Quicksand von Meggy-Jo ((~ GaaraXYuka~)) ================================================================================ Kapitel 16: Süße Versuchung --------------------------- Knallend fiel die Küchentür hinter mir ins Schloss. Ich wusste, dass die Auszeichnungen, die der Kazekage an der Wand aufgehängt hatte, bei dieser Erschütterung bedenklich schwankten, doch momentan hatte für mich etwas anderes höhere Priorität. Ich riss den Kühlschrank auf und nahm eine Wasserflasche heraus. Nach Bakis Morgentraining zusammen mit meinen Teamkameraden fühlte ich mich stets, als wäre ich nah am Vertrocknen. Dabei war das im Vergleich zu meinem Einzeltraining bei Gaara noch das kleinere Übel. Ich schüttelte den Kopf und lenkte meine Gedanken in eine andere Richtung. Der Flaschendeckel leistete hartnäckig Widerstand. Wasser war hier in der Wüste ein solch kostbares Gut, dass man es sich nicht leisten konnte, einen einzigen Tropfen zu verschütten. Darum bedurfte es gelegentlich einem gefühlten Lastzug, um eine Flasche zu öffnen. „Dass diese Intelligenzbestien aber auch nicht in der Lage sind, so etwas Simples wie einen Flaschenöffner zu erfinden…!“, presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Mit aller Kraft zog und zerrte ich an dem Deckel, doch dieser wollte sich strikt nicht lösen lassen. Vor Anstrengung waren meine Hände schweißverklebt, was sein Übriges tat. Eine Kunoichi in der Ausbildung versagte im Kampf gegen einen einfachen Flaschendeckel. Hätte ich nicht so fürchterlichen Durst gehabt, hätte ich nicht lange gefackelt und die Flasche auf dem Boden zertrümmert. So begnügte ich mich damit, ein Messer zu holen und den Hals der Flasche damit zu massakrieren. Mit Gewalt ließ sich im Zweifelsfall immer eine Öffnung schaffen, davon war ich überzeugt. Und ich hatte nicht vor, mich diesem einfältigen Glasgebilde zu unterwerfen! Ich war derart in meinen kleinen Zweikampf vertieft, dass ich nicht einmal hörte, wie die Küchentür diesmal sanft geschlossen wurde. Erst, als mich jemand unwirsch beiseite schob, fiel mir auf, dass ich mittlerweile begonnen hatte, die arme Flasche in meiner schönsten Gossensprache zu beleidigen und damit sicherlich keinen zurechnungsfähigen Eindruck machte. „Darf ich vorbei, bevor du auch noch den Kühlschrank in seine Einzelteile zerlegst?“ Das war keine Frage, sondern ein verbaler Schlag in den Rücken – etwas anderes war von dieser Schmirgelpapierstimme kaum zu erwarten. Ich presste die Lippen aufeinander und lockerte meinen Würgegriff um den Flaschenhals. Aus Temaris dunkelgrünen Augen sprang mir ihre Ablehnung buchstäblich an die Kehle; mit diesem Blick bedachte sie mich seit meiner Ankunft. „Wenn ich etwas über Brutalität lernen will, bin ich bei dir ja an der richtigen Adresse“, giftete ich und spielte damit auf ihren nicht enden wollenden Zerstörungsdrang beim Training an. Temari hatte nicht nur die Stimme und das Auftreten eines Mannes, sondern auch den Kampfstil. Beinahe mitleidig sah sie mich an. Und dann – viel zu flink für meine Augen – schnellte ihre Hand vor, nahm mir die Flasche ab und öffnete sie im Bruchteil einer Sekunde. Mit einem dezenten Laut fiel der Deckel zu Boden. Temari nahm sich lediglich die Zeit für ein kurzes, triumphierendes Lächeln, ehe sie mir die Flasche wieder in die Hand drückte, sich selbst etwas aus dem Kühlschrank nahm und anschließend die Küche verließ. Ich hatte nicht einmal die Gelegenheit gehabt, ein einziges Wort zu sagen. Wie ein absolut unfähiger Vollidiot blieb ich mit der geöffneten Flasche stehen und starrte auf die Tür. Ein verhaltenes Lachen befreite mich aus meiner Starre. Blitzartig fuhr ich herum, und als wäre das Maß an Blamagen für den heutigen Tag nicht schon voll, stand Kankuro im Rahmen der zweiten Tür. Breit grinsend lehnte er dort und schien sich köstlich über mein mittlerweile vor Zorn gerötetes Gesicht zu amüsieren. Es juckte mich unter den Fingern, die Flasche nach ihm zu werfen. „Da werden unsere Missionen ja lustig, wenn dein Kampf gegen eine echte Ninja-Flasche schon so aussieht.“ Er fand sein kleines Wortspiel offenbar ungeheuer erheiternd. „Ach, geh und spiel mit deinen Puppen“, erwiderte ich hitzig. Im Training hatte ich längst bemerkt, dass er sich auf eine Kampftechnik mit Marionettenpuppen spezialisiert hatte, von daher war diese Retourkutsche durchaus zutreffend. „So wie du mit den Jutsus, die Baki dir gezeigt hat? Ich muss schon sagen, deine Fortschritte mit der Chakrakontrolle sind beeindruckend!“, spottete er fröhlich weiter. Besagte Fortschritte waren nämlich gleich null. „Ich krieg das auf die Reihe, du wirst schon sehen!“ „Wann? In fünfzehn Jahren?