Quicksand von Meggy-Jo ((~ GaaraXYuka~)) ================================================================================ Kapitel 7: Killerinstinkt ------------------------- Er, die Verkörperung meiner persönlichen Hölle, hatte mich gefunden, als mein Leben auf Messers Schneide stand. Und er war noch weitaus schrecklicher, als ich ihn in Erinnerung hatte. Welche Experimente auch immer sie in den vergangenen Tagen mit ihm durchgeführt hatten, das Ergebnis hatte kaum mehr etwas mit dem rothaarigen Jungen Gaara gemein. Sein Anblick war abscheulicher als alles, zu dem meine Fantasie je fähig gewesen wäre - eine Ausgeburt der Hölle, beängstigender als jeder Alptraum eines Kindes. Meine Augen hingen wie fixiert an seinem missgebildeten Körper und ich bemerkte nicht einmal, dass der Schmerz an meinem Kopf lediglich einem Stück der zerstörten Eingangstür zu verdanken war, die mir entgegengeschleudert worden war, als er sich mit purer Gewalt Eintritt verschafft hatte. Er war nicht mehr er selbst, nicht einmal ansatzweise. Sein glattes, leichenblasses Gesicht war völlig mit grobkörnigem Sand überzogen, wieder stand an der linken Kopfseite ein spitz zulaufendes, groteskes Ohr ab und selbst seine faszinierenden Augen waren nicht wieder zu erkennen. Statt dem altbekannten, jadegrünen Ozean starrte er aus riesigen, grellgelben Augen auf seine Beute und ein tiefes Knurren grollte in seiner Kehle. Auch einer seiner schmächtigen Arme war dem sandförmigen Gebilde einer riesigen Pranke gewichen und schnellte nun auf mich zu. Die Agenten hatten Recht gehabt. Er war nicht menschlich, dieses Monster konnte kein Mensch sein! Er war mutiert, wenn auch noch nicht ganz, denn sein Unterleib schien noch immer menschlich. Das hinderte ihn allerdings nicht daran, in übernatürlicher Geschwindigkeit auf unseren Tisch loszugehen und noch bevor ich einen einzigen Muskel rühren konnte, hatte seine Monsterpranke den Agenten hinter mir gepackt und wie einen Tennisball gegen die Wand geschleudert. Es knallte unerträglich laut und dieses Geräusch ließ mich ruckartig in die Höhe schnellen. Ich drehte mich unkoordiniert um die eigene Achse und versuchte Richtung Ausgang zu kommen, doch ich war nicht schnell genug. Schon stürmte Gaara wieder auf mich zu und ich erstarrte vor Schreck, obwohl ich erkennen konnte, dass sein vor Wut rasender Blick allein Wilson und Mister Taktlos galt. Ich zweifelte keine Sekunde daran, dass er mich in seinem blinden Zerstörungswahn ohne mit der Wimper zu zucken niedermetzeln würde. Da kam das Adrenalin in mir hoch und auf einen Schlag wusste ich, was ich zu tun hatte. Ich wollte leben. Ich wollte das alles überleben, ich wollte mich nicht herumschubsen lassen! Hastig griff ich auf den Tisch und schnappte mir eine der rätselhaften Maschinen. Sie war aus Eisen und hatte eine pfannenähnliche Form – auf jeden Fall ausreichend als Waffe. Fest schloss ich beide Hände um den Griff der Pseudo-Pfanne und schlug dann mit aller Kraft zu. „GROOOAAARR!“ Gaara – beziehungsweise das Monster, zu dem er geworden war – stieß einen schmerzverzerrten Schrei aus und wurde von der Wucht meines Schlages zurückgeschleudert. Ich verlor keine Zeit und nutzte den kurzen Moment seiner Unachtsamkeit aus, indem ich meine Pfannenwaffe schulterte und auf Wilson zustürmte, der sich zusammen mit Mister Taktlos an einem Schrank zu schaffen machte. Wahrscheinlich suchten sie dort drinnen nach einer Waffe, die es mit Gaara aufnehmen konnte. „Wo sind meine Eltern? Sagen Sie mir sofort, wo Sie sie hingebracht haben, sonst können Sie was erleben!