X-Men - Never Ending Fight von abgemeldet (Früherer Arbeitstitel: Love Hurts) ================================================================================ Kapitel 2: Logan ---------------- Rogue zog sich meistens in aller Ruhe an. Jedes Kleidungsstück ließ sie dabei langsam und behutsam über ihre Haut gleiten, bis es an seinem richtigen Platz saß. Sie genoss es, etwas an ihrer Haut zu fühlen, auch wenn sie sich die meiste Zeit über wünschte, es wäre die Haut jemand anderes, die sie berührte, und nicht bloßer Stoff, dem sie keine Kraft entziehen konnte. Sie betrachtete sich im Spiegel. Eigentlich sah sie ganz normal aus. So als wäre sie ein ganz normales, menschliches Mädchen. Gut, sie hatte eine große weiße Strähne, die sie sich hinter ihr linkes Ohr gesteckt hatte, und sie trug schwarze, lange Handschuhe im Sommer, aber wusste man diese Merkmale nicht zu deuten, würde sie tatsächlich als Mensch durchgehen. Nur sie war kein Mensch. Nicht mehr, heißt das. Und das war etwas, was sie sich niemals würde verzeihen können. Rogue schnappte sich ihre Tasche und ging herunter in die Mensa, wo sie frühstückte. Sie setzte sich zu einer Gruppe von Mädchen, mit denen sie gelegentlich etwas unternahm und so wie jetzt zusammen saß. „Hi, Rogue“, begrüßte Jubilation Lee sie. Abigail Dwyer lächelte ihr schüchtern zu; sie war erst vor wenigen Wochen in die Schule gekommen und hatte bisher nur wenige Freundschaften geschlossen. „Ich habe einen Freund von dir gesehen“, sagte Serenity anstelle einer Begrüßung und wandte sich dann wieder ihren Cornflakes zu. „Hallo Serenity“, sagte Rogue bloß, weil sie keine passende Antwort wusste. Sie sparte es sich zu fragen, um wen es sich bei diesem Freund handelte. „Und? Gibt’s was Neues?“, wandte sie sich wieder an Jubilation. „O ja. Abby hat gestanden, dass sie Piotr sehr gern hat.“ Abigail lief scharlachrot an. „Jubes! Gar nicht wahr!“ „Oh doch!“ „Nein!“ Als Rogue einen Blick auf ihre Umgebung warf, merkte sie, dass sie ganz sicher nicht mehr in der Schule befanden. Zwar saßen sie noch immer an ihrem Tisch und Serenity aß weiterhin ruhig ihre Cornflakes, doch ihre Umgebung hatte sich eindeutig verändert. An den anderen Tischen waren die Gespräche verstummt. Viele schauten sich staunend um, für andere schien die plötzliche andere Umgebung nichts Außergewöhnliches zu sein, denn sie ließen sich nicht beim Essen stören. Serenity sah auf. „Ich mag Tiger“, sagte sie lächelnd. Wie immer machte sie den Eindruck, als wäre sie nicht in derselben Welt wie ihre Mitschüler. „Der da vorne ist niedlich“, fügte Serenity noch hinzu. Jeder, der in bis gerade noch glaubte, in der Mensa zu sein, war nicht mehr in der Mensa. Zumindest schien es so. Denn anstatt sich in dem großen, weiten Raum des Xavier Instituts zu befinden, waren nun alle Jugendliche plötzlich mitten im Dschungel. Ein Tiger war über die Lichtung spaziert und verschwand nun wieder im dichten Blätterwerk. Ein Papagei flog von einem Geräusch aufgeschreckt davon. „Abby.“ Rogue und Jubes sahen ihre Freundin mahnend an. „Ups! Sorry, tut mir Leid!“ Von einem Augenblick auf den nächsten befanden sie sich wieder in der Schule. Der Dschungel war gänzlich verschwunden. „Ich kann es noch nicht so richtig kontrollieren, wenn ich wütend und aufgeregt bin“, stammelte Abby entschuldigend und nestelte verlegen am Reißverschluss ihrer Jacke herum, indem sie hoch und wieder runter zog. „Du musst daran arbeiten, Abigail“, sagte Rogue ernst. „Jawohl, Miss Rogue!