Nemesis von Chi_desu (ItaSasu) ================================================================================ XIV. I said I love you and I swear I still do --------------------------------------------- Itachi ist hier. Er steht bei mir in der Zelle. So habe ich mir unser Wiedersehen nicht vorgestellt. Er ist plötzlich einfach dagewesen, mein benebelter Verstand hat sein Auftauchen kaum registriert. Ich frage mich, ob das nicht einfach ein Traum ist oder eine weitere Halluzination, die Karin für mich inszeniert. In meinem Zustand könnte ich es nicht unterscheiden. Itachi mustert uns beide mit eisigem Blick und dann huscht eine vage Emotion über sein Gesicht. Wut. Ich sehe an mir runter und frage mich, wie das wohl aussehen mag. Ich, halb nackt und kaum in der Lage, meinen Blick auf ihn zu fokussieren und Karin auf meinem Schoß, die plötzlich sehr hektisch nach ihrem Oberteil sucht. Sie springt geradezu von mir runter, drückt sich neben mir an die Wand, rückt ihre Brille zurecht und sagt zittrig: "Das ging schnell, Itachi-san." Es wirkt, als habe sie mit seinem Auftauchen gerechnet. Nun, was ihn anbelangt, kann mich gar nichts mehr überraschen. Er ist jetzt hier. Ich nehme das mit erstaunlicher Gelassenheit hin. Er macht ein paar Schritte auf Karin zu, die Bewegungen sind zu schnell für mein momentanes Fassungsvermögen, ich sehe bloß, dass sie auf einmal nicht mehr neben mir sitzt und höre Itachis zornige Stimme: "Was hast du mit ihm gemacht?" "Gar nichts! Ich hab nur…" "Nur was?" Sie murmelt etwas, das ich leider nicht verstehen kann. Ah, von hier aus sieht es aus, als würden Itachis Beine unter Wasser stehen, weil die Konturen so wabern. Karin gibt einen erschrockenen Laut von sich. Ich sehe hoch zu Itachi, sehe seine Augen und noch bevor Karin tief Luft holt und dann aus voller Kraft losschreit, weiß ich, was er mit ihr macht. Ihre Schreie sind ohrenbetäubend und ich wüsste gerne, welches Horrorszenario er sich für sie ausgedacht hat. Die Mangekyou Sharingan verletzen nicht körperlich, aber sie sind eine grauenhaft effiziente Waffe für seelische Folter. Noch jemand kommt in den Raum und ich höre Suigetsu dazwischenfunken: "Itachi-san, lass sie los. Ohne sie wäre er schon tot." Tatsächlich lässt er sie los und sie fällt neben mir auf den Boden. Ich höre sie schluchzen. Mitleid kann ich keines haben, aber ich weiß, wie es ihr gerade ergeht. Sie hat es auch nicht besser verdient, das Miststück. Immerhin hätte sie beinahe sonst was mit mir angestellt. Und sie hat mich vergiftet. "Raus hier, alle beide", sagt Itachi und seine Stimme knallt wie ein Peitschenhieb über meinen Kopf hinweg. Suigetsu hebt Karin vom Boden auf und zerrt sie aus der Zelle. Ich muss fast lachen. Wenn Itachi ansagt, springen sie alle. Meine Güte, wie lächerlich. Und dabei denke ich, dass ich… dass ich längst… Er taucht in meinem Gesichtsfeld auf und die Sharingan sind ein lange vermisster Anblick. Ich bin wirklich gut. Ich wusste ja, dass er lebt. Er sagt etwas zu mir und ich runzle benommen die Stirn in einem Versuch, mich auf seine Worte zu konzentrieren. Ich will bloß schlafen. Unbarmherzig schlägt er mir mit der flachen Hand ins Gesicht. Der brennende Schmerz macht meinen Kopf etwas klarer. Es folgt noch