Rise of Broken Sun von YourBucky ================================================================================ Kapitel 2: Two - Seawind's Calling ~ Der Ruf des Seewinds --------------------------------------------------------- I’ve got to take it on the otherside… ja, endlich geht es weiter mit unserem zu Papier gebrachten Rollenspiel. Vielleicht anders als vermutet? Es gibt keinen Schatten ohne Licht und keine Seite ohne Gegenseite, und im Endeffekt ist doch alles nur eine Frage des Standpunktes. Im Folgenden sei jedem selbst überlassen, wessen Seite er als die Richtige empfindet und wem die ganz persönlichen Sympathien gelten… Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass ich den Anfang des Kapitels toll finde, und dass Ceara mit mein einziger weiblicher RPG-Chara und damit etwas ganz Besonderes ist. Viel Spaß beim Lesen! ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Eizawa no Sai ~ TiaChan Yan Luo Wang-Wu ~ SonGokuDaimao Ceara ~ YueKatou ...alle anderen Charaktere sind in das geistige des Eigentum des Admins (mir) übergegangen und werden daher nicht näher erwähnt ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ Inari war so aufgeregt wie vielleicht noch nie zuvor in seinem Leben. Der Morgenhimmel war unglaublich weit und auch schon unglaublich blau, von einer ganz zarten, weichen Farbe. Er hatte nur das notwendigste Gepäck bei sich, und seinen Strohhut band er sicherheitshalber noch einmal besonders gut fest, weil ein leichter, warmer Wind über das erwachende Land strich. Inari wäre gerne jetzt schon weitergewandert – es war der perfekte Morgen, um zu wandern, doch leider war er verabredet und somit zum Warten verdammt. Das Meer war nah und die Luft schmeckte wunderbar nach Salz. Inari malte mit seinem Wanderstab Muster in den Staub der Wegkreuzung. Es waren kaum mehr als vier Wochen vergangen, seit er das erste Mal von DELIA gehört hatte, und er wusste auch nur dementsprechend wenig darüber. Dass der Name eine Abkürzung war und für Democracy, Liberty und Alliance stand, natürlich. Demokratie, Freiheit, Einheit – das waren für Inari ganz große, fast schon mystisch klingende Worte, die der Seewind aus Midgard nach Silvania getragen hatte. Mit ihnen kamen Geschichten von einer glorreichen Revolution, vom Tod des tyrannischen Monarchen, einer Herrschaft des Volkes. Und Menschen mit Ideen, mit Visionen und mit dem Versprechen, das solche Geschichten auch an jedem anderen Ort der Welt zu einer Wahrheit werden konnten. Für die konservativen Silvanier war der Kontinent Nemesis, mit seiner fortschrittlichen Gesinnung und einer blasphemischen Wissenschaft, die sich Technologie nannte, der Feind schlechthin. Wenn Dûnedja verdorben war, dann war Nemesis das personifizierte Böse. Und nun regierte im größten Land und der gleichnamigen Hauptstadt des Kontinents, der ungeschlagenen militärischen Übermacht, dem Sündenpfuhl Midgard, neben Chaos und Sittenlosigkeit noch etwas ungleich Schlimmeres – das Volk. Bauern. Menschen ohne Werte, Anstand, und vor allem ohne adliges Blut. Inari war selbst nicht gelehrt, nicht gebildet, hatte keine große Ahnung von der Welt oder gar von Politik. Aber er wusste, dass sein Dorf von der Hikari no Jotei niedergebrannt worden war, weil sie nach einem einzigen Deserteur gesucht hatten. Dass Midgard niemals besiegt worden war, das wusste er auch, und deshalb konnte er nicht glauben, dass dort Bauern auf dem Thron saßen, die alles und jeden ins Verderben stürzten. Als man ihm erzählt hatte, dass dort vielmehr die fähigsten Krieger, die gerechtesten Männer regierten, die den Willen des Volkes achteten, weil sie selbst ein Teil von ihm waren, hatte das für ihn nicht nur ungemein plausibel, sondern wie ein wahr gewordenes Wunder geklungen. Inari konnte sich einen Ort wie Midgard überhaupt nicht vorstellen, höchstens in seinen kühnsten, seinen allerkühnsten Träumen. Aber die Aussicht, dass er höchstpersönlich Silvania zu einem solchen Ort machen konnte, hatte jeden Zweifel beseitigt, und so war auch er ein Teil dieser so genannten Widerstandsbewegung namens DELIA geworden. Dass man Inari jetzt schon, nach einer derart kurzen Zeit der Mitgliedschaft, zu den Küsten eines unbekannten Landes schickte, erschien ihm endgültig wie ein Märchen. Und dann waren da noch irgendwelche Verbündeten, die er treffen sollte. Die angeblich mehr über seine Mission und über… einfach alles wussten. Darum stand er nun also hier, während der Seewind nach ihm rief, und wartete, ohne so recht zu wissen, worauf. Bis er hörte, dass jemand seinen Namen rief. „Inari?