“, schrie ich so laut ich konnte und holte vorsichtshalber schon mal mit der Waffe aus. Ich musste einen mehr oder minder lächerlichen Eindruck machen: Eine schmächtige Dreizehnjährige mit verheultem Gesicht, die zwei CIA-Agenten mit einer Pfanne bedroht. Hinter ihr ein vor Wut rasender Mutant. Steven Spielberg wäre begeistert über diese hervorragende Filmkulisse. Besagter Mutant war schneller, als Wilson mir antworten konnte. „Aus dem Weg!“, knurrte er und ich spürte den Boden unter seinen schweren Schritten beben. Ruckartig fuhr ich herum und starrte direkt in zwei riesige, gelbe Augen. Er war nah, näher, als ich gedacht hatte. Ich konnte den Sand auf meiner Haut spüren, der wie ein ganz sachter Schleier um ihn herum in der Luft schwebte. Ebenso wie das beängstigende Feuer, das in seinen Augen glühte. Doch in diesen Augen spiegelte sich mehr als blinde Zerstörungswut wider, viel mehr. Einen Herzschlag lang glaubte ich, in seine Seele blicken zu können. In ein tiefes, verschlungenes Gewirr aus Unverständnis, Einsamkeit und … Schmerz. Er empfand Schmerzen, noch tausendmal schlimmere, als man es körperlich je wahrnehmen könnte. Und der Anblick dieser brennend intensiven Qual war es wohl, der mich dazu verleitete, die Pfanne fallen zu lassen und ihn stattdessen am Kragen seines Shirts zu packen. „Gaara, verdammt noch mal, sieh mich an! Schau mich an und sag mir, wer ich bin!“, raunte ich. „Ich bin’s! Ich bin bei dir und du Scheißkerl verstößt gerade gegen unsere Abmachung!“ Er gab ein zischendes Geräusch von sich und schüttelte heftig den mutierten Kopf, doch obwohl er sich mit vollem Krafteinsatz gegen meinen Griff wehrte, gelang es mir, ihn an Ort und Stelle zu halten. „Ja, im Abhauen seid ihr Männer immer die Größten, ich weiß schon! Aber du bleibst gefälligst da! Du kennst mich doch! Slave, dein Eigentum, der wertlose Haufen Fleisch! Schalt dein Spatzenhirn gefälligst mal ein!“ Wieder drang ein tiefes Grollen aus seiner Kehle, doch im Gegenzug dazu erkannte ich eine Änderung in seinen Augen: Das Gelbgrün schien zu verblassen und ließ einen schmalen Streifen Jadegrün hindurchschimmern. „Geh … weg … Hau ab und stirb!“, würgte er hervor und seine viel zu hohe Stimme klang merkwürdig verzerrt. Er hob seine mutierten Arme und holte zu einem mit Sicherheit für mich tödlichen Schlag aus, doch irgendetwas schien ihn zu quälen und das verlangsamte seine Bewegungen. Es gelang mir, mich unter dem kraftvollen Hieb hinwegzuducken, nur um sein missgebildetes Gesicht gleich darauf wieder mit festem Blick zu fixieren. „Das kannst du vergessen! Ich gehöre dir! Das hast du selbst so bestimmt, also halte dich gefälligst auch daran!“ Gaara begann zu zittern und hielt sich gequält mit beiden Pranken den Kopf. Es war ein erschreckender Anblick, doch ich spürte, dass ich auf dem richtigen Weg war. Was auch immer man mit ihm angestellt hatte, das war die richtige Methode, ihn wieder normal zu machen – falls man das Subjekt Gaara überhaupt jemals als normal bezeichnen konnte. Also nickte ich mit dem Kopf und ereiferte mich immer weiter. „Ja, das hast du selbst so eingerichtet! Und ich will dir gehören, ich will dir helfen! Du hast zwar einen an der Klatsche, aber du wirst mir keine Knarre an den Kopf halten, solange ich tu, was du willst. Hörst du, ich bin bei dir! Bei dir! Nicht bei diesem Monster, das sie aus dir gemacht haben! Du bist Sabaku no Gaara und ich bin dein Opfer, das Mädchen ohne Namen, und ich möchte, dass du jetzt etwas für mich tust“, erklärte ich so überzeugend wie möglich und sah prüfend in seine weit aufgerissenen Augen. Er wand sich in meinem Griff umher, als würde man ihn wieder und wieder mit elektrischen Schlägen massakrieren; vielleicht hatten sie ihm noch weitere manipulierte Gene gespritzt um seine Mutation auf das nächste Level anzuheben. Und das musste ich um jeden Preis vermeiden, koste es, was es