A world that never was von Flordelis (Eine Welt, die nie war ~ Fortsetzung von Savior) ================================================================================ Kapitel 20: Perfekt ------------------- Als er die Augen öffnete, überkam ihn das Gefühl, dass etwas sich nicht nur verändert, sondern dass er auch etwas sehr Wichtiges vergessen hatte. Er fand sich nicht in einem Tempel wieder, sondern in seinem Bett – und es war nicht jenes, das er in Edge besaß. Allein schon der Nachttisch direkt neben ihm war ein vollkommen anderer und das Bild darauf auch. Das Bild in Edge zeigte Tifa, Marlene, Denzel und ihn. Dieses hier zeigte nur ihn und Tifa – zumindest glaubte er das. Sowohl er als auch sie sahen vollkommen anders aus. Weniger vom Kampf gezeichnet, dafür fröhlicher und gelöster. Waren das wirklich sie beide? Ein wenig verwirrt richtete er sich auf. Die Gedanken kreisten im seinen Kopf umher, doch gelang es ihm nicht, einen davon zu fassen zu bekommen. Jemand neben ihm seufzte leise. Erschrocken blickte er hinunter und erkannte Tifa, die sich gerade auf die andere Seite drehte und dabei leise etwas vor sich hinmurmelte. Hat das etwas mit dem zu tun, was... ach, ich habe es vergessen. Er wusste nicht, an was genau er sich gerade hatte erinnern wollen. Auch die Erinnerung an den Tempel, in dem er sich befinden sollte, zerbröckelte langsam und verschwand spurlos als würden die Bruchstücke vom Wind verweht werden. Aber er war sich ganz sicher, dass sein Zimmer am Tag zuvor noch anders ausgesehen hatte. Sein Blick fiel auf das Fenster, was ihn den Kopf neigen ließ. In Edge hatte er neben dem Himmel auch immer mindestens ein graues Gebäude gesehen, egal von welchem Winkel aus er auch hinausgesehen hatte. Er stand auf, um einen besseren Blick aus dem Fenster erhaschen zu können – und verschluckte sich dabei fast an seinem eigenen Speichel, als ihm ein überraschter Laut entfuhr. Die Stadt da draußen war eindeutig Nibelheim, der Wasserturm und die Ausläufer von Berg Nibel waren ihm Beweis genug. Aber er lebte doch gar nicht mehr hier... oder? Er wandte den Kopf, um sich umzusehen. Die Möbel wirkten wie aus edlem Holz, sie schienen teuer zu sein und zumindest einen Teil davon kannte er noch aus seiner Kindheit – es waren Möbel aus Tifas Haus von damals. Die Erinnerungen an seine Zeit in Midgar schienen ihm so verschwommen und unwirklich, dass er Mühe hatte, sie beisammen zu halten. Waren sie möglicherweise nur Teil eines Traumes gewesen, der ihm nun langsam entglitt? Sein Blick blieb an einem stationären Telefon hängen, das rote Licht zeigte an, dass mindestens ein verpasster Anruf darauf wartete, von ihm abgehört zu werden. Neugierig und ohne Rücksicht auf die immer noch schlafende Tifa, betätigte Cloud den verführerisch leuchtenden Knopf. Ein Piepsen erklang, dann war eine ihm nur zu gut bekannte Stimme zu hören: „He Cloud, Tifa, hier ist Zack! Ich rufe nur an, um zu sagen, dass alles gut gelaufen ist. Aeris und das Kind sind wohlauf, kommt doch mal vorbei, um es euch anzusehen. Bis dann!“ Der Lieferbote sog scharf die Luft ein. Es war so lange her, seit er diese Stimme zuletzt gehört hatte, dass er es zuerst als Einbildung abtun wollte, aber etwas anderes in ihm sagte ihm, dass es ganz normal war, dass man von seinem besten Freund angerufen wurde, wenn dieser gerade Vater geworden war. Ein weiteres Piepsen erklang und im nächsten Moment konnte er die aufgeregte Stimme von Yuffie hören, die ihm verkündete, dass sie gerade ihre Geburtstagsfeier vorbereitete und sie sowohl ihn als auch Tifa dabeihaben wollte. Geburtstag? Wie alt wird sie nochmal? Es folgten weitere Nachrichten von allen anderen Mitgliedern von