eine zweite, noch festere Ohrfeige und ich komme so einigermaßen zu mir. "Verdammt, lass das", belle ich ihn an. Ich merke jetzt, dass er mich beim Oberarm gepackt hat, und schlage seine Hand beiseite. Ich werde Karin umbringen. Gerade jetzt sollte ich bei klarem Verstand sein und dieses Miststück hat dafür gesorgt, dass ich Itachis Auftauchen wie im Drogenrausch erlebe. Ich beiße mir auf die Unterlippe. Schmerz lässt mich klarer werden, das hat er zielsicher erfasst. Verdammter Bastard. Jetzt, wo ich wieder einigermaßen bei mir bin, sehe ich in seine Augen und versuche, mir begreiflich zu machen, dass er hier ist. Dass er lebt. Es ist ganz eigenartig. Dieselbe Taubheit hat von mir Besitz ergriffen, die mich schon nicht an seinen Tod glauben ließ. Jetzt ist er da, offenkundig sehr lebendig (was auch immer man bei ihm "lebendig" nennen will), und irgendwie will ich es auch nicht recht glauben. Eigentlich dachte ich, wenn ich ihn wieder sehe, dann knallt's, so oder so. Entweder ich werfe mich in seine Arme oder ich greife ihn an. Aber nichts dergleichen. Wie ich ihn so ansehe, fühle ich in mir drin nur Kälte und eine gewisse Art von Genugtuung. Ich wusste es. Ich wusste, dass er nicht tot ist. Und irgendwo habe ich auch gewusst, dass er kommen und nachsehen würde, ob es mir gut geht. Wieso fühle ich nichts? In den letzten zwei Jahren habe ich mir unser Wiedersehen so oft ausgemalt – und ja, ich wusste, es würde eines geben – und jetzt, wo der Zeitpunkt gekommen ist, fühlt es sich an, als würde mein Herz Eis anstatt Blut durch meine Adern pumpen. "Steh auf, Sasuke. Wir gehen." Die eisige Stimme ist so vertraut, ebenso sein Befehlston. Ich versuche, mich in die Höhe zu stemmen, was sich allerdings als recht schwierig erweist. Schließlich wird er ungeduldig, er packt mich, zerrt mich grob in die Höhe, wirft mich gegen die Wand und sagt düster: "Mit dir hat man nichts als Ärger." Für seine Verhältnisse ist er erstaunlich aufgebracht. Was hat ihm wohl den Tag versaut? Dass er sich meinetwegen hierher bemühen musste? Oder dass er mich mit einer halbnackten Frau auf meinem Schoß vorfand? Seine miese Laune stimmt mich fast schon unnatürlich heiter. Ich erwidere seinen Blick und die letzten beiden Paar Sharingan fixieren einander. Ich weiß, dass er es ist. Aber ich habe sie aktiviert, um auch ganz sicherzugehen. Nicht, dass ich in meiner Verfassung einer Illusion auf den Leim gehe. Seine Gestalt flackert nicht, ich sehe die vertraute Farbe seines Chakras. Ein tiefdunkles Weinrot, ähnlich der Farbe von geronnenem Blut, mit einem leichten Stich ins Violette. Sie könnten die Sharingan vielleicht mit einer Illusion täuschen, aber die Farbe seiner Aura könnten sie nicht fälschen. Niemand außer mir kann sie so sehen. Er dreht sich um und ich folge ihm aus der Zelle, während meine Finger sehr ungeschickt versuchen, meine Hose zuzumachen. Draußen steht fast die gesamte Führungsriege Otogakures, seelenruhig, als würden sie Spalier stehen, während ich in aller Ruhe hier raus marschiere. Ich hatte natürlich angenommen, Itachi hätte auf seinem Weg bis hierher, vor meine Zellentür, eine blutige Spur der Vernichtung hinterlassen. Wie es aussieht, habe ich mich da verschätzt. Sogar Arashi beobachtet uns