wolle. Als der Gaara, den ich kannte, war er halbwegs kontrollierbar, also musste ich diese Mutation schnellstmöglich umkehren. Ich nahm einen tiefen Atemzug und löste eine Hand vom Kragen seines Shirts. Eine falsche Bewegung und er würde mich in der Luft zerreißen, doch paradoxerweise gewöhnte ich mich an die stetige Todesangst. „Gaara, ich möchte, dass du deine Augen schließt. Mach die Augen zu und vertrau mir. Vertrau Slave! Du kannst dich auf mich verlassen, das weißt du doch. Ich hab immer alles getan, was du verlangt hast und du hast mich zu Unrecht bestraft … und jetzt zieh dir das rein, du hast meine Freundin vor meinen Augen zu Tode gefoltert und trotzdem steh ich hier vor dir. In Dummheit bin ich amerikanischer Meister, aber du kannst mir vertrauen!“ Und das Unfassbare geschah: Seine gelb-grün vermischten Augen schlossen sich. Er keuchte, senkte den Kopf und dann stand er zitternd still. Er litt. Aber er kämpfte dagegen an. Es wäre eine unverzeihliche Lüge zu behaupten, dass mich das in diesem Augenblick kalt gelassen hätte. Ich löste mit äußerster Vorsicht auch meine andere Hand von seinem Kragen und ließ sie über seine sandbedeckte Schulter gleiten. Sanft schlossen meine Finger sich um den Riemen, der die unförmige Vase auf seinem Rücken hielt, und öffneten ihn. „Es ist alles okay, ich befrei dich nur von dem Ding hier." Vor Aufregung wagte ich kaum zu atmen und meine Stimme klang sehr viel weicher als für gewöhnlich, ob beabsichtigt oder nicht. Gaara rührte sich – mal abgesehen von dem ständigen Zittern – keinen Millimeter und so konnte ich den Riemen problemlos abstreifen. Vorsichtig ließ ich die Vase zu Boden gleiten und schob sie einige Meter weit weg. Wie ich vermutet hatte, begann der Sand sich in das Gefäß zurückzuziehen. „Siehst du, alles wird wieder gut“, flüsterte ich und strich sacht den Sand von seinen Schultern. Die eben noch feste Masse bröckelte nun in sich zusammen ließ sich relativ einfach entfernen. Ich war erleichtert, dass darunter derselbe menschliche Körper wie in meiner Erinnerung zum Vorschein kam, und ohne es wirklich zu bemerken, lächelte ich. Das erste Mal seit vielen Tagen hatte ich wieder das Gefühl, für etwas nützlich zu sein. Jemandem zu helfen und das Unheil verringern zu können. Schließlich traute ich mich auch, ganz zart sein Gesicht zu berühren, oder besser gesagt die abscheuliche Maske aus Sand, die langsam bröckelte. Ich brauchte nur ganz leicht darüber zu streichen, da fiel die Masse auch schon gänzlich ab, ebenso wie die beiden mutierten Arme. Zum Vorschein kam Gaara. Der schmächtige, blasse und unausstehliche Gaara, den ich kannte. Er atmete schwer und stand in sich zusammengesunken da, die Schultern schlaff nach unten hängend und den Kopf gesenkt. Auf seinem feuerroten Haarschopf tanzte das Licht aus den grellen Neonleuchten und verursachte ein ebenso beeindruckendes Farbenspiel wie bei unserer ersten Begegnung. Nur mit dem Unterschied, dass er mir jetzt keine Angst mehr machte. Ich konnte nicht anders, als zu lächeln und meine Hände zurückzuziehen, obwohl ich gerne gewusst hätte, wie seine leichenblasse Haut sich anfühlte. „Da bist du ja wieder … Unausstehlicher Psychopath…“, flüsterte ich und das Lächeln schwang in meiner Stimme mit. Ich glaube nicht, dass ich je zuvor so freundlich mit ihm gesprochen hatte. Ich war einfach nur glücklich. Genau einen Herzschlag lang, bis ich Wilsons ungewöhnlich harte Stimme hinter mir hörte. „Sehr gute Arbeit, Yuka. Möglicherweise kannst du uns doch noch nützlich sein, wenn du ein so gutes Verhältnis zu unserem Experiment hast. Wenn du für uns arbeitest, könntest du unter Umständen noch länger am Leben bleiben und…“ „Bei Ihnen hackt’s wohl!