“ Er hob den Kopf und erblickte eine Gestalt, die sich ihm langsam näherte. Ein junger Fremder mit struppigem schwarzem Haar und einfacher Kleidung. Vermutlich ein heimatloser Wanderer, genauso wie er selbst. Inari musterte ihn gleichsam neugierig und misstrauisch. „Kotoko?“, fragte er dann. Mehr hatte ihm DELIA zur Identifizierung seines ersten Mitstreiters nicht mit auf den Weg gegeben. Allerdings hätte ihm selbst eine noch so detaillierte Beschreibung nicht weitergeholfen, denn das Gesicht des Fremden war nahezu vollständig von einem dunklen Tuch verhüllt. „Wartest du schon lange?“, murmelte er anstelle einer Antwort in den schwarzen Stoff vor seinem Mund hinein. „Sag mir erst die Parole!“, rief ihm Inari zu und verengte seine Augen zu zwei Schlitzen. Die Idee, nach einer nicht existenten Parole zu fragen, stammte übrigens von ihm höchstpersönlich, und darauf war er auch mächtig stolz. Dies war sein erster richtiger Auftrag, da wollte er sich natürlich keinen Fehler erlauben, sondern lieber gleich richtig Eindruck schinden. Der Fremde zeigte sich jedoch vergleichsweise ungerührt, lediglich eine Spur entnervter Verwirrung blitzte in seinen dunklen Augen auf. „Was soll der Mist?!“, grummelte er. „Es gibt keine Parole, es wurde nur ein Treffpunkt vereinbart. Und woher kenne ich wohl deinen Namen, hm? Berühmt bist du ja nicht gerade!“ Inari blinzelte Kotoko ein wenig enttäuscht an. So hatte er sich seinen Weggefährten aber nicht vorgestellt! „Da hast du aber noch mal Glück gehabt!“, fügte er umso unverschämter hinzu, verzog seine Lippen zu einem Grinsen und ließ seinen Stock gekonnt durch die Luft wirbeln. „Wenn du der Falsche gewesen wärst, hätte ich dich nämlich platt machen müssen!“ „Hör auf, so zu reden!“ Kotoko beantwortete das Grinsen mit einem kalten Blick. „Das ist gefährlich. Und jetzt komm lieber, sonst verpassen wir das Schiff.“ Dann wandte er sich um, ohne noch ein weiteres Wort zu sagen, und stapfte die staubige Straße hinab, die zum Hafen führte. Er schritt schnell aus, sodass Inari Probleme hatte, ihm zu folgen. Trotz der angenehmen Temperaturen lief ihm Schweiß über den Rücken, und auch das Atmen fiel ihm schwerer und schwerer. Aber immerhin erreichten sie auf diese Weise schon bald die Küste, und das machte die Anstrengung auf jeden Fall wieder wett. Zielstrebig steuerte Kotoko auf ihr Schiff zu. Es nicht sonderlich groß, ein Zweimaster aus dunklem Holz, der fast ein bisschen schäbig aussah, aber trotzdem… oder gerade deshalb ganz wunderbar nach Abenteuer roch. Inari näherte sich ihm mit einer gewissen Andacht. Verstohlen beobachtete er einen riesigen Matrosen mit entblößtem, ganz unglaublich vernarbtem Oberkörper, der damit beschäftigt war, Muscheln und anderes Meeresungetier vom Rumpf ihres zukünftigen Gefährtes zu kratzen. Auf seinem Kopf wucherte hellblondes Haar, und er sang mit rauer Stimme vor sich hin: „Fifteen men on the dead man’s chest – yo-ho, and a bottle of rum!” Ein Midgarder, schoss es Inari durch den Kopf. Er hatte gehört, dass die meisten Menschen dort blonde Haare und blaue Augen hatten, und seine Worte klangen auch nach Midgardisch und überhaupt war es ja nicht abwegig, dass auf einem Schiff nach Dûnedja ein midgardischer Matrose arbeitete. Midgard und Dûnedja waren schließlich alte Verbündete! Inaris grüne Augen blitzten auf. Wenn das kein gutes Zeichen war, was dann? „Komm endlich, Inari, sonst können wir hier bleiben!“, zischte ihm sein Begleiter zu, der von all dem offenbar nicht ganz so begeistert war wie er selbst. „Tut mir leid“, nuschelte Inari vor sich hin, ohne es so zu meinen, und beschleunigte seine Schritte noch ein wenig mehr. Er betrat das Schiff und ging sofort weiter an die Reling, um wieder zu Atem zu kommen und sich mit einem Blick auf das Meer zu besänftigen, bevor er von seinem merkwürdigen Gefährten ernstlich genervt sein konnte. Der Ozean war sogar noch ein bisschen blauer als der Himmel. Seine Farbe ging von einem intensiven Türkis in ein dunkles Tiefblau über, auf dem das Sonnenlicht glitzernde Bahnen zog. Der Anblick war überwältigend. Inari konnte es kaum mehr erwarten, endlich abzulegen. Da hörte er eine Stimme. „Ihr müsst Kotoko sein.“ Inari fuhr herum – und sah, dass zu seinem Mitstreiter eine weitere Gestalt getreten war, ein junger Mann mit schulterlangem schwarzem Haar und violetten Augen. Er war recht klein, kaum größer als Inari selbst. Unter seinen Arm hatte er ein Buch geklemmt. Als er sah, dass Inari sich umdrehte, nickte er ihm zu und lächelte. „Und Ihr seid vermutlich Inari. Ich habe nach Euch gesucht.“ Kotoko musterte den Fremden mit strengem Blick. „Und wer bist du?“ „Mein Name ist Eizawa no Sai. Und ich habe…“ Er unterbrach sich kurz und fuhr dann in deutlich leiserem Tonfall fort: „Ich habe den Befehl, Euch bei Eurer Reise nach Dûnedja mit einer geheimen Sonderaufgabe zu begleiten.