gleichgültig. Was ist denn hier los? Wenn mein Kopf doch nicht so dröhnen würde, vielleicht fiele mir ein, was hier nicht stimmt. Itachi geht wortlos nach links, wo, irgendwo am Ende des Ganges, eine Treppe nach oben führt, wie ich weiß, aber ich bleibe stehen. "Das ist die falsche Richtung", sage ich laut. "Naruto ist noch hier. Ich muss ihn holen." Ich stütze mich unauffällig an der Wand ab, weil ich mich immer noch leicht benommen fühle. Mein Bruder dreht sich zu mir um. "Nein. Ich bin nur deinetwegen hier." Eigentlich hätte ich es wissen müssen. Itachi hat nur nach mir verlangt. Meinen besten Freund zu retten war nie vorgesehen. Ich sehe Itachi direkt in die Augen und sage: "Ohne ihn gehe ich nicht." Itachi macht wieder einen Schritt auf mich zu. Inzwischen sind wir annähernd gleich groß aber sein Blick ist grausam und einschüchternd und ich fühle mich auf einmal wieder wie das Kind, das ihm kaum bis zum Bauchnabel reicht. "Es ist nicht so, als ob du eine Wahl hättest", sagt er kalt. Sein Ton lässt nicht den geringsten Zweifel, dass er mich auch gegen meinen Willen hier raus schleppen wird. "Was kümmert es dich, ob ich ihn mitnehme oder nicht?", frage ich und spüre, wie Wut in mir aufsteigt. Naruto ist nicht irgendwer, nicht bloß ein Kamerad oder ein Teammitglied. "Ohne ihn kann ich nicht gehen! Ich trage ihn, wenn er nicht selber gehen kann, du brauchst nichts zu tun!" "Das schaffst du in deinem Zustand nicht." Sein Blick ist gnadenlos. Naruto interessiert ihn kein Bisschen und mein Wunsch genauso wenig. "Das ist die letzte Warnung, Sasuke. Entweder du kommst freiwillig, oder ich nehme dich einfach mit." Was werden sie mit Naruto anstellen? Ich kann ihn nicht hier lassen, ich kann einfach nicht. "Er ist meine Familie", sage ich laut. "Du schuldest es mir! Du bist es mir verdammt nochmal schuldig, dafür zu sorgen, dass ich meine Familie nicht noch einmal verliere!" Etwas in seinen Augen verändert sich. Vielleicht habe ich ein einziges Mal das Richtige gesagt. Arashi merkt es auch und jetzt sieht er nicht mehr so gelassen aus. "Itachi-san!", ruft er. "So war das nicht ausgemacht!" Ausgemacht?! Mein Bruder tut so, als wäre Arashi gar nicht vorhanden. Immer noch sieht er mich an und er sagt: "Im Leben ist nichts umsonst, Sasuke." "Ich weiß!", sage ich aufgebracht. Von ihm ist nichts umsonst, ja, das habe ich gelernt. "Und ganz egal, was du willst, ich tue es, wenn du mir hilfst, Naruto heil aus dieser Sache rauszuholen." Es fühlt sich an, als wäre ich gerade dabei, meine Seele dem Teufel zu verkaufen. "Was willst du als Gegenleistung?" "Das sage ich dir später." Vielleicht ist es auch besser, wenn ich es nicht weiß. So oder so hätte ich keine Wahl. Naruto zurückzulassen kommt nicht in Frage. "Ich werde tun, was immer du willst. Ich gebe dir mein Wort." "Einverstanden." Augenblicklich wendet Itachi den Kopf zu Arashi. "Wo ist Naruto-kun?" "Du bist gekommen um ihn", Arashi deutet wutentbrannt auf mich, "zu holen! Der andere bleibt, hast du gesagt!" Fassungslos sehe ich Itachi an. Was wird denn hier gespielt? "Der Plan hat sich geändert", antwortet Itachi. "Ich brauche den anderen auch. Überlasst mir Naruto-kun." Während die zwei einander anstarren, bin ich mir noch nicht ganz darüber