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At Nightfall

Bei Anbruch der Nacht- Kapitel 7 komplett
von

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Prolog

Prolog
 

Das Grab
 

“Ihr wollt es also mit der Angst zu tun bekommen? So richtig? Na, dann los, tiefer ins dunkle Erdreich!”, feuerte der Fremdenführer sie an und warf sich theatralisch den schwarzen Umhang über die Schuler.

“Jawohl. Tiefer! Weiter geht’s für diejenigen von euch, die sich über Geister einfacher Mörder und das gequälte Wimmern ihrer Opfer lustig machen.”

“Ich kann es kaum erwarten”, meinte Frank Miller, ein dunkelhaariger, gut aussehender junger Student.

“Ja, weiter, führen Sie uns doch weiter, ich zittere schon wie Espenlaub!”, fügte seine Freundin, Marie Williams, hinzu, eine nette Rothaarige. Sie tat gelangweilt, klammerte sich jedoch an Franks Arm.

“Ja, bieten Sie uns endlich mal etwas, was uns wirklich Angst einjagt!”

Diese höhnische Aufforderung kam von einem weiteren Mitglied der Clique, einem großen , dürren Brünetten namens Tom Riley.

Joey Wheeler war mit diesen drei und sechs weiteren Besuchern im Collegealter unterwegs. Er war auf die Gruppe gestoßen, als er die Burg besichtigt hatte. Die jungen Leute- reiche junge Leute, die Europa mit dem Geld ihrer Eltern bereisten- hatten den nächtlichen Ausflug vorgeschlagen. Joey war Schriftsteller und hatte es vor Kurzem auch zum Herausgeber gebracht. Er arbeitete gerade an einem Sachbuch über das Leben im Mittelalter, weshalb ihm diese Tour gereizt hatte; denn er dachte sich, dass sie ihm etwas für seine Arbeit bringen könnte. So hatte er sich der Gruppe angeschlossen.

Er war alleine nach Schottland gereist, was er schon lange hatte tun wollen. Doch nun stellte er fest, dass es manchmal ziemlich einsam war, wenn man auf sich gestellt in einem fremden Land unterwegs war. Die jungen Leute in der Gruppe waren Anfang zwanzig, er fünfundzwanzig, also nicht wesentlich älter, doch inzwischen kam er sich manchmal wie fünfzig vor und hatte das Gefühl, dass die anderen noch nie einen Fuß aus ihrer Jugendkultur- Autorennen, Studentenverbindungen, Drogen und Rockmusik- herausgesetzt hatten. Als er erklärt hatte, dass er keinerlei Interesse an Drogen habe, waren alle über ihn hergezogen.

Trotzdem war die Tour ziemlich unterhaltsam. Die Nacht war wundervoll, soeben ging ein Vollmond auf. Zu dieser Jahreszeit, im Herbst, rüstet sich ganz Edinburgh entsprechend des uralten Aberglaubens, der um Halloween rankt, für dieses Fest.

Die Straßen waren herbstlich geschmückt, kleine Monster und Gespenster zierten die Schaufenster. Es machte Spaß, in einer solchen Nacht unterwegs zu sein.

Doch Joeys Begleiter waren ziemlich wild.

Joey wusste nicht, was sie heute Nacht genommen hatten, aber es machte sie kühn und frech, ja, richtig grausam. Es schien ihnen ganz besonderes Vergnügen zu bereiten, ihren Reiseführer zu ärgern, auch wenn sich dieser offenbar kaum beeindrucken ließ.

“Ich mache mir gleich in die Hose!”, meinte Frank und tat, als müsse er es sich verkneifen. “Woher haben Sie bloß diese großartige Gestik und Mimik? Waren Sie in Ihrer Schulzeit in der Theatergruppe? O, weh, ich zittere ganz erbärmlich!”

Dieser Sarkasmus war dem Fremdenführer gegenüber unfair, fand Joey, denn der Bursche legte sich wirklich ins zeug.

Er hatte sie in die tiefer gelegenen Viertel der Stadt geführt, wo sich die moderne Stadt über die uralten Gassen erhob, ein gespenstisches Straßennetz, einst voller Behausungen, Läden und Tavernen, in dem sich der Alltag der früheren Bewohner abgespielt hatte. Vor langer Zeit. Jetzt, in der Nacht, war es im Untergrund leer bis auf die Touren. In verschiedenen Räumen wurde von Geistern und schrecklichen Morden berichtet. Schließlich war Edinburgh die Stadt von Hare und Burke, von Königsmorden und Intrigen; hier hatte das grausamste Gemetzel des Mittelalters stattgefunden, dass man sich nur vorstellen konnte, und so manches, dass man sich lieber gar nicht vorstellen wollte. Der Fremdenführer kannte sich in der Geschichte richtig gut aus, Das wusste Joey, weil er sich selbst eingehend damit befasst hatte.

Es ging weiter, in tiefer gelegene Gassen. Ein älteres Ehepaar, hatte sich ebenfalls der Tour angeschlossen. Ein jüngeres Paar mit zwei Jungs um die zehn stellte viele Fragen und bekam auch viele Antworten; offenbar hatten sie großen Spaß an diesem Ausflug. Es gab auch noch einen Mann in der Gruppe, der allein gekommen war. Er war älter als die Studenten, aber um wie viel älter war schwer zu sagen. Ein außerordentlich gut aussehender Mann mit faszinierenden Augen. In einem Moment wirkten sie fast Ultramarienblau, im nächsten wieder heller, gelegentlich nahmen sie auch eine sehr sonderbare, vielleicht sogar rötliche Färbung an. Er war seht groß, um die eins neunzig und wirkte dadurch sehr schlank, doch Joey, der bei diversen Stopps hinter ihm gestanden hatte, war aufgefallen das er sehr breite Schultern hatte und er vermutete, dass sich unter seinem langen dunklen Mantel ansehnliche Muskeln verbargen.

“Wohin gehen wir?”, wollte Rick, ein anderer junger Mann wissen.

“Vielleicht sollten wir das nicht fragen”, meinte Ricks Freundin Tina zögernd. Seltsamerweise war sie die Schüchternste und auch Netteste von allen.

“Ihr hab doch gesagt, dass ihr euch mal richtig gruseln wollt”, erinnerte sie der Führer.

“Stimmt. Jedenfalls mehr als bisher”, meinte Frank. “Also sagen Sie schon, wohin gehen wir?”

“Hinunter zu den Toten”, erklärte der Führer theatralisch.

“Hinunter zu den Toten”, wiederholte Frank in bester Frankensteinmanier.

Joey viel auf, dass der große schweigsame Mann leicht die Stirn runzelte. Er schien zu merken, dass er ihn beobachtete. Ihre Blicke trafen sich. Einen Moment fühlte er sich, als könne er sich nicht mehr abwenden. Eine merkwürdige Wärme durchdrang ihn. Nein, es war nicht nur ein Gefühl, er konnte sich tatsächlich nicht abwenden. Oder wollte er es gar nicht?

“Und wo liegt das Reich der Toten?”, wollte Marie wissen. Damit unterbrach sie Joeys Gefühl, wie eine Motte vom Feuer angezogen zu werden.

Ja, wie eine Motte vom Feuer. Das Feuer in seinen Augen. Jetzt waren sie Eisblau. Fesselnd

Sexy!

Du bist ein Fremder in einem fremden Land, gab er sich zu bedenken. Plötzlich waren ihm diese Empfindungen, einem Fremden gegenüber unangenehm. Er war kein Mann, der sich unter fragwürdigen Umständen in einen wildfremden Mann verliebte.

Aber dennoch war dieser Mann faszinierend.

Sehr sexy! Nicht nur gut aussehend, nein, auch sinnlich. Sexy eben.

Diese Augen…

Sein Blick fiel wieder auf ihn. Ja, er beobachtete ihn.

Er wusste es. Amüsierte es ihn? Vielleicht nicht.

Denn richtig: auch er beobachtet ihn.

“Das werdet ihr schon sehen”, meinte der Führer, “Erst machen wir jedenfalls einen kurzen Abstecher zur Old Tavern!

Joey, der inzwischen wieder den Fremdenführer beobachtete, war etwas beunruhigt über die Art, wie er Marie betrachtete.

Wie ein Jäger, der hinter seiner Beute her ist.

“Folgt mir!”, meinte er.

Joey gab sich einen Ruck. Der Führer hatte wieder ein Lächeln auf dem Gesicht.

Während sie ihm folgten sprach der große Mann, mit den eisblauen Augen, mit dem Paar mit den beiden Jungs. Offenbar warnte er sie, dass der Friedhof etwas zu heftig sein könnte. Sie diskutierten eine Weile bis das Paar sich dazu entschloss, den Rat des Mannes zu befolgen.

Sie gelangten zu der Taverne und der Besitzer nickte, als er ihren Führer erkannte und wies eine seiner Bedienungen an, ihnen rasch etwas zu trinken zu bringen. Joey bestellte sich ein frisch gezapftes Bier.

“Ich erzähle euch jetzt noch eine Geschichte über die Gruft, die wir erforschen werden. Es ist die Familiengruft der…” begann der Fremdenführer zu erzählen doch Joey hörte nur noch mit halben Ohr hin. Er spürte wie er beobachtet wurde und sah sich um. Er drehte sich um. Ja, dort saß er, allein an einem Tisch in der Ecke der Taverne und trank ein Glas dunkelroten Wein. Er hob es und prostet ihm zu. Joey wandte sich ab und nach einer Weile begaben sie sich auf den Weg zur Gruft. Das junge Paar mit den Kindern verabschiedete sich, ebenso das ältere Paar.

Joey überlegte, ob er es ebenfalls lassen sollte, doch er hatte das Gefühl eine solche Tour nie wieder erleben zu können.

Der blauäugige Fremde blieb ebenfalls, wie Joey bemerkte.

Joey sah sich um, als sie durch ein schmiedeeisernes Tor auf den Friedhof traten. Heute war Vollmond- perfekt für solch einen Ausflug, und es war kurz vor Mitternacht.

“Die Mitternachtstour!”, rief der Führer und reckte die Arme gen Himmel. “Seit alters die Zeit für Hexen, Dämonen und die Blutgier der Untoten!”

“Kommt seht euch die Gruft an”, fügte der Fremdenführer hinzu.

Der Boden war uneben und Joey sah sich nach der alten Kirche, die sie gerade hinter sich gelassen hatten, um. Dabei stolperte er über einen Grabstein. Er spürte, wie zwei starke Hände ihn stützten. Es war der große, zurückhaltende Fremde mit seltsamen feurig- blauen Augen.

“Alles in Ordnung?” Seine Stimme war tief, er hatte einen leichten Akzent. Schottisch? Er war sich nicht sicher. “Ob alles in Ordnung ist?”, fragte er noch mal.

Joey schoss die Röte ins Gesicht. “Ich… ja, natürlich, ich bin nur leider etwas tapsig.”

“In der Nacht ist dieser Friedhof kein guter Aufenthaltsort für ein kleines Hündchen!”, meinte er und starrte Joey weiterhin an. Er sah ihn nicht nur an, er musterte ihn eingehend. Dann streifte er ihm eine blonde Haarsträne aus dem Gesicht- eine sehr intime Geste, wie Joey schien.

Er hätte sich von ihm lösen sollen. Doch er tat es nicht.

“Warum?”. fragte Joey stattdessen lächelnd. “Glauben Sie, dass die Geister aus ihren Gräbern aufsteigen und sich an den Lebenden rächen?”

“Ich glaube, dass es auf dieser Erde viele Dinge gibt, die sich nicht erklären lassen”, erwiderte er. “Sie sind Japaner?”

“Jawohl ich bekenne mich schuldig. Ich bin Japaner. Aber mit englischen Vorfahren.” Er zuckte die Achseln. “Wheeler”, fügte er hinzu.

“Aus der Nähe von Tokio?

“Wieder schuldig. Aus Domino City.”

“Ah Domino City.”

“Ja. Kennen sie die Stadt?”

”Jawohl”, meinte er, dann deutete er auf den Grabstein. Über den Joey gestolpert war. “Merkwürdig.”

“Was denn?” Er sah nach unten. Auf den Grabstein war Wheeler eingraviert.

Es überlief ihm eiskalt und das Blut wich ihm aus dem Gesicht. Angst hüpfte ihm in heißen, kleinen Sätzen den Rücken hinab.

“Ich sollte ins Hotel zurück”, murmelte Joey. “Nein!”, meinte der Fremde und nahm ihn am Arm.

Joey blickte zu ihm hoch und runzelte die Stirn. “Ich wollte gehen.”

“Es ist zu gefährlich, jetzt zu gehen, noch dazu ohne Begleitung.”

“Zu gefährlich…” setzte er an.

“Auch in Schottland gibt es finstere Gestalten und das ist hier nicht grad die sicherste Gegend!” erklärte er schulterzuckend.

“Sind sie denn von hier?”

“Ursprünglich nicht, aber ich habe vor langer Zeit einmal hier gelebt. Aber das ist lange her, sehr lange her.”

“Nun kommt schon! Kommt mit!”, rief der Führer ihnen zu.

Sie waren gerade bei der Gruft angekommen, da stieg wie auf ein Stichwort hin, plötzlich Nebel auf.

“Seht euch das an!” meinte Marie ehrfürchtig.

“Der hat hier bestimmt irgendwo eine Nebelmaschine.” meinte Rick.

“Nun kommt schon!” forderte der Führer sie auf und winkte ihnen zu, während er die Stufen erklomm.

Im inneren der Kammer säumten Särge die Wände. Sie waren nicht eingemauert, sondern standen in Nischen und waren mit Staub und Spinnweben bedeckt.

“Oh, wie unheimlich!”, höhnte Frank.

“Drunten wird es besser”, versicherte der Führer. “Ich habe doch versprochen, euch Angst einzujagen”, fügte er hinzu.

Kurze Zeit später hatten sie das Ende einer weiteren Treppe die in die Tiefe führte erreicht und der Führer entzündete eine Fackel. Diese erleuchtete nun die unterirdische Gruft in der sie angelangt waren. Die Toten lagen hier in verschiedenen Stadien des Verfalls unter Leichentüchern. Ratten quiekten erschrocken über die Eindringlinge, eine Fledermaus flatterte quer durch die riesige unterirdische Gruft und entlockte Marie einen überraschten Schrei.

“Ziemlich Cool, Mann, wirklich beeindruckend, aber ich habe noch immer keine Angst!”, erklärte Frank.

“Warten sie es ab! Helfen sie mir und öffnen sie den Sarkophag!” erwiderte der Führer und deutete auf einen Sarg am Ende der Gruft. Dieser stand mitten in der Mitte und war mit allerlei Schnitzereien, die Fratzen und dämonische Wesen darstellten, verziert.

“Aber klar doch!”, meinte Frank und folgte dem Befehl.

Joey wollte weglaufen konnte sich jedoch vor Angst nicht rühren. Er spürte instinktiv, dass etwas ganz und gar nicht stimmte und der Tod auf sie lauert. Er sah dies am Gesicht des Fremdenführers das sich zu einer hässlichen Grimasse verzogen hatte und sie alle voller Mordlust anstarrte.

Frank klappte den Sargdeckel auf. Im inneren lag ein junger Mann, mit weißem Haar und zeigte keinerlei Spuren von Verfall. Seine Augen waren weit geöffnet und sie starrten Frank an. Der junge Mann lächelte- ein provokantes verführerisches Lächeln.

Dann setzte er sich auf und das Grauen nahm seinen Lauf.

Er sieg aus dem Sarg und biss Frank in den Hals. Er schrie.

“Habt ihr endlich Angst?”, fragte der Fremdenführer. “Habt ihr jetzt endlich Angst?” Er feixte. Damit erreichte das Drama seine Höhepunkt. Anstelle seiner Eckzähne entblößte er riesige, leuchtend weiße Reißzähne. Dann begann er zu lachen und schnappt sich Marie und senkte die Zähne in ihren Hals. Blut spritzt, tropfte auf den Sarg, den Boden.

Nun begannen auch die anderen zu kreischen und Panik machte sich breit. Jeder versuchte aus der Gruft herauszukommen. Joey wurde zu Boden gerissen und landete mit den Kopf auf einen Stein und wurde Bewusstlos. Das Letzte was er sah war das Gesicht des Blauäugigen Fremden.
 

********************

Man fand ihn auf dem Grab mit seinem Familiennamen, Wheeler.

Er lag nackt auf diesem Grab, doch jemand hatte ihn mit einem Tuch zugedeckt.

Einem Leichentuch.

Als er allmählich wieder zu Bewusstsein kam, nahm er kaum etwas von seiner Umgebung wahr. Polizei war da und er hörte Sirenen. Immer wieder verlor er das Bewusstsein. Er versuchte der Polizei zu erklären, was passiert war. Joey sprach von dem Fremdenführer, dem Pup, dem Ungeheuer, das aus dem Sarg geklettert war.

Die Polizei glaubte, dass er Drogen genommen hatte wie die anderen fünf Überlebenden. Joey wies die Polizisten daraufhin, dass auch bei ihr Blut und Urin getestet worden waren und dass doch bekannt war, dass er keine Drogen genommen hatte. Aber niemand wollte ihm glauben.

Joey wollte nur noch nach Hause. Vampire gab es nicht. Oder doch?

Er erzählte der Polizei auch alles was er über den Fremden Mann wusste, doch der war spurlos verschwunden. Die Polizisten waren sich sicher, dass die Schrecken dieser Nacht seinen Verstand verwirrt hatten.

Joey und auch keiner der Anderen konnte der Polizei weiterhelfen.

Je mehr Zeit verging, desto irrealer wurde alles.

Man wollte seine Meinung nicht mehr hören.

Er hatte Glück gehabt, er war verschont worden. Er musste die Sache jetzt vergessen, sonst würde er verrückt werden. Er musste nach Hause, wieder in seinen Alltag zurück.

Seine Schwester Serenity kam nach Schottland, um ihn abzuholen. Serenity war wunderbar, sie ließ Joey reden und reden. Natürlich war auch Serenity sicher, dass es Serienkiller waren, schreckliche Menschen, denen ein Leben nichts wert war. Joey hatte Glück gehabt.

Er musste so weiter kommen, froh zu sein, dass er noch lebte.
 

Ein Jahr später war es fast soweit. Joey begann, sich mit einem Polizisten namens Yami zu treffen. Er veröffentlichte ein kleines Buch mit Geschichten und Fotos von Mittelalterlichen Kirchen.

Und es war fast genau ein Jahr her und auch wieder Vollmond, als er anfing, von dem Mann zu träumen.

Von dem Mann mit den blauen Augen.

Es war finster in seinem Traum und er stand im Dunkel, dass nur vom Schein des Mondes erhellt wurde. Schatten wanderten über das Land, Nebel stieg auf. Er stand da und fröstelte, denn er Wind war kalt und er schwebte in Gefahr.

Und er kam auf sie zu.

Der Mann mit den Eisblauenaugen.

Joey erwachte mit einem Ruck und zitterte.

Der Blick auf den Wecker zeigte ihm, dass es Punkt zwölf Uhr war.

Mitternacht.
 


 

Na wie gefällts euch bis jetzt? Ich geb es zu, ist noch nicht spannend genug, aber das wird noch!!! (Hoffentlich....)

Wer mag schreibt mir nen Kommi, ansonsten war's das erst ma.
 

Bis denne
 

Ice-Queen

Kapitel 1

Kapitel 1
 

Danke für die lieben, netten Kommis!!!

Ich hoffe euch gefällt das erste Kapitel, genauso wie der Prolog.

Es geht spannend weiter.

Viel Spaß beim lesen, des neuen Kapitel, wünscht euch…
 

Eure Ice- Queen
 

Kapitel 1:
 

“Ah, Guten Morgen, Bruder Sonnenschein!”

Joey musste nicht aufblicken, um zu wissen, dass Duke Devlin vor seinem Tisch stand. Er kannte seine Stimme ebenso gut wie seine langen schwarzen Hare, sein breites Grinsen und seine schalkhaft blitzenden grünen Augen. Joey kannte keinen, der dem Leben derart fröhlich gegenüberstand wie Duke. Stets hatte er ein Lächeln auf den Lippen, er war nie deprimiert und allzeit bereit, einem Freund einen Gefallen zu tun. Aber was er schrieb, war düster, düsterer als die schauerlichen Abgründe alter Mythen. Er schrieb Geschichten aus der Schattenwelt, beängstigende, eindringliche Geschichten, die Art von Geschichten, die dem Leser Angst machten, nachts auf dunklen Gassen unterwegs zu sein oder allein daheim zu sitzen.

Er legte die Zeitung weg, rückte seine Sonnenbrille zurecht und sah zu ihm hoch. “Guten Morgen, Bruder Sonnenschein? Soll das heißen, dass meine jüngeres Schwesterchen heute Morgen etwas angestellt hat? Hat sie etwa an deinem letzten Kapitel über das Leben der Bösen und der Glücklichen herumgemäkelt?”

Er grinste und setzte sich neben Joey, als ob er geradewegs zu ihm hatte kommen wollen. Allerdings war es kein großes Geheimnis, dass er morgens meist hier im Café la Lune (1) zu finden war. Es war zwar ein beliebter Touristentreff für die Frühaufsteher in Domino City, aber es gab auch herrlichen Kaffee und wundervolle Croissant, und noch dazu wirklich preiswert.

Joeys Freunde wussten immer, wo er zu finden war. Und viele seiner Freunde waren Schriftsteller, wie Duke, obwohl sie ganz unterschiedliche Sachen schrieben: Joey hatte sich auf Reisen und Geschichte spezialisiert; Duke liebte das Makabre; Mai Valentine schrieb witzige Geschichten, kleine Schnipsel aus dem Alltag; Joey Schwester hatte vor kurzem angefangen, Fantasy zu schreiben. Sie nannten sich “Donnerstaggruppe”. Diesen schlichten Namen hatten sie sich gegeben, weil sie einzig aus Liebe zum geschriebenen Wort zusammenkamen; worum es im Einzelnen ging, war gar nicht so wichtig.

“Ich habe dein jüngeres Schwesterchen gestern Abend gesehen. Serenity ist fantastisch, herrlich, süß wie ein Sahnebonbon- und hat eine Figur wie die Sünde. Und sogar zu mir, einem zugegeben wunderlichen Kauz, war sie ausgesprochen nett.”

“Aha. Nun, verzeih mir, aber wenn meine Schwester so verdammt gut klingt, warum bin ich dann auf einmal ein Sonnenschein?”

“Na ja, auch du bist süß und fantastisch und hast eine Figur wie die Sünde, aber heut früh hast du auch noch Talent.”

“Wie bitte?”

Grinsend knallte er einen Stapel Ausdrucke auf den Tisch und fuhr sich durchs Haar. “Du weist ja wie besessen ich bin.”

Duke war kommerziell der Erfolgreichste ihrer Gruppe. Er verdiente einigermaßen und war auch einigermaßen bekannt. Seine Titel kletterten auf den wichtigen Bestenlisten, etwa der Tokyo News oder in der Japan Today, (2) immer weiter nach oben. Aber er war zwanghaft. Jedes Mal, wenn eines seiner Bücher herauskam führte er sich auf wie ein kleines Kind. Er war schier krank vor Sorge und sah ständig im Internet und anderen Quellen nach, wo sein Buch gerade stand.

Vor Joey lagen nun die Ausdrucke der aktuellen Japan Today- Liste. Und zwar nicht nur die ersten fünfzig Titel, die in der Zeitung erschienen, sondern die Liste mit hundertundfünfzig Titeln, die es nur im Internet gab oder wenn man bei der Zeitung direkt anfragte.

Er starrte auf die Seiten und dann auf ihn.

“Hundert”, meinte Duke.

“Hundert?”

“Dein kleines Buch Holy Houses (3) über Kathedralen und Kirchen, dass du im Eigenverlag herausgebracht hast, hat es auf Platz einhundert geschafft. Joey, so etwas ist fast noch nie da gewesen! Ein unglaublicher Coup!”

Joey konnte es kaum glauben. Erst sah er ihn noch einmal prüfend an, dann nahm er das Blatt in die Hand. Die Art von Büchern, die er schrieb, hatte eigentlich nie besonders viel Erfolg, obwohl er einigermaßen über die Runden kam, weil er sie selbst veröffentlichte. Dank des Internets erreichte er Märkte, zu denen er sonst keinen Zugang gefunden hätte. Weil man per Internet auf seinen Verlag zugreifen konnte, lagen seine Bücher auch in Buchhandelsketten aus und in einigen der noch verbliebenen unabhängigen Buchhandlungen, die sich auf Geschichte und Mittelalter spezialisiert hatten.

“Du glaubst mir nicht? Auch gut. Aber sieh selbst!”

Er tat es. Und da war tatsächlich sein Buch und sein Name.

“Und du glaubst nicht, dass das ein Irrtum ist?”, fragte Joey.

Duke lachte. “Du klingst ja wie ich!”

“Nein”, erwiderte er und lächelte ihn an. “Du bist durch und durch neurotisch. Weil du Erfolg hast, glaubst du nicht, dass du Talent hast. Und gleichzeitig hast du ständig Angst, nicht genug Talent zu haben, um erfolgreich zu sein. Wir können dir auf die Schulter klopfen, so oft wir wollen, du bist und bleibst ein Neurotiker.”

Er nickte fröhlich. “Ich weiß. Aber du klingst trotzdem genau wie ich.”

Joey seufzte und starrte wieder auf die Liste. “Ich wundere mich nur, aber natürlich freue ich mich auch.”

“Es ist ein tolles Buch. Fantastische Fotos. Und du hast es ganz allein gemacht.”

“Das meiste. Serenity hat auch ein bisschen geholfen.”

Der Kellner kam an den Tisch und Joey bestellte noch eine Tasse Kaffee, Duke Croissants und Kaffee.

Joey konnte den Blick kaum von der Liste wenden.

“Unglaublich!”, sagte er schließlich.

“Also- wann findet die Party statt?”

“Was für eine Party?”

“Du musst uns selbstverständlich einladen, die Donnerstagsgruppe, und zwar gleich heute Abend.”

“Heut ist Freitag.”

“Das weiß ich. Aber du kaufst jetzt ein paar Kisten Bier und Sekt, kein billiges Zeug, und vielleicht sogar ein bisschen Kaviar.”

“Hast du mir nicht mal erklärt, dass du Kaviar hasst?”

“Das spielt jetzt keine Rolle. Bei einem solchen Anlass braucht man Kaviar. Und wir werden dir alle zuprosten und tolle Sachen sagen und feiern.”

“Ja, vielleicht sollten wir das tun. Aber glaubst du denn, die Zeit reicht, um allen Bescheid zu geben?”

“Joey, Joey, Joey!”, meinte Duke ungeduldig. “Warum glaubst du wohl, dass ich so früh hier bin? Wir machen uns gleich daran, alle anzurufen!”

“Wir?”

“Na ja”, meinte er beiläufig, “Der Schlitzer von Osaka, (3) Hardcover, verfasst von dem jungen Mann direkt neben dir, hat es unter die Ersten zehn geschafft.” Er kramte die Zeitung aus der Arschtasche seiner Jeans und warf sie auf den Tisch.

“Wirklich, Duke?”, fragte er aufgeregt.

Er hatte die Zeitung schon an der richtigen Stelle aufgeschlagen. Sein Buch, die Nummer sechs, war knallrot umrandet, darum herum stand `Yeah! Yeah! Yeah!´

“Herzlichen Glückwunsch!”, meinte Joey.

“Danke!” Er grinste glücklich.

“Aber du bist viel weiter oben als ich. Warum muss ich die Party schmeißen?”

“Weil du die nettere Wohnung hast.”

“Findest du?”

“Eine kleine aber feine Wohnung, im Viertel der Einfamilienhäuser und an der Ecke ein sehr feines und auch preisgünstiges Café. Hm, na ja, lass mich nachdenken. Ich habe ein Winzappartement im zweiten Stock in einem Teil der Stadt, vor dem man Touristen warnt. Ja, ich habe nachgedacht. Du hast die hübschere Wohnung. Bei dir findet die Party statt.“

“Warum ziehst du nicht um? Das könntest du dir leisten!”

“Ist das dein ernst? Ich wohne neben den besten, verrücktesten Voodoo- Leuten, die ich je getroffen habe. Meine Nachbarn sind alle völlig durchgeknallt, ich liebe sie. Sogar den einäugigen Jack Russell Terrier mit nur einem Hoden, der der alten Simon über mir gehört.”

“Der pisst doch ständig auf deine Schuhe.”

“Wie böse kann man schon einem Hund sein, der nur einen Hoden hat?”

“Ich hab nichts gegen den kleinen Kerl, mich hat er noch nie angepinkelt. Und übrigens- ich habe nichts gegen deine Wohnung. Du hast dich beschwert, nicht ich.”

“Richtig beschwert hab ich mich ja nicht. Aber du hast schlicht und ergreifend die passender Wohnung für eine Party.”

“Na gut. Ich freu mich auf die Party und ruf die Anderen gleich an.”

“Du musst nur noch deine Schwester anrufen.” Er wurde rot. “Ich hab schon ein bisschen rumtelefoniert.”

Joey zog eine Braue hoch. Er grinste. “Na ja, du brauchtest nur noch einzuwilligen, begeistert zu sein und wirklich feiern zu wollen.”

Der Kellner kam mit dem Kaffe und den Croissants. Duke schob ihm den Korb hin. “Ganz frisch, sie sind noch warm.”

“Er schob den Korb zurück. “Nein danke, ich bin satt.”

Er drängte nicht weiter und verschlang gierig eines der warmen Teilchen.

“Ich besorg den Kaviar”, erklärte Duke.

“Gut, das solltest du auch. Ich mag das Zeug nämlich genauso wenig wie du, aber wenn du es unbedingt haben willst, dann zieh los und treib es auf.”

“Kümmerst du dich um den Rest?”

“Jawohl.”

Er stopfte sich ein zweites Croissant in den Mund, kaute und schluckte es in Rekordzeit. Dann kippte er seinen Kaffee hinunter und stand auf.

“Du hast es aber eilig”, meinte Joey.

“Ich muss mit meiner Agentin reden. Man muss das Eisen schmieden, solange es heiß ist. Außerdem habe ich Arbeit zu Hause, muss Rechnungen begleichen und Kaviar besorgen.”

“Um wie viel Uhr soll meine Party anfangen?”, fragte er. “Um acht nach dem Abendessen- ich wollte dir die Kocherei (4) ersparen.”

“Wie nett von dir!”

Er grinste und begann, sich einen Weg zwischen den Tischen und Gästen hindurchzubahnen. Joey sah, dass er seine Zeitung vergessen hatte, und rief ihn noch einmal zurück.

“Duke! Deine Japan Today!”

“Schon gut, behalt sie, ich habe zwanzig davon.”

Er schaute noch einmal auf die Liste. Zugegeben, er freute sich. Und natürlich war er stolz auf Duke. Er arbeitete sich in einem harten Geschäft an die Spitze.

An diesem Morgen hatte es Joey nicht eilig. Er nippte an seinem frischen Kaffee und überlegte, ob er Yami einladen sollte, Kommissar Yami Muto. Er kannte alle aus seiner Gruppe, und sie kannten und mochten ihn. Seit drei Monaten ging er nun mit ihm. Er hatte alles, was er sein Leben lang bei Männern gesucht hatte- bislang.

Was zum Teufel war nur mit ihm los?

Yami war wirklich wundervoll: strahlend Amethystfarbene Augen, blond- schwarz- rotes Haar, ein bisschen muskulös. Doch neben diesen Äußerlichkeiten war er vor allem ein wundervoller Mensch; er war angenehm und ausgeglichen und hatte das unkomplizierte Wesen eines selbstbewussten Mannes. Bevor er nach Domino, seinen Geburtsort, zurückgekehrt war, hatte er im Drogendezernat in Kyoto gearbeitet. Eine Weile hatte er dann hier im Morddezernat gearbeitet, doch inzwischen war er wieder im Drogendezernat gelandet. Er machte Öffentlichkeitsarbeit mit Schülern, aber auch Pressearbeit für das Dezernat. Er war höflich, er war freundlich- und er roch stets appetitlich und einladend. Er tanzte, fuhr Blades und mochte sonntägliche Spaziergänge.

Er machte gern Ausflüge aufs Land und Picknicks an kühlen Herbsttagen. Er hatte ein umwerfendes Lächeln und er mochte ihn aufrichtig, er bewunderte seine Arbeit und war stets hilfsbereit, egal, wie müde er war.

Zwar hatte er noch kein Wort darüber verloren, aber bestimmt fragte er sich, warum er nicht mit ihm ins Bett ging. Warum Joey dazu noch immer nicht bereit war.

Und auch Joey fragte sich das.

“Ja, ich lade ihn ein”, murmelte er halblaut.

Eine Frau am Nachbartisch, offenbar eine Touristin aus dem Norden- sie hatte sehr helle Haut und auf der Nase einen leichten Sonnenbrand- bedachte ihn mit einem merkwürdigen Blick.

Joey grinste nur und wandte sich wieder der Zeitung zu. Ja, er würde Yami einladen, und er bei ihm übernachten. Auch wenn er ihn überhaupt nicht bedrängte, wollte er ihn nicht verlieren. Joey hatte ihm erzählt, was in Schottland passiert war. Er war Cop. Er hatte ihn verstanden. Es war alles höchst traumatisch gewesen.

Aber er hatte ihm nichts von den Träumen erzählt.

Er nahm einen großen Schluck Kaffee. Ja, er würde heute bei ihm übernachten. Vielleicht würde das auch etwas an seinen Träumen ändern.

Oder sollte Yami lieber doch nicht bei ihm übernachten? Joey wusste nicht, ob er seine Träume mit jemandem teilen wollte.

Der Kaffee war gut. Noch schön warm.

Er legte das Feuilleton (5) weg und nahm sich die erste Seite der Zeitung vor.

Auf einmal blieb ihm das Herz stehen.

Die Schlagzeile lautete: “Blutbad in Nagasaki. Ritualmorde schockieren Anwohner.”
 

Er beobachtete ihn von der anderen Straßenseite.

Es war nicht weiter schwierig.

Er saß auf der überdachten Freifläche de Cafés, in der Nähe der Straße, in der Nähe der Sonne, der er immer wieder das Gesicht entgegenstreckte.

Er liebte die Sonne, die Helligkeit. Er lächelte, wen die Sonnenstrahlen auf ihn fielen, auf seine zarten Züge, auf sein schönes Gesicht. Er erinnerte sich noch gut an den Duft seines Körpers, seine weiche Haut, sein Aftershave, das er in der Dunkelheit und den Schatten nur schwach wahrgenommen hatte. Ihm war Joey vorgekommen wie ein Leuchtfeuer, er hatte ständig gewusst, wo er sich aufhielt.

Er hatte wunderschöne Augen, die jetzt, dem Tageslicht zugewandt, weit geöffnet waren. Tiefbraune Augen, ganz leicht ins goldene gehend. Götteraugen, dachte er und wurde von einem seltsamen Schauer ergriffen. Er hatte Blonde Haare, die wenn die Sonne drauf strahlte, golden glänzten. So vertraut. So anders und dennoch…

Vielleicht war es die Farbe seiner Augen, die etwas Göttliches an sich hatten.

Joey bewegte sich sachte- und sinnlich- dem Licht entgegen. Offenbar liebte er das Freie, die Wärme der Sonne.

Er saß im Inneren eines kleinen Restaurants, dessen Türen geschlossen waren; die Klimaanlage surrte, und das Licht einer billigen Lampe fiel auf die Speisekarte. Eine dunkle Brille schützte seine Augen, vor dem grellen Tageslicht und vor dem Mann. So konnte er ihn beobachten, ohne dass er ihn sehen konnte.

Er folgte Joey nun bereits seit einigen Tagen.

Die Versuchung, dies zu tun, hatte ihn schon lange geplagt.

Er hatte ihr widerstanden.

Bis jetzt.

Er hatte ihn einmal gefragt, ob er diese Stadt kenne.

