A world that never was von Flordelis (Eine Welt, die nie war ~ Fortsetzung von Savior) ================================================================================ Kapitel 15: Entlaufene Experimente ---------------------------------- Es regnete selten in der Region, doch wenn, dann hörte es nicht so schnell wieder auf. Schon seit Tagen wurde Midgar von saurem Regen heimgesucht. Die Tropfen prasselten gegen die Scheiben des Shinra-Hauptquartiers und liefen am Glas hinunter. Die dabei entstehende Melodie wirkte einschläfernd auf all jene, deren Büro tatsächlich an der Fonsterfront war. Normalerweise wähnten sie sich glücklich, denn so konnten sie mit echtem Sonnenlicht arbeiten, während alle anderen von blendendem Neonlicht gequält wurden. Je höher man im Gebäude kam desto häufiger wurden Büros mit Fenstern, die Labore brauchten immerhin kein Sonnenlicht, für manche Experimente war es sogar eher störend. Der Bereich der Turks war ebenfalls verglast, aber nicht einmal die an der Außenfront angebrachte Jalousie unterdrückte die einschläfernde Wirkung des Regens. Rods Augen fielen immer wieder zu, während er versuchte, nicht dem Drang nachzugeben, einzuschlafen. Samantha, am Tisch gegenüber, ging es auch nicht sonderlich besser. Sie gähnte immer wieder und spielte mit einem Bleistift, um ihre Finger beschäftigt und sich damit wach zu halten. Ansonsten waren keine Turks außer ihnen zu sehen, jeder einzelne war mit einer Mission unterwegs. Nur sie beide hatten das Pech, für Notfälle im Hauptquartier zurückgelassen worden zu sein. Wenngleich beide sich gleichermaßen fragten, was es für sie für Notfälle geben könnte. Sie waren immerhin keine Shinra-Soldaten oder Mitglieder von SOLDIER, sondern die Turks! Doch wenn nicht bald etwas geschah, würde Rod mit Sicherheit doch noch einschlafen – und Samantha würde mit einem Stift auf seinem Gesicht herumkritzeln. Keiner von beiden hielt die Langweile noch länger aus. Wie auf ein unhörbares Stichwort begann plötzlich eine Alarmsirene durch das Gebäude zu schrillen. Sofort ließ Samantha den Stift fallen und sprang auf. „Endlich gibt es was zu tun!“ Rod ließ sich seine Euphorie nicht anmerken und stand ebenfalls auf. Im nächsten Moment kam bereits Tseng zur Tür herein. Er schmunzelte, als er sah, dass die beiden schon bereit für den Aufbruch waren. Die Haare des Wutainesen waren streng zurückgebunden. Er lächelte. „Ihr scheint bereits einsatzbereit zu sein. Sehr praktisch.“ „Worum geht es?“, fragte Samantha sofort. Tseng wurde wieder ernst. „Drei Subjekte sind aus dem Shinra-Labor i ausgebrochen und haben bereits das Gebäude verlassen. Ihr beide sollt sie wieder einfangen, ohne sie zu töten.“ Rod und Samantha warfen sich einen Blick zu. Es war nichts Außergewöhnliches, dass sie für solche Missionen eingesetzt wurden. Allerdings klang es nicht sonderlich spannend. Normalerweise war es nicht sonderlich schwer, die Subjekte wieder einzufangen, oft kamen sie nicht einmal weit. So würden sie ihre Langeweile nie loswerden. Doch keiner von beiden sprach seine Bedenken aus. „Was sind es diesmal für Subjekte?“, fragte Rod stattdessen. Im Normalfall waren es irgendwelche mutierten Monster, die ihre Wächter überrumpelt hatten. Tseng sah plötzlich besorgt aus. „Dieses Mal sind es zwei Kinder.“ Die Überraschung war deutlich auf den Gesichtern der beiden zu sehen. „Kinder?