais Wohnung hoch. Er kam gerade vom Geldautomaten um die Ecke, wo er sich die nötigen Scheine für sein Tattoo geholt hatte. Heute wollte er es sich stechen lassen, so viel war klar. Kai war gerade in der Uni. Heute am frühen Nachmittag, als Daniel aufgewacht war, hatte er eine Notiz von ihm auf dem Kopfkissen gefunden und auf dem Nachtschrank eine Bahn Kokain. Scheinbar hatte Kai Mitleid mit ihm und eingesehen, dass Daniel sich sein Zeug tatsächlich irgendwo anders besorgen wollte, zumindest solange, bis er die Sache mit Serdall hinter sich gelassen hatte. Das war zumindest Daniels Plan. Vor sich hin summend sah er auf die Uhr, während er es sich im Sessel bequem machte. Gut, Kai würde gleich wiederkommen, dann konnte er mit ihm über sein Vorhaben noch einmal reden. Eigentlich brauchte Daniel nur jemanden, der ihn hinfuhr und eventuell Händchen hielt. Er hatte keine Ahnung wie weh es tat, wenn einem mit Nadeln Farbe unter die Haut gespritzt wurde. Tatsächlich klappte dann endlich die Tür. Kai schleppte eine Einkaufstüte in die Küche. Er war noch schnell im Supermarkt gewesen, sonst hätten sie die nächsten Tage nichts zu essen gehabt. Mittlerweile glaubte Kai, dass Daniel gar nicht mehr von ihm weg wollte. „Verständlich“, zischte er sich selbst zu. Bei ihm gab es schließlich das Wundermittel, was Daniel wieder glücklich werden ließ. Kopfschüttelnd räumte er die Lebensmittel in den Kühlschrank und rief Daniel zu sich. Er könnte wetten, dass sein Freund noch nichts gegessen hatte. „Hey“, grüßte Daniel und strecke seinen Kopf zur Küchentür rein. „Ich will ins Tattoostudio gehen, kommst du mit?“, fragte er Kai und wedelte mit seinem Portemonnaie vor dessen Nase herum. „Erst, wenn du etwas gegessen hast“, stellte Kai klar und begann Reis aufzusetzen und dazu eine Soße aus der Tüte zu machen. „Und glaubst du wirklich, dass du so spontan ein Tattoo kriegst? Die werden mit dir reden, bevor die dir überhaupt was stechen. Und ein Motiv musst du dir auch noch überlegen“, murrte Kai patzig und verschränkte die Arme. „Komm mal runter“, erwiderte Daniel mit hochgezogener Augenbraue und machte es sich am Tisch bequem. „Ich gehe da hin, suche mir ein Motiv aus und lasse es mir stechen. Fertig. Was ist denn daran bitte so schwer? Und warum bist du überhaupt so mies drauf? Hat dich in der Uni irgendwer dumm von der Seite angemacht?“ Sicher nicht, dachte Kai angepisst. Es war schließlich nur der Typ drogensüchtig, in den er sich anscheinend verknallt hatte. Ganz große Klasse. Kai seufzte resigniert. Daniel wollte das Zeug nur, um seinen Ex zu vergessen, das hieß nicht, dass er abhängig war. Vielleicht aber auch doch, wenn er sich Daniels rotgeränderte Augen so ansah… „Wenn du unbedingt willst“, seufzte Kai leise. „Vorher bekomm ich aber mal einen Begrüßungskuss, oder? Ist doch kein Wunder, dass ich schlecht drauf bin“, meinte er nun doch noch grinsend. Gedanken machen konnte er sich wann anders. Bisher hatte er alles mit Daniel unter Kontrolle. „Oh, das tut mir leid“, meinte Daniel amüsiert, ging auf Kai zu und gab ihm einen tiefen, aber verzehrenden Zungenkuss. „Mehr gibt es nicht. Ich will mein Tattoo und ich will es, bevor das Zeug wieder nachlässt, damit ich mich nicht blamiere und vor Schmerz rumschreie. Es sei denn…“ Mit einem Dackelblick sah Daniel Kai an. „Du könntest mir auch noch ein bisschen was geben, wir schieben noch ne kleine Nummer und dann gehen wir ins Studio.