The sound of myself breaking von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Intro Lassen Sie mich diese Geschichte beginnen. Eigentlich habe ich nicht das Recht, sie als "meine" Geschichte auszugeben, weil es unser aller Leben sind, die sie betrifft und die die Geschehnisse hier drin beeinflusst haben. Aber ich dennoch möchte ich sie gerne beginnen, denn für mich begann sie mit mir selbst. Denn sonst wird sie kein anderer erzählen.... 1 The sound of myself breaking - [Darien] Während ich dort saß, hatte ich nichts zu tun. Ich konnte mich nicht bewegen, weil jeder Schritt auf dem eiskalten Metall noch unerträglicher war als das Gefühl im Sitzen zu erstarren. Ich hasste den Klang von Schritten auf Metall. Einsame Schritte, hohl und düster. Ich konnte nicht denken, denn ich hatte schon alles gedacht, was es je für mich zu denken gab. Nur der Nachhall von alten Gedanken schwebte noch in meinen Ohren. Ich konnte nicht reden. Meine Stimme hatte aufgehört zu existieren. Ich hatte seit Jahren nicht einmal mich selbst reden hören. Ich konnte mich durch nichts davon ablenken, dass es einfach nichts gab. Ich konnte nichts sehen, außer Grau. Hell am Tag, dunkel in der Nacht. Ich konnte zwar den Himmel sehen, doch er sah jeden Tag und jede Nacht gleich aus. Grau und Orange, wenn die Sonne hinter gelblichem Smog erstickte, grau und orange, wenn das gelbe Licht der Stadt auf den bewölkten Nachthimmel fiel. Immer. Ich konnte nichts schmecken, nicht einmal das Essen hatte einen Geschmack. Ja, es gab Essen. Ich hatte nicht aufgehört zu Essen...vielleicht weil ich hoffte dass es eines Tages doch nach etwas schmecken könnte. Ich konnte nicht einmal lesen. Es gab nur ein einziges Schild hier drin. Doch darauf war nur Spott - das Bild eines Jungen, der wohl einmal ich gewesen war, und ein Strichcode. Wie ich wirklich aussah, konnte ich mir nicht vorstellen. Ich musste jetzt 11 Jahre älter sein - 23. Damals war ich 12 gewesen, klein , schmächtig, blass, dunkle Haare. Die Haare waren noch immer dunkel .. ein Wunder dass sie nicht auch grau waren, wie alles hier. Ich konnte einige Fransen davon sehen. Struppig. War ich größer geworden? Dünner? Oder hatte ich etwa zugenommen, bei all dem sitzen? Es schien mir als hätte ich gar keinen Körper, obwohl ich die Schmerzen darin spüren konnte... dumpf, pochend. War ich älter? Nein. Ich hatte nicht gelebt. Wer nicht lebt, kann auch nicht altern. Wer nichts fühlt kann nicht altern. Und ich fühlte nichts. Feuer brennt in einem luftdichten Raum, bis der Sauerstoff verbraucht ist. Ich war schon lange erstickt, bevor ich dort hingekommen war. Nicht einmal Angst vor dem Tod. Der Tod verliert an Schrecken, wissen sie, wenn man auf ihn wartet. Jahr für Jahr, Tag für Tag verliert er an Schrecken, bis es ihn nicht mehr gibt. Ich wartete seit 11 Jahren. Vor 11 Jahren hatte man mir gesagt, ich würde sterben. Bald. In wenigen Wochen... vielleicht Monaten, aller höchstens einem Jahr. Warum ich noch nicht tot war? Wer weiß. Man hatte mich vergessen, ich war nur noch ein Körper mit Strichcode, der durchgefüttert wird. Nein. Ich wusste genau, und es gab nicht viele Dinge die ich noch mit Sicherheit wusste: Der Tod wartete, so wie ich wartete. Das Urteil war gesprochen, und nicht widerrufen. Tod durch Gift. Manchmal wachte ich auf, und lag auf dem Boden. Dann klebte Blut an meinen Händen, von meinen aufgeschürften Knöcheln, und ich wimmerte leise, wegen den hämmernden Schmerzen in meinem Kopf. Zuerst hatte es mich sehr beschäftigt, warum das so war. Dann hatte ich mit der Zeit verstanden: Ich verfiel in Raserei. Wenn es mich zu sehr quälte, schaltete ich einfach ab und drehte durch. Das war schon immer meine Reaktion auf Schmerz und Angst gewesen : Selbst Schmerz zufügen. Entweder mir oder anderen. Es war fast kein unterschied, ob mein Blut an meinen zerkratzten Händen klebte, oder das eines anderen.... Ich hatte die Leiche meines Vater nie berührt, auch nicht das Blut. Sogar als er tot war, hatte ich Angst. Trotzdem war es die Erinnerung an ihn, die mich in dieser Zelle ab und zu verzweifeln und durchdrehen lies. Es war die einzige Möglichkeit, die Zeitschleife zu stoppen in der ich mich befand, mein Leben nicht wieder und wieder zu leben. .... Ich wurde im Winter 2059 in einem Vorort von Los Angeles geboren. Meine Mutter war noch sehr jung und hatte wegen der Schwangerschaft ein gerade begonnenes Studium abgebrochen. Das Studium hatte ihr nur mein Vater ermöglicht. Er stammte aus einer Familie, die nach den großen Krisen einen gewissen Wohlstand erreicht hatte und er selbst verdient als mittlerer Beamter auch nicht schlecht. Meine Mutter hingegen stammte aus recht armen Verhältnissen, sie hatte nur noch ihre Mutter, die selbst nicht arbeitete. Trotzdem war sie eine hübsche junge Frau und durch die Heirat mit meinem Vater hatte sie eine Chance bekommen, ihren Traum zu verwirklichen: Ein Studium. Das hat sie mir alles nicht erzählt. Ich habe es nur nach und nach verstanden, als ich von ihrer Mutter hörte und die Familie meines Vaters kennenlernte. Ich glaube nicht dass meine Eltern sich liebten. Aber ich weiß es nicht. Lieben Menschen sich überhaupt? Für mich ist es ein Wunder, wenn sie sich nicht verletzen. Meine ersten vier Lebensjahre müssen recht normal verlaufen sein. Ich war zu Hause, bei meiner Mutter und mein Vater arbeitete viel. Er beachtete mich nicht oft, ich denke er konnte nicht gut mit kleinen Kindern umgehen, mit Michelle war es dasselbe. Ich weiß nur, dass er dagegen war, mich in einen Kindergarten zu geben. Meine Mutter wollte ihr Studium fortsetzen, aber er meinte, es sei doch ohnehin nur Zeit und Geldverschwendung. Also blieb sie Hausfrau und ich zu Hause. Ich spielte selten mit anderen Kindern, ich war ein schüchterner und wie mein Vater meinte, verzärtelter Junge. Als ich mit Vier in die Vorschule kam begann es. Zunächst fiel ich keinem auf, ja es gab sogar eine Lehrerin, die mich für schwachsinnig hielt, weil ich so still war und nicht spielte, wie andere Kinder. Dann fand ein Lehrer, es war ein junger Mann, denke ich, heraus, dass ich lesen konnte. Mit Vier. Keine Bildergeschichten, sondern richtige Texte. Sachtexte, Romane. Seit ich einen PC bedienen konnte, war ich nicht zu bremsen. Natürlich verstand ich nicht, was ich da las. Ich konnte Dutzende von Sachbüchern auswendig, ich kann sie noch heute, da ich ein fotografisches Gedächtnis besitze, aber ich konnte das Wissen nicht anwenden. Er war begeistert, rief meine Mutter an, bestellte sie in den Kindergarten. Sie war erstaunt - aber sie freute sich. Der Kindergärtner hatte ihr empfohlen, einige Tests mit mir zu machen. Mich einige Klassen höher zu versetzen, vielleicht auf eine Hochbegabtenschule zu schicken. Sie war überwältigt. Ich verstand kaum worum es ging - bloß dass ich gelobt wurde. Dass ich etwas gut gemacht hatte. Niemand hatte mich bisher gelobt. Ich hatte nie irgend etwas tolles gemacht. Zuerst freute ich mich, ganz unschuldig. Dann begann es. Die Kinder bekamen es mit. Zuerst waren sie neugierig, wie alle Kinder. "Darien, was steht da?" "Kannst du wirklich lesen?" "Kannst du rechnen was