“, erwiderte sie zackig und salutierte albern. Jubilation war die erste, die in lautes Gelächter ausbrach, dann fiel Abby mit ein. Serenity sah von ihren Cornflakes auf und blickte sich erstaunt um. Sie schien nicht zu wissen, woher der plötzliche Lachanfall der beiden Mädchen kam. Rogue selbst schaffte es gerade so, ihre Mundwinkel hoch zu ziehen; aber es wirkte eher wie eine gezwungene Grimasse. Rogue lachte nicht. Rogue lachte überhaupt nicht mehr. Sie wusste auch gar nicht mehr, wie das funktionieren sollte. Oder welchen Grund es dafür geben könnte. Im Gewöhnlichen zogen die Tage an Rogue vorbei, ohne dass sie ihre Spuren an ihr hinterließen. Beinahe alles hatte ihre Bedeutung für Rogue verloren. Sie ging zum Unterricht, sie unternahm gelegentlich etwas mit ihren Freundinnen und sie absolvierte regelmäßig das Training im Gefahrenraum, das nun auch wieder für sie auf dem Programm stand. Doch ohne Bobby schien alles so sinnlos zu sein. Sie hatten ihren Freund verloren und das war durch ihre eigene Hand geschehen – konnte es einen schlimmeren Weg geben, einen geliebten Menschen zu verlieren? Konnte es noch schmerzhafter sein, als Rogue es empfand? Den meisten Schülern des Xavier Instituts war nicht bekannt, warum oder woran Bobby Drake gestorben war. Nur die wenigen Eingeweihten wussten, dass sein Tod auf Rogue zurück zu führen war, aber es wussten immer noch genug, dass sich Rogue wie eine Geächtete vorkam. So war sie zwangsläufig in die Isolation gedrängt worden. Sie besaß zwar immer noch Freunde wie Piotr, Jubes, Abigail und Serenity und von außen mochte es auch viele nicht so wirken, aber Rogue war einsam und allein. Manche Leute waren dazu geboren, allein zu sein. Solche Leute wie Logan. Rogue kannte keinen, der besser alleine zu Recht kam als Logan. Er war gerne allein und sie vermutete sogar, dass Logan dieses allein sein gelegentlich brauchte. Nur er und das Motorrad und die endlose Straße. Sie hatte keine Mühe, sich vorzustellen, wie er auf einer von Cyclops Maschinen saß und ihm der Wind die etwas zu langen Haarsträhnen aus dem Gesicht wehte. Und irgendwann würde er anhalten und sich in eine Bar setzen, um ein Bierchen zu trinken und diese scheußlichen Zigarren zu rauchen, die fast schon sein Markenzeichen waren. Ob er sich wohl immer noch für Geld zusammen schlagen ließ, so wie damals, als sie ihn das erste Mal sah? Rogue bezweifelte es. Wenn Logan Geld brauchte, dann wusste er für gewöhnlich, wo er in Storms Büro suchen musste. Ja, so würde sie sich Logan wahrscheinlich bis in alle Ewigkeit vorstellen. Allein. Frei. So als ob er nichts und niemanden brauchen würde. Manchmal ertappte sie sich dabei, wie sie sich wünschte, alles hinter sich zu lassen, so wie Logan es tat. Einfach in die Nacht hinausgehen und am nächsten Morgen nicht mehr da sein. Sie würde den Wind spüren können, der über ihre Haut strich, denn dann würde sie sich den Luxus gönnen, der sich nackte Haut nannte. Sie würde frei sein. Frei von allen Schmerzen und jeder Schuld. Frei von dem Gefühl, eingesperrt zu sein. Wie ein Vogel konnte sie sich dann entscheiden, wohin sie gehen wollte. Vogelfrei. O ja, manchmal beneidete Rogue Logan darum, dass er alleine sein konnte, dass er niemanden brauchte. Doch sie konnte nicht alleine sein und sie wollte es auch eigentlich nicht. Nicht wirklich. Denn sie wollte Menschen berühren, sie umarmen, sie küssen und sie lieben. Sie wollte bloß Nähe und doch war es für sie das Schwerste auf der Welt. Denn Nähe konnte sie nicht zulassen. Niemals mehr. Das Schellen der Klingel riss Rogue unsanft zurück in die Wirklichkeit. Die Schüler von Angels Biologiekurs fanden sich nun nach und nach im Fachraum ein, der voll bespickt war mit