“ Der Oberturk nickte zustimmend. „Ich kann euch nicht mehr sagen, der Fall ist streng geheim. Es sind jedenfalls zwei Mädchen, sie tragen Bandagen um Arme und Beine und ansonsten nur OP-Kittel, ihr dürftet sie also leicht erkennen. Aber seid vorsichtig, unter Umständen könnten sie sehr gefährlich sein.“ Beiden brannte die Frage auf der Zunge, seit wann man Kinder für Experimente missbrauchte, aber sie schwiegen. Als Turks hatten sie bereits früh gelernt, wann es richtig war zu schweigen – und dieser Zeitpunkt war gerade jetzt. „Gut, wir kümmern uns darum“, sagten beide unisono. Tseng nickte ihnen zu und sah ihnen schließlich hinterher, bis sie aus seinem Blickfeld verschwunden waren. Die beiden Turks nahmen den Aufzug in die Lobby, wo sie direkt das Gebäude verließen. Samantha seufzte leise. „Jetzt müssen wir auch noch raus in den Regen.“ „Immer noch besser als sich zu langweilen“, bemerkte Rod schulterzuckend. „War ja typisch, dass du das sagen würdest – aber dein Haar ist auch nicht so empfindlich wie meines.“ Um ihre Worte zu unterstreichen, fuhr sie sich durch den Pferdeschwanz. Er deutete ein Kopfschütteln an. „Du kannst auch gern hier bleiben.“ Damit lief er voraus in den Regen. Seufzend folgte Samantha ihn. Inzwischen hatte der Regen nachgelassen, es nieselte nur noch. Aber das war genug, dass die Feuchtigkeit den Turks hastig in die Glieder kroch und sie zittern ließ. Um sich warm zu halten, liefen sie ein wenig schneller und sahen sich dabei um. Die Mädchen mussten sich noch auf der Platte – und noch wichtiger – auch in diesem Sektor befinden. Ohne ID würden sie nicht Zug fahren können. Ganz zu schweigen davon, dass sie sicherlich einem der patrouillierenden Infanteristen aufgefallen wären. Was würde ich tun, wenn ich ein kleines Mädchen wäre, das gerade aus einem Labor ausgebüchst ist?, fragte Rod sich innerlich. „Also ich würde einen Ort suchen, wo es nicht so nass und kalt ist“, sagte Samantha plötzlich. Aus seinen Gedanken gerissen sah er sie an. „Was?“ Sie erwiderte seinen Blick leicht genervt. „Ich habe überlegt, was ich tun würde, wenn ich ein kleines Mädchen und allein in Midgar wäre. Und das war die Antwort. Ich würde mir einen relativ geschützten Ort suchen.“ „Und wo finden wir hier so einen?“ Sie seufzte schwer. „Du bist nicht sonderlich einfallsreich, nicht? Wie bist du nur ein Turk geworden?“ „Ich denke nicht, dass man Turk wird, nur weil man viel Fantasie hat.“ Lachend streckte sie ihm die Zunge raus. Er schmunzelte nur und ging weiter, um sich nach den Mädchen umzusehen. Dabei stellte er sich die Frage, warum die beiden wohl gefährlich sein sollten. Was für Experimente waren wohl an ihnen durchgeführt worden? Vor allem, wenn sie so geheim waren... Er blieb stehen, als er ein leises Schluchzen hörte. Sein Blick ging in eine Seitengasse. Hinter einigen Mülltonnen entdeckte er tatsächlich zwei zusammengekauerte Gestalten. Er gab Samantha ein Zeichen und ging gemeinsam mit ihr in die Gasse hinein, dabei zogen beide ihre Waffen. Vor den Gestalten blieben sie wieder stehen. Es waren tatsächlich zwei Mädchen in OP-Kitteln, ihre Arme waren bis zu den Schultern einbandagiert, an den Beinen zogen sich die Verbände bis zu den Schenkeln. Das mussten sie sein. Die beiden Mädchen sahen sie an. Die Augen der Älteren waren vor Angst geweitet, die Jüngere schien dagegen völlig ruhig und gelassen zu sein. „Ihr seid hier, um uns zurückzubringen, oder?