Animos - Die Kinder der Götter von abgemeldet (Die Rettung von Teraden) ================================================================================ Kapitel 1: Die Verwundete ------------------------- Das Meer lag ganz ruhig da. Noch war alles finster und das Wasser war pechschwarz. Aber am Horizont sah man schon die ersten hellen Streifen der aufgehenden Sonne. Ich war auf dem Heimweg. Diese Nacht hatte ich keinen Erfolg gehabt bei der Jagd. Ich würde hungern müssen. Ich hatte schon drei Nächte lang nichts gefangen. All meine Vorräte waren aufgebraucht. Ich jagte immer nachts. Die anderen Haie in dieser Gegend kamen mir dann nicht in die Quere. Ich mied sie so gut ich konnte. Denn jedes Zusammentreffen konnte zu einem Kampf und zu meinem Tod führen. Es gab nicht viele unter ihnen, die mich nicht hassten. Deshalb musste ich bei meiner Höhle sein, bevor die Sonne auf gehen würde. Ich schoss durch das kalte Wasser. Ich war fasst so schnell, wie die echten Haie. Unterwegs schwamm mir noch ein kleiner Hering über den Weg. Ich biss zu. Der Hering zappelte noch kurz, dann hing er nur noch schlaff aus meinem Mund. Ich war zufrieden. Ich würde bestimmt nicht satt werden, aber es würde meinen leeren Magen ein bisschen beruhigen. Ich steuerte jetzt zielstrebig das Ufer an. Ich schlief nicht gerne im Wasser. Ich könnte schon, ich hatte ja Kiemen, aber ich fühlte mich einfach wohler auf festem Grund. Endlich wurde der Boden flacher. Beim ersten Felsen schoss ich aus dem Wasser. Geschickt landete ich auf dem nassen Stein. Ich freute mich schon auf den Fisch, den ich unter den Arm geklemmt hatte. Aber dann dachte ich nicht mehr ans Essen, den ich sah den Umriss der Gestalt, die vor meiner Höhle lag, schon von weitem. Ich dachte schon, es sei ein Landstreicher, der sich verirrt hatte, aber dann erkannte ich mit Schrecken, dass es eine Frau war. Ihr langes, schwarzes Haar verdeckte ihr Gesicht, ihre blassblaue Haut war blutverschmiert. Der lange Fischschwanz hatte halbkreisförmige Bissspuren. Ich erkannte sie sofort: es waren die Abdrücke eines Hais. Der Weg war länger und steiler, als ich gedacht hatte. Ich musste eine Pause einlegen. Ich legte die verwundete Meerjungfrau vorsichtig ins Gras. Ich war sich das lange Gehen an Land nicht gewohnt. Nachdem ich aber wieder einigermassen zu Atem gekommen war, ging ich weiter. Ich musste sich beeilen. Ich hatte versucht, die Meerjungfrau wachzurütteln, aber sie war tief bewusstlos. Sie musste viel Blut verloren haben. Ich hatte mir die Wunden noch einmal genau angesehen. Es war ein tiefer Biss. Ich kannte mich mit Meerjungfrauen nicht so aus, aber ich vermutete, dass falls sie überleben würde, wohl nie mehr ganz gesund werden würde. Vielleicht würde sie nie mehr schwimmen können. Ich war selbst ein Wasserwesen, ich wusste, was das bedeutete. Ich konnte mir nicht vorstellen, nicht mehr zu schwimmen. Pfeilgerade durchs Wasser zu schiessen, dass war für mich das Grösste. Endlich kam ich auf dem Gipfel an. Ein kleines Häuschen mit einem gepflegten Gemüsegarten und einigen Bäumen stand dort, ganz alleine und einsam. Ein zottiger, brauner Hund kam mir entgegen. Er knurrte mich an und fletschte die Zähne. Ich sah ihn kritisch an. Ich war noch nicht vielen Hunden begegnet und wusste nicht so recht, was ich von ihnen halten sollte. Ich war erleichtert, als ich hörte, wie jemand nach ihm pfiff. Der Hund kehrte um und kam mit einem Mann zusammen wieder zurück. Der Mann war noch nicht wirklich alt aber auch nicht mehr so jung. Er zählte vermutlich etwa dreissig Winter. Sein Haar war an manchen Stellen schon ein bisschen grau und sein Gesicht war ausgemergelt. Er war hager, aber er stand selbstbewusst vor mich hin und fragte: „Was willst du hier?