Kannte er sie? Ja. Natürlich. Sehr gut sogar. Es war ein Kinderspiel gewesen, ihn zu finden. Er wusste, wo Joey wohnte. Er wusste, wer seine Freunde waren, wohin er ging, was er tat. Er kannte seine Gewohnheiten. Aber wenn er das alles wusste…

Dann wussten es auch andere.

“Möchten Sie noch einen Kaffee?”

Er blickte auf. Die Kellnerin stand vor ihm, ein kleines Lächeln auf dem hübschen Gesicht. Sie hieß Ishizu und war erst vor ein paar Monaten in die Stadt gezogen, um an der hiesigen Universität zu studieren. So viel hatte er durch ihr kleines Gespräch vorhin erfahren.

“Ja, sehr gern. Danke.”

Sie schenkte ihm ein, lächelte und ging.

Er trank seinen Kaffe und starrte wieder auf die andere Straßenseite.

Etwas war passiert. Joey stand gerade auf, hatte seinen Kaffee verschüttet, ohne es zu bemerken. Er starrte auf…

Er musste aufstehen, um zu sehen, worauf. In diesem Moment fuhr ein Laster vorbei und verstellte ihm die Sicht.

Er warf Geld auf den Tisch, viel zu viel, aber er wusste, dass Ishizu es bestimmt gut gebrauchen konnte, und ging hinaus. Eilig überquerte er die Straße.

Joey war weg.

Er ging an den Tisch, an dem er gesessen hatte, und entdeckte die Zeitung mit der Schlagzeile, über die sich der Kaffee ergossen hatte.
 

“Du nimmst das viel zu ernst”, rief Serenity ihrem Bruder zu.

Joey kehrte gerade ins Wohnzimmer zurück, in dem Serenity Servietten für das Büffet faltete. Die leichte Baumwollbluse und die eng anliegenden Jeans standen seiner um nur ein Jahr jüngeren Schwester ausgezeichnet. Sie hatte dunkelblondes fast hellbraunes Haar und große Augen in der selben Farbe wie Joey, aber ohne den leichten Goldschimmer. Als Joey aus dem Elternhaus auszog, um in Tokyo zu studieren, waren beide sehr traurig gewesen- waren sie doch unzertrennlich gewesen- aber mit der Zeit hatten sie sich beide daran gewöhnt. Im darauf folgenden Jahr war Serenity an eine Universität auf Hokkaido gegangen. Nach Abschluss des Studiums waren beide wieder nach Domino City zurückgekehrt. Serenity hatte sich das Studium mit Modelaufträgen verdient und bekam auch jetzt noch Anfragen, doch zu ihrer Überraschung hatte sie herausgefunden, dass sie wie ihr Bruder das Schreiben liebte. Sie hatte sich an Drehbüchern versucht und auch ein paar verkauft, doch dann hatte sie sich Hals über Kopf in Tolkien verliebt und angefangen, Fantasyromane zu schreiben. In Gelddingen war sie hingegen sehr realistisch, hier und da nahm sie gerne einen Modeljob an und zog ihren Bruder hinzu, was Joey ganz recht war; denn auch ihm kam das zusätzliche Einkommen gelegen. Allerdings mussten sie keine Armut fürchten. Ihr Vater war an einer Alkoholvergiftung gestorben, als Joey siebzehn war, doch ihre Mutter lebte noch immer in einem Haus, am anderen Ende der Stadt. Sie verdiente als Herausgeberin einer Tageszeitung nicht schlecht. Sie hatte wieder geheiratet, aber ihren Mädchennamen- wie in der ersten Ehe auch schon- behalten. (Joey und Serenity tragen den Mädchennamen ihrer Mutter als Nachnamen!) Inzwischen hatten Serenity und Joey sogar noch zwei jüngere Brüder bekommen- ein zweijähriges Zwillingspärchen, Izumi und Toshie. Jessie Wheeler liebte ihre beiden größeren Kinder jedoch nach wie vor sehr, und ihr neuer Ehemann, Subaru Yamazaki, tat alles, um allen das Gefühl zu geben, eine große Familie zu sein.

Joey hatte ursprünglich gedacht, dass sein kleiner Verlag seine ganz persönliche Firma sein sollte, doch als Serenity ihre Mitarbeit anbot, hatte er sich sehr gefreut. Abgesehen von dem Verhalten und letztendlichen Tod seines leiblichen Vaters, hatte Joey bislang ein völlig normales Leben voller Liebe geführt und wusste, dass er sich glücklich schätzen konnte.

Glücklich, genau.

Er hatte eine tolle Familie.

Und er hatte ein Massaker überlebt.

“Serenity, hast du eigentlich diesen Artikel gelesen?”

Seine Schwester legte die Serviette beiseite und starrte ihn an. “Na klar. In Nagasaki sind vier Menschen brutal ermordet worden. Joey, weißt du, wie froh die dort wären, wenn in ihrer Stadt weniger Menschen umgebracht würden?”

Joey seufzte. “Leute werden ermordet, ja, das wissen wir. Aber Morde auf einem Friedhof? Leichen, die nackt, zerstückelt und geköpft auf Gräbern liegen?”

“Auf dieser Welt gibt es sehr kranke Menschen, Joey.”

Serenity nahm sich wieder die Serviette vor.

“Da könnte ein Zusammenhang bestehen”, beharrte Joey und ging wieder in die Küche, um die Sektgläser zu holen. Als er zurückkam, hatte Serenity aufgehört, Servietten zu falten. Sie lehnte an der Anrichte und wartete auf Joey.

“Joey, als du aus Schottland kamst, hatte ich richtig Angst um dich. Ich dachte, wir müssen dich den Rest deines Lebens in eine psychiatrische Anstalt stecken. Du warst überzeugt, böse Geschöpfe wären aus den Gräbern aufgestiegen…”

“Moment mal!”, fiel ihr Joey ins Wort und hob die Hand. “Als ich wieder zur Besinnung kam, war ich hysterisch, das weiß ich. Ich war so entsetzt, dass ich nicht mehr wusste, was passiert war. Ich habe viele Dinge gesagt, die ziemlich unglaublich klangen. Aber, Serenity: Ich bin in ein Leichentuch gehüllt auf einem Grab zu mir gekommen. Und die Täter sind nie erwischt worden. Meinst du nicht auch, dass es dieselben gewesen sein Könnten?”

Serenity sah aus, als ob sie nicht antworten wollte. Schließlich meinte sie: “Ich habe gehört, dass es im Nagasakier Morddezernat ausgezeichnete Leute gibt.”

“Aber vielleicht könnte ich ihnen helfen.”

“Wie denn? Indem du die ganze Welt auf dich aufmerksam machst? Indem du sagst: `Hey, hier bin ich, Leute. Beim Letzten Mal habt ihr mich übersehen.´ Joey ich will doch nur…”

“Was?”

Serenity schüttelte den Kopf. “Erinnerst du dich wirklich noch an etwas? Könntest du den Behörden wirklich helfen? Es ist ja nicht so, dass sie jetzt irgendwelche Verdächtigen hätten.” Sie zögerte. “Jawohl, ich habe den Artikel gelesen. Und ich verstehe, warum du so aufgeregt bist. Aber zum Teufel noch mal, ich will nicht, dass du noch einmal in die Sache hineingezogen wirst.”

Joey zuckte mit den Schultern. “Es ist beunruhigend.”

“Stimmt.” Serenity musterte Joey, dann grinste sie. “Also schlaf endlich mit deinem Cop! Bei Gott, ich finde schon lange, dass du völlig verrückt sein musst, diesen netten jungen Burschen nicht an dich ranzulassen. Brüderchen, er ist doch wirklich ausgesprochen appetitlich!”

“Ach ja? Meinst du?”

Serenity seufzte ungeduldig. “Na ja, wissen kann ich es nicht, aber ich geh mal davon aus. Er ist jedenfalls ein feiner Kerl. Er hat einregelmäßiges Einkommen und er ist kein Idiot oder ein Schuft. Das eine kann ich dir sagen: Wenn das meiner wäre, würde ich nicht riskieren, ihn zu verlieren.”

Joey lächelte. “Serenity, die Männer stehen doch Schlange vor deiner Tür. Tolle Männer, reiche Männer!”

“Das mag schon sein, aber bisher waren es leider lauter Idioten. Schlaf mit diesem Cop, dann hast du nachts zumindest Personenschutz, und obendrein noch eine ordentliche Portion Spaß.”

“Und das muss ich mir von meiner kleinen Schwester sagen lassen!”, grinste Joey, über die Worte seiner Schwester. “Aber ich muss zugeben, ich habe daran gedacht.”

“Gut! … Du hast ihn für heute Abend eingeladen, oder?”

“Jawohl.”

Serenity nahm sich wieder die Servietten vor. “Wann kommt die Gruppe?”

“Um acht.”

“Und Duke- ist ihm der Ruhm schon zu Kopf gestiegen?”

Joey lachte. “Nein, er freut sich nur wie ein kleines Kind. Er wollte unbedingt Kaviar besorgen, obwohl er ihn hasst.”

Serenity grinste, dann meinte sie: “Und du? Hey, ich bin froh, dass ich Partnerin der Wheeler Publishing Company bin. Super!”

“Vielen Dank, Ma’ am. Vielen Dank. Und demnächst werden wir ein Buch von dir veröffentlichen, einen Roman!”

Serenity lachte. “Nein danke, das wird wohl noch ein Weilchen dauern. Ich will mir mit meinem Erstling einen Riesenerfolg sichern und Milliarden Leser erreichen. Gleich ganz oben auf den Bestenlisten landen, wie unser Freund.”

“Hm. Manche Leute finden, man sollte lange und hart dafür arbeiten und viel Lehrgeld zahlen.”

“Und andere Leute heben einen Lottoschein vom Boden auf und werden über Nacht Millionär”, entgegnete Serenity. “Lass uns doch eine Flasche Sekt köpfen. Ich bin ganz kribbelig, so richtig in Sektlaune.”

Joey zuckte die Schultern. “Na gut.” Er ging noch einmal in die Küche.

“Hey!”, rief Serenity ihm nach.

“Ja?”

“Heute Abend feiern wir! Und rasten nicht wegen Dinge aus, die in Nagasaki passiert sind.”
 

Er wusste, wo er wohnte.

Er war schon ein paar mal hier gewesen.

Lange stand er da und starrte auf den Balkon. Er spürte einen leisen Hauch auf den Wangen, die Nacht, den sanften Kuss des Mondes.

Die Balkontüren standen offen. Die Vorhänge flatterten in der Briese.

Er könnte dort hinauf. Die Nacht dort droben auf sich wirken lassen. Mehr herausfinden.

Er würde aufpassen, Wache stehen.

Er schloss die Augen. Als er sie wieder öffnete, sah er, das er auf den Balkon getreten war. Seltsamerweise hatte er das Gefühl, dass er nach ihm Ausschau hielt.

Er trat zurück in den Schatten.

Joey stützte sich mit den Armen auf die Brüstung, legte das Kinn auf die Hände und starrte auf die Straße hinab. Lass mich rein, dachte er.

Joey hätte es getan.

Nein, halt dich lieber fern.

Es hatte eine Zeit gegeben, in der sein Leid und seine Wut so heftig und seine Macht so groß gewesen war, dass er alles hätte tun können. Doch er hatte sich immer zurückgehalten, er hatte die Fähigkeit bewahrt, seine Welt und sich selbst zu beherrschen. Allerdings hätte er sich damals vielleicht genommen, was er wollte: eine kleine Verlockung, eine kleine Kostprobe, nichts Schlimmes wäre passiert. Und dann rasch wieder weg.

Doch jetzt blieb er im Schatten.

Und beobachte ihn.

Er war gekommen, um… um aufzupassen. Um ihn zu beschützen. Plötzlich…

Er spürte es ganz deutlich. Ein unheilvolles Flirren.

Und dann war er sich sicher. Er schloss die Augen.

Ja. Sie waren in der Stadt. Früher hatte er jede Veränderung, jede Störung gespürt. Er hätte alle von seiner Art herbeirufen, Streit schlichten, Recht sprechen können. Sein Wort hätte ein Ende gesetzt.

Aber jetzt…

Er war frei. Bakura, und sein elender, wenn auch mächtiger Paladin Marik. Sie machten die Welt wieder unsicher. Und sie schafften es, sich vor ihm zu verstecken, trotz des Schadens, den er in jener Nacht in Schottland angerichtet hatte. Er hatte nur einen einzigen Gedanken: Er hat den Talisman gefunden, das Amulett, und ich muss es ihm wieder entreißen.

Joey Wheeler stand auf seinem Balkon und schaute in die Nacht hinaus.

Er musste weg, er musste etwas tun. Das Gefühl, dass ein Unheil drohte, wuchs und wuchs.

Warum waren sie hier, in dieser Stadt?

Er hatte nicht vorgehabt, hierher zurückzukehren, egal, wie sehr er Domino mochte. Die jüngere Vergangenheit schmerzte noch zu vielen Erinnerungen.

Seine Erinnerungen.

Was vorbei war, war vorbei- Schluss, aus. Er hatte damals seine Rolle gespielt und war weiter gezogen. Nur ganz schwach war ihm bewusst gewesen, was für eine Kraft aufs Neue aufgetaucht war. Rücksichtslos, unnachsichtig, mit eiserner Faust, mit eisernem Willen. Er hatte sich verändert und doch wieder nicht. Kein Mann konnte sich vor denen, die ihn umgaben, völlig verschließen. Er hatte viel gelernt, die Welt im Licht und außerhalb des Lichts hatte ihm alles beigebracht, was er zum Überleben brauchte.

Auch er war böse.

Aber bei allen Feuern der Hölle und Verdammnis- es gab ein Übel, dass er nicht länger frei sein Unwesen treiben lassen wollte.

Dort stand er, der japanische Junge. Joey.

Ich wünschte, ich könnte dich berühren, nur berühren, spüren.

Erinnern.

Die Unruhe wuchs, wurde immer stärker. Wenn er die Augen schloss, sich konzentrierte, seine Macht spürte…

… dann konnte er sehen…

… dass seine Feinde aktiv waren.

Die Zeit spielte jetzt eine entscheidende Rolle.

Er wandte sich ab, trat in die Finsternis.

Hin zu dem Bösen, das er nur allzu gut kannte.
 

“Habt ihr das schon gesehen?”

Tristan Taylor, Verfasser der Mister- Edgar- Krimis, der ebenfalls in dem Haus lebte, in dem auch Joey wohnte, war, mit einem Stapel Tokyoer Zeitungen bewaffnet, auf der Party aufgekreuzt. Serenity hatte versucht, ihn an der Tür aufzuhalten, doch Tristan hatte sich an ihr vorbeigedrängt.

Er schrieb “nette” Krimis, in denen ein kleiner, grauhaariger Großvater am Kamin Fälle löste. Die Leserschaft liebte diese Bücher. Tristan war ein großer, sportlicher Mann mit braunen Haaren und braunen Augen. Für sieben, seiner fünfzehn Werke gab es die Option, sie fürs Fernsehen oder sogar fürs Kino zu verfilmen, doch bislang war es noch nicht dazu gekommen. Tristan war frustriert, auch wenn es ihm nicht schlecht ging. So populär sein Romane waren und so sehr sie gerühmt wurden, so hatten sie ihm noch nicht das Vermögen eingebracht, das er für angemessen hielt. Er erklärte Duke oft genug, dass er kranke Bücher für viel zu viel Geld schreibe, während er qualitativ hochwertige, literarisch anspruchsvolle Werke für viel zu wenig Geld schaffte. Doch Duke ließ sich davon nicht beeindrucken. Er freute sich, dass er gutes Geld verdiente und auf Talkshows legte er nicht besonders viel Wert. Allerdings gab er freimütig zu, dass er gern seinen literarischen Ruf hätte, und Tristan sagte ihm im Gegenzug, dass er gern so viel verdienen würde wie er. Im Allgemeinen waren sie großartig darin, sich gegenseitig zu bedauern.

Aber jetzt ärgerte sich Duke. Schließlich sollte heute Abend auch sein Erfolg gefeiert werden, und nun sprachen alle nur über die Morde in Nagasaki- und über die, die Joey in Schottland überlebt hatte.

“Tristan, ich wollte Joey ja gar nicht sehen lassen, was passiert ist “, meinte er. “Als ich die Zeitung auf dem Tisch liegen ließ, hatte ich diese Schlagzeilen völlig vergessen.”

“Ja, ja, du alter Hohlkopf”, murmelte Serenity.

“Wie bitte?”, fragte Duke.

“Ach, egal”, sagte Joey schnell.

“Nein, nein, nein!”, meinte Tristan ungeduldig. Er stand vor ihm, die Hände in die Hüften gestemmt, sehr würdevoll, sehr majestätisch. Seine großen Augen forderten die ihm zustehende Aufmerksamkeit ein. Und Tristan war jetzt entschlossen, Joey kein Wort, das in den Zeitungen über die Morde stand, zu ersparen.

“Es ist wichtig, dass Joey alles darüber erfährt!”, meinte er empört.

“Aber warum denn?”, wollte Serenity wissen.

“Es könnten dieselben kranken Leute gewesen sein.”

“Ach Tristan…”, fing Duke an.

“Ihr lebt doch alle in eurer Fantasiewelt”, unterbrach er ihn unwirsch. “Ich hingegen beschäftigen mich mit richtigen polizeilichen Ermittlungen. Es gibt immer ein Motiv.”

“Schön und gut, aber Satanskulte gibt es auf der ganzen Welt”, gab Mai Valentine zu bedenken. Sie war hübsch und wie Duke fast immer munter und vergnügt. Bevor sie zu schreiben begann, hatte sie fünf Jahre lang als Krankenschwester gearbeitet. Ihre Anekdoten über den Kampf zwischen Familie und Beruf und die Marotten des Alltags verkauften sich ausgezeichnet. Mai konnte nichts verdrießen.

Und jetzt war sie bereit, sich gegen Tristan zu stellen. Sie wollte es nicht zulassen, dass jemand Joeys hart erarbeitete Normalität bedrohte. “Und übrigens, Tristan: Du liest die Zeitungen auch nicht gründlicher als wir. Und du bist weder ein Beamter der Mordkommission noch ein Verhaltensforscher. Jack the Ripper ist schon lange tot, Bundy genauso, aber es wird immer irgendwelche Serienkiller geben. Domino wurde vor gar nicht langer Zeit von einem Monster heimgesucht. Es sind bestimmt nicht dieselben, und sie sind bestimmt auch nicht alle hinter Joey her.”

“Habe ich denn so etwas behauptet?”, fragte Tristan.

“Na ja, mehr oder weniger”, meinte Tea Gardner. Sie hatte schon einige Artikel und Geschichten in Zeitschriften veröffentlicht, aber ihren Roman hatte sie bislang noch nicht verkaufen können.

Sie arbeitete ein paar Stunden die Woche in der Pathologie. Im Moment eine gute Empfehlung.

“Ich habe nichts dergleichen behauptet, Tea Gardner”, entgegnete Tristan fest, blickte sie jedoch freundlich an und lächelte. Sie hatte Tristan schon oft geholfen, und offenbar machte es ihr nichts aus, von ihm ausgenutzt zu werden. Sie mochte ihn und war gern mit ihm zusammen. Warum er gern mit ihr zusammen war, spielte für sie keine Rolle.

“Nun komm schon, Tristan, ehrlich, wir können alle lesen, und wir wissen alle, was passiert ist. Du machst Joey doch nur Angst”, meinte Duke.

“Wissen macht mir keine Angst”, sagte Joey. “Etwas nicht zu wissen, ist viel beängstigender.”

“Aber es besteht doch bestimmt gar keine Notwendigkeit, mehr über Nagasaki in Erfahrung zu bringen”, meinte Valon, Mais Mann, der mit dem gleichen sonnigen Gemüt gesegnet war wie sie. “Joey, du bist hier in deiner Heimatstadt und in deiner Wohnung.”

“Und wir sind bei dir”, fügte Mai hinzu.

“Junge, Junge, wenn er da nicht sicher ist”, meinte Serenity sarkastisch.

“Immer mit der Ruhe!”, versuchte Tristan zu beschwichtigen. “Joey hat recht, und Joey ist vernünftig. Gefahr erkannt, Gefahr gebannt, sag ich immer.”

“Jawohl, das tust du, die ganze zeit und in jedem Buch”, stellte Duke fest.

Tristan bedachte ihn mit einem vernichtenden Blick. “Na gut, aber lasst Joey wenigstens diesen einen Artikel lesen”, beharrte er. “Danach halte ich den Mund. Er kann dann selbst entscheiden, ob er sich Sorgen machen sollte oder nicht. Wisst ihr, ich habe einen Freund mit einer riesigen Bulldogge, einem Pitbull. Ein richtig bösartiges Vieh.”

“Nicht alle Pitbulls sind bösartig”, protestierte Duke.

“Aber der schon. Und der würde wahrscheinlich aus jedem von uns Hackfleisch machen, mein Lieber”, meinte Tristan.

“Tristan, Duke, bösartig oder nicht, ich werde mir keinen Pitbull anschaffen”, warf Joey ein.

“Jou”, bemerkte Valon, “diese kleine mit Käse gefüllten Windbeutelchen sind köstlich. Hast du die gemacht?”

“Nein, sie kommen aus dem Restaurant an der Kreuzung, Richtung Stadtzentrum.”

“Wow!”

Wieder seufzte Tristan tief auf.

“Zur Hölle mit den Windbeutelchen! Joey, ich halte das für ausgesprochen wichtig, lies es!”

Joey zog eine Braue hoch. Die anderen verstummten. Er nahm die Zeitung, auf die Tristan gedeutet hatte.

Dann las er den Artikel. Ein kühler Bericht, überhaupt nicht sensationslüstern, fast schon kalt. Blut und Eingeweide, Horror und Terror- eiskalt. Die Fakten, nur die Fakten. Und dann fiel sein Blick auf das, was ihm Tristan unbedingt hatte zeigen wollen: die Aufzählung der Opfer.

Und der Name Shuichiro Oji. Er schien ihn richtig anzuspringen, laut zu schreien.

“Shuichiro Oji!”, sagte er tonlos. Er erinnerte sich noch gut an ihn, den Jungen mit den extrem breiten Schultern, der sich ziemlich gut in Geschichte ausgekannt hatte. In jener Nacht hatte er kaum den Mund aufgemacht. Joey erinnerte sich an sein Gesicht, seine Augen, seinen Gang.

Er hatte jene Nacht in Schottland überlebt. Auch ihn hatte man damals, in ein Leichentuch gehüllt, zwischen den Gräbern gefunden.

Und wieder hatte man ihn zwischen Gräbern gefunden. In Nagasaki.

Nur diesmal…

… hatte sein Kopf gefehlt.
 

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(1) mir ist kein andere Name eingefallen… egal… hab auch kein Plan ob die Grammatik stimmt!
 

(2) vorläufig der Name der Zeitungen, wird aber noch geändert!!!
 

(3) doofer Titel, ich weiß….
 

(4) Joey kann hier sehr gut kochen!!!
 

(5) Feuilleton= Kulturteil einer Zeitung
 


 

Ich hoffe es hat euch gefallen. Mal sehen wie lang ich am 2. Kapitel schreibe…

Bis bald…
 

Eure Ice- Queen
 

PS: Ich bitte um Kommis! :-)

Kapitel 2

Kapitel2
 

Juuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuhhhhhhhuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuu!!!!!!!
 

Endlich, endlich… Ich hab’s geschafft!

I’ m back in blue. (Meine derzeitige Klamotten Auswahl)

Sorry das es so lange gedauert hat, doch ich hatte zwei “kleine” Computerprobleme. Sie kamen in Form von zwei 53 jährigen Mitbewohnern…

Kurz… meinen Eltern!

Das ist halt das Problem, wenn man immer noch keine neue Festplatte für den zweiten PC hat… *heul*

Aber was soll’s…

Jetzt bin ich ja wieder da und kann euch mit einem neuen Kapitel erfreuen!!! *smile*

Als erstes möchte ich mich bei meinen Kommi Schreibern bedanken! Sind zwar leider nur zwei geworden *schnief*, aber besser als gar keiner!!!

Und als zweites möchte ich euch bitten mir weiter Kommis zu schreiben, auch mit Verbesserungsvorschlägen. (wenn welche gibt!)

Sooooooooo… was noch??? Hmmm….
 

Lange Rede, kurzer Sinn:

Ich hoffe euch gefällt das Kapitel, genauso wie die Anderen.
 

Viel Spaß beim lesen, des neuen Kapitel, wünscht euch…
 

Eure Ice- Queen
 

Kapitel 2:
 

Ishizu kam an diesem Abend erst spät aus dem Restaurant, es war schon längst dunkel.

Meistens arbeitete sie morgens, ab und zu auch über die Mittagszeit; an diesem Tag aber hatte sie zum ersten Mal noch beim Abend- Ansturm ausgeholfen, denn zwei andere Mitarbeiter hatten sich krank gemeldet. Ishizu musste deswegen zwar eine Vorlesung ausfallen lassen. Aber sie brauchte das Geld nötiger als den Unterricht, weil sie ihr Studium mit einem kleinen Stipendium und dem, was sie dazuverdienen konnte, finanzieren musste.

An ihrem letzten Tisch hatte ein Mann gesessen, nicht mehr richtig jung, auf jeden Fall älter als ein Student, aber auch nicht richtig alt. Er trug schwarze Jeans und eine schwarze Jeansjacke und, obwohl es schon dunkel wurde, eine Sonnenbrille. Als sie ihm seinen Wein gebracht hatte, war der ein wenig übergeschwappt, doch er hatte netterweise nur gelächelt und den Tropfen von der Hand geleckt.

“Entschuldigung!”

“Schon in Ordnung.”

“Danke.”

“Übt ihr Boss Druck auf Sie aus?”, fragte er.

“Nein, sie sind alle sehr anständig hier. Aber natürlich kommt es nicht gut, wenn ein Gast sich beschwert.”

“Das kann ich mir vorstellen. Hey, wissen Sie, ob es hier irgendwo ein Theater gibt, dass Schauspieler sucht?”

“Hmmm… es gibt nur eins, aber ob die welche suchen weiß ich nicht! Da müssten Sie selber fragen, ob das Domino Theater noch jemanden sucht.”

“Ja, das müsste ich wohl. Sie können mir meine Rechnung bringen. Sie sehen ziemlich müde aus. Sie wollen doch bestimmt auch Schluss machen und ich bin der Letzte.”

“Das haben sie bemerkt?”, fragte sie erstaunt.

“Ja.”

“Ich hatte nicht vor, die Gäste rauszuekeln.”

“Das haben Sie auch nicht. Sie waren sehr hilfreich.”

“Ach so, das Theater…

“Ja.” Er zuckte mit den Schultern. “Ich bin Schauspieler, aber momentan ohne Engagement. Es wäre schön, einen Job beim hiesigen Theater zu bekommen. Vielleicht kann ich ein paar dramatische Stücke spielen…

Aber jetzt bringen Sie mir lieber meine Rechnung, damit Sie hier rauskommen.” Er lächelte breit. “So soll ich Sie heimfahren?”

“Nein! Vielen Dank. Das ist sehr nett von Ihnen, aber nicht nötig.”, sagte sie schnell. Er war ja ganz nett, aber sie war nicht so naiv, sich von Fremden heimbringen zu lassen.

“Schon gut, blöde Frage”, meinte er, nahm die Rechnung in Empfang und drückte ihr Geld in die Hand. “Dann bis Bald!”

“Danke”, sagte Ishizu.

“Er stand auf und ging. Sie merkte, dass er ihr sehr viel Geld gegeben hatte. Sie drehte sich um, weil sie sich bedanken wollte.

Doch er war schon weg!

Zweimal an diesem Tag hatte sie großes Glück bei Männer gehabt.

Das dachte sie zumindest.

Als sie gehen konnte, war auf den Straßen nicht mehr viel los.

Das Problem war nur, dass sie einen ziemlich langen Heimweg hatte. Leider konnte sie nicht in der Nähe des Restaurants parken, den es war sehr eng hier. Und an einen Tiefgaragenplatz war nicht zu denken. Sie musste die geschäftige Einkaufsstraße jeden Tag hinter sich lassen und ein paar dahinter liegende Straßen durchqueren.

Heute hatte sie das Auto ziemlich weit weg parken müssen!

Im Mondlicht wirkten die jetzt verlassenen Straßen, richtig unheimlich.

Mondlicht, dass mit den Schatten spielte.

Der Himmel war heute etwas bewölkt. Ab und zu waren die Straßen völlig dunkel.

Ishizu hatte etwa die Hälfte des Weges zu ihrem Auto zurückgelegt, als sie die Schritte hörte. Nicht ihre eigenen. Deren rasches, rhythmisches Echo hatte sie von Anfang an vernommen.

Sie drückte ihre Handtasche fest an die Brust. Toll. Sollte sie etwa an dem ersten Tag, an dem sie richtig gut verdient hatte, überfallen werden? Die beiden allein stehenden Typen, der erste am Morgen, der zweite der letzte Gast am Abend, waren fast schon übertrieben großzügig gewesen. Der Erste hatte eine Tasse Kaffee mit einem 1000 Yen- Schein bezahl!

Nachdem sie den ganzen Tag auf Achse gewesen und sich die Absätze schief gelaufen hatte, hatte sie etwa 5000 Yen in der Tasche. Gutes Geld, Geld, das sie dringend brauchte.

Klack, Klack. Sie wirbelte herum und versuchte zu sehen, wer sie verfolgte.

Dein Leben ist mehr wert als alles Geld der Welt!

Die Worte ihrer Mutter klangen ihr in den Ohren. Sie biss sich auf die Unterlippe. Ihre Mutter hatte recht. Ihr war nie klar gewesen, wie recht sie hatte- bis zu diesem Moment.

Sie lief schneller.

Wieder vernahm sie die Schritte. Wieder wirbelte sie herum. Und wieder zurück.

Dort…

Hinter ihr! Schwarze Schatten.

Nein! Da, vor ihr! Ein fliegender Schatten. Nein, das war das Mondlicht, das ihr einen Schrecken einjagen, ihr einen Streich spielen wollte…

Doch dann…

Klack, klack, klack- das Geräusch von Schritten, Verstohlen. Bedrohlich.

“Hey!”, schrie Ishizu. “Ich habe Pfefferspray dabei!”

Pfefferspray? Albern, oder?

Ein Lachen…

Hatte sie jemanden lachen hören, oder war es nur ein gespenstisches Echo in ihrem Kopf?

Sie strengte sich an, etwas zu erkennen.

Wirbelte wieder herum.

Dort war niemand.

Schatten, Lachen, Schritte…

Sie begann zu rennen.

Und das Klack, Klack, Klack wurde ebenfalls schneller und schneller. Der Schatten… baute sich vor ihr auf wie ein Dach über ihrem Kopf. Und dann…

… packte sie jemand… und sie schrie.
 

Yami Muto kam spät, und er sah müde aus, wie Joey sofort bemerkte.

Offenbar hatte er den Artikel in der Zeitung gelesen. Sein Blick viel fragend auf Joey.

Er wusste, was in Schottland passiert war, und nahm an, dass Joey beunruhigt war.

Aber er wurde an der Haustür nicht von Joey begrüßt, sondern von einem ganzen Knäuel von Leuten. Alle Partygäste, die ganze Donnerstagsgruppe, stand da und beobachtete ihn.

Er stand auf der Schwelle und hob die Brauen, dann blickte er zu Joey und lächelte. Yami war wirklich der Typ, der Herzen schmelzen ließ, ein Mann mit allem, was Man(n) sich wünschen konnte. Ja, wirklich mit allem!, gab sich Joey fast ein wenig ärgerlich zu bedenken. Natürlich freute er sich, ihn zu sehen, aber gleichzeitig freute er sich auch wieder nicht. Er hatte alles, was Joey sich in seinem leben wünschte, und doch hatte er das merkwürdige Gefühl, als wäre eine Beziehung mit Yami wie ein Verrat an einem anderen. Aber an wem? Er wusste es nicht. Aber vorhin, auf dem Balkon, hatte er eine seltsame Empfindung gehabt: Ihm war es vorgekommen, als berührte ihn jemand. Der Windhauch war fast unerträglich sinnlich gewesen. Ja, ich warte…

Fast hätte Joey diese Worte dort draußen laut gesagt. Doch dann hatte Serenity nach ihm gerufen, und er war sich idiotisch vorgekommen.

“Komm rein, wenn sie dich reinlassen”, meinte er und lächelte Yami an.

Auch Yami grinste. (1)

“Hi, Leute!”

“Nichts mit Hi, Leute!”, meinte Tristan sofort streng. “Ich weiß, dass du Cop bist und lesen kannst, auch zwischen den Zeilen. Diese Schätzchen hier verharmlosen alles, was ich sage. Und Joey hat Angst…”

“Na, ja, eigentlich,… nicht”, murmelte Joey.

“Er wird noch völlig ausrasten, wenn Tristan so weitermacht”, kommentierte Serenity trocken.

“Er muss unbedingt aufpassen”, meinte Tristan.

“Hey, wie wär’s mit einem Schluck Sekt, Yami? Wir haben heute was zu feiern”, erinnerte ihn Duke.

“Sekt? Klar, warum nicht?”, meinte Yami. “Herzlichen Glückwunsch, Duke. Du kommst ja richtig groß raus.”

“Also, was meinst du, Yami?”, fragte Serenity.

Er warf einen zögernden Blick auf Joey, dann zuckte er die Schultern. “Ich meine, dass Nagasaki ziemlich weit weg ist.”

“Unter den Mordopfern war einer, der Schottland überlebt hat”, sagte Joey. “Shuichiro Oji.”

“Hey”, warf Duke plötzlich ein. “Vielleicht ist es ja nur der selbe Name und nicht derselbe Typ.”

“Es passieren manchmal die komischsten Sachen!”, erklärte Mai Valentine. “Wir- Valon und ich- haben vor kurzem einen Artikel über eine Frau gelesen, die vier Zugunglücke überlebt hat. Beim fünften ist sie dann gestorben. Ich mein ja nur- solche Dinge passieren tatsächlich.”

“Wie alt war denn der Typ, den du in Schottland getroffen hast, Joey?”, fragte Jenny nach einer kurzen Pause.

“Zweiundzwanzig, dreiundzwanzig vielleicht.”

Tristan nahm die Zeitung zur Hand. “Na, das trifft sich ja gut: Der Knabe hat seinen Kopf rein zufällig im Alter von dreiundzwanzig Jahren verloren.”

“Ich kann das alles überprüfen lassen”, sagte Yami. “Wir brauchen nicht hier rum zustehen und zu spekulieren.”

Alle starrten ihn an.

Er räusperte sich. “Später, meine ich. Heute Abend feiern wir eine Party, oder?”

“Richtig. Auf den Erfolg!”

Serenity kam mit einem Sektglas. “Also dann: Sekt für den Cop!”

”Nett von Ihnen, My Lady, vielen Dank!”

“Es war mir ein Vergnügen. Auf Joey und Duke!”

“Auf Schauer und Grusel und auf den Erfolg”, meinte Mai zu Duke. “Und auf die Geschichte und auf die großartigen Kathedralen und Kirchen. Auf unsere Freunde!”, fuhr sie fort und prostete erst Duke und dann Joey zu.

“So ist es!”, rief Tea. “Macht mich zu eurem Lehrling und teilt mit mir, dass Geheimnis des Erfolges!!!”

“Wie könnt ihr nur so herumalbern, wenn etwas Schreckliches passiert ist!”, rief Tristan. “Und du, Yami! Du bist doch ein Polizist.”

Yami holte tief Luft, dann betrachtete er Tristan mit festem Blick. “Ganz genau, ich bin Polizist. Ich sehe und höre jeden Tag schreckliche Dinge. Du solltest weiterleben und dein Leben genießen, denn du weißt nicht, wann es zu Ende sein kann.”

“Ach so, da fällt mir ein…”, meinte Yami anschließend noch. “Ich muss heute Abend noch mal für ein paar Stunden Arbeiten.”

“Warum?”, fragte Joey. Nein, das kann doch nicht sein Ernst sein!

“Heute Abend ist ein schlimmer Unfall passiert. Ich muss noch in die Gerichtsmedizin, um mehr über die Studentin herauszufinden, die zu Schaden kam.”