AVALANCHE, die sich hauptsächlich darum drehten, dass sie beide sich lange nicht mehr gemeldet hatten und ob man sich bei dem Geschenk für Yuffies Geburtstagsfeier absprechen sollte. Als die letzte Nachricht verklungen war, runzelte Cloud seine Stirn. Etwas hier stimmte nicht, aber die Erinnerung, die ihm das begründete, zerrann zwischen seinen Fingern wie Sand, als er versuchte, sie festzuhalten. Dafür breitete sich der Gedanke aus, dass alles bestens war – man sich aber vielleicht mal wieder bei seinen Freunden melden sollte. Mit einem äußerst zufriedenen Seufzen drehte Tifa sich ihm zu. „Mhm~ Du bist ja schon wach.“ Er nickte knapp. „Habe ich dich geweckt?“ „Nein, schon okay.“ Lächelnd richtete sie sich auf. „Wir hätten die Nachrichten vielleicht früher abhören sollen, so bleiben uns nur noch drei Tage für die Vorbereitungen auf Yuffies Geburtstag – und Aeris' Kind sollten wir uns auch noch ansehen.“ Er überlegte, was er ihr antworten sollte, seine Gedanken waren noch zu sehr ineinander verwickelt, um die richtigen Worte zu finden. Tifa, die das falsch interpretierte, neigte fragend den Kopf. „Habe ich etwas Falsches gesagt?“ Da er immer noch nicht antwortete, seufzte sie leise. „Oder willst du etwa immer noch nicht zu Yuffies Geburtstag?“ „Nein, das ist es nicht“, antwortete er sofort, ehe sie sich möglicherweise noch Sorgen machen würde. „Ich hatte nur einen seltsamen Traum, das ist alles.“ Sie lächelte, dann stand sie auf und küsste ihn hastig. „Mach dir keine Gedanken darum. Machen wir uns lieber fertig, um zu deinen Eltern zu gehen. Wir haben es ihnen immerhin versprochen.“ Auch an diesem Satz stimmte ihn etwas nachdenklich, doch er verwarf den Gedanken wieder und nickte stattdessen. „In Ordnung.“ Während sie sich anzogen, neigte Tifa plötzlich wieder den Kopf. „Weißt du, in letzter Zeit habe ich den Eindruck, dass...“ Sie hielt inne und lächelte leicht als wäre sie selbst über ihre eigenen Gedanken amüsiert. „Was denn?“, hakte Cloud neugierig nach. Zwar zögerte sie ein wenig, doch es schien ihr auf der Zunge zu brennen, weswegen sie seiner Aufforderung nachkam. „Ich habe den Eindruck, dass alles geradezu perfekt ist. Keine unangenehmen Überraschungen, keine Trauerfälle... Findest du nicht auch?“ Er war sich da gar nicht so sicher, aber dennoch zögerte er nicht lange und nickte zustimmend. „Ja, es ist perfekt.“ Seine Erinnerung verließ ihn in diesem Moment, weswegen er es für einfacher empfand, ihr einfach zuzustimmen, um nicht ihr Misstrauen zu erregen. Sie lächelte warm und kam noch einmal herüber, um ihn zu küssen. „Bist du dann fertig? Ich habe ihnen gesagt, dass wir zum Frühstück zu ihnen kommen.“ Seine Eltern... er erinnerte sich noch an seine Mutter, aber sein Vater war verschwunden, als er noch klein gewesen war. Oder? Plötzlich war er sich da gar nicht mehr so sicher. Möglicherweise war das alles nur eine Nachwirkung dieses seltsamen Traumes. AVALANCHE, Shinra, Mako, Sephiroth, das alte Volk... das alles musste doch einfach ein Produkt eines Traumes sein. Als sie beide fertig waren, hakte Tifa sich bei ihm unter und verließ gemeinsam mit ihm das Haus. Er erkannte direkt, dass er sich wirklich in Nibelheim befand. Das Gebäude, in dem er aufgewacht war, schien tatsächlich jenes zu sein, in dem Tifa aufgewachsen war. Aber wo waren dann ihre Eltern gewesen? Als er ihr diese Frage stellte, lächelte sie nachsichtig. „Hast du das schon wieder vergessen? Sie sind auf einer Weltreise, das wollten sie schon so lange machen.