Blutstropfen von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 6: Der Sinn hier zu sein -------------------------------- Der Sinn hier zu sein Nachdem Magie ihr neues Leben woanders begann, wünschte ich mir die gleiche Chance zu bekommen. Dann würde ich mich umdrehen, den alten tristen schwarzen Schatten aus der Anstalt, somit auch die Menschen nur als eine von vielen Erinnerungen vergessen. Nathalie, die von Anfang an nicht von meiner Seite wich, sprach mich vor einigen grauen Wochen an. Ihr fröhliches Lächeln riss den letzten Hass auf alles und jeden mit einer Geste aus mich heraus. Für diese Tat, wäre ich Nathalie gerne behilflich gewesen, damit ihre Zahnbürste am nächsten Tag ins leere gegriffen hätte. Einerseits war ich ihr aber trotzdem dankbar, so liebevoll behandelt zu werden. Während die Sonnenstrahlen damals meinen Körper liebkosten, wünschte ich mir Nathalie als eine gute vertrauensvolle Freundin. Freunde, was waren sie schon für mich? Nichts, denn früher hatte ich keine. Vor meiner Zeit in der Anstalt, fühlte ich mich in der Schule wie das unendlich und unertastbare Universum. Egal wohin ich schaute waren überall Sterne und Planeten. Mein Mut war zu kurz und meine Hände erreiche keinen Menschen. Jeder hatte sich selbst oder irgendwen. Aber wen hatte ich? Niemanden. Doch seid ich hier mein zweites zu Hause gefunden hatte, füllte sich meine Einsamkeit zur einer Gemeinsamkeit mit meinen neugewonnenen Freunden. Schnell bemerkte ich, dass Nathalie nicht die einzige war die mir halt gab. Sondern Haron trug auch dazu bei, wie ich mich immer wieder ertappte, dass mein Herz bei jeder Begegnung wild pochte. Mein Magen beschwerte sich durch jeden weiteren Atemzug voll Emotionen, die mein Gehirn übertrieben ausschüttete. Ich wusste weder was er empfand, noch kannte ich ihn. Er war ein Typ Mensch, den ich nicht durchschauen konnte. Haron gab sich nach außen wie ein offenes neunmal schlaues Buch, aber innerlich sah man nur die mit Mühe aufgebaute Barriere. Seine komplexe Seele, so nannte ich es gern. Versteckte er zusätzlich hinter einem Eisenschloss und einem verborgenen Schlüssel. Haron geheimnisvolle Gegenwart hauchte mir den nötigen Respekt ein, um nicht unüberlegte Dummheiten zu begehen. Doch da gab es noch ein Punkt, der mich seit Wochen belastete und zwar wie war es möglich das Haron und Nathalie zusammen gewesen waren? Beide hatten unterschiedliche Charakterzüge, die sich in keiner Weise ergänzten. Nathalie war die durchsichtige Glasscheibe, ohne vertrocknete Regentropfen und wer war er? Trotzdem hatten sich die beiden innig geliebt, aber weshalb die Trennung? Ganz in Gedanken versunken saß ich im Büro und wartete auf ihn. Die runde Uhr an der weißen Wand tickte im Sekundentakt, während das Aquarium vor sich hingluckerte. Obwohl das vorher noch nicht dort stand. Es bedeckte die gesamte Holzkommode, wunderschön dachte ich. Ein Paradies für alle Fische, jedoch sah ich keinen. Grüne Pflanzen bewegten sich im Rhythmus zu den Wellen, elegant und doch beruhigte es mich. Der rot-braune Kies am Grund, hauchte dem Gesamtbild das feurige Ambiente ein. “Gefällt es dir?“, hörte ich Dr. Wildfrid sagen, der mir plötzlich gegenüber saß. In hatte ihn in meiner Trance nicht bemerkt, sodass ich mich wegen seiner Anwesenheit erschreckte. Dann fixierten meine Augen ihn, ich sah aus wie ein Koboldmaki. “Es sieht gigantisch aus, aber wo sind die Fische?“, antwortete ich neugierig. Dr. Wildfrid öffnete währenddessen meine Akte, ganz oben links stand in einer leserlichen Handschrift mein Name. “Yvonne Gerlach.“, hörte ich mich flüstern. “Mmh?“, räusperte er sich. “Ach nichts! Wo sind nun die Fische?“, wiederholte ich und ich war mir sicher, dass er mich ganz zu Anfang verstanden hatte. Er kratzte sich am Hinterkopf. “Bei den Fischen handelt es sich um die Apistogramma Kakadus!“, grinste Dr. Wildfrid. “Apisto was??