“ Damit war der letzte Tropfen meiner Geduld aufgebraucht. Lautstark stellte ich die Flasche auf dem Küchentisch ab und trat auf ihn zu. Er spürte sofort, dass Prügel in der Luft lagen, und hob beschwichtigend die Hände. Dabei stand außer Frage, dass er mich mühelos hätte überwältigen können. „Hey, ich hab da eine Idee“, sagte er stattdessen; das herausfordernde Lächeln verließ sein Gesicht dennoch nicht. „Was hältst du von einer Wette? Baki hat dir gestern ein neues Jutsu gezeigt und wenn du nachher mit Gaara trainierst, wird er es sicher von dir verlangen. Also was hältst du hiervon: Wenn du es schaffst, bekommst du von mir eine absolut tödliche Ninjawaffe und natürlich werde ich dich nicht mehr anzweifeln. Aber wenn du versagst, darf ich entscheiden, wem du morgen deine Valentinstagsschokolade gibst.“ „Valentinstagsschokolade?“, wiederholte ich verständnislos. Ich wusste zwar, dass morgen der 14. Februar und somit Valentinstag war, doch mit den Bräuchen der Ninjas war ich nicht vertraut. „Bei uns ist es üblich, dass jede Frau am Valentinstag einem bestimmten Mann Schokolade schenkt. Dazu ist jede Einwohnerin Sunas verpflichtet, denn es kurbelt zusätzlich die Wirtschaft an.“ Mühevoll verhinderte ich, dass meine Kinnlade herunterklappte. „Bei dir hackt’s doch! Als würde ich so einen kitschigen Dreck mitmachen! Du kannst mir nicht erzählen, dass jede Frau in Suna das macht! Schau doch allein mal deine Schwester an – keiner kann mir erzählen, dass Temari Schokolade verschenkt!“ „Was glaubst du, was sie eben aus dem Kühlschrank geholt hat? Das war ihre Schokolade für irgendeinen Verehrer. Sie macht sich jedes Jahr einen Spaß daraus, irgendeinem Jungen, der sie anhimmelt, damit falsche Hoffnungen zu machen und ihn dann so richtig auflaufen zu lassen. Niemand verlangt von dir, dass du aus echten Gefühlen handelst, aber die Geste ist Pflicht.“ Seine Worte waren ernst, das hörte ich deutlich heraus. Ich legte die Stirn in Falten und musterte ihn prüfend. Jetzt zu verneinen, würde bedeuten, seine schlechte Meinung von meinen Fähigkeiten zu bestätigen. Er würde mir meine Absage auf ewig vorhalten, dazu kannte ich ihn gut genug. Darüber hinaus musste ich zugeben, dass sich seine sogenannte tödliche Ninjawaffe nach einer lohnenswerten Investition anhörte. Zumindest für eine Anfängerin wie mich. Ich seufzte auf. Es hatte keinen Sinn, weiter zu überlegen. Mein Ehrgeiz hatte die Entscheidung längst gefällt. „Deal“, stimmte ich also zu und streckte die Hand aus. Kankuro schlug mit einem für ihn typischen Grinsen ein. Es triefte förmlich vor Schadenfreude. „Sehr gut. Dann viel Spaß dabei, meinem kleinen Bruder die richtige Schokolade herauszusuchen.“ Diesmal ließ ich meine Körperbeherrschung schleifen; mein Unterkiefer klappte herunter und hätte ich die Flasche nicht abgestellt, wäre sie mir zweifellos aus der Hand gefallen. „Was?!“ Es hätte mich nicht gewundert, wenn man diesen Schrei noch im Nachbarsland gehört hätte. Doch Kankuro winkte mir nur kurz über die Schulter zu, ehe er grinsend verschwand. Was auch immer er mit seinen ständigen Versuchen, mich Gaara nahe zu bringen, bezwecken wollte, für heute hatte er mich überlistet. Das Jutsu beherrschte ich nämlich noch so gut wie überhaupt nicht. Auf einen Schlag war mein Wasser vergessen. Ich hastete die Treppen hinauf in mein Zimmer, so schnell meine Beine mich trugen. Bis zum Mittagstraining musste ich dieses verdammte Jutsu lernen, komme, was wolle! „Rechts, links, links, rechts! Defensive! Rechts, links, links, rechts – und vor!“ Die Spitze der Schwertimitation aus Bambus schnellte auf mich zu und verharrte wenige Millimeter vor meinem Hals. Nach Atem ringend zuckte ich zurück, jedoch war mir klar, dass er mich – hätte er es vorgehabt – ohne Probleme zu Boden hätte bringen können. „Zu langsam“, brummte er. Die Ungeduld in seiner Stimme war unverkennbar, und ich schluckte hart. Zaghaft hob ich den Kopf und betrachtete sein sichtbar verstimmtes Gesicht. Klirrend kalt blitzten seine Jadeaugen ins Leere. Ich hatte es gewusst: Gaara war alles andere als erfreut davon, mich trainieren zu müssen. Das hatte er mir in den vergangenen Tagen deutlich gemacht. Das Training brachte er mit äußerstem Widerwillen hinter sich und würdigte mich dabei keines einzigen Blickes. „Entschuldigung, ich…“ Sein erneut auf mich hinabbrausendes Schwert schnitt mir das Wort ab. Ich quietschte auf und hatte alle Mühe, ihn abzuwehren. „Nicht quatschen, sondern kämpfen!“, zischte er. „In die Ausgangsposition, Kopf hoch und konzentrier dich endlich!“ Gehorsam schob ich einen Fuß nach hinten, um einen sicheren Stand zu haben, und führte mein Schwert vor den Körper. Ich spürte meinen Kopf glühen und zwar nicht nur wegen der körperlichen Anstrengung. Weitaus intensiver war ein Gefühl von Scham, dass mich schier um den Verstand brachte. „Ich weiß auch nicht, warum ich mein Chakra nicht mehr in den Griff bekomme, ich…“, setzte ich an, doch wieder wurde die Konversation von einer Attacke Gaaras zerstört. „Klappe! Und hör gefälligst auf, ständig rückwärts auszuweichen! Rechts, links, links, rechts! Wann kapierst du das endlich?!