“ „Geheime Sonderaufgabe, ja?“ Langsam wurde Kotokos Blick derart eindringlich, dass er den Fremden geradewegs zu durchbohren schien. „Und woher soll ich wissen, dass das die Wahrheit ist?“ Sai sah ihn einige Sekunden lang schweigend an, dann stieß er einen tonlosen Seufzer aus. „Daher vielleicht?“, erwiderte er und zog ein Papier aus seiner Tasche. Kotoko nahm und las es, und auch Inari konnte einen kurzen Blick auf das Schriftstück werfen. Tatsächlich, ein Befehl. Unterzeichnet war er mit dem Namen Tadao, und diesen Namen kannte selbst Inari, auch wenn er über die betreffende Person nicht allzu viel wusste. Außer, dass sie ein verdammt hohes Tier in den Reihen von DELIA war. Inari hatte keine Ahnung, was er von dieser ganzen Sache zu halten hatte, dafür fuhr der Unbekannte umso bestimmter fort: „Aber was sind das für Manieren? Einen Älteren zu duzen! Man sieht gleich“, fügte er wiederum leiser hinzu, „dass das dein erster Auftrag bei DELIA ist.“ Jetzt sah Kotoko endgültig wütend aus, und Inari konnte nicht so genau sagen, ob sich diese Wut gegen ihre neue Bekanntschaft, gegen den Befehl oder doch gleich gegen Beides richtete. „Schön“, sagte er mit eisig kalter Stimme. „Aber das ist nicht mein erster Auftrag, glaub mir. Ich regle die Dinge auf meine Weise, und das weiß der Chef.“ „Dann werde ich nach der Rückkehr wohl oder übel berichten müssen, was für ein Verhalten bei uns einfach so geduldet wird“, entgegnete Sai gelassen und zuckte mit den Schultern. „Eigentlich haben wir ja überhaupt keine Zeit für solche Kleinigkeiten. Aber trotzdem bleibe ich älter als du.“ Er seufzte leise und sah sich um. „Na ja, wie auch immer. Das Schiff müsste gleich ablegen, soviel ich weiß… von da an öffnet der Speiseraum. Wollt ihr mitkommen? Ihr hattet sicher noch kein Mittagessen. Dann können wir den weiteren Verlauf der Reise besprechen.“ Als ob er nur auf dieses Stichwort gewartet hätte, knurrte just in diesem Augenblick Inaris Magen, und zwar nicht unbedingt sehr leise und dezent. „Also… ich hab schon Hunger“, murmelte er etwas verlegen und sah unsicher zu Kotoko. „Pah“, machte der und musterte den Fremden noch einmal mit unverhohlenem Misstrauen. Dann aber war auch von seinem Magen ein protestierendes Knurren zu hören, und so machte sich die merkwürdige kleine Gruppe doch noch gemeinsam auf den Weg unter Deck. Als Kotoko die Tür öffnete, begrüßte die Drei bereits ein köstlicher Duft nach Essen. Inari leckte sich über die Lippen. Erst jetzt stellte er fest, wie hungrig er eigentlich war. Die Tische und Bänke des erstaunlich geräumigen Speisesaals waren aus dem selben dunklen Holz wie das Schiff selbst, und es gab nur wenige Bullaugen, was die Atmosphäre des Raumes trotz seiner Größe unangenehm erdrückend machte. Kotoko setzte sich an einen Tisch, der förmlich in den Schatten versank, und betrachtete seine Umgebung. Inari nahm neben ihm Platz und zog sich seinen Hut tiefer ins Gesicht. Sai setzte sich zu ihnen und winkte eine Bedienung herbei, bei der sie – endlich! – Essen bestellten. Dann wurde es still. Natürlich war draußen immer noch das beruhigende Lied der Wellen zu hören, und hier und dort auch das Lachen, Plaudern und Grölen der Mitreisenden und Schiffsmänner. Das Klappern von Besteck und von Rumkrügen. Schritte auf dem Deck über ihnen. Aber keiner in ihrer kleinen Runde sprach ein Wort. Inari fühlte sich mit jeder Sekunde unwohler. Als das Essen nach erfreulich kurzer Zeit gebracht wurde, musste er feststellen, dass sein Appetit nicht mehr dasselbe war wie noch vor wenigen Minuten. Lustlos knabberte er auf seinem Spieß mit Fischpastete herum. „Was ist?“, brach Sai endlich das Schweigen. „Du hattest doch gerade noch Hunger. Bist du krank?“ Bevor Inari reagieren konnte, legte er ihm eine Hand auf die Stirn. „Fieber hast du jedenfalls nicht. Du solltest gut essen. Die Schifffahrt ist lang, und auf Dûnedja solltest du auf keinen Fall krank ankommen.“ „Äh, nein, alles okay!“, versicherte Inari und zuckte zurück, nur um sich dann umso hastiger ans Essen zu machen. Als er erst einmal richtig damit begonnen hatte, meldete sich auch sein Hunger wieder zurück, und so verspeiste er seine Pastete bis zum letzten Krümel, um sich dann satt und zufrieden zurückzulehnen. Erst in diesem Moment fiel ihm ein, dass er etwas vergessen hatte. „Uhm… Kotoko? Sag mal… was genau haben wir denn für einen Auftrag?