“Eine Studentin?”, fragte Joey leise.

“Ja. Ich muss herausfinden, ob Drogen im Spiel waren, und mich um die Angehörigen kümmern…”

“Wie schrecklich”, meinte Tea.

“Bitter”, fügte Duke hinzu.

“Tja, wie schon gesagt…”

“Ich glaube, ich muss mal an die frische Luft”, meinte Joey. Er zog Yami mit auf den Balkon. Dort lehnte er sich mit dem Rücken an die Brüstung und blickte hinauf zu den Sternen am Himmel, die gerade nicht von Wolken verdeckt wurden.

Der Mond stand hoch am Himmel. Es war eine wundervolle Herbstnacht, nicht kalt, nur ein wenig kühl.

Yami lehnte sich neben ihn und sah ihn in die Augen. “Geht es dir wirklich gut?”

“Diese Nachrichten haben mich schon etwas beunruhigt.”

“Ja. Eine ziemlich bizarre Geschichte. Weißt du, Joey- es könnten tatsächlich dieselben Leute sein. Man hat sie nie wegwischt.”

“Ein ziemlich weiter Weg, oder?”

“Es gibt ziemlich verrückte Sekten, das weißt du ja. Und wenn jemand mit viel Vermögen, solche Leute unterstützt… oder wenn jemand mächtiges hinter ihnen steht…”

“Und es ist wieder auf einem Friedhof passiert.”

“Ja.” Yami beobachtete Joey. “Du gehst vorläufig doch nicht auf Friedhöfe, oder?”

“Na ja, zur zeit nicht, aber manchmal halte ich mich schon dort auf. Wenn man über historische Kathedralen oder Kirchen schreiben will, muss man ab und zu über Friedhöfe gehen. Aber am Tage bin ich dort, Nachts nein. Mit Sicherheit nicht mehr! Glaubst du wirklich, es könnten dieselben sein?”

“Ich weiß es nicht. Aber die Möglichkeit besteht.”

“Das mit Shuichiro Oji ist völlig verrückt. Wenn er es wirklich ist.”

“Du hast mir doch erzählt, dass die Leute damals alles Studenten waren, weißt du noch? Mitglieder von Studentenverbindungen, Raucher, Drogenkonsumenten, Witzbolde.”

“Sie waren noch jung. Jung und wild”, erklärte Joey.

“Leider sind die Jungen nicht gegen Unheil gefeit, auch wenn sie das manchmal glauben.”

“Musst du heute Abend wirklich noch mal zur Arbeit?”

“Ja, leider!” Er stöhnte auf. Dann wollte er das Sektglas auf der Brüstung abstellen, doch es fiel ihm aus der Hand und zersprang.

Yami fluchte.

Joey lachte. Drinnen hatte jemand Musik angemacht, und es wurde gelacht. Die Party ging ohne sie weiter.

Bestimmt hatte Serenity dafür gesorgt, dass ihnen niemand folgte.

“Dein schönes Glas”, meinte Yami bedauernd.

“Es ist doch nur ein Glas”, beruhigte Joey ihn.

“Stimmt, zum Teufel damit”, murmelte er und zog Joey in die Arme. Er fuhr ihm durch die Haare, presse ihn an seinen warmen, harten Brustkorb. Joey spürte sein Herz pochen, spürte, dass es schneller zu schlagen begann. Yamis Finger bewegten sich, sein Mund fand Joeys. Sie hatten sich schon früher geküsst, schon früher berührt. Er war gut. Hart, fordernd, sinnlich…

Joey erwiderte den Kuss, schmiegte sich an ihn, war bereit, wartete, wollte…

… seine Erregung spüren.

Sie ließ auf sich warten.

Sie hätte kommen sollen. Verdammt sie hätte…

Es war ihm egal. So oder so, heute Abend würde es passieren.

Yami rückte ein wenig von ihm ab und betrachtete ihn verlangend. Joey spürte einen kalten Luftzug auf seinen feuchten Lippen. Auch sein Herz pochte heftig. Er blickte Yami in die Augen. Bitte, lieber Gott, lass ihn nicht sehen, dass da nichts ist. Lass ihn nicht wissen, dass ich ihm mit einer Lüge antworte, dass ich im Begriff bin, den Verstand zu verlieren, dass ich…

“Komm zurück, wenn du fertig bist”, sagte er.

“Es könnte ziemlich spät werden.”

“Egal.”

“Vielleicht erst im frühen Morgengrauen. Und eigentlich sollte ich nicht mit dir zusammen sein. Ich hätte dich gar nicht küssen dürfen. Irgendetwas steckt mir in den Knochen.”

“Eine Erkältung?”

“Wahrscheinlich. Ich bin ziemlich fertig. Richtig müde.”

Er zuckte verlegen mit den Schultern. “Irgendwie kriege ich es nicht recht los, aber ich…”

“Es ist mir egal, ob du eine Erkältung hast.”

“Ich würde dich nicht gern…”

“Das Risiko nehme ich auf mich.”

“Und es macht dir wirklich nichts aus, wenn ich erst sehr spät komme?”

“Ich gebe dir einen Zweitschlüssel.”

“Okay, klingt gut.”

“Gib mir einen Abschiedskuss.”

“Ich sollte das nicht…”

“Ich lebe das Risiko!”

Yami grinste. Dann küsste er Joey noch einmal. Es war bewegend, leidenschaftlich. Seine Berührungen hier, auf dem Balkon, waren fast schon unanständig.

Er schnaufte ihm ins Haar. “Ich glaube, ich muss jetzt los. Und ich versuche, so früh wie möglich wieder da zu sein.”

Joey nickte benommen. Hand in Hand kehrten sie zu den anderen zurück. Serenity hatte für Musik gesorgt. Sie versuchte gerade, Duke das Tangotanzen beizubringen. Tea saß in einem großen alten Sessel und erteilte Anweisungen. Mai und Valon kicherten und strengten sich an, die Schritte hinzukriegen.

Als Tea Yami und Joey sah, sprang sie auf.

“Joey, ich habe darauf gewartet, dass ihr wieder reinkommt. Ich wollte mich noch bei dir bedanken und verabschieden.”

“Musst du auch schon los?”, fragte er.

Sie nickte und blickte auf Yami.

“Ich bin angefunkt worden. Sie brauchen noch Unterstützung in der Gerichtsmedizin.”

“Ach so.”

Die Tangomelodie endete abrupt, als Serenity den CD- Player ausmachte.

“Nun, heute ist Freitag, ein ganz normaler Werktag”, meinte Valon. “Ich glaube, auch wir sollten langsam aufbrechen. Was meinst du, Süße?

“Wahrscheinlich schon”, erwiderte seine Frau. “Vielen dank für die Einladung, Joey.” Lächelnd trat sie vor, umarmte Joey und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. “Nochmals herzlichen Glückwunsch! Und genieß den Augenblick. Zerbrich dir nicht den Kopf über die Vergangenheit oder über irgendwas Böses.”

Sie bedachte Tristan mit einem strengen Blick.

“Gute Nacht, ihr Lieben”, meinte Tea, holte ihre Jacke von der Garderobe im Flur und ging.

Yami folgte ihr. “Am besten fahre ich gleich zusammen mit Tea”, erklärte er Joey. Er küsste ihn flüchtig, hielt inne, küsste ihn ein weiteres Mal.

Dann ging er grinsend hinaus.

Joey war sicher, dass seine Schwester es gesehen hatte.

Mai und Valon gingen ebenfalls. Dann beschloss Tristan offenbar, dass er den Abend mit einer Gruppe spatzenhirniger, dummer Menschen verbracht hatte, und verkündete, dass er ebenfalls gehen wollte.

“Tja, dann zieh ich wohl auch los”, meinte Duke. “Es war eine tolle Party, Joey. Vielen Dank- eigentlich uns beiden.” Er umarmte ihn und drückte Joey einen Kuss auf die Wange.

“Hey, nimm doch den Kaviar mit”, schlug Serenity vor und schnitt eine Grimasse.

“Du kannst ihn zu mir rüberbringen, ich finde das Zeug nicht schlecht”, schlug Tristan vor.

“Ach ja? Soll ich das als Einladung verstehen?”, fragte Duke.

“Immer mit der Ruhe, ich wohne ja gleich nebenan”, meinte Tristan. Duke stand unschlüssig da. Tristan seufzte. “Ja, ich lade dich zu mir ein. Bring den Kaviar mit. Hey, Joey, können wir uns noch eine Flasche Sekt nehmen?”

“Na klar, nur zu und viel Spaß”, sagte dieser und verkniff sich ein Grinsen.

Doch sobald die beiden draußen waren, sahen Joey und Serenity sich an und prusteten los.

“Pssst!” Joey legte seiner Schwester die Hand auf den Mund. “Sonst hören sie dich noch.”

“Dann musst du aber auch ruhig sein!”

Einen Moment lang rissen sie sich zusammen, doch dann prusteten sie wieder los. Serenity griff sich eine Sektflasche und nahm einen tiefen Schluck, dann reichte sie diese an Joey weiter, der ihrem Beispiel folgte. Schließlich ließen sie sich auf das Sofa fallen und tranken weiter abwechselnd aus der Flasche.

“Er nimmt sich immer so wahnsinnig wichtig”, meinte Serenity.

“Wer? Tristan?”

“Wer denn sonst?”

“Er kann eben nicht anders. Offenbar fühlt er sich von uns nicht ernst genommen.”

“Aber woher kommt das? Die Leute loben ihn doch ständig und er ist so bekannt wie sonst keiner aus unserer Gruppe.”

“Weil er in Talkshows auftritt.”

“Stimmt.”

“Aber wie viele Leute kennst du, die seine Bücher tatsächlich gelesen haben?”, fragt Joey leise.

“Na, irgendwer wird sie schon kaufen.”

“Sicher werden sie verkauft, aber eben nicht im großen Stil. Richtig reich wird er damit nicht.”

Serenity hob die Sektflasche hoch. “In der Welt der Literatur wird keiner danach beurteilt, wie viel Geld er verdient, mein Lieber!”, meinte sie, Tristan perfekt imitierend.

“Was im Klartext bedeutet, dass er mehr Geld will. Jedenfalls ist das meine Vermutung.”

“Warum gibt er es nicht einfach zu?”

“Keine Ahnung. Aber ich nehme an, wir alle möchten so manches, was wir nicht zugeben.”

“Ich habe kein Problem damit, zuzugeben, was ich will”, meinte Serenity.

“Und das wäre?”

“Einen anständigen Mann.”

Sie blickte auf ihren Bruder und grinste ihn breit und fröhlich an. “Früher wollte ich einen fantastischen Mann, jetzt nur noch einen anständigen. Im Laufe der Zeit gibt man sich mit immer weniger zufrieden. Ist das nicht traurig?”

“Serenity, du bist gerade mal vierundzwanzig!”

“Fünfundzwanzig, im nächsten Monat.”

“Das ist kein Alter!”

“Stimmt. Aber ich will leben, solange ich jung Bin, solange ich die Energie habe, jede Sekunde zu genießen!”

“Serenity…”

“Ich will jemanden kennen lernen, mich verlieben, heiraten und Kinder haben, bevor ich dreißig bin. Schön, bis dahin habe ich noch ein bisschen Zeit. Aber ich lerne nicht mal einen netten Kerl kennen, mit dem ich ausgehen möchte. Wie soll ich da die Liebe meines Lebens finden, den Mann, den ich wirklich heiraten will? Natürlich könnte ich auch irgendeinen heiraten, Kinder kriegen und mich wieder scheiden lassen, den Idioten loswerden. Das ist heutzutage offenbar modern. Oder vielleicht lässt mich der Idiot auch sitzen. Aber hey- du hast den perfekten Mann an der Hand! Und er kommt heute noch zurück, oder?

“Ja. Aber spät.”

“Na gut, dann geh ich jetzt lieber.”

“Aber er ist doch noch gar nicht da.”

“Na, vielleicht stellst du schon mal den Sekt kalt.”

“Eigentlich steht er mehr auf Bier.”

“Dann stell ein paar Biere kalt. Aber gönn dir auch ein schönes Bad und mach dich fein.”

“Genau das hatte ich vor.”

Serenity war schon auf den Weg nach draußen. Joey stand auf, um sie an die Tür zu begleiten. Serenity drückte ihm einen Kuss auf die Wange und umarmte ihn. Dann sah sie ihm tief in die Augen.

“Stimmt etwas nicht?”

“Warum? Nein!”

“Hast du Angst?”

“Wovor denn? Wenn du diese Nagasaki Geschichte meinst, nein. Es geht mir gut. Wirklich.”

“Na klar. Dein Cop kommt zurück.”

“Hm.”

“Er ist etwas ganz Besonderes.”

“Ich weiß.”

Serenity musterte ihn noch einmal forschend. Joey hatte das Gefühl, dass seine Schwester lesen konnte, was in ihm vorging, dass sie spürte, dass…

… dass Joey nichts spürte. Dass er sich nur verzweifelt bemühte, die Beziehung zu Yami zu vertiefen.

Er lächelte breiter. “Danke, Schwesterherz! Danke für alles!”

“Ich danke dir! Und ich kann es kaum erwarten, morgen mit dir zu reden. Ruf mich an, sobald du wieder allein bist. Versprochen?”

“Versprochen.”

Er schloss die Tür hinter Serenity und lehnte sich lange dagegen. Schließlich sperrte er ab und machte sich ans Werk.

Er stellte zwei Flaschen Bier in den Kühlschrank. Dann ging er ins Bad, entschlossen, sich ein schönes, langes Bad zu gönnen.

Heißer Dampf stieg auf, während er sich langsam in die Wanne gleiten ließ. Er schloss die Augen und lehnte sich zurück. Die Hitze drang in seinen Körper. Stille umfing ihn. Er spürte die Stille fast körperlich, sie umgab ihn weich und glatt wie das Wasser. Süß, sinnlich, wie eine Liebkosung. Das Wasser war herrlich, beruhigend, verführerisch. Fast schlief er ein, begann zu träumen. In diesem Traum trat eine Gestalt durch den Nebel und den Dampf auf ihn zu.

Hier bist du also, im Wasser.

Ich bin hier.

Ich komme.

Ich warte…

Er sagte die Worte nicht laut, sie waren nur ein Teil seines Traumes. Aber er sah ihn, den Geliebten, auf den er wartete. Er bewegte sich geschmeidig, zuversichtlich, wie eine Katze, eine muskulöse, agile, drahtige, herrliche Katze.

“Komm, ja, komm zu mir…”

Joey zuckte zusammen, erschrocken über sich selbst, denn diese Worte hatte er laut gesprochen.

Das Wasser wurde kühler. Der Dampf hatte sich aufgelöst.

“Ich ertrinke noch in dieser Wanne”, knurrte er verärgert. “Herr im Himmel, Joey, was ist nur los mit dir?”

Er richtete sich auf, stand auf, trocknete sich mit einem großen Frotteetuch ab und hüllte sich darin ein. Sein Blick fiel auf sein Spiegelbild über dem Waschbecken. Er sah bleich aus.

“Ist mir so komisch, weil ich Angst habe?”, flüsterte er seinem Spiegelbild zu.

Aber er hatte keine Angst, jedenfalls keine, die an Panik grenzte. Mit diesem Gedanken öffnete er die Tür zum Schlafzimmer. Er war froh, dass er das Licht dort hatte brennen lassen. Nichts. Dann ging er ins Wohnzimmer, in die Küche, in das zweite Schlafzimmer, das er zum Büro umfunktioniert hatte.

Schließlich trat er an die Balkontür und dachte nach.

Ja, er hatte sie zugemacht und auch verschlossen, als Serenity gegangen war.

Er rüttelte daran. Ja, sie war noch verschlossen.

Auch die Eingangstür war zugesperrt.

Yami hatte einen Schlüssel.

Seufzend ging er ins Schlafzimmer und schaltete den Fernseher ein. Auf einem Sender lief ein alter Western mit Clint Eastwood. Er hörte mit halben Ohr zu, während er sich eine enge, heiße, alles gut betonende Boxershorts anzog. Perfekt. Er kämmte sich seine blonden Haare, putzte sich die Zähne und kroch mit den Vorsatz ins bett, Clint Eastwood zuzuschauen. Er war ein sehr guter Schauspieler.

Doch seine Lieder wurden schwer. Er war an diesem Morgen sehr früh aufgestanden. Der Tag war lang gewesen.

Es war schon ziemlich spät…

Ich muss unbedingt wach bleiben!, ermahnte er sich. Er hatte Yami zwar den Schlüssel gegeben, aber…

Diese Nacht war wichtig. Sie war wirklich wichtig. Er musste unbedingt wach bleiben, ihn begrüßen, ihn verführen, ihn kennen lernen, den Mann, mit dem er vielleicht den Rest seines Lebens verbringen würde.

Irgendetwas hatte nicht gestimmt.

Aber es würde gut werden. Er würde dafür sorgen.

Trotzdem war er müde. Schrecklich müde.

Konzentriere dich auf den Wester!, befahl er sich.

Der Western. Clint Eastwood war großartig, seine Partnerin die perfekte Ergänzung…

Ihm fielen die Augen zu. Zu viel Sekt.

Oder nicht genug…

Nicht einschlafen… nicht einschlafen…
 

Tea war an die Pathologie gewöhnt.

Domino konnte ein ziemlich hartes Pflaster sein.

Es störte sie nicht, dass man sie so spät noch gerufen hatte. Sie kannte sich aus in ihrem Handwerk, befolgte die Anweisungen des Pathologen, hatte das richtige Instrument zur rechten Zeit parat.

Es lastete nicht der Druck auf ihr, möglicherweise einen tödlichen Fehler zu machen.

Sie war gut in ihrem Job, aber es war auch wirklich nur ein Job für sie. Sie brauchte das Geld, und es war ihr egal, wenn es einmal zu später Stunde Arbeit gab, weil etwas so schrecklich war, dass es nicht aufgeschoben werden konnte, oder jemand meinte, er habe zu viele Fälle am Hals und müsse endlich vorankommen.

Tea hatte alte Menschen gesehen, manche von ihnen so friedlich, als schliefen sie, andere verzerrt vom letzten Schmerz ihres Herzinfarktes oder vom Krebs und Emphysemen (2) verwüstet.

Sie hatte Kinder gesehen, was immer traurig war.

Säuglinge. Einige von ihren Eltern so heftig geschüttelt worden, dass sie gestorben waren.

Mordopfer: Ehemänner, denen das Messer noch im Bauch steckte. “Die Todesursache festzustellen ist hier wohl kein Problem, stimmt’ s Doc?” Ehefrauen, die grün und blau geprügelt worden waren. In den drei Jahren, die Tea in diesem Job arbeitete, hatte sie alles gesehen.

Nein.

Als man das Laken von dem Unfallopfer wegzog, hätte sie sich fast übergeben.

Von wegen, alles gesehen. Nichts hatte sie gesehen, noch gar nichts!

Bis zu diesem Moment…
 

Joey wurde sich langsam bewusst, dass sich in seiner Umgebung etwas verändert hatte. War er aufgewacht? Wenn ja, dann wusste er im ersten Moment nicht, warum. Der Raum um ihn herum blieb dunkel, nur vom Fernseher drang ein wenig Licht herüber. Der Western war zu Ende.

Seufzen, Flüstern drangen an sein Ohr. Ein Mann und eine Frau liebten sich.

Nebel erfüllte den Raum. Er lag inmitten des Nebels, war eingehüllt davon, weich und warm. Der Nebel umgab ihn wie Seide. Er hörte Musik, ein Geräusch, so leise, dass es auch aus ihm hätte dringen können, wie der Rhythmus seines Pulsschlages. Er hatte auf ihn gewartet. Ja.

Und er war da. Neben ihn.

Joey spürte, wie er ihn berührte, spürte sein Gesicht auf seinem Körper, seinen Atem auf seiner Haut. Es war etwas unglaublich Sinnliches an der Art, wie er Joeys Duft, seinen Geschmack in sich aufnahm. Seine Finger streiften Joeys Körper nur ganz leicht.

Joey schmiegte sich an ihn, staunte, dass es so leicht war, wunderte sich über die Stärke seines eigenen Verlangens. Sein Körper spannte sich, schmerzte, brannte.

Seine Finger bewegten sich, waren wie flüssiges Feuer, berührten Joey, streichelten ihn, verführten ihn unendlich langsam…

“Du bist da”, flüsterte Joey.

“Sollte ich?”

“Ich habe dich eingeladen.”

“Ja, du hast mich eingeladen. Ich hätte nicht kommen sollen. Ich sollte nicht hier sein. Aber du hast mich eingeladen.”

“Ich habe auf dich gewartet, ich wollte dich haben.”

Joey spürte die Seide der Boxershorts auf seiner Haut, Seide und Schatten und Nebel. Er spürte das Gewicht des anderen, er streichelte seine Wangen mit seinen Fingerrücken, die Seide rieb an Joeys Körper, des anderen Körper, die sanfte Macht seiner Brust, sein Kuss…

Es erregte Joey, wie ihn noch nie etwas erregt hatte. In ihm erwachte neues Leben. Um ihn herum wirbelten Farben, Schatten von Rot, von Feuer, Flammen zügelten auf, tanzten, hüpften vor einem Feld aus Nebel und Dunkelheit. Ein kühler Nebel, ein kühler Windhauch streiften ihn, Feuer züngelte an ihm hoch, das Feuer war sein Kuss, der ihn von oben bis unten durchzuckte. Feuer, Farben, wellenförmiger Nebel- Joey spürte die Stärke seines Gegenüber, seine Wärme, seine Brust…

Einen Pulsschlag.

Seinen Herzschlag.

Nein, seinen eigenen.

Dann…

… Blitze.

Die Sonne, die Sterne, Explosionen einer Nova… In ihm explodierte ein Feuer, er konnte nicht mehr atmen, nicht mehr denken; er wurde versengt, gewaltig, pulsierend, wellenförmig. Joey schaffte es kaum, in diesem Meer von Empfindungen nicht unterzugehen. Dennoch drang ein leises Flüstern an sein Ohr…

“Warum wolltest du mich haben?”

“Weil du vollkommen bist.”

“Alles andere als das!”

“Du bist vollkommen, du bist so anständig…”

“Lieber Gott, nein, von Anstand bin ich unvorstellbar weit entfernt. Das gefällt dir? Nein, mein Schatz, geh nicht dorthin. Meine Sünden wiegen so schwer wie die Last der ganzen Welt.”

“Du bist nicht der, für den ich dich halte.”

“Ich bin genau der, für den du mich hältst. Du hast es gesehen, du hast mich erkannt.”

“Nein.”

“Du kannst die Augen nicht schließen.”

Aber Joeys Augen waren geschlossen. Er schüttelte den Kopf. Er wollte weder denken noch sprechen, er wollte nur fühlen. Die Sonne und die Erde und der Himmel waren in ihm, neue Sterne explodierten, noch nie hatte er etwas so Sinnliches, Erotisches, unbändiges… Gutes erlebt.
 

Er erwachte schweißgebadet auf. Die Erinnerungen trieben ihm die Schamröte ins Gesicht und verwirrten sein Herz.

Im Zimmer war es düster. Es ist noch sehr, sehr früh, dachte er schläfrig. Die Sonne war noch nicht aufgegangen.

Er hörte merkwürdige Geräusche.

Der Fernseher war noch an.

Er streifte sich die feuchten, verfilzten Haarsträhnen aus der Stirn und blickte blinzelnd auf den Bildschirm. Ja, das Softporno- Programm, das gestern Nacht auf den Kanal gelaufen war, lief noch immer. Verwundert über sich selbst schüttelte er den Kopf.

Verlegen.

Er tastete mit der Hand sein Bett ab, suchte nach Yami. Er wusste, dass er gestern Nacht noch gekommen war und dass seine Ängste lächerlich gewesen waren. Yami war vollkommen. Alles, was er sich immer von einem Mann gewünscht hatte.

Klug, anständig, und…

Ob er ihm in die Augen blicken konnte?

“Yami…”

Er streckte die Hand aus. Er war nicht da.

Stirnrunzelnd richtete er sich auf. Seine Boxershorts lag auf dem Boden, die Bettdecke war zur Hälfte weggezerrt.

“Yami?”

War er aufgestanden, um Kaffee aufzusetzen? Oder, da es für ihn ja noch mitten in der Nacht war, um sich ein Bier zu holen?

Er kroch aus dem Bett, zog sich die Boxer wieder an und ging ins Wohnzimmer.

“Yami?”

Keine Antwort.

Dann hörte er, wie jemand die Haustür aufschloss.

Er runzelte die Brauen.

Yami kam herein. Er sah erschöpft aus, völlig erledigt. Er starrte ihn an, er starrte zurück und spielte unschlüssig mit dem Schlüssel in der Hand.

“Es tut mir leid, es tut mir echt leid.”

“Yami?” Seine Stimme war kaum hörbar. “Du warst doch schon da, oder?”

“Ich habe dir doch gesagt, dass es spät werden könnte, richtig spät- oder früh”, entschuldigte er sich. “Ich hätte nicht herkommen dürfen, Joey. Es ist schon spät, und die Nacht war so schrecklich. Und ich fühle mich immer kränker, ich kann mich kaum noch auf den Beinen halten. Ich glaube, ich muss jetzt nach Hause.”

“Ja, aber… aber warst du denn nicht hier?”

“Du hast doch gesehen, wie ich eben die Tür aufgeschlossen habe.”

Ihm wurde eiskalt. Er erstarrte, hatte das Gefühl, gleich umzukippen.

“Joey?”

Seine Stimme drang kaum zu ihm durch.

Die Welt füllte sich mit…

…Nebel.

Und er brach zusammen.
 

Yumi Aogiri gähnte.

Grundsätzlich arbeitete sie gern in der Frühschicht im Krankenhaus, aber heute Morgen war sie müde. Trotzdem hätte sie nie in einer anderen Schicht arbeiten wollen, selbst wenn sich das auf ihr Gehalt ausgewirkt hätte. So kam sie früher raus und konnte ihre Zwillinge, die gerade eingeschult worden waren, abholen, Essen kochen, Hausarbeiten erledigen und sogar noch ab und zu zum Einkaufen gehen, wenn auch nur in einem der 24 Stunden- Läden, um Zeit zu sparen. Sie war allein erziehend. Ihre Mutter, die sieben Kinder ohne einen Mann weit und breit aufgezogen und bei einem reichen Filmstar geputzt hatte, verdankte sie eine gute Schulbildung. Und jetzt hatte sie als ausgebildete Krankenschwester einen guten Job, sie hatte tolle Kinder- obwohl auch sie mit den Männern nicht viel Glück gehabt hatte- und liebte ihre Mutter. Yuri Matsumoto sollte niemals, nein, niemals, in ein Seniorenheim kommen. Nicht, solange Yumi noch ein Fünkchen Kraft im Leib hatte.

Aber heute Morgen…

Es fiel ihr ein wenig schwer, in die Gänge zu kommen.

In der Notaufnahme hatte sie ein paar MTAs stehen sehen. Alle hatten über den schrecklichen Unfall gesprochen, bei dem eine Studentin so gut wie enthauptet worden war. Es passierten wahrhaftig die irrwitzigsten Dinge. Man denke nur an die Morde in Nagasaki. Aber auch in Domino ging es manchmal verrückt zu.

Gottlob war die Arbeit als Krankenschwester nicht bizarr, sie war nur manchmal ein wenig eintönig. Doch Yumi war eine gute Krankenschwester.

Sie ging in den zweiten Stock, wo sie in der Chirurgie arbeitete. Die Nachtschwestern erledigten noch Papierkram und machten sich zum Gehen fertig. Wie üblich plauderten die Neuankömmlinge mit denen von der Nachtschicht, die gleich gehen würden. Sie sprachen über die Patienten, über neue und über alte.

Yumi dachte, sie hätte etwas gesehen. Einen schwarzen Schatten, der am Schwesternzimmer vorbeihuschte. Sie hatte das äußerst merkwürdige Gefühl, Flügel gesehen zu haben: große, flatternde, weite Flügel.

Schatten…

Unsinn. Hier war es doch ganz hell.

Sie ging aus dem Stationszimmer nach links in den Gang. Hier waren tatsächlich Schatten. Die hellen Lampen aus dem Arbeitsbereich warfen hier nur noch ein schwaches Licht, und der betriebsame Alltag hatte noch nicht begonnen; erst in einer halben Stunde würde die Verteilung von Medikamenten und Frühstück losgehen. Draußen ging soeben die Sonne auf.

Trotzdem…

Irgendetwas zog sie in Richtung Vorratsraum.

Dann blieb sie abrupt stehen.

Dort, direkt vor ihr, kaum drei Meter entfernt, stand ein Mann. Er schien im Schatten zu stehen.

Oder war er selbst nur ein Schatten?

Trug er einen Umhang? Was hatte er hier zu suchen? Wer war er?

Plötzlich krümmte er sich. Wie jemand, der schlimme schmerzen hat.

Sie eilte zu ihm, ganz tüchtige Schwester. “Kommen Sie, ich helfe Ihnen. Was ist los? Ich bringe Sie erst mal auf ihr Zimmer.”

Er war nie in einem der von ihr betreuten Zimmer gewesen, dessen war sie ganz sicher. Sie hätte sich bestimmt an ihn erinnert, wenn sie ihn schon einmal- auch nur flüchtig- gesehen hätte. Er war so anders, so betörend, so groß, so auffällig, so männlich, so attraktiv…

Kalt.

Eiskalt.

Woher wusste sie, dass er sich kalt anfühlte?

Weil sie die Kälte spürte. Wellen von Kälte schlugen ihr entgegen.

Er war bleich und hatte blaue Flecken. War er mit einem Messer verletzt worden? Blutete er?

“Sie sind verletzt”, meinte sie. Ihr Mitleid war stärker als alles Unbehagen.

Ganz kurz lächelte er, ein seltsam charmantes Lächeln. Erschreckend…

Charmant.

“Ach, was soll’s ; Sie hätten mal den anderen Burschen sehen sollen. Aber eigentlich… na ja, wissen Sie, ich dachte, mir würde nichts fehlen, und dann habe ich noch kurz bei einem Sahneschnittchen vorbeigeschaut… Ich hab mich wohl etwas übernommen.”

“kommen Sie, ich helfe Ihnen.”

Sie versuchte, ihn mit der Schulter zu stützen. Er war wirklich charmant. Was für ein Lächeln! Doch plötzlich knirschte er mit den Zähnen.

“Nein, gehen Sie!”, beharrte er und schüttelte heftig den Kopf. Seine Stimme war tief, rau, scharf, gebieterisch. Er war es gewöhnt, dass man ihm gehorchte.

“Sie sind verletzt.”

Sie erhaschte einen kurzen Blick auf seine Augen, sein Gesicht. Eiseskälte schlug ihr entgegen. Er war aschfahl. Ein weiteres mal lächelte er, doch sein Lächeln verblasste rasch.

Seine Augen starr auf sie gerichtet.

Gerichtet auf…

… ihren Hals.

Angst kroch ihr über den Rücken, doch sie war wie gelähmt. Ihr war, als lächelte er trotz des rasiermesserscharfen Blickes, mit dem er sie betrachtete.

Ein bedauerndes Lächeln.

Offenbar hatte er nicht gesehen werden wollen.

Ihr Herz hämmerte. Sie spürte das Blut in ihren Adern pulsieren. Es war wie…

… Musik.

“Gehen Sie!”, sagte er endlich schroff.

Sie stand da wie angewurzelt.

“Gehen Sie!”, wiederholte er. “Stimmt, ich bin verletzt. Holen Sie Hilfe!”

“Er schubste sie weg. Sie machte einen Satz, dann blieb sie stehen und drehte sich noch einmal zu ihm um, sah, wie er langsam zu Boden sank. Das merkwürdige Gefühl, das sie gespürt hatte, verblasste. Hilfe, sie brauchte Hilfe. Er war zu groß, sie konnte sich nicht allein um ihn kümmern.

Toya, einer der Pfleger, war gerade auf die Station gekommen. Er war ein freundlicher Mann, dessen Kraft im Krankenhaus oft genug sehr willkommen war.

“Toya, rasch, wir haben einen Patienten. Oder vielleicht auch nicht…”, meinte sie, als sie kurz vor dem Stationszimmer auf ihn stieß.

“Wie bitte?”

“Dort drüben im Gang ist ein Verletzter…”

“Ein Patient ist aufgestanden und stolpert auf dem Gang rum?”

“Vielleicht ist er auch kein Patient, er ist nur ein Mann, der…”

“Ist er jetzt ein Patient oder nicht?”

“Ich weiß es nicht, verdammt noch mal. Aber, Toya, dort drüben im Gang ist ein Mann, und dieser Mann ist verletzt, und er ist ziemlich groß. Er ist… er ist zu groß für mich. Hilf mir!”

“Na klar, ich komme schon”, erwiderte Toya, dessen dunkle Augen etwas verwirrt, aber nicht zweifelnd wirkten.

Er gab sich einen Ruck, als ob er gerade erst gemerkt hatte, dass er sich rascher hätte in Bewegung setzen müssen. Dann folgte er Yumi, die schon wieder umgekehrt war, um den Mann zu finden.

Sie blieb abrupt stehen. Er war verschwunden. Hier war niemand. Nichts. Kein Tropfen Blut, kein Fetzen Haut, nicht die geringste Spur von dem Mann.

“Sehr schwer war er offenbar nicht verletzt”, meinte Toya.

“Toya, ich schwöre dir, er stand genau hier.”

“Ich glaub’ s dir ja. Aber ich denke- hey, vielleicht war es eine Schussverletzung? Und er hat es mit der Angst zu tun bekommen und ist verschwunden? War jung oder alt? Wie hat er denn ausgesehen, Yumi? Vielleicht ist er ja doch schon Patient bei uns. Teufel noch mal, vielleicht ist er aus dem Irrentrakt ausgebrochen.”

Yumi ging ein Stück weiter. “Er hatte bestimmt keine Schussverletzung. Hier ist nirgends Blut.”

“Hey!”, meinte Toya plötzlich. “Sieh mal!”

Die Tür zum Vorratsraum, die sonst immer verschlossen war, stand speerangelweit offen. In diesem Raum wurden Anästhetika (3) aufbewahrt. Und die Blutkonserven.

Sie blickte Toya an, er blickte sie an. Fassungslos starrten beide in den Raum.

Der Vorratsraum war verwüstet. Er sah aus, als ob ein Taifun durch ihn gefegt wäre: Regale waren ausgeräumt, Schränke umgekippt, Schubladen geleert.

Dennoch…

Überall lagen Morphiumampullen herum.

“Toya…”

“Yumi”, entgegnete er leise und starrte sie mit großen Augen an. “Hier drinnen ist kein Tropfen Blut mehr!”
 

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(1) was für ne grinserei…

(2) Emphysem- Krankhafte Ansammlung von Gas in Geweben und Organen

(3) Schmerzbetäubungsmittel
 

Puuhh… endlich geschafft!!!
 

Ich hoffe es hat euch gefallen. Mal sehen wie lang ich fürs nächste Kapitel brauche…

Ich hoffe es kommt nicht wieder irgendetwas dazwischen!
 

Bis bald…
 

Eure Ice- Queen
 

PS: Ich bitte (mal wieder) um Kommis!

Kapitel 3

Kapitel 3
 

Hallo zusammen!!!

Ich bin wieder da. Und habe ein neues Kapitel mitgebracht. Ich hoffe die Wartezeit war nicht all zu lang für euch und wünsche viel Spaß bei diesem Kappi.

Wenn’ s Fragen gibt, dann immer her damit, ich beantworte sie gern!

Wie immer bitte ich um Kommentare, auch gern mit Verbesserungsvorschlägen.

Ich möchte mich natürlich auch bei meinen Kommi Schreibern bedanken! :-)

So und jetzt spann ich euch nicht länger auf die Folter und sage in dem Sinne:

Gutes Lesen!!!
 

Eure Ice- Queen
 

Kapitel 3
 

Kurz nach sieben saß Seto an seinem Stammtisch im Restaurant, das Gesicht frisch gewaschen, das Haar ordentlich gekämmt. Seine Züge verrieten große Müdigkeit.