Siebundvierzigtausend mal eine Milliontrilliarden ist?" Ich konnte es. Sie starrten mich an. Großäugig, dumm. Ich ging weg. Zum ersten Mal in meinem Leben wünschte ich mir nicht mehr, dazuzugehören. Ich wusste, dass ich nicht dazugehörte. Weil ich anders war. Besser. Klüger. Mein Vater war gegen eine andere Schule. Er hielt von diesem "Bildungsunsinn" nicht viel. Ich war sein Junge, sollte gefälligst mal lernen Baseball zu spielen und ein ordentlicher Geschäftsmann werden. Er hasste Künstler, Wissenschaftler und Politiker. Er sagte, sie seien Schuld an allem was der Menschheit in den letzten Jahren schlimmes widerfahren war. Meine Mutter gab schnell auf, der Kindergärtner schließlich auch. Ich kam in die Grundschule, doch schon in der ersten Klasse war ich weit über das Grundschulniveau hinaus. Ich redete fast nie mit anderen Kindern, selten mit Lehrern. Ich vergrub mich hinter einem Bildschirm, versteckte mich hinter einer Datenbrille, oder ich ging einfach gar nicht zur Schule. Dann machten sie einen Test an unserer Schule. "Um die Schulfähigkeit der Schüler zu testen." Wieder fiel ich auf. Natürlich wussten einige Lehrer, dass ich hochbegabt war, aber diesmal fiel es dem Oberschulamt auf. Man bot meinen Eltern ein Stipendium an, alles. Aber mein Vater sperrte sich. Es war das erste Mal, dass ich mit ihm stritt. Meine Mutter war wieder schwanger und schlief. Ich nutze die Chance um endlich mit ihm alleine zu sprechen, ihn zur Rede zu stellen. Ich konnte nicht begreifen, warum er so ungerecht war. Ich glaubte alle erwachsenen würden so begeistert sein wie die Lehrer und meine Mutter. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass er es nicht war. Ich war arrogant... ich dachte er würde es einfach nicht verstehen. Weil ich meinen Vater für dumm hielt. Ja, im Grunde genommen hielt ich ihn für genauso dumm wie die Kinder in meiner Klasse. "Dad, ich möchte mit dir reden." Ich redete sonst nie mit ihm. Die einzigen Dinge über die mein Vater sprechen konnte waren seine Arbeit und Baseball. Ich hasste Sport, das einzige Fach, in dem ich es nie zu etwas gebracht hatte, weil ich mich zu wenig bewegte. Er reagierte nicht einmal, sondern sah mich nur an - etwas missgelaunt, wie immer, wenn ihn jemand ansprach, offenbar glaubte er, er habe das alleinige Recht, andere anzusprechen und ihnen somit die Erlaubnis zu erteilen, auch etwas zu sagen. "Es geht um die Schule." "Hast du etwas angestellt?" Er schien darauf zu lauern. Vielleicht wäre es ihm sogar Recht gewesen, wenn ich es getan hätte. Dann wäre ich wenigstens "normal" gewesen. "Ich bin sehr gut in der Schule." Ich behandelte ihn wie einen Idioten ... ich war so naiv. "Hm." Er war auf dieses Thema nicht gut zu sprechen. "Die Lehrer sagen .." "Es ist mir vollkommen egal was deine Lehrer sagen! Sie sollen euch was gescheites beibringen und sich nicht in Angelegenheiten der Familie einmischen! Diese frechen Akademiker, glauben sie wüssten besser als ich, was für meinen Sohn gut ist, nur weil sie ein paar Jahre gefaulenzt und gefährliche Ideen gewälzt haben!", donnerte er - ich wich zurück. Er hasste mich. Ich wusste er hasste mich. Ich war den Tränen nahe, und das zu sehen, machte ihn noch wütender. Er sprang auf, viel zu schnell für einen Mann wie ihn, packte mich und schüttelte mich, wobei er mir ins Gesicht starrte und sagte: "Sieh was aus dir schon geworden ist! Eine verweichlichte kleine Memme! Alles, alles habe ich für deine Mutter und dich getan, hab ich ernährt, hart gearbeitet, ihr ihre Spinnereien ermöglicht - und der Dank? Mein eigener Sohn