“ Ich tat mein Bestes, seine Angriffe abzuwehren, was mir allerdings nur für wenige Augenblicke gelang. Viel zu schnell hatte er mich überwältigt und mein Schwert zu Boden geschlagen. Wehrlos und schwer atmend stand ich vor ihm. Gaara stieß hörbar die Luft aus und ließ sein Schwert fallen. „Natürlich hast du dein Chakra nicht im Griff! Du konzentrierst dich einfach nicht!“ Obwohl seine Worte beherrscht ausgesprochen waren, hatten sie auf mich die Wirkung einer Ohrfeige. Meine Eingeweide krampften sich zusammen. Ich wollte mich für meine Unfähigkeit schlagen. „Ich kann das besser, ganz bestimmt!“, versicherte ich so überzeugend wie möglich. Dabei versuchte ich eher mich selbst zu überzeugen. „Ach, vergiss es“, winkte er ab und wies seinen Sand mit einer Kopfbewegung an, die Trainingsschwerter weg zu bringen. „Führ mir das Jutsu vor, das ich dir gestern gezeigt habe. Mittlerweile solltest du es beherrschen.“ Das Herz sackte mir in die Kniekehlen. Irgendwie hatte ich gehofft, er würde es nicht von mir verlangen. Dann hätte ich eine halbwegs plausible Ausrede vor Kankuro, weshalb ich es nicht beherrschte. Aber so war meine Blamage vorprogrammiert. Außerdem hätte ich es niemals über mich gebracht, Gaara den Gehorsam zu verweigern. Er wollte etwas vom mir sehen. Irgendetwas, das ihn dafür entschädigte, dass er seine Zeit mit mir verschwendete. Selbst wenn es nur ein vollkommen hoffnungsloser Versuch war, das einfachste Jutsu der Welt vorzuführen. „Na gut“, murmelte ich also. Baki hatte mir erklärt, dass jeder Mensch ein bestimmtes Element innehatte und Jutsus von diesem Element am leichtesten erlernen konnte. Mein Element war das Feuer, wie er mir erklärt hatte, und ich wusste nicht recht, ob ich darüber lachen sollte – die alte Wahrsagerin aus dem Kaufhaus hätte diese Erkenntnis sicher außerordentlich stolz gemacht. Ich selbst war davon weniger angetan, denn trotz exzessiven Übens am Vormittag war ich noch immer kaum in der Lage, eine einzige Flamme zu erzeugen. Ich versuchte meine wirren Gedanken zu ordnen, die verspannten Muskeln zu lockern, und hob dann beide Arme vor den Körper. Konzentriert formte ich Fingerzeichen vor meiner Brust. Pferd, Tiger, Schlange. Diese merkwürdigen Verrenkungen meiner Finger sollten dabei helfen, mich auf mein Chakra zu konzentrieren und es in gewünschtem Maß freizugeben – so hatte Baki es mir erklärt. Es sah absolut lächerlich aus, aber bei einem geübten Shinobi erfüllt es seinen Zweck. „Hino Rei: Jutsu der Feuerfesseln!“ Ich sprach die Beschwörungsformel so entschlossen wie möglich aus. Doch als ich die Augen öffnete und mein Ziel – Gaara – anpeilte, passierte genau dasselbe wie jedes Mal, wenn ich ihn angreifen sollte. Im selben Moment, da mein Blick auf seine versteinerten, fordernden und so unsagbar überlegenen Jadeaugen traf, wurde all meine Entschlossenheit durcheinander gewirbelt wie welkes Herbstlaub. Von einer Sekunde auf die andere war meine Konzentration gebrochen und ich fühlte mich wie ein kleines Kind auf einer Bühne, das auf eine übermächtige Menschenmasse hinabblickt. Ich konnte seine Erwartungen nicht erfüllen. Ich war nicht gut genug. Ich konnte geradezu fühlen, wie die Chakraströme in mir ihre Ordnung verloren und nicht mehr wussten, welches Ziel sie anzuvisieren hatten. Nur ein Bruchteil verließ meinen Körper und sorgte für zwei lachhaft kleine Stichflammen am Boden und nicht mal diesen Zustand konnte ich lange aufrechterhalten. Bereits wenige Sekunden später erloschen sie. Wieder versagt. Ich wollte meinen Blick abwenden, doch es gelang mir nicht. Als wären meine Augen in ihren Höhlen gefroren, blickte ich weiter geradeaus, direkt in Gaaras makelloses Gesicht. Und einen Herzschlag lang hasste ich mich selbst aus tiefster Seele. Ob er dies erkannt hatte, oder ob er mich einfach für zu minderwertig hielt, um sich weiter mit mir abzugeben, kann ich nicht sagen. Auf jeden Fall wandte Gaara sich fast abrupt ab und verschränkte die schmächtigen Arme vor der Brust. Mit langsamen Schritten bewegte er sich in Richtung des Ausgangs des Trainingsgeländes. „Menschen“, zischte er dabei, ohne mich eines letzten Blickes zu würdigen. Und das war noch schlimmer, als hätte er mich zusammengestaucht. Nein, ich hätte mir lieber tausend Beleidigungen angehört, statt auf diese Weise als hoffnungsloser Fall abgestempelt zu werden. Wutentbrannt trat ich ein Büschel Unkraut aus dem sandigen Boden. Staub wirbelte auf und ich war ganz froh, dass er mir für einige Sekunden die Sicht versperrte. Ich wollte Gaara nach dieser Blamage nicht nachsehen müssen. Warum musste ich nur so unfähig sein? Mit einer heftigen Bewegung wirbelte ich herum, zerrte einen Wurfstern aus der Tasche und schleuderte ihn mit aller Kraft auf die Zielscheibe, die am Zaun hing. Zwar bohrte er sich bis zur Hälfte in das Holz, doch den Mittelpunkt hatte ich natürlich wieder nicht getroffen. Da verlor ich den letzten Rest Beherrschung: Ich stürmte zu der Zielscheibe und schlug mit einem Aufschrei auf sie ein. Gegen das Massivholz war meine