“ Kai lachte vergnügt. Irgendwie gefiel ihm diese Art an Daniel gewaltig. „Wie wär es in einer geordneten Reihenfolge? Erst essen, dann Sex, deine Bahn und dann das Studio, okay?“ Er würde Daniel wohl eine geringfügig höhere Dosis geben müssen, wenn es die ganze Sitzung im Tattoo Studio halten sollte. Oder er ging zu einem guten Kumpel, der ihn ziemlich genau kannte. Letzteres wäre wohl angebrachter. Er wollte nicht, dass Daniel noch mehr von dem Zeug bekam. „Ja, hört sich gut an“, bestätigte Daniel. „Das Essen müsste zwar nicht unbedingt sein, aber ohne das lässt du mich ja, wie du gedroht hast, nicht weggehen, also bleibt mir nichts anderes übrig.“ Gut eine Stunde später schlenderten sie in Richtung Tattoostudio. Daniel besah sich von außen schon mal ein paar Motive, doch bislang gab es noch nichts, was ihm wirklich zusagte. Er zog Kai mit sich hinein. „Hey Kai“, rief ein zierlicher junger Mann, dessen Haut zahlreiche Tattoos schmückten. Kai reichte ihm die Hand. „Na Kallus, wie geht es dir?“, wollte Kai grinsend wissen und sah kurz Daniel nach, der auf der Suche nach dem passenden Motiv durch den Raum schlenderte. „Alles klar soweit“, erwiderte Kallus und legte dann den Kopf schief. „Was treibt dich her?“ „Mein Freund hier“, murrte Kai. „Er will eine Tätowierung, gleich oder am besten sofort“, meinte er mit den Augen rollend. Kallus lachte vergnügt. „Alles klar. Soll er sich umschauen, ich werde erst mal gucken, wie es mit meinen Terminen steht.“ Daniel stoppte abrupt, als er von weitem schon das Motiv sah. Sein Motiv. Es war nicht eines der ausgestellten Tattoos, sondern mit im Design eines Plakats integriert, aber wenn es möglich wäre… Er ging wieder zurück zu Kai und lächelte ihn an. „Ich hab was gefunden“, frohlockte er. Wieder rollte Kai mit den Augen. Sollte Daniel seinen Willen doch haben, waren schließlich sein Körper und sein Geld. Kallus winkte sie heran. „Ihr habt Glück. Ein junges Mädchen hat ihren Termin abgesagt, also wenn du wirklich willst? Vorher muss ich dich aber noch über dir Risiken aufklären und so weiter.“ „Gut“, erwiderte Daniel simpel und hörte sich den kleinen, scheinbar schon unzählige Male erzählten Vortrag an. „Ich will das Tattoo trotzdem noch haben“, grinste er anschließend. „Und zwar am liebsten mit dem Motiv dort drüben. Dieser gewundene Drache auf dem Plakat. Also wenn du das hinbekommst, so ohne richtige Vorlage, wäre das schon klasse. Hier auf den Unterbauch am Hüftknochen.“ „Auch noch Extrawünsche“, nuschelte Kai neben ihnen aber verstummte, als Kallus vergnügt lachte. „Kein Problem. Ich skizzier erst mal die Outlines, dann kannst du mir sagen, ob es dir gefällt oder nicht. Also dann mal los, schreiten wir zur Tat“, erklärte Kallus vergnügt und führte sie in den sterilen Behandlungsraum. Kallus hatte wirklich Talent. Das musste Daniel neidlos zugeben. Der Drache auf der Art Faxpapier sah fast noch besser aus, als der auf dem Plakat. Sie handelten den Preis aus, Daniel bezahlte und zog dann Hose und Boxershorts ein gutes Stück herunter. Seine Haut wurde mit Alkohol gereinigt, rasiert und noch einmal mit Alkohol angefeuchtet. „Bereit?“, fragte Kallus noch einmal und Daniel nickte bestätigend. „So bereit wie jetzt werde ich nie mehr sein.“ Kallus nickte und fing an. Anfangs war es etwas ungewohnt und unangenehm, aber Daniel gewöhnte sich schnell daran. Es schmerzte auch kaum, obwohl das Tattoo im Intimbereich gestochen wurde. Zuerst wurden die Outlines gezogen, dann der Drache mit der gewünschten schwarzen Farbe ausgefüllt. Kallus setzte noch ein paar Schatten, bevor er die Stelle desinfizierter und Vaseline auftrug. „Wow“, stellte Daniel glücklich fest und besah sich das fertige Meisterwerk. „Das ist echt klasse geworden.