“, ich lachte bis ich fast keine Luft mehr bekam. Für einen Moment vergaß ich weshalb ich hier war, schließlich holte er mich auf den Boden der Tatsachen leider Gottes zurück. “Nun gut, wollen wir mit der Sitzung beginnen. Freut mich herzlich dich wieder begrüßen zu dürfen, wie fühlst dich heute?“. “Bis jetzt geht es mir gut, aber das hängt von ihren Fragen ab. Aber bitte beeilen sie sich!“, forderte ich. Er zog seine silberne Brille auf, die für sein kantiges Gesicht zu klein war. Aber das verriet ich ihm natürlich nicht. “Verstehe, du sollest lernen geduldig zu sein. Wir werden uns noch eine ganz schön lange Zeit unterhalten, solange du hier bist. Daher würde ich mich freuen, wenn du einen anderen Ton mir gegenüber einschlagen würdest. Also wir versuchen es noch einmal, hast du dich inzwischen in der Anstalt eingelebt?“, mahnte er und kitzelte mich mit einer erneuten Frage. Das war Absicht! Ich zuckte provozierend mit den Schultern. “Ich weiß nicht, schließlich habe ich keine Wahl. Aber ich freue mich sehr über meine neue Zimmergenossin, endlich habe ich Gesellschaft.“ Dr. Wildfrid nickte mir verständnisvoll zu, nebenbei notierte er. “Welche Eindrücke gefielen dir besonders und mit welchen bist du persönlich unzufrieden?“, fragte er. “Es gab einige schöne Momente. Ich lache gemeinsam mit meinen neuen Freunden und gewinne immer mehr an Selbstvertrauen!“, log ich. Er grinste und zwinkerte mir zu. “Wir wissen beide, das du eine schlechte Schauspielerin bist. Deine Eltern und auch wir sind der Meinung, dass sich dein Zustand noch nicht ansatzweise stabilisiert hat. Du wirst noch eine Weile hier bleiben müssen, es tut mir leid.“ Ich ließ mein Kopf traurig sinken. “Ich würde gerne wieder nach Hause zu meiner Familie.“, nuschelte ich. “Ich werde dir dabei helfen!“, sagte er überzeugt. Diese Aussage machte mich glücklich, aber ich schämte mich ihm in die Augen zu schauen. Denn es gab ein Erlebnis, womit ich nicht zur Recht kam. “Dr. Wildfrid? Ich habe eine bitte an Sie!“, begann ich. “Nur zu.“ “Halten Sie mich jetzt nicht für verrückt, aber könnte ich die Schwester wechseln?“. Er notierte wieder. “Weshalb?“, fragte er und in seiner Stimme konnte ich keine Verwunderung vernehmen. “Ich habe angst, außerdem stopft sie mich mit Medikamenten voll!“, kam es aus mir heraus wie eine Knallerbse. Normalerweise sprach ich nie über meine Gefühle, noch weniger mit einem Psychologen - aber Hanna war mir wirklich unheimlich. Diesen Tag werde ich in meinem ganzen Leben niemals vergessen, als die Ärzte mich festhielten und sie mir mehrere Tabletten in den Mund stopfte. An meinen Oberarmen hatte ich dadurch einige blaue Flecken. “Medikamente? Wie kommst du auf so etwas?“, wollte Dr. Wildfrid wissen. Ich krempelte meinen Ärmel nach oben. “Deshalb!“, dabei starrte ich ihn wütend an. Er schluckte. “Vielleicht sollten wir die Sitzung für heute beenden, aber du hast einen großen Fortschritt gemacht. Du solltest stolz auf dich sein!“, lenkte er eiskalt vom Thema ab. Enttäuscht nickte ich ihm zu. “Worin lag der Sinn das Sie mir ihre Hilfe anboten?“, dabei riss ich ihm den Kugelschreiber aus der Hand. “Weil es meine Pflicht ist dir zu helfen!“, erwiderte er. Ich schüttelte wütend den Kopf hin und her, den Stift schmiss ich ins Aquarium. Mit ruhigen Gesichtsausdruck saß er vor mir, tat weder überrascht, sondern blickte durch mich hinweg. “Weshalb bin ich hier, wenn mir niemand hilft?“, brüllte ich ihn an. “Der Sinn hier in der Anstalt zu sein, ist Der weshalb du hier bist. Deine psychischen Probleme, war Anlass genug um deinen Entwicklungsprozess zu dokumentieren und dich zu rehabilitieren. Nur du entschiedest über die Dauer, wie lange der Sinn darin besteht hier zu bleiben.“, lächelte er mir freundlich zu. Dann stand er auf, fischte mit einer Hand den Kugelschreiber aus dem Aquarium. “Ich verstehe!“, sagte ich. Mir war so als hätte er mit wenig Worten dass wiedergegeben was ich hören wollte, er verstand etwas von seinem Beruf. Ich war Bösewicht, die sich selbst Steine in den Weg legte. Aber heute räumte ich einen handgroßen zur Seite und war stolz auf mich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)