lächerliche Muskelkraft ein Tropfen auf den heißen Stein, doch wenigstens zum Frustabbau half es ein wenig. Ich atmete tief ein, um mich ein wenig zu beruhigen, und reckte das Kinn in die Höhe. Vom zweiten Stockwerk meines Wohnhauses blickte Kankuro auf mich hinab. Als er meinen Blick auffing, zeigte er breit grinsend das Victoryzeichen. Mir hätte klar sein müssen, dass er den Ausgang unserer Wette mit eigenen Augen verfolgen würde. Ein Shinobi hat seine Augen überall. Ich biss die Zähne aufeinander, um keinen weiteren Schrei von mir zu geben. Meine Faust ließ sich allerdings nicht aufhalten. Mit aller Kraft holte sie aus und traf so heftig auf die Zielscheibe, dass meine Fingerknöchel schier unmenschlich schmerzten. Doch immerhin eins hatte ich geschafft: Die verdammte Scheibe war in der Mitte auseinander gebrochen. Dieses minimale Erfolgserlebnis schien mich ein wenig zu motivieren. Zumindest konnte ich mich danach aufraffen, ohne weitere Zerstörungsanfälle das Trainingsgelände zu verlassen, mich umzuziehen und anschließend Richtung Dorfmitte zu gehen. Versprechen hielt ich ein, egal wie sehr sie mir zuwider waren. Suna bot nicht viele Einkaufsmöglichkeiten; die größte Auswahl besaß eine Art Supermarkt auf dem Marktplatz. Für gewöhnlich zog ich es vor, mich von öffentlichen Orten wie diesem fernzuhalten. Nicht etwa, weil die Wüsteneinwohner selbst auf offener Straße aufeinander losgingen – nein, an und für sich waren sie mit Sicherheit mehr oder minder zurechnungsfähige Menschen, mal abgesehen davon, dass Netzkleidung und Gewänder aus Kartoffelsäcken das Einzige waren, das ihre Mode hergab. Es lag daran, dass ich in ihren Augen gelinde gesagt ein Freak war. Ich hatte kaum die Hauptstraße betreten, da vernahm ich bereits das Getuschel der Passanten. Die Leute wechselten wie zufällig die Straßenseite, Gruppen rückten enger zusammen und jeder tat sein Bestes, den Augenkontakt mit mir zu meiden und mich doch hinter meinem Rücken zu mustern. Keiner wusste, was er mit mir anfangen sollte. Der Kazekage hatte mir erklärt, die offizielle Variante meines Erscheinens sei, ich wäre eine „entfernte Verwandte, die er nach Hause geholt hatte, um sie wegen ihres großen Talents unter seine Fittiche zu nehmen“. Doch die Bürger Sunas waren Ninjas und somit alles andere als leichtgläubig. Über mich waren die wildesten Gerüchte im Umlauf: Von Inhaberin eines Dämons wie Gaara bis hin zur unehelichen Tochter des Kazekage. Verübeln konnte ich es ihnen kaum, nachdem ich drei Wochen in meiner eisigen Starre verbracht und mich wie ein Zombie benommen hatte. Zum Glück war auf den Selbstschutzmechanismus, den ich mir angewöhnt hatte, Verlass. Ich hielt den Kopf selbstbewusst in die Höhe gereckt, lief flott aber nicht zu hastig. Lediglich meine geballten Fäuste verrieten meine innere Anspannung. „Da ist sie … Schnell, macht Platz!“ „Sie ist eine Hexe! Ich schwör’s, seht euch nur die roten Haare an! Fast so schlimm wie bei dem Monster!“ „Sei still! Wenn Kazekage-sama das hört, lässt er sie auf uns los!“ So ging das, bis ich am Marktplatz angelangt war und endlich im Supermarkt verschwinden konnte. Ich hoffte nur, der Verkäufer würde bei meinem Anblick keinem Herzanfall erliegen, sonst hieß es noch, ich würde Menschen mit bloßem Blick töten. Der Laden war geräumig und bot ein reichhaltiges Sortiment in den verschiedensten Regalen. Die Schokolade wurde momentan – da wegen dem bevorstehenden Valentinstag Hochsaison war – direkt an der Theke gelagert. Hinter diesem halb verglasten Tisch stand ein stämmiger Mann mit verschränkten Armen. Er wirkte nicht sonderlich motiviert, aber immerhin machte er keine Anstalten, schreiend wegzulaufen. Ich behielt meinen selbstsicheren Gang bei, bis ich vor der Theke stand. Um den Verkäufer direkt ansehen zu können, musste ich den Kopf noch ein Stück weiter heben. Er war mindestens zwei Meter groß und die bullige Gestalt und die dichten Augenbrauen verliehen ihm ein einschüchterndes Äußeres. Seine tiefe Stimme tat ihr Übriges. „Was kann ich für dich tun?“, fragte er. „Ich brauche Schokolade.“ Meine Stimme klang genau so, wie ich es beabsichtigt hatte. Entschlossen und doch eine Spur freundlich. Diese Bitte musste ihn zweifelsohne überraschen, doch ein Mann dieses Kalibers hat ein perfektes Pokerface. Er nickte lediglich und machte einen Wink auf die zahlreichen Sorten innerhalb des verglasten Teils der Theke. „Was für eine soll es denn sein?“ „Milka Zartbitter, echte Importschokolade aus Deutschland, aber die werden Sie ja kaum haben“, rutschte es mir heraus. Wütend über mich selbst biss ich mir auf die Zunge. So viel zu meinem souveränen Auftreten. „Milka haben wir leider nicht im Sortiment. Aber Zartbitterschokolade ist vorrätig.