will mir vorschreiben, wie ich ihn zu erziehen habe. Oh nein, nicht mit mir, Bürschchen, nicht mit mir!" Ich starrte zurück. Sprachlos. Entsetzt. Wie konnte er es wagen? "Ich hasse dich.", flüsterte ich erstickt. Seine Augen weiteten sich eine Sekunde, während sein langsames Gehirn diese Worte verdaute. Dann holte er aus und schlug mich. Eine Ohrfeige - das erste Mal, dass mich überhaupt irgendwer schlug. Ich war derart entsetzt, dass ich nicht mal weinte. Ich rannte. Das war, wie gesagt, das erste Mal, das jemand mich schlug. Ich war ja immer ein braves, sehr stilles Kind gewesen. Natürlich, es war nur eine Ohrfeige...aber ich hasste ihn dafür. Wenn ich ihn vorher nicht gehasst hatte, dann jetzt. Es war so: Ich sah mich als Erwachsenen, als Ebenbürtigen. Er sah mich als Kind, daher nahm er sich das Recht, mich zu bestrafen. Das konnte ich nicht ertragen. Zunächst versuchte ich es nicht weiter, ihn anzusprechen. Mein Leben ging weiter. Dann wurde Michelle geboren. Ich freute mich nicht darauf --eigentlich war es mir egal. Ich war nicht eifersüchtig, weil ich nicht zu sehr an meinen Eltern hing... jedenfalls am Anfang. Natürlich kümmerte meine Mutter sich jetzt um das Baby. Ich sah zu - aber wenn sie mir anbot, Michelle "mal zu halten" oder "doch mal zu schauen wie schön sie lacht", ging ich weg. Ich hatte keine Lust auf diesen Unsinn. Schmalz, Kitsch. Ich mochte Kinder nicht - besonders weil ich selbst eines war. Ich hasste es, ein Kind zu sein. Ein Kind zu sein, kam mir vor wie ein Gefängnis, einfach weil ich damals nicht die geringste Ahnung hatte, was Gefangenschaft eigentlich bedeutet. Ich kann Menschen nicht verstehen, die sagen, "Kind zu sein, bedeutet frei sein". Ein Kind ist abhängig. Ein Kind hört niemand an, ein Kind nimmt niemand ernst - ein Kind zu sein, bedeutete für mich, von allen unterschätzt und unterdrückt zu werden, einfach weil ich jünger als sie war. Freizeit? Wozu, wenn man nicht spielen will und doch nichts anderes darf. Dabei kann ich gar nicht genau sagen, was ich eigentlich wollte. Ich war keines von diesen hochbegabten Kindern, die "Forscher" werden wollen, oder "Erfinder" oder was weiß ich! Eigentlich.... wollte ich gerne jemand anderes sein .. an einem anderen Ort.... Damals war ich sieben. Die Schule interessierte mich Null, ich machte einfach gar nichts mehr, blockierte. Das ging ein Jahr so weiter, noch länger sogar. Ich wusste, dass die Lehrer mich aufgegeben hatten, dass meine Mutter an mir verzweifelte und sich deshalb lieber Michelle zuwendete und das mein Vater mich ignorierte. In diesem Jahr wurden an der Schule wieder IQ-Tests gemacht, und das war das einzige Mal, dass ich Interesse zeigte - anstrengen konnte ich es nicht nennen. Ich wollte beweisen, was ich wirklich war, wollte auf mich Aufmerksam machen. Einige Wochen später geschah etwas seltsames. Ich bekam von der Schule eine Empfehlung, doch einmal einen Arzt aufzusuchen, in einem Krankenhaus. Was für ein Arzt genau das war, weiß ich nicht, aber ich nehme an, ein Neurologe, oder ein Psychiater. Er machte ein paar medizinische Tests, ein EEG, prüfte meine Reflexe - und entliess mich wieder. Auch diese Ergebnisse blieben geheim - ob meine Eltern sie erfuhren, weiß ich nicht. Als Michelle sprechen lernte - zu einer ganz normalen Zeit für ein Kind, nicht verfrüht, wie ich, geschah etwas seltsames. Ich passte auf sie auf, während meine Mutter einkaufte und mein Vater arbeitete. Sie saß in ihrem Laufstall, ich las ein Buch. Stille. Nur ein wenig Lärm von draußen, der trotz der schalldichten Fenster hereindrang, ein