Die Geschichte des Mörders von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 4: Vier --------------- Und dann kam das Licht. Es war kaum zu sehen und der erste Schnee fiel. Luca stieg aus dem Wasser, um sich zu überzeugen, dass er nicht fantasierte. Es brannte wirklich. Eine Kerze oder ein Teelicht, weit oben, im dritten Stock, in dem Zimmer, das sie zuletzt bewohnt hatten. Drei Jungs und viele dumm Ideen. Henry wollte damals nicht mitmachen bei den Flugblättern. Es war ihm zu unsicher. Leute wurden auf offener Straße für so etwas verprügelt. Keiner würde je erfahren, wer sie waren. Und kein Gericht würde sie je dafür verurteilen, denn sie waren schneller als Cobey. Alle würden über ihn Bescheid wissen und keiner würde ihn wählen. Sie waren Idealisten. Luca hatte schon immer eine Schwäche für Träumer gehabt, denn er war selbst einer. Wenn man an seine Träume glaubte, konnten sie in Erfüllung gehen. Sie konnten auch zum Albtraum werden. Luca wollte weder umkehren, noch weitergehen. Seine Gedanken kreisten um Sophie, ausgerechnet jetzt konnte er an nichts anderes mehr denken. Doch sie war nicht da, Luca war völlig allein. Nachdem er stundenlang geschwommen war, um das Internat zu erreichen, war er seinem Ziel endlich nah. Aber war es wirklich das was er wollte? Luca setzte sich in das nasse Gras und dachte nach. Worüber eigentlich? Er hatte doch sein Leben schon längst nicht mehr selbst in der Hand. Er vegetierte vor sich hin und wartete seit Jahren auf den Tag, an dem er Rache nehmen konnte. Als ob das noch irgendjemandem etwas nützen würde. Weder konnte er dadurch Peter und Liz wieder lebendig machen, noch sich selbst. Auf einmal hatte er überhaupt keine Lust mehr, Henry zu sehen. Er war so nah, dass es Zeit war umzukehren. Aber wohin? Trotzdem stand Luca nach einer Weile auf und näherte sich dem Schloss. Er hatte diese Sache einmal angefangen und wollte nun, dass sie zu Ende ging. Luca wusste, dass er beobachtet wurde, dass Polizei da war, und dass schon Verstärkung gerufen wurde. „Ja, schützt euch vor dem gefährlichen Irren!“ fluchte er leise, während er im hellen Mondlicht langsam auf die Burg zuging. Was sollte er ihnen schon tun? Es war fast so, als würde er sich freiwillig stellen, aber wer kann schon sein ganzes Leben mit warten verbringen. Luca hatte auf einmal Angst, glaubte er zumindest. Er hatte Angst, dass nun alles von vorne begann, denn die anderen Menschen wussten schon, was sie von ihm denken sollten. Sie wussten das besser als er selbst. Ein solcher Mann muss wahnsinnig sein, dachten sie, er ist ein Tier, eine Bestie. Und Luca kannte sich selbst nicht mehr. Er war noch nicht einmal erwachsen geworden. Er war nichts. Er hörte das klicken der Waffen, als sie entsichert worden. Sie beobachteten ihn. Und auf einmal schossen sie. „Halt! Wir wissen noch nicht einmal, ob er verletzt ist!“ Doch Sophie rannte weiter. Wie konnte er nur so dumm sein und hier her kommen. Das Kerzenlicht war, unbemerkt von den ganzen Polizisten, schon längst verloschen. Ob Luca sie gesehen hatte? Für einen Augenblick trafen sich ihre Blicke, doch er blieb bewegungslos liegen. Sein Arm blutete, viel zu sehr. Doch Sophie rannte an ihm vorbei. Niemand sollte wissen, dass sie sich kannten, denn sie war die einzige, die ihm jetzt noch helfen konnte. Ihr Dozent hatte sie mitgenommen auf diesen Einsatz, eine so talentierte Studentin durfte dabei sein, wenn der zurzeit meistgesuchte Verbrecher des Landes endlich festgenommen wurde. Die Polizei hatte mitten in der Nacht Alarm gegeben, der Beobachtungsposten an der Burgruine hatte verdächtige Aktivitäten bemerkt, einen Mann, der auf einmal aus dem See auftauchte. Nur die Kerze hatte keiner gesehen. Sophie hoffte, Henry noch finden zu können, aber sie kannte sich kaum aus in der alten Schule. Sie kannte auch die Katakomben nicht, durch die Henry genauso heimlich, wie er gekommen war, auch wieder verschwand. „Frau Wagner? Was suchen sie hier?“ Die Taschenlampe blendete sie. „Ich, ich hab gedacht, sein Versteck müsste ja irgendwo hier sein. Vielleicht lassen sich ja noch ein paar Hinweise darauf finden, war er vorhatte.“ Der Polizist, der ihr hinterhergelaufen war, war nur etwas älter als sie, aber schon lange im Polizeidienst. Seiner Meinung nach sollten die Forensiker lieber im Labor bleiben, weil sie von richtiger Polizeiarbeit sowieso keine Ahnung hatten. Eine Ansicht, die Sophie nicht teilte. Trotzdem musste Sophie das Gebäude verlassen und die Spurensicherung den Experten überlassen. Sie hätte gerne gewusst, wo er war. „Wir haben es endlich geschafft diesen Mistkerl wieder zu fangen!