“ Ich blinzelte überrascht und ließ den Versuch, meine Gesichtszüge zu kontrollieren, gleich sein. Darauf kam es jetzt auch nicht mehr an. Wieso reagierte dieser Mann derart normal auf diese eindeutig geistesgestörte Aussage meinerseits? Hielt er Milka nicht für eine neue Massenvernichtungswaffe, weil die Monsterhexentochter des Kazekage davon sprach? „In Ordnung…“, presste ich hervor. Vorsichtig untersuchte ich seine Miene ein weiteres Mal nach Anzeichen von Abneigung, ehe ich entschlossener fortfuhr. „Wissen Sie, Milka ist eine Schokoladenmarke aus meiner Heimat.“ „Ich werde dich darüber informieren, wenn ich so eine Schokolade einmal ins Sortiment bekomme“, versprach er und dann zwinkerte er mir direkt freundlich zu. „Es ist schön, dass du dich einzuleben scheinst. Leider reden immer noch viele Leute schlecht über dich, aber fast genau so viele haben mittlerweile begriffen, dass du doch recht normal zu sein scheinst. Eine junge Ninjaschülerin wie jede andere, davon konnte ich mich gerade überzeugen, Yuka.“ Sein breites Gesicht formte sich zu einem sympathischen Lächeln und da verstand ich. Mit seiner reservierten Haltung hatte er mich zunächst aus der Ferne analysiert. Doch meine unqualifizierte Milka-Bemerkung ließ mich zweifellos wie eine gewöhnliche Jugendliche erscheinen. Ich nahm mir vor, mir diese Technik des Beobachtens für meine Laufbahn als Kunoichi einzuprägen. Begeistert nickte ich und zeigte mein schönstes Lächeln. „Glauben Sie mir, wenn ich übermenschliche Kräfte hätte, würde ich sie als allererstes gegen diese Tratschtanten verwenden.“ Er lachte auf; ein sehr tiefes, angenehmes Lachen. „Du scheinst für ein raues Pflaster wie Suna perfekt geeignet zu sein. Mach einfach weiter, Kleine. Sobald du Genin bist und auf Missionen gehst, haben es bestimmt auch die letzten Idioten kapiert.“ Mit einer Handbewegung lenkte er das Thema zurück auf die Schokoladenauswahl. „Also, Zartbitter wolltest du, nicht wahr? Soll ich es dir gleich für den Valentinstag einpacken?“ „Ja, bitte.“ Krampfhaft unterdrückte ich die aufkeimende Trauer bei dem Gedanken daran, dass meine Mom bisher all meine Geschenke verpackt hatte. Ich war in solchen Sachen nie sonderlich begabt gewesen. Schleifen, Dekoration und Kitsch waren ihr Ressort. Doch der Moment war zu schön, um melancholisch zu werden. Ich dankte dem Verkäufer mit einem weiteren Lächeln, als er mir eine hellblaue Schachtel mit einer Schleife reichte. „Pass nur auf, dass du es schnell in einen Kühlschrank bringst. Ist die Verpackung gut so? Meinst du, es gefällt dem Empfänger?“, erkundigte er sich. Ich war froh, bereits mit meinem Geldbeutel beschäftigt zu sein. So hatte er kaum eine Chance, die verräterische Rötung auf meinen Wangen zu erkennen. „Ach, er ist nicht der Typ für schöne Verzierungen und so … Er wird es aufreißen, wenn nicht sogar mitsamt der Schokolade gleich vernichten, also macht das nichts“, sagte ich, während ich das Geld auf die Theke legte. Lachend nahm er das Geld an sich. „Na, na, jetzt übertreib mal nicht. Er wird ja wohl kaum so schlimm sein wie unser Monster Gaara.“ Meine Gesichtszüge gefroren. Noch bevor ich mich mit einem lässigen Kommentar retten konnte, hatte er mich schon durchschaut. Sein Lachen verstummte kurz, nur um anschließend deutlich lauter zu erklingen. Ich wünschte mir eine Abstellkammer, in die ich mich verkriechen konnte. „Sieh mal einer an, wenn das nicht perfekt passt! Das Dorfmonster und das angebliche Hexenmädchen! Echt klasse!“ „Das ist nicht, wie Sie denken!“ Meine Stimme drohte, sich zu überschlagen, so eilig hatte ich es mit meiner Erwiderung. „Ich hab eine Wette verloren, deshalb muss ich ihm etwas schenken! Mehr nicht!“ Sein Lachen wurde leiser, bis er sich räusperte und sich anschließend über die Theke lehnte, um mir kräftig auf die Schulter zu schlagen. Fast bekam ich Angst, er könne mir damit das Schlüsselbein brechen. „Schon gut, Yuka. Ich hab selbst drei Töchter – ich weiß, wie das ist. Aber versprich mir eins…“ Hier wurde sein Gesicht mit einem Mal sehr ernst und er blickte mir direkt in die Augen. „…Pass auf dich auf. Egal, in welcher Hinsicht du dich ihm näherst. Das Leben eines jungen Mädchens in seiner Nähe ... ist so zerbrechlich wie eine Seifenblase.“ Es bereitete mir keinerlei Mühe, mein selbstsicheres Lächeln zurück zu zaubern. Über die Gefahr meines baldigen Ablebens zu sprechen, war immer noch ein leichter verdauliches Thema als mein Geschenk an ein Wesen des männlichen Geschlechts. „Sie müssen sich um mich keine Sorgen machen. Ich trainiere mit dem ‚Monster’, ich komme mit ihm klar. Außerdem bin ich eine Kunoichi in Ausbildung!“ Es überraschte mich selbst, mit welchem Nachdruck ich es sagte und wie echt es sich aus meinem Mund anhörte. Das war nun mal, was ich jetzt sein wollte. Der Verkäufer nickte und lehnte sich wieder zurück. „In Ordnung. Dann viel Erfolg und vergiss nicht, deine Sachen auch in Zukunft immer hier zu kaufen – Takada Kaito ist die Adresse Nummer eins für Lebensmittel!“ „Ich werd’s mir merken, Kaito-san! Auf Wiedersehen und vielen Dank!