“, fragte sie. Rod nickte. Wie kann sie nur so ruhig bleiben? Die Jüngere schluchzte und drückte sich enger an die andere. „Ich will nicht zurück, Elodia!“ „Leider habt ihr keine Wahl“, bemerkte Samantha kühl, während Rod schwieg. „Keine Sorge, Ruki, ich werde nicht zulassen, dass sie dich wieder einsperren.“ Tröstend fuhr Elodia ihr über den Rücken. Das Gewissen beider Turks ruhte, so etwas konnten sie sich bei ihrem Beruf ohnehin nicht leisten. So kannten sie auch keine Skrupel, wenn es darum ging, die beiden Mädchen wieder zurückzubringen. „Stellt euch nicht quer“, sagte Samantha. „Sonst werden wir Gewalt anwenden.“ Elodias blaue Augen schienen gefährlich zu glühen, als sie die beiden ansah. Sie sagte nichts, aber dafür erklang ein anderes Geräusch. Es schien als ob Steine aneinanderreiben würden, doch in der Dunkelheit konnte keiner der Turks etwas sehen. Plötzlich stieß Elodia das andere Mädchen von sich. „Lauf, Ruki!“ Noch bevor Rod oder Samantha reagieren konnten, flogen Steine aus der Dunkelheit auf sie zu. Nach den ersten schmerzhaften Aufprällen kehrte wieder Leben in sie zurück. Während Samantha schützend ihren Arm vor ihr Gesicht hielt, lief Rod der weggelaufenen Ruki hinterher. Noch bevor das Mädchen die Gasse verlassen konnte, hatte er es am Arm gepackt. Sie schrie auf, als er sie zurückzog. Der Steinregen hatte inzwischen nachgelassen, Samantha ließ ihre Arme wieder sinken und richtete ihre Schrotflinte auf Elodia. „Wenn du dich immer noch weigerst, werde ich Gewalt anwenden!“ Dies war die allerletzte Warnung. Wenn sie jetzt nicht reagieren würde... Das Mädchen erhob sich und ging einen Schritt auf die Turk zu. Von einer unsichtbaren Faust getroffen, taumelte Samantha zurück. Noch einmal schlug ihr etwas in die Magengegend. Blut sammelte sich in ihrem Mund, das sie sofort ausspuckte. Was ist das? Ich kann die Angriffe nicht sehen. Erneut legte sie an und schoss auf Elodia – doch eine unsichtbare Macht schien das Mädchen zu schützen. Unverletzt und mit einem schiefen Grinsen stand sie ihr immer noch gegenüber. Furcht breitete sich in der Turk aus, ein fast gänzlich unbekanntes Gefühl. Was waren das für Experimente? Sie ist auf jeden Fall kein Mensch mehr! Aus der Dunkelheit flog ein weiterer Stein, der Samantha am Kopf traf. Mit einem leisen Keuchen stürzte sie zu Boden. Rod wollte sich neben sie knien, um herauszufinden, wie es ihr ging, doch er starrte nur ungläubig auf Elodia, die ihren Blick nun ihm zuwandte. Ihr Grinsen hatte sich inzwischen zu einer furchterregenden Grimasse verzogen, sogar Ruki, die immer noch von ihm festgehalten wurde, schluckte bei diesem Anblick. Er griff sein EMR fester und ging in Abwehrposition. Bislang war er immer noch ein Turk, er durfte nicht einfach aufgeben, immerhin war es seine Mission und das war nur ein Mädchen. Doch plötzlich geschah etwas, womit er nicht gerechnet hatte. Die Bandagen an ihren Armen lösten sich langsam, als ob sie von unsichtbaren Händen weggezogen werden würden, unzählige Einstiche waren in der Haut zu erkennen. Um sie herum schien eine Art Kraftfeld entstanden zu sein, das so heftig war, dass Rod das Gefühl hatte, davon selbst auf diese Entfernung abgestoßen zu werden. Er wich zurück. Verdammt! Sie ist doch nur ein kleines Mädchen! Und wir sind die Turks! Warum kommen wir nicht einmal in ihre Nähe? Samantha lag immer noch auf dem Boden. Ein dünnes Blutrinnsal lief ihr Gesicht hinab, sie schien ohnmächtig zu sein. Elodia kicherte bösartig, ihr Gesicht war inzwischen zu einer regelrechten Fratze verzerrt, die nicht mehr viel mit menschlicher Mimik gemein hatten. Die gelösten Bandagen wurden in die Luft gehalten, so als ob es aussah, als wäre das Mädchen lediglich die Marionette eines Puppenspielers. „Ich werde euch alle mit mir... in die Hölle nehmen.