im Klaren, was ich von dieser Sache halten soll. Was ist hier los? Irgendetwas Wichtiges ist mir entgangen und so sehr ich mir auch den Kopf darüber zerbreche, mir will nicht einfallen, was es ist. Mir kommt sogar der Gedanke, dass Itachi hinter dieser ganzen Sache stecken könnte, von Anfang an, bloß um mich mal wieder zu quälen. Aber das ist nicht sein Stil. Wenn er mir was tun wollte, könnte er mich einfach mitnehmen. Und wenn er etwas von mir will, kann er es sich einfach nehmen. Was also habe ich übersehen? Augenscheinlich hat Arashi verstanden, dass er gegen Itachi nicht ankommt. "Folgt mir", sagt er und er führt uns den Gang entlang. Itachi sagt kein Wort und mir sitzt auf einmal ein Kloß im Hals. In welchem Zustand werde ich Naruto vorfinden? Was, wenn sie ihn getötet haben? Wenn sie ihn verstümmelt haben? Was, wenn wir zu spät kommen? Arashi schließt die Tür auf und deutet missmutig hinein. "Nehmt ihn euch! Und dann verzieht euch, alle drei!" Sicher gibt es nicht viele, die es wagen würden, so mit Itachi zu reden. Es erstaunt mich, dass er gar nicht darauf reagiert. Dann verschwindet jeder andere Gedanke aus meinem Kopf, als ich durch die Tür trete. Es ist bloß eine Zelle, genau wie meine. Irgendwie hatte ich mir die schlimmsten Folterwerkzeuge ausgemalt, aber hier gibt es gar nichts. Es ist dunkel. Und in einer Ecke sitzt Naruto. Seine blauen Augen sehen mich ungläubig an und ich falle bei ihm auf die Knie. "Naruto", sage ich fest. "Wir verschwinden von hier." "Wie hast du das…" Mitten im Satz hält er inne. Weil nämlich Itachi den Raum betritt. "Keine Sorge", sage ich ruhig. "Bist du verletzt? Kannst du aufstehen?" "Ja…" Ungelenk kämpft er sich auf die Füße. Er wirkt angeschlagen, genau wie ich, aber das ist ja auch kein Wunder. Wer weiß, was genau Arashi gemacht hat, um ihn ruhig zu stellen. "Sasuke, was ist hier los? Warum ist er hier?", fragt er mich. Mir schwirrt der Kopf, für seine Fragen habe ich ganz sicher jetzt keine Nerven. Davon mal abgesehen habe ich auch keine Antworten. "Nicht jetzt", sage ich mühsam. "Lass uns einfach gehen. Er bringt uns hier raus." Ich sehe mich um und mein Blick fällt auf Arashi, der mich hasserfüllt anstarrt. Wenn ich könnte, wenn ich damit nicht doch noch einen Krieg mit den Oto-Nin riskieren würde, würde ich ihn auf der Stelle töten. Mein Blick fällt auf das Schwert, das er auf dem Rücken trägt. Mein Schwert. Ich gehe zu ihm und verlange: "Gib mir mein Katana." Eigentlich rechne ich mit Widerstand, aber wortlos übergibt er mir meine Waffe. Knurrend nehme ich sie an mich und gehe an ihm vorbei, verlasse gemeinsam mit Naruto die Zelle. Itachi geht vor und wie schon so oft zuvor überlasse ich ihm die Führung und lasse ihn den Weg wählen, obwohl ich mich hier drin sehr viel besser auskenne als er. Es tut gut, sich einmal nicht den Kopf zerbrechen zu müssen, sondern einfach nur ihm nachzulaufen. Als wir draußen sind, bin ich nur einen Moment lang erleichtert. Wir sind immer noch in Otogakure. Mitten im Feindesland. Naruto und ich sind beide angeschlagen. So werden wir nicht weit kommen. Bevor ich mir dazu etwas einfallen lassen kann, dreht Itachi sich zu uns um. "Ich bringe euch zur Grenze", sagt er. "Ich brauche deine Hilfe nicht", gebe