“, unterbrach ich ihn grob und fuhr herum. Wilson hob eine Augenbraue und ich konnte mir schon vorstellen, dass er noch nie zuvor eine dreizehnjährige Schülerin mit einem derartig bösartigen Blick gesehen hatte. Wenn ich wütend bin, bekommt es sogar mein Dad manchmal mit der Angst zu tun. „Gaara ist kein Experiment, das man einfach in den Schrank stellt und quält, wie es einem gerade passt! Sehen Sie das denn nicht, er ist auch nur ein Mensch! Sie können weder ihn noch mich hier einsperren wie Vieh!“, fuhr ich ihn an und trat entschlossen auf ihn zu. Wilson zückte eine Pistole und richtete sie auf mich; sein Blick war kalt und emotionslos. „Du bist noch zu jung, um das zu verstehen, Kleine. Manchmal müssen eben Opfer gebracht werden, damit das ganze Land Frieden haben kann. Das hier ist kein Zeichentrickfilm, in dem man alles mit Nächstenliebe regeln kann, das hättest du bestimmt noch verstanden, wenn du älter geworden wärst. Aber die Reise endet hier für dich, Fräulein! Ich werde … AH!“ Sein eigener Schrei schnitt ihm das Wort ab, als die Pistole mitsamt der Hand, die sie festgehalten hatte, zu Boden fiel. Feines Blut sprühte aus seinem Armstumpf hervor und vernebelte mir die Sicht. Ich brauchte keine zwei Sekunden, um zu wissen, wer das gewesen war. Und ebenso viel Zeit kostete es mich, die Gunst der Stunde zu ergreifen und mich auf Wilson zu stürzen. Mit meinem gesamten Körpergewicht riss ich ihn zu Boden und verharrte halb kniend über ihm. „Sie haben sich das falsche Experiment ausgesucht!“, zischte ich aggressiv und drückte ihn mit beiden Händen auf den Boden. „Ich entscheide selbst, wann meine Reise endet, kapiert, Arschloch?! Also, Sie sagen mir jetzt sofort, wo meine Eltern sind, oder Sie verlieren mehr als nur Ihre Scheißhand!“ Wilson keuchte und spuckte Blut und dann machte er einen großen Fehler. Langsam hob er seine noch mit dem Arm verbundene Hand und hielt den erhobenen Mittelfinger in meine Richtung. „Glaub mir, der Tag wird nie kommen, an dem die CIA sich vor einem Grünschnabel wie dir ergibt … Geh nach Hause und spiel wieder mit deinen Puppen, Kleine.“ Ich kniff die Augen zusammen und schlug mit einer Faust auf seinen Brustkorb. „Schnauze! Sagen Sie mir, wo meine Eltern sind! Ich warne Sie, ich bring Sie um!“ Seine Lippen verzogen sich mühevoll zu einem spöttischen Grinsen. „Fuck you, Baby.“ Und dann geschah es wieder. Mein Gehirn schaltete sich ab und ich spürte glühenden Hass in mir brennen. Wie eine übermächtige Welle riss der Zorn mich mit und drang in jede Zelle meines Körpers ein. Ich wusste nicht, wie ich das gemacht hatte, aber plötzlich hatte ich mein Taschenmesser in der Hand und der kühle Stahl fühlte sich verdammt gut an. „Ich sagte, Sie Drecksack sollen mir endlich sagen, wo meine Eltern sind! Wo sind sie, wo, verdammt?!“ Kurz schloss ich die Augen und als ich sie wieder öffnete, sah ich nur noch Blut. Meine Hand holte wieder und wieder aus und rammte das Messer mit aller Kraft in seine Brust. Immer schneller, immer tiefer und etwas hielt mich davon ab, seine Schreie wahrzunehmen. Ich sah nur sein schmerzverzerrtes Gesicht, auf dem sich das Blut ebenso wie auf mir selbst absetzte. „Wo?! Wo sind Sie?! Wo, verdammt noch mal?!