The Reverse Side of Love von caramel-bonbon (Liebe ist ein Spiel [Kare/Yurei]) ================================================================================ Kapitel 1: Schmerzliche Tatsachen --------------------------------- Unsanft wurde ich wach, aus meinem Albtraum gerüttelt. Schweissgebadet, am ganzen Körper zitternd und mit weit aufgerissenen Augen schreckte ich aus meinem unangenehmen Schlaf auf und ich wäre auf dem Boden gelandet, hätten mich nicht zwei starke Arme aufgefangen und davor bewahrt, Bekanntschaft mit dem harten Asphalt zu machen. Ich sah mich um, während ich mich an den warmen Körper klammerte. Was tat ich mitten in der Nacht, irgendwo in der Stadt, auf einer Bank? Langsam kehrten die Erinnerungen zurück, tröpfelten in mein Gedächtnis, wie Wasser aus einem fast versiegten Brunnen. ° ~ * t * ~ ° Flashback ° ~ * t * ~ ° Verkrampft hielt ich mir die Ohren zu, versuchte auf etwas Anderes zu hören als das Gebrüll meiner sich streitender Eltern. Das ging jeden Tag so. Seit wann wusste ich nicht genau, ich habe aufgehört zu zählen, doch so schlimm wie heute war es noch nie. Ich zog die Decke über den Kopf, hoffte, sie würde das Geschrei ein wenig abdämpfen, doch vergeblich. Meine Eltern hatten sich ins Schlafzimmer – welches sich direkt neben meinem befand – begeben und schrieen sich erneut an. So konnte das einfach nicht mehr weitergehen. Ich selber bekam kaum noch Schlaf, dunkle Augenringe zierten mein schmales Gesicht, ich wurde immer dünner, als ob ich nicht so schon dünn genug wäre, die Leistungen in der Schule gingen den Bach hinunter, fielen ins Bodenlose. Ich ertrug das Alles nicht mehr, wollte weg, weit weg, den Stimmen meiner Eltern entkommen. Also stand ich wieder auf, zog mich an, packte das Nötigste zusammen und verschwand, hier hielt mich nichts mehr. Meine Eltern bemerkten mich nicht, hörten nicht die Türe, die leise ins Schloss fiel. Doch wo sollte ich hin? Ich konnte schlecht irgendwo antanzen und fragen, ob sie ein Platz für mich zum Schlafen hätten, ob die Couch eventuell noch frei wäre. Freunde hatte ich nicht wirklich, denn in der Schule galt ich als Aussenseiter, Outsider. Und die wenigen, mit denen ich ab und zu mal ein Wort wechselte, wären sicher nicht begeistert davon, dass ich mitten in der Macht vor ihrer Haustür stehen würde. Nach zwanzig Minuten ziellosen Umherirrens, bemerkte ich nicht weit von mir entfernt eine Kneipe. Entschlossen stapfte ich darauf zu, trat ein und liess meinen Blick umherwandern, bis ich zuhinterst in einer dunklen Ecke ein freies Tischchen erblickte. Ich quetschte mich durch das Gedrängel der Stühle - denn dieser Laden war eindeutig überfüllt - und liess mich auf den Holzstuhl plumpsen. Sofort kam eine junge Kellnerin auf mich zu, unglaublich, dass sie bei dieser Chaosbude hier den Überblick behalten konnte. „Kleiner, bist du nicht ein bisschen zu jung, um so spät nachts noch alleine unterwegs zu sein?“ Ich sah sie mit müden Augen an. „Mich vermisst sowieso Niemand.“ Sie starrte mich verdattert an, wusste nicht, was sie jetzt tun oder sagen sollte. „Könnte ich eine Cola haben?