Brummen und Rauschen und das Klappern von ihren Klötzchen, mit denen sie spielte. Ab und zu begann sie dabei leise vor sich hinzulallen oder zu brabbeln, oder lachte. Ein fröhliches, unkompliziertes Baby. "Dadada..dala..blububu..ala..lalalala...mimi..chiii...rallllalala... ." Und plötzlich Ruhe. Ich blickte von meinem Buch auf. Michelle saß auf ihrer Decke, lutschte am Daumen und ...dachte nach. Sie dachte nach. Die kleine Stirn gerunzelt, angestrengt am Daumen lutschend, den Blick fest auf die Decke. Leise stand ich auf, legte das Buch weg und kam zu ihr. Ich hockte mich neben den Laufstall und sah zu, fasziniert: Dieses Baby, das für mich bisher keine höhere Intelligenz gehabt hatte, als ein Haustier, klein, hübsch, verhätschelt - dachte. Plötzlich streckte sie den Daumen aus, deutete auf die Decke und - "Tiger?" Ganz langsam und deutlich , eine Frage. Ich folgte ihrem Blick. Ihr Fingerchen hatte sie auf eines der Tiere auf der Decke gelegt. Ein Tiger. Ich fühlte ein Kribbeln ... als hätte gerade ein Wunder statt gefunden. Sie blickte auf, sah mich mit ihren runden blauen Augen vorwurfsvoll an, weil ich nicht geantwortet hatte. "Ja!" sagte ich und lächelte sie an. Sie lachte, so wie nur Babys lachen können und krabbelte plötzlich zu einer anderen Ecke der Decke, setzte sich wieder so hin wie eben und nach einer kurzen Zeit... "Tiger auch?" Ich kletterte zu ihr hinein und sah es mir an. "Ja! Ja, Michelle! Ein Tiger, ganz richtig....". Sie lachte wieder und ich... ich lachte auch. Dann blickte ich auf. Meine Mutter stand in der Tür und sah uns an. Sie lächelte, ohne ein Wort. In der nächsten Zeit beschäftigte ich mich so viel mit Michelle wie ich konnte. Ich hatte etwas ganz neues entdeckt - mich über andere zu freuen. Es war für mich jedes Mal wieder ein Erfolg, ein Erlebnis, zu sehen wie sie lernte, sich entwickelte. Sie war so offen, so neu. Natürlich überforderte ich sie manchmal. Versuchte sie dazu zu bewegen, Dinge zu tun, die sie einfach nicht konnte. Sie war nur ein völlig normales Kind - und doch ganz anders. Mit 10 Jahren kam ich in die Highschool. Inzwischen war die Schule nicht mehr nur langweilig und lächerlich einfach für mich, sondern auch einfach schrecklich. Je älter meine Mitschüler wurden, desto schwerer wurde es für mich, sie zu ertragen. Desto unangenehmer wurden ihre Methoden, mich auszugrenzen und in der Highschool griffen auch die Lehrer nicht ein - sie waren froh, wenn man sie nicht angriff, hatte ich den Eindruck. Am Ende des ersten Jahrs wurde ich zum ersten Mal verprügelt, nicht von meinem Vater, sondern von ein paar Mitschülern. Ein Junge und zwei Mädchen aus meiner Klasse, Fernseh- und Fast Food Kinder, verwahrlost und unglaublich brutal für ihr Alter. Der Junge war mehr als einen Kopf größer als ich, er hielt mich fest, während das eine Mädchen mir das Geld abnahm, dass ich hatte und dass andere anfing mir in den Bauch zu Boxen bis ich in die Knie ging. Sie traten noch ein paar Mal auf mich ein, dann verloren sie die Lust und liessen mich liegen. Keiner reagierte darauf. Als ich heimkam, war das Nasenbluten vorbei, ich hatte ein blaues Auge und blaue Flecken, meine Mutter war außer sich. Mir war es egal. Von meinen Mitschülern hatte ich nichts anderes erwartet. Ich verachtete sie. Später am abend kam mein Vater heim und sah mich so. Ich merkte es sofort - er wart wütend. Meine Mutter war nicht da - er packte mich am Arm, zog mich ins Wohnzimmer und schloss ab. "Also? Was hast du angestellt?" Mal wieder war ich sprachlos. "Rede gefälligst lauter." "Ich habe