ich trotzig zurück. Ich habe ihn machen lassen, aber das hat jetzt lange genug angedauert. Ich muss die Kontrolle zurückgewinnen, sonst… "Doch die brauchst du." Er wirft mir einen kalten Blick zu und ich fühle mich schlecht. So, als wäre ich immer noch der Schwächling, der seiner Aufmerksamkeit nicht würdig ist. Das Schlimme ist, dass er Recht hat. Durch das Juin bin ich nochmal verwundbarer, die Chancen stünden gut, dass uns jemand abfangen würde. "Wir beeilen uns besser", sagt er in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldet. "Kommt." Und dann rennt er los. Also laufe ich hinter ihm her und Naruto ebenfalls. Itachi ist schnell. Nach ein paar Minuten pendelt er sich auf ein Tempo ein, das uns gerade noch gerecht wird. Ich könnte noch schneller, Naruto aber nicht. Geschwindigkeit war nie seine Stärke. Itachi ist stets ein paar Meter vor uns, gibt die Richtung an. Ich beobachte ihn ganz genau, jede Bewegung, jedes Mal, wenn seine Füße auf dem Boden aufkommen. Etwas ist ungewöhnlich, aber ich kann nicht sagen, was es ist. Es scheint, als würde er sich auf eine völlig andere Art bewegen als ich. Intuitiver. Wir kommen schnell voran und kommen in der Eile nicht dazu, auch nur ein Wort miteinander zu wechseln. In der Stille der Geschwindigkeit, während die Bäume an mir vorbeizischen und unter mir der Boden verschwimmt, bin ich allein mit meinen Gedanken und ich frage mich, was jetzt werden wird. Itachi ist wieder da. Wenn er irgendwas versucht, dann bringe ich ihn um, ich schwöre es. Er soll es nicht wagen, mich nochmal zu verletzen. Aber ich habe solche Angst, dass es bloß ein oberflächlicher Entschluss ist. Dass ich schwach werde. So gerne würde ich jetzt mit Naruto reden, würde gerne eine vertraute Stimme hören, die mir sagt, dass ich Menschen habe, die mir Rückhalt geben. Aber ich habe Angst, dass ich jetzt etwas Falsches sage, wenn ich anfange, zu reden. Ich bin nicht klar im Kopf und Itachis Anwesenheit hat mir den Rest gegeben. Wenn Naruto erfahren sollte, was wirklich passiert ist, was wird er dann von mir denken? Nach einer Weile habe ich für solche Gedanken keine Zeit mehr. Mit jedem Schritt verlässt mich meine Kraft ein bisschen mehr. Ich werde es niemals schaffen, bis zur Grenze zu kommen. Aber ich muss, denn ich weiß nicht, was Itachi tun wird, wenn ich vorher schlappmache. Also konzentriere ich mich nur noch auf das Laufen, auf das Tempo, das mir zu viel wird, auf jeden einzelnen Schritt, zwinge meinem Körper die Geschwindigkeit auf und versuche, nicht an die Erschöpfung zu denken. So gerne würde ich mich einfach fallen lassen und schlafen… und am besten nie mehr aufwachen. Dann müsste ich mich nicht der Tatsache stellen, dass nicht ich es war, der uns befreit hat. Sondern dass ich Itachi jetzt etwas schuldig bin. Der Weg bis zur Grenze zieht sich endlos hin. Wie ich es schaffe, weiß ich nicht. Am Ende halte ich meinen Körper nur noch durch pure Willenskraft aufrecht. Aber als ich das Rauschen des Flusses höre, wird mir klar, dass wir es geschafft haben. Nur noch über den Fluss, dann sind wir wieder zu Hause. Ich kratze meine letzten Reserven zusammen, um über das Wasser zu laufen und auf der anderen Seite lasse mich einfach ins Gras fallen. Naruto kniet