“ Ein Anflug von Röte legte sich auf seine Wangen. „Man hat mir gesagt, du würdest mich einweihen…“ Kotoko seufzte, und zwar sehr genervt. „Warum eigentlich immer ich…“ „Entschuldigung“, murmelte Inari, obwohl es ja ganz bestimmt nicht seine Schuld war, dass man ihm in DELIAs Reihen offensichtlich noch nicht vertraute und ihn lieber unwissend auf irgendwelche Aufträge in Übersee schickte. Statt Kotoko sah er nun Sai erwartungs- und hoffnungsvoll an. Vielleicht war sein anderer Gefährte ja ein kleines bisschen mitteilsamer. „Mh“, machte dann aber doch Kotoko. Er hatte sich mittlerweile das Tuch vom Gesicht gezogen, um ebenfalls essen zu können, und jetzt verzog er die Lippen zu einem finsteren Lächeln, das fast schon einem Zähneblecken gleichkam. „Du bringst mich auf eine Idee… testen wir doch mal unseren… Freund. Auch er müsste ja wissen, worum es geht… wenn er hier so plötzlich mitsamt Befehl auftaucht!“ „Du vertraust mir wohl immer noch nicht, was? Dabei habe ich Euch das Schreiben Tadaos doch schon gezeigt!“ Etwas leiser, aber doch noch gut hörbar, und in einem Tonfall, als ob er zu sich selbst sprechen würde, fügte Sai hinzu: „Oder… kann er vielleicht nicht lesen?“ Dann schüttelte er den Kopf. „Jedenfalls wird das Schiff in ungefähr anderthalb Wochen nahe der Stadt Baharah an Dûnedjas Westküste anlegen. Was ihr dort großartig machen müsst, kann ich euch jedoch nicht erzählen. Ich bin ja nicht da, um euren Auftrag zu erfüllen, ne? In dem Befehl steht, wie ihr gesehen habt, dass ich mich euch anschließen soll, um von dem Hafen sicher in die Stadt zu gelangen. Ich muss dort jemanden treffen, der sich so kurzfristig gemeldet hat, dass es nicht mehr möglich war, euch noch über mein Kommen zu informieren. Sein Schreiben kam heute erst an, und es war Glück, dass ich nicht weit von dieser Hafenstadt war, sonst hätte ich es nicht mehr auf das Schiff geschafft. Ihr seht, es war keine Zeit für lange Gespräche.“ „Klingt ja wirklich alles ganz toll“, stieß Kotoko hervor, und wieder schienen seine Augen Sai förmlich zu durchlöchern. „Dumm nur, dass ich dir kein einziges Wort glaube. Ich vertraue dir ganz und gar nicht, und bisher hat mich mein Gefühl noch nie im Stich gelassen. Aber… wir werden ja sehen, wer du bist…“ Dann begann auch er zu essen und wandte seinen Blick wieder von Sai ab „Wie du meinst“, entgegnete Sai ungerührt. „Jedenfalls hätten wir dann wohl erst mal besprochen, was wir zu besprechen hatten. Zumindest, was mich angeht. “ Er warf Kotoko einen letzten Blick zu, den dieser aber gekonnt ignorierte. Sai ließ sich davon nicht im Mindesten beeindrucken, sondern zückte ein dûnerisches Buch, wandte sich ab und begann, gleichzeitig zu lesen und weiterzuessen. Inari fühlte sich einen Moment lang so hilflos, dass er wie gelähmt war. Dann atmete er tief durch, zwang sich ein Grinsen auf das Gesicht und begann, in seinem Beutel herumzuwühlen. „Hey, soll ich euch mal was zeigen?“, fragte er, wartete aber gar nicht erst auf eine Antwort, sondern zauberte strahlend ein rostiges Messer, eine Uhr und einen schrumpeligen Apfel hervor. Dann begann er, mit seinen Fundstücken zu jonglieren. Zunächst warf er den Apfel hoch, dann die Uhr und zuletzt das Messer. Seine Hände bewegten sich immer schneller und schneller, bis er selbst kaum mehr mit bloßen Auge erkennen konnte, was er da gerade durch die staubige Schiffsluft wirbelte. „Wow, nicht übel“, lächelte Sai und blickte nun doch wieder von seinem Buch auf. „Wo hast du das gelernt?“ „Selber beigebracht“, grinste Inari. Dann plötzlich hielt er inne. In seinen Händen hielt er nur noch das Messer und den Apfel. Einen Moment lang breitete sich ein verwirrter Ausdruck auf seinem Gesicht aus. Er zögerte. Und grinste dann noch ein bisschen breiter, beugte sich vor und zog die Uhr hinter Kotokos Ohr hervor. „Tadaaa!“ Jetzt war es Sai, der überrascht dreinblickte. „Oh“, sagte er, „einen Moment lang dachte ich schon, sie wäre runtergefallen und kaputtgegangen. Kannst du Magie?“ „Na ja… nicht wirklich“, murmelte Inari. Er spürte, wie ihm eine unangenehme Wärme in die Wangen stieg. „Nur ein paar Taschenspielereien und Zaubertricks. Mit wirklicher Magie hat das nichts zu tun. Bin ja schließlich kein Dämon oder so.“ „Wieso Dämon? Es können ja nicht nur Dämonen Magie.“ Sai zuckte mit den Schultern. „Ich bin übrigens ein Dämon, zumindest zur Hälfte. Und kann trotzdem keine Magie. Oder nicht wirklich.“ „Ah, stimmt natürlich“, nickte Inari hastig. Dann musterte er sein Gegenüber ausgiebig. „Du bist ein Halbdämon? Sieht man gar nicht.“ Er starrte Sai noch einige Momente lang an, bemerkte dann überhaupt erst, dass er starrte und wandte sich hastig wieder ab. Unbewusst band er seinen Hut noch ein bisschen enger fest. „Stimmt, man sieht’s kaum. Höchstens an der Augenfarbe.“ Sai lachte und beobachtete Inari bei seinem Tun. „Du siehst aus, als wolltest du dich unter dem Hut verstecken. Oder hast du Angst, ihn zu verlieren? Keine Sorge, hier drin ist ja kein Wind.