Doch seine Augen waren wach.

Joey war nicht im Café La Lune, und Ishizu war nicht zur Arbeit gekommen.

Eigentlich hatte er auch keinen der beiden erwartet.

Er war wegen Tea hier.

Bei Tagesanbruch hatte er die junge Frau aus der Pathologie treten sehen, übermüdet, geschafft, und war ihr gefolgt, weil er wusste, wer ihre Freunde waren.

Und dieses Restaurant mochte auch Tea sehr gern.

Seto beobachtete die junge Frau. Wieder und wieder fuhr sich Tea durchs Haar, drückte die Finger an die Schläfen, schüttelte den Kopf. Sie bestellte sich Kaffee und Eier.

Als die Eier vor ihr standen, schob sie den Teller zur Seite, starrte ihn an und deckte ihn schließlich mit einer Serviette zu. Als wolle sie den Eiern ein anständiges Begräbnis geben.

Setos Bedienung trat an den Tisch. Heute Morgen war es ein junges Mädchen namens Hitomi. Er fragte sie nach Ishizu. Nein, sie war heute nicht da.

Tea merkte offenbar, dass sich die beiden unterhielten. Seto sah sie an. Tea brachte ein Grinsen zustande.

“Tut mir leid, ich wollte nicht lauschen. Sind sie aus Domino?”

“Ja. Ich wohne seit einiger Zeit hier. Und Sie? Sind Sie denn aus Domino?”, fragte Seto höflich.

Tea nickte.

“Es ist sehr schön hier, deshalb habe ich mich auch entschlossen hierher zu ziehen.”

“Das habe ich früher auch immer gedacht.” Tea zögerte einen Moment, dann betrachtete sie Seto fast sehnsüchtig. “Ich habe eine schlimme Nacht hinter mir”, gestand sie.

“Ach so?”

Tea nickte hoffnungsvoll. Seto deutete auf den Stuhl ihm gegenüber. “Setzen Sie sich doch zu mir und erzählen Sie mir davon.” Tea sprang auf, nahm ihren Kaffee und setzte sich zu Seto.

Dann bot sie ihm die Hand. “Tea Gardner”, stellte sie sich vor.

“Seto Kaiba”, wurde nach kurzem Zögern erwidert.

Sein Name kam ihm nur schwer über die Lippen. Er hatte ihn lange nicht gebraucht.

“Habe ich Sie schon mal gesehen?”, fragte Tea.

“Vielleicht. Ich bin ab und zu hier.”

“Ich auch. Ich habe das Gefühl, Sie zu kennen. Puh, das klingt seltsam. Ich wollte jetzt nicht… glauben Sie mir, ich versuche nicht… Ich meine, ich habe einen Freund. Na ja, im Moment zwar nicht, weil er Schluss gemacht hat, aber damit wollte ich sagen, dass…”

“Schon gut”, meinte Seto und hob belustigt die Hand.

Tea nickte. “Ich versuche zu schreiben. Ich glaube, ich bin eine ziemlich gute Schriftstellerin. Jedenfalls sind meine Freunde der Meinung. Und die sind auch Schriftsteller, zum Teil sogar richtig erfolgreiche.” Wieder fuhr sie sich durchs Haar. Ihre Kleidung- Jeans und eine gut sitzende Bluse- war sauber und ordentlich, jedoch etwas zerknittert.

Seto hob die Kaffeetasse. “Dann sollten Sie dranbleiben. Ich würde selbst auch gern schreiben.”

“Was machen Sie denn beruflich?”

Seto zögerte kurz, wich Teas Blick jedoch nicht aus.

“Reisen.”

“Ach so. Dann sind Sie also reich und unabhängig. Haben Sie eine große Firma?”

“Nein, das nicht.”

“Ich wette, Sie haben ein hohes Ansehen in der High Society.”

“Auch das nicht.”

“Aber zumindest ein großes Anwesen, oder?”

“Ach, all diese Dinge ändern sich heutzutage rasch”, meinte Seto leichthin.

“Ja, klar, aber…”

Seto beugte sich vor. “Also, was hat sie so aufgewühlt?”

“Ach, tja, nun, ich… äh… ich arbeite nebenbei, um mir ein bisschen Geld zu verdienen, und zwar in der Gerichtsmedizin. Es ist ziemlich interessant, man kann bei solchen Jobs viel lernen. Aber gestern Nacht… o, Gott!”

“Was war denn gestern Nacht?”

“Wir hatten einen Verkehrsunfall, eine Studentin. Ist direkt durch die Windschutzscheibe geflogen. Grauenhaft…”

“Ziemlich übel zugerichtet, nehme ich an?”

“Völlig. Aber das merkwürdigste, das Schrecklichste…”

“Das Schrecklichste war?”

“Der Kopf.”

“Was war denn damit?”

“Der Kopf…” Tea befeuchtete die Lippen. “Er war weg, aber nicht ganz. Er hing noch mit ein paar Fleischfasern und Sehnen dran. Und es gab Blutspuren, aber keine richtigen Lachen. Und die Augen- o Gott, das Opfer hat es kommen sehen, diese Augen…”

Seto war einen Moment lang stumm, dann fragte er:

“Steht es denn fest, das es ein Unfall war?”

Tea atmete tief aus. “Was soll es denn sonst gewesen sein? Was zum Teufel sonst? Das Auto war um einen Baum gewickelt, und das Opfer war ebenfalls halb um den Baum gewickelt. Es ist gar nicht weit von hier passiert, in der Nähe des Friedhofs. Mein Gott, es war schrecklich. Ich habe kleine Kinder gesehen, arme alte Leute, die überfallen und erschlagen wurden… Aber so etwas wie die Augen dieses Unfallopfers habe ich noch nie gesehen.”

“Sie sollten heimgehen und ein bisschen schlafen.”

“Ich bin nicht sehr müde.” Tea starrte in ihren Kaffee. “Oder vielleicht doch. Aber irgendwie… Ich bin…”

“Was?”

“Ich bin müde. Aber ich kann nicht schlafen.”

“O doch, das können Sie.”

Sie blickte hoch. “Ich…”

“Sie können es.”

Tea nickte. “Ja. Danke. Ich gehe jetzt heim und schlafe.”

Sie stand auf und schickte sich zu gehen an, wandte sich dann aber noch einmal verlegen um. “War nett, Sie kennen zu lernen. Nochmals vielen Dank. Bis bald!” Seto nickte. Tea ging.

Gedankenverloren starrte Seto ihr nach.
 

Als Joey aufwachte, stellte er fest, dass er auf dem Sofa lag und Yami neben ihn.

“Alles in Ordnung?”

Panik überfiel ihn. Was hatte er gesagt und getan? Nichts, nichts- Yami war hereingekommen, er war ohnmächtig geworden. Yami war sehr spät- oder sehr früh, je nachdem, wie man es nahm- gekommen. Er war nicht in seinem Bett gewesen.

Er hatte nur geträumt.

Nein, nicht von ihm.

Doch, bestimmt von ihm! Wen sonst würde er in seine Träume lassen, in so einen Traum?

“Du bist ziemlich durcheinander, stimmt’ s? Aber das ist auch kein Wunder”, meinte Yami freundlich, und seine Augen leuchteten sanft, als er ihm das Haar aus dem Gesicht strich.

Durcheinander? Er stand kurz davor, den Verstand zu verlieren!

“Ich… äh…”

“Nimm’ s mir nicht übel, aber du siehst ziemlich schrecklich aus. Und ich fühl mich so.”

Er sah schrecklich aus? Nun, das wollte er ihm gern glauben. Und er glaubt ihm auch, dass er sich schrecklich fühlte. Er wirkte eingefallen und gealtert. In einem solchen zustand hatte er Yami noch nie erlebt.

“Zögernd streichelte Joey seine Wange. “Du bist bestimmt völlig erledigt. War die Nacht denn so schlimm?”

“Entsetzlich.” Yami schüttelte den Kopf. “Sogar deine Freundin Tea wurde ganz grün.”

“Das tut mir leid. War es ein Jugendlicher?”

“Ja, eine Studentin. Von auswärts. Offenbar kein unbeschriebenes Blatt, aber trotzdem noch… ziemlich jung.” Er betrachtete Joey mit einem merkwürdigen Blick. “Hör mal, ich… äh… ich war mein ganzes Leben noch nie so begeistert, dass ein Mann mit mir zusammen sein will, aber… aber ich glaube, ich muss heim. Mir geht es ziemlich dreckig, ich kann die Augen kaum offen halten. Ich würde dir so gerne Wonne schenken, Wonne ohne Ende; so gerne zeigen, dass deine Welt ohne mich nie mehr dieselbe sein wird. Aber ich weiß nicht, ob ich das in meiner momentanen Verfassung schaffen würde.”

“Das kann ich verstehen”, erklärte Joey leise. “Ich… äh… ich bin mir selbst auch nicht so sicher, ob ich dir momentan Wonne ohne ende schenken könnte.”

“Du hast schlecht geschlafen”, stellte Yami fest. “Hattest du Albträume?”

“Hm, ja, Träume”, erwiderte Joey.

Das war keine Lüge.

Oder etwa doch?

“Ich habe mich nach Einzelheiten über das Verbrechen in Nagasaki erkundigt”, sagte er. “Akira wird heute alles rein bekommen. Wenn ich ausgeschlafen habe, können wir gemeinsam zur Dienststelle gehen und uns die Informationen ansehen, die er aufgetrieben hat.”

“Gut. Danke, Yami. Du siehst richtig… ausgezehrt aus. Wenn du willst”, schlug er vor, “kannst du hier ein bisschen schlafen.”

“Nein, ich muss nach Hause. Ich möchte mich umziehen. Ich brauche etwas Frisches zum Anziehen. Nach der Gerichtsmedizin…”

“Verstehe.”

“Ich kann dir gar nicht sagen, wie erschöpft ich bin. Es tut mir echt leid.”

“Mach dir keine Sorgen!”, entgegnete Joey hastig. Was hatte er sich dabei gedacht, Yami zum Bleiben aufzufordern? Sein Schlafzimmer sah aus, als hätte er ein Dutzend Freunde zu einer Orgie eingeladen!

“Ich entschädige dich bald dafür.”

“Nein, ich entschädige dich”, versprach Joey ihm.

Yami nickte und stand auf. An der Schwelle blieb er noch einmal stehen. “Bitte, sperr deine Tür auch tagsüber zu. Diese schreckliche Geschichte ist zwar in Nagasaki passiert, also weit weg, aber es gibt eine Menge Verrückte auf dieser Welt. Damit ist überhaupt nicht gesagt, dass es dieselben sind, aber trotzdem…”

“Hey”, meinte er, “Ich bin schlau genug, immer die Tür zu verschließen.”

Yami nickte. “Wir sprechen uns dann später.”

Joey drückte ihm einen flüchtigen Kuss auf die Lippen und fühlte sich dabei sehr sonderbar- als habe er ihn betrogen.

Oder als würde er einen anderen betrügen.

“Yami”, murmelte er beschämt.

“Ja?”

“Ich liebe dich sehr, weißt du”, flüsterte er kaum hörbar.

Yami umfasste sein Kinn. “Ich bete dich an!” Lächelnd liebkoste er seine Wangen, dann trat er hinaus.

“Sperr zu!”

“Jawohl.” Die Tür ging zu.
 

Yami Muto hörte, wie Joey die Tür hinter ihm verschloss.

Er ging den Flur entlang, dann blieb er noch einmal stehen und blickte sich um Idiot!, beschimpfte er sich in Gedanken.

Geh zurück!

Das war der reine Wahnsinn. Er hatte schrecklich lange darauf gewartet. Joey war ein starker Mann, aber durch die Ereignisse in Schottland hatte er einen Knacks abbekommen. Das war wahrlich kein Wunder. Trotzdem hatte sich Yami Hals über Kopf in ihn verliebt und hatte gerne gewartet. Joey spielte keine Spielchen, er war immer aufrichtig. Er war liebevoll, lustig, charmant und gut aussehend. Von Anfang an hatte er sich zu Joey hingezogen gefühlt.

Jetzt konnte er wahrhaftig auch noch ein bisschen länger warten. Joey war verstört.

Und bei Gott, ihm ging es wirklich ziemlich dreckig.

Noch nie hatte er sich so elend gefühlt. Zum Teufel, ja, zum Großteil hatte es mit dieser Leiche zu tun. Aber eigentlich hatte es schon früher angefangen. Es hatte angefangen als…

… als dieser Mann ihn gestern Abend nach dem Weg gefragt hatte. Er war unterwegs zu Joey gewesen. Er hatte echt gut ausgesehen, aber seine Erscheinung hatte ihn nicht betört.

Joey war wunderschön.

Er hatte geniest. Vielleicht hatte er sich bei ihm etwas geholt. Und deshalb war er jetzt in diesem traurigen Zustand, zu nichts zu gebrauchen.

Trotzdem…

Als er sich von Joey verabschiedet hatte, war ein äußerst seltsames Gefühl in ihm aufgestiegen; es war ihm vorgekommen, als ob ihm etwas entgleiten würde, etwas, das er nicht recht zu fassen bekam.

Eine merkwürdige Angst umfing sein Herz.

Geh zurück!, drängte ihn eine Stimme.

Er schüttelte all diese seltsamen Gefühle ab.

Reiß dich zusammen!, mahnte er sich. Schließlich bist du ein Cop!
 

Die junge Frau schlüpfte auf den Stuhl gegenüber von Seto- den, den vor Kurzem noch Tea Gardner verlassen hatte.

Er sah sie erstaunt an, denn mit ihr hatte er nicht gerechnet. Vielleicht hätte er sich nicht wundern sollen, vielleicht hätte es ihm auch völlig gleichgültig sein sollen. Er war weiß Gott durch dunkle Zeiten gegangen.

Zeiten der Grausamkeit.

Und er war noch das, was er schon immer gewesen war: ein Überlebender. Derjenige, der auf die Erhaltung der Gesetze achtete, der für das Gleichgewicht sorgte- der Hüter der Schlüssel, sozusagen.

Aber damals vor einem Jahr, in jener Nacht (1) in Schottland, hatte sich die Welt für ihn verändert. Zum ersten Mal seit Urzeiten hatte er wieder gespürt, wie seine Feinde ihn bedrohten. Sie hatten ihm den Kampf angesagt, und er hatte jenen Kampf gewonnen. Aber er wusste, dass es ein Krieg war, und für sie war es ein Rachefeldzug. Er kannte seine Stärke und seine Macht, für die er hart gekämpft hatte.

Und noch etwas kannte er wieder, etwas, das er neben seinen Feinden vor langer Zeit besiegt zu haben glaubte.

Angst.

Sie lächelte und berührte seine Hand.

“Gestern Nacht- das waren Sie, oder?”

“Hey, Ishizu! Bist du doch noch hergekommen?”, meinte Hitomi im Vorbeigehen.

Ishizu schüttelte den Kopf. “Ich arbeite heute nicht, Hitomi. Ich bin nur gekommen, um…”

Sie verstummte und blickte wieder auf ihn.

“Sie waren es, oder?”

“Ich weiß nicht recht, was Sie meinen.”

“O doch, das wissen Sie ganz genau. Ich bin mir sicher, dass ich Sie gesehen habe. Nein, ich glaube, dass ich Sie gesehen oder gehört habe. Ich war zu Tode erschrocken, und ich wusste genau, dass ich kurz davor stand, überfallen oder ermordet zu werden, und Sie… Sie haben ihn aufgehalten. Der Schatten, die Angst, die Schritte. Er hat mich nicht erwischt. Sie haben mir gesagt, dass ich wegrennen soll. Und das habe ich getan. O Gott, ich bin gerannt wie eine Verrückte! Ich raste zu meinem Auto, sprang rein und gab Gas. Ich war so schell weg, dass…” Sie starrte ihn an. “Ich wäre getötet worden, wenn Sie mich nicht gerettet hätten, stimmt’ s?”

“Sie wurden verfolgt”, erklärte er schroff.

“Sie haben mir das Leben gerettet.”

Er zuckte ungeduldig die Schultern. “Sie sollten nachts in dieser Gegend nicht alleine unterwegs sein.”

“Das kommt nie wieder vor, ich schwöre es Ihnen.”

“Gut.”

“O Gott, Sie sind wundervoll.”

Ungeduldig stand er auf. “Nein, Ishizu, das bin ich nicht. Aber Sie müssen mir jetzt gut zuhören: Passen Sie auf sich auf, passen Sie gut auf sich auf! Richten Sie es so ein, dass Sie bei Tageslicht aus der Arbeit kommen. Seien Sie nachts vorsichtig, halten Sie sich am besten immer in der Nähe größerer Gruppen auf.” Er wollte schon gehen, dann drehte er sich noch einmal um und drohte ihr mit dem Finger. “Und laden Sie keine Fremden zu sich ein, verstanden?”

Sie nickte, einigermaßen verblüfft über seine Heftigkeit.

Er trat auf die Straße hinaus, bestrebt, wegzukommen. Das Sonnenlicht war sehr hell. Zu hell. Plötzlich krümmte er sich, gepeinigt von einer schrecklichen Qual. Sein Heim- er musste dringend nach Hause. Rasch, jetzt gleich. Er musste sich unbedingt ausruhen. Normalerweise verfügte er zwar über bewundernswerte Stärke, doch in diesem Oktober war die Sonne äußerst hell.

Sie hätten mal den anderen Burschen sehen sollen, hatte er vor ein paar Stunden gesagt.

Und das zu Recht.

Er hatte gewusst, dass sie da waren; sie hatten in Nagasaki ein Massaker veranstaltet und waren hier hergekommen- sehr schnell. Das letzte Mal hatte er die beiden fast in Stücke gerissen. Aber sie hatten sich erholt.

Diesmal hatte er Bakura nich zu Gesicht bekommen.

Bakura hielt sich von ihm fern, war aber bereit, diesen Idioten Marik zu opfern. Und er hatte Marik aufgehalten, ihn erneut fast in Stücke gerissen… Aber…

Marik war ihm entkommen. Seto hatte ihn von Ishizu abgehalten, aber er hatte sich aus Setos Griff befreit.

Und an diesem Morgen konnte Seto die höhnische Stimme seines Gegners fast schon hören.

Wer oder was glaubst du eigentlich, dass du bist? Bildest du dir etwa ein, dass du für die anderen weniger stinkend, furchtbar, widerlich wärst?

Ich denke das ich der König, der Herrscher bin. Das weißt ich.

Du musst an deiner Macht festhalten.

Das werde ich auch, mein Freund.

Du wirst schwach, und ich werde stark. Und er wird sogar noch stärker.

Du bist ein Narr! Du wirst nie stärker sein als ich Marik. Das werde ich nie zulassen.

Und im Stillen fügte er hinzu: Weil mein Hass unendlich groß und meine Verbitterung unendlich tief ist. Ich werde mit meinem ganzen Willen an meiner Macht festhalten, ich lasse mich nicht von Schwäche beherrschen oder einem Gewissen, sondern nur von Vernunft und Logik und dem Willen zu überleben.

Wir sind, was wir sind, höhnte Marik. Jäger. Wölfe. Und die Wölfe reißen die Schafe.

Das tun sie nicht, wenn sie genügend andere Nahrung haben. Und nicht, wenn sie sich die hundertfache Rache der Schafzüchter einhandeln würden.

Züchter, bah!

Züchter. Du erlebst es doch schon lange genug mit. Wir kämpfen alle ums Überleben. Die Züchter genauso wie wir.

Du wirst närrisch, sentimental, schwach. Wir haben den richtigen Augenblick abgewartet. Wir sind gesund und stark geworden. Bald werden wir dich schlagen, und ich werde König. Er hat dich geschaffen, und er wird dich auch vernichten. Was er geschaffen hat, kann er auch wieder zerstören.

Niemals… niemals. Du glaubst, dass du den Hass kennst, die Wut. Aber du hast nicht die leiseste Ahnung, was Hass wirklich ist, was Wut ist, was Verlust ist…

Nur weil du glaubst, du hättest ihn wieder gefunden, bildest du dir ein, dass du eine Seele hast. Du siehst Horus in diesem Mann. Aber was sieht er in dir? Du bist ein Geschöpf der Finsternis. Widerlich. Abscheulich. Ruchlos. Du hast gesündigt wie kaum ein anderer, gewütet, getötet. Du bist die Dunkelheit, du bist der Tod, du bist das Höllenfeuer…

Sein Kopf stand kurz vor dem Zerplatzen, die Sonne brachte ihn fast zu Boden. Er knirschte mit den Zähnen und richtete sich wieder auf, straffte die Schultern im Sonnenlicht. Er brauchte nur selten Hilfe. Er hielt sich immer von den anderen fern. Er war lange Zeit äußerst vorsichtig gewesen und hatte niemanden vertraut.

Der Millenniumsring! Das war jetzt sein einziger Gedanke. Er war bestimmt wieder im Besitz des Ringes.

Verflucht die Sonne ist einfach zu grell! Seto brauchte eine Zuflucht, einen Ort, an dem er sich ausruhen konnte, einen dunklen Ort…

Nein, er brauchte mehr als eine Zuflucht. Er brauchte Hilfe. Und er kannte einen Menschen in dieser Stadt, mit dem er seit langer Zeit befreundet war. Seit sehr langer Zeit. Auch wenn er versprochen hatte, sich von diesem Menschen fernzuhalten…

Er tauchte in der Menge unter.

Und dann wurde er zum Schatten.
 

Als es richtig Tag geworden war, gelangte Joey zu der Überzeugung, dass er wohl einen Psychiater brauchte. Bei dem Versuch, sich selbst zu analysieren, kam er nicht über die Erklärung hinaus, dass er seit Schottland verstört war und Angst hatte.

Weil er nicht weiter darüber nachgrübeln wollte, beschloss er, zur Polizei zu gehen. Akira, Yamis Freund, arbeitete im Morddezernat. Er war ein richtig netter Kerl. Wenn er etwas wusste, würde er es ihm bestimmt sagen.

Doch als er sich fertig mache, tauchte plötzlich Tristan an der Tür auf. “Du wolltest gerade weg?”

“Ja.”

“Ich dachte, Yami wäre da.” Tristan späte über Joeys Schulter ins Wohnzimmer.

“Er war da, ist aber schon wieder weg.”

Tristan drängte sich an Joey vorbei.

“Ist er wirklich weg?”

“Ja, er ist wirklich weg.”

“Ich hatte gehofft, ein wenig mehr von ihm zu erfahren.”

“Worüber denn?”

“Über die Person, die bei dem Unfall umgekommen ist”, erklärte Tristan ungeduldig.

“Tut mir leid, er ist wirklich schon weg.” Joey zögerte, dann fügte er hinzu: “Er kam noch vorbei, aber es ging ihm nicht gut. Er war in einer ausgesprochen schlechten Verfassung. Weißt du, er ist ein guter Polizist, und gestern Nacht ist er wegen diesem Unfall noch mal in die Arbeit.”

“Ja, und ich dachte, er könnte uns mehr erzählen.”

“Nun, hier ist er nicht.”

Er sagte Tristan nicht, dass er eben zur Polizei hatte gehen wollen. Er wollte keine Begleitung, zumindest nicht von Tristan und nicht jetzt.

“In der Zeitung steht etwas über den Unfall. Das Mädchen hatte ziemlich viel Alkohol im Blut. Allerdings hat man nicht sehr viel Blut gefunden. Nicht mal im Auto oder an dem Baum, an dem sie gelandet ist. Sie hätte nicht mehr fahren sollen, sie hatte viel zu viel getrunken. Ich weiß, dass Yami junge Leute gern hat und dass er auf seine Arbeit stolz ist. Aber sie… Joey, sie hatte gerade erst angefangen zu studieren, und sie hatte alle möglichen Sachen angestellt und deshalb jede Menge Ärger. Ich sag dir, dieses Mädel- ich kenn deine Einstellung-, aber dieses Mädel… dieses…”

“Was war nun mit ihr?”

“Sie war ein schlechter Mensch.”

“Trotzdem ist es ein schrecklicher Tod”, wandte Joey ein. “Und wenn sie noch so jung war, dann hätte sie sich vielleicht noch ändern können; vielleicht wäre sie noch zur Vernunft gekommen.”

Tristan wirkte skeptisch. Er legte den Kopf schief und musterte Joey. “Aber vielleicht hätte sie auch noch Menschen verletzt… oder getötet…”

“Tristan, ab und zu solltest du wirklich…”

“Nach dem Guten im Menschen suchen? Ja, ja. Aber ich schreibe Krimis, ich kenne mich aus mit Verbrechen. Ich recherchiere, und ich weiß, dass Menschen böse sein können. Und das sind sie öfter, als dass sie gut sind. Sogar Menschen, die wir für gut halten, würden vielleicht Furchtbares tun, wenn sie nur glauben, dass sie ungeschoren davonkämen.”

Joey zog eine Braue hoch. “Tristan, es gibt gute Menschen, und es gibt schlechte Menschen, und dazwischen gibt es alle möglichen Schattierungen.”

“Na klar.” Tristan starrte Joey an.

“Und?”

“Und was?”

“Ist Duke noch bei dir?”, fragte Joey in dem Versuch, den Spieß umzudrehen.

“Wie bitte?”, fragte Tristan verständnislos.

“Duke. Erinnerst du dich noch, ihr zwei seid mit Sekt und Kaviar losgezogen.”

“Ach so. Nein. Duke ist schon längst weg.”

Joey grinste und musterte Tristan prüfend. “Hat Duke denn Glück gehabt?”

“Joey!” Tristan strich durch sein gestyltes Haar.

“Ehrlich, Joey, wie kannst du mich so etwas fragen? Das ist ja ekelhaft!”

“Tristan! Jetzt bist du grausam!”

“Zu Duke habe ich natürlich nichts dergleichen gesagt”, erklärte Tristan. “Es wäre also nur grausam, wenn du es ihm gegenüber wiederholen würdest. Und natürlich würde ich dich als Lügner bezeichnen und darauf bestehen, dass ich nie im Leben so etwas gesagt habe.”

“Duke ist nicht ekelhaft, und ich würde seine Gefühle nie verletzen, indem ich ihm gegenüber so etwas wiederholen würde.”

“Okay, er ist nicht ekelhaft. Er ist nur einfach nicht…”

“Er ist ein richtig netter Kerl.”

“Aber du hast nichts mit ihm!”

“Ich treffe mich mit einem anderen. Aber Duke ist ein Freund von mir.

“Schön. Duke ist auch ein Freund von mir.”

Zu Joeys Erleichterung klingelte das Telefon. “O, entschuldige bitte, Tristan. Ich sollte wohl besser drangehen.”

“Hm, na gut. Aber wenn du etwas Interessantes erfährst, sagst du es mir bitte, okay?”

“Klar.”

Joey brachte Tristan aus der Wohnung, dann eilte er ans Telefon. Vielleicht war es Yami. Im ersten Moment hatte er nicht dran gedacht, aber vielleicht war er es ja wirklich. Vielleicht ging es ihm richtig schlecht, noch schlechter als vorhin, vielleicht brauchte er ihn.

Als er den Hörer abnahm, hatte sich der Anrufbeantworter schon eingeschaltet. “Hallo?”, sagte er rasch.

“Joey? Joey Wheeler?”, fragte eine Männerstimme, sanft, gedämpft.

“Ja?”

Als Nächstes hörte er nur noch ein Knacken- die Mann hatte aufgelegt.
 

Er hätte jederzeit eintreten können, tat es aber nicht. Zögernd stand er vor der stattlichen Villa. Eigentlich hatte er nie mehr herkommen und Violett sehen wollen. Sie hatten gemeinsam viel erlebt, aber jetzt war es vorbei. Eines Tages, so hatte er gedacht, würde er erfahren, dass sie als Großmutter gestorben sei, und dann würde er kommen und Rosen auf ihren Sarg werfen.

Sie hatte gefunden, was sie gesucht hatte: ein neues Leben.

Und die Sicherheit zu sterben.

Er stand mehrere Minuten vor der Tür, dann fiel ihm ein, dass er klingeln sollte. Das schaffte er nur mit Mühe.

Sie machte auf.

Als sie ihn erblickte, stockte ihr der Atem.

“Du!”

“Jawohl, ich. Es tut mir leid.”

“Mein Gott…”

“Bitte- ich bin nicht hier, um mich in dein Leben einzumischen.”

Sie packte ihn an der Schulter, dann blickte sie auf die strahlend helle Sonne. “Komm rein, du Idiot! Mein Gott, du siehst schrecklich aus!”

Sie waren uralte Freunde- und uralte Feinde.

Sie durfte alles zu ihm sagen.

Er lächelte. Beinahe hätte er lachen müssen. Zum zweiten Mal an diesem Tag sagte er: “Du hättest mal den anderen Burschen sehen sollen!”

“Ich hatte Angst. Die Sachen in der Zeitung, die Sachen, die hier passieren… Die Morde in Schottland und jetzt in Nagasaki… Seto, was geht hier vor?”

“Rebellion”, murmelte er. “Die Vergangenheit lehnt sich auf. Eine Vergangenheit, die ich unbedingt für alle Zeit begraben wollte. Ich habe dir nie erklärt, wie ich dazu kam…”

“Seto, du hättest mir nie etwas erklärt. Du warst die Macht, du hast die Gesetze gemacht. Aber mir ist immer wieder mal etwas zu Ohren gekommen.”

“Ach ja?”

“Vampire reden”, spottete sie. “Offenbar ändert der Tod nichts an dem Drang, zu klatschen.”

“Dann hast du auch etwas über Bakura gehört.”

“Ja.”

“Er ist wieder aufgewacht. Und Marik, sein Lakai, stellt sich vor ihm und beschützt ihn.”

“Dann hast du also gegen Marik gekämpft?”

“Ja.”

“Aber er ist nicht…”

“Tot? Nein”, gab er verbittert zu.

“Aber du kannst ihn ja gar nicht töten, oder?”

“Nicht gemäß der alten Gesetze. Und ich bin der Hüter der Gesetze. Aber ihre Grausamkeiten könnten uns alle in Gefahr bringen, und wenn das so ist, dann…”

“Dann könntest du das Gesetz ändern.”

Er nickte. “Aber trotzdem riskiere ich damit den Zorn der anderen und einen Aufruhr.” Er hob die Hände, spreizte die Finger. Plötzlich fiel ihm auf, wie lang und stark seine Nägel waren. Widerlich! Der König der Untoten!, verhöhnte er sich selbst. Nur noch schwach erinnerte er sich, wie es gewesen war, ein normales Leben zu führen.

Deutlicher war die Erinnerung daran, wie er zu dem geworden war, was er jetzt war.

Und wie er es hasste.

Und trotzdem akzeptierte.

Und all die Jahre.

O Gott, all die Jahre!

Seit…

Violett berührte sanft seine Hand. “Ich kenne niemanden, der so stark ist wie du”, meinte sei.

“Marik ist mir eben entkommen”, erklärte er bedauernd. “Vielleicht war ich zu zuversichtlich. In Schottland erkannte ich erst in der Gruft, dass er tatsächlich mit Bakura zusammen war. Dort habe ich sie beide verletzt, aber nicht schwer genug.” Er zögerte. “Sie haben Kraft gesammelt, riesige Mengen Blut getrunken… Bakura hat mehrere Jahrtausende lang Kraft gesammelt, um mich zu Fall zu bringen. Es gibt einen Millenniumsgegenstand, einen Ring. Ein goldener Ring. Er hat ihn immer getragen. Es barg eine große Macht.”

“Wo war denn dieser Ring?”, fragte sie.

“Auf dem Meeresgrund.”

“Aber wie hat er…”

“Ihn wieder in die Finger bekommen? Ich weiß es nicht. Ich bin mir auch nicht völlig sicher, dass er ihn wieder hat, aber er hat immer behauptet, dass er ihm die größte Macht verleiht. Jedenfalls hat er sich erholt- beide haben sich erholt, aus welchem Grund auch immer.”

“Hast du schon versucht, sie herbeizurufen?”

“Sie wehren sich dagegen. Sie haben vor, die Macht zu übernehmen.”

“Das darfst du nicht zulassen. Du musst jetzt unbedingt schlafen und selbst wieder zu Kräften kommen”, sagte sie.

“Ich darf jedenfalls keine Schwäche zeigen”, murmelte er.

Schwäche! Er fühlte sich momentan schwach wie ein neugeborenes Kätchen. Völlig erschöpft.

Sie blickte ihm forschend in die Augen. “Das stimmt. Du darfst keine Schwäche zeigen”, sagte sie leise. Sie streichelte ihm zart über die Wange. “Du hast so viel gelernt. Lerne nun, einer alten Freundin zu vertrauen. Deshalb bist du doch hier, oder? Komm rein!”

Er nickte und trat in ihr Heim- das Heim einer Sterblichen, das Wärme verströmte und einen anregenden Duft aus der Küche. Das Wimmern eines Babys. Eine weiche Matratze. Ein dickes Kopfkissen.

“Hast du Erde dabei?”, fragte sie leise. “Ein klein bisschen vom alten Land?”

“In der Tasche.”

“Geh ins Gästezimmer”, meinte sie.

Er blieb stehen. “Vielen Dank. Ich sollte dir noch erklären, dass…”

“Später. Schlaf erst mal. Du siehst aus, als bräuchtest du ein bisschen Zeit, um zu genesen.” Sie betrachtete ihn forschend. “Hast du… gegessen?”

Lag in ihrer Stimme eine Spur von Angst? Sie führte jetzt ein völlig anderes Leben. Er grinste. “Ja.”

“Seto”, murmelte sie zögernd. “Seto, sag mir bitte, dass du dir keine unschuldigen Opfer gesucht hast. Sag mir, dass du nur an bösen Diktatoren, überführten Mördern oder Kinderschändern gesaugt hast.”

“Nein.”

“Seto…”

“Ich habe niemanden gesaugt, sondern mich in der Blutbank im Krankenhaus versorgt.”

Sie lächelte. “Das kommt bestimmt in die Zeitung.”

“Ganz bestimmt.”

“Nun denn- ich habe einen Polizisten geheiratet, erinnerst du dich noch? Vielleicht bist du alles, was zwischen uns und dem totalen Wahnsinn steht. Schlaf jetzt, du wirst all deine Macht brauchen.”

“Danke.”

“Max kommt bald nach Hause. Er wird mehr wissen. Er kann dir helfen. Und du…”

“Ja?”

“Du kannst ihm helfen”, sagte sie sehr leise. “Aber jetzt komm erst mal mit.”

Sie gingen eine herrschaftliche Treppe hinauf, vorbei an vielen bemerkenswerten Gemälden. “Hast du Marik so stark verletzt, dass ein wenig Zeit gewonnen ist?”

“Ja. Ich glaube nicht, dass er so bald eine neuerliche Begegnung mit mir riskieren möchte. Aber er ist nicht allein. Er hat auf alle Fälle Bakura.”

“Trotzdem- er ist angeschlagen.” Sie atmete tief ein und betrachtete ihn. “Du hast recht. Er wird sich nicht noch einmal mit dir einlassen, solange er nicht bei Kräften ist. Aber er wird Beute machen müssen, sie werden Beute machen müssen.”

“Ich fürchte ja.”

“Vielleicht kannst du sie vorher finden.”

“Vielleicht.”

Sie lächelte. “Mich hast du jedenfalls gefunden.”

Auch seine Lippen kräuselten sich schwach. “Ich war einmal in dich verliebt.”

“Wenn ich nachgegeben hätte, wärst du mich bald leid geworden. Ich war nicht die, die du eigentlich wolltest. Ich war ein Spielzeug für dich.”

“Eine Magierin, die plötzlich feststellen musste, dass sie Rat brauchte.”

“So?”, neckte sie ihn.

“Ja.”

“Sieh zu, dass du ein bisschen Schlaf bekommst. Wir sprechen uns später.”

In ihrem wundervollen luxuriösen Gästezimmer wagte er, die Augen zu schließen.

Und zu schlafen.

In diesem Moment spulte die Zeit zurück, schlagartig, um Jahrzehnte, Jahrhunderte, Äonen.
 