“ Der Professor war von hinten an sie herangetreten. „Wußten Sie eigentlich, dass ich damals an dieser Schule Recht unterrichtet habe? Luca war einer meiner Schüler. Einer meiner Besten.“ Sophie begann zu frieren. Es war sehr kalt in dieser Nacht. „Waren Sie nicht stolz auf ihn?“ fragte sie vorsichtig. „Ich bin es immer noch. Aber das muß hier keiner wissen. Ich nehme an, sie beide haben schon Bekanntschaft geschlossen?“ Sophie sah überrascht aus und enthielt sich erst einmal einer Antwort. Wahrscheinlich war es zu offensichtlich gewesen, dass sie einfach an ihm vorbei gerannt ist. Frau Wagner, Sie sind doch sonst immer so neugierig… „Werden Sie ihn nachher verhören?“ – „Selbstverständlich. Außerdem werden wir ihm Beruhigungmittel spritzen müssen. Sie wissen ja, das der Gefangene bisweilen aggressiv werden kann.“ Sophie lachte bitter. „Der kann keiner Fliege mehr etwas zu leide tun, und wenn er so weiterblutet, werden sie ihn sowieso nicht mehr lange verhören können!“ Es wurde mit jeder Minute kälter und kälter. „Frau Wagner, ich bin mir nicht sicher, ob ich in meiner Position noch etwas für ihn tun kann. Aber ich kann es versuchen.“ Ob das sie beruhigte oder nicht musste Sophie erst noch feststellen. Ihr Professor wusste mit Sicherheit, wie er sich ein paar Minuten mit Luca allein verschaffen konnte, das änderte aber noch nichts an der massiven Bewachung vor allen Aus- und Eingängen des Verhörzimmers. „Wir werden ihn das erste Mal gleich hier Verhören, im alten Sekretariat. Ich habe das schon mit der Kriminalpolizei geklärt. Wir wollen vermeiden, dass er uns zu irgendwelchen Beweisen führen kann und wir dann nicht mehr vor Ort sind. Kennen sie sich ein wenig mit alten Burgen aus? Die meisten hatten geheime Gänge. Ich persönlich interessiere mich sehr für Mittelalterliche Architektur. Leider sind solche Gänge nirgends verzeichnet. Die meisten findet man durch Zufall und vergisst dann natürlich, sie den zuständigen Historikern zu zeigen.“ Sophie konnte sich ihr Grinsen nicht verkneifen. In der Tat konnte das Mittelalter durchaus seine Vorzüge haben. „Ich werde mich wohl besser nach Hause fahren lassen, schließlich hab ich morgen noch Vorlesungen und es ist schon ziemlich spät.“ Sophie verabschiedete sich von ihrem Professor und trat den Heimweg an. Duzende sehr wichtig aussehende Polizisten und Forensiker durchstreiften das Gelände, untersuchten, forschten und berieten und die neugierige Sophie ging einfach an ihnen vorbei. Der junge Polizist, der sie wieder nach draußen geschickt hatte hielt ihr jetzt die Tür zu seinem Dienstwagen auf. Was für ein Gentleman. Als Luca aufwachte, fand er sich allein im Sekretariat wieder. Er fühlte sich benommen und hatte Kopfschmerzen. Jede Bewegung fiel ihm schwer. Drei Schritte und er wäre am Schrank. Er müsste die Tür öffnen, die Rückwand beiseite schieben und verschwinden. Drei Schritte waren unmöglich zu schaffen. Luca lag auf dem Fußboden mit einem notdürftig verbundenen Arm und konnte gerade seine Augen offen halten. Er sah Sophie und lächelte. In seinem Traum legte sie sich neben ihn und sah ihn einfach nur an. Luca schlief wieder. Als er das nächste mal seine Augen öffnete war die Sophie aus seinem Traum verschwunden. Dafür hatte eine Menge wichtige Leute den Raum betreten Sein alter Lehrer war dabei und versuchte die anderen zu irgendetwas zu überreden. „Nur 5 Minuten“ sagte er. Nur 5 Minuten. Luca wollte Sophie wiedersehen, doch die Benommenheit wich so weit von ihm, dass er die Realität auf sich einstürzen lassen musste. Hier war kein Platz für Träume. Nur 5 Minuten. „Nur 5 Minuten und wir kommen hier wieder rein! Wenn der abhaut garantiere ich ihnen, dass sie ihren Job los sind!“ Alle gingen, nur der alte Lehrer blieb. „Luca! Wie fühlen sie sich? Können sie aufstehen? Die Betäubung wird mit der Zeit schon ihre Wirkung verlieren, aber wir haben nur 5 Minuten. Sie müssen bis dahin zumindest durch den Schrank gegangen sein.“ Luca schüttelte seinen Kopf. Er konnte zwar nicht mehr klar denken, aber er wollte auch nicht, dass andere Leute wegen ihm in Schwierigkeiten kamen. „Luca, sie sehen gut aus. Ist das wegen Sophie? Sie ist wirklich nett, und sehr klug. Eine meiner besten Studentinnen. Ich gehe nächstes Jahr in Pension. Dann hab ich endlich Ruhe und Zeit für meine Enkel. Ich hab lange genug gearbeitet. Wirklich.“ Der alte Lehrer hob ihn hoch und brachte ihn zum Schrank. Luca schob die Rückwand beiseite und betrat den Tunnel. Früher hatte der Graf wohl einmal seine Geliebten hier durch geschickt und heute war es ein Fluchtweg für Schwerverbrecher. „Viel Glück!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)