“ „Na ja…“ Zu seinem größten Missfallen merkte Inari, dass er noch ein bisschen roter wurde. „Er… er… ähm… ist mir einfach nur sehr wichtig.“ Er versuchte, sich so unauffällig wie möglich auf seinen Nachtisch zu konzentrieren – als wortloser Themenwechsel, sozusagen. Leider war der schon nach wenigen Bissen verspeist, und sofort breitete sich wieder diese peinliche Stille zwischen ihnen aus. Ganz kurz wagte es Inari, Kotoko einen unsicheren Blick zuzuwerfen, aber der blickte nach wie vor finster und missgelaunt drein. „So“, brach dann endlich Sai das Schweigen, „ich gehe jetzt mal das Schiff anschauen. Kommst du mit?“ Bei diesen Worten sah er Inari an. Der zögerte einen Moment lang, aber als er Kotoko leise grummeln hörte, stand er doch lieber auf und schenkte Sai ein Lächeln. „Gut“, nickte er, dann verließ er gemeinsam mit dem Schwarzhaarigen den Speisesaal. Kotoko folgte ihnen nicht. Das überraschte Inari nicht weiter, aber ein bisschen betrübte es ihn doch. Allerdings nicht sonderlich lange, denn als er dann erst einmal an Deck war, blieb ihm nicht mehr viel Zeit für trübe Gedanken. Die Kulisse, die sich ihm bot, war atemberaubend. In ganz weiter Ferne war das Land noch zu erkennen, aber alles andere war strahlend blau. Der Himmel. Die Wellen. Es war einfach unglaublich, wie die Sonne auf der Wasseroberfläche glitzerte, die der Schiffskörper tanzen und springen ließ. Alles war in Bewegung. Inari hatte nicht gewusst, wie schön Wasser sein konnte. Und dann das Schiff. Da waren überall Dinge, die Inari noch niemals zuvor gesehen hatte, dicke Taue und Kisten und merkwürdige… Arbeitsgeräte, zusammengerollte Segel und kleine Boote. Außerdem natürlich die Seemänner und die Reisende, all das hatte einen ganz eigentümlichen, fremdartigen Zauber, und die Luft roch nach Freiheit. Inari wusste gar nicht, wohin er zuerst sehen sollte, weil einfach alles so unglaublich spannend war. Auch Sai sah sich ganz genau um, und dabei wirkte er fast ein wenig abwesend. Inari fragte sich, ob auch er das erste Mal in seinem Leben ein Schiff aus der Nähe sah. Im nächsten Moment dachte Inari dann aber überhaupt nichts mehr, als ihm ein heftiger Windstoß mitten ins Gesicht schlug. Instinktiv griff er nach seinem Hut, so schnell er nur konnte, und drückte ihn ganz fest auf seinen Kopf. „Was war das denn?!“, fragte er und fixierte Sai starr mit seinen Augen, die von der salzigen Brise ein bisschen tränten. „…was?“ Sai schreckte merklich hoch, als Inari ihn ansprach. „Oh… dein Hut… tut mir leid, ich hab nicht daran gedacht, dass er hier wegfliegen kann. Aber er ist ja noch da, zum Glück.“ Dann lächelte er, und seine violetten Augen blitzten auf. „Schau mal, was ich gefunden hab, hier kann man durch das Fenster in die Kabine des Kapitäns sehen. Ist das nicht interessant?“ Inari lugte durch das Bullauge und nickte eifrig. „Willst du auch mal reinschaun?“, fragte er dann etwas schuldbewusst und machte Platz für seinen Gefährten. „Gern.“ Sai warf neugierig einen Blick in den halbdunklen Raum. „Oh, da liegt ein Kompass auf den Tisch. Und eine Menge Sachen, von denen ich nicht mal weiß, wofür sie da sind.“ Er wandte sich wieder vom Fenster ab und seufzte. „Ich wüsste wirklich gern, wie so ein Schiff funktioniert, du nicht? Ich hab leider keine Ahnung davon.“ „Bestimmt interessant“, stimmte Inari zu, fuhr dann aber etwas verlegen fort: „Aber ehrlich gesagt… ich bin schon auch froh, wenn ich wieder hier runter bin.“ „Oh, bist du seekrank?“ „Das nicht, nein, aber… ich bin noch nie mit einem Schiff über das Meer gefahren und… es macht mir schon ein bisschen Angst“, murmelte er. „Dass man außer Wasser gar nichts mehr unter sich hat…“ „Ach so…“ Sai blickte über die Reling in den tiefblauen Ozean. Auf seinem Gesicht ließ sich rein gar keine Angst ablesen, sondern wiederum eine etwas gedankenverlorene Neugierde. „Na ja, es wird schon sicher ankommen. Schließlich haben wir ja etwas Wichtiges auf Dûnedja zu tun, ne?