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Seine Gastgeberin beobachtete ihn. Sanft strich sie ihm das Haar aus der Stirn. Sie dachte daran, wie sie ihn gehasst hatte, leidenschaftlich gehasst hatte. Er war einmal ein allzu mächtiger Herrscher gewesen, selbstgefällig und herrisch wie alle Regenten, die mit dem göttlichen Rechten eines Königs ausgestattet sind. Er hatte sich genommen, was er wollte, spöttisch, fordernd.

Aber er war ihr zur Hilfe gekommen und hatte seine Stellung damit aufs Spiel gesetzt.

Sie biss sich auf die Lippen. Auch damals schon hatte er wohl mehr riskiert, als er wusste.

Im Schlaf war er wundervoll. Groß, gestählt, muskulös, dichtes dunkles Haar, das ihm immer wieder in die Stirn fiel, egal, wie oft sie es zur Seite strich. Seine markanten Gesichtszüge… und seine Augen.

Wie lebhaft sie sich an diese Augen erinnerte.

Seine Lippen bewegten sich.

“Horus.”

Er hatte nur geflüstert, doch sie hatte den Namen deutlich verstanden. Und sie wusste, dass auch Vampire träumen.

Sie träumen von ihrer Vergangenheit.

Von längst vergangenen Zeiten, von Zeiten, die sie als Sterbliche erlebt haben.
 

(1) erinnert an 7 Zwerge oder?!
 

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So das war’ s erst mal wieder von mir.

Bis zum nächsten Mal

Eure Ice- Queen

Kapitel 4

Kapitel 4
 

Ich bin wieder hier… in meinem Revier… war nie wirklich weg… habe mich nur versteckt!!!

So Leute da bin ich wieder und ich hab euch ein neues Kapitel mitgebracht. Ich muss mich entschuldigen, dass ich so lange nichts von mir hören lies und das ich auch noch nicht auf die Kommis usw. geantwortet hab. Das hole ich nach! Versprochen!!! Doch jetzt genug der Vorrede und viel Spaß beim lesen.

Wünscht:
 

Eure Ice- Queen
 

Kapitel 4
 

2994 v. Chr.

Ägypten, Theben
 

“Reiter! Schwarze Reiter am Horizont! Rettet uns, ihr allmächtigen Götter! Schwarze Reiter am Horizont”

Seth betrachtete gerade das zarte goldene Schmuckstück eines hethitischen Händlers auf dem Wochenmarkt, als er die Rufe vernahm. Neben ihn stand Horus. Er hatte leise gejuchzt vor Freude über die Schönheit dieses mit Saphiren besetzten Dolches. Seth hatte mit dem Händler noch ein wenig gefeilscht, doch schließlich hatte er es Horus in die Hand gelegt. In diesem Moment war der Warnschrei erklungen. Als Seth mit zusammengekniffenen Augen in die Ferne blickte, entdeckte er die schwarzen Reiter unter einer riesigen Staubwolke, die durch den Sand der Wüste aufgewirbelt wurde.

Man schrieb das Jahr 2994 v. Chr., und Seth wusste nur allzu gut, was schwarze Reiter am Horizont bedeuteten. Die Angriffe hatten in den letzten Jahren, seit der neue Pharao regierte, zwar nachgelassen, doch noch immer wurde diese Stadt häufig von Räubern und Dieben heimgesucht. Es gab viele Schätze, nicht nur die aus Gold. Sondern auch die Schriftrollen, in denen viele Geheimnisse längst vergangener Zeiten, Wissen und alte Sprachen niedergeschrieben waren. Aber auch die Tempel. All dies sind die Schätze Thebens und bei den Dieben sehr beliebt.

Die Schreie hallten lauter und lauter gegen den Wind, der plötzlich aufzog und sich zu einem Sturm aufbaute- ein Omen für das Kommende. Krüge kippten um, Jurten (1) wehten davon. Seth packte seinen Geliebten an den Schultern. “Geh!”, befahl er.

Ihre Blicke trafen sich. Horus hatte tiefbraune Augen, ganz leicht ins goldene gehend, wie die Augen eines Gottes. Er wusste was Seth von ihm wollte. Er sollte in den Tempel laufen, um als Geliebter des Hohenpriesters und als Medija (2) dort die Flüchtigen (Frauen, Kinder usw.) um sich zu versammeln und auszuharren, bis die Gefahr vorüber war. Horus, Sohn des Falkengottes, war ein stolzer Mann und ein Kämpfer. Aber er wusste, das die Stadtsoldaten oft ihr Leben opferten, um die Bewohner und die Geliebten der Priester zu retten. Das Beste was er für den bevorstehenden Kampf tun konnte, war, seinen Geliebten in der Gewissheit zurückzulassen, dass er in Sicherheit war und sich im Tempel um die Leute kümmerte.

“Mein Seth!”, sagte er leise, stellte sich auf Zehnspitzen und küsste ihn auf den Mund. Dann wirbelte er herum und rief den Bewohnern der Stadt zu, ihm zu folgen.

“Seid tapfer, Söhne Ägyptens! Für Pharao Atemu und eure Familien!”, rief Seth, um die anderen an den Pharao zu erinnern, der es geschafft hatte, Ägypten zu vereinen und die Kriege der einzelnen Provinzen zu beenden. Ein vereintes Land, das jetzt nur mehr von den Räubern Unfrieden zu erwarten hatte. Diese hausten in der Wüste in Oasen, aber Hauptsächlich in der Stadt der Diebe, eine Stadt die irgendwo versteckt in der Wüste ist und von niemanden je gefunden wurde. Falls doch, konnte derjenige es nicht weiter sagen, denn Tote können nicht sprechen. Nur die Räuber und Diebe kennen die Stadt und wahren das Geheimnis bis in den Tod.

“Seid unerschrocken”, brüllte Seth und drängte sich durch die Menge zu seinem großen weißen Pferd. Noch während er sich in den Sattel schwang, zog er sein Schwert. Das Pferd bäumte sich auf und Seth lies ihn gewähren. Er rief den Soldaten abermals zu: “Seid unerschrocken- oder Anubis holt euch und die Räuber euer Hab und Gut!”

Sein Ruf feuerte die Männer an. Sie hörten auf, wie Funken auseinander zu stieben, und die besten schwangen sich auch auf ihre Pferde. Ein paar Bauern und Viehzüchter griffen zu Hacken und Sensen.

“Bogenschützen auf die Mauern!”, befahl Seth.

Der Wind blies weiter heftig, es blitzte und donnerte. Doch nicht nur das Donnern vom Gewitter war zu hören, sondern auch das Donnern der Pferdehufe, die auf die Stadt mit hohen Tempo zueilten. Die Männer eilten wie befohlen zu den Mauern. Seth grub seine mit Schmuck bekleideten Fersen in die Flanken seines Pferdes, galoppierte den Männern nach und verteilte sie auf bestimmte Positionen, ohne die schwarzen Reiter, die stetig näher kamen, aus den Augen zu lassen. Es waren hundert, hundertfünfzig vielleicht noch mehr und sie würden in die Stadt einfallen, wenn er und die Soldaten nichts dagegen unternahmen.

“Jetzt!”, rief der Hohepriester den Bogenschützen zu, die auf die Mauern geklettert waren, um den Feind noch in der Wüste anzugreifen.

Pfeile sirrten.

Die von diesem Angriff überraschten Räuber brachen in lautes Geschrei aus. Viele starben.

“Noch mal!”, rief Seth.

Und wieder sirrten die Pfeile, und wieder starben Einige.

Aber nicht genügend.

Die Reiter waren an der Stadtgrenze angelangt. Viele sprangen von den Pferden, dem Wind und dem tödlich Pfeilhagel trotzend.

Seth preschte auf sie zu.

In diesem Moment erblickte er ihn.

Er stand mit seinem Pferd außerhalb der Reichweite der Pfeile und außerhalb des Kampfgeschehens, stolz und trotzig. Er fiel ihm sofort ins Auge, denn unter den Kriegern gab es zwar auch ein paar hellhaarige Männer, sein langes Haar aber war weiß und hob sich deutlich von den Haaren der meisten ab, die geraden von ihren Pferden gesprungen waren.

Unter einem langen roten Mantel trug er nur eine weiße Hose. Sein Oberkörper war unbekleidet und um seinen Hals baumelte ein goldener Ring, den Seth selbst aus der Ferne bemerkte.

Seth konnte den Blick kaum von seinem Gesicht wenden.

Der Fremde reckte das Kinn vor, in seinen Augen sprühte das Feuer der Schlacht- und eine gewisse Belustigung.

Auf den Pfeilhagel, der wie ein wütender Sturm auf seine Männer niederging, achtete der Fremde nicht weiter.

Und ebenso wenig achtete er auf die Schreie der Männer und die Pferde, die Qualen der Sterbenden.

Er stand einfach nur da auf seinem Pferd sitzend und beobachtete ungerührt das Blutbad; kein einziges Mal zuckte er mit den Wimpern.

Ein riesiger Koloss mir rabenschwarzem Haar stürzte sich auf Seth. Seth hieb sein Schwert auf ihn ein und brachte den Mann mit einem mächtigen Schlag in den Rücken zu Fall. Nicht nur lesen und schreiben hatte er in seiner Ausbildung zum Priester gelernt, sondern auch Kampftechniken, die ihm von großem Nutzen sein sollten.

Er blieb auf dem Rücken seines Pferdes und schlug auf die ein, die ihn vom Pferd zerren wollten. Auf den schwarzhaarigen folgte ein Brünetter, ein alter Krieger, der bestimmt für das Totenreich bereit war. Danach kam ein jüngerer Mann, gefolgt von einem Irren, aus dessen Mund Schaum troff (3), während er kämpfte. Sie alle starben. Der gelbe Sand vor Seth färbte sich blutrot.

Die gefällten Feinde lagen vor ihm. Währen er sich auf den nächsten Angriff vorbereitete, warf er noch einmal einen Blick auf den weißhaarigen Fremden. Er merkte, dass dieser ihn beobachtete, die Lippen amüsiert gekräuselt. Offenbar betrachtete er das Gemetzel als großartige Unterhaltung.

Er merkte nicht, wie sein Blick an ihm hängen blieb- bis seine Gegner sich von hinten auf ihn stürzten.

Sein Pferd schlug aus und stieg, wobei es einen brüllenden Mann mit den Hufen erschlug. Aber jetzt stürmten gut zehn Gegner auf Seth ein, der trotz seiner Erfahrung im Sattel und seiner wuchtigen Schwerthiebe vom Pferd gezerrt wurde. Er stolperte, teilte nach links und rechts aus und kämpfte mit der Faust weiter, als er sein Schwert verlor. Seine Gegner zerrten an ihm, doch er kämpfte sich wieder frei. Er tastete im aufgewühlten Staub nach seinem Schwert, fand es tatsächlich und rappelte sich wieder hoch. Als er richtig stand, sah er, dass er umzingelt war.

Und schlimmer noch: Mit dem Rücken zu den Mauern sah er, dass die Räuber die Soldaten und Bauern geschlagen hatten. Er und die Männer hatten wacker gekämpft, aber die Feinde waren in der Überzahl, und die Zeit hatte nicht gereicht, dass ihnen Soldaten von anderen Städten oder aus der Hauptstadt zu Hilfe hätten eilen können.

Auch die flüchtenden Bewohner waren inzwischen eingeholt worden.

“Ergebt Euch, Hohepriester Seth, dann lassen wir sie leben.”

Er hörte seine Stimme. Seltsamerweise stand er nicht mehr vor der Stadt, sondern direkt vor ihm.

“Womit garantiert Ihr mir das?”, fragte er.

Der Fremde zog eine Braue hoch, offenbar noch immer sehr belustigt.

Dann wandte er sich schulterzuckend an seine Leute.

“Lasst die Leute los. Alle! Bis auf… den da.” Er deutete auf Horus.

Hatte er erkannt, dass Horus sein Geliebter war?

“Den da!”, befahl er einem der Krieger. “Köpft ihn, damit der Hohepriester sieht, dass wir keine Gnade kennen.”

Seths Herz schlug wild in seiner Brust.

“Lass ihn gehen, sonst töte ich Euch eigenhändig. Auch ich kenne keine Gnade!”

Der Fremde wandte sich wieder an ihn, und erneut hob sich eine Braue. “Hohepriester, ich finde Euch… seltsam”, meinte er. In seiner Stimme lag ein Lachen. “Dann schachern wir eben ein wenig mit dem Priester. Er wünscht es, also lasst dem Kerl dem Kopf!”, befahl er.

“Seth! Gib nichts auf für mich. Biete ihm nichts für mein Leben!”, schrie Horus.

“Er möchte sterben”, sagte der Mann.

“Rührt ihn nicht an!”, befahl Seth.

Der Mann lächelte langsam, ein grausames Lächeln. Windumtost wirkte er bedrohlicher als jeder Sturm.

“Ich werde versuchen, mich zurückzuhalten”, sagte er. Seine Finger schlossen sich um den goldenen Ring auf seiner Brust. Erst jetzt erkannte Seth, dass es sich um den Millenniumsring handelte. Ihm schwante übles.

Seth stand stumm da und wartete.

“Gebt mir Euer Schwert!”

“Lasst ihn gehen, zusammen mit den anderen”, entgegnete Seth und deutete auf seinen Geliebten.

Der Fremde musterte ihn lange, dann kam er auf ihn zu.

Teufel!

Er hörte es von der Wüste flüstern.

Teufel!

Ja, er musste eine Art Teufel sein. Er war in den schwärzesten Künsten bewandert.

“Ihr braucht ihn nicht mehr”, sagte der Fremde. “Ihr habt jetzt mich.”

Hör nicht auf ihn!, mahnte Seth sich. Widersteh ihm!

Aber seine Lippen waren schwer, seine Kehle wie ausgedörrt, es wollten sich keine Worte formen. Warum hatte er ausgerechnet heute seinen Millenniumsstab zu Hause (im Tempel) liegen lassen. Seth starrte den Fremden an und kämpfte darum, den Blick abzuwenden.

Schließlich murmelte er: “Ich brauche keinen Teufel, wie Ihr es seid!”

Sein leichtes Lächeln wurde breiter.

“Ihr lügt.”

Und er log tatsächlich.

Der Fremde hatte Macht.

Er hatte etwas an sich, was in Seths Lenden ein Feuer entfachte, eine ihm völlig unbekannte Begierde. Er wollte ihn berühren. Ungeachtet seines Geliebten, den er innig liebte, ungeachtet der drohenden Gefahr, ungeachtet all der Krieger, Bauern und Kinder, die ihn beobachteten, und die Götter über sich, verlangte ihn nach diesem Mann. Im Wind, im Staub, im Sand. Jetzt. Er glühte.

Mit aller Kraft rang er um einen klaren Kopf. “Lass ihn gehen.”

Der Fremde legte den Kopf zur Seite. Seine Augen funkelten belustigt- oder interessiert.

“Sagt mir, dass ich zu Euch kommen soll.”

“Was?”

“Ladet mich ein… Euch näher kennen zu lernen.”

“Lernt mich näher kennen, nehmt Euch, was Ihr wollt, tut, was Ihr wollt. Aber lasst den Mann gehen!”

Sein boshaft triumphierendes Lächeln vertiefte sich. Er drehte sich um. “Lasst ihn gehen.”

“Die Männer ließen Horus los.

Ihre Blicke trafen sich. Einen Moment war er befreit vom Bann des Mannes. Bei Ra, wie er seinen Horus liebte! Seine Augen, sein Lachen, seine sanfte Stimme, sein streben nach Wissen, seine Liebe zu den Menschen, zu Tieren, zu den Künsten…

Seth neigte den Kopf. “Renn weg! Hilf mir, um mein Leben zu kämpfen, indem du mich wissen lässt, dass du auf mich wartest.

Horus Augen verweilten noch einen Moment auf ihm.

Dann rannte er hinter den anderen Stadtbewohnern her. Er wusste, dass die Krieger ihn mühelos einfangen konnten. Seine Männer waren tot, verwundet, zersprengt. Das wussten auch die Räuber.

Aber sie wussten noch etwas anderes: Je länger sie hier verweilten, desto größer wurde die Gefahr, dass die Soldaten andere Städte, von ihrer Ankunft in Theben erfuhren und sich erzürnt auf die Räuber stürzten.

“Der Mann ist weg”, verkündete der Teufel mit dem weißen Haar, denn wandte er sich wieder an Seth. Endlich schien auch seine Belustigung nachzulassen. “Vielleicht ich dir Narr den Kopf abschlagen lassen, um zu beweisen, dass wir uns alles nehmen, was wir wollen”, erklärte er verdrossen.

Seth starrte ihn an. Seine Wut stand auf einmal wie eine Wand gegen die des Anderen. “Vielleicht sollte jemand Euch Narr den Kopf abschlagen, damit Ihr seht, dass die Welt nicht nur Euer Spielplatz ist.”

“Euer Schwert, Priester!”, forderte der Fremde.

Seth rührte sich nicht.

“Euer Wort gilt also nicht?”, fragte er.

Langsam streckte Seth den Arm aus. Sein Schwert fiel in den Sand.

Der Weißhaarige nickte und wandte sich um. Hinter Seth erklang ein Laut. Er wirbelte herum. Räuber hatten sich von hinten an ihn herangepirscht. Jemand versetzte ihm einen heftigen Schlag auf dem Kopf, Seth stürzte und fiel in den Wüstensand. Der Schmerz begleitete ihn in ein Land der Finsternis.
 

Die Zeit verstrich. Seth wusste, dass er an einem seltsamen Ort weilte, einem Ort der Finsternis. Nicht die Zeit verstrich, es verstrichen Äonen (4). Träume stellten sich ein, und er kämpfte gegen sie. Er litt, er brannte von Kopf bis Fuß.

Ich werde dich heilen…

Er war da. Der weißhaarige Teufel.

Seth knirschte mit den Zähnen. Fort mit dir, du widerlicher, stinkender Teufel.

Sein Gelächter versengte ihn.

Ich werde dich heilen, wie du es nie für möglich gehalten hättest. Ich werde dir eine Stärke verleihen, die du dir nie hättest träumen lassen. Du hast mich eingeladen.

Niemals.

Doch, doch, du hast mich eingeladen…

Dann durchfuhr Seth ein Schmerz, der ihn dazu brachte, wie ein Kind, wie ein Weib zu schreien, heftig und gewaltig, schrecklich und erregend, sich steigernd, wahnwitzig. Schweiß durchdrang seinen Körper, Lust, tiefe, abartige, beschämende Lust vermengte sich mit dem Schmerz. Er wurde gewürgt von seinen langen, weißen Haaren, litt Höllenqualen, bebte vor Verlangen. Und trotzdem war er sicher, dass nichts davon wirklich war. Es war alles Teil der Finsternis, des Albtraums.

Es war bestimmt nur der Schlag auf seinem Kopf.

Denn er war auch da, Horus. Er rief nach ihm, das Lied eines Falken. Er stand auf dem Wüstensand, mit ausgestrecktem Arm, er wollte nach ihm greifen. Sein honigblondes Haar wehte im Wind.

Horus konnte den Sand berühren.

Aus welchem Grund auch immer konnte er das nicht.

Horus!

Seth rief seinen Namen in seiner Seele. Er konnte ihn nicht erreichen.
 

Als Seth später erwachte, hörte er Wasser gegen den Rumpf eines Schiffes schwappen. Sein Kopf hämmerte, sein ganzer Körper schmerzte, seine Muskeln waren gezerrt und zerschunden. Er machte die Augen auf. Über ihm war Holz. Er lag in dem geschlossenen Rumpf eines Schiffes auf einem Lager aus Decken. Seine Arme schmerzten, seine Schultern schmerzten, und sein Hals… bei den Göttern, sein Hals fühlte sich an, als sei er vom Kopf getrennt. Feucht, klebrig…

“Ihr seid bei uns.”

Seths Augen richteten sich auf ihn. Er saß neben ihm.

“Offenbar lebe ich.”

Er lächelte, zuckte mit den Schultern. “Habt ihr gut geruht?”

Seth hatte nich die geringste Absicht, mit ihm über seine Träume zu reden. “Möge Anubis Eure erbärmliche Seele holen und sie ewigen Qualen aussetzen!”

“Habt Ihr schon Hunger?”

“Nein.”

Seth log. Ihm war, als würden Ratten an seinen Eingeweiden nagen. Der Hunger bereitete ihm körperliche Pein, ein alles durchdringender Hunger.

“Trinkt!”

Der Weißhaarige reichte ihm einen Lederschlauch.

Seth wollte ihn nicht nehmen. Doch sein Mund war trocken, seine Lippen aufgesprungen. Wenn er diesen Schlauch ablehnte, würde er sterben.

Seth nahm ihn und trank in tiefen Zügen. Über den Inhalt dachte er nicht nach. Er lief ihm aus den Mundwinkeln, tropfte auf seine Hand. Seth starrte darauf. Die Tropfen sahen aus wie Blut. In ihm verkrampfte sich etwas.

Er musterte seinen Gegenüber scharf.

“Wo sind wir?”, fragte er schroff.

“Wir werden bald landen”, erwiderte der Fremde.

Er stand auf und ging.

Es war dunkel geworden. Die Mannschaft war wach, lachte, das Schiff ritt auf den Wellen, die in dieser Nacht sehr hoch waren.

Seth wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte, und deshalb wusste er auch nicht, wie weit sie gesegelt waren.

Schwankend stand er auf, hielt sich an einem Balken fest, um nicht gleich wieder umzufallen.

Die Krieger nahmen gerade ihre Waffen zur Hand.

Unter Reden und Gelächter holten sie Segel ein und manövrierten das Schiff so weit wie möglich in einen schmalen Flussarms.

Plötzlich wuchs sich das Reden und Gelächter zu einem ohrenbetäubenden Lärm aus: Pferde wurden heraufgeholt, Männer und Tiere sprangen ins seichte Wasser und wateten an Land.

Nur wenige blieben an Bord.

Das Dorf hatte geschlafen.

Jetzt wurde es geweckt.

Schrille, hohe Kampfschreie zerrissen die stille Nachtluft.

Der Angriff begann.

Die Lehmhütten des kleinen Dorfes wurden überfallen und geplündert. Schreie erhoben sich und auch Gebete, doch nicht in der ägyptischen Sprache seiner Heimat, und auch nicht in der hethitische Sprache.

Auf Babylonisch!

Sie waren mitten in Mesopotamien. Doch wie waren sie dorthin gekommen? Seth wusste es nicht und ihm war es auch gerade ziemlich egal.

Sie griffen mit aller Heftigkeit an und kannten kein Erbarmen. Männer irrten schreiend im Dunkeln herum, fielen unter der Wucht von Äxten, die ihnen in den Rücken geschleudert wurden. Es waren nicht Seths Leute, doch er knirschte mit den Zähnen und hätte weinen können, so unbarmherzig und grauenhaft war das Gemetzel. Lieber hätte er gekämpft, ja, lieber wäre er gestorben, als Zeuge einer solch sinnlosen, grausamen Brutalität zu sein.

Dann wurden die Überlebenden am Strand zusammengetrieben. Der Mann mit dem weißen Haar war auch dort, er lief zwischen ihnen herum.

Seltsamerweise konnte Seth selbst aus der großen Entfernung die Augen der Männer sehen. Er sah ihren Hass, ihr Verlangen, auf den Mann einzuschlagen, der sich so unbefangen in ihrer Mitte bewegte. Seth sah alles ganz klar. Er hörte sie sogar, bei Ra, er hatte den Eindruck, als höre er ihre Gedanken, als kenne er ihren Schweiß, ihre Angst…

Es wurde zu einem richtigen Getöse in seinem Kopf. Er presste die Hände auf die Ohren.

Der Weißhaarige lief zwischen den Leuten hindurch, und plötzlich packte er die Hand eins Jungen, der sich hinter einem schwarzhaarigen Mann versteckt hatte. Das Haar des schlanken Jungen fiel ihm bis auf die Schultern und schimmerte schwarz im Mondlicht. Der Fremde zerrte ihn von den Anderen weg. Der schwarzhaarige Mann konnte nicht tatenlos zusehen, er zog einen Dolch.

Der Weißhaarige wandte sich um. Einer seiner Männer trat vor. Der Mann hatte mit seinem Dolch keine Chance. Ein Schwert sauste hart und treffsicher.

Der schwarzhaarige Haupt rollte in den Sand.

Der Junge hatte offenbar nichts davon mitbekommen. Sein Blick haftete auf den Weißhaarigen. Als dieser sein Kinn berührte, hob er den Kopf.

Der Fremde beugte sich über den Hals des Jungen, streichelte ihn- und biss hinein.

Seth war entsetzt. Aber…

… es pochte in seinen Lenden, seine Lippen waren trocken und spröde, das Nagen hatte wieder eingesetzt, als würden Ratten in seinen Gedärmen nagen und kratzen.

Er hatte Durst.

Aberwitzigen Durst…

Er konnte ihn hören, er hörte, wie der weißhaarige Fremde trank, er hörte, wie das Blut sprudelte, wie das Herz des Jungen pochte, wie das Pochen langsamer und langsamer wurde.

Als der Mann fertig war, ließ sie den toten Körper achtlos fallen und sagte etwas zu einem seiner Männer. Dieser hob eine Axt und schlug den Kopf des Jungen ab.

Seth würgte; er wankte, krümmte sich, spürte das Nagen, den verzweifelten Hunger, das sexuelle Begehren, das Kratzen im Magen. Scham überkam ihn, schreckliche Scham und abgrundtiefes entsetzen. Er wollte sich bewegen, kämpfen, sterben, aber er war ebenso machtlos wie jene, die man dort am Ufer zusammengetrieben hatte und die auf ihren enthaupteten Freund und den ausgesaugten Jungen starrten.

Der Mann mit dem weißen Harr wandte sich dem Schiff zu. Er hob die Hand.

Plötzlich waren fünf der Männer, die an Bord geblieben waren, am Ufer.

Seth hatte nicht gesehen, dass ihre Füße das Wasser berührt hätten.

Sie streunten nun in die Menge herum und suchten sich ihre Opfer.

Seth schrie gepeinigt auf, als er wieder das Blut sprudeln hörte und das Schlürfen, während die Krieger, die gar keine Krieger waren, gierig tranken. Er spürte Blut, roch Blut, höllische Qualen peinigten ihn.

Um gegen diese überwältigende Qual, den wahnwitzigen Hunger anzukämpfen, ballte er Fäuste, biss die Zähne zusammen und spannte jede Faser seines Körpers.

Dann blickte er hoch. Er musste es tun. Er starrte ihn an, Seth sah seine Augen.

Der Fremde lächelte.

Und plötzlich stand Seth direkt neben ihn.

Seth erinnerte sich nicht daran, sich bewegt zu haben. Und doch stand er nun am Ufer neben ihn. Und er stand neben einem… Körper. Seth weigerte sich, nachzusehen, ob es ein Mann, eine Frau oder ein Kind war. Der Weißhaarige hielt das Opfer an den Haaren fest, und das Opfer bot ihm seinen Hals wie ein Lamm auf der Schlachtbank. Er fixierte Seth. Plötzlich kniete Seth sich hin. Er versuchte, nichts zu sehen und zu hören. Doch er hörte Blut. Er hörte es im Hals des Opfers pochen. Ihm war eisig kalt, und er hatte Heißhunger. Das Blut würde ihn wärmen und sättigen. Und die Qualen, die er durchlitt, würden nachlassen.

Beiß zu!

Er sagte es nicht laut, doch Seth vernahm ihn klar und deutlich.

Nein.

Der Fremde biss in den Hals des Opfers, in blasses Fleisch, schuf eine Öffnung, aus der das Blut kräftig sprudelte. Er leckte sich die Lippen, schlürfte, saugte…

Seth konnte es nicht mehr ertragen. Er packte ihn am Nacken, zerrte ihn an den Haaren, lenkte sein Gesicht zum Hals des Opfers. Blut sprudelte in Seths Mund, er schmeckte es, er spürte das Hämmern, Pulsieren, die Wärme…

Seths Mund ging auf.

Er war verzweifelt. Gequält, frierend, von unerträglichem Durst gepeinigt.

Und schließlich begann er zu trinken.

Und zu trinken und zu trinken…

Seth hielt das Opfer nun selbst, grub die Zähne in dessen Hals, spürte, wie das Blut aus dessen Adern in ihn strömte. Er trank in großen, gurgelnden Zügen, trank und trank und trank, bis er satt war und…

… bis es keinen Pulsschlag mehr gab. Keine Wärme in dem Körper, den er immer noch festhielt. Kein Leben mehr.

Er stand stocksteif da, dann entrang ihm ein Schrei, der direkt aus seiner Seele zu kommen schien. Es war ein Mann gewesen, eine junge Frau. Hübsch, blond, anmutig…

Ein Leben, eine Familie, ein Heim, eine Zukunft hätten vor ihr gelegen.

Jetzt war das Leben aus ihr gewichen.

Erneut brüllte Seth qualvoll auf. Er hörte ihn lachen.

“Bestie!”

Seth ließ den leblosen Körper fallen, stand auf und wandte sich gegen den Weißhaarigen. Er wollte ihn in Stücke reißen. Er war kein Mann, er war ein Ungeheuer.

Doch als Seth sich auf ihn stürzte, trat er zur Seite, und er prallte gegen einen der Krieger. Er wurde zurückgestoßen, offenbar kam er mit all seiner Kraft nicht im Geringsten gegen diese Männer an. Halb wahnsinnig stürzte er sich erneut auf den Mann. Er wollte ihn packen, doch dieser erwischte ihn am Arm und drehte ihn herum. Der Fremde war sehr kräftig. Scheinbar mühelos brachte er Seth dazu, sich vor ihm hinzuknien. Seth sprühte vor Wut und Abscheu.

Der Fremde ließ ihn los.

Seth stand auf und griff wieder an.

Er wehrte ihn ab.

Seth schien durch die Luft zu fliegen…

Diesmal kam einer der fünf, die auf dem Schiff geblieben waren, auf ihn zu, hob ihn hoch und schmetterte ihn zu Boden. Seth kämpfte gegen den Kerl mit aller Macht. Früher war er ein großer Mann gewesen.

Ein Priester.

Früher.

Er wurde gegen einen Baum geschleudert.

Und ging zu Boden.

Als Seth sich mühsam auf einem Ellbogen aufstützte, sah er verwundert, dass die Überlebenden des Dorfes noch immer herumstanden, mit leeren Mienen. Sie waren wie Schafe, merkten nichts von dem Kampf, nichts von den Gräueln, die sich vor ihren Augen abspielten. Um sie her waren Körperteile verstreut, der Kopf des schwarzhaarigen Mannes lag direkt neben Seths Ellbogen.

Auf einmal stand der Weißhaarige über ihm, und sein Lächeln wurde breiter.

“Bestie, Ungeheuer!”, zischte er.

Der Mann grinste nur. “Das Blut war köstlich, nicht war?”

“Nein!”

Er brach in schallendes Gelächter aus, offenbar amüsierte er sich königlich.

“Es schmeckt nur selten so süß. Sie war jung und bestimmt völlig unschuldig.”

Er starrte auf Seth herab.

Sein Lakai, der Mann, der sich eben mit Seth geschlagen hatte, stand neben ihn. Groß, aber nicht so groß wie Seth, hager. Sein Haar schimmerte blond und war nicht so hell wie das, des Fremden, seine Augen waren violett.

“Begreif es doch endlich: Auch du bist ein Ungeheuer, Hohepriester”, meinte er.

“Nein!”

Doch Seth wurde übel bei dieser Lüge. Das Blut hatte gut geschmeckt. Köstlich, wie Wasser in der Wüste, Nahrung für die Darbenden (4). Es hatte süßer geschmeckt als jeder Wein. Es hatte ihn gesättigt, ihn gewärmt, es hatte… Bei den Göttern…

Es hatte en Höllenqualen, die ihn zu zerreißen drohten, ein Ende bereitet. Dem unerträglichen Schmerz.

“Steh auf!”, befahl der Weißhaarige ihn.

“Nein.”

“Ihr werdet tun, was ich Euch sage.”

“Ich werde nie euer kriecherischer Sklave sein, Teufel!. So wie der da!” Er deutete auf den Blonden.

Dieser wollte erneut auf ihn stürzen.

Der Fremde hob nur die Hand, und schon blieb er stehen.

“Keine Sorge, Ihr werdet Euch schon noch fügen”, erklärte er kalt. Er legte die Hand auf die Brust seines Lakaien.

“Marik ist mein Gehilfe. Mit der Kraft bedacht, beschützt…”

Er griff nach dem Millenniumsring, den er am Hals trug.

“Beschützt von meiner Macht”, fuhr er fort. “Ich werde Euch vorerst weiter existieren lassen. Vielleicht lernt Ihr noch. Wir zerstören einander nicht. So wollen es die uralten Gesetzte. Aber ich stehe über dem Gesetz, Hohepriester. Ich bin das Gesetz. Ich habe Euch erschaffen, und ich werde Euch zerstören, wenn Ihr zu langsam lernt.”

Seth wusste, was er zu tun hatte.

Er erhob sich und entriss einem Krieger das Schwert. Der Lakai- Marik- erschrak, er glaubte wohl, dass Seth es auf den Weißhaarigen abgesehen hätte.

Er zerrte ihn weg.

Doch Seth rammte sich die Waffe mit aller Kraft selbst in den Bauch.

Schmerz, greller Schmerz. Er kippte vornüber.

Und hörte ihn lachen.

“Marik, schaff ihn zum Schiff zurück.”

Wieder konnte er sich nicht erinnern, wie er auf das Schiff gekommen war, aber er befand sich dort. Er hätte tot sein müssen, doch er war es nicht. Er hätte verbluten müssen…

… doch die Wunde war schon fast verheilt.

Als er merkte, dass der Fremde vor ihm stand, spürte er kaum noch Schmerzen. Er war nur sehr erschöpft und konnte sich nicht rühren.

“Was seid Ihr?”

Der Weißhaarige musterte ihn kurz. “Ich bin alles. Eure Sonne, Euer Mond, Eure Sterne, Euer Herrscher, Euer Gott.”

“Für mich seid Ihr ein Nichts!”

“Ihr seid starrköpfig, Hohepriester. Aber Ihr reizt mich. Ich hebe weit mehr Geduld mit Euch, als Ihr verdient habt.” Er zuckte mit den Schultern. “Ich glaube, dass Ihr mit der Zeit lernen werdet. Ihr müsst!”

“ich widert mich an!”

Wieder brach der Fremde in lautes Gelächter aus, ein schreckliches, tiefes, grausames, höhnisches Lachen. “Ihr verzehrt Euch nach mir, und Ihr belügt Euch selbst. Ihr glaubt, dass Ihr noch eine Seele hättet oder so etwas wie ein Herz. Das habt Ihr nicht mehr. Ihr werdet Euren kleinen Geliebten mit honigfarbenen Haar vergessen…”

“Ihn vergessen? Euretwegen?” Seth fand die Kraft, sich aufzusetzen und ihm diese Worte mit wütender Verachtung entgegenzuschleudern. “Sein Lachen wegen des Gackerns eines Teufels vergessen?”

“Wir werden sehen.” Er lächelte wieder. “Wollt Ihr wissen, was ich bin, Priester? Manche nennen mich Lamia. So heißen Wesen wie ich im Osten. Bei den Tartaren, den Hunnen und den Galliern wird mein Name nur geflüstert: Vampir. Aber ich bin mehr. Ich bin der Älteste, der Mächtigste; ich herrsche, ich erschaffe, ich zerstöre. Passt auf, Hohepriester, sonst werde ich Eueres Gewimmers überdrüssig. Und glaubt mir, dann zerstöre ich Euch.”

“Das habt Ihr bereits.”

“Ich habe Euch Kraft gegeben und ein Leben, das ewig währen kann.”

“Ich bin ein toter Mann,”

“Euer Hunger wird Euch am Leben halten.”

Er ging.

Plötzlich kniete der Lakai neben Seth, “Er will dich”, meinte der blonde höhnisch. “Du bist ein Narr. Aber er wird dich bald satt haben. Und dann, dessen kannst du dir sicher sein, werde ich dich zerstören.”