anatomischen Modellen, Skeletten von vielen verschieden Tieren und Poster über die verschiedenartigsten Themen von einem sezierten Frosch bis zu den Unterschieden bei den Gehirnen zwischen Menschen und Mutanten. Aber Rogue schenkte dem Raum nur wenig Beachtung, als sie sich auf ihren Platz in der letzten Reihe setzte. Jubes schwatzte immer noch angeregt mit Abigail, die einfach nur lächelte und an den passenden Stellen nickte. Hinter einigen Schülern schwebte Serenity herein und sah sich um, als sähe sie den Raum zum ersten Mal, dann erst setzte sie sich neben Rogue an ihr Pult. Piotr kam herein und nickte einmal Rogue freundlich zu, bis er sich Jake Baxter zuwandte. Die letzte, die den Raum betrat – und zwar nicht die Tür, sondern durch die rechte Seitenwand wohl gemerkt – war Kitty Pryde. Ihre Freundschaft war zwar noch nie besonders herzlich gewesen, aber inzwischen hatte ihr Verhältnis zueinander eisige Ausmaße angenommen. Rogue hatte Kitty nicht näher gekannt, bis sie ins X-Team gekommen war – und sie gesehen hatte, wie gut sie und Bobby sich verstanden hatten. Rogue konnte es Bobby weder damals noch heute übel nehmen, dass Bobby ein Mädchen, das er berühren konnte, durchaus reizvoller als sie, Rogue, finden könnte. Aber das bedeutete nicht, dass sie Kitty deswegen verzieh und mögen tat sie sie erst recht nicht. Und nach Bobbys Tod hatte Kitty klar gemacht, dass sie Rogue – und nur sie – für seinen Tod verantwortlich machte. Seitdem redeten sie kein Wort mehr miteinander und behandelten sich wie Luft. Aber da sie beide nie dicke Freundinnen gewesen waren, betrachtete Rogue Kitty nur als geringen Verlust und sie vermutete, Kitty erging es ähnlich. Die Stunde hatte bereits einige Minuten zuvor begonnen, als Angel den Raum betrat. Oder zumindest hätte es Angel sein sollen, denn Angel unterrichtete nun einmal alle Biologie-Kurse. Doch der Mann, der den Raum betrat, hatte so wenig Ähnlichkeit mit nur irgendeinem Lehrer wie nur möglich. Es war Wolverine. Und Rogue spürte, wie ihr Herz beinahe aussetzte, ohne zu wissen, wieso. Logan lehnte vorne am Pult, ein Bein angewinkelt, die Arme vor der Brust verschränkt und sein finsterer Blick war auf die Klasse vor ihm gerichtet. Man konnte deutlich das Spiel seiner Muskeln unter dem schwarzen T-Shirt erkennen. Die Klasse war mucksmäuschenstill. Rogue ahnte, dass jedem die (wildesten) Gerüchte wieder einfielen, die über Logan im Umlauf waren. „Euer Lehrer, dieser komische Vogel namens Angel, musste kurzfristig abreisen“, eröffnete ihnen Logan als erstes. „Und das heißt, dass ich einen Haufen rotznäsiger Gören am Hals habe und dass ich keine Idee habe, was ich mit euch anstellen soll. Warren hat mir einen Haufen Anweisungen gegeben, die für mich nur kompletten Mist ergeben. Ich soll euch etwas über den Aufbau von Zellen erzählen und inwieweit sich unsere von denen der Menschen unterscheiden. Nur habe ich keine Ahnung von Zellen und ich bezweifle sogar, dass ich zellulär buchstabieren könnte –“ Es gab vereinzeltes Gekicher bei den Jungs und Mädchen. „Und deswegen machen wir jetzt eine praktische Stunde. Und zwar dort, wo man es am besten kann: in der Natur. Also zischt ab, Leute, wir treffen uns unten am See.