gar nichts...", murmelte ich widerwillig. Er schnaubte vor Wut. "Sieh mich an wenn ich mit dir spreche! Was hast du getan?!" Ich blickte langsam auf und sah ihn an. Rot im Gesicht, den Mund weit offen, nach Luft schnappend vor Zorn - er war lächerlich. "Ich? Ich habe gar nichts getan, Vater.", sagte ich ihm langsam und deutlich ins Gesicht. Seine Mundwinkel zuckten. Er ohrfeigte mich. Ich reagierte nicht, sah ihn an. "Du dreckiger kleiner Lügner! Sag die Wahrheit!" Ich schwieg. Es hatte ja doch keinen Zweck, genauso wenig, wie gegen eine Mauer zu laufen, oder vernünftig mit einem wütenden Stier zu sprechen. Statt dessen tat ich etwas, was ich bereuen sollte. Ich lächelte. Ja, ich lächelte ihn an. Ich gab ihm das arroganteste Lächeln das ich zustande bringen konnte - aus Trotz. Um ihm zu zeigen wie egal er mir war - und wenn er mich tausend Mal ohrfeigte. Er erstarrte. Mein Vater blickte mich hasserfüllt an. In diesem Moment bekam ich Angst. Zum ersten Mal in meinem Leben ... glaube ich. Ich hatte keine Angst gehabt, als ich an jenem Vormittag verschlagen wurde - es war eine Situation gewesen die man kannte, Schüler die Prügeln. Aber mein Vater? Ich wusste nicht was mich erwartete. Ich wurde nervös, wich langsam zurück. Die Tür war abgeschlossen. Mama war nicht da. Mein Vater folgte mir mit diesem eiskalten, beängstigenden Blick. "Du kleiner Bastard.", zischte er tonlos. "Komm her!" Ich zuckte zusammen und plötzlich machte ich einen Schritt, fast schon einen Sprung vorwärts, ballte die Hände zu Fäusten und schrie: "Fuck you!". Schrill. Ich zitterte, vor Wut und Angst gleichzeitig , verzweifelt. Sobald er aus dem Zimmer gegangen war, schlich ich in meines. Das heißt, ich schleppte mich dorthin. Mein Vater, mein eigener Vater hatte mich schlimmer verprügelt als diese Schlägertruppe in der Schule. Meine Nase blutete und es wollte nicht mehr aufhören, meine Lippe auch. Mein eines Handgelenk war geschwollen, vermutlich verstaucht. Ich wankte ins Bad und begann zu würgen. Es war auch Blut dabei... oder kam es vom Nasenbluten...? Am nächsten Tag traute ich mich nicht aus dem Zimmer. Ich hatte weniger Angst vor meinem Vater, als davor, was meine Mutter sagen würde. Noch gestern wäre ich zu ihr gegangen - "Sieh dir an, sieh was er macht, wozu er fähig ist." "Trenn dich von ihm!", hätte ich verlangt. Doch jetzt schämte ich mich nur. Und hatte Angst vor dem, was er dann tun würde. Natürlich konnte ich es nicht verbergen. Natürlich sah meine Mutter es. Sie erschrak. Ihre Hände zitterten, als sie mir eine Jacke anzog und mich zum Arzt fuhr. "Ein paar Jungs in der Schule haben ihn verprügelt." "Stimmt das?" Ich schwieg. Sie wusste, dass es gestern Mittag keineswegs so schlimm ausgesehen hatte. Sie wusste alles. Der Arzt fragte nicht weiter. So ging es weiter. Jetzt wo einmal der Damm gebrochen war, so schien es, würde mein Vater nicht aufhören. Er brauchte oft gar keinen Grund, außer schlechte Laune. Ja, ich habe ihn provoziert, dieses eine Mal und davor. Aber danach? Nie. Ich hatte Angst! Ich hatte verdammte Angst. Angst um mein Leben. Und ich sah keinen Ausweg. Ich konnte ihm nicht immer aus dem Weg gehen, er war mein Vater. Ich konnte zu niemandem gehen. Meine Mutter war machtlos gegen ihn. Und sonst... ich vertraute niemandem. Es würde alles nur schlimmer machen. Dann gab es da noch Michelle. Sie war inzwischen 3 Jahre alt und ein aufgewecktes Kind, keine Probleme mit anderen Kindern. Sie war das einzige, woran ich mich noch klammerte. Was nicht düster und ungerecht war. Was ich nicht hasste, oder fürchtete. Und