bei mir nieder. "Was ist denn los, Sasuke? Steh auf, wir müssen wenigstens bis ins nächste Dorf." "Ich kann nicht mehr." "Es ist nicht mehr weit." "Es geht nicht. Karin hat mich vergiftet. Ich weiß nicht, was sie…" Ich verstumme, als Itachi in meinem Blickfeld auftaucht. Seine Augen scheinen mir irgendwas sagen zu wollen, aber wenn, dann kann ich es nicht verstehen. Er nimmt den Blick von mir und sagt zu Naruto: "Dann geh und hol jemanden, der sich um ihn kümmern kann. Das nächste Dorf ist nicht weit. Geh nach Westen." Nackte Angst ergreift von mir Besitz, als er das sagt. Das ist völlig untypisch für Itachi. Er löst Probleme selbst. Er würde nie einen anderen schicken. Er würde selbst gehen, nein, viel eher würde er mich packen, über die Schulter werfen und zu diesem Dorf gehen. Er schickt Naruto weg. Damit er mit mir alleine ist. Ich kriege keine Luft mehr. Naruto darf mich auf keinen Fall mit Itachi alleine lassen! "Dann lass uns einfach hier", keuche ich Itachi an. In meiner Verzweiflung versuche ich mich wieder auf die Füße zu kämpfen. Da sterbe ich lieber beim Laufen als hier mit ihm zurückzubleiben. Aber es endet damit, dass ich Naruto in die Arme falle und schlussendlich doch wieder nach Luft ringend am Boden liege. Was hat Karin mir da bloß gegeben? Sie sagte doch, es würde bald nachlassen. Stattdessen habe ich das Gefühl, es wird nur noch schlimmer. Vielleicht hätte ich mich nicht so anstrengen dürfen. Weiß der Teufel, was das Mittel in so einem Fall anrichtet. Mein Bruder wirft mir einen vielsagenden Blick zu und jetzt weiß ich auf einmal, was er vorhin sagen wollte. Er will mit mir allein sein, das ist jetzt gerade sein ultimatives Ziel und davon wird ihn nichts und niemand abbringen. Er kriegt immer, was er sich in den Kopf gesetzt hat und ich bin momentan nicht in der Lage, diese Tatsache eigenhändig zu ändern. Ich weiß nicht, was in seinem Kopf vorgeht. Aber Naruto ist das Hindernis, das zwischen ihm und seinem Wunsch steht. Wenn Naruto nicht geht, wird Itachi dafür sorgen, dass er verschwindet, so oder so. "Sasuke hat Recht", meint Naruto jetzt. "Ich kümmere mich schon um ihn. Ich lasse ihn jedenfalls nicht hier mit dir alleine." Ich sehe, wie Itachis Finger unter dem schwarzen Mantel, den er jetzt anstelle des Akatsuki Outfits trägt, nach einer Waffe tasten. Panisch stemme ich mich auf die Ellbogen und sage zu Naruto: "Nein, geh ruhig. Hol Hilfe, bitte. Je schneller, desto besser. Aber geh." "Nein! Ich kann dich tragen! So schwer bist du nicht." "Naruto, bitte!" Seine blauen Augen blicken mich verwirrt an. Er kann sich meinen Sinneswandel nicht erklären und überlegt wahrscheinlich grade, ob ihm eine gute Erklärung dazu einfällt. Gott, Naruto, ich bitte dich, verschwinde, bevor Itachi dich tötet! Und dann fragt er zögernd: "Bist du sicher? Kann ich dich mit ihm alleine lassen?" "Ja. Ich bin sicher, geh einfach. Und beeil dich. Es geht mir nicht gut." Das ist nicht die Wahrheit. Eigentlich bin ich nur erschöpft und sobald Karins verdammtes Gift endlich nachlässt, werde ich keinen Arzt mehr brauchen. Aber es ist besser, wenn er einen Antrieb hat, so schnell wie möglich von hier zu verschwinden. Weg aus Itachis Reichweite. Bevor mein Alptraum sich bewahrheitet und mein