“ Er starrte mich mit einer Mischung aus Abscheu und Furcht an. „Und was hast du mit der armen Frau gemacht?“ „Ich bin Tezan, der Haimensch“, antwortete ich langsam, „ich habe dieser Frau nichts getan. Ich bin hier, um sie zu retten. Ich möchte zu Lien.“ Ich sah dem Mann eindeutig an, dass er mir nicht glaubte. Aber das überraschte mich auch nicht sonderlich. Ich hatte einige Male mein Spiegelbild auf der Wasseroberfläche angeschaut. Ich sah nicht aus wie ein glaubwürdiger, liebenswerter Mann. Ich, Tezan, sah aus wie ein Monster. Ich hatte eine flache Stirn, eine gewaltige Nase, vier Reihen spitzer Zähne, eine wilde Mähne von buschigem Haar und ein kurzes, buschiges Bärtchen. Aber das Auffälligste waren wahrscheinlich die fünf schlitzförmigen Kiemen auf meinen Wangen, die segelartigen Schwimmhäute zwischen meinen Fingern und Zehen und die Haiflosse, die mitten aus meinem Rücken stach. Der Mann schien ähnlich zu denken. Er sagte: „Ich bin Paron. Ich habe von dir gehört, Tezan. Du bist ein Animo. Ich weiss nicht, woher du meine Frau kennst, aber lass meine Familie und mich in Ruhe. Verschwinde von hier!“ Ich war verzweifelt. Paron musste doch sehen, dass die Meerjungfrau sterben würde, wenn ihr nicht bald jemand helfen würde. Ich musste etwas tun. Ich liess Paron einfach stehen und ging auf das Haus zu. Lien würde mir helfen. Aber Paron holte mich schnell ein. Wütend brüllte er etwas von Monster und dann zog er ein Messer aus seinem Gürtel. Ich entging der Klinge um Haaresbreite. Aber Paron holte schon erneut aus. Ich bewegte sich recht ungeschickt auf dem steinigen Boden und wäre bestimmt getroffen worden. Doch in dem Moment rief jemand vom Haus her: „Neein!! Nicht! Tu ihm nichts, Paron! Er ist gut!“ ..Lien.. ..alles wird gut.. Paron senkte das Messer und schaute etwas unsicher zu mir und dann zu der Frau, die auf die beiden zu gerannt kam. Hinter ihr kamen noch zwei Kinder. Als sie uns erreicht hatten, fragte Paron die Frau: „Woher kennst dieses Ungeheuer, Lien? Woher kennst du ihn?“ Lien sah mich lange an. Dann richtete sie sich wieder an ihren Mann: „Ich habe dir doch von dem Mann erzählt, der unsere Yari vor den Haien gerettet hat. Er war das. Und ich habe ihm versprochen, ihm immer zur Seite zu stehen, wenn er meine Hilfe brauchen sollte. Ich bin es ihm schuldig. Wir sind es ihm schuldig.“ Paron sah missmutig auf die Meerjungfrau. „Wie können wir dir helfen, Tezan?“, fragte er schliesslich bemüht freundlich. Erleichtert antwortete ich: „Ich habe sie bewusstlos gefunden. Ein Hai muss sie erwischt haben. Kannst du sie retten?“ Ich sah hilfesuchend zu Lien. Diese sah sich die Wunde genauer an. Schliesslich sah sie wieder zu mir und antwortete: „Ich werde es versuchen. Aber mach dir nicht zu viele Hoffnungen. Sie ist schon sehr geschwächt.