“ Inari nickte, und bei dem Gedanken an Dûnedja und an ihre Aufgabe spürte er sofort wieder eine durchaus positive Aufregung in sich aufsteigen. Eine neue Küste erwartete ihn – und das erste richtige Abenteuer seines Lebens. Was kümmerte es ihn es ihn schon, dass sein Begleiter nicht ganz den Vorstellungen entsprach, die er sich zuvor von ihm gemacht hatte? Über ihm breitete sich ein wolkenlos blauer Himmel aus, und aus der Ferne hörte er den Ruf des Seewinds. Zugegeben – die kommenden Tage auf dem Schiff waren nicht ganz so spannend wie der erste. Der Ozean war und blieb tiefblau, der Himmel ungetrübt, der Wind nahm ab und zu, ohne jemals zum Sturm zu werden. Die Sonne begleitete die Reisenden, bis der Mond und die Sterne sie von ihrem Wachposten am Himmel ablösten. Es war eine ruhige Überfahrt, aber vielleicht kam gerade deshalb eine immer stärker werdende Unruhe unter den Reisenden auf. So schön der Anblick des endlos weiten Ozeans auch sein mochte, auf die Dauer verlor er eben doch an Unterhaltungswert. Und der Duft nach Abenteuer, der nach wie vor in der salzigen Luft lag, war wie ein Versprechen, dessen Einhaltung nun quälend lange auf sich warten ließ. Als dann endlich die Küste Dûnedjas in Sicht kam, hielt es Inari kaum mehr bis zu den ersten Strahlen der Morgensonne in seiner kleinen Kabine unter Deck aus. Nervös schritt er entlang der Reling auf und ab, fixierte wieder und wieder den sich nähernden Streifen Festland, als ob er ihn damit zu größerer Eile antreiben könnte (dabei war es doch eigentlich das Schiff und nicht das Land, das sich bewegte!). Die Stunden vergingen qualvoll langsam, und auch als sich das Deck langsam mit Menschen füllte, konnte Inari kaum eine Minute lang stillstehen. Kotoko quittierte dies lediglich mit finsteren Blicken und hüllte sich darüber hinaus in Schweigen, aber seine düstere Grundstimmung konnte Inaris nervöse Vorfreude auch nicht weiter trüben. Die Hafenstadt, in der sie anlegten, trug den Namen Al’Sharhay. Sie war weder besonders groß noch besonders klein und schon aus der Ferne betrachtet eine ganz typische Hafenstadt, mit all den Reizen, die eine solche eben ausmachten – viele Schiffe, viele Menschen und viele Verkaufsstände, an denen Spezialitäten aus aller Herren Länder feilgeboten wurden. Inari verfolgte das bunte Treiben am Hafenkai mit lodernder Neugierde – und übersah dabei um ein Haar eine Gestalt an Bord, die ganz ruhig an der Reling stand und auf das Meer hinausblickte. Es war ein Mann, dessen ganze Erscheinung das genaue Gegenteil von Inari selbst ausstrahlte, nämlich eine tiefe innere und äußere Ruhe. Seiner großer, schlanker Körper war in eine schlichte graue Priesterkutte gehüllt. Unter seiner Kapuze blitzten grüne Augen und Strähnen grauweißen Haares hervor. Sein Gesicht allerdings verriet, dass er nicht älter als Ende zwanzig sein konnte. Er trug einen Stab bei sich und betrachtete die sich nähernde Stadt. Inari war sich nicht ganz sicher, ob der Fremde ihn und ihren beinahen Zusammenstoß überhaupt bemerkt hatte. So blickte er sich stattdessen nach seiner zweiten Bekanntschaft der jüngsten Zeit um, Sai. Frustrierenderweise konnte er ihn unter all den umstehenden Menschen nicht entdecken und blieb mit seiner Nervosität und einem einzigen missmutigen Mitstreiter allein. Dieser kurze Anflug von Ärger währte nicht lange. Nur noch wenige Minuten vergingen, dann legten sie an. Ihr Schiff wurde am Hafen vertaut, über eine Holzplanke mit dem Land verbunden, und endlich, endlich konnten die Reisenden von Bord gehen! Inari hüpfte mehr dem festen Boden entgegen, als dass er ging. Er war wie berauscht von der Geruchssinfonie, die ihn empfing – Meeresluft, zahllose exotische Gewürze, der Geruch von Tieren und köstliche Essensdüfte, vermischt mit fremdartigen Parfums, feuchtem Holz, Weihrauch. Da waren so viele verschiedene Menschen, mit dunkler und heller Hautfarbe, mit bunten, verzierten Prachtgewändern, Uniformen, Schleiern und kunstvollen Frisuren. Inari entdeckte auch den Mann im Priestergewand wieder. Er stand an der Hafenmauer, dem Ozean zugewandt, und verbeugte sich vor den türkisblauen Fluten. Da wurde Inari plötzlich unsanft in die Seite gestoßen. „Wir sollten vorsichtig sein“, flüsterte Kotoko in sein Ohr. Inari suchte seinen Blick – musste aber feststellen, dass sein Begleiter überhaupt nicht ihn betrachtete, sondern in die Menge starrte. Auf seinem Gesicht lag ein angespannter, fast nervöser Ausdruck, und erst jetzt bemerkte auch Inari, dass er sich beobachtet fühlte. Aber wen hatte Kotoko da inmitten des bunten Hafentreibens entdeckt? Sai? Kotoko hatte ihm ja offensichtlich nicht getraut, aber wieso sollte Sai sie jetzt heimlich beobachten, wo er sich ihnen auf dem Schiff doch so freundlich, so zwanglos genähert hatte? Doch dann fiel auch Inari eine Gestalt unter all der anderen Gestalten auf. Er sah nicht viel von ihr – einen schlanken Frauenkörper, der mit zahllosen schwarzen Stoffbahnen auf so geschickte Weise umwickelt war, dass man weder zuviel noch zu wenig davon erkennen konnte. Dazwischen schneeweiße Haut. Lange Beine in hohen schwarzen Stiefeln aus weichem Leder. Eine schwarze Kapuze, unter der kein Gesicht zu erkennen war, nur das kurze Aufblitzen eines hellen Auges mit stechendem Blick. Langsame, katzenhaft schleichende Bewegungen. Und dann war die Fremde wieder in der