“ „Ja, ne?“, meine Kallus stolz auf sich und zückte seine Kamera. „Ich würde gern noch ein Bild für mein Book machen, okay?“ Als Daniel zustimmend nickte, knipste Kallus die Stelle, ehe er die sterile Folie drüberlegte und mit Pflastern an den Seiten fixierte. „Und nicht vergessen, so pflegen wie besprochen, ja? Dann entfaltet es in circa dreißig Tagen seine volle Pracht.“ Kai verabschiedete sich noch und Daniel hüpfte schon freudig nach draußen. Es sah wirklich ziemlich gut aus. Kurz küsste er Daniel, bevor sie zurück zu Kais Wohnung gingen. „Du hast auch überall Kontakte, was?“, fragte Daniel Kai, als sie die Wohnung wieder betraten. „Ich mein, du kennst den Türsteher, den Barkeeper, diverse andere Leute in der Disko, einen Tätowierer. Überall, wo ich mit dir hinge, grüßen dich die Leute. Das ist schon faszinierend.“ Kai lachte und schloss die Arme um Daniel. „Das ist normal, wenn man so offen ist wie ich. Klar, dass du das nicht kennst. Ich mein mal ehrlich, wie viele Leute kennst du außerhalb der Uni denn, hm? Ich hab in all den Jahren echt schräge Vögel kennengelernt“, erklärte er grinsend und küsste Daniels Hals. „Und? Tut dein Tattoo sehr weh?“ „Nein, eigentlich so gut wie gar nicht. Wenn ich mich nicht darauf konzentriere, merke ich es gar nicht. Jetzt mit dem Tattoo war so eine Situation wo ich richtig glücklich bin, dass du mich zur Intimrasur überredet hast.“ Daniel lehnte sich leicht an Kai und ging mit ihm zusammen ins Wohnzimmer. „Na, das hat auch so seine Vorzüge“, murmelte Kai grinsend. Daniel legte sich auf das Sofa und Kai drängte sich neben ihn. Versonnen lächelnd strich er ihm über die Stirn und hauchte kleine Küsse auf Daniels Lippen. „Morgen gehst du zur Uni?“ „Ich weiß nicht. Kommt drauf an. Eigentlich hatte ich vor, heute wieder feiern zu gehen und dann werde ich wohl etwas länger schlafen und nicht gehen.“ Daniel zuckte mit den Schultern und fuhr leicht unter Kais Pullover. Er fühlte sich zwar momentan richtig gut und konnte den Stoff in der Uni garantiert super meistern, aber er hatte einfach keine Lust. Seufzend ließ sich Kai von Daniel am Bauch streicheln. Ihm war es egal, solange Daniel sich wohl fühlte. Kai begann Daniel ebenfalls ein wenig zu liebkosen und sich näher an ihn zu lehnen. Sich tief küssend blendeten sie um sich herum alle Dinge aus und Kai seufzte leise auf, als sie sich voneinander lösten. „Dan?“, fragte Kai leise und holte dann tief Luft. „Würdest du mein fester Freund werden?“ Etwas verwirrt sah Daniel ihn kurz an. Er musste die Frage erst einmal verdauen. Seltsamerweise musste er nicht sehr lange über die Antwort nachdenken. „Klar“, meinte er lächelnd. „Ich hab dich gern und schlafe schließlich nicht mit jedem Typen. Außerdem habe ich immer dieses Kribbeln im Bauch, wenn du bei mir bist. Vielleicht ist es noch keine richtige Liebe, aber wohl Verliebtheit.