“ Lien führte mich in das kleine Haus. Ich legte die Meerjungfrau auf eines der Lager. Lien holte Wasser, Kräuter und einige alte Lumpen. Dann begann sie die Wunde zu säubern. „Lasst mich nun allein mit ihr“, sagte sie. Paron führte mich raus in das Esszimmer. Er machte uns beiden einen Kräutertee und stellte noch etwas Brot auf, aber ich ass keinen Bissen, obwohl mein Magen knurrte. Ich hatte so was noch nie gegessen. Die beiden Kinder kamen nun auch noch an den Tisch. Yari, das Mädchen, zählte wohl etwa 6 Winter, ihr kleiner Bruder etwa 3. Yari sah mich mit grossen Augen an. „Wer ist die Frau, Haimensch?“, fragte sie, „und wieso hat sie einen Fischschwanz? Ist sie so wie du?“ Ich musste schmunzeln. Langsam antwortete ich: „Sie ist eine Meerjungfrau. Von ihnen gibt es viele. Aber von solchen wie mir habe ich bisher nur Gerüchte gehört.“ Wieder einmal fragte ich mich, was ich eigentlich war. Ein Animo, ja. Aber was war das? Wieso war ich halb Hai, halb Mensch? Paron riss mich aus meinen Gedanken: „Es gibt mehr Animos. Ein Fischer hat mir erzählt, er hätte eine Katzenfrau gesehen. Andere erzählen von einem Falkenmenschen und einem Hirschmann. Und alle sind in deinem Alter. Es gibt auch Geschichten, wonach ihr alle in derselben Nacht geboren worden seid. Aber es gibt wohl kaum über jemanden mehr Geschichten als über euch.“ Schweigen setzte ein. Ich musterte den kleinen Jungen. Schliesslich fragte ich ihn: „Wie heisst du?“ Der Junge sah mich mit grossen Augen an. „Shuro“, antwortete er scheu. „Ein schöner Name.“ Ich lächelte ihn an. Und Shuro lächelte zurück. Dann war es wieder lange still. Es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Wieso dauerte das bloss so lange? Wie es ihr wohl ging? Endlich ging die Tür auf und Lien kam ins Esszimmer. Ich sprang auf und sah sie fragend an. „Keine Angst, keine Angst, sie wird leben. Aber sie braucht Ruhe. Sie sollte einige Tage bei mir bleiben.“ Man sah Paron an, wie begeistert er von der Idee war, den Haimenschen und seine Nixe noch länger um sich zu haben. Ich fasste einen Entschluss: „Ich nehme sie mit. Ich werde mich um sie kümmern. Du schuldest mir nichts mehr. Danke, dass du ihr geholfen hast.“ Lien war erst nicht so begeistert, aber sie waren arm und hatten kaum genug zu essen für sich selbst. Und so liess sie uns schliesslich doch gehen. Sie gab mir haufenweise Kräuter und Salben mit und versprach, in drei Tagen nach der Meerjungfrau schauen zu kommen. Als ich mit der immer noch bewusstlosen Wasserfrau das Haus verliess, kam sogar Paron noch mit nach draussen, um uns zu verabschieden. Inzwischen war es heller Morgen. „Ich danke euch beiden von Herzen. Falls ich euch jemals helfen kann, lasst es mich wissen.“ Paron nickte. „Machs gut.“ Ich wollte schon gehen, aber dann kam Yari angerannt. Sie ging ohne jede Furcht auf mich zu und hielt mir eine Kette hin. Es war ein einfacher Lederriemen mit einem Stein. Ich war fast ein bisschen überrumpelt. ..sie schenkt mir was.. ..mir, dem Haimonster.. ..sie mag mich.. Tief berührt bückte ich mich, so dass das Mädchen mir den Talisman über den Kopf ziehen konnte. Dann sah ich noch einmal in die grossen Augen. „Gib auf dich acht!“, mahnte ich sie, dann ging ich los. Bald war ich hinter der Hügelkuppe verschwunden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)