Quicksand von Meggy-Jo ((~ GaaraXYuka~)) ================================================================================ Kapitel 8: Gut und Böse ----------------------- Meine Mom ist Hysterikerin und in vielen Situationen noch weitaus kindischer als ich. Mein Dad ist Japaner aus einer traditionsreichen Familie und die Verkörperung von Strenge und Disziplin. Und jetzt stelle man sich diese beiden Charaktere bitte einmal vor, nachdem sie vom Kidnapper ihrer Tochter aus einer CIA-Zentrale verschleppt wurden. „Oh, Schätzchen, was ist denn nur mit dir passiert? Was hat er dir jetzt schon wieder angetan? Bist du verletzt? Wo kommt denn nur das ganze Blut an dir her?“ „Ich sage es dir schon jahrelang: Das Kind hat den falschen Umgang. Und dieser rothaarige Punk ist ja wohl die Krönung! Mit Gewalt gegen die CIA vorzugehen – der Kerl ist doch nicht mehr ganz richtig im Kopf!“ Ich musste mich vor meinen Eltern aufbauen und mit beiden Armen in der Luft herumwedeln, um endlich zu Wort zu kommen. „Es gibt momentan wirklich wichtigere Dinge zu regeln!“, rief ich so laut ich konnte und nahm einen tiefen Atemzug. „Die CIA-Agenten wollen uns umlegen, deshalb musste Gaara euch gewaltsam da rausholen. Es ist ernst! Wir stehen auf der Abschussliste der Vereinigten Staaten von Amerika!“ Dads alleiniger Blick reichte schon, um mir klarzumachen, dass er mich für vollkommen übergeschnappt hielt. „Was redest du denn jetzt wieder für wirres Zeug? Diese Leute haben dich gerettet und zwar vor ihm!“ Er deutete missbilligend auf Gaara, der zutiefst genervt ein Stück abseits stand. „Und heute hat Wilson mir eine Knarre an den Kopf gehalten und es war Gaara, der mich gerettet hat!“ Ich trat einen Schritt zurück, um mein Vertrauen zu dem Rothaarigen deutlich zu machen. „Mom, Dad, er hat sein Leben riskiert, nur um aus dem Versuchslabor der CIA auszubrechen und mich zu beschützen. Er mag brutal sein, er hat Menschen umgebracht und er hat eine Schraube locker – okay, das geb ich zu! Aber er ist auf unserer Seite!“ Mom öffnete den Mund ein Stück weit und starrte mich entgeistert an. Ich kannte diesen Gesichtsausdruck, er verhieß einen Skandal. „Kleines … Ist er etwa dein Freund?“, fragte sie äußerst langsam und bedächtig. Etwas anderes wäre auch kaum zu erwarten gewesen; ich hatte meine schlechte Meinung vom anderen Geschlecht stets überdeutlich zur Schau getragen. Ich atmete zischend ein und spürte, wie meine Wangen sich röteten. Das war ja wohl absolut absurd und erniedrigend! „Wir sind eine reine Zweckgemeinschaft!“, widersprach ich schrill und wischte dieses überaus peinliche Thema mit einer Handbewegung beiseite. „Also, die CIA-Leute wollen alle Mitwissenden aus dem Verkehr ziehen, deshalb stehen wir auf ihrer schwarzen Liste. Ihr zwei müsst schnellstmöglich ins Ausland verschwinden, so weit wie möglich weg. Am besten nehmt ihr den nächsten Flieger nach Japan und geht zu Daddys Verwandtschaft, da dürftet ihr vorerst sicher sein.“ Rasch trat ich auf meine Eltern zu und wies auf die schmale Straße, die vom Parkplatz der CIA-Zentrale, auf dem wir uns mittlerweile befanden, wegführte. „Wenn ihr einen Flug innerhalb der nächsten Stunde bekommt, haben sie euch bestimmt noch nicht gefunden. Also los, beeilt euch!“ Mom legte mir die Hände auf die Schultern. „Was wird aus dir, Schätzchen?“ Die Sorge klang deutlich aus ihrer Stimme hervor, auf genau dieselbe Art wie früher immer, wenn ich als kleines Kind im Stadtpark auf die über zehn Meter hohen Bäume geklettert war, und sie Todesangst ausgestanden hatte, dass ich herunterfallen und mir den Hals brechen könnte. Jetzt kam der schwierige Teil. Ich setzte ein tapferes Lächeln auf, auch wenn ich sie am liebsten angebettelt hätte, mich mitzunehmen. „Gaara braucht mich noch. Ich werde ihm helfen, in seine Heimat zurückzukehren und dann komm ich nach, so schnell ich kann. Er passt schon auf mich auf, keine Panik.