Fahle Streifen am Himmel kündeten von einem neuen Tag.

Der Morgen graute.

Der Lakai ging ebenfalls.

Seth konnte sich nicht rühren. Er hatte keine Kraft und keine Macht mehr. Die Sinne ging auf. Er schloss die Augen und verspürte einen grauenhaften Schmerz, eine grauenhafte Pein.

Er glaubte, dass er nun sterben würde.

Und er hatte nichts dagegen, nein, er war froh darüber.

Doch er schlief nur.
 

*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-
 

(1) Jurten= Zeltplanen über Marktstände

(2) Medija= Krieger der Leibgarde des Pharaos; ich weiß falsch geschrieben…

(3) Tollwut!!! O_O

(4) Darbenden= Hungrigen
 


 

So und wieder ein Kapitel geschafft. Mann das war aber wieder auch ne Arbeit…

Und wie fandet ihr’s???

Ich würde mich über Kommi’ s sehr freuen ^^

Wie gesagt auf die anderen Kommentare werde ich noch antworten, bin bloß noch nicht dazu gekommen. Aber das wird jetzt sofort nachgeholt. Versprochen!!!

So in dem Sinne noch vielen Dank fürs lesen und im Voraus schon mal Danke für die Kommis. ^^
 

Bis bald mal wieder
 

LG Icy

Kapitel 5

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Kapitel 6

Kapitel 6
 

Also hier ist das neue Kapitel für Euch. Ich hoffe es gefällt Euch. Also viel Spaß beim lesen!!!

Jetzt geht’s los….
 

Kapitel 6
 

In der Folgezeit nahm sich ein junger Mann mit klaren grünen Augen Seth an. Er wurde sein Lehrer, sein Mentor, sein Führer und schließlich sein Freund.

Seto erfuhr, dass Bakura viele Jahre bei den Räubern und Dieben gelebt hatte. Er war dem Ururgroßvater des Mannes vor langer Zeit bei einem Überfall in einem kleinen ägyptischen Dorf in die Hände gefallen. Niemand wusste genau, woher er ursprünglich stammte, aber als die Diebe und Räuber sein Dorf überfielen und plünderten, erkannten sie rasch, dass sie viel mehr erbeutet hatten, als ihnen lieb war.

Bevor ihr Gefangener sie alle umgebracht hatte, schlossen sie Frieden mit ihm. Zwei der anderen Vampire in seinen Diensten waren sehr alt, fast so als wie Bakura und älter als der junge Mann sagen konnte. Den dritten Mann, Marik, hatte er von einem Überfall vor nicht allzu langer Zeit mitgebracht. Er war gefährlich, niederträchtig wie kein anderer, verschlagen, gerissen, böse. Und er wusste viel, er kannte Legenden, Götter und Göttinnen sowie Magier und Hexen aus aller Herren Länder.

Die Räuber und Diebe segelten mit den Vampiren über Flüsse und Meere und beschafften ihren Herren Opfer. Im Gegenzug durften sie die Beute ihrer Raubzüge behalten.

Und auch ihre Familien wurden verschont.

Der junge Mann, der Seth das alles erzählte, hieß Faruk.

Er achtete sehr auf seine Worte, doch wenn Bakura nicht auf dem Schiff weilte, senkte er die Stimme und erzählte Seth mehr.

Jawohl, Seth war tot. Das erklärte ihm Faruk betrübt, fast bedauernd.

Aber nicht richtig tot.

Er gehörte jetzt zu den Untoten.

Um zu überleben, brauchte er Blut. Ja, es konnte auch Tierblut sein- er hatte Bakura das Blut von Schafen, Pferden und anderem Getier trinken sehen, wenn es einmal kein Menschenblut gab. In solchen Zeiten war er nicht sehr glücklich. Er betrachtete die anderen- die Lebenden unter ihnen- dann mit einem Blick, bei dem es ihnen eiskalt über den Rücken lief und sie um ihren Verstand fürchteten.

Er achtete stets darauf, von Artgenossen umgeben zu sein. Einer wich kaum von seiner Seite, im Moment war Marik sein Beschützer. Wie Bakura ihnen einmal erzählte, hatte es vor ihm einen anderen Anführer gegeben. Aber er war stärker geworden und hatte ihn vernichtet, nachdem er von ihm gelernt hatte. Der Biss eines Lamia oder eines Vampirs konnte zwar ein neues Wesen seiner Art erzeugen, aber es gab bei den Untoten ein Gesetz, dass keiner im Laufe eines Jahrhunderts mehr als zwei Artgenossen schaffen durfte.

Daneben gab es noch andere Gesetze.

Sie durften einander nicht töten. Sie durften sich bei ihren grausamen Taten nicht von einem starken Herrscher ertappen lassen oder so viel Zorn auf sich laden, dass stärkere Kräfte sie zerstören könnten. Sie hatten einen Schwachpunkt und konnten getötet werden. Mit ihrem Biss schufen sie andere ihrer Art, doch da ihr Appetit sehr groß war, musste ihre Zahl beschränkt bleiben. “Deshalb soll der Kopf abgetrennt werden. Sonst würden zu viele Opfer als Vampire aufwachen.” Faruk zuckte die Schultern. “So, wie Ihr aufgewacht seid.”

“Mir sind Geschichten zu Ohren gekommen, dass die Untoten nur nachts aktiv sind”, meinte Seth. “Aber Bakura bewegt sich Tag und Nacht…”

“Während Ihr erschöpft daniederliegt”, ergänzte Faruk. “Er ist stark, sehr stark; und alt. Er hat viel gelernt, ausprobiert und Anderen beigebracht. Mit der Zeit werdet auch Ihr stärker werden.”

Er zögerte. “Blut verleiht Euch Kraft. Auch Bakura ist nachts am stärksten und mächtigsten. Manchmal raubt ihm das Licht der Sonne die Kraft.”

“Aber es bringt ihn nicht um.”

“Sollte es ihn zu einem Haufen Asche verbrennen? Ich fürchte, nein.”

“Aber ich habe gehört…”

“Man erzählt sich viele Geschichten. Manche stimmen, manche nicht. Irgendwann müsst auch Ihr wieder etwas zu Euch nehmen, aber Ihr könnt Euch den Bauch auch wie andere Menschen mit Fleisch voll schlagen.” Faruk zuckte die Schultern. “Das ist nicht schwer. Und es wird Euch egal sein, ob Euer Lamm gebraten oder roh ist. Eure Lage hat also auch Vorteile: Ihr könnt eine Kuh einfach von der Weide holen und reinbeißen, ohne ein Feuer zu machen und sie zu braten. Ihr seid also unabhängig von der Witterung.”

Er bemühte sich um ein Lächeln. Seth erwiderte es nicht.

“Ihr könnt ewig leben”, fuhr er fort.

“Verachtet, gehasst, gefürchtet?”

“Viele große Führer werden verachtet, gehasst un gefürchtet und würden doch gern ewig leben”, gab Faruk zu bedenken. “Ihr habt große Macht. Macht wird immer gefürchtet und gehasst.”

In jener Nacht fand wieder ein Überfall statt. Seth blieb auf dem Schiff und lauschte den Schreien.

Er spürte, wie Bakura nach ihm rief.

Doch Faruk hatte ihm gesagt, er würde stärker werden. Das würde ihm nur mit seiner Willenskraft gelingen, dachte Seth.

Sein Wille musste stärker werden als Bakuras.

Er schaffte es, seinem Ruf zu widerstehen.

Er zwang ihn nicht. Bestimmt war er sicher, dass sein Hunger ihn mit der Zeit in den Wahnsinn treiben und er seinem Ruf dann schon folgen würde.

Am nächsten Tag setzte der Schmerz ein.

Hunger, Pein. Es war kein normaler Hunger, es war ein Bedürfnis, das seinen ganzen Körper in Aufruhr versetzte. Er war so hungrig, dass er spürte, wie ihn die Kräfte verließen.

Neben dem Schiff entdeckte er einen Delfin. Der nagende Hunger wurde so stark, dass er sich blind vor Schmerz krümmte. Selbst aus dieser Entfernung konnte er das warme Blut des Säugetiers spüren.

In dem Moment entdeckte er, wie mächtig er war. Er konzentrierte sich auf den Delfin, schloss die Augen und verfolgte die Bewegungen des Tiers im Wasser. Er spürte die Muskeln des Delfins, seine Bewegungen. Er befahl dem Tier, näher zu kommen, immer näher.

Der Delfin kam bis an den Rand des Bootes. Er hätte ihn einfach packen können.

Doch dann öffnete er seine Augen und sah, wie schön dieses Tier war und wie sehr es ihm vertraute. Seine Hand lag schon auf ihm, der Delfin schwamm direkt an der Oberfläche neben dem Schiff. Er hätte ihn ohne weiteres aus dem Wasser ziehen können.

Schwimm, dachte er, schwimm weg.

Und tatsächlich entfernte sich das Tier eilends. Zitternd sank Seth zu Boden. Er wollte keine Menschen, er wollte auch keine Säugetiere. Plötzlich durchzuckte ihn ein anderer Schmerz. Er blickte auf seine Hände.

Das Salzwasser hatte ihn verbrannt!

Salzwasser konnte töten.

Mit dem Wissen kroch er zu seinem Lager im Rumpf des Schiffes zurück.

Als er schlief, kam er zu ihm. Am Tag war die richtige Zeit, da hatte er keine Macht, keinen Willen, keine Kraft, und dennoch…

Die Gefühle, die er in ihm auslöste…

Seth hatte sich noch nie so männlich gefühlt, noch nie einen so heftigen Höhepunkt erlebt. Doch als es vorbei war, hasste und verachtete er sich abgrundtief.

Am nächsten Tag stand er am Bug des Schiffes, eingehüllt in einem Pelzumhang. Dennoch fror er erbärmlich im tosenden Wind.

Er dachte daran, sich in die Fluten zu stürzen und zu ertrinken. Stundenlang stand er da und grübelte.

Bis Faruk zu ihm trat.

“Tut es nicht!”

“Warum nicht? Ich bin ein toter Mann.”

“Zerstört Euch nicht selbst!”

“Warum nicht?”

Faruk suchte lange nach den richtigen Worten. Schließlich fand er sie.

“Weil Ihr bleiben solltet, um ihn zu vernichten.”

“Eines Tages könnte ich mich auch gegen Euch wenden, mein Freund”, erinnerte ihn Seth. “Ich könnte die Beherrschung verlieren und Euch in Stücke reißen.”

“Das stimmt”, erwiderte Faruk gleichmütig. “Aber das werdet Ihr nicht tun.”

Er hörte den Wind blasen und spürte seine Kraft. Es gab viele Dinge auf dieser Welt, die böse waren, aber nur wenige, die so böse waren wie Bakura.

Zu leben- wenn man es denn so nennen konnte-, um ihn zu vernichten: Das gab seinem Dasein einen Sinn. Und später in dieser Nacht war er richtig froh darüber.
 

****************************
 

Er lernte, seinen Hunger an Ratten und Vögeln und anderen Kleintieren zu stillen. Er wusste, dass er Blut brauchte und dass ihm dieses Blut Kraft gab.

Außerdem lernte er, sich mithilfe seiner Gedankenkraft zu bewegen und so wie Bakura auf dem Wasser zu gehen.

Ja, er lernte tatsächlich, dieses erbärmliche untote Leben auf seine Weise zu führen.

Gut wie lange nicht mehr fühlte er sich nach dem Tag, an dem er das Wildschwein aufgestöbert hatte. Das arme Vieh, auch wenn es selbst eine Art Ungeheuer war, hätte wahrhaftig kein solches Ende verdient.

An diesem Tag war er allein von Bord gegangen und hatte das Wildschwein gewittert. Er spürte, wie er sich in einen Jäger, einen Wolf verwandelte. Dann setzte er dem Wildschwein nach, griff es an, stürzte sich darauf.

Er saugte es bis zum letzten Blutstropfen aus, dann verschlang er es. Anfangs riss er es in Stücke, die er sich gierig in den Mund stopfte, dann fing er an, langsamer zu essen und es zu genießen. (Hat halt doch noch Manieren!!!) Als er mit dem Fleisch fertig war, kaute er sogar noch auf den Knochen und der Haut herum.

Doch eigentlich wollte er Menschenblut, das war ihm klar. Er versprach sich diesem Drang nachzugeben, wenn ein geeignetes menschliches Wesen zur rechten Zeit vor ihm auftauchte. Er war der Hohepriester der Ägypter gewesen, der oft hatte kämpfen müssen. Er hatte schon mehrmals getötet.

Und er würde wieder töten.

Aber wenn die Götter schon eine solch abscheuliche Kreatur wie ihn ertragen konnte, dann würden sie ihm vielleicht auch Macht und Stärke verleihen. In der Natur herrschte ein Gleichgewicht; vielleicht war er ein Teil davon. Wenn er sich um die richtige Kraft bemühte, konnte er es vielleicht auch vermeiden, Unschuldige zu töten.

Sie segelten weiter auf den Meeren und brachten Tod und Verderben, wo immer sie ablegten- in Babylonien, Griechenland, Italien, Spanien, dem heutigen Marokko, Algerien, Tunesien und Libyen, sowie andere arabische Staaten.

Bakura war nicht mehr so belustigt wie früher, als ihm klar wurde, dass er jemanden geschaffen hatte, der entschlossen war, ihm Widerstand zu leisten.

Eines Nachts machte er Seth heftige Vorwürfe.

“Warum tust du das? Du weißt doch, was du bist. Du kannst nicht zurück. Ich biete dir an, mit mir zu herrschen, mein wahrer Gefährte zu werden. Ich besitze in dieser Welt alle Macht, ich bin schlau und schön, (schön eingebildet…) und ich biete die alles, was du dir nur wünschen kannst. Du bist ein Narr, wenn du mich weiterhin abweist.”

Doch nun war es an Seth, spöttisch zu grinsen. “Du bist der Narr, du törichter Kerl. Du glaubst, dass du dir nehmen kannst, was du willst, und dass ein Mann, der früher ein Mensch war, dir gehört. Du hast nicht die geringste Ahnung, was Schönheit bedeutet. Für mich bist du hässlich und dumm. Dir fehlt jede Vorstellung von Liebe und Mitgefühl, ja sogar von Vernunft. Du meinst, dass du über uns herrschst? Nun, nicht mehr lange. Selbst in unserer Welt, der Welt der Jäger, muss Gleichgewicht herrschen. Du tötest nur um des Tötens willen, um deine grausamen Gelüste zu befriedigen. Wenn du weiter so mordest, wirst du Verdammnis über unsere Art und dich selbst bringen!”

Damit wandte er sich ab und freute sich über die Wut, die in Bakuras Augen aufblitzte.

Aber nach wie vor beherrschte er das Schiff und die Besatzung. So segelten und plünderten sie weiter.

Eines Spätnachmittags, als die Sonne im Begriff stand unterzugehen und die Kraft der Nacht wuchs, kamen sie zu einem Dorf. Er wusste, dass wieder ein großes Schlachten bevorstand. Reumütig dachte er daran, was er früher gewesen war, und an die Menschen, die bald sterben mussten.

Die Zeit wird kommen, in der ich herrsche. Und ich werde wissen, was ich bin- ein Ungeheuer, ein Jäger. Aber es wird Regeln geben für die Jagd, und die werden befolgt werden, und es wird Vernunft herrschen inmitten all des Wahnsinns.

Schreie drangen an sein Ohr.

Er roch Blut. Der Hunger plagte ihn.

Doch er widerstand der Versuchung. Er blieb an Bord und gesellte sich nicht zu den Anderen.

Dann hörte er ihn rufen. Bakura rief nach ihm, mit höhnischer Stimme und einem drohenden Unterton.

Er trat an die Reling des Schiffes, befallen von einer schrecklichen Ahnung.

Er sah, dass sie in seine Heimat zurückgekehrt waren. Die Krieger kämpften, und…

Bakura umging das Gemetzel. Er kam bei den Frauen, Kindern, Alten und Schwachen, Priestern und deren Beschützer an, die an der Flucht gehindert wurden.

Er packte Horus.

“Bakura!”

Wütend schrie Seth seinen Namen und wollte sich zur Küste aufmachen. Doch die Schlacht war schon vorüber, die Ungeheuer hatten gesiegt. Bevor er an Land gehen konnte, war Bakura zurückgekehrt. Seine Leute zerrten Seths Geliebten an Bord. Bakura stieß den zitternden, nassen Horus zu ihm hin.

“Horus!” Sein Name kam ihm wie eine Liebkosung von den Lippen.

Er lächelte. Ein Lächeln, in dem das Versprechen lag, dass die Liebe ewig währte.

Seine Augen ruhten auf ihm. Seine wunderschönen tiefbraunen Augen, Augen ganz leicht ins goldene gehend- Götteraugen, voller Vertrauen und Gelassenheit. O bei Ra, er vertraute ihm, seinem Wort, seinen Gedanken.

“Heute Abend stirbt er, Hohepriester!”, sagte Bakura. Er stand direkt hinter Horus und hob dessen dichte Haarmähne.

Dann grinste er boshaft, seine Lippen öffneten sich, Speichel floss ihm aus den Mundwinkeln.

Seth stürzte sich auf ihn, rasch wie der Wind, erfüllt mit der Wut eines Gewittersturms, und erwischte ihn, bevor sich seine Zähne in Horus Hals graben konnten.

Sie begannen zu kämpfen.

Seth packte ihn an den Haaren und um die Taille, zerrte ihn weg von der Beute, nach der es ihn so gelüstet hatte, strauchelte, blieb stehen. Bakura wand sich zu ihm um und hieb mit einer derartigen Wucht auf ihn ein, dass ihm der Kopf dröhnte. Er wurde unsanft zu Boden gestoßen, rappelte sich hoch, fasste ihn wieder um die Taille. Bakura trat ihm ans Kinn, wirbelte herum und prügelte ihn so heftig, dass er hörte, wie ihm die Knochen brachen.

Erfüllt von verzweifelter Wut schlug Seth Bakura mit der Faust in den Bauch, und während dieser sich krümmte, versetzte Seth ihm einen Kinnhaken.

Wieder hörte er Knochen brechen, doch diesmal waren es Bakuras.

Schmerzerfüllt kreischte dieser auf. Die gesamte Schiffsmannschaft stand stocksteif da und beobachte den Kampf. Bakura starrte ihn kurz an, dann drehte er sich um und stürzte sich geradewegs auf Horus.

Seth war ihm auf den Fersen. Bakura blieb keine Zeit, die Zähne in sein Opfer zu graben, doch er gab sich nicht geschlagen. Bakura prallte mit einer derartigen Wucht auf Horus, dass dieser über die Reling ins Meer stürzte.

Seth packte Bakura und schleuderte ihn mit solcher Kraft zu Boden, dass er nicht mehr aufstand.

Aber das spielte keine Rolle mehr. Horus war ins Meer gestürzt.

Seth trat an die Reling und wollte seinem Geliebten nach springen, der in den Wogen verschwunden war, doch starke Arme packten ihn an den Schultern. Es war Faruk, die grünen Augen ernst auf ihn gerichtet.

“Nein! Ihr würdet umkommen.”

“Das ist mir egal.”

“Aber er wird ebenfalls umkommen. Wir werden ihn suchen. Wir werden…”

Plötzlich befiel ihn ein rasender Schmerz. Überrascht versuchte er, sich umzudrehen.

Bakuras treuester Gefährte, Marik.

Er hatte ihm einen Schwerthieb in den Nacken versetzt. Die Klinge steckte noch immer im Fleisch.

Seth wurde schwarz vor Augen, und er kippte vornüber.
 

Als er wieder zu sich kam, blickte er direkt in Faruks frohes Antlitz.

“Ihr habt also überlebt. Ihr seid wahrhaftig stark. Sie hätten Euch fast den Kopf abgetrennt. Das wäre Euer Ende gewesen, wie Ihr ja wohl wisst.”

Seth setzte sich auf und rieb sich den Nacken. Er sah sich um. Der Geruch des Meeres stieg ihm in die Nase. An den Wänden der kleinen Hütte, in der er lag, hingen Netze. Er hörte eine Möwe kreischen.

Offenbar befanden sie sich in einer Fischerkate. Fragend blickte er Faruk an. “Wo sind wir?”

“Auf einer Insel in Küstennähe.”

“Welcher Insel?”

“Der Toteninsel.”

“Toteninsel?”

“Hier stürmt es häufig, und nur wenige wagen sich her. Es heißt, dass dies der Ort der Missgeburten sei. Zwerge, Halunken und Bucklige hausen hier, auch Aussätzige, doch daneben noch Zauberer, Hexen, Geister und Ähnliches. Hier fragt keiner nach der Macht des Anderen.”

“Und Bakura?”

“Wir haben Euch hierher geschafft, bevor er wieder bei Kräften war. Er glaubte, Ihr würdet bald sterben, wenn Ihr nicht ohnehin schon tot wärt. Niemand dachte, dass Ihr mit einer solchen Schwertwunde überleben würdet. Bakura tobte. Ihr habt ihn schwer verletzt. Er musste in seinem Leichentuch schlafen, umgeben von großen Mengen heimischer Erde.”

“Und was ist mit Horus?” Er packte Faruk an den Schultern.

Faruk atmete tief durch. “Ihr wisst doch, dass er ins Meer stürzte.”

“Jawohl. Aber Ihr hattet geschworen, nach ihm zu suchen.”

“Richtig, und das habe ich auch. Ich bin immer wieder nach ihm getaucht, der Wucht der Wellen und des Sturms, der kurz darauf aufzog, trotzend… Aber ich fand ihn nicht mehr, Priester.”

Er wusste, dass Faruk sich nach Kräften bemüht hatte, doch dieses Wissen linderte nicht den Schmerz, der ihn nun ergriff. Die Dunkelheit, die sich auf Seth senkte, war schlimmer als alles Pein, die er bisher erlebt hatte. Horus. Alles war erträglich gewesen, solange er gedacht hatte, dass er immerhin sein Leben gerettet hatte.

“Verzweifelt noch nicht ganz”, sagte Faruk.

“Und warum nicht?”

“Einige Männer schwören, sie hätten ihn hier am Strand auf- und ablaufen sehen. Er kommt am Tag und verschwindet bei Nacht.”

“Was?” Wieder packte er Faruk und zuckte unter dem Schmerz zusammen, den ihm diese heftige Bewegung verursachte. “Also lebt er vielleicht noch?”

“Ich weiß es nicht. Vielleicht ist es ja sein…”

“Sein was?”

Faruk betrachtete ihn mitleidig. “Sein Geist.”

“Nein! Wenn man ihn gesehen hat, dann lebt er auch noch. Ich glaube nicht an Geister.”

“Warum nicht? Die Geister leiten uns. Unsere Ahnen sind von uns gegangen, doch sie schicken uns Botschaften durch Schriften und Knochen. Wir folgen dem, was unsere Orakel sagen. In der Wüste, in den Wälder, im Wind und im Wasser gibt es viele Kräfte, die man weder berühren noch sehen kann. Die Einheimischen sagen, dass er als…”

“Als was?”, fiel Seth ihm ungeduldig ins Wort.

Faruk zögerte, dann zuckte er die Schultern. “Diese Insel gehört zum Reich der Hethiter, mein Freund. Und die Hethiter glauben, dass du hier bist, obwohl du tot bist. Sie glauben auch an die Macht des Wassers, des Meeres. Es gibt unzählige Legenden. Jawohl, du bist tot, aber du hast damals den Delphin verschont. Vielleicht haben die Herrscher der Meere Horus aufgenommen und auch ihm ein neues Leben geschenkt.”

“Was willst du damit sagen? Rede, Mann!”

“Hier glaubt man an Ellils und Aranzahs Kinder(1). Solche Wesen nehmen Tags über menschliche Gestallt an, und nachts werden sie zu Geschöpfen des Meeres oder des Himmels. Das Meer und der Himmel sind ihre Rettung, oder vielleicht der Ort ihrer Geburt. Sie können zwar an Land gehen und Kontakt mit den Menschen aufnehmen, aber sie müssen wieder ins Wasser oder in die Luft zurück.”

“Nein. Er hat bestimmt überlebt. Vielleicht ist er verletzt auf dieser Insel gestrandet und leidet, weil er nicht weiß, wer er ist.”

Faruk ließ ihn in dem Glauben. “Wer weiß? Womöglich hast du recht, womöglich habe ich recht. Womöglich wird selbst ein Priester wie du diese Welt eines Tages verlassen und zu den Göttern einkehren. Es gibt mehr Dinge auf dieser Welt, als ein Mann sich je vorstellen kann.”

“Ich glaube nicht…”

“Du glaubst nicht an Geister, Gespenster- oder Blutsauger? An Vampire?”, fragte Faruk in aller Unschuld. “An Lamien?”

“Ich werde Horus suchen. Bis in alle Ewigkeit.”

“Das kannst du später tun. Noch lange, nachdem ich in das Paradies eingekehrt bin, wo immer es sich befinden mag. Doch vorläufig wirst du nichts tun. Du wärst beinahe gestorben. Jetzt musst du erst wieder zu Kräften kommen.”

Er hatte sterben wollen, zugrunde gehen wollen als das böse Wesen, das aus ihm geworden war.

Doch jetzt wollte er leben.

Um Horus zu finden, falls er noch am Leben war.

Und um Bakura zu vernichten.

Aber Marik hatte ihn schwer verwundet. Bei Tag war er schwach wie ein Kind, und es gab Zeiten, zu denen er sich sogar um Mitternacht, wenn die Nacht am schwärzesten war, nicht rühren konnte. Doch schließlich gesundete er wieder, Stück für Stück.

Er ritt sogar mit Faruk über die Insel und machte sich zum Herren der Missgeburten, die hier Hausten.

Er lief die Küste entlang, mitten in der Nacht, wenn seine Kraft auf ihren Höhepunkt war.

Er trank gewaltige Mengen an Schafblut.

Er hungerte nach mehr, dürstete nach mehr. Tief im Verborgenen wusste er, dass er mehr brauchte, verletzt, wie er war.

Es gab einen Bauern auf dieser Insel, der seine Frau gemein verprügelte.

Manchmal hörte Seth sie streiten, wenn er nachts mit Faruk auf der Suche nach warmblütigen Säugetieren an ihrer Hütte vorbei ritt. Sie war eine fleißige junge Frau, die sich unermüdlich mit der Feldarbeit, der Wäsche und dem Kochen abplagte und ihren Ehemann bediente. Dieser war ein Dieb aus Hattusa, der den Fängen des Henkers entkommen war und seich mit seiner jungen Frau im Schlepptau auf die Insel geflüchtet hatte.

Eines Nachts hörte Seth sie wieder einmal schreien.

Er warf einen Blick auf Faruk, dann stieg er aus dem Sattel und pirschte zum Fenster der Hütte. Der Mann war betrunken, sie hatte seinen Wein auf dem Tisch verschüttet. Er drosch mit einem Ledergurt auf sie ein.

An Seth nagte der Hunger.

Er drang in die Hütte ein und entriss dem Bauern den Gurt. In seiner Wut biss er ihm in den Hals. Die Frau sah reglos zu, während er dem Mann das Blut aus den Adern sag.

Schließlich stolperte er zurück und starrte angewidert auf seine blutbesudelten Hände und sein lebloses Opfer.

Dann fiel ihm ein, dass er den Kopf des Mannes abtrennen musste. Dieser verfluchte Schweinehund gehörte ganz eindeutig zu den Leuten, die nie mehr aus der Ewigkeit zurückkehren sollten.

Die junge Frau hatte ihn die ganze Zeit nur reglos angestarrt. Als er sich ihr zuwandte, schreckte sie nicht vor ihm zurück, sondern sagte nur leise: “Danke.”

“Du weißt, was ich bin.”

“Die meisten Menschen hier wissen, was Ihr seid”, erwiderte sie.

“Hast du keine Angst?”

“Doch, vor vielen Dingen habe ich Angst.”

“Aber vor mir nicht?”

“Solle ich denn?”

“Nein.”

Am nächsten Tag fühlte er sich stark genug, um den Strand entlangzulaufen, als die Sonne noch am Himmel stand.

Und da sah er auch seinen Geliebten.

Horus!

Ein Geist? Er rief nach ihm: “Horus!”

Ein Geist…

Ein Kind Ellils und Aranzahs, wie die Hethiter sagten?

Er glaubte nicht an solche Dinge. Aber woher kam er?

Hatte er ihn mit der Kraft seines Willens herbeigerufen? Würde er verschwinden, wenn er ihm nachrannte, ihn berührte, um sein weiches Haar, das sanfte entlang streifen seines Atem an seinen Wangen zu spüren.

Seth rannte.

Horus blieb stehen.

Er war es wirklich. Er stand leibhaftig vor ihm. Seth berührte ihn. Seine Götteraugen tauchten in die seinen. “Geliebter, Horus…”

Seth begann zu zittern und brach vor Horus Füßen zusammen. Er streichelte seinen Kopf.

“Liebster…”

“Er blickte zu ihm hoch. Horus lächelte.

“Bei Ra, Horus…”

Seth stand auf und hob ihn hoch. Ohne den Blick von ihm zu lassen, trug er ihn zu der Fischerhütte, die er zu seinem Heim gemacht hatte.

“Wie kommt es, dass du hier bist?”, flüsterte er. Sanft legte er ihn aufs Bett. Er liebte ihn so sehr. Und dennoch…

Er spürte die Wärme seines Körpers, hörte sein Blut. Er würde ihm nie weh tun, er konnte ihm nie weh tun. Oder doch? Würde die Qual ihn befallen, ihn überwältigen? Würde er seine Zähne in Horus Hals graben, ihn lieben, indem er ihm das Blut, das Herz und die Seele raubte?

“Ich muss dir sagen, dass…”

“Nein!” Horus presste einen Finger an seinen Mund.

“Du musst wissen…”

“Nein.”

“Aber ich…”

“Ich weiß, was du bist. Und ich weiß, dass du mir nicht wehtun wirst.”

Er bot Seth die Lippen, und er küsste ihn innig. Er spürte seinen Körper und seine Wärme, seine Formen, seine Hüfte, die sich ihm entgegen drängte. Er spürte seine (eigene) Erregung, sie überkam ihn wie ein Blitz, und er spürte die Lust und die Zärtlichkeit. Es war so köstlich, neben dem Verlangen auch Liebe zu empfinden und ein Sehnen, das nicht die Reste dessen zerstören wollte, was von seiner Seele übrig geblieben war.

Wie von Sinnen riss er sich und ihm die Kleider vom Leib.

Bakura kannte nur die Gewalt und die Lust des Fleisches.

Doch es gab ein Sehnen, das viel tiefer ging.

Ein Sehnen, das ihm zu verstehen gab, dass er vielleicht noch eine Seele hatte.

Er presste die Lippen auf seinen Hals, wanderte tiefer, über seine Brust, hinab zu seinem Bauch, zwischen seinen Schenkel. Horus wand sich, schlang die Beine um ihn. Er kostete die Süße seines Fleisches, seines Seins. Seths Körper pulsierte, stöhnte, er genoss in vollen Zügen das, was er hatte, spürte den Hunger, der an ihm nagte, spürte, dass er sich eine letzte Steigerung verwehrte, und dennoch…

Beinahe, beinahe hätte er seine Zähne in die Ader gesenkt, die so verlockend an seinem Hals pochte. Er bekämpfte dieses Verlangen mit all seiner Kraft. Horus schien nichts davon zu merken. Wild und lüstern waren ihre Hüften aneinander geschweißt, Horus zarte Finger vergruben sich in seinem Hinterteil, seine geflüsterten Worte, sein süßes, heißes Erbeben…

Der Höhepunkt erfasste Seth in einem Sog. Er biss die Zähne zusammen, wälzte sich zur Seite, nahm Horus in die Arme, hielt ihn ganz fest…

“Ich dachte, ich hätte dich verloren. Ich dachte, du wärst ertrunken. Das Meer war so aufgewühlt. Die Wellen waren so hoch an diesem Tag, der Wind so heftig. Wie kommt es, dass du da bist?”, flüsterte er.

“Ist das wichtig? Liebe mich! Liebe mich so, wie ich dich liebe!”

Seth hielt ihn umschlungen. Die Sonne stieg höher, er wurde müde. Horus richtete sich auf, lehnte sich an das harte Brett am Kopfende des Bettes und bettete seinen Kopf auf seinem Schoss. Sanft streichelte er Seths Wangen.

“Horus!” Seth wollte reden, wollte wach bleiben.

“Schlaf, ruh dich aus, werde gesund!”, sagte Horus.

Dessen Berührung wirkte wie ein Zauber auf Seth.

In der abgedunkelten Hütte schlief er ein.

Als er erwachte war Horus fort.
 

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(1) Ellil = Gott der Lüfte (bei den Hethiter)

Aranzah oder auch Tigris = Flussgott (bei den Hethiter)
 


 

So das war’ s mal wieder. Ich hoffe es hat euch gefallen und ihr hinterlasst mir viele Kommis. Natürlich bedanke ich mich auch für die letzten die ich bekam, aber ich bitte darum das es ein wenig mehr werden. Ja? *ganz lieb guck und Schokis verteil*
 

So in dem Sinne wünsch ich euch einen schönen dritten Advent und verabschiede mich!

Bis zum nächsten Mal.
 

Eure Ice- Queen
 

PS: Beim nächsten Mal wird das Kapitel etwas länger.

Kapitel 7

Kapitel 7
 

So jetzt ist das Kapitel komplett. Mit ein paar Änderungen! Ich hoffe es gefällt euch. Viel Spaß beim lesen!

Icy
 

Kapitel 7
 

Auch Joeys zweiter Versuch, aus dem Haus zu gehen, wurde durchs Klingeln des Telefons vereitelt. Es war Serenity, die ihm sagte, dass sie in einem Café war und gleich bei ihm vorbeischauen wollte- falls Yami schon fort war.

Joey versicherte ihr, dass Yami schon weg war.

“Wann ist er denn gegangen?”

Joey zögerte. “Er ist gar nicht geblieben.”

“Wie bitte?”, fragte Serenity ungläubig.

“Er ist nicht geblieben.”

“Na toll! Und ich bin in aller Herrgottsfrühe aus dem Bett gesprungen und zum Babysitten geeilt, nur damit Subaru dein kleines Rendezvous nicht stört.”

“Du hast heute Morgen schon auf die Kleinen aufgepasst?”

“Und du weißt ja, dass solche Uhrzeiten wahrlich nicht mein Ding sind.”

“Ich weiß, und ich bin schwer beeindruckt. Aber was war denn los?”

“Izumi hatte Fieber, aber er hat eine Spritze bekommen, und dann konnte ihn Subaru gleich wieder mitnehmen. Doch ich bin los, weil ich dachte, dass du in Sachen Liebe viel zu beschäftigt wärst. Und dabei lief überhaupt nichts zwischen euch”, stöhnte Serenity. “Das musst du mir gleich erklären, wenn ich bei dir bin.”

“Serenity…”

Es knackte in der Leitung. Serenity war schon unterwegs. Kurz darauf stand sie ungeduldig und angesäuert vor der Tür.

“Nichts? Es ist nichts gelaufen?”

“Wie bist du denn so schnell hergekommen?”

“Das Café war gleich um die Ecke. und jetzt sag schon, was passiert ist. Habt ihr euch gestritten? Warum ist Yami wieder gegangen?”

“Er war völlig erledigt und krank. Richtig krank. Er hat sich irgendeinen Virus eingefangen.”

Serenity blickte zum Gang in Richtung Tristans Wohnung. “Ob wenigstens unser alter Kumpel Duke Glück gehabt hat?”

“Nein.”

“Woher willst du das wissen?”

“Tristan war schon hier, auf der Suche nach Yami.”

“Warum?”

“Keine Ahnung. Offenbar denkt er, dass er ihm für seine Arbeit wichtige Informationen aus der Nase ziehen könnte. Aber wenn du schon da bist, kannst du mich zum Revier begleiten. Yami hat Akira gebeten, mehr über die Sache in Nagasaki herauszufinden.”