Menge verschwunden. Kotoko sah sich suchend um, und Inari begriff sofort, dass sie es war, die seinem Gefährten aufgefallen war, die ihn beunruhigt hatte. Die sie beobachtet hatte. Aber weshalb? Wer war diese Frau? Eine Dûnedan wohl kaum, wenn Inari bedachte, wie hell ihre Haut gewesen war. Jedenfalls war sie ebenso plötzlich wieder verschwunden, wie sie aufgetaucht war. Inari versuchte, sich mit diesem Gedanken zu beruhigen, aber es gelang ihm bei aller Neugierde, aller Vorfreude, aller wohligen Aufregung nicht vollständig. Auf den sehnsüchtig erwarteten und anfänglich so perfekten Ankunftstag in der fremden, exotischen Welt war ein kühler Schatten gefallen. Yan hatte es sofort bemerkt. Einen Blick in seinem Rücken, kälter als der Nordwind auf hoher See. Ein Blick, der einzig und allein dem Zweck diente, gespürt zu werden. Er schloss die Hände etwas fester um seinen Priesterstab und zog sich die Kapuze tiefer ins Gesicht. Seine Augen schweiften suchend über die bunte Menschenmenge, die ihn umgab. Sie wurden schon bald fündig: Da war eine Gestalt, gekleidet in ein Nichts aus schwarzen Stoffbändern, die sich betont unauffällig einer dunklen Gasse zwischen zwei der weißen Lehmhäuser des Hafenkais näherte, um dort in die Halbschatten einzutauchen. Er folgte ihr, schleichend, bedächtig. Eine dünne Schicht aus Sand bedeckte den hellen Steinboden und dämpfte seine vorsichtigen Schritte noch ein bisschen mehr. Dankbar trat auch er in das Dämmerlicht, das wenigstens eine kurze Erholung von der erbarmungslosen Gewalt der brennenden Sonnenstrahlen am Wasser bot. Die Gasse war recht lang und schnurgerade. Trotzdem konnte Yan keine Menschenseele erkennen. Wo war die Unbekannte mit dem eisigen Blick? Er war sich sicher, dass sie genau hier zwischen den einfachen Häusern verschwunden war! Langsam machte er einige Schritte vorwärts und sah sich nach einer gut verborgenen Abzweigung um. Da spürte er, ganz plötzlich und unvermittelt, etwas sehr Kaltes und sehr Scharfes an seinem Hals. „Shhh…“, hauchte ihm eine nicht minder kühle Stimme ins Ohr, „jetzt nur keinen Laut, mein Hübscher!“ Yan zuckte zusammen – doch schon im nächsten Moment entspannte er sich wieder. „Ich habe nicht vor, Euch anzugreifen“, antwortete er gelassen, „geschweige denn, Euch anderweitig etwas anzutun. Ich sehe also keinen Grund für eine derart… unfreundliche Begrüßung.“ „Ich müsste nicht einmal nachdenken, um dir mindestens fünfzehn Gründe zu nennen, dir hier und auf der Stelle die Kehle durchzuschneiden. Und wer sagt dir eigentlich, dass nicht einfach einer dieser Gründe ist, dass ich gerade Lust dazu habe?“ „Wenn es wirklich so ist, dass Ihr nur töten würdet, um Eure unwürdige Befriedigung der Blutlust zu stillen, dann tut Ihr mir leid, denn das ist der niederste und unehrenhafteste Grund, den ein Mensch haben kann, selbst die primitivsten Tiere handeln nicht derartig.“ Tatsächlich lag bei diesen Worten keine Spur von Angst, sondern nur ein mitleidiger Zug auf Yans Gesicht. Die Fremde lachte ein leises, eisiges Lachen, dann flüsterte Sie: „Wofür kämpfst du?“ „Ich kämpfe überhaupt nicht“, entgegnete Yan, „zumindest nicht mit physischer Gewalt, sofern es sich vermeiden lässt. Mein Ziel ist eine Welt ohne das Geklirr von Schwertern und ohne sinnloses Blutvergießen.“ Er schloss seine Hände noch ein wenig fester um seinen Stab. „Also bitte ich Euch, mich nun loszulassen, damit wir wie zwei zivilisierte Menschen von Angesicht zu Angesicht miteinander sprechen können.“ „Welch naive Fantasie!“ Aus den Augenwinkeln konnte Yan wahrnehmen, dass die Fremde unter ihrer Kapuze den Kopf schüttelte. Dann aber trat sie tatsächlich einen Schritt zurück und ließ ihren Dolch sinken. „Nun liegt es an Euch, Euch herumzudrehen und mir in die Augen zu sehen. Und bitte – nehmt die Hand von Eurer Waffe, ich möchte sie Euch nicht abschneiden müssen.“ Sie lehnte sich gegen eine der staubig weißen Hauswände. „Also los – tun wir so, als ob wir zivilisierte Menschen wären.“ Yan räusperte sich, dann senkte auch er seine Waffe und wandte sich um. Er streifte sich die Kapuze aus dem Gesicht und lächelte sein Gegenüber freundlich an. „Mein Name Yan Luo Wang-Wu. Es freut mich, Euch kennen zu lernen, und mögen die Götter euch geneigt sein!“ Er legte seine Handflächen aufeinander und verneigte sich, dann streckte er der Fremden seine rechte Hand entgegen. „Ich bin ein Schamane von der Insel Jigoku vor der südöstlichen Küste Silvanias.