“ Kurz gab Daniel Kai einen Kuss. Glücklich begann Kai zu Lächeln. Sprach da vielleicht auch der echte Daniel heraus? Kai war sich sicher, denn so eine Entscheidung würde Daniel nicht nur so einfach treffen können, oder? Nein, Kai war sich sicher, dass das Kokain dahingehend nicht so stark wirken konnte. Er zog Daniel eng an sich und begann ihn heftig zu küssen. Diese Antwort machte ihn wirklich wahnsinnig froh. Daniel erwiderte leidenschaftlich. Es freute ihn, dass Kai scheinbar wirklich glücklich war. Irgendwie schien er in den letzten Tagen recht deprimiert. Und so war es doch klasse. Er selbst war glücklich, Kai war glücklich und Daniel hatte kein Problem damit, mit ihm zu gehen. Sie wohnten zusammen, schliefen zusammen, unternahmen alles zusammen, das konnte man auch so schon als eine Beziehung bezeichnen. Außerdem gab es gerade nichts in seinem Kopf, was sich gegen diese Idee auflehnte. ------------------------------------- Dienstagabend. Regungslos stand Serdall an der offenen Terrassentür und sah hinaus in die Dunkelheit. Kimba und Mücke mussten noch einmal hinaus und Serdall schnappte so auch ein wenig frische Luft, obwohl sie sehr kühl war. Er fühlte sich seltsam leer, seit er den Brief an Daniel geschickt hatte, aber auch irgendwie nicht real. Ihm kam es immer nur noch so vor, als ob Feis Anwesenheit in diesem Haus nur ein vorübergehender Albtraum war. Seufzend ging Serdall zu seinem Barschrank und holte seinen guten Cognac und ein bauchiges Glas hervor, das er halbvoll füllte. Die Flüssigkeit darin schwenkend trat Serdall zurück zur Terrasse und ging ein Stück weit hinaus. Eine leichte Gänsehaut bildete sich auf seiner Haut, trotz des dicken Pullovers, doch er registrierte es kaum. Langsam begann sich wieder die Sehnsucht einzustellen. Die Sehnsucht nach Daniel. Das Verlangen ihn wiederzusehen, ihn zu spüren, seine Stimme zu hören, sich an ihn zu schmiegen und in seine Arme zu flüchten. Wie es ihm wohl ging? Ob er sehr traurig war? Serdall wusste nichts und Dustin redete mit ihm darüber nicht. Serdall hoffte inständig, dass alles in Ordnung war, dass Daniel wirklich auf sich aufpasste und keine Dummheiten beging. Der Spuk mit Fei würde sicherlich bald vorbei sein, auch wenn es momentan nicht so aussah. Serdall konnte die Hoffnung nicht aufgeben, sonst würde er sich selbst und Daniel aufgeben und das lag ganz sicher nicht in seinem Interesse. Es ging ihm schon so schlecht genug. Er hatte keinen Appetit, ständig Magen- und Kopfschmerzen, doch er kämpfte für Daniel, für seinen Liebsten und für seine eigene Freiheit, auch wenn sie noch so fern schien. Traurig warf er einen Blick zurück ins Wohnzimmer. Er wollte seine Geige spielen… Serdall sah auf seine Hände, an denen der Schorf sich langsam zurückbildete und rotegefärbte Stellen hinterließ. Wieso hatte er nur so überreagiert? Er fragte sich immer wieder, warum. Normalerweise hätte er nie mit seinen Händen zugeschlagen, doch Feis Worte waren zu viel für ihn gewesen. Erst jetzt realisierte er, was seine Reaktion eigentlich für eine Bedeutung hatte. Daniel war ihm mehr wert, als sein eigenes Leben. Er liebte ihn schlicht und ergreifend von ganzem Herzen und opferte dafür auch seine Freiheit, wenn es sein musste. Seufzend lehnte sich Serdall an die kalte Glaswand und nippte an dem Alkohol. Irgendwie musste Fei doch zu überzeugen sein. Irgendwie… Serdall wusste nicht wie. Überhaupt, wie sollte er jemanden so starrsinnig und stolz wie Fei dazu bringen, die Wahrheit zu sehen? Es war sicher nicht unmöglich, doch es brauchte seine Zeit und die, so glaubte Serdall, lief ihm einfach viel zu schnell davon. Seine neue, zukünftige Frau hatte schon sein Schlafzimmer besetzt. Serdall hatte es ohne Wiederworte geschehen lassen, obwohl ihm bei dem Gedanken daran schon schlecht wurde, dass er mit ihr in einem Bett schlafen musste. Sowieso, er schlief des Nachts kaum mehr. Ihn plagte die Unruhe, weil Mayumi viel zu nah bei ihm schlief und er es einfach nicht aushielt, wenn sie immer