ich hätte alles getan, um sie zu beschützen. Vor ihm. Aber das musste ich nicht. Denn mein Vater, dieser Vater, liebte sie. Er liebte Michelle. Zwar hatte er wenig Zeit für sie, genau wie für meine Mutter oder mich, aber seinem kleinen Mädchen hätte er alles geschenkt. Er hätte sie niemals geschlagen. Denn sie entsprach seinen Vorstellungen: Nett, hübsch, unauffällig - wie ein Mädchen sein sollte. Wenn er da war, ging ich nicht mal in ihre Nähe - denn das machte ihn wütend. Als ob ich sie verderben könnte. Dabei verbarg ich sogar vor ihr, wie er wirklich war! Michelle sollte das nicht wissen. Es war besser so. Nur so konnte sie glücklich werden, in diesem Leben. Aber trotzdem... Ich nahm mir vor, zu überleben. Bis ich Achtzehn war. Ich war damals 11. Noch sieben Jahre. Dann würde ich weg, nichts wie weg hier. Ich würde irgendeine Arbeit machen, würde viel Geld verdienen mit meiner Begabung und dann würde ich sie hier raus holen. Meine Mutter, damit sie endlich ihr eigenes Leben konnte. Und Michelle. Damit sie, wenigstens sie ein freies Leben haben konnte. Davon träumte ich. Das war es, was mich daran hinderte, aufzugeben, mehr als ein Jahr lang. Ich hatte nicht gewusst, dass wir eine Waffe hatten. Eine geladene, noch dazu. Von außen sah sie aus wie eine altmodische Handwaffe, eine Pistole, aber in Wirklichkeit war sie ein kleines Lasergewehr, wie sie in der Armee benutzt wurden, während dem Großen Krieg. Der 3.Weltkrieg, auch genannt. Mein Vater hatte in Afrika gekämpft - es machte Sinn, dass er noch eine Waffe hatte. Es war also ein Zufall ,das ich sie fand, ein Unglück. Mein Vater und ich waren im Flur aufeinander gestoßen, und offenbar hatte er sich gerade danach gefühlt, jedenfalls fing er ohne Vorwarnung an, mich zu schlagen. Ich versuchte mich so gut es ging zu schützen, Arme vors Gesicht, wie immer. Ein Schlag in die Seite, mir blieb die Luft weg und ich taumelte rückwärts, gegen die Kommode und fiel in der Ecke hin. Etwas krachte von der Kommode runter. Ich erschrak und betete dass ich nichts zerbrochen hatte... vielleicht konnte ich es vor ihm verbergen. "Steh auf!" brüllte er in die dunkle Ecke. Ich tastete unter die Kommode und.. fand etwas metallisches. Langsam zog ich es zu mir. Ich hörte das leise Klicken, wenn er seinen Gürtel losmachte. Nicht der Gürtel. Ich hob es hoch. "Hier," wollte ich rufen, "es ist nicht kaputt!" Dann erstarrte ich. Ich sah es war. Ein kleines Lasergewehr. Eine Waffe. Tödlich. Meine Hände zitterten. Ich konnte nicht loslassen. Er kam auf mich zu, langsam. Den Gürtel in der Hand. Ich starrte die Waffe an. "Steh auf!" Ich fühlte mich ...mächtig... Klick. Entsichert. Er hob die Hand. Ich schoss. Ein zischen vom Laser und sein Körper plumpste vor mir auf den Boden. Sofort tot. Ein kleiner See von Blut... Ich zog die Beine an, damit ich es nicht berührte. Es sickerte weiter. Ich hatte die Waffe in der Hand. Die Leiche rührte sich nicht. Blut.... So habe ich also meinen Vater getötet, als ich Zwölf war. Ein Unfall? Mord? Totschlag? Notwehr? Wer weiß. Ein Unfall war es nicht. Denn ich wollte ihn töten. Ich wollte ihn töten, in diesem Moment und auch davor schon. Ich hatte es bloß nie für möglich gehalten. Hat meine Mutter die Polizei gerufen? Oder vielleicht die Nachbarn? Sie fanden mich, die Waffe in der Hand, natürlich war es klar, das ich geschossen hatte. Dann ging es schnell, viel zu schnell. Ich erinnere mich an viel - aber eigentlich an nichts. Meine Mutter die weint. Männer - Polizisten, Kriminalbeamte. Helle und dunkle Räume. Menschenmengen, wütende