“ Die Kids strömten aus dem Zimmer, laut darüber tuschelnd, was denn Logan wohl mit ihnen vorhabe und woraus denn diese “praktische Stunde“ bestehe. Rogue sah, wie Kitty Logan ein freundliches Lächeln schenkte, bevor sie Piotr nachrannte und sich bei ihm einhakte. Sie verließ zusammen mit Serenity den Raum, nur noch gefolgt von Logan, der sich nicht darum zu scheren schien, dass sich Angels Klasse in aller Winde verstreute. Sie hatten den Campus verlassen und begannen gerade den Weg zum See hinunter zu laufen, als Serenity stehen blieb. Rogue, die sich zunehmend unwohl fühlte, merkte, dass Serenity zurück geblieben war und blieb ebenfalls stehen. Serenity blickte zu Logan auf und blinzelte einmal. „Hallo, Wolverine“, lächelte sie verträumt und fügte rätselhaft hinzu: „Ich soll dir von dem Jungen sagen, dass du an seine Worte denken sollst.“ Und dann tänzelte das Mädchen von dannen. Logan sah Serenity mit einem leichten Grinsen auf den Lippen nach. „Schon ein durchgeknalltes Mädel, was?“ Rogue kam sich richtig klein neben Logan vor. War er schon immer so groß gewesen, hatte er diese Muskeln früher auch schon gehabt? Ihr kam es so vor, als sähe sie Logan zum ersten Mal. Als sie noch im Kursraum gesessen und Logan den Raum betreten hatte, hatte sie registriert, welche Wirkung er auf die weibliche Seite ihrer Mitschüler hatte. Denn so wie es aussah, fanden die meisten ihn ziemlich attraktiv trotz – oder vielleicht gerade wegen? – seines ziemlich wilden Aussehens. Sie merkte erst jetzt, wie sehr sie ihn vermisst hatte. Sie sog seinen Duft ein. Er roch immer noch genauso wie sie ihn in Erinnerung gehabt hatte. Nach Zigarren, Bier und Schweiß. Sie konnte sehen, welche Muskeln sich unter dem schwarzen Shirt abzeichneten und begann sich nichts sehnlicher zu wünschen, als von ihm gehalten zu werden. Erst dann würde sie sich sicher fühlen können, so sicher, wie sie es immer in seiner Gegenwart gewesen war … „Hey, Kleines, hast du verlernt zu sprechen?“ Seine raue Stimme weckte sie. Sie hatte das Gefühl, aus einem schönen Traum zu erwachen. Doch der Wurf zurück in die Wirklichkeit war hart. „Rogue?“ „Wo bist du gewesen, Logan?“, fragte sie leise. „Was?“ Er schien über ihren scharfen Ton überrascht zu sein und um ehrlich zu sein, war Rogue es auch. Erst jetzt, wo sie die Gelegenheit hatte, mit ihm zu sprechen, merkte sie, wie enttäuscht und wütend sie darüber war, dass er sie alleine gelassen hatte. Schließlich hatte er ihr einmal versprochen, immer auf sie aufzupassen. Aber dieses Versprechen hatte er nicht gehalten. „Wie lange bist du jetzt weg gewesen, hm? Drei Monate? Ein halbes Jahr? Oder sogar ein ganzes? Und jetzt tauchst du hier einfach so auf …“ Ihr Schreien hatte sich inzwischen in ein heftiges Schluchzen verwandelt, das sie nicht kontrollieren konnte. Aber noch kamen keine Tränen und dafür war sie dankbar. Sie wollte nicht, dass Logan sah, wie sie um ihn weinte. Logan, der gerade vor ihr stand, steif, als hätte sie ihn geschlagen und irgendwie hilflos. „Einfach so … als sei nichts passiert … als hättest du mich nicht so viele Monate alleine gelassen, wo ich dich doch eigentlich gebraucht hätte … wie konntest du nur?!“, schrie sie laut. „Wie konntest du nur einfach gehen, Logan?!“ „Marie …“ Nein, sie wollte seine Worte nicht hören, keine Worte voller Schuld und Reue. Nicht jetzt. Davon hatte sie bereits genug. Logan streckte die Hand nach ihr aus, doch sie zuckte zurück und stolperte nach hinten. Sie blickte zu ihm auf. Logan stand starr und verletzt da, als hätte sie ihn geschlagen, doch fast glaubte sie, sie hätte es sich nur eingebildet, denn im nächsten Moment war jener Ausdruck auf seinem Gesicht verschwunden. „Marie … bitte …“ Aber Rogue hörte nicht hin. Sie wandte sich um und lief davon, wohin war ihr auch völlig egal. Sie konnte noch lange hören, wie Logan nach ihr rief, doch irgendwann verstummten auch seine Schreie. Und dann kamen sie endlich. Die Tränen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)