weiter an ihn heranrückte. Es machte ihn mittlerweile geradezu wahnsinnig, das Mayumi ihm, seit sie hier war, ständig wie ein treuer Dackel hinterherlief. Fei trat plötzlich zu ihm heraus und sah ihm mit undeutbaren Gesichtsausdruck an. Kimba und Mücke begannen schlagartig zu knurren und auf Fei zuzukommen. Mit einem Pfiff rief Serdall zu sich. Artig setzten sie sich an seine Beine. Es war schon irgendwie amüsant und auch wirklich schön, dass die Hündinnen zu erkennen schienen, dass Fei ihnen nicht ganz wohl gesonnen war. Seit der Oyabun erfahren hatte, dass Kimba Daniel gehörte, hatte er nahezu darauf bestanden sie in ein Tierheim abzugeben, doch das hatten Serdall und Taki nicht zugelassen. So hatte Serdall wenigstens noch diese beiden treuen Freunde. „Du solltest nicht so in der Kälte stehen, Serdall“, sagte Fei überaus fürsorglich und für Serdalls Geschmack zu gut gelaunt. Sofort wurde sein Misstrauen geweckt. „Ich werde nur austrinken und dann ins Bett gehen, Oyabun“, erwiderte Serdall und sah nicht zu Fei, den diese Titulierung von Serdall sichtlich schmerzte. Serdall schüttelte innerlich den Kopf. Wenn Fei ihn kontrollieren wollte wie der Oyabun, dann würde er ihn auch wie den Oyabun behandeln. Schließlich konnte ihm das nicht auch noch genommen werden. Er tat nun mal alles, was Fei wollte. „Außer du wünschst, dass ich sofort gehe“, fügte Serdall an und sah Fei fragend an, der daraufhin leicht den Kopf schüttelte. „Serdall, ich wollte dir nur noch eine angenehme Nacht wünschen. Morgen sollten wir uns noch einmal unterhalten. Zumindest ich habe dir so einiges zu erzählen“, offenbarte der Oyabun und Serdall verbeugte sich. „Es wird mir eine Ehre sein“, erwiderte Serdall ernst, doch konnte sich innerlich keinen bissigen Gedanken verwehren. Fei schenkte ihm einen scharfen Blick, doch Serdall ließ sich nicht irritieren. Sein Bruder verschwand kommentarlos und Serdall trank wirklich nur noch seinen Cognac, ehe er die Hunde rein dirigierte und die Terrassentür hinter sich schloss. Er kraulte Kimba und Mücke noch kurz am Kopf, ehe er wirklich auf sein Zimmer ging. Mayumi schlief augenscheinlich schon. Auf Daniels Seite. Serdall biss sich wütend auf die Lippe. Ruhe bewahren!, mahnte er sich selbst und ging ins Badezimmer. Serdall ließ sich die Wanne voll laufen und setzte sich dann in das warme Wasser. Er wollte einfach nur die Zeit dieser Nacht so schnell wie möglich wieder herumbekommen. Sich fragend was Fei mit ihm bereden musste, tauchte er kurz im Wasser unter und hielt die Luft an. Die Stille, die ihn umfing, nur durchbrochen von seinem eigenen Herzschlag, begrüßte er freudig. Auch wenn die Luft knapp wurde, versuchte er diesen Moment so lange wie möglich aufrecht zu erhalten, bis er keuchend nach oben ruckte, um seinen schmerzenden Lungen, das zu geben, wonach es sie verlangte. Abgehackt ein und aus atmend starrte Serdall an die Decke. Erinnerungen an Daniel drohten ihn wieder zu übermannen. Wie oft er hier mit ihm schöne Stunden verbracht hatte, vermochte Serdall gar nicht zu sagen, doch jetzt ihm Nachhinein waren es schlichtweg zu wenig. Lange Zeit blieb er so liegen, störte sich nicht daran, dass seine Haut langsam runzelig wurde. Erst als ihn die Müdigkeit nahezu niederringen wollte, erhob sich Serdall schwach und kletterte aus der Badewanne. Er wickelte sich eng ein Handtuch um seinen Körper, bevor er zum großen Spiegel trat, der über dem Waschbecken hing. Sein Gesicht war blass, kontrastierte mit den roten Wangen, die er vom