Schreie. Meine Mutter, die weint. Der Prozess war schnell, schnell und ein Schauprozess. Die Leute waren begeistert (sie nannten es schockiert), forderten Lebenslänglich, Todesstrafe.... Es war üblich, das die meisten Mörder so heftig bestraft wurden, schon während des Krieges und danach immer noch. Das Mindestalter für Lebenslänglich war 11, für Todesstrafe 12. Ich war Zwölf. Und es stand nicht gut für mich: Meine Lehrer und ein Psychologe diagnostizierten bei mir gestörtes Sozialverhalten - als ob das etwas neues wäre, meine Mitschüler sagten aus, ich sei ein Außenseiter, verbreiteten die wildesten Gerüchte. Meine Mutter wurde auf offener Straße und während des Prozesses beschimpft- "Schlampe! Rabenmutter!" Das Urteil lautete schließlich Tod durch Gift. Vielleicht lag es auch an meinem unkooperativen Verhalten während der Verhandlung, kann sein. Mir war es egal. Ich wollte sterben. Solang ich lebte, würde ich an meine Mutter denken. An Michelle. Ich war ein Verbrecher, weil ich ihr Leben zerstört hatte. Todesstrafe, das bedeutet Einzelhaft. Das war gut so, in einem Gefängnis wo ich mit anderen Gefangenen konfrontiert gewesen wäre, wäre ich umgekommen. Ein schwächlicher, stiller Junge von Zwölf Jahren. Keine Chance in einem Gefängnis. Also saß ich dort und wartete. Zunächst versuchte ich, gar nichts zu denken. Dann versuchte ich die Zeit zu verkürzen, bis zur Exekution. Nichts. Denn sie kam nicht. Ich wünschte, ich hätte diese Waffe nicht auf ihn gerichtet. Sondern auf mich. Natürlich, heute sehe ich es auch als Glück, dass der Termin immer wieder verschoben wurde, dass ich nicht sofort hingerichtet wurde. Ich lebte 11 Jahre lang in meiner ganz privaten Hölle, aber es hat sich gelohnt. Ich lebe. Und ich habe erkannt, dass ich unschuldig bin. Ich und alle anderen Menschen haben mich damals gerichtet wie einen Erwachsenen, der weiß was er tut. Sie haben mich nach meiner Tat beurteilt, als ob ich kein Kind mehr wäre. Sogar ich selbst, weil ich es nicht sehen wollte: Ich war ein Kind, wie intelligent auch immer. Denn es kommt ganz und gar nicht auf Intelligenz an, bei so etwas. Man muss abschätzen können, wie sehr man sich selbst und andere verletzen kann, und welche Folgen ein Verbrechen hat. Und wie soll man das, wenn man es nie erfahren hat? Wenn man nur ein Kind ist. Mein Problem war immer, dass ich Ungerechtigkeit nicht verstehen kann. Und nicht verstehen will. Sie ist da, das kann man nicht leugnen. Aber warum? ______________________________________________________________________________ ___________________________wird fortgesetzt___________________________________ ______________________________________________________________________________ ^_______^ Das ist also der erste Teil - vom Inhalt her entspricht er Kapitel 1 und einem Teil von Kapitel 3 des Doujinshis Darien Black, zu lesen unter: http://animexx.4players.de/doujinshi/anzeige.phtml?id=1464 Sorry, das es nicht besonders spannend ist - die meisten kennen ja die Story. Aber dieser Teil von Dariens Leben ist eben wichtig, hat ihn ja geprägt. ^^; Als nächstes möchte ich etwas aus Joshuas und Michelles Sicht schreiben. Joshua hat ja eine Menge zu erzählen (er hat immerhin das längste und ereignisreichste Leben von allen!) und Michelles Kindheit hab ich im Douji ja auch stark gerafft. ESTE-san... das wird ein Problem. Aus der sicht eines Wesens wie ESTE zu schreiben ist höllisch schwer.... NOCH EINE BITTE : Comments zur Story bitte hier, und nicht beim Doujinshi. Ist ja auch einfacher. ^^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)