“, fragte ich sie und die Rothaarige schien aus ihrer Starre zu erwachen, froh darüber, dass ich etwas gesagt habe. Ich brauchte jetzt etwas Koffeinhaltiges, sonst würden mir noch die Augen zufallen und Kaffee mochte ich nicht sonderlich. „Kommt sofort“, nuschelte sie und verschwand. Ich starrte betrübt auf das halbleere Glas vor mir, meine Gedanken bei meinen Eltern. Ob sie sich wieder vertragen hatten? Hatte ihr Streit nun für immer ein Ende gefunden? Würde er jemals enden? Oder würden sie sich noch in der Hölle anschreien? Hatten sie überhaupt gemerkt, dass ich nicht mehr da war? Wie würden sie reagieren, wenn sie es merkten? Fragen über Fragen und niemand hatte eine Antwort für mich. Eine sanfte Stimme unterbrach mich bei meinen Gedankenzügen. „Kleiner, es ist zwei Uhr, wir schliessen. Tut mir leid, aber du musst gehen.“ Ich nickte, trank die letzten Schlücke meines Getränks aus, schnappte mir meinen Rucksack und verliess die Kneipe. Toll. Jetzt stand ich wieder mutterseelenallein auf der Strasse, niemand, zu dem ich hätte gehen können. Nach Hause wollte ich nicht. Eine halbe Stunde lang irrte ich nun schon in dieser mir völlig unbekannten Gegend umher, hatte null Ahnung, wo ich ungefähr sein könnte. Ich war erschöpft, k.o. Einige Schritte von mir entfernt entdeckte ich eine Bank, lief erfreut auf sie zu und liess mich auf das Holz fallen. Keine Sekunde später fielen mir die Augen zu und eine düstere Wolke albtraumreichen Schlafs umhüllte mich, verdammt ähnlich der Realität. ° ~ * t * ~ ° Flashback Ende ° ~ * t * ~ ° „Hey, Kleiner! Alles in Ordnung?“ Ich sah auf und blickte direkt in zwei wunderschöne, rubinrote Augen. Ich spürte, wie mir das Blut in den Kopf schoss und befreite mich von meinem Retter, setzte mich aufrecht auf die Bank. „Alles bestens, danke.“ Abgesehen davon, dass ich von zu Hause ausgerissen war, kein Dach mehr über dem Kopf hatte, nicht wusste, wo ich war oder wo ich hin sollte und dass es hier draussen recht kühl war und ich mir nur eine dünne Jacke angezogen hatte, ja, abgesehen von dem und einigen anderen, eher nebensächlichen Sachen, ging es mir nicht schlecht. Ich bemerkte, wie der fremde junge Mann mich pausenlos anstarrte und sah ihn fragend an. Er zögerte, doch dann stellte er mir die Frage, die ihm schon die ganze Zeit über auf der Zunge lag. „Sag mal, was machst du hier so alleine? Um diese Zeit?“ Ich antwortete nicht, glotzte stattdessen auf meine Hände. „Also, du musst es mir nicht sagen, aber ich würde dir zuhören. Bist du etwa von zu Hause weggelaufen?“ Ich nickte, sagte weiterhin kein Wort. Erstaunt sah ich auf, als ich ihn leise lachen hörte. Er sah aus, als würde ihn das Ganze amüsieren. „Kleiner, ich verstehe dich, das hab ich auch gemacht. Also wenn du einen Schlafplatz suchst, kannst du zu mir kommen, ich wohne alleine und dann kannst du mir morgen alles erzählen, okay?“ Er grinste, als er meinen Gesichtsausdruck bemerkte. Ich musste wirklich dämlich ausgesehen haben. Aber das passierte ja nicht jeden Tag, dass man von so einem lieben Kerl, der, nebenbei bemerkt, extrem gut aussah, aufgegabelt wurde. Er schnappte sich meinen Rucksack und sah mich fragend an. „Keine Angst, ich will dich nicht ausrauben. Na los, komm jetzt. Oder hast du Angst?“, grinste er. Zögernd trat ich neben ihn und er schlug den Weg zu einem grossen, fast leeren Parkplatz ein, wo wir vor einem schwarzen Sportwagen stehen blieben. Ein Mercedes. Mir fiel die Kinnlade runter. „Ist das deiner?“ „Jep. Geiler Schlitten, was?“ Ich nickte ehrfurchtsvoll. Ja, wirklich ein Prachtstück der Extraklasse. Er stieg ein und warf meinen Rucksack auf den Rücksitz, ich blieb unentschlossen stehen. Auffordernd sah er mich an und öffnete die Tür des Beifahrersitzes. „Kommst du?“ Er lächelte mich an. Meine Entscheidung stand fest, ich stieg ein. Ich hatte schliesslich nichts zu verlieren. Mit einem lauten Dröhnen fuhr er rückwärts aus dem Parkplatz und rollte dann fast lautlos über die Strassen. Nach einer viertel Stunde hielt er vor einer riesigen Villa an. Ungläubig riss ich die Augen auf. „Du wohnst doch nicht etwa ganz alleine hier, oder?“, fragte ich ihn, ohne meinen Blick von dem Anwesen zu wenden. „Abgesehen von einigem Personal, doch.“ Ich riss den Kopf herum, glotzte ihn an. Er grinste. Erschöpft trottete ich hinter ihm her, zwei endlos lange Treppen hinauf. Er zeigte mir mein Zimmer, welches mehr einer Wohnung glich und erklärte mir, dass es eine kleine Klingel an der Wand neben dem Bett eingebaut hatte, die ich betätigen konnte, wenn ich irgendetwas brauchen würde. All die Informationen drangen nur gemächlich in mein Hirn ein und ich nickte langsam. „So, jetzt aber ab ins Bett mit dir, sonst schläfst du mir noch im Stehen ein.“ Er gab mir einen Klaps auf den Hintern und schob mich Richtung Bett. „Schlaf dich erst mal so richtig aus. Gute Nacht.“ Ich liess mich auf das Bett sinken, welches sofort nachgab. Ein Wasserbett! Ich glaube, das war die erste Nacht seit langem, in der ich traumlos und wirklich lange schlief. *~*~*~*~*~*~*~*~*~* Ich blinzelte, rieb mir den Schlaf aus den Augen. Ich blinzelte noch mal und starrte die Decke an. Das war definitiv nicht die Decke meines Zimmers. Es klopfte. Ich zögerte, bevor ich ein leises „ja?“ von mir gab. Die Tür flog auf und ein etwas untersetzter Mann plapperte sogleich drauf los, fasste sich jedoch kurz. „Der werte junge Herr wünscht sie in einer halben Stunde zum Frühstück in den Speisesaal. Bis dahin können sie sich im Badezimmer zurecht machen.“ Ich sah ihn an, verwirrt und mit einem riesigen Fragezeichen über dem Kopf schweben. Sein Lächeln verschwand nicht. „Das Badezimmer befindet sich gleich hier links.“ Er zeigte auf eine Tür gegenüber meinem Bett. Ich nickte langsam und erhob mich, der Bedienstete machte sich aus dem Staub. Auf einem Stuhl sah ich meinen Rucksack. Ich schnappte mir das Nötige und verschwand durch die Tür, um zu duschen und mich frisch zu machen. Langsam verzweifelnd hastete ich durch die unendlich langen Gänge und Korridore, suchte nach diesem Saal, wo auch immer der war. Seit zehn Minuten irrte ich nun schon umher und es war kurz nach zehn Uhr, was hiess, dass die halbe Stunde vorüber war. Langsam legte ich die Hand auf eine Türklinke und öffnete vorsichtig die Tür, steckte meinen Kopf ins Zimmer. Es war riesig und mitten drin stand ein Tisch, für zwei gedeckt. An einem Platz sass der junge Mann, der mich gestern aufgegabelt hatte. Dieser sah mich nun etwas tadelnd aus seinen wunderschönen, rubinroten Augen an. Sofort schoss mir Blut in die Wangen. „Ich hab... den Speisesaal nicht gefunden“, nuschelte ich. Ein amüsiertes Lächeln legte sich auf seine Lippen. „Verständlich. Setz dich und iss, du bist ja ganz abgemagert.“ Ich tat wie geheissen, konnte mich jedoch nicht entscheiden, was ich essen sollte, die Auswahl war einfach zu gross. Während dem Essen fragte er mich allerlei Dinge und ich antwortete ihm brav, erzählte die ganze Geschichte. Dann kam die Frage, die ich eigentlich als die Erste erwartet hatte. „Sag mal, wie heisst du eigentlich, und wie alt bist du?“ Ich sah auf meinen Teller. „Ich heisse Ray Kon und bin 17 Jahre alt.“ „Kai Hiwatari, 21. Freut mich.“ Er streckte mir seine Hand entgegen und ich schüttelte sie freudig lächelnd. Nach dem Frühstück zeigte er mir die ganze Villa und ich konnte mir weiss Gott nicht alles merken. Dieses Anwesen zählte etwa fünfzehn Schlafzimmer, zehn Badezimmer, eine riesige Küche und diverse sonstige Unterhaltungsräume wie Fitnessraum, Bibliothek und noch vieles mehr und, was natürlich nicht fehlen durfte, die Bar, überladen wie sie war, brachen die gläsernen Regale fast in sich zusammen. Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus, doch möchte ich hier nicht alleine Leben, wie Kai, er kam sich doch bestimmt furchtbar einsam vor. Es war Mittag und wir beendeten eine Partie Billard, die Kai natürlich haushoch gewann. Ich habe ihn schon richtig ins Herz geschlossen, auch wenn ich ihn noch nicht wirklich gut kannte. Und ich musste mir eingestehen, dass ich ihn verdammt süss fand. Nach einem ausführlichen Gespräch während dem Mittagessen hatte ich ihn davon überzeugt, wenigstens noch eine Woche bei ihm wohnen zu dürfen. Er maulte zwar ein bisschen, erklärte sich jedoch damit einverstanden. Ich hatte also eine Woche Zeit, ihn besser kennen zu lernen. Doch wir mussten nochmals bei mir vorbei, da ich weder Klamotten, noch sonstige Sachen dabei hatte, die im Leben wichtig waren. Während der dreiviertelstündigen Fahrt in seinem Mercedes, ertappte ich mich immer wieder dabei, wie ich Kai von der Seite her anstarrte. Aber ich konnte nichts dagegen tun, er zog meinen Blick einfach wie magisch an. Er hatte so eine Ausstrahlung, die mich einfach faszinierte. Kai parkte das Auto am Strassenrand. Mir fielen sofort die vielen Leute auf, die sich vor unserem Haus versammelt hatten, darunter einige Polizisten, die die Menschenmenge zurückhielten, und die Sicht ins Haus versperrten. Ich begann mich durchzukämpfen, dicht gefolgt von Kai. Als ich unter der Absperrung durchschlüpfte, hielt mich eine Polizistin auf, die mich ernst anguckte. „Kleiner, du darfst hier nicht rein!“ „Aber ich wohne hier!“ Sie zerrte mich zur Seite und sah mich dann aus mitleidigen Augen heraus an. „Kleiner, es tut mir leid, aber ... deine Eltern ...“ „Was ist mit ihnen?“ „Sie sind tot.“ Geschockt sah ich sie an. Meine Kehle wurde schlagartig trocken, Tränen sammelten sich in meinen Augen. Eine Hand legte sich auf meine Schultern und zog mich mit sanfter Gewalt weg. Weg vom Haus, von meinen Eltern, weg von den Polizisten, den Menschen, weg vom Lärm, den neugierigen Blicken. Die erste Träne kullerte über meine Wange. Ich schluchzte und vergrub das Gesicht in den Händen. Ich fühlte, wie mich jemand zu sich zog, sanft die Arme um mich legte und mich leicht hin und her wiegte. Haltsuchend klammerte ich mich an dem schwarzen Stoff eines Hemdes fest. „Es tut mir leid“, flüsterte mir Kai ins Ohr. Ich schniefte, sah ihn aus verheulten Augen an. „Kai, bitte lass uns gehen. Ich will nicht länger hier bleiben.“ Er nickte, deutete mir jedoch noch einen Moment zu warten und verschwand Richtung Haus. Wenige Minuten später kam er mit einer Sporttasche wieder. Ich schenkte ihm ein dankbares Lächeln. Kai hatte mir meine Sachen mitgebracht. Es war ja nicht viel und hatte locker darin Platz. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)