“ Ruki riss sich von Rod los. „Elo!“ Sie warf sich dem Mädchen ungeachtet der Gefahr um den Hals. „Schwester, bitte, hör auf damit!“ Sofort fiel die dunkle Aura von Elodia ab, die Bandagen fielen kraftlos zu Boden. Fürsorglich legte sie die Arme um die Jüngere. „Ist schon gut, Ruki. Alles ist in Ordnung.“ Rod atmete tief durch. Zum Glück ist es vorbei... Er kniete sich neben Samantha, um endlich zu überprüfen, ob es ihr gut ging. Außerdem hoffte er, so das Zittern seiner Beine beenden zu können. Sein Blick fiel wieder auf Elodia, die nun wieder wie ein normales Mädchen aussah und nicht so wie der Dämon, der sie gerade eben noch gewesen war. Kein Wunder, dass die Experimente so geheim waren, wenn sie so etwas hervorbrachten. Im nächsten Moment hörte er hinter sich schnelle Schritte. Er wollte sich gerade umdrehen, um zu sehen, was da war, als er schon einen heftigen Schlag auf seinen Kopf verspürte und bewusstlos zu Boden fiel. *** „Was ist dann geschehen?“, fragte Barret brummend. Es wunderte Cloud ein wenig, dass der Mann wirklich so aufmerksam gelauscht hatte, aber immerhin ging es um einen Fehltritt von Shinra – so etwas saugte er immer noch auf wie ein Schwamm. Rod hob die Schultern. „Als Samantha und ich wieder aufwachten, waren die Mädchen weg und auch die Person, die mich niedergeschlagen hat.“ Auch wenn er nicht wusste, woher er die Gewissheit nahm, aber Cloud glaubte, genau zu wissen, wer dafür verantwortlich gewesen war. „Vielleicht war es Verron?“ Tseng nickte zustimmend. „Das glaube ich auch. Verron brach kurz nach den Mädchen während des anhaltenden Alarms aus.“ „Warum fragt ihr dann nicht einfach?“ Die Versammelten wandten sich sofort der Tür zu, die aufgegangen war, ohne dass einer von ihnen etwas mitbekommen hatte. Verron lehnte erschöpft im Türrahmen. Sofort gingen alle in Abwehrbereitschaft. „Was tust du hier?“, fragte Rufus herrisch. Der Junge betrat das Zimmer völlig und setzte sich ohne Aufforderung neben Cid, der sofort ein Stück weiter wegrutschte. Schließlich zuckte er mit den Schultern. „Mich in die Unterhaltung einmischen. Allein in einem Zimmer rumzuliegen kann sehr langweilig sein.“ „Warum hast du die Gelegenheit nicht genutzt, um wegzulaufen?“, fragte Yuffie neugierig. Er rollte mit den Augen. „Ich habe jede Möglichkeit der Flucht in Gedanken durchgespielt und dabei festgestellt, dass keine erfolgreich wäre. Also bin ich hierher gekommen.“ „Was meintest du damit, dass wir einfach fragen sollen?“, hakte Rod nach. Verron hob die Schultern. „Ob ich derjenige war, der dich niedergeschlagen und die Mädchen gerettet hat.“ „Und?“, fragte Samantha. „Warst du es?“ Er lächelte leicht. „Vielleicht. Soll ich euch von diesem Tag erzählen?“ Rufus entspannte sich sichtlich wieder. „Ja, mach das.“ Die anderen sahen ihn fragend an, doch der Präsident machte nicht den Eindruck, unüberlegt zu handeln. Nein, er schien tatsächlich an der Geschichte interessiert zu sein. Die Turks entspannten sich sofort wieder, Clouds Gruppe dagegen blieb wachsam. Verron schmunzelte, als er zu erzählen begann. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)