langen Baden bekommen hatte. Augenringe furchten sich bis hin zu seinen Wangen und ließen ihn doch etwas leichenhaft wirken. Genervt den Kopf schüttelnd nahm sich Serdall eine der Lotionen und rieb seine Haut großzügig ein, ehe er in seinen Schlafanzug stieg und sich endlich in sein Bett traute. Er rückte jedoch sogleich an den Rand, aus Angst vor Mayumi, die leise im Schlaf seufzte. Serdall musste einige Zeit warten, ehe er in einen unruhigen Traum fallen konnte, der ihn aber wenigstens für einige Stunden zu fesseln schien. Serdall schaffte es diesmal sogar bis kurz nach zehn zu schlafen, aber nur weil Mayumi augenscheinlich beschlossen hatte, ihn heute nicht wecken zu wollen. Seufzend schlug er die Augen auf und rieb sich über die Schläfen. Es war ungewohnt zu dieser Zeit überhaupt wach zu werden, doch er konnte einfach nicht anders. Sich noch einmal die Decke über den Kopf ziehend, versuchte er sich für den Tag zu stärken. Dustin und Taki waren schon in der Schule, er selbst also allein auf sich gestellt. Am morgen war seine Stimmung immer am schlimmsten. Schiere Ausweglosigkeit wollte ihm die Kraft nehmen, doch er klammerte sich an den letzten Funken Hoffnung, den er noch hatte. Dass Fei vielleicht irgendwann verstand. Jetzt wohl nicht, aber bald bestimmt. Es war egal, solange Daniel nur auf ihn wartete und ihn liebte. Serdall festigte diesen Gedanken in sich. Er zelebrierte ihn wie ein Gebet. Wenn Daniel ihn liebte, würde alles gut werden. Nun konnte er Fei gegenüber treten, ohne Schwäche zu zeigen. Er wusch sich, zog sich an und ging dann hinunter. Schließlich hatte ihm der Oyabun mitgeteilt, dass er mit ihm reden wollte. Fei telefonierte jedoch geschäftig, als Serdall zu ihm ins Wohnzimmer trat. Dies kam dem Violinisten nur recht. Er war nicht darauf erpicht, mit seinem Bruder zu reden. Stattdessen ging er lieber mit Kimba und Mücke in den Garten und spielte mit ihnen. Etwas, das er bisher noch nie getan hatte, doch seit er seine Geige nicht mehr anfasste, war dies eine willkommene Ablenkung. Selbst nach dem Mittagessen war Fei noch schrecklich beschäftig, sodass Serdall erst am späten Abend zu ihm gerufen wurde. Sofort, als er das Wohnzimmer betrat, wusste er, dass etwas eindeutig nicht stimmte. Fei lächelte viel zu zufrieden und sein Blick war zu selbstgefällig. „Setz dich doch bitte zu mir, Serdall“, wies Fei ihn an. Zögernd trat Serdall zum Sofa und setzte sich mit angemessenem Abstand zu seinem Bruder. Argwöhnisch besah sich Serdall die Mappe, die auf dem flachen Tisch ruhte. Geschockt riss er die Augen auf, als er den Namen Daniel Erhard darauf las. Was sollte das hier werden? Was hatte Fei vor? Wut kochte in Serdall hoch. Er würde Fei eigenhändig töten, wenn er Daniel auch nur ein Haar gekrümmt hatte. „Serdall“, lenkte der Oyabun seine Aufmerksamkeit wieder auf sich. „Ich möchte dir etwas zeigen, damit du mir endlich glaubst, in Ordnung?“ „Ganz wie du wünschst, Oyabun“, erwiderte Serdall fest, doch innerlich war er rasend. Allein sein Name ließ all seine Erinnerungen an Daniel wieder hochkochen und die unendliche Liebe zu ihn brennen, wie nie zu vor. Er sehnte sich so schrecklich nach seinem Freund… Fei griff nach der Akte und hielt sie kurz in seinen Händen. „Ich hab diesen Erhard beschatten lassen, Serdall. Nur um dir zu beweisen, wie er wirklich ist.