“ Ich stieß unkontrollierte Schreie aus und griff mit beiden Händen an den Messergriff, um noch härter zustechen zu können. Die Luft um mich herum schien ausschließlich aus Blut zu bestehen. Es spritzte auf meine Haut, drang mir in Mund und Nase und verklebte meine langen Haare, die mir ins Gesicht peitschten. Unbewusst leckte ich mir über die spröden Lippen und biss die Zähne gleich darauf wieder fest zusammen; der Blutgeschmack wurde stärker und seltsamerweise hatte er kaum etwas Abstoßendes an sich. Ich wollte doch nur, dass es aufhörte! Ich hatte nichts Falsches getan! Dieses Arschloch hatte es nicht anders verdient! Unter mir spürte ich Wilson in einem verzweifelten Todeskampf zucken, doch ich hielt ihn mühelos im Griff. Fast hatte ich das Gefühl, irgendetwas hätte mich stärker als zuvor gemacht und wenn es nur der Hass war, der glühend heiß in meinen Adern brannte, als hätte ich eine zweite Sorte Blut. Nichts von außen drang mir zu mir durch, nur dieses Feuer, nur diese eine Bewegung meiner beiden Hände und … da war noch etwas, erst leise und dann immer lauter. „Hey … Hey! Slave…! Das reicht…“ Eine raue Stimme, die selbst durch das Feuer in meinen Adern zu mir durchdrang. Ich kannte diese Stimme, sie war wichtig für mich. Äußerst wichtig sogar. Langsam hob ich den Kopf und sah durch den Schleier blutverschmierter Haare, der mir ins Gesicht hing, nach oben in den altbekannten jadegrünen Ozean. Gaara sah mich ganz ruhig an, beinahe schon vorsichtig und ich glaubte, etwas Stolz erkennen zu können. Stolz auf das, zu dem er mich getrieben hatte, auch wenn er mich gleichzeitig in die Realität zurückholte. Das pulsierende Brennen in meinen Adern zog sich zurück, gerade so weit, dass ich es kontrollieren und in erträglichem Maß halten konnte. Ruckartig schoss ich in die Höhe und wich von Wilsons mittlerweile bewegungslosen Körper zurück; mein Messer fiel klappernd zu Boden. Ich sah mich um, noch immer etwas benebelt, doch das verschwand, als mein Blick auf den letzten CIA-Agenten fiel. Er hatte eine Handgranate aus dem Waffenschrank gekramt und hielt diese etwas zittrig in den Händen. Verübeln konnte man es ihm kaum – selbst für ihn war es sicher kein alltäglicher Anblick, wenn eine Dreizehnjährige einen Agenten abstach. „Das war’s! Fahrt doch zusammen zur Hölle!“, brüllte er und schleuderte uns die Handgranate entgegen. Ich stürzte nach vorne und angelte nach meinem Lacrosseschläger, der wenige Meter vor mir am Boden lag. Mein Hirn arbeitete unnatürlich schnell und ich wusste, was ich zu tun hatte. Das war wie Lacrosse. Ein Schläger und ein Ball, wenn man so wollte. Und ich hatte ein Tor zu verteidigen. Wenn es eins gab, das ich auch ohne das mysteriöse Feuer in meinen Adern zustande bringen konnte, war es Lacrosse spielen. Also tat ich, was ich schon mein halbes Leben lang tat: Den Ball fixieren, Schläger präzise nach vorne schlagen und das Ziel anpeilen. Mein Ziel hieß Mister Taktlos. Gegen das Ergebnis waren die letzten Regionalmeisterschaften ein Witz. Ich fing die Handgranate im Netz des Schlägers auf und schleuderte sie dann auf direktem Wege zum Absender zurück. Die darauffolgende Explosion war unglaublich. Trotz der starken Rauchentwicklung konnte ich sehen, wie der Agent in Fetzen gerissen wurde und gleich darauf alles in seiner näheren Umgebung entflammte. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis die Decke herunterkommen würde und der ganze Laden zusammenkrachte. „Komm, wir müssen hier raus!“, rief ich also und stürmte auf die Tür zu, die Gaara niedergewalzt hatte. Im Weg stand nur noch der Tisch, an dem sie mich verhört hatten, und er war voll beladen mit allerlei Akten und kleinen Geräten. Ich hatte achtlos daran vorbeirennen wollen, doch mein Körper stoppte von selbst, als ich eine Akte mit der Aufschrift Gaara entdeckte. Unschlüssig blieb ich neben dem Tisch stehen und starrte auf die Akte. Die Zeit lief mir davon, nebenan wurden meine Eltern womöglich gerade umgebracht, aber was wäre, wenn die CIA wirklich ernsthafte Dinge über Gaara herausgefunden hätten? „Worauf wartest du? Beweg dich endlich!