“, rief ich und lächelte ein letztes Mal. So viel wie an diesem Tag hatte ich seit meiner Ankunft in Suna nicht gelächelt, das war mir klar. Trotz dieses überaus positiven Erlebnisses blieben mir auch in dieser Nacht die Alpträume nicht erspart. Seit ich mich von meiner schützenden Eismauer befreit hatte, suchten mich die Erinnerungen an mein Zuhause ausnahmslos jede Nacht heim. Mal mehr, mal weniger schlimm. In jener Nacht handelten meine Träume von meinen Eltern. Ich sah meine Mom vor mir, wie begeistert sie gewesen wäre, wenn sie mir die Valentinstagsschokolade hätte einpacken dürfen. Erwartungsgemäß war sie außer sich vor Freude, Stolz auf mich und leider auch vor Neugierde. Ohne Unterlass bohrte sie, für wen das Geschenk denn bestimmt war. Doch ich war nicht in der Lage, ihr die Wahrheit zu sagen – nämlich dass ich Rachels Mörder beschenken würde. Den Jungen, der mich für alle Ewigkeiten von meiner Familie getrennt hatte. Der Kim in Lebensgefahr und meine Eltern ins Visier der CIA gebracht hatte. Ich wand mich unter ihren drückenden Fragen so sehr, dass ich mich auch auf meiner Matte heftig umher gewälzt haben musste. Auf jeden Fall krachte ich irgendwann mit solchem Schwung gegen die Zimmerwand, dass ich mit einem Schmerzensschrei erwachte. Ich schoss hoch und griff mir an die schmerzende Stirn. Mein Atem ging schwerfällig von der unruhigen Nacht. Es kostete mich einige Sekunden, meine Gedanken zu ordnen und mich zu orientieren. Das hier war mein spartanisch eingerichtetes Zimmer in Suna-Gakure, meiner neuen Heimat. Weit weg von meinen Eltern. Doch war es nicht trotzdem Verrat, meinem Kidnapper ein Valentinstagsgeschenk zu machen? Diese Frage ließ mich den gesamten Vormittag nicht los. Selbst beim Morgentraining war ich nicht bei der Sache und kassierte noch mehr Tadel von Baki, als sonst. Auch Kankuros Sticheleien und Temaris abwertende Blicke drangen nicht zu mir durch. Das Einzige, das ich von meiner Umwelt wahrnahm, war Gaara, den ich stets im Auge behielt. Und wie es nun mal unvermeidlich war, machte er mit seiner bloßen Anwesenheit den kümmerlichen Rest meiner Konzentration zunichte. Gleichzeitig wurden meine Unsicherheit, der Ehrgeiz und die Sehnsucht nach ihm stetig größer. Dabei sah er mich wie üblich kein einziges Mal an. Ich hatte nur den einen Wunsch, er möge es ein einziges Mal tun. Mich würdigen. Zugeben, dass ich meine Sache gut machte und doch wertvoller als ein Sklave war. Und ganz, ganz vielleicht nur … eine Entschuldigung hervorbringen. Ich könnte sie annehmen, wenn auch niemals das Vergangene verzeihen. Doch es würde unsere Beziehung reinwaschen. Es würde helfen, all die Höllenqualen, durch die ich seinetwegen gegangen war, zu verarbeiten. War es so falsch, sich dies zu wünschen? Es gelang mir nicht, eine Antwort auf diese Frage zu finden. Auch nicht nach der zwanzigsten Strafrunde um das Trainingsgelände. Mechanisch kehrte ich nach Hause zurück und duschte im prähistorischen Badezimmer. Zweifelsohne würde ich im Laufe des Tages noch mehrere Liter Schweiß produzieren, doch ich wollte nur dieses eine Mal einen halbwegs guten Eindruck hinterlassen. Blieb also noch die Frage zu klären, was ich anziehen sollte. Meinen Kleiderschrank hatte der Kazekage gefüllt, und somit waren die Kleidungsstücke hauptsächlich zum Kämpfen geeignet. Was würde Gaara wohl mögen? Über dieser Frage vergaß ich alles. Alle Zweifel, Gewissensbisse und Alpträume. Meine komplette Welt konzentrierte sich auf das eine Ziel, ihm gefallen zu wollen. Hätte man mich während dieser halben Stunde, die ich in meinem Zimmer verbrachte, nach meiner Identität gefragt, wäre ich zu keiner Antwort fähig gewesen. Ich wollte lediglich alles in meiner Macht stehende tun, um einmal nur eine einzige positive Rückmeldung von ihm zu bekommen. Schließlich entschied ich mich für einen hellen Minirock mit leichtem Faltenwurf und ein Trägertop im Tarnmuster, erneuerte meinen Pferdeschwanz und eilte dann in die Küche, um die Schokolade zu holen. Um diese Zeit trieb sich Gaara für gewöhnlich am Fuß der Hügel hinter dem Trainingsgelände herum. Ich versuchte gleichzeitig schnell dorthin zu gelangen und meine Kleidung nicht schmutzig zu machen, was im Wüstensand leider kaum zu vermeiden war. Trotz meiner Bemühungen waren mein Rock eher gesprenkelt als beige und mein Pferdeschwanz ein struppiges Durcheinander, als ich den Hügel erreichte. Dies war einer der Grenzpfeiler Sunas; unter ihm öffnete sich das Land zu einer unendlich weiten Ebene voll Ödland. Lediglich eine Felsengruppe erinnerte dunkel an die nahe Zivilisation, dahinter lag die unbewohnte Wüste. Das Flachland war auch Schuld am sandigen Wind, der hier mit sehr viel größerer Gewalt als im Dorfinneren wehte. Und wie jeden Nachmittag saß er auf einem der Felsen und starrte in die Ferne. Ich konnte nicht zögern, nicht einmal, wenn ich es gewollt hätte. Ich lief einfach, von unsichtbaren Fäden gezogen, wie bereits zuvor in meinem Zimmer. Als würde meine Welt sich für diesen Augenblick einzig und allein auf dieses kleine Fleckchen Erde konzentrieren und weder eine Vergangenheit noch eine Zukunft zulassen. Sein Anblick strahlte eine derart einzigartige Atmosphäre aus, dass ich es kaum wagen wollte, sie zu stören. Erst recht nicht mit einem peinlichen Geschenk, das mich vor ihm bis auf die Knochen demütigen würde. Entsprechend leise klang meine Stimme, als ich endlich hinter seinem Felsen stand. „Gaara…?