Bruder mir noch einmal meine Familie wegnimmt. Naruto sieht mich fragend an, sucht in meinem Gesicht nach einem Hinweis auf den Grund für mein absonderliches Verhalten, scheint aber nichts zu finden. Er wird nicht gehen. Naruto weiß nicht, was ich noch mit Itachi zu schaffen habe, aber er weiß sehr wohl, dass es stets mein Bruder war, der mich zu meinen dümmsten Taten verleitet hat. Ich sehe ihm in die Augen und ich hoffe, dass er begreift, wie ernst es mir ist. "Vertrau mir, Naruto. Geh." Und er geht tatsächlich. Er sieht unglücklich über diese Entscheidung aus, aber er dreht sich um und rennt los. Ich bin unheimlich erleichtert und lasse mich zurück ins Gras sinken. Itachi setzt sich neben mich. Lange dauert die Erleichterung nicht an. Er verschwendet keine Zeit und fragt mich: "Bist du eigentlich von allen guten Geistern verlassen, Sasuke?" "Worauf genau spielst du an?", erkundige ich mich müde. "Wieso warst du in Otogakure? Hast du Todessehnsucht?" "Kannst du dir das nicht denken?" Ich starre immer noch in den blauen Himmel über uns. Ich will ihn nicht ansehen, aus Angst, sein Anblick könnte mich an Dinge erinnern, die ich getan habe. "Ich war an deinem Grab, weißt du?" Als er antwortet, klingt er wütend: "Hast du wirklich geglaubt, ich wäre so ein Idiot, mich von den Akatsuki umbringen zu lassen?" "Nein. Aber ich konnte die Möglichkeit nicht ganz ausschließen. Immerhin hätte es zu dir gepasst, einfach wegzusterben und mich für immer in der Luft hängen zu lassen." Die Verschnaufpause tut mir gut, es gelingt mir jetzt, mich aufzusetzen und ich starre auf seine Hände, die völlig ruhig auf seinen Oberschenkeln liegen. Er sitzt im Schneidersitz, ganz gelassen, und doch spüre ich seinen Zorn, der unter der ruhigen Oberfläche brodelt. Und es fällt mir auf, dass seine Fingernägel nicht mehr schwarz lackiert sind. "Wie hast du mich dort gefunden?" "Ich stelle die Fragen." War ja klar, dass ich von ihm keine Antwort bekomme. "Was hast du dir dabei gedacht? Ist dir klar, dass sie dich ohne mich umgebracht hätten?" Jetzt sehe ich ihm doch in die Augen. "Vielleicht war es mir einfach egal", antworte ich ruhig. Und dann bin ich selbst überrascht über meine Worte. Jetzt, wo ich darüber nachdenke, bin ich erstaunt, wieviel ich mir von ihnen habe bieten lassen. Eigentlich habe ich doch bloß in meiner Zelle gesessen und darauf gewartet, dass sie mich umbringen. Wollte ich es so? Ich halte seinem vorwurfsvollen Blick stand und füge hinzu: "Ich wollte Gewissheit, ob ich dich endlich losgeworden bin. Alles andere war mir ehrlich gesagt herzlich egal. Dass du noch lebst, konnte ich ja nicht wissen." Ich rede Blödsinn. Dass er lebt, ist wie eine schwere Last, die mir von der Seele genommen wurde. Jetzt, wo er mir gegenüber sitzt, spüre ich zum ersten Mal wieder dieses warme, angenehme Gefühl der Zuneigung zu ihm und den brennenden Wunsch, in seiner Nähe zu sein. Er hat mir entsetzlich gefehlt, das wird mir mit jeder Minute klarer. "Für deine kindischen Aussagen sollte ich dir den Hintern versohlen." Die Worte rufen so einiges in mir hervor, aber nicht unbedingt das, was ich erhofft hatte. Ich spüre, wie meine Wangen heiß werden und ich erinnere mich nur allzu bildhaft an das, was in Deidaras Haus