“ Dad hatte bereits voller Empörung den Mund geöffnet, um zu einer gehörigen Standpauke anzusetzen, doch überraschenderweise ließ Mom ihn mit einem warnenden Blick verstummen. Verwirrt sah ich zu ihr auf und erkannte statt des erwarteten Panikausbruchs eine seltsame Mischung aus Verständnis und Freude in ihrem Gesicht. Sie zwinkerte mir zu und nickte dann verstehend, als wäre es das Normalste der Welt, mit einem Mutanten zusammen abzuhauen. „Ich verstehe. Tu, was du tun musst, aber pass auch wirklich auf dich auf“, lächelte sie verschwörerisch und strich mir über die verdreckten Haare. „Mary, bist du denn von allen guten Geistern verlassen!“, polterte Dad auch schon los. Allerdings biss er bei meiner Mom seit jeher auf Granit: Sie war stur wie ein Maulesel und hatte in ihrer Ehe eindeutig die Hosen an. Mom lächelte mich einfach nur an und erinnerte dabei fast ein wenig an ein kleines Kind vor dem Schaufenster eines Spielwarengeschäfts. Dann beugte sie sich zu mir und küsste mich flüchtig auf die Wange. „Probier ruhig dasselbe aus, wie ich damals, als ich mit deinem Vater zusammen durchgebrannt bin“, flüsterte sie mir leise ins Ohr. „Er ist dein Freund, ich merk schon.“ Ich wusste nicht, ob ich meine Mom für diese über alle Maßen demütigende Unterstellung schlagen oder nur beschimpfen sollte. Sandmann, der Psychopath und ICH! Lieber würde ich den Skaterjungen Mike nehmen, und der hatte nicht mal mehr einen besten Freund in der Hose! „Du bist doch…“, setzte ich tonlos vor Empörung an, doch Mom legte mir einen Finger auf die Lippen und schüttelte liebevoll den Kopf. „Schon gut, Kleines. Du brauchst es nicht zuzugeben. Ich hab dich lieb, bis bald.“ Sie nahm mich noch mal kurz in den Arm, ehe sie endgültig zurücktrat und sich dann an einem schwarzen Landrover zu schaffen machte, der auf dem Parkplatz bereit stand. Dad war mindestens so perplex wie ich und konnte ihr nur aus großen Augen zusehen, wie sie die Fahrertür mühelos mit einer Haarklammer knackte und in das Auto rutschte. Bevor ich auf die Welt gekommen war, hatte sie als Automechanikerin gearbeitet, und so war es für sie eine Angelegenheit weniger Minuten, den Landrover auch ohne die passenden Schlüssel anspringen zu lassen. „Daichi, jetzt komm schon! Deine Tochter und unser Schwiegersohn in spe müssen los, also beeil dich!“, flötete sie und winkte ihn zu dem soeben geknackten Auto. Dad sah aus, als würde er jeden Augenblick in Ohnmacht fallen; ich konnte ihm nicht verübeln, dass er den Autoknacker-Fähigkeiten meiner Mom nicht sonderlich zugetan war. Vor allem, wenn das entwendete Fahrzeug der CIA gehörte. „Hör gefälligst mit dem Mist auf! Das ist kein Spiel! Wenn wir das machen, sind wir gesuchte Verbrecher!“ Mom lachte und klopfte auf den Beifahrersitz. „Wenn wir das nicht machen, sind wir gleich einen Kopf kürzer, also komm schon!“ Selbst gegen japanische Logik war das ein absolutes Todschlagargument und so fügte mein Dad sich fluchend in sein Schicksal. Er ermahnte mich noch einmal, auf mich aufzupassen und Gaara bei der nächstbesten Gelegenheit loszuwerden, ehe er sich mit einer Umarmung verabschiedete und dann in den Landrover kletterte. Er ist nicht besonders gut darin, Gefühle zu zeigen, und das ist eines der wenigen Dinge, die wir gemeinsam haben. So konnte ich meinen Eltern nur halbherzig lächelnd nachwinken, als sie sich auf den Weg machten und mich mit meinem „Freund“ – wie hätte ich meine Mom für diese Unterstellung schlagen können! – allein zu lassen. Hätte ich damals gewusst, dass ich sie das letzte Mal sehen sollte … ich wäre mit ihnen mitgegangen, Gaara hin oder her. So aber konnte ich mich selbst in Sicherheit und in dem Glauben wiegen, alles würde schon bald wieder seinem gewohnten Gang folgen. „Also, kannst du mir in vollständigen, zusammenhängenden Sätzen, die nur Wörter mit nicht mehr als drei Silben enthalten und die ich auch verstehe, erklären, was da drinnen los war?