“ Entweder hatte meine Aufregung meinen Verstand gelähmt, der Wind meine Augen getrübt oder seine Geschwindigkeit war schlicht zu überragend für meine unterentwickelten Sinne. Ich hatte kaum Zeit für einen Atemzug gehabt, da stand er ein gutes Stück von dem Felsen entfernt und ging Richtung Hügel davon. Dabei war ich sicher, er hatte mich gehört. „H-Hey!“, stammelte ich überrascht und hastete ihm nach. Das Päckchen in meinen Händen fühlte sich verdächtigt feucht an. Ich betete, die Schokolade möge nicht schmelzen. „Was willst du?“ Unwillkürlich zuckte ich bei der Schärfe seiner Worte zusammen, doch meine Gedanken blieben auf mein Ziel fixiert. „Dir etwas geben.“ Seine Schritte blieben gleichmäßig schnell. Ich bezweifelte, dass ich am sandigen Hügel noch würde mithalten können. „Kein Interesse.“ Wieso musste er auch so schrecklich sturköpfig sein? Ich hatte mir diese erniedrigende Aktion nicht ausgesucht! Zorn kam in mir auf und ich griff zur letzten Möglichkeit, die mir noch blieb. „Hino Rei: Jutsu der Feuerfesseln!“ Diesmal war alles anders. Ich fühlte die Rage, die mit einer anderen, vertrauten Substanz in meinen Adern pulsierte. Schneller und immer schneller. Vom Herzen aus in meine Arme, die Handgelenke, Fingerknöchel und dann hinaus aus meinem Körper. Zwei schlangenartige Strahlen aus Feuer züngelten durch die Luft. Fast gleichzeitig kam ein heftiger Windstoß auf, der nichts mit den natürlichen Gegebenheiten einer Wüste zu tun hatte; Sand schoss in die Höhe und baute sich zu einer Mauer rund um Gaara herum auf. Es zischte, als die Flammen und der Sand sich trafen. Natürlich wusste ich, dass mein kümmerliches Jutsu gegen seine ausgefeilte Sandtechnik machtlos war, doch das hatte ich auch gar nicht bezwecken wollen. Ich warf mich nach vorn, mit all der Kraft, die blanker Zorn in mir wüten ließ. Meine Muskeln bewegten sich mit einer mir fremden Intensität. Ich fühlte mich desorientiert, als ich mich von einem Wimpernschlag auf den anderen direkt vor Gaara wieder fand. Dass er nicht minder überrascht war, war ihm mit Leichtigkeit aus dem Gesicht zu lesen – ganz im Gegensatz zu gewöhnlich. „Du gehst hier nicht eher weg, bis du dieses verdammte Päckchen angenommen hast!“, stieß ich atemlos hervor. Jeder einzelne meiner Pulsschläge dröhnte bis in die letzte Körperzelle; das war der unangenehme Teil am Freisetzen von Chakra. Der Sand hatte meine kümmerliche Feuerattacke abgewehrt, verweilte aber dennoch schützend in der Luft. Gaara hatte die Augen zusammengekniffen und schien einen Punkt hinter meiner rechten Schulter zu fixieren. Doch ich erkannte am leichten Zittern seiner geballten Fäuste, dass es ihm schwer fiel, sich desinteressiert zu geben. Ob das wohl an meiner vergessen geglaubten Chakrakontrolle lag, oder vielleicht auch ein kleines bisschen persönliche Gründe hatte? Ich hielt ihm das Päckchen mit der Schokolade hin und senkte den Kopf. Er sollte meine geröteten Wangen nicht sehen, obgleich ich das nun auch bequem auf meine Rage hätte abschieben können. „Was ist das?“ Da ich ihn nicht mehr sah, konzentrierte ich mich sehr genau auf die Nuancen seiner Stimmlage. Er sprach kurz und abgehackt – ein Zeichen für Ärger und Anspannung. Nachdem ich ihn mit meinem Jutsu überlistet hatte, gut verständlich. Mein Stolz verhinderte, dass meine Stimme ebenso zitterte, wie es mein Inneres tat. „Siehst du doch. Valentinstagsschokolade.“ Ich glaubte, ein scharfes Einatmen gehört zu haben, war mir allerdings nicht ganz sicher. Es war unmöglich, seine Reaktion abzuschätzen, ohne ihn anzusehen. Unerträglich lange Sekunden verstrichen, ehe er endlich antwortete. „Wieso?“ Nun überwog die Anspannung, das bemerkte ich sofort. Ich hob den Kopf, behielt den Blick aber noch immer zu Boden gerichtet. Allmählich verwandelte das wütende Pulsieren sich in ein panisches. Was nützten mir meine Rage und das Chakra, wenn ich mich gerade bis auf die Knochen blamierte? Ich wünschte, ich hätte ihn einfach gehen lassen. „Das mach’ ich nur, weil ich eine Wette gegen Kankuro verloren hab’. Es ist ein Wetteinsatz, nichts weiter. Und nicht mal selbst eingepackt. Zerreiß das Papier, schmeiß die Schokolade weg oder werf’ gleich alles in die nächste Mülltonne.“ Donnerndes Herzklopfen strafte meine aufgesetzte Gleichgültigkeit Lügen. Ich war froh, den Blickkontakt von Anfang n vermieden zu haben, denn sonst hätte er aus meinem Gesicht wie aus einem Buch heraus meine wahren Gefühle lesen können. „Gibt man seine Schokolade nicht jemandem, den man mag?“ Mein Kopf schoss in die Höhe, als ich den Mund ohne weiteres Nachdenken öffnete. „Ich sag doch, das ist nur eine blöde Wette! Beschwer dich bei Kankuro, dass er so bescheuerte Bedingungen stellt! Und jetzt nimm das verdammte Zeug, bevor ich es dir um die Ohren schleudere!“ Kein weiteres Wort hätte ich über die Lippen gebracht. Ich sah ihn an und zum ersten Mal seit unendlich langer Zeit erwiderte er meinen Blick. Diese Gewissheit überkam mich, wie damals die Nachricht von der ersten Mondlandung. Wie meine erste Regionalmeisterschaft im Lacrosse. Wie eine gleißend helle und wunderschöne Sternschnuppe auf dunklem, tristem Nachthimmel. Mir war, als hätte mein Herz sich in einen Schwarm aufgeregter Vögel verwandelt, der mit hektischen Flügelschlägen aus meinem Körper zu entkommen versuchte. Alles wirbelte durcheinander, versank im Chaos und vernebelte meine Sinne. So spürte ich nicht einmal, wie der Sand das Päckchen von meinen Handflächen nahm. Erst die Bewegung von Gaaras Lippen holte meinen Verstand in die Realität zurück. „Ich erwarte, dass du das Jutsu morgen in doppelter Intensität beherrschst“, lenkte er geradezu beiläufig von dem unangenehmen Thema ab. Seine Augen ruhten weiterhin auf mir. Und das war die größte Belohnung, die er mir hätte geben können. „Sicher…“, sagte ich, obwohl uns beiden klar war, dass ich das niemals schaffen würde. Ich wusste, dass jedes weitere Wort nur alles zerstört hätte. So zwang ich meine unsicheren Beine zu einer Drehung und wandte mich zum Gehen. Nur eines wollte ich noch: Dass er mir so lange wie möglich nachsah. „Ach, und … Gaara!“, rief ich über meine Schulter zurück. „Nur für den Fall, dass du sie doch isst – Lass es dir schmecken!“ Mit diesen ebenso nutzlosen wie albernen Worten und einem ebenso sinnlosen Armwink ließ ich ihn zurück. Das hektische Flattern in meinem Innern trieb mich zu einer höheren Geschwindigkeit, als ich eigentlich hatte einschlagen wollen. Doch ich spürte seine verwirrten Blicke bei jedem einzelnen Schritt auf mir. Genauso wie meine glühenden Wangen, die mir das Aussehen eines Feuermelders einbringen mussten. Diese Röte verschwand zwar glücklicherweise, als ich zu Hause angekommen war, doch das eifrige Flattern meines Herzens wollte und wollte nicht enden. Jeder, der schon einmal einen in Panik geratenen Vogelschwarm beobachtet hat, wird verstehen, wovon ich spreche. Das hektische Flügelschlagen, das ohrenbetäubende Zirpen – all das spielte sich in meinem Innern ab. Ich schloss mich in meinem Zimmer ein und lehnte meine Stirn gegen den Spiegel über meiner Kommode. Was war nur mit mir los? Ich war nicht der Typ Mensch, der sich derart benahm! Kraftlos hob ich den Blick, um mein Spiegelbild zu betrachten. Der Anblick ließ mich wie elektrisiert zurückfahren. Mit einem Mal waren der Schwarm Vögel verschwunden und mein Kopf wie leergefegt. Ich konnte nicht glauben, dass das Mädchen im matten Glas Ich selbst sein sollte. Meine Augen hatten ihren lebhaften Glanz verloren, die sonst so widerspenstigen Haare waren zu einem straffen Pferdeschwanz gebunden und meine Gesichtszüge wirkten seltsam erwachsen. Einige feine Narben zierten meine Hände, die ich in der Öffentlichkeit unter fingerlosen Handschuhen verbarg – das sorgte zusätzlich für Rutschfestigkeit beim Wurftraining. Meine Füße steckten in den typischen Ninja-Schuhen und an meinem Gürtel transportierte ich ein halbes Dutzend Wurfsterne. Nach meiner Prüfung würde ich auch das Stirnband Sunas tragen. Ich wäre eine Kunoichi, eine potentielle Mörderin, und das an der Seite des Mörders meiner Freundin. Sehr, sehr langsam hob ich die Hand und berührte mein Spiegelbild mit den Fingerspitzen. Das Glas fühlte sich kühl und glatt an. Wie eine perfekte Maskerade. Doch was war die eigentliche Maskerade? War es diese neue, reifere Yuka, die verbissen um ihre hoffnungslosen Ziele kämpfte und langsam aber sicher ihre Familie vergaß? Oder nicht vielleicht das streitsüchtige kleine Mädchen, das aller Welt mit erhobenen Fäusten begegnet war, um nie verletzt werden zu können? Mein Blick glitt über die roten Flecken auf meinen Wangen. Dies machte mich verletzlich. Dies war gegen all meine Prinzipien. Dies war, zu was er mich getrieben hatte. Wieder erhob einer der Vögel zart seine Flügel in meiner Brust. Gaara, meine ganz persönliche Sünde. ------ Ich bin ungemein stolz auf meine Geschwindigkeit und hoffe, ihr auch :) Der Schulstress hat mich zwar jetzt wieder, aber ich habe nicht vor, Quicksand zu vernachlässigen, da es ohnehin nur noch wenige Kapitel bis zum Ende sind. Wie üblich gilt mein Hauptaugenmerk der Charakterentwicklung meiner beiden Protagonisten und hätte dazu auch gern ein paar Rückmeldungen, da die Story ja davon lebt. Ach ja, als kleine Inspiration zu dem ganzen Valentinstagskitsch möchte ich „Things I’ll never say“ von Avril Lavigne angeben. Manchmal ist mir einfach nach peinlichem Kitsch ;) lg Meggy Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)