“ Ganz dunkel in seinem Gedächtnis kam ihm das tatsächlich bekannt vor. Nach nur wenigen Schritten kamen sie bei dem Haus an, das Cloud als das seiner Eltern wiedererkannte. Ein knappes Klopfen später traten sie ein. Er erinnerte sich daran, dass dieses Gebäude einst in Flammen gestanden hatte – in seinem Traum zumindest. Aber bei genauerem Nachdenken konnte er die Hitze des Feuers nicht mehr spüren, die Bilder vor seinen Augen waren verschwommen. Sein Körper schien es für besser zu befinden, den Traum zu vergessen, vielleicht sollte er sich tatsächlich daran halten. Die blonde Frau, die ihnen lächelnd entgegenblickte, strahlte etwas ungemein Warmes und Herzliches aus. Es kam Cloud vor als wäre er ihr seit Ewigkeiten nicht mehr begegnet und als dürfte dies eigentlich gar nicht möglich sein. Und doch stand sie nun vor ihm und entlockte ihm selbst ein Lächeln. „Wie schön euch zu sehen“, sagte seine Mutter. „Ihr wohnt nebenan, aber trotzdem bekommt man euch nie zu Gesicht.“ Ehe Cloud und Tifa sich entschuldigen konnten, winkte sie lachend ab. „Oh, ist schon gut. Junge Liebe ist etwas Wunderbares, das sollte man genießen, solange es anhält.“ Sie lächelte unvermindert. Tifa sah sich derweil um. „Ist Ernest nicht da?“ Etwas in Clouds Gehirn reagierte auf diesen Namen, er kannte ihn, aber die Erinnerung schien unter jeder Menge Geröll verschüttet zu sein und er besaß lediglich einen Löffel, um danach zu graben – ein hoffnungsloses Unterfangen, wie er schon bald feststellte, weswegen er wieder aufhörte. „Er kommt gleich wieder“, antwortete Clouds Mutter. „Er wollte noch etwas zu essen holen für uns.“ Sie forderte die beiden auf, sich zu setzen, doch nur Tifa folgte diesen Worten. Die beiden Frauen unterhielten sich miteinander, doch Cloud ließ seinen Blick über die Bilder an der Wand und auf dem Regal schweifen. Er hoffte, sein Gedächtnis würde davon angeregt werden, doch er erinnerte sich an keine der auf den Fotos dargestellten Situationen. Er, gemeinsam mit Tifa, Zack und Aeris; sie vier gemeinsam mit den Mitgliedern von AVALANCHE – lediglich Vincent fehlte. Oder war er möglicherweise dieser ältere Mann, der ein wenig im Hintergrund stand und der Cloud sonst absolut nicht bekannt vorkam? Plötzlich öffnete sich die Tür und schwere Schritte betraten das Haus. Clouds Kopf ruckte herum – seine Augen weiteten sich, als er dem blonden Mann ins Gesicht blickte. Er kannte alles an ihm, hatte ihn vor gar nicht allzulanger Zeit erst wiedergesehen. Er spürte die Wut, die Anspannung, das langsam schwer werdende Schwert in seiner Hand... er war ihm im Kampf gegenübergestanden, sein Name tauchte wie von einer wabernden Blase eingehüllt in seinem Gedächtnis auf: Nostradon. Ja, genau, er war sein Feind, wegen dem er in seinem Raum in diese Ruine gegangen war. Doch statt in Kampfposition zu verfallen, lächelte der andere ihn nur mild an. „Guten Morgen.“ Cloud Mutter erhob sich wieder von ihrem Stuhl. „Ah, du bist wieder da, Ernest.“ *** Cloud war mehr als nur erleichtert, als er das Haus nach mehreren Stunden wieder verlassen durfte. Es war ihm schwergefallen, den Blick von diesem Mann, der sein Vater sein sollte, abzuwenden. Er konnte in ihm einfach nicht seinen Erzeuger sehen, obwohl er wusste, dass er es war. Sein Verstand hatte ihm stets gesagt, dass dieser Mann eine Bedrohung namens Nostradon war und er eigentlich gegen ihn kämpfen sollte. Aber der andere hatte so entspannt und so wenig gefährlich gewirkt, dass Cloud es nicht tun konnte. „Ist alles in Ordnung?“, fragte Tifa besorgt, als sie Hand in Hand wieder zu ihr gingen. Er nickte abwesend. „Aber sicher. Was soll denn nicht stimmen?“ „Ich weiß nicht“, sagte sie zögernd. „Du bist schon den ganzen Tag so gedanklich abwesend als ob du immer an etwas anderes denken würdest.“ Er wollte ihr antworten, dass er das sogar tat, aber stattdessen schüttelte er mit dem Kopf. „Tut mir Leid, es ist nichts.