“Ach du meine Güte!”, stöhnte Serenity. “Was soll das? Aber sag ihnen ruhig, dass du wirklich in Gefahr schwebst- du rappelst dich nicht mal auf, mit einem supertollen Cop zu schlafen…”

“Serenity, ich hab dir doch gesagt…”

“Er hätte bestimmt ein bisschen Trost brauchen können.”

“Manchmal sind Leute eben todmüde. Und er wollte in die Badewanne.”

“Ist mit deiner Wasserleitung etwas nicht in Ordnung?”

“Er wollte das alles stimmte.”

“Da stimmt doch was Grundsätzliches nicht, wenn du es nicht schaffst, zur Sache zu kommen.”

Serenity schüttelte entrüstet den Kopf und schickte sich zum Gehen an. Joey stand da wie erstarrt und fragte sich, ob seine Schwester recht hatte. Hatte er schon die ganze Zeit dieses Gefühl gehabt, oder…

… hatte sich gestern Nacht etwas verändert?

Offenbar hatte ich allein Sex, und es war einfach toll, viel besser, als es mit ihm zusammen je sein könnte. Und außerdem hätte ich ihn nicht zum Bleiben bewegen können, sonst hätte er mein verwüstetes Schlafzimmer gesehen.

Die ganze Geschichte war einfach schrecklich. Entsetzlich. Er konnte diese Dinge nicht laut aussprechen.

Nicht einmal vor seiner Schwester.

“Ich dachte du hättest es eilig?”, fragte Serenity ungeduldig.

“Ja, ja. Gehen wir.”

“Ich kapier immer noch nicht, wie du Yami einfach heimgehen lassen konntest. Du hättest dich um ihn kümmern sollen, ihm ein heißes Bad einlassen oder kaltes Bier einschenken.”

“Er hatte keine sauberen Klamotten dabei.”

“Für das, was ihr vorhattet, hätte er keine sauberen Klamotten gebraucht. Joey, wenn er wirklich so krank war, dann hätte er dich bestimmt gebraucht. Wenn ihm etwas weh tat, hatte er doch sicher den Wunsch, sich besser zu fühlen.”

“Serenity, Yami ist krank, er ist wirklich krank, ihm geht es hundeelend. Sex hilft bei so etwas nicht. Also hör auf, mich zu nerven!”

“Na gut, dann lass ich es eben. Ihr zwei könnt eure süße, platonische, sterbenslangweilige Beziehung fortsetzen, ich werde dich nicht mehr quälen.”

“Versprochen?”

“Nein. Aber jetzt lass uns endlich gehen!”

Das Polizeirevier war nicht weit, man konnte es gut zu Fuß erreichen.

Joey hatte gewusst, dass er Yami dort nicht antreffen würde. Doch er war froh, als sie erfuhr, dass er angerufen und sich krank gemeldet hatte. Er hatte gemeint, er wolle sich erst mal richtig ausschlafen.

“Er hat irgendeinen üblen Grippevirus erwischt”, erklärte der Beamte an der Theke.

“Ich weiß. Wenn er sich morgen noch immer so schlecht fühlt, sehe ich zu, dass er zum Arzt geht. Aber jetzt würde ich gerne kurz mit Akira reden. Könnten Sie mal bei ihm anklingeln?”

“Na klar.”
 

Akira Nakajima war ein sehr guter Freund von Yami.

Yami hatte Joey einmal erzählt, dass Akira ein ausgesprochen guter Ermittler war, denn die Leute vertrauten sich ihm gerne an, auch die Verdächtigen; selbst die zurückhaltendsten Zeugen brachte er zum Reden.

Darüber hinaus war er ein richtig netter Kerl und jemand, dem das Wohl der Allgemeinheit aufrichtig am Herzen lag. Nichts von all den Gräueln seiner Arbeit hatte ihn bislang für die Ängste und Sorge seiner Mitmenschen unempfindlich gemacht.

Nachdem er Joey und auch Serenity herzlich begrüßt hatte, sah er Joey seufzend an. “Kommt doch rüber zu meinem Schreibtisch”, sagte er. “Ja, es war tatsächlich der Bursche, den du vermutet hattest, Joey. Ich habe gestern um Details gebeten, und man hat mir ein paar Dinge zugefaxt. Aber wenn du einen Blick in irgendeine Zeitung wirfst, kannst du das alles selbst nachlesen. Na, mal sehen… Hier ist das Fax über Shuichiro Oji.”

Er reichte Joey ein Blatt. Er überflog die Informationen- Name, Größe, Gewicht, Augen- und Haarfarbe sowie Alter. Offenbar hatte er nach seiner Schottlandreise das College gewechselt und war in eine andere Studentenverbindung eingetreten.

Wer in dieser Verbindung eintreten wollte, musste nichts Illegales oder Unmoralisches tun- weder Unmengen Sake vernichten noch sich prügeln, seltsame Dinge verspeisen, das Schulmaskottchen oder Trophäen klauen oder Unterwäsche auf dem Fahnenmast hissen. Aber am letzten Abend vor der endgültigen Aufnahme sollten die Anwärter Geisergeschichten erzählen, und zwar auf einem Friedhof vor der Stadt.

Und im Dunkel der Nacht…

Genau zu der Zeit waren die Morde passiert.

“Um Mitternacht”, sagte Joey tonlos.

“Nun Joey…”, meinte Akira beruhigend.

“Akira, genau das ist auch in Schottland passiert.”

“Joey, wenn es tatsächlich Ähnlichkeiten gibt, meldet man sich bei dir.”

Er blickte Akira scharf an.

Akira suchte in seinen Unterlagen nach einer Tageszeitung aus einer anderen Präfektur. “Du bist nicht der Einzige, der sich an den Vorfall in Schottland erinnert. Auch dieser Reporter hier erwähnt die Tatsache, dass Shuichiro Oji einen ähnlichen Angriff in Edinburgh überlebt hat und schließlich in Nagasaki gestorben ist.”

Joey überflog den Artikel. “Siehst du?”, sagte er zu Serenity.

“Nun, ich könnte es vielleicht sehnen, wenn du mir die Zeitung gibst.”

Joey reichte sie ihr, und seine Schwester las rasch den Artikel. Dann starrte sie Akira an. “Also, was glaubst du? Sind es dieselben Leute?”

“Möglicherweise”, gab Akira zu.

“Vielleicht ist hier ja eine neue Sekte am Werk.” Sie hörten die tiefe raue Stimme von Tatsuya Kinomoto, Akiras Partner. Er war soeben an seinen Schreibtisch getreten, der neben Akiras Arbeitsplatz stand. Er hatte eine ziemlich trockene und ruhige Art und hielt sich im Hintergrund, während Akira das Reden übernahm. Die Beamten der Mordkommission arbeiteten in der Regel zu dritt, immer zwei Officer und ein Sergeant. Im Allgemeinen stand Sergeant Yutaka Sasaki den beiden zur Seite, doch momentan war er krank geschrieben, er hatte sich einer Bypass- Operation (1) unterziehen müssen. Da die Abteilung notorisch (2) unterbesetzt war, mussten die zwei eben ohne ihn klarkommen.

“Keine Angst, junger Mann”, fuhr Tatsuya Kinomoto fort. “Wir leben hier schließlich in Japan. In Nagasaki gibt es die “besten” Ermittler der ganzen Welt, und die werden diese Psychopathen bestimmt erwischen, dass kannst du mir glauben.” (AdA.: Jaja sicher… kannst meiner Urgroßmutter erzählen…)

Joey mochte Tatsuya, konnte sich jedoch die Bemerkung nicht verkneifen: “Bei allem gebührenden Respekt für die Nagasakier Polizei und die “gute” Arbeit japanischer Ermittler- aber die Burschen von Scotland Yard sind auch nicht zu verachten. Und die haben jeden Zentimeter dieses Friedhofs umgegraben und trotzdem nichts gefunden.”

“Dennoch- das hier ist Japan.”

“Ihr Götter segnet dieses Land!”, meine Serenity halblaut.

Joey versetzte ihr einen leichten Tritt ans Schienbein.

“Meint ihr, dass ich jemanden anrufen sollte?”, fragte Joey. “Vielleicht könnte ich bei den Ermittlungen helfen.”

“Und vielleicht könntest du den Albtraum noch einmal durchleben”, wandte Serenity ein. “Und vielleicht gelangt dein Name ja auch wieder in die Zeitung, und wenn es tatsächlich ein großer Kult ist und jemand hinter dir her ist, dann gefährdest du dich vielleicht gerade dadurch erst recht.”

“Ich werde das in aller Stille und Diskretion mit jemandem besprechen”, versprach Akira. “Und ich werde dafür sorgen, dass man sich in aller Stille an dich wendet, falls ein Ermittler mit dir sprechen möchte. Wie wäre es damit?”

“Das klingt gut. Danke, Akira.”

Tatsuya räusperte sich. “Joey, nach dem, was ich gelesen und von dir gehört habe…” Er verstummte, atmete tief durch, setzte wieder an. “Du hast über einen Mann gesprochen, der anschließend spurlos verschwunden ist, einen, der dich gerettet hat; und darüber, wie die Leute aus den Särgen gekrochen sind und euch angegriffen haben. Nun ja, ich meine… ich hoffe, dass dir klar ist…”

“Ja?”

“Dass es kranke Menschen sind. Sehr, sehr kranke Menschen.”

“Natürlich.”

“Ich meine nur”, fuhr er errötend fort, “ich habe gehört, dass du immer wieder davon gesprochen hast, dass es sich dabei um…”

“Um Vampire handeln könnte?”, schlug Serenity vor.

“Ja”, meinte Tatsuya. “Aber du weißt ja wohl, dass du den Ermittlern nicht mit solchem Unsinn kommen kannst.”

“Aber vielleicht sind es ja wirklich Vampire, Tatsuya.”

Diese Bemerkung stammte von einem weiteren Beamten, der gerade ins Morddezernat kam, einen großen, dunkelhaarigen, gut aussehenden Mann in Jeans und einer lässigen Kunstlederjacke. Serenity richtete sich sofort auf und strich sich instinktiv das Haar zurück.

“Ach kommen Sie, Lieutenant Pegasus, nur wegen dieser alten Morde…”

“Tatsuya, entschuldigen Sie mich”, sagte er, ging zu Joey, lächelte und streckte ihm die Hand entgegen. “Maximilian Pegasus. Wie geht es Ihnen? Wenn wir es hier mit einer Sekte zu tun haben, dann vielleicht wirklich mit Leuten, die glauben, dass sie Vampire sind. Die menschliche Psyche bringt alles Mögliche zustande, wenn man sie entsprechend beeinflusst; die übelsten Sachen können passieren, wenn die Psyche es so will. Nicht sehr viele werden Ihnen glauben, dass Sie auf einen echten Vampirkult gestoßen sind. Aber ich verspreche Ihnen, wenn Sie etwas wissen oder auch nur vermuten- wenn Sie sich an etwas erinnern, höre ich Ihnen sehr gern zu.”

“Danke. Vielen Dank”, erwiderte Joey.

Serenity trat vor. “Das ist Joey Wheeler.”

“Ich weiß”, meinte er ruhig. “Woher denn?”, fragte Joey.

“Nach den Mordfällen in Schottland letztes Jahr habe ich ein paar Artikel gelesen.”

“Ach so”, murmelte sie verlegen. Aber er musterte ihn mit einem steten, aber such freundlichen Blick. Er schien ihn nicht für einen Verrückten oder Drogenabhängigen zu halten.

“Und ich bin seine Schwester, Serenity.”

Er lächelte ein sympathisches, gedehntes Lächeln.

“Serenity, Joey- schön, Sie kennen zu lernen. Wenn diese Komiker hier Sie nicht ernst nehmen, sagen Sie es mir. Ich höre Ihnen zu.”

“Ich habe Sie durchaus ernst genommen”, protestierte Tatsuya.

“Na gut, dann weiter so”, meinte Maximilian. Er zögerte, dann sah er Joey an. “Mir ist aufgefallen, dass Shuichiro Oji unter den Opfern in Nagasaki war.”

“Und sie haben sich von den Artikeln über die Morde in Schottland an seinen Namen erinnert?”, fragte Akira.

“Richtig.”

“Morde passieren die ganze Zeit und auf der ganzen Welt, und Sie merken sich die Namen von Überlebenden eines Massakers in Schottland?”, fragte Serenity argwöhnisch.

“Ich bin Ermittler”, sagte er achselzuckend. Aber er beobachtete Joey, und er merkte, dass er sehr ernst drein sah.

“Und er ist ein guter Ermittler”, gab Tatsuya mürrisch zu. “Ist Ihnen der Fall mit dem Jugendlichen übertragen worden?”

Maximilian nickte, ohne den Blick von Joey zu wenden. “Es wird eine Sonderkommission gebildet. Joey, Serenity, es war nett, Sie kennen zu lernen. Lassen Sie mich wissen, wenn ich etwas für Sie tun kann.”

Sie bedankten sich bei ihm, und er ging hinaus. Joey schoss der merkwürdige Gedanke durch den Kopf, dass er nur gekommen war, um sie zu treffen.

Serenity atmete tief aus. “Ein gut aussehendes Testosteronpaket.”

“Er ist verheiratet”, bemerkte Tatsuya. “Wie könnte es auch anders sein”. murmelte Serenity und zuckte Schicksals ergeben die Schultern.

“Hey, ich bin noch zu haben”, meinte Akira.

“Du bist auch ein wahrer Schatz”, versicherte Serenity rasch.

“Aber am Freitagabend hast du nie Zeit”, meinte Akira lachend.

“Akira, du bist wirklich ein Schatz und überaus nett, und…”

“Und du bist umwerfend und vierundzwanzig, und ich… ich bin es nicht”, meinte er grinsend, “Aber was soll´s- wenn du mal richtig verzweifelt bist…”

“Da muss ein Mädchen nicht erst verzweifelt sein”, versicherte Serenity ihm unverzüglich. Joey merkte, wie sehr er seine Schwester mochte. Trotz ihrer gradlinigen Art war Serenity fast immer mitfühlend und freundlich.

“Um ehrlich zu sein”, fuhr Serenity fort, “hätte ich dich heute ins Kino abgeschleppt, wenn wir dieses Gespräch gestern geführt hätten.”

Joey musterte seine Schwester neugierig.” Was ist denn seit gestern passiert?”, fragte er.

Serenitys Augen weiteten sich viel sagend und sie grinste breit. “Ich habe jemanden kennen gelernt.”

“Heute Morgen?”

“Jawohl. Im Café, auf dem Weg zu dir.”

“Davon hast du mir noch gar nichts erzählt!”

“Nun, ich habe nicht geheiratet oder so, ich habe nur eine vage Verabredung getroffen. Um genau zu sein, nicht mal das. Ich habe nur angedeutet, dass ich heute ins Kino wollte. Aber offenbar geht wirklich ein Grippevirus um, der Typ war auch nicht ganz gesund. Womöglich taucht er heute Abend gar nicht auf.”

“Trotzdem hast du mir nicht erzählt, dass du jemanden kennen gelernt hast.”

“Tja, ich wollte zu gern erst mal ein paar Details aus deinem Leben erfahren.” Sie grinste Akira und Tatsuya an, die das Gespräch zwischen den Geschwistern interessiert verfolgten. “Sein Leben ist weitaus interessanter als meines, zumindest im Augenblick.”

“Wir sollten jetzt gehen und diese Herren arbeiten lassen”, meinte Joey. “Akira, noch mal vielen Dank, und auch dir, Tatsuya!”

“War mir ein Vergnügen”, versicherte Akira. “Ich freu mich immer, wenn ich euch helfen kann. Und hört mal: Auch wenn ich sagen muss, dass Maximilian ein guter Cop ist…” Er brach Schulterzuckend ab. “Seid ihr sicher, dass ich momentan nichts mehr für euch tun kann?”

“Das war´s schon, danke!”

“Gut”, beendete Tatsuya plötzlich das Gespräch und handelte sich dafür einen erstaunten Blick von Akira ein. “Als ich die Beiden sah, habe ich es beinahe vergessen- wir müssen in die Pathologie.”

“Was ist denn los?”, fragte Akira.

“Es geht um den Jungen und den Unfall neulich Nacht. Der Gerichtsmediziner hat etwas Merkwürdiges herausgefunden. Bist du soweit?”

“Na klar. Ich hole nur rasch meine Jacke. Hey, ein fantastischer Oktober, findet ihr nicht auch?” Dabei sah er Joey und Serenity an.

“Wunderbar, frisch, angenehm, toll”, pflichtete ihm Serenity bei. “Wir sollten ein paar Kürbisse besorgen und sie aushöhlen, was meinst du, Joey?”

“Warum nicht? Also, nochmals vielen Dank, ihr zwei!”, sagte Joey.

Zwanzig Minuten später standen sie vor einem Marktstand und betrachteten die Kürbisse.

Joey wollte mehr über den Mann erfahren, den Serenity getroffen hatte, doch diese meinte nur ausweichend: “Er war nichts besonderes.”

“Aber du hast dich mit ihm verabredet.”

“Na ja, mehr oder weniger. Ich wollte mit ihm ins Kino, und das war nur sehr vage ausgemacht.”

“Aber es ist trotzdem eine Verabredung.”

“Ich wollte mich nicht von ihm abholen oder heimbringen lassen. Wir treffen uns nur, um gemeinsam ins Kino zu gehen.”

“Erzähl mir doch ein bisschen mehr von ihm!”

“Mehr gibt es da nicht zu erzählen”, beschied ihm Serenity knapp.

“Hat er vielleicht einen Namen?”

“Marik.”

“Na toll. Er hat einen Namen.”

“Er ist gebildet, süß, charmant. Mehr weiß ich noch nicht, aber später werde ich dir sicher mehr sagen können.”

“Ich sollte dich begleiten.”

“Nein. Du solltest daheim bleiben und mit deinem Cop schlafen.” Serenity seufzte und schüttelte ungehalten den Kopf. “Unglaublich, was die hier für diese Dinger verlangen. Man könnte glauben, diese doofen Kürbisse wären aus Gold!”

“Wir könnten raus aus der Innenstadt fahren und welche am Straßenrand kaufen. Dort sind sie bestimmt viel billiger.”

Serenity runzelte die Stirn. “Nein danke. Ich habe keine Lust, irgendwohin zu fahren.”

“Gut, dann nehme ich den hier.”

“In Ordnung, und ich nehme den dort drüben.”

Sie kauften die Kürbisse und gingen dann zu Joey. Als sie an Tristans Wohnung vorbei kamen, musste Serenity grinsen.

“Ich wüsste weiß Gott zu gerne, wie es für den guten alten Duke gestern Nacht gelaufen ist.”

“Er ist nicht Tristans Typ. Und Tristan hat kein Problem ihm das zu sagen.”

“Aha. Aber wenn er genug Sekt und Kaviar gehabt hätte…”

“Hatte er nicht.”

“Hätte er aber haben sollen. Der arme Duke hat versucht zu feiern.”

“Na, dann läute doch bei ihm und sag ihm, dass er Duke zur Feier des Tages ruhig einen einmaligen Beischlaf hätte gönnen können.”

“Warum nicht”, meinte Serenity und machte sich auf den Weg.

“Untersteh dich!” Joey zerrte sie zurück.

Als sie am Tisch saßen und die Kürbisse aushöhlten, fragte Joey: “Wärst du wirklich so dreist und schamlos gewesen, ihm zu sagen, dass er mit Duke hätte schlafen sollen?”

“Dreist und schamlos? Wie kann jemand dreister und schamloser sein als Tristan?”, meinte Serenity lachend. “Ich weiß nicht. Aber Gottlob hast du mich ja zurückgehalten.”

Sie sprachen über ihre Pläne für Halloween, das rasch näher rückte. “Wir sollten eine Party geben”, meinte Serenity.

“Ganz Domino ist eine einzige Party. In jedem Restaurant und jedem Club wird gefeiert. Und wir haben kleine Halbbrüder, weißt du noch? Wir sollten nach Haus fahren und Mutter und Subaru und die Jungs besuchen. Die zwei werden bestimmt wahnsinnig süß aussehen, Subaru bastelt die tollsten Kostüme.”

“Wir könnten ja auch bei ihnen eine Party feiern”, meinte Serenity. “Schließlich war es jahrelang unser Zuhause. Als Papa noch lebte…”

Joey wurde nachdenklich. “Aber jetzt ist es nicht mehr unser Zuhause”. meinte er schließlich.

“Natürlich ist es das!”

“Nein. Es hat sich vieles verändert. Wie ging es dir denn heute Morgen mit Subaru?”

“Ganz gut. Ja, eigentlich habe ich mich ihm richtig nahe gefühlt.”

“Und dann?”, fragte Joey einigermaßen verwirrt.

“Ich weiß nicht. Irgendwas hat nicht gestimmt in dem Haus.”

“Na ja, trotzdem- wir sollten darüber nachdenken”, meinte Joey. “Wie wär´s, wenn wir hinfahren, die Jungs besuchen und später wieder zurück um eine Kneipentour zu machen?”

“Ja das wäre bestimmt ganz lustig. Ach! Jetzt hab ich den Kürbis die idiotischsten Zähne verpasst, die du je gesehen hast.”

Joey betrachtete den Kürbis seiner Schwester. “Die sind ja ganz spitz!”

“Ich wollte sie eckig machen. Was soll´s. Gott sei Dank wollte ich nie Kürbiskünstlerin werden. Mir reichts jetzt. Ich bin fertig und muss los. Ich möchte mir die Haare waschen, in teuren Ölen baden, mich einpudern und parfümieren und ein halbes Dutzend Outfits anprobieren. Manche Menschen wissen eben, was sie zu tun haben, um in Sachen Sex erfolgreich zu sein.”

“Du willst doch nicht etwa mit einem wildfremden Mann ins Bett hüpfen?”, fragte Joey empört.

Serenity grinste. “Nein. Das ist die erste Verabredung, da musst du wunderschön, verführerisch und hinreißend aussehen und göttlich riechen, dann wirst du wahrscheinlich um eine zweite Verabredung gebeten, und dann kannst du dir überlegen, ob du ihn wieder sehen willst oder nicht. Kapiert?”

“Ich dachte, es sei keine Verabredung?”

“Das ist es auch nicht, aber trotzdem ist es das erste Mal. Und du bist mit deinem Cop meilenweit über das erste Date hinaus. Steig heute Abend in ein schönes Schaumbad…”

“Das habe ich gestern schon getan.”

“Ja, glaubst du denn, so was hält ewig vor?”

“Nein, ich bin nur…”

“Du hast ihn doch gestern Nacht schon eingeladen. Heute Nacht taucht er bestimmt auf.”

“Vielleicht”, pflichtete ihr Joey bei.

Serenity schob den Kürbis zur Seite, stand auf und wusch sich die Hände. “Ich bin jetzt weg.”

Sie stand schon an der Tür.

“Und was ist mit deinem Kürbis?”

“Den kannst du behalten. Ich glaube, ich muss noch mal von vorne anfangen. Ich habe die Zähne verpatzt.”

Serenity zog los. Die Tür ging hinter ihr zu, dann ging sie noch einmal auf: “Verpatz du es jetzt nicht mit deinem Yami!”

“Nein”, erwiderte Joey. “Und du solltest dich nicht auf weitere Verabredungen einlassen, bevor wir nicht mehr über den Typ wissen und ich ihn eingehend geprüft habe.”

“Jawohl, großer Bruder. Und du sperr die Tür zu, wenn ich draußen bin.”

“Mach ich.”

Kurz darauf läutete da Telefon; es war Yami. Schon an seiner Stimme merkte Joey, dass es ihm noch immer schlecht ging.

“Ich werde heute Abend zu gar nichts fähig sein”, erklärte er bedauernd. “Eigentlich sollten wir irgendwo toll Essen gehen…”

“Ach, mach dir nichts draus, ich esse die ganze Zeit”, meinte Joey aufmunternd.

“Ich habe mich den ganzen tag hundeelend gefühlt.”

“Das tut mir leid.”

“Ich habe keine Ahnung, wo ich mir das eingefangen habe, aber es ist wirklich schrecklich. Abwechselnd glühe und friere ich- und Wahnvorstellungen habe ich auch schon. Den ganzen Vormittag habe ich gepennt, aber jetzt muss ich noch mal in die Arbeit. Der Junge, der bei diesem grässlichen Unfall umkam…”

“Was ist mit ihm?”

“Ich muss noch mal in die Gerichtsmedizin. Todd Adams, der ihn obduziert hat, ist ein richtiger Pedant (3). offenbar ist er der Meinung, dass etwas nicht stimmt.”

Plötzlich fiel Joey ein, wie Tatsuya Maximilian Pegasus gefragt hatte, ob er den Fall mit dem Jungen übernommen habe. Es würde eine Sonderkommission gebildet, hatte Pegasus gemeint.

“Dann geht es also um den Jungen, der den Unfall hatte”, murmelte er.

“Moment mal- was weißt du denn darüber?”

Er zögerte. “Serenity und ich haben uns heute mit Akira unterhalten.”

“Joey”, meinte Yami besorgt, “ich habe dir doch gesagt, dass ich dich begleiten würde!”

“Mir geht es gut”, sagte er. “Wirklich! Mach dir keine Sorgen. Ich verliere jetzt nicht den Verstand und falle auch nicht in ein abgrundtiefes loch oder so.” Er zögerte, dann fügte er scherzhaft hinzu: “Ich habe sogar einen Polizisten getroffen, der meinte, dass es möglicherweise Leute gibt, die sich für Vampire halten, und wenn sie das glaubten, dann…”

“Maximilian”, fiel Yami ihm ins Wort. “ Maximilian Pegasus.”

Einen Moment lang war Joey stumm, dann meinte er: “Ja Maximilian Pegasus.”

Yami schien seine nächsten Worte sorgfältig zu wägen. Schließlich meinte er: “Ein guter Polizist.”

“Warum sagst du das so zögerlich?”

Wieder dauerte es eine Weile, bis er antwortete. “Na ja, auch hier in Domino gab es mal ein paar Probleme…”

“Ich erinnere mich daran. Diese grauenhaften Morde.”

“Wir hatten schon eine Menge grauenhafte Morde, aber diese waren etwas ganz Besonderes. Maximilian legte sich bei der Aufklärung mächtig ins Zeug, aber es blieben noch Fragen offen.”

“Du klingst, als würdest du ihm nicht vertrauen.”

“Das ist es nicht. Ich vertraue ihm, aber trotzdem…”

“Trotzdem was?”

“Ich denke, du solltest dich besser von ihm fernhalten. Er könnte alte Ängste neu schüren und… Na ja, er ist ein guter Kerl. Nur vielleicht… vielleicht im Moment nicht gut für dich.”

Joey ging nicht weiter darauf ein, sondern fragte: “Du gehst also noch mal in die Gerichtsmedizin?”

“Und danach schleunigst wieder heim. Ich kann mich kaum auf den Beinen halten.”

“Das solltest du ihnen sagen. Du solltest nicht arbeiten, wenn du so krank bist!”

“Tja, wir können nicht immer darauf Rücksicht nehmen, ob wir uns gegenseitig anstecken oder so- das können wir uns einfach nicht leisten. Wir müssen uns um die Allgemeinheit sorgen, die wir beschützen und der wir dienen. Aber den Jungen kann ich wohl kaum mehr anstecken”, meinte Yami gleichmütig, wenn auch etwas traurig. “Verzeihst du mir?”

“Was denn?”, murmelte Joey, verwirrt über den Klang seiner Stimme.

“Dass ich so völlig nutzlos bin.”

“Du bist überhaupt nicht nutzlos. Da gibt es nichts zu verzeihen.”

“Du bist so ungefähr das Beste, was mir je in meinem Leben passiert ist.”

“Das Gleiche gilt für dich, Yami”, sagte er leise. “Ruf mich morgen an.”

“In Ordnung.”

Joey legte den Hörer auf und wunderte sich über das, was in ihm vorging.

Nein, ich bin nicht erleichtert, widersprach er sich selbst. Doch das bin ich.

Auf einmal bedauerte er, dass er Serenity nicht gefragt hatte, in welches Kino sie wollte. Er hätte dort aufkreuzen und den Mann in Augenschein nehmen können, der offenbar Anstalten machte, in das Leben seiner Schwester zu treten.

Doch nun kehrte er an den Esstisch zurück, an dem sie ihre Kürbisse bearbeitet hatten, beseitigte das Chaos und rieb die Kürbisse trocken.

Als er damit fertig war, beschloss Joey, Kerzen in die Kürbisse zu stellen, um zu sehen, wie sie wirkten.

Seiner war okay, sogar ziemlich gespenstig mit der brennenden Kerze.

Serenitys Kürbis sah ausgesprochen böse aus.

“Die Zähne hast du aber ganz schön spitz gemacht, kleine Schwester”, stellte er fest.

Beim Anblick dieses Kürbisses wurde ihm richtig unbehaglich zumute. Verwundert stellte er fest, dass er ihm sogar Angst machte. Joey blies die Kerzen aus und stellte die beiden Kürbisse auf die Balkonmauer.

Als er in die Wohnung zurückging, die er eigentlich sehr gern hatte, merkte er, wie rastlos er war und dass er nicht hier bleiben wollte. Von der Straße drang Musik und Lachen an seine Ohren. Jemand feierte wohl schon eine Halloween- Party.

Du bist nicht eingeladen.

Aber Domino war seine Stadt. Er brauchte keine Party, um auszugehen. Das Viertel der Einfamilienhäuser war herrlich, er kannte alle Ladenbesitzer in der Gegend, die Kellner in den Cafés, die Barkeeper in den Kneipen.

Er wollte nur auf einen schnellen Drink oder einen Kaffee raus.

Nachdem er sich die Haare gekämmt, zumindest versucht zu kämmen, hatte und eine Jacke übergestreift hatte, zog er los. Vielleicht brauchte er ja auch nur einen langen Spaziergang.
 

Todd Adams war noch ziemlich jung und arbeitet erst seit Kurzem in der Gerichtsmedizin. Er war vom Chefpathologen eingestellt worden und hatte diesem auch gezeigt, was er gefunden hatte. Daraufhin hatte der ihm gesagt, er solle das Morddezernat benachrichtigen.

Todd war eins achtzig groß und dürr. Er hatte sehr viele Sommersprossen und widerspenstiges rotes Haar. Man sieht ihm seine irische Herkunft richtig an! Er hatte sein Studium erst vor wenigen Jahren abgeschlossen. Mit dreißig war er im Vergleich zu den erfahreneren Ärzten hier noch ziemlich jung, aber in seinem Gebiet kannte er sich aus.

Während des Studiums hatte er immer zu den Besten gehört. Er hatte bei einem Arzt auf Hokkaido studiert, der die meisten Studenten mit seiner immensen Leidenschaft für seine Arbeit angesteckt hatte.

Ein Pathologe war eigentlich die letzte große Hoffnung für ein gewaltsam zu Tode gekommenes Opfer.

Er musste den Toten mit dem allergrößten Respekt behandeln und mit dem festen Vorsatz, einen Mörder der Gerechtigkeit zuzuführen oder einen schrecklich Unfall aufzuklären, an die Sache rangehen.

Diesmal hatte sich Todd beinahe vor dem blenden lassen, was allzu offensichtlich schien.

Überall Glas, große Scherben, kleine Splitter. Gut vorstellbar, dass ein Sturz, durch die Windschutzscheibe solch schwere Verletzungen anrichten konnte.

Doch nachdem er den Leichnam untersucht hatte, störte Todd etwas. Etwas, das sich hinter dem Offensichtlichen verbarg.

So stand er nun, von skeptischen Polizisten umringt, vor dem Leichnam und nickte Daniel, seinem jüngeren Assistenten, zu, er solle das Tuch wegziehen.

Daniel, der ganz grün im Gesicht war, nickte zur Bestätigung. Der Leichnam kam ihm bei jeder weiteren Betrachtung grässlicher vor.

Die Polizisten rührten sich nicht und rissen auch keine Witze. Keiner bemerkte, dass Freitagabend war oder dass er es kaum abwarten konnte, zum Essen heimzugehen oder so. sie standen alle nur stil da und starrten auf die sterblichen Überreste des Opfers.

Todd berührte das Loch am Hals des Toten mit einem behandschuhten Finger.

“Wenn Sie mir kurz zuhören wollen: Ich glaube nicht, dass selbst die Gewalt, mit der der junge Mann durch die Windschutzscheibe geflogen ist, solche Einrisse verursachen könnte”, erklärte Todd.

Er blickte hoch. Alle starrten ihn an, auch Maximilian Pegasus und sein Partner Samuel T. Miller der neben ihm stand.

Der große schwarzhaarige Cop war ebenfalls da, der dritte in Pegasus Team. Er hieß Mike Marlowe und war neu im Morddezernat, auch wenn er nun schon eine Weile dort arbeitete.

Auf der anderen Seite der Bahre standen Akira Nakajima und sein Partner Tatsuya Kinomoto. Der sechste Polizist im Bunde kam nicht vom Morddezernat: Yami Muto war mit Jugendlichen, Drogen und Öffentlichkeitsarbeit beschäftigt.

Er arbeitete mit den Familien.

Er hatte diesen Tod den Verwandten des Jungen und der Presse zu erklären.

Yami Muto war erkältet. Er unterdrückte immer wieder den Drang zu niesen und war sogar noch grüner im Gesicht als die Anderen. Wahrscheinlich würde er sich bald übergeben müssen.

Tatsächlich sah er fast so übel aus wie die Leiche.

“Einrisse?”, fragte Pegasus ernst.

Todd Adams deutete wieder auf die Stelle. “Natürlich könnte auch eine solche Gewalteinwirkung zu so einer tiefen Wunde führen, aber wenn Sie hier sehen…” Er zögerte, dann deutete er auf die Fleischfetzen. “Zu so etwas kommt es, wenn Glas auf- und abbewegt wird.”

Er war frustriert, denn er wusste nicht, ob sie ihn nicht verstanden hatten oder ob sie so still waren, weil sie ihn verstanden hatten.

Seufzend erklärte er weiter: “Sehen Sie, so ist es, wenn man Fleisch schneidet, zum Beispiel ein Steak. Diese Rissstellen erhält man, wenn man mit einem Messer oder einem anderen scharfen Objekt hin- und herfährt, raspelt- das Fleisch zerreißt.”

“Ja, das kann man sehen”, unterbrach ihn Maximilian rasch.

Yami drehte sich um und stolperte nach draußen, um sich zu übergeben.

Die anderen Cops blieben stumm.

“Tut mir leid”, sagte Todd leise.

“Yami hat ein höllisches Fieber, aber ich denke, er hat verstanden, was Sie uns da zeigen wollten”, meinte Pegasus, dann fuhr er rasch fort: “Der Junge war also schon tot, als er durch die Windschutzscheibe flog?”

“Ja, richtig. Davon gehe ich aus.” er zögerte. Ob sie seinen Fachkenntnissen wohl vertrauen würden? “Ich habe das alles auch Williams gezeigt”, fügte er hinzu. “Er teilt meine Meinung.”

“Aber wie…?”, fing Tatsuya Kinomoto an.

“Er wurde getötet und dann ins Auto verfrachtet. Das Auto wurde von einem Anderen an den Baum gefahren oder jedenfalls auf den Kurs gebracht”, meinte Maximilian Pegasus und verschränkte die Arme.

“Aber das ergibt doch keinen sinn”, wandte Akira ein.

“Tja”, entgegnete Samuel T. Miller, “es würde durchaus einen Sinn ergeben, wenn du ein Mörder wärst, der seine Tat vertuschen will.”

“Aber er war schon tot und wurde dann durch die Windschutzscheibe geschleudert, wobei ihn das Glas fast geköpft hat?”, fragte Kinomoto.

“Jemand hat das zersprungene Glas als Messer benutzt, um den kopf abzuschneiden”, meinte Pegasus. “war es so, Dr. Adams? Sind Sie dieser Ansicht?”

“Ich weiß, es klingt seltsam, aber…”

Pegasus sah ihm direkt in die Augen.