“, knurrte eine kalte Stimme neben mir und ich riskierte einen kurzen Blick zur Seite. Gaara stand neben mir, wieder in voller Lebensgröße und mit Vase auf dem Rücken. Es war mein Gaara, der rothaarige Junge, den ich vor wenigen Minuten gerettet hatte. Im Nachhinein betrachtet wusste ich nicht einmal genau, was mich dazu verleitet hatte, aber es schien die richtige Entscheidung gewesen zu sein. Schließlich hatte er mir gegen Wilson geholfen und schien mit mir kooperieren zu wollen. Letztendlich wollten wir doch beide dasselbe: Von der CIA loskommen. Ich schluckte und nickte leicht mit dem Kopf. Ob ich es nun wollte oder nicht, wir waren Partner in dieser Sache. Abscheuliches Sandmonster hin oder her. Hastig hob ich einen olivgrünen Rucksack von dem Tisch auf und packte sowohl die Akte als auch einen USB-Stick und ein Handy ein. Dabei fiel mir das erste Mal auf, wie sehr meine Hände von Blut beschmiert waren, doch für den Moment war es mir egal. Es ging ums Überleben, alles andere konnte später folgen. „Bin schon fertig. Folg mir, ich weiß, wo es hier rausgeht. Aber zuerst müssen wir meine Eltern finden“, erklärte ich, schulterte den Rucksack und stürmte dann aus dem Raum. Gaara lief spielend leicht neben mir her, obwohl ich ein Tempo vorlegte, das jedem professionellen 100-Meter-Läufer Ehre gemacht hätte. „Zeitverschwendung“, wiegelte er knapp ab. Für ihn war die Sache damit anscheinend erledigt, für mich aber noch lange nicht. Ich hielt an und starrte ihn sauer an. „Jetzt hör mir mal zu: Ohne meine Familie geh ich hier nicht raus! Wir sitzen beide im selben Boot und ich hab dich rein zufällig gerettet, also wirst du mir dabei helfen!“ Er kniff die Augen ein Stück weit zusammen und mir war klar, dass ich ein Blickduell auf lange Sicht nicht gewinnen konnte, deshalb griff ich zu anderen Mitteln. „Du vertraust mir doch! Du weißt, dass du dich auf mich verlassen kannst! Ich bin vielleicht eine Nervensäge und ein Großmaul, aber ich kenne mich hier aus und ich würde dich nicht in Gefahr bringen! Ich gehöre dir, schon vergessen?“ Seine blasse Hand schoss in die Höhe und wies mich mit einer simplen Geste an zu schweigen. Für einen Moment lang legte sich Stille über den Flur und Gaara tat nichts weiter, als mich peinlichst genau zu mustern. Ich konnte ein leichtes Beben meines Körpers nicht unterdrücken, doch Angst empfand ich keine. „Ich lasse nicht zu, dass Shukaku dich bekommt, das ist alles“, sagte er schließlich rätselhaft. „Du bist mein und er darf sich nicht an dir austoben. Ich brauche dich noch, deshalb wäre es unpraktisch, wenn dir etwas passieren würde.“ Wieder musterte er mich sehr genau und mein eigener Pulsschlag dröhnte mir in den Ohren. „Ich bringe deine Eltern zu dir, wenn du dann endlich Ruhe gibst. Du bleibst genau hier stehen und rührst dich nicht vom Fleck. Wenn du zulässt, dass dich irgendjemand fertig macht, gnade dir Gott!“ Und mit diesen äußerst seltsamen Worten verschwand er schneller, als ich auch nur hätte blinzeln können. Ich schluckte hart und starrte auf meine Hände. Das Blut begann zu trocknen und hüllte mich in einen widerwärtig verwesten Geruch. Es war mir schleierhaft, dass ich diesen Geruch vorhin nicht wahrgenommen hatte. Vorhin, als ich… Mein Magen drehte sich um und nur das Feuer in meinen Adern hinderte mich daran, mich an Ort und Stelle zu erbrechen. Ich hatte einen Menschen getötet. Nicht nur versehentlich – ich hatte sogar nach seinem Tod noch auf ihn eingestochen. Und dieses brennende Gefühl war noch immer in mir. Seit wann hatte ich diesen Killerinstinkt? Nur ein Wort spukte in meinem Kopf umher, ausgesprochen von einer mir nur zu gut bekannten, rauen Stimme. „Chakra.“ Gaara hatte seine Gründe, mich ausgesucht zu haben. Er hatte für alles einen triftigen Grund. Nur ich hatte keine Erklärung dafür, wieso ich ihm vertraute. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)