“ Serdall schwieg, sah seinem Bruder aber trotzig in das noch verletzte Gesicht. Du kannst mir viel erzählen, dachte sich Serdall grimmig. Ich weiß, dass er mich liebt und ich kenne ihn, bestärkte er sich selbst noch einmal. Fei verzog abschätzig den Mund. Spätestens wenn Serdall die Bilder sehen würde, wäre er endlich überzeugt. Er reichte Serdall die Akte. Das war Beweis genug. „Sieh es dir selbst an“, meinte Fei lapidar und lehnte sich mit verschränkten Armen zurück. Unsicher schlug Serdall die Mappe auf. Ein Bild von Daniel war zu sehen, vor irgendeinem Hauseingang mit einem anderen blonden Mann. Womöglich ein Kommilitone, vermutete Serdall und sah kurz verliebt auf Daniels Antlitz. Wieder brandete Sehnsucht in ihm hoch wie eine Sturmflut. Serdall begann die weiteren Bilder anzusehen. Registrierte jedoch nicht wirklich, was er sah. Fahrig betrachtete er eins nach dem anderen, wobei er ungläubig den Kopf schüttelte und große Augen bekam. Daniel nahm Drogen. Er schlief mit diesem Blonden. Schlimmer noch, er hatte bedeutungslosen Sex auf irgendwelchen Toiletten. Serdall glitten die Bilder aus den Händen. Sie fielen verstreut auf den Boden. Fassungslos sah Serdall in den Raum. Er tat nichts, außer in den Raum zu sehen. In seinem Kopf begann sich ein ätzender Gedankenwirbel in Gang zu setzen. Daniel betrog ihn, war über ihn hinweg, hatte einen neuen Freund, nahm Drogen und liebte ihn nicht… Wütend sprang Serdall auf und trat gegen den Tisch, sodass er krachend umfiel. Daraufhin blitzte er Fei an. Der Oyabun sah gelassen zurück. Endlich schien Serdall einzusehen. „Ich hab es dir doch gesagt“, meinte er hämisch und fühlte sich dabei endlich im Recht. „Das ist deine Schuld“, erklärte Serdall wütend, sodass Fei leicht zusammenzuckte. Würde Serdall wieder so austicken wie beim letzen Mal? „Sieh es ein“, befahl Fei kalt. „Er hat dich ausgenutzt.“ Plötzlich fiel alle Spannung von Serdall und er ließ den Kopf hängen, ehe er ihn wieder hob und Fei traurig lächelnd in das Gesicht sah. „Ja, das hat er. Danke“, flüsterte er noch leise, „jetzt weiß ich wenigstens, dass ich keinen Grund mehr habe, dir zu gehorchen.“ Feis Augen weiteten sich ein wenig, als Serdall plötzlich aus dem Raum lief. Was hatte sein Bruder vor? Warum war er nur so schrecklich unberechenbar? Eilig sprang Fei auf und hastete Serdall hinterher, der in die dritte Etage geeilt war. Geschockt sah Fei dabei zu, wie Serdall eine Waffe aus einem Buch seines Nachtschrankes herausholte. „Was hast du vor?“, fragte er ihn kalt und ging langsam auf Serdall zu. Die blaugrünen Augen richteten sich auf Fei. Sie schienen glanzlos und trüb. Ein eiskalter Schauer lief Fei über den Rücken, als Serdall die Waffe an seine eigene Schläfe setzte. „Hier gibt es nichts mehr, wozu es sich zu leben lohnt“, erklärte Serdall zittrig und Tränen begannen aus seinen Augen zu rinnen. Gehetzt ließ Fei seinen Blick umher wandern. Serdall wollte sich wirklich umbringen? „Mach dich nicht lächerlich. Was ist mit Taki?“, versuchte Fei diese Sache logisch anzugehen. Es war schlecht, dass Serdall so verflucht emotional war. Fei hätte damit gerechnet, dass er wütend auf Daniel wäre, ihn verachten würde und ihn endlich vergessen könnte. Wie hätte er denn ahnen können, dass diese Situation so eskalierte? Serdalls Augen legten sich kurz auf den Boden, ehe sie wieder zu Fei sahen. „Was soll er mit mir? Ich kann ohne Daniel nicht leben, Fei. Ich bin lieber tot, als all den Schmerz, den ich nach Louises Verlust empfunden habe, jetzt noch einmal zu fühlen.