“ Vor der Haustür blieben sie wieder stehen. Cloud wollte nach der Klinke greifen, um hineinzugehen, aber Tifa nahm seine Hände in ihre und brachte ihn dazu, ihr ins Gesicht zu sehen. In ihren Augen fehlte ihm etwas, aber er konnte nicht sagen, was genau es war. Auch seine innere Stimme schwieg, sie sagte ihm nur, dass etwas fehlte, ohne genauer darauf einzugehen, was es denn wäre, was er da vermisste. „Es ist alles gut, nicht wahr?“ Ihr euphorischer Tonfall steckte ihn direkt an, weswegen er nicht anders konnte als zustimmend zu nicken. „Ja, das ist es. Alles ist perfekt.“ Die leise Stimme in seinem Inneren, die das Gegenteil behauptete, war nur noch ein Flüstern, das dafür aber beständig immer wieder „Es ist nicht wahr, es ist nicht wahr, es ist nicht wahr...“ sagte. Wie ein Mantra wiederholte es sich immer wieder, selbst wenn er es zu ignorieren versuchte. Sobald er glaubte, es wäre fort und es bereits zu vermissen begann, horchte er genauer in sich hinein und das Flüstern wurde wieder deutlicher. Doch zumindest für diesen Tag sollte es ihn nicht mehr kümmern, nur ein einziger Tag, an dem er sich keine trübseligen Gedanken machte, das war doch nicht zu viel verlangt, oder? *** Als er am nächsten Morgen erwachte, fühlte Cloud sich als ob er einen Albtraum gehabt hätte, der allerdings bereits zwischen seinen Fingern zerrann. Er machte sich keinen Kopf über die Szenerie außerhalb seines Fensters, auch wenn etwas in ihm versuchte, ihm mitzuteilen, dass er eigentlich ganz woanders hätte aufwachen sollen. Während Tifa sich murmelnd auf die andere Seite drehte, stand er auf, um den Anrufbeantworter abzuhören. „He Cloud, Tifa, hier ist Zack!“, schall ihm die Stimme seines Freundes entgegen. „Ich rufe nur an, um zu sagen, dass alles gut gelaufen ist. Aeris und das Kind sind wohlauf, kommt doch mal vorbei, um es euch anzusehen. Bis dann!“ Cloud runzelte seine Stirn. Er hatte diese Nachricht schon einmal gehört, da war er sich ganz sicher, sogar der Wortlaut war haargenau derselbe. Hatte er vielleicht vergessen, die Nachricht zu löschen? Nein, wenn er das heutige Datum mit dem der Aufnahme verglich, war sie gestern gemacht und seitdem noch nicht angehört worden. Genau wie die restlichen Nachrichten, die er allesamt wiedererkannte. Das Flüstern in seinem Kopf kehrte noch einmal verstärkt zurück. „Es ist nicht wahr, es ist nicht wahr, es ist nicht wahr...“ Am Liebsten hätte er diese Stimme gefragt, was das bedeuten sollte, aber als er das tat, antwortete sie ihm nicht, sondern wiederholte nur immer wieder dieselben Worte. „Es ist nicht wahr, es ist nicht wahr, es ist nicht wahr...“ „Mhm~ Du bist ja schon wach.“ Erschrocken zuckte Cloud zusammen und drehte sich zu Tifa um, die ihn verschlafen vom Bett aus ansah. Er nickte knapp. „Habe ich dich geweckt?“ „Nein, schon okay.“ Lächelnd richtete sie sich auf. „Wir hätten die Nachrichten vielleicht früher abhören sollen, so bleiben uns nur noch drei Tage für die Vorbereitungen auf Yuffies Geburtstag – und Aeris' Kind sollten wir uns auch noch ansehen.“ „Ja, womöglich.“ Drei Tage... genau wie... Er beendete den Gedanken nicht, aber tief in seinem Inneren spürte er genau, dass etwas nicht dem entsprach, was in den Tiefen seiner Erinnerung gespeichert war. Während Tifa sich anzuziehen begann und ihm dabei erklärte, dass sie beide zu seinen Eltern hinübergehen würden, schweiften seine Gedanken immer weiter ab, drehten sich immer wieder um das, was ihn skeptisch werden ließ – während das Flüstern in seinem Kopf immer eindringlicher wurde. „Es ist nicht wahr, es ist nicht wahr, es ist nicht wahr...“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)