geschehen ist. Ich hasse ihn dafür, aber mich selber hasse ich noch mehr, weil die simplen Worte, die nichts weiter als eine haltlose Drohung sind, ein angenehmes Prickeln in meinem Bauch verursachen… und noch etwas weiter unten. Warum bin ich so verdammt krank im Kopf? Erzürnt verschränke die Arme vor der Brust. "Hast du mal wieder einen deiner seltenen Momente, in denen du den großen Bruder raushängen lässt? Nach allem was passiert ist…" Ich muss innehalten, um mich einigermaßen zu beruhigen, weil meine Stimme sich überschlägt. "Das ist so unpassend, dass ich keine Worte dafür finde." Er lächelt hintergründig. "Ich weiß, was du denkst, vergiss das nicht." Erschrocken weiche ich seinem Blick aus. Er soll nicht wissen, was er, immer noch, in mir auslöst. Ich will stark sein, hart und unnachgiebig. Wenn er in meine Augen sieht, soll er nichts anderes lesen als meine Entschlossenheit, ihm seine Taten niemals zu vergeben. Es war ein Fehler, ihn nicht anzusehen. Auf einmal ist er ganz nah, viel zu nah, und seine Hand liegt auf meiner Schulter. An meinem Ohr flüstert er: "Sag, liebst du mich immer noch?" Mein Herzschlag verdoppelt sich und ich halte automatisch Luft an. Wieso kann ich es nicht sagen? Nein, nein, tue ich nicht! Du hast auf meine Liebe gespuckt, du Bastard! "Nein." Meine Stimme zittert. Die Lüge scheint deutlich durch und mir wird klar, wie albern ich war, mir einzureden, dass ich keine Gefühle mehr für ihn hätte. Es stimmt, dass er grausam zu mir war. Aber ganz egal wie er mich behandelt hat und was ich daraufhin entschieden haben mag, es ändert nichts daran, dass er mir noch immer so furchtbar viel bedeutet. So viel, dass ich auf der Suche nach ihm beinahe mein Leben gelassen hätte. "Lüg mich nicht an." Er nimmt den Ring, den ich um den Hals trage, und ich sauge scharf die Luft an, als seine Finger dabei meine nackte Haut streifen. "Warum trägst du ihn immer noch bei dir?" "Ich…" Er krallt seine andere Hand in mein Haar und sein Gesicht ist plötzlich direkt vor mir. Unsere Lippen sind sich ganz nah und jetzt kann ich wirklich nicht mehr atmen oder sprechen oder denken. Wag das ja nicht, das ist mein einziger bewusster Gedanke. Ja, ich sehne mich danach, ihn zu küssen, aber wenn er es wagt, dann bringe ich ihn um. Dass ich ihn noch liebe heißt nicht, dass ich nochmal auf ihn reinfalle. Wild entschlossen starre ich in seine Augen und hoffe, dass er es begreift. Wenn er mich küsst, raste ich aus. Itachi lässt plötzlich den Ring los und lauscht. Sofort bin auch ich in Alarmbereitschaft und horche. Jemand kommt auf uns zu gerannt. Naruto hat sich WIRKLICH beeilt. Immer noch wenige Zentimeter von meinem Gesicht entfernt sagt mein Bruder: "Wenn du dieses Gespräch fortsetzen willst, komm heute Nacht zur Grenze. Zur Statue von Uchiha Madara." Seine Finger lassen meine Haare los, streichen sacht über meine Wange und dann, ich schwöre ich habe nur geblinzelt, ist er auch schon verschwunden. Und ich höre hinter mir auch schon Naruto rufen, der wie ein Verrückter angerannt kommt. Ich beachte erstmal weder ihn noch die Personen, die er mitgebracht hat. Stumm starre ich in die Ferne und versuche, mein pochendes Herz zu beruhigen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)