“ Fei schüttelte ungläubig den Kopf. Ja, Louises Tod hatte Serdall nur sehr schwer verkraften können. Aber konnte Serdall diesen Daniel so lieben wie sie? Der Oyabun starrte Serdall plötzlich fassungslos an. War es wirklich so? War Serdall wieder so abhängig geworden? „Serdall, das ist dieser Mann doch nicht wert“, versuchte es Fei noch einmal, doch Serdall sah ihn nur unglücklich an. „Du wirst es nie verstehen, oder? Ich kann dich mit dem Messer attackieren, dich ins Gesicht schlagen und mich jetzt umbringen…“ Angewidert verzog Serdall den Mund. „Daniel ist der Einzige, der es wert gewesen wäre und du hast alles zerstört.“ Serdall sah Fei kalt in die Augen. „Wenn jemand es nicht wert war, dann du.“ Ungläubig schüttelte Fei den Kopf. War Serdall einfach so verblendet von diesem Mann? Als Serdall plötzlich die Augen schloss und sein Zeigefinger sich stärker auf den Abzug legte riss Fei die Augen auf. „Serdall!“, schrie er aufgebracht, wobei sein Herz bestialisch in seiner Brust klopfte. Er konnte sich doch nicht selbst töten! Fei atmete regelrecht auf, als sein Bruder nicht abdrückte und noch einmal die traurigen Augen auf ihn richtete. „Warte. Ich…“, er wusste nicht, was er sagen sollte. „Vergiss es, Fei. Für Entschuldigungen ist es zu spät.“ In Serdall begann wieder dieser unerträgliche Schmerz zu wüten, der sich schlimmer ausmaß als bei Louise. Diesmal war es auch schlimmer. Daniel hatte ihn ausgenutzt und betrogen. Das war unerträglicher, als ihn zu verlieren. „Ich werde ihn dir zurückbringen“, erklärte Fei auf einmal und Serdall konnte nur emotionslos lachen. „Und dann? Er liebt mich nicht, das hast du mir doch eindeutig bewiesen.“ Fei schüttelte den Kopf. „Er…“, Fei zögerte. Er hatte all die Zeit gegen Daniel gekämpft und jetzt sollte er ihn in Schutz nehmen? Er musste jetzt abwägen. Das Leben war ihm wichtiger, als seine eigene Überzeugung, das war klar. Und Serdall würde sich hier und jetzt töten, wenn er nicht einschritt. „Daniel nimmt Drogen“, sagte Fei fest. „Das hab ich gesehen“, zischte Serdall unglücklich. „Serdall, versteh doch. Er ist nicht er selbst. Kokain wird ihn sich glücklich fühlen lassen. Dieser Blonde ist Kai Hahn. Ein Drogendealer.“ Serdall riss plötzlich geschockt die Augen auf. Das konnte nichts ein. Daniel schlief mit diesem Kerl, um an Kokain zu kommen? Wegen so einem Dreck betrog er Serdall? „Noch ein Argument, das ihn wertloser macht“, erklärte er kalt, hielt die Waffe stärker an seine Stirn und schloss die Augen. Er konnte das einfach nicht mehr ertragen, wollte einfach nur noch weg von hier. „Daniel versucht sich den Schmerz zu nehmen“, sagte Fei kalt und brachte so Serdall dazu, die Waffe sinken zu lassen. War der Trennungsschmerz für Daniel so unerträglich gewesen? Schwach ließ Serdall die schwarze Waffe in seinen Schoß sinken. „Er liebt mich also?“, fragte er Fei leise. Der Oyabun seufzte leise und ging zu Serdall, um sich vor seinen kleinen Bruder zu hocken. „Bestimmt. Die Drogen können einen Menschen verändern, aber du weißt doch, dass er dich liebt, oder?“ Serdall zuckte ratlos mit Schultern und sicherte im nächsten Moment die Waffe. Es war unverzeihlich, dass Daniel mit diesem Kai geschlafen hatte und es war auch unverzeihlich, dass er nicht auf Serdall gehört hatte. Das verstand er ganz sicher nicht unter auf sich aufpassen. „Bring ihn mir zurück, Fei“, sagte er leise und sein Bruder nickte. Er konnte Serdall nicht noch mehr Leid zufügen. Diese Aktion hatte ihm doch ziemlich heftig die Augen geöffnet. Auch wenn ihm das mit Daniel nicht zusagte, war es Serdalls Leben. Ende Kapitel 14 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)