“Ja”, meinte Todd schließlich unwirsch. “Aber wenn Sie an meinem Können oder an meinen Erkenntnissen zweifeln…”

“Überhaupt nicht”, erwiderte Pegasus. Er sah die anderen an. “Nun, Gentleman, wir haben es also mit einem Nord zu tun.”

“Und zwar mit einem Mord, der sich bestimmt nicht so leicht aufklären lässt”, sagte tatsuya Kinomoto und schüttelte den Kopf. “Der Junge muss auf alle Fälle eine höllische Angst gehabt haben.”

“Ich glaube nicht, dass wir uns vorstellen können, wie verängstigt er war”, murmelte Pegasus.

Dann wandte er sich schroff ab und ging. An der Tür drehte er sich noch einmal um.

“Ich hab gehört, dass der Junge ein Strafregister hatte, ein Unruhestifter war, viel getrunken, mit Drogen gedealt und auch selbst welche genommen hat. In den Zeitungen wurde immer nur sein Spitzname erwähnt. Haben Sie die Unterlagen schon vorliegen, sodass wir seinen richtigen Namen veröffentlichen können?”

“Ja, die Unterlagen sind da.” Todd Adams blickte auf ein Blatt und nannte ihm den Namen.

Auf einmal sah Pegasus noch bleicher aus, als Muto.

Er senkte den Kopf und ging rasch hinaus.
 

Oktober ist in Domino ein Partymonat.

Zwar nicht so wie im Februar, am Faschingsdienstag, da flippt Stadt komplett aus. Aber in Domino findet man immer einen guten Grund für Kostümpartys. Ob bei einem Duel Monster Turnier oder einer Veranstaltung der vielen Discos, die Unterhaltung ist Spitzenmäßig.

Daneben gibt es in Domino natürlich auch Attraktion wie in allen anderen Großstädten.

Ein betrunkener junger Kerl rempelte Joey an und entschuldigte sich langatmig. Joey versuchte, ihm so rasch wie möglich zu entkommen, denn er befürchtete, allein schon von dessen Bierfahne einen Schwips zu bekommen.

Schließlich beschloss er, bei Snake´s vorbeizuschauen, einer kleinen Sportbar, die etwas abseits der Touristenmeile lag. Hero Misaki, der Besitzer, der Freitagabend auch hinter der Bar stand, war ein alter Highschool- Freund. Er hatte eine seiner Freundinnen, Mimi James, geheiratet, und jedes Mal, wenn Joey in die Bar kam, gab es neue Fotos von deren dreijähriger Tochter und dem etwas jüngeren Sohn zu besichtigen. Joey bewunderte die Kinder, und Hero sagte ihm, wie stolz alle seiner alten Freunde auf ihn waren, weil er nicht nur mit seinen Büchern, sondern auch mit seinem eigenen Verlag erfolgreich war.

“Hey, Hero!”, begrüßte Joey ihn und setzte sich auf einen Hocker am Ende der Bar.

Hero winkte ihm zu, zapfte das Bier fertig, das er gerade in Arbeit hatte, brachte es einem Gast und trat dann zu ihm.

“Hey, Joey!”

Er war ein großer Mann mit krausem braunen Haar und einem kleinen Bauch.

“Hey, du! Hast du ein paar neue Fotos?”

“Immer du weißt doch, dass du die gleich zu Gesicht bekommst. Was willst du zu trinken?”

“Bring mir einen Swimming Pool.”

Hero grinste und dann brachte er ihm den Cocktail und einen Umschlag mit Fotos. Joey nippte an seinem Drink und betrachtete die Fotos, wobei er einen kleinen stich verspürte. Ihm fröstelte. Eigentlich hatte er doch den richtigen Mann gefunden: anständig, liebenswürdig, ordentlicher Job- alles stimmte. Und sein Verlag war auch erfolgreich. Warum gründete er nicht eine Familie? Zwar kann keiner von ihnen Kinder bekommen, aber man könnte doch welche adoptieren.

Wenn er nur aufhören könnte, erotische Träume von einem Fremden zu haben, der in einer Nacht des reinen Schreckens in sein leben getreten war und es noch in derselben Nacht wieder verlassen hatte!

Hero hatte den Gästen an der Bar nachgeschenkt und kam grinsend zurück.

“Wie findest du das Halloween- Kostüm unseres Jüngsten?”

“Ein Baby- Werwolf. Perfekt.”

“Er ist wirklich zu süß. Tolle Augen. Die Leute nennen ihn immer Wolfy, deshalb fanden wir ein Werwolf-Kostüm genau richtig für ihn.”

“Ihr habt wohl dieses Jahr noch keinen neuen Disney- Film gesehen, wie? Fragte Joey höflich.

Er grinste.

“Ich schon, aber welcher Junge will schon wie ein kleiner Musterknabe sein?”

Joey zuckte mit den Schultern. “Wahrscheinlich haben die Bösen wirklich mehr Spaß.”

“Hast du Naomi gesehen? Sie wollte Prinzessin werden. Mimi hat das Kostüm selbst gemacht.”

“Naomi ist die perfekte kleine Prinzessin. Sag Mimi, dass ich das Kostüm wirklich süß finde. Und eure Kinder sind auch wundervoll.”

Hero grinste wieder sein sympathisches Grinsen. “Danke. Vielen dank, Joey. Es ist auch schön dich wieder zu sehen. Aber jetzt muss du mich entschuldigen, ich erwarte eine Gruppe Touristen, Stadtbesichtigung, du weißt schon.”

“Ach so? Ich wusste gar nicht, dass du auf den Rundgang stehst.”

“Normalerweise nicht, aber um Halloween rum gibt es viele kleine Firmen, die so was anbieten. Es gibt zusätzliche Führungen, um ein paar Yen dazuzuverdienen.”

Er ging nach hinten.

Joey nippte weiter an seinem Cocktail und betrachtet die Fotos.

Die Touristen hatten sich schon in die Bar gedrängt. Joey wusste, dass sich die Hausbesitzerin, in Weltkriegszeiten im ersten Stock erhängt hatte, nachdem jemand in Domino ihre Affäre mit einem US- Soldaten ausgeplaudert hatte.

Der Führer erzählte gerade die Geschichte.

Anfangs hörte Joey nur seine Stimme und achtete nicht weiter darauf. Doch dann merkte er, dass…

… diese Stimme irgendwie bekannt klang.

Er wirbelte herum. Die Touristen strömten schon wieder hinaus. Ein paar Nachzügler blockierten den Ausgang.

Er sah den Führer, der schon draußen auf der Straße stand. Er trug einen schwarzen Umhang. Joeys Herz begann zu rasen. Viele Führer trugen Dracula- Capes um halloween rum.

Aber es gab bestimmt nicht sehr viele Fremdenführer die so einen Akzent hatten.

Er war schon ein ganzes Stück weit weg.

Wild entschlossen stürmte Joey ihm nach, obwohl er zu Tode erschrocken war.

Eine Gruppe kostümierter Partygänger, die wohl von einer vorgezogenen Halloweenparty kamen oder zu einer unterwegs waren, kamen ihm in die Quere.

“Entschuldigung!”

“Entschuldigung!”

“Entschuldigung!”

Er wurde von einem weißen Kaninchen zu einem Roboter weitergereicht und dann zu einer Zigarettenschachtel auf Beinen.

“Schon in Ordnung. Pardon….”

Er hastete weiter. Auf der Hauptstraße wurde die Menge immer dichter. Joey rannte, schubste, drängelte und versuchte Schritt zu halten.

Dann landete er vor einem Mann mit schwarzem Umhang. Joey packte ihn am Arm und riss ihn zu sich herum.

Sein Gesicht war von tiefen Furchen durchzogen, dass Haar grau, die Augen grüngrau. Joey hatte ihn noch nie gesehen.

“Entschuldigung!”, sagte er leise.

Er nickte und ging weiter.

Joey stand reglos da, mitten auf der Straße. Um ihn herum drängten sich die Menschen, er hörte Lachen und Musik und kam sich vor, als ob alles über ihn hinwegspülte, an ihm abprallte.

Auf einmal schien sich die Straße vor ihm zu leeren.

Sein Blick fiel auf einen Mann, der direkt vor ihm unter einer Straßenlaterne stand.

Der Mann.

Joey hatte ihn seit über einem Jahr nicht mehr gesehen.

Nur in seinen Träumen.

Aber nun stand er leibhaftig vor ihm. So groß, wie Joey ihn in Erinnerung hatte, dunkel, umwerfend gut aussehend. Sein langärmliges Hemd war schwarz, auch seine Hose war schwarz. Er hatte die Hände lässig in die Taschen gesteckt.

So, wie er dastand, hätte er irgendein gut aussehender junger Tourist sein können, ein Geschäftsmann vielleicht, der sich die Sehenswürdigkeiten der Stadt anschauen wollte. Oder… - irgendein Tourist.

Aber das war er nicht!

Joey begann auf ihn zuzulaufen, im Grunde davon überzeugt, dass er sich abwenden würde.

Verschwinden würde.

Sicher war er es nicht. Er konnte es nicht sein…

Aber er stand reglos da und wartete.

Er wandte sich nicht ab, und er verschwand auch nicht.

Als Joey näher kam, nahm er plötzlich auch wieder den Lärm der Stadt wahr, die redenden und lachenden Menschen, die Musik, die Geräusche seiner Schritte…

Obwohl Joey ziemlich groß war, musste er zu ihm aufblicken.

Ja, er war es. Das dunkle Haar, die schlanke, doch muskulöse Figur.

Die Augen…

Wie Saphire. Wie Eis.

“Hallo, Joey”, sagte er leise. “Wir müssen reden.”

Sie mussten reden? Er war dabei gewesen in jener Nacht, in der er die schlimmsten Ängste seines Lebens durchlitten hatte, in größter Gefahr geschwebt war. Wahrscheinlich hatte er ihm das Leben gerettet. Aber plötzlich war er verschwunden, und die Polizei hatten geglaubt, Joey sei verrückt, ja, sogar er selbst hatte begonnen, an seinem Verstand zu zweifeln.

Und dann war er in seinen Träumen getreten, in seinen Schlaf eingedrungen. Er hatte ihm die Seele geraubt. Er hatte ihn berührt- irgendwie. Nein, nicht irgendwie- wirklich!

Er hatte Joey die Möglichkeit vereitelt, mit dem perfektesten Mann zusammen zu sein, der ihm jemals begegnet war.

Diese Möglichkeit hatte er zerstört.

“Joey?”

“Mistkerl!”

Er holte aus und verpasste ihm einen kräftigen Kinnhaken.
 


 

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(1) Bypass- Operation= Umleitung einer Blutbahn; Überbrückung eines krankhaft verengten Gefäßes
 

(2) notorisch= gewohnheitsmäßig, offenkundig, allgemein bekannt
 

(3) Pedant= jemand der etwas sehr genau nimmt; kleinlicher, extrem gründlicher, genauer Mensch
 


 

So das war’ s mal wieder. Was lange wärt, wird endlich gut! Ich hoffe es hat euch gefallen und ihr hinterlasst mir viele Kommis. Natürlich bedanke ich mich auch für die letzten die ich bekam, aber ich bitte darum das es ein wenig mehr werden. Ja? *ganz lieb guck und Schokis verteil*

So in dem Sinne wünsch ich euch was und hoffe das ich fürs nächste Kapitel nicht wieder so lang brauche!!!
 

Bis zum nächsten Mal.
 

Eure Ice- Queen

Kapitel 8- Teil 1

Kapitel 8
 

So da bin ich mal wieder. Ich weiß das es ziemlich lange gedauert hat, bis das neue Kapitel endlich kam, aber ich hatte viel zu tun mit Ausbildungssuche uns so weiter und so fort… Und ich war mal wieder krank!

Aber nun hab ich endlich Zeit gefunden weiter zu schreiben und hab auch gleich nachdem das Kappi fertig war, alles schön hochgeladen.

Also wer Rechtschreib- und Grammatikfehler findet, kann sie behalten und meinetwegen Einrahmen und an die Wand hängen!!!
 

So nun genug Schwachsinn gelabert!

Viel Spaß bei Kapitel 8!!! J
 

Eure Ice- Queen
 

Kapitel 8
 

Das hätte böse ausgehen können.

Er war gut eins neunzig groß und zwar nicht so mit Muskeln bepackt, wie ein Bodybuilder, aber trotzdem kräftig genug. Wenn er ihm das übel nahm…

Furcht oder Instinkt brachte Joey dazu, den Arm schützend vors Gesicht zu halten. Er packte ihn. Nun griff Joey ihn mit Worten an.

“Du Mistkerl! Du warst da, du hast alles gesehen. Und dann bist du einfach verschwunden. Verrückt! Ich habe angefangen, von dir zu träumen…”

Er hielt ihn am Handgelenk fest. Sanft? Joey spürte seinen Griff kaum, doch er merkte, dass er sich nicht rühren konnte, selbst wenn er es gewollt hätte.

“Was zum Teufel geht hier vor?”

Seto schüttelte den Kopf. “Ich weiß nicht, was du meinst.”

“Das glaub ich nicht.”

Plötzlich trat Seto einen Schritt zurück. “Hör mal. ich kenne dich kaum. Verzeihung!”

Zu Joeys größter Verwunderung wandte er sich ab und ging.

Die Hände in die Hüften gestemmt, starrte Joey ihm fassungslos hinterher.

“Ich soll dir verzeihen?”, rief er. “Dir verzeihen?”

Joey rannte ihm nach. Er war auch an diesem Tag ganz in Schwarz gekleidet. Schwarz, eng anliegende Jeans, ein langärmliges Polohemd, ein schwarzer Blouson, der seine Schultern vorteilhaft betonte. Das dunkle, im Straßenlicht glitzernde Haar war glatt und ordentlich und lud geradezu zum verwuscheln ein.

“Hey!”

Joey zog ihn an den Schultern. “Du kannst doch nicht einfach weglaufen!”

“Soll ich stehen bleiben und mich noch einmal von dir schlagen lassen?”, erkundigte er sich höflich.

“Nein, nein… aber du… du meintest, du müsstest mit mir reden!”

Seto zog eine Braue hoch. Am liebsten hätte Joey ihn tatsächlich noch einmal einen Kinnhaken verpasst. Er war nicht nur attraktiv, nein, er war betörend. Seto sah unverschämt gut aus, blaue Augen, brünettes Haar, ein ungeheures Selbstbewusstsein. Die Sicherheit, die er ausstrahlte, grenzte schon fast an Arroganz.

Joey ballte sein Fäuste.

“Gut, dann redest du eben nicht mit mir.”

Diesmal machte Joey kehrt und schickte sich an zu gehen. Er folgte ihm nicht. Joey hielt an, drehte sich um. Seto wartete, die vollen Lippen zu einem leichten Lächeln verzogen.

“Wer zum Teufel bist du?”, fragte der Blonde leise. “Was wird hier eigentlich gespielt?”

“Wo steckt denn dein Cop?”

“Wie bitte?”

“Mr. Muto.”

“Er… er ist krank. Warte mal, was weißt du über…”

“Ich bin seit ein paar Tagen in Domino City. Selbstverständlich wollte ich dich sehen. Ich habe ein paar Erkundigungen eingeholt.”

“Ach so?” Joey machte Anstalten, wieder zurückzugehen. “Und mit wem hast du gesprochen?”

“Man soll seine Quellen nie verraten.”

Eigentlich wollte Joey den brünetten stehen lassen und endlich weggehen, aber sein Verstand sträubte sich, und auf einmal stand er wieder direkt vor ihm. Egal, wie unmöglich dieser Mann war, der Blonde wollte, dass er in seiner Nähe blieb.

Vielleicht spürte er seine Fluchtgedanken. Er legte die Hand auf Joeys Arm. Innerlich begann Joey zu beben, sich zu erinnern, wie es war…

… mit ihm zusammen zu sein.

“Wie wär´s mit einem Drink?”

“Vielleicht in einer abseits gelegenen kleinen Bar?”, fragte der braunäugige.

“Nein, gehen wir lieber in die Bar deines Freundes. Snake´s- so heißt sie doch, oder? Tolle Musik dort.”

Joey hob die Hände. “Warum nicht.”

Auf dem Weg dorthin wurde ihm plötzlich ganz schummrig. Er wandte sich um und starrte den blauäugigen an. “Mir kam es vorhin so vor, als hätte ich…”

“Ja, auch ich hatte den Eindruck.”

“Warte mal! Ich habe meinen Satz ja gar nicht beendet. Ich dachte, ich hätte…”

“Den Fremdenführer aus Schottland gesehen, stimmt’ s?”

Joey musste richtig kämpfen, um Seto nicht mit einem offenen Mund anzustarren. “Stimmt.”

“Ich weiß. Er war es nicht.”

“Bist du sicher?”

“O ja.”

Joey wandte sich wieder ab und ging auf den Bürgersteig. Er spürte Setos Hand auf seinem Rücken. Beinahe hätte er dabei einen kleinen Satz gemacht, wie elektrisiert. Was für ein Verlangen! Die kleinste Berührung, da uns dort, irgendwo, nachts, morgens, in guten wie in schlechten Zeiten…

Hero sah sie hereinkommen. Er winkte Joey zu. “Hey, Kumpel, ich hab dich losrennen sehen.” Mit einem Nicken begrüßte er den Mann hinter ihm. “Joey, für dich habe ich schon einen neuen Swimming Pool fertig. Mister, was kann ich ihnen bringen?”

“Dasselbe wie Joey, bitte.” Er nickte. Joey lächelte. “Hero Misaki, das hier ist…”

“Seto. Seto Kaiba”, ergänzte sein Begleiter und schüttelte Hero die Hand.

“Schön Sie kennen zu lernen, Seto.”

“Danke, gleichfalls.”

Joey starrte ihn an, setzt das Glas an die Lippen und trank in kleinen Schlucken seinen Drink. Hier war er also. Endlich. Er sollte die Polizei benachrichtigen.

Doch bevor die Cops aufkreuzten, wäre er sicher verschwunden. Das wusste Joey ganz genau.

Seto konzentrierte sich mittlerweile auf die Band. Offenbar gefiel ihm die Musik. Joey betrachtete seine Gesichtszüge: hinreißend und arrogant. Ein Mann, der seine Stärken und Fähigkeiten kannte.

“Stimmt er?”, fragte der Blonde bedächtig.

“Was?”

Er wandte sich wieder zu ihm mit diesen merkwürdigen Augen, ultramarienblau mit einem seltsamen rötlichen Schimmer.

“Dein Name.”

“Ja, er stimmt.”

“Du hast mir das Leben gerettet.” Ob das eine Frage oder eine Feststellung war, wusste er selbst nicht so genau.

“Ja”, meinte er nur.

“Aber dann bist du verschwunden, und deshalb dachten alle, ich sei drogensüchtig oder verrückt.”

Er nippte an seinem Swimming Pool und starrte auf die Flaschen hinter der Bar. “Es war bekannt, dass du keine Drogen genommen hattest. Du bist doch in einem Krankenhaus eingeliefert worden, dort hat man bestimmt sämtliche Körperflüssigkeiten getestet.”

“Aber du… du bist einfach verschwunden.”

“Es ging nicht anders.”

“Aber…”

“Ich war selbst ziemlich mitgenommen.”

Joey fuhr mit dem Zeigefinger den Rand seines Glases entlang. “Du wusstest, was passieren würde”, warf er ihm vor.

“Nein. Ich hatte Angst, dass etwas passieren würde”, berichtigte er ihn.

“Du bist kein Polizist.”

“Nein.”

“Das liegt wohl auf der Hand”, dachte der Braunäugige laut. “Wenn du einer gewesen wärst, dann wärst du dageblieben, um mit den anderen Polizisten zu reden.”

“Ich war selbst verletzt, das sagte ich doch schon.”

“Weißt du was? Ich glaube nicht, dass es dich wirklich gibt. Selbst jetzt- selbst in diesem Moment, in dem du direkt neben mir sitzt. Bestimmt löst du dich gleich wieder in Luft auf…”

“Joey! Seto!”

Jemand war hinter sie getreten und begrüßte sie munter. Joey wandte sich rasch um. Wie kam es, dass jemand, den er kannte, auch Seto kannte?

Es war Tea Gardner.

Joey starrte Seto an, der nur die Schultern zuckte, doch sein Blick war vielsagend. Siehst du, es gibt mich wirklich!

Tea war ziemlich beschwipst. Sie sah sehr jung aus und sehr aufgewühlt. Ihr braunes Haar war wirr und ihre blauen Augen rot gerändert, was ihnen eine seltsame Eindringlichkeit verlieh.

“O Gott, was bin ich froh, dass ich euch zwei hier treffe!” Sie legte den einen Arm um Seto, den anderen um Joey. Das Glas hielt sie in der Rechten, das Bier schwappte gefährlich. Joey befürchtete schon, dass Setos makelloser schwarzer Blouson gleich einen Hopfenguss abbekommen würde. Doch es ging noch einmal gut.

“Tea…”, murmelte Joey. “Du kennst Seto?”

“Na klar.” tea stellte das Bierglas ab und reichte Seto grinsend die Hand. “Hey, Joey, Seto denkt daran zu schreiben, er sollte in unserer Donnerstagsgruppe eintreten.”

Sie zog Joey zu sich herunter und raunte ihm verschwörerisch ins Ohr: “Der Bursche hat einen Haufen Geld, irgend so ein reicher Erbe oder so. wir könnten ihn gut gebrauchen!”

Joey betrachtete Seto mit gerunzelter Stirn. Hatte Tea recht?

“Warum nicht? Ich würde mich gern eurer Gruppe anschließen”, meinte Seto.

“Eigentlich sind wir gar keine richtige Gruppe”, sagte der Blonde rasch.

“Na toll, jetzt wo er und Mr. Überflieger Devlin auf den Bestsellerlisten gelandet sind, sind wir auf einmal keine Gruppe mehr!”

“Tea, du bist blau wie ein Veilchen!”

“Na ja, mehr oder weniger”, gab Tea zu und wirkte einen Moment lang richtig nüchtern. “Allerdings wirft das ein schlechtes Licht auf alle Veilchen.”

“Soll ich dich heimbringen?”, schlug Joey vor.

“Du mich heimbringen?”, protestierte Tea. “Nein, dich sollte man nicht allein lassen, nicht mal Hier, nicht mal bei Hero. Zurzeit passieren grässliche Dinge.”

“Tea, wir leben in Domino City. Ich fürchte, hier passieren immer wieder mal schlimme Dinge.”

“Aber jetzt gibt es Leichen.”

“Tote Menschen sind meistens Leichen, ja, Tea.”

“Meistens”, murmelte Seto. “Aber du hast recht, Joey, wir sollten Tea heimbringen.”

“Du hast ja keine Ahnung, was ich heute gesehen habe, Seto.” Teas Augen wirkten glasig. Sie boxte Seto spielerisch an die Schulter. “Du kannst dir nicht vorstellen, was ich gesehen habe.”

“Doch, ich glaube, das kann ich”, erwiderte Seto bedächtig.

Joey starrte ihn fragend an. “Ich erkläre es dir später”, meinte der Brünette schulterzuckend.

“Wirklich?”, fragte der Blonde. “Oder wirst du einfach wieder verschwinden?”

“Nein, ich werde nicht verschwinden.”

“Ganz recht, ich werde dich nämlich daran hindern. Wir bringen Tea heim, und dann kommst du mit zu mir!”

Seto senkte den Kopf. Als er ihn wieder hob, lief es Joey merkwürdig heiß über den Rücken. In den Augen des Größeren war wieder das gespenstische Funkeln- Rot auf dunkel blauem Grund. “Soll ich das als Einladung verstehen?”

“Es ist ein Befehl!”, murmelte Joey, auch wenn ihm klar war, dass der Andere auf Befehle nicht hörte. Es sei denn, er wollte es.

Tea legte die Hände an Setos Gesicht und zwang ihn, ihr in die Augen zu sehen.

“Er muss wirklich… wirklich wahnsinnig aufpassen, Seto”, nuschelte sie.

“Tea, was zum Teufel hast du denn gesehen?”, fragte Joey.

“Sie hat wahrscheinlich einen harten Tag in der Pathologie hinter sich”, meinte Seto mit gedämpfter Stimme. “Gehen wir! Ich glaube, heute Abend sind wir sicher.”

“Ach ja?”, fragte die einzige Frau in der Runde. “Woher willst du das wissen?”

“Das hab ich so im Gefühl.” Seto stand auf.

Joey kannte Tea schon ziemlich lange, mehrere Jahre schon. Er hatte sie in allen möglichen Situationen erlebt- in Schwierigkeiten, verliebt, von Liebeskummer geplagt, an Tagen, an denen ihre Arbeit besonders schlimm gewesen war. Sie waren oft genug zusammen ausgegangen und hatten gefeiert und getrunken.

Doch so betrunken wie heute hatte er sie noch nie erlebt. Er wollte Geld auf die Bar legen, doch Seto hatte bereits bezahlt. Er sah ihn fragend an.

Der größere zuckte die Schultern, ein kleinen Lächeln umspielte seine Lippen. “Dir einen Drink zu spendieren ist das Mindeste, was ich für dich tun kann.”

Tea warnte Joey mit erhobenen Finger. “Und er wird dich beschützen.”

“Wovor?”

“Vor den Geschöpfen der Nacht.”

Er starrte Seto an.

“Und woher weiß ich, dass er nicht selbst ein Geschöpf der Nacht ist?”

Seto erwiderte ruhig seinen Blick. “Das weißt du nicht. Sollen wir los?”

Er brauchte ihm mit Tea nicht zu helfen. Seto hatte den Arm um ihren Rücken gelegt, und Tea klammerte sich an Setos Schultern.

Ihre Füße berührten kaum den Boden.

Draußen war die Luft erfüllt von den Klängen verschiedener Musikinstrumente und -Stücke, die Neonlichter brannten, Lachen hallte in den Straßen.

Es herrschte der übliche Samstagabend- Trubel.
 

Maximilian Pegasus stürmte in das große Haus am Rand von Domino City, in dem er mit Frau und Kind lebte.

Sie wartete am Eingang, als ob sie gewusst hätte, dass er in diesem Moment kommen würde.

Manchmal hatte sie diese Fähigkeit noch.

Ihre Hände waren gefaltet, sie versuchte gelassen zu wirken. Doch ihr Blick zeigte, wie beunruhigt sie war.

Er blieb wie angewurzelt stehen.

“Du weißt Bescheid?”, fragte er.

“Ich habe versucht, dich auf dem Revier zu erreichen.”

“Ich war in der Gerichtsmedizin.”

“Und dein Handyakku ist leer.”

“Du hättest auch mit Samuel reden können.”

“Ich wollte zuerst mit dir sprechen.”

Er trat zu ihr und hob ihr Kinn. O Gott, wie sehr er seine Frau liebte! Er küsste sie erst einmal leidenschaftlich, bevor er erklärte:

“Sie sind zurück.”

Sie nickte.

“Woher weißt du das?”

“Seto war da.” “Seto?”

“Möchtest du einen Drink?” “Ja, einen Großen!”

Sie ging in den Salon auf der rechten Seite. Er folgte ihr. Es war ein ziemlich tolles Haus für einen Polizisten, aber eigentlich gehörte es Violett. Eines Tages würde er auch ein Haus erben. Es lag nicht allzu weit entfernt und wurde von seinem Vater bewohnt, dem hoffentlich noch viele Jahre bester Gesundheit beschieden waren.

Sie goss ihm einen großen Scotsch ein.

Er ging damit an den Kamin. “Ich war heute den ganzen Tag in der Pathologie. Der Verkehrsunfall, über den die Zeitungen lang und breit berichtet haben, war nämlich keiner.”

Sie schenkte sich ebenfalls ein und nippte. “Kein Unfall? Der Wagen hat den Baum doch fast durchbohrt, und der Junge hat getrunken.”

“Das schon. Im Blut waren alle möglichen Alkohol- und Drogenspuren. Doch er war schon tot, bevor er an dem Baum landete.”

“Aber…”

“Der Kopf war vom Körper nahezu abgetrennt, weil er nach seinem Tod abgeschnitten wurde, und zwar mit den Glasscherben aus der Windschutzscheibe.” Sie sagte nichts. Ihr Mund formte ein O. “Wo ist Seto?” Sie schüttelte den Kopf.

“Er wollte mit dir reden, aber als du nicht wie erwartet heimkamst, meinte er, er müsse los. Er wirkte sehr unruhig. Aber er hat versprochen, noch mal bei uns vorbeizuschauen.”

“Macht er sich Sorgen um den jungen Wheeler?”

Violett runzelte die Stirn. “Der junge Wheeler? Der Mann aus Domino City, der die Nacht von Edinburgh überlebt hat?” Sie schüttelte den Kopf. “Davon hat er nichts gesagt. Er war dort, wie wir schon vermutet hatten. Er weiß, wer die Menschen in Nagasaki umgebracht hat. Am Anfang hat er mir ein paar Dinge erzählt, aber er war ziemlich mitgenommen, und deshalb habe ich ihn gedrängt, sich ermal ein bisschen auszuruhen. Ich dachte, du wärst zu Hause, wenn er… aber er war zu rastlos um auf dich zu warten. Ich konnte ihn nicht zum Bleiben überreden.”

Maximilian stellte sein Glas auf dem Couchtisch ab und fuhr sich durchs Haar. “Dann ist er bestimmt losgezogen, um ihn zu finden.”

Plötzlich blickte er auf. “Was macht das Baby?” Damit meinte er ihren 10 Monate alten Sohn Alec.

“Es geht ihm gut, er schläft.” Max atmete langsam aus. “Seto nimmt an, dass er den Burschen ziemlich übel zugerichtet hat. Er ist wahrscheinlich schwer verletzt und wird sich erstmal irgendwo erholen müssen”, erklärte Violett.

“Weißt du wirklich nicht, wohin Seto gegangen sein könnte?”

“Nein, dass hat er mir nicht gesagt; er könnte überall sein, Max, dass weißt du doch. Aber er wird wiederkommen. Er will mit dir reden. Und er…”

“Was ist mit ihm?”

“Ich glaube, er braucht…”

“Dich?”, fragte Max aufgebracht.

Sie schüttelte den Kopf. “Ich glaube, er braucht uns.”

Maximilian schwieg eine Zeit lang. Er hatte die Hände in die Hüften gestemmt und ließ seine Schultern kreisen, um seine Verspannungen dort zu lösen.

“Er weiß es bestimmt schon”, sagte er leise.

“Was weiß er ?”

Max blickte seine Frau an. “Wer der Junge war, der bei dem Unfall umkam.”
 

*****
 


 

Ja sorry Leute das es solange gedauert hat und nun doch nur der erste Teil on ist! Ich hatte aber ein paar Probleme, die ich an dieser Stelle nicht erwähnen möchte, aber jetzt ist wieder fast alles im grünen Bereich.

Wann allerdings Teil 2 vom 8. Kapitel erscheint, steht noch nicht fest!
 

Ich hoffe ihr könnt euch noch ein wenig gedulden. :-)
 

VLG Ice-Queen



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Kommentare zu dieser Fanfic (20)
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Von:  kuestenfee1
2008-11-27T21:00:36+00:00 27.11.2008 22:00
Danke für das schöne neue Kapitel.
Auch wenn es nur der erste Teil davon ist.
Ich freue mich schon auf der zweiten.

lg kuestenfee
Von:  Judari
2008-09-24T20:00:39+00:00 24.09.2008 22:00
Schööööööööööööööön^^!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Von:  Judari
2008-09-24T19:15:27+00:00 24.09.2008 21:15
Sehr gut!!^^^Schön *bößes grinsen*
Von:  Judari
2008-09-24T17:34:55+00:00 24.09.2008 19:34
Geil^^!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Von: abgemeldet
2008-05-02T20:05:51+00:00 02.05.2008 22:05
uhhhh ich hoffe das es bald weitergeht >__<'
biiiiiitttteeeeeeeeeeeeeeeeeee!
T_____T

ich will wissen wies weitergeht verdammt >___<

wär schön wenn du auch bescheid sagen könntest oda so wenn was neues da is =^-^=
ich komm leider nicht immer dazu ständig zu gucken ob was neues da is .___.

*knuff*
Kuroi~
Von:  Schreiberling
2008-04-13T11:27:22+00:00 13.04.2008 13:27
Hallo.
Hab jetzt erst gesehen, dass ja ein neues Kap da ist, zwar ein bisschen kurz, aber besserals nix.^^

Also dann zu meinem Kommi.
Ich finde, dass Serenity wirklich ziemlich frech ist und zum Teil echt über's Ziel hinausschießt. Schließlich geht sie es nichts an, was Joey mit Yami macht oder nicht macht.

Aber sie hat schon recht, dass Yami sicher Hilfe gebraucht hätte und zwar im wahrsten Sinne...
Allerdings kann der Blonde ja nicht hellsehen und war von seinem eigenen Erlebnis mehr als bedient.

Ich freu mich schon auf den nächsten Teil und dann guck ich wieder früher nach, ob was on ist.
Versprochen.
VLG
Von:  Schreiberling
2007-12-18T16:36:00+00:00 18.12.2007 17:36
Hallo.
Schönes und vor allem aufschlussreiches Kapi.

Seth tut mir so leid, aber er kann noch froh sein, dass Faruk bei ihm ist und ihm immer Mut zuspricht.
Bakura scheint nicht sehr beliebt zu sein und er hat sich auch das falsche Opfer ausgesucht. Denn aus den forigen Kapis lässt sich doch schließen, dass Seth ihn besiegt.

Ist Horus nun ein Geist oder nicht?
Das hab ich mich die ganze Zeit gefragt und weil er nicht richtig geantwortet hat, dachte ich ok er muss wohl einer sein. Aber sicher bin ich nicht.

Ich freu mich schon auf die Fortsetzung vor allem auch in der echten Welt.
VLG
Von: abgemeldet
2007-12-10T12:47:29+00:00 10.12.2007 13:47
Hi Ice-Queen!
Ziemlich reudig sich hier anzumelden!!!!!!!!!!
Bei meiner ersten Anmeldung gab es keine Bestätigungsmail, beim zweiten Mal hat es endlich heute geklappt!
Als nächstes konnt ich das Kapietel nicht lesen!!!!
Irgendwie habe ich mitbekommen das ich die Zahlen von meinen Perso eingeben muss, aber jetzt hat es geklappt :-) endlich!

Bin mal gespannt was in diesen Kapietel steht, muss noch lesen.

Bye martina-ritchy
Von:  lillicat-san
2007-11-25T13:41:54+00:00 25.11.2007 14:41
Hallo, da bin ich wieder!^^
Also wenn ich ehrlich bin, gefällt mir das Kapitel am meisten! Ich liebe die Antike *Fähnchen schwenk*
Also mir haben deine Beschreibungen wiedermal gut gefallen, weil du kurz beschreibst und nicht (wie andere es tun) so lang und dass jedes Detail eingebaut wird...
Bakura als Obervampir...der arme Seth o.O'
Na, ich hoff mal, dass du bald weiterschreibst & Liebe Grüße
Lillicat
Von:  lillicat-san
2007-11-10T20:06:01+00:00 10.11.2007 21:06
Hey^^
Je mehr ich lese, desto besser gefällt mir die FF! ;)
Bei der Stelle, wo sich Seto und Tea im Café treffen und über das Opfer reden, ists mir kalt den Rücken runtergelaufen...*grusel* Das Gesicht fast ab und die Augen starren einen noch an..... *ziemlich grusel*
Also warn das dann Bakura und Marik? Ich kann mir nur nicht vorstellen, dass die ihre Opfer so entstellen? => sadistisch veranlagt?!?
Erklärst du das mit Violett& Seto im nächsten Kapitel genauer? Warum weiß sie, dass Seto ein Vampir is...
Bin schon gespannt, wer das am Telefon war...
Mir gefällt gut, dass du manche Dinge auch an die Animeserie bzw. den Manga anlehnst... z.B: Milleniumsgegenstände...
Und ich frag mich, ob du eigentlich auch noch andere Wesen wie Werwölfe einbringen möchtest oder ob die FF nur über Vampire ist...

Aber ich hoffe du machst ganz ganz ganz schnell weiter, damit ich bald wieder was lesen kann... :-)
Jedenfalls super tolle FF!

LG Lillicat



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