“ Ein kurzer Moment des Zögerns verging, und dann streifte auch seine seltsame neue Bekannte ihre schwarze Kapuze zurück. Unter dem dunklen Stoff und dessen Schatten kam ein sogar überaus schönes Gesicht zum Vorschein, das in der Tat perfekt zu dem nicht minder schönen Körper passte. Die schmalen Katzenaugen der Frau hatten die Farbe von Eis – ein sehr helles Blau, beinahe derselbe Farbton, in dem auch ihr langes Haar schimmerte, das sie zu einer kunstvollen Frisur aufgesteckt hatte, teils offen, teils geflochten. Ein nicht zu deutendes Lächeln lag auf ihren Lippen. „Mein Name ist Ceara“, sagte sie, machte jedoch keinerlei Anstalten, Yans Hand zu ergreifen. „Und macht Euch nicht die Mühe, mir den Segen der Götter zu wünschen. Die haben mich schon lange vergessen.“ „Die Götter vergessen einen nicht“, entgegnete Yan und ließ seine Hand wieder sinken, ohne dass das Lächeln auf seine Lippen an Wärme verloren hätte. „Sie wissen nur, dass es nichts bringt, mit jemandem zu reden, der nichts hören will.“ Er strich sich eine Strähne seines hellen Haares aus der Stirn. „Darf man übrigens fragen, was Ihr hier macht und was Euch dazu veranlasst, derart… vorsorglich mit neuen Bekanntschaften umzugehen?“ „Es scheint wohl tatsächlich zu Eurem Beruf zu gehören, einen schier unerschöpflichen Vorrat an tröstenden Floskeln parat zu halten“, murmelte Ceara, während sie ihre Waffe endgültig wegsteckte. „Auch eine bewundernswerte Fähigkeit. Und natürlich ist dies kein zufälliges Treffen. Das dachtet Ihr doch nicht wirklich? Wir haben mehr gemeinsam, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Offenbar auch ein gemeinsames Ziel.“ Sie neigte ihren Kopf ein wenig zur Seite. „Bedrückt es Euch, dasselbe Ziel zu haben wie ein Mensch, der schlimmer ist als ein Tier?“ „Wenn ich an den Zufall glauben würde, wäre ich kein Schamane“, lächelte Yan. „Dieses Treffen war durch die Götter vorherbestimmt. Und ich glaube, Ihr habt mich falsch verstanden. Ich sagte nicht, dass Ihr schlimmer seid als ein Tier. Ich sagte, dass Euer Grund zu töten nicht einmal eines räudigen Fuchses würdig wäre. Aber lassen wir das, wir waren gerade dabei, uns gut zu verstehen.“ „Dieses Treffen war vorherbestimmt durch unsere Auftraggeber, mein Hübscher!“ Die junge Frau löste sich von ihrem Platz an der Wand und beschrieb einen Halbkreis um Yan herum, wobei ihre lautlosen Bewegungen wiederum etwas Katzenhaftes an sich hatten. „Und ich habe nie behauptet, dass dies mein Grund ist, zu töten. Ich habe nur gesagt, dass er es sein könnte. Und überhaupt – wen habe ich denn eigentlich umgebracht? Ich sehe gar keine Leiche.“ Yan folgte amüsiert ihren eleganten Schritten mit seinen grünen Augen. „Ich sehe schon, wir beide werden bestens miteinander auskommen“, sagte er und meinte es auch so. „Ah, aber was genau gedenkt Ihr jetzt zu tun? Wärt Ihr wohl so nett und würdet mir Auskunft darüber geben, wo genau sich unsere Auftraggeber befinden? Ich muss ehrlich gesagt eingestehen, dass ich mich in dieser Stadt nicht sehr gut auskenne.“ „Im Grunde genommen braucht Ihr genau eines zu wissen“, antwortete Ceara. „Wir sind auf dem Weg in den Palast des Königs von Melkaba. Er soll uns auf die eine oder andere Weise unterstützen. Für uns ist darüber hinaus ein Zimmer in einer nahe gelegenen Herberge reserviert.“ In ihre hellblauen Augen trat einige Momente lang ein amüsiertes Funkeln. „Ihr habt doch hoffentlich kein Problem damit, Euer Zimmer mit einer Frau zu teilen?“ „Na, das hört sich doch bestens an“, antwortete Yan lachend. „Ein weiches Bett, etwas Warmes zu essen und eine Audienz beim werten König, und das alles in angenehmer, unterhaltsamer Gesellschaft. Besser geht es gar nicht. Und keine Sorge – ich werde Euch sicherlich nicht belästigen, immerhin habe ich wie jeder Schamane ein Zölibatgelübde abgelegt.“ „Ihr scheint ja sehr genau zu wissen, worauf es im Leben ankommt.“ Mit einer fließenden Bewegung zog sich Ceara ihre Kapuze wieder ins Gesicht. „Und übrigens, Ihr versteht es auch erstaunlich gut, Komplimente zu machen. Und Witze. Ihr und mich belästigen? Ich zittere vor Angst. Wie gut, dass Ihr niemals Hand an eine hilflose Frau wie mich legen würdet.“ Dann wandte sie sich ab und trat ohne ein Wort des Abschieds wieder hinaus ins Licht, um dort in der Menschenmenge zu verschwinden. Yan sah ihr lächelnd hinterher, bevor er seinen Blick gen Himmel wandte. „Ihr Götter und Geister der Vorfahren, steht ihr bei… und mir auch.“ Er schlug ebenfalls seine Kapuze hoch, dann tauchte auch er wieder in dem regen Treiben der Hafenpromenade unter, so ruhig und unauffällig wie eh und je. Sai stand vor dem Tisch eines Händlers, der von einem intensiv purpurroten Baldachin überdacht war und eine unglaubliche Vielzahl an filigranem Goldschmuck präsentierte. Meisterhafte Arbeit, das war auch für einen Laien auf den ersten Blick zu erkennen. Schon mehr als einmal hatte er gespürt, dass er beobachtet wