künstliche rose von Muriku ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Eine Rose Ich liebe eine Maschine, denkt Annette und betrachtet den Jungen, der neben ihr im Bett liegt. Sein muskulöser, tadelloser Körper zeichnet sich unter der Seidendecke ab - ein künstlicher Körper. Seine weichen, sinnlichen Lippen sind leicht geöffnet - künstliche Lippen. Seine warmen, mandelbraunen Augen sind unter den Lidern mit den sanft geschwungen Wimpern verborgen - künstliche Augen und künstliche Lider, nur die Wimpern sind organisch, es wäre zu teuer tote Zellen - Haare - zu produzieren, die man doch aus jedem Friseursalon bekommen kann. Er öffnet die Augen. „Willst du das wirklich?“ Sie ist sich nicht sicher, sie war sich von Anfang an nicht sicher. Das erste Mal und das mit einem Roboter? Denn das ist er doch im Endeffekt. Ein Modell der Reihe X-457 von NVeba, „Künstliche Intelligenz mit individueller Persönlichkeitsentwicklung, Emotionsimitation und in sich geschlossenem Betriebssystem“ - was immer das auch bedeutet. Wie ist sie eigentlich in dieses Bett gelangt? Sie kann doch keine Maschine lieben. „Nein“, sagt sie. Mehr nicht. Einfache Befehle für einen Apparat. Seltsam, gerade noch hatte sie ihn fast für einen echten Menschen gehalten. Aber er hat keine Seele, denkt sie. Und dann: Was ist denn das? Seele. Sie steht auf und knöpft ihr geblümtes Sommerkleid wieder zu. Komisch, er sieht fast traurig aus. Aber er hat doch gar keine Gefühle, muss sie sich erinnern. Liebe, denkt sie und muss lachen, Liebe... Sie verlässt den Raum ohne zurück zu sehen. In der Küche sitzen ihre Eltern. Die Strahlen der Mittagssonne brechen durch die Wolken und fallen durch das Fenster auf den Tisch, wo ein geschäftlich aussehendes Schreiben liegt. Auf dem Plasmabildschirm laufen die aktuellen Nachrichten. „Ein grausames Schauspiel ereignete sich in der kleinen Stadt Hickleton im Süden der Vereinigten Staaten. Ein weibliches Modell der Serie X-457 geriet dort außer Kontrolle und erwürgte seinen Besitzer, als dieser es zum Vollzug des geschlechtlichen Verkehrs zwingen wollte, einer Option, die sich laut Bedienungsanleitung des Modells eindeutig unter seinen Aufgabenbereichen befindet. Die Hersteller sprechen von einem Fehler in der Produktion und stellten diese sofort ein. Nun sollen auch die bereits verkauften Modelle wieder zurück beordert und umgehend zerstört werden - natürlich wird der Kaufpreis rückerstattet. Gegner des Roboterbaus...“ Die Stimme des Nachrichtensprechers hallt dumpf in Annettes Kopf wider. Sie betrachtet den Brief auf dem Tisch. Sehr geehrte...Modell X-457... aufgrund eines Produktionsfehlers sehen wir... werden wir es am 23.07.2198 abholen... bitten Sie, gegen 15.00 Uhr zu Hause...bitten vielmals um Verzeihung für die Umstände... Mit freundlichen Grüßen... Morgen schon, denkt sie. Egal. Er ist eine Maschine. „Mist“, flucht ihr Vater. Eine solche Hilfe auf dem Hof bekommt er nicht so schnell wieder, weiß sie. Doch Arbeitsmaschinen kann man ersetzen. Sie geht - plötzlich ziemlich müde - auf ihr Zimmer. Später sitzt sie draußen auf der Veranda und liest in einem Buch. Er ist schon wieder draußen und schleppt Eimer. Sie beobachtet, wie er den Staub am Boden mit seinen schlurfenden Schritten aufwirbelt. Er hat noch nicht mal einen Namen, fällt ihr ein. Er heißt einfach nur Du. Ob er es schon weiß, fragt sie sich. Es sieht fast aus, als ob er zittert. Fast möchte sie zu ihm gehen, seine Hand nehmen, ihn umarmen, doch dann erinnert sie sich: Er hat ja gar keine Gefühle, auch keine Angst. Sei nicht so sentimental, mahnt sie sich, als ihr bei den Gedanken, das der junge Mann schon am morgigen Tag verschwinden soll, die Augen feucht werden. Sie hat sich viel zu sehr auf ihn eingelassen, ihn wie einen richtigen Menschen behandelt und das hat sie nun davon. Aber sie kann so gut mit ihm reden, wie mit keinem anderen Menschen. Er ist kein Mensch! Schnell verschwindet sie ins Haus. Es ist Abend. Annette kann nicht einschlafen. Es klopft an der Tür. Sie öffnet und da steht er. Er hält eine rote Rose in der Hand und reicht ihr diese. Vorsichtig, so als ob er sie nicht mit den Dornen verletzen wollte. Sie vermeidet ihm in die Augen zu sehen und stellt die Rose in eine Vase. Sie wendet ihm dabei den Rücken zu und hört, wie sich die Tür leise schließt. Sie meint, ein leises „Leb wohl“ zu hören, dann ist er fort. Annette betrachtet verwirrt die Tür, so als warte sie auf eine Erklärung. Eine Rose? Sie legt sich auf ihr Bett. Am nächsten Nachmittag kommen Männer in schwarzen Anzügen. Grob packen sie ihn an der Schulter und schieben ihn zu einem silbernen Lieferwagen. Dicht gedrängt stehen dort bereits andere Modelle, Frauen, Männer und sogar ein paar Kinder, allesamt scheinen verängstigt zu sein. Sie schaut aus dem Fenster zu, wie er mit hängenden Schultern einsteigt. Einige der Apparate haben blutige Kratzspuren an Armen und im Gesicht. Er wehrt sich nicht. Dann wirft er einen letzten Blick zu ihrem Fenster. Sie ist sich fast sicher Angst und Trauer in seinen Augen zu erkennen. Dann wird der Lieferwagen geschlossen. Annette sieht ihm hinterher, bis er am Horizont des Landes ihres Vaters verschwunden ist. Sie wendet sich ab und geht in ihr Zimmer. Auf dem Schreibtisch steht eine einzelne rote Rose in einer dunkelblauen Vase. Er ist fort, wird ihr bewusst. Ich habe ihn einfach gehen lassen. Dann bricht sie in Tränen aus. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)