“, wandte ich mich an Gaara. „Nicht hier, nicht jetzt. Wir verschwinden." Ich verdrehte die Augen über sein gewohntes Befehlsgehabe. Allerdings hatte er mit seiner Einschätzung Recht und so sah ich mich auf dem Parkplatz nach einer geeigneten Fluchtmöglichkeit um. Ein Auto war ich noch nie zuvor gefahren und Gaara erst recht nicht. Blieb also nur noch ein pechschwarzes Motorrad, das wohl versehentlich von einer Zivilperson hier abgestellt worden war, wenn schon kein stylischer Helikopter wie in all den Actionfilmen zur Verfügung stand. Mit ein paar schnellen Schritten war ich bei dem Motorrad – eine 125er Varadero, wie ich feststellte, also ein relativ kleines Modell – und natürlich ließ mich auch hier das Actionfilm-Klischee im Stich: Der Schlüssel steckte nicht! Konnte sich die Realität nicht ein bisschen an der Filmindustrie orientieren, in der die Helden ganz lässig den Bösewichten entkommen? Aber wozu hatte ich einen Mutant dabei, der den Sand beherrschte? Binnen Sekunden hatte Gaara mir einen Zweitschlüssel aus Sand erstellt und saß vor mir auf der Maschine. Das erste Mal in meinem Leben war ich froh darüber, dass meine Mom all ihr Wissen über Autos und Ähnliches immer mit Freuden mit mir teilt: Ich hatte so ein Teil zwar noch nie gefahren, aber grob wusste ich über die Funktionsweise Bescheid. „Nimm beide Hände an die Griffe am Lenker“, wies ich Gaara an. Mir war schon klar, dass ihm die Aktion hier nicht gerade behagte, doch die einzige Alternative wäre, auf den nächsten Bus zu warten. Und damit hätten wir im Falle einer Verfolgungsjagd sofort verloren. Also eröffnete ich kurzerhand Yukas Fahrschule für Mutanten und Gaara befolgte mit seinem berühmten Todesblick meine Anweisungen. Er war nicht gerade ein Naturtalent und hatte seine Probleme mit der Kupplung – dafür braucht man nun mal Feingefühl und das ist alles andere als Gaaras Stärke – aber kurz darauf rasten wir wirklich die Landstraße entlang. Ja, rasen war das einzig zutreffende Wort. Gaara hörte nicht auf Gas zu geben und wir mussten längst schneller als hundert Stundenkilometer sein, was bei diesem Motorrad nahe an der Endgeschwindigkeit lag und jeden ungeübten Fahrer in Todesangst stürzt. Der scharfe Fahrtwind trieb mir die Tränen in die Augen und schnitt mir in die nackten Arme. Ich verfluchte die Tatsache, weder Helm noch Schutzkleidung zu tragen, denn so blieb mir keine andere Wahl, als mich mit aller Kraft an Gaara festzukrallen und mein Gesicht an seinem Rücken zu vergraben, beziehungsweise an dem Sand, der ihn umgab. Immerhin hatte er in soweit mitgedacht, dass er seine Vase in flüssigen Sand aufgelöst hatte, der wie eine kleine Mauer zwischen uns stand. Ich stutzte trotz der gefährlichen Situation. Zum ersten Mal fiel mir auf, dass ich ihn noch nie direkt berührt hatte. Immer nur den Sand. Genau so wenig, wie er je meinen Namen genannt oder Interesse an mir gezeigt hatte. Nicht, dass ich das wollen würde, aber irgendwo war es doch nur normal, dass ich ein etwas besseres Verhältnis zu ihm aufbauen wollte. Allein schon, um ihn davon abzuhalten, alle paar Jubeljahre Amok zu laufen. Ein heftiger Windstoß wehte diese Gedanken vorerst davon und rasch konzentrierte ich mich wieder darauf, Gaara mit Handzeichen unsere Verkehrsregeln zu erklären und ihm den Weg zu weisen. Eigentlich wusste ich selbst nicht genau, was unser Ziel sein sollte, aber nach einer knappen Stunde auf dem Freeway machten wir an einem verlassenen Bauernhaus Halt, das mitten in der Einöde am Rand eines Waldstücks stand. Ich schwang mich möglichst elegant von dem Motorrad, das Gaara mit Müh und Not vor der Eingangstür des Hauses zum Stehen gebracht hatte. „Was wollen wir hier?“ Er musterte die verwitterte Hausfront mit sichtlicher Missbilligung. Das Gebäude hatte definitiv schon besser Zeiten erlebt: Die weiße Farbe blätterte vom Holz ab, einige Fensterscheiben waren eingeschlagen und am Dach fehlten mehrere Ziegel, doch mir war alles recht, solange e sunbewohnt genug war. „Wir verstecken uns und planen die nächsten Schritte. Hier wird die CIA uns bestimmt so schnell nicht finden und wir sind in Sicherheit.“ Ich erklomm die wenigen Stufen zur baufälligen Veranda des Hauses und rüttelte vorsichtig an der Tür. Es quietschte unerträglich laut, doch dann schwang die Tür auf und mir stieß moderiger Geruch entgegen. Es musste schon lange niemand mehr hier gewesen sein. Von der Decke hingen sogar einige Spinnennetze herab und ich senkte angewidert den Kopf, als ich eintrat. Ich folgte dem beengten Flur bis in die Wohnküche, die sich direkt anschloss. Auch hier bemerkte man, wie lange das Haus schon verlassen war: Die wenigen Möbel aus morschem Holz waren zentimeterdick mit Staub bedeckt. „Also, das ist für die nächste Zeit unser Wohnsitz“, sagte ich und drehte mich leicht zu Gaara um. Er stand in dem niedrigen Türrahmen zur Küche und musterte mich sichtlich desinteressiert. An seinem schwarzen Muskelshirt klebten noch immer vereinzelt Sandkörner – das erinnerte mich an mein eigentliches Vorhaben. Ich trat auf den wackligen Küchentisch zu und ließ mich vorsichtig auf einen der nicht weniger Vertrauen erwecken Stühle fallen. Erstaunlicherweise ertrug er mein Gewicht, ohne in sich zusammenzukrachen. Ich räusperte mich und sah zu Gaara auf. „Und jetzt wird es Zeit für ein paar Antworten, Mister Murderer.“ Sein Blick wurde schlagartig wachsam und obwohl er sich nicht von der Stelle bewegte, war es mir, als würde er auf Distanz gehen. „Ich bin dir nichts schuldig“, knurrte er und seine Stimme klirrte vor Kälte. „Obwohl ich mein Chakra aktiviert habe?“ Provokant lächelte ich ihn an und lehnte mich über den Tisch ein bisschen in seine Richtung. Das war etwas, das ihn unter Garantie interessieren würde. Tatsächlich hob Gaara seine nicht vorhandenen Augenbrauen und blickte in meine Richtung. Keine einzige Gefühlsregung sprach aus seinem glatten Gesicht; wie so oft kam es mir vor, als wäre er nicht in der Lage, überhaupt irgendetwas zu empfinden. Außer vielleicht diesen tiefen, verschlungenen Schmerz, als er verwandelt gewesen war. „Wenn du keine Behinderung mehr für mich sein willst, musst du noch viel trainieren.“ Ich war so vertieft gewesen, dass ich beim Klang seiner rauen Stimme unwillkürlich zusammenzuckte. Es kostete mich einige Sekunden, wieder in die Realität zurückzufinden und das nur halb ehrliche Lächeln aufzusetzen. „Also war das wirklich Chakra? Dieses Brennen … es hat sich angefühlt, als würde sich Feuer mit meinem Blut vermischen und durch meinen Körper fließen…“ „Es ist bei normalen Menschen nicht immer so intensiv, aber ja.“ Ich nickte und betrachtete meine Handflächen. Jetzt war ich also offiziell ein Mutant. Großartig. „Und … ergreift es immer so Überhand, wie vorhin? Werde ich jedes Mal austicken und Leute niedermetzeln, wenn ich es aktiviere?“ Ich hatte Mühe, meine Stimme nicht zittern zu lassen. „Nein. Normalerweise entdeckt ein Mensch sein Chakra schon sehr früh, aber weil du es so lange unter Verschluss gehalten hast, hat sich alles aufgestaut und es ist außer Kontrolle geraten, als es endlich freigelassen wurde.“ „Was genau ist es denn? So eine Art neues Genmaterial?“ Er seufzte und schien zutiefst genervt davon zu sein, welch unwissendes Wesen er da vor sich hatte. „Stell es dir wie einen zweiten Blutkreislauf vor. Du hast diesen Chakrakreislauf seit deiner Geburt, aber bisher hat sich dein ganzes Chakra im Mittelpunkt des Kreislaufes aufgehalten. Nachdem es jetzt freigekommen ist, fließt es wie eine zweite Sorte Blut durch deinen Körper und du kannst es kontrollieren und an verschiedenen Stellen konzentrieren, oder auch freilassen.“ Eine Gänsehaut kroch bei dem Wort freilassen über mich und wieder schoss das Bild dieses abscheulichen Sandmonsters durch meinen Kopf. Ich traute mich nicht, ihn zu fragen, ob dasselbe auch einmal mit mir geschehen könnte. Stattdessen beschloss ich, zum eigentlich wichtigsten Teil dieser Konversation zu kommen, und kontrollierte meine Gesichtszüge wieder, als ich zu ihm aufsah. Er stand dort, wie in Stein gemeißelt, ohne sich einen einzigen Millimeter bewegt zu haben. Ich seufzte auf. „Jetzt komm doch endlich her und setz dich hin. Ich hab wirklich keinen Bock, mich durch das ganze Zimmer hinweg mit dir zu unterhalten.“ Seine Augen zuckten unwillig, doch ich ließ ihm erst gar nicht die Chance, zu widersprechen. „Schwing deinen Hintern her, oder ich hack mir selbst die Hände ab. Und erzähl mir mal bitte, wie du mit einem händelosen Komplizen gegen die CIA ankommen willst. Ich warne dich, ich hab nichts mehr zu verlieren, also glaub mir besser“, knurrte ich im Brustton der Überzeugung und funkelte ihn angriffslustig an. Einen Moment lang starrte er mir prüfend in die Augen; dann erachtete er meine Drohung der Selbstverstümmelung wohl als glaubhaft und saß auf einem der Stühle, ohne dass ich hatte erkennen können, wie er überhaupt darauf zugelaufen war. Spiderman konnte gegen ihn einpacken. „Na bitte, es geht doch“, lächelte ich und lehnte mich zurück. Wir hatten beide nicht das Bedürfnis nach großer Nähe; Gaara saß auf der äußersten Kante seines Stuhls und so weit von mir entfernt, wie möglich. Doch es war ein Anfang. „Ich finde, ich habe jetzt endlich ein Recht darauf, zu wissen, wer du bist“, sagte ich entschieden und verschränkte die Arme vor der Brust. „Von jetzt an keine Geheimnisse mehr, kapiert? Also, Frage Nummer eins: Was für Experimente haben sie mit dir gemacht?“ Er kniff die Augen zusammen und schwieg. Das war offenbar ein wunder Punkt. „Okay, nächste Frage: Wer oder was ist Shukaku?“ Ein leichtes Funkeln, aber noch immer keine Antwort. „Was war in der CIA mit dir los?“ Keine Antwort. „Arbeitest du für eine irakische Terrororganisation?“ Keine Antwort. Frustriert stieß ich die Luft aus und fuhr mir durch die Haare. So stur konnte ein einziger Mensch doch nicht sein! „Hör mal, wir können das hier sehr lange machen, aber ich steh nicht eher auf, bevor ich nicht weiß, mit wem ich es zu tun habe. Wir sind jetzt ein Team und du kannst mich nicht mehr herumschubsen, wie es dir in den Kram passt. Wir müssen zusammenarbeiten und eins sag ich dir: Du kannst dich verdammt glücklich schätzen, dass ich das überhaupt mache! Du bist nämlich ein Arschloch, der schlimmste Scheißkerl, der mir je untergekommen ist! Und ich hasse dich! Ich hasse dich und will dich in viele, nette, kleine Einzelteile zerlegt in einem Sarg sehen! Du spielst mit den Leben von unschuldigen Menschen, du kümmerst dich einen Scheißdreck um deine Umwelt! Sieh doch mal Rachel an! Sie hatte niemandem je etwas getan, sie ist regelmäßig in die Kirche gegangen, sie hat für jeden immer ein Lächeln übrig gehabt und was machst du?! Du bringst sie um, ohne jeden Grund! Sie war meine Freundin und du gefühlloser, selbstsüchtiger Ignorant kommst so einfach daher und…“ „Sag du mir nicht, wer oder was ich bin!“ Da war sie wieder, die altbekannte Angst vor dieser todeskalten Stimme, und ich machte mich reflexartig kleiner. Mein Mut war ebenso schnell verschwunden, wie er gekommen war. Gaara hatte sich zu mir über den Tisch gelehnt und fixierte mich mit seinen starren, kalten Jadeaugen. Drohend. Verheißungsvoll. Und doch irgendwo verletzt … als befänden sich mikroskopisch kleine Tränenspuren auf dem Jadegrün. Eingebrannte Tränenspuren, die er schon ewig mit sich herumtrug. Ich wagte kaum zu atmen, während er mich so anstarrte als wäre er drauf und dran mir die Eingeweide um die Ohren fliegen zu lassen. Erst nach einer kleinen Ewigkeit, in der ich regelrechte Todesangst ausstand, atmete er sehr langsam und kontrolliert durch den Mund aus und lehnte sich wieder zurück. „Du weißt nichts von mir … Du verstehst überhaupt gar nichts…“, flüsterte er und nahm dann wieder seine Position in möglichst großem Abstand zu mir ein. Ich sackte in mir zusammen; meine Muskeln gaben nach und ich hatte Mühe, meinen frenetischen Pulsschlag halbwegs in Zaum zu halten. „Genau das … möchte ich aber“, würgte ich hervor und hypnotisierte die verstaubte Tischplatte, um ihn nicht ansehen zu müssen. „Ich … möchte verstehen, was in dir vorgeht.“ „Du kennst die Wahrheit doch schon längst. Du hast es mir doch selbst ins Gesicht gesagt.“ Er atmete bedächtig ein. „Ich bin ein Monster.“ Ich erinnerte mich noch genau daran, als ich ihm das an den Kopf geworfen hatte. Das war in der Bibliothek gewesen, nachdem er Rachel getötet hatte. Kurz bevor sein Körper sich zum ersten Mal so verändert hatte. Ich brauchte einige Sekunden, ehe ich antworten konnte. „Aber … dieses Ding aus Sand in der CIA-Zentrale … das warst nicht du.“ „Das war Shukaku.“ Shukaku. Immer dieser Name, doch nie sagte er mir, was es damit auf sich hatte. Ich spielte mit einer meiner Haarsträhnen und versuchte cool zu wirken. Er sollte nicht bemerken, wie sehr mich das alles aufwühlte. „Was genau ist er?“, hakte ich nach, den Blick weiterhin auf den Tisch konzentriert. „Er ist das Monster in mir.“ Wie schwer es doch war, nur aus seiner nüchternen Stimme herauslesen zu wollen, was in ihm vorging. Langsam hob ich den Kopf und blinzelte zu ihm hinüber. Er wirkte gefasst, wenn auch nur mit Mühe. Seine Kiefer waren aufeinander gepresst und er hatte einen merkwürdigen Ausdruck in den Augen, den ich nicht recht einzuordnen wusste. „Gaara, ich hab wirklich keinen Bock darauf, dir jedes Wort aus der Nase ziehen zu müssen, also mach endlich die Klappe auf! Sag mir, wer du bist, so schwer kann das doch nicht sein! Ich hab doch wohl ein Recht darauf zu wissen, wer der Mörder meiner Freundin ist!“, entfuhr es mir ungewollt taktlos. Stille legte sich über die verrottete Wohnküche und mein Herz hämmerte vor Anspannung. Ich war mir sicher, dass mein Ende gekommen war, und lauschte in panischer Angst meinen wahrscheinlich letzten Herzschlägen. Einmal. Zweimal. Dreimal. Dann richteten seine Jadeaugen sich auf meinen Körper und er sprach mit ungewöhnlicher Lautstärke. „So, du willst also wissen, wer dieses schwächliche Mädchen auf dem Gewissen hat? Ich sag dir, wer ich bin! Ich bin Sabaku no Gaara, das verstoßene Monster aus Suna-Gakure.“ Seine Worte prasselten hart und schnell auf mich ein. Einen kleinen Moment lang funkelte er mich wutentbrannt an, ehe er die Arme vor der Brust verschränkte und mit derselben nüchternen Gefasstheit wie eh und je fortfuhr. „Genau genommen liegt ihr alle gar nicht so falsch mit euren Vermutungen. Ich bin ein Experiment und ich bin eine Kampfmaschine. Mein Vater herrscht über unser Land und musste sich etwas einfallen lassen, weil Suna-Gakure an militärischer Stärke verlor. Darum hat er ein uraltes Sandmonster von schier unvorstellbarer Macht in einem noch ungeborenen Kind versiegelt. Das Kind sollte die Kräfte des Dämons nutzen und die ultimative Waffe werden, so war zumindest der Plan.“ Ich wagte kaum zu atmen und starrte ihn aus geweiteten Augen an. „Dieses Kind warst du“, stellte ich heiser fest und musste schlucken. „Dein Vater hat seinem eigenen Baby einen Dämon eingepflanzt…“ „Und dabei hingenommen, dass seine Frau bei meiner Geburt starb – ja. Anfangs war ich auch sein ein und alles: Er hat mich nach Strich und Faden verwöhnt und ich wurde rund um die Uhr von meinem Onkel Yashamaru umsorgt. Allerdings hatte er Shukakus Macht unterschätzt. Ich konnte mit dieser Kraft nicht umgehen und als es immer öfter zu … Vorfällen … kam, beschloss er, mich aus dem Weg zu räumen, da ich eine Gefahr für das Dorf geworden war.“ „Dein eigener Vater?!“, entfuhr es mir entsetzt, doch er überging meinen Ausruf. „Jeder hat mich gemieden, außer Yashamaru. Bis ich sechs Jahre alt war, da hat auch er einen Anschlag auf mich verübt. Er gab mir die Schuld daran, dass meine Mutter bei meiner Geburt gestorben war, und er war es auch, der mir kurz vor seinem Tod gesagt hat, was meine Mutter für mich vorgesehen hatte.“ Er schloss die Augen und seine Hände verkrampften sich kaum merklich. „Meine Mutter…“, fuhr er schließlich sehr leise fort, „…hat mich noch viel mehr gehasst, als alle anderen. Sie nannte mich Gaara, weil sie wollte, dass ich zum Werkzeug ihrer Rache am Dorf werde. Lebe nur für dich selbst … kämpfe nur für dich selbst … liebe nur dich selbst … das bedeutet der Name Gaara. Töte jeden, bis du der letzte Mensch auf Erden bist.“ Langsam sah er wieder zu mir und erst jetzt verstand ich die Tränenspuren auf seinen undurchdringlichen Jadeaugen. Sein Gesicht war glatt und unbewegt, seine Stimme fest, doch seine Augen würden ihn immer verraten. Geboren als Kampfmaschine. Einsam und gehasst von aller Welt. Verraten von seiner einzigen Bezugsperson. Und jetzt konnte er sich nur noch an das klammern, das seine Mutter in einer Kurzschlussreaktion nur aus blindem Hass gesagt hatte. „Mein Vater sah es als letzten Ausweg, mich durch ein spezielles Jutsu aus seiner Dimension zu verbannen. Er war es, der mich von Suna-Gakure hierher verbannt hat, um mich endlich loszuwerden. Darum bin ich hier. Darum will ich zurück, um mich an ihm zu rächen. Bist du jetzt endlich zufrieden, Slave?“ Das war es, das gab mir den Rest. Ich hatte ihn hassen wollen, ich hatte Sabaku no Gaara so sehr hassen wollen, für all das, was er mir angetan hatte. Doch ab diesem Augenblick konnte ich es nicht mehr. Aus einem Reflex heraus stand ich auf und trat auf ihn zu. Ich hatte es noch nicht einmal selbst realisiert, da stand ich schon neben seinem Stuhl und lehnte mich zu ihm hin. Gaaras Augen zuckten und ich sah feinen Sand um ihn herum aufwirbeln. Dieselbe Schutzreaktion wie immer, wenn ihm jemand zu nahe kam. „Was zum Teufel machst du da?“, fragte er scharf. Ich stockte, halb erschrocken vor ihm, halb über mich selbst. „Na, was wohl? Dich in den Arm nehmen, du Hirni“, murrte ich leise und versuchte zu vertuschen, dass meine Wangen sich röteten. Genau genommen wusste ich nicht mal, was mich zu dieser unlogischen Aktion verleitete, mal abgesehen von völlig natürlichem Mitleid. „Diese Geste … steht für Zuneigung, oder etwa nicht?“ Er verstand offensichtlich gar nichts mehr und ließ seine abwehrende Haltung nicht fallen. Die Peinlichkeit hatte damit ihre Vollendung gefunden. „Diese Geste steht dafür, dass ich deinem gestörten Dad verdammt noch mal liebend gern die Fresse polieren würde! So sieht’s aus, Dreckskerl! Aber wenn du nicht willst – bitte!“ Ich nahm seine Reaktion als willkommenen Anlass, mich aus der Affäre zu ziehen, und mit aufgesetzter Wut ein paar Schritte zurückzutreten. Lediglich die Röte meines Gesichts verriet, wie peinlich mir mein plötzlicher Anflug von Mitgefühl war. Ich hatte doch nicht tatsächlich meinen Kidnapper umarmen wollen! Herr, lass Hirn regnen, für mich bitte eine extragroße Portion! Rasch strich ich mir ein paar Haarsträhnen zurück, um mich wieder zu fassen; dann erst kam ich auf unser eigentliches Gesprächsthema zurück, Gaara dabei allerdings den Rücken zugewandt. „Das ist krass, weißt du … D-Du bist v-v-vielleicht ein Arschloch, a-aber das hast du nicht verdient … I-Ich m-m-meine nur…“ Ich räusperte mich und wäre am liebsten aus dem Zimmer gestürmt. Mit menschlicher Kommunikation hatte diese Stotterei nun herzlich wenig zu tun, aber über Gefühle sprechen war nie meine Stärke gewesen. Erst recht nicht mit einem Wesen der Spezies Mann. Langsam drehte ich mich zu ihm um und starrte auf den Kragen seines Shirts. Ein Blick in sein Gesicht und ich würde vor Scham über die Fast-Umarmung anfangen zu kreischen, das war mir klar. Teenager sind vielleicht doch so hysterisch, wie in den Medien immer behauptet wird. „Jetzt bist du nicht mehr allein, auch wenn ich nicht freiwillig bei dir bin. Aber ich will, dass du nach Hause kommst, damit du deinen Dad dafür so richtig schön ungespitzt in den Boden rammen kannst … ist nämlich echt unterste Schublade, was der da so treibt … und jetzt … muss ich schlafen gehen!“ Ich stürmte aus der Küche, so schnell mich meine Beine trugen, und hetzte die baufällige Treppe hinauf ins Obergeschoss, wo es in der Tat einige Schlafzimmer mit Betten gab. Schlafen gehen um knapp fünf Uhr nachmittags war wirklich die großartigste Ausrede des Jahres, vor allem in diesen von Milben, Ratten und allerlei sonstigem Getier bevölkerten Betten, aber ich musste raus aus dieser Küche. Weg von Gaara. Weg von dieser Peinlichkeit. Weg von der Versuchung, ihn wie einen normalen Menschen zu behandeln. „Er ist ein Verbrecher … ein gottverdammter Scheißkerl! Ich muss ihn hassen! Ich muss! Sonst bin ich doch auch nicht die heilige Jungfrau Maria! Wegen ihm sind Mom und Dad weg! Und er hat Rachel auf dem Gewissen!“, fluchte ich, kaum dass ich auf einem der Schlafzimmer war, und schlug mit der Faust gegen die Fensterscheibe. Klirrend zerbarst sie und eine spitze Glasscherbe rammte sich in meine Haut. Meine Hand hinterließ einen blutigen Striemen auf dem halb zerstörten Fenster, als sie daran hinunterglitt und ich schluchzend auf die Knie fiel. Gaara war ein normaler Mensch, ein ganz normaler Mensch mit Gefühlen, dem im Leben einfach zu viel Scheiße widerfahren war, aber ich hatte ihn verdammt noch mal zu hassen! Ich presste meine Hand an meine Brust, um die Blutung zu stoppen, und kauerte mich zusammen. Ich wusste nicht, was ich noch glauben sollte; alles in meinem Kopf schien miteinander zu verschwimmen. Die Fronten von Gut und Böse vermischten sich und ich fühlte mich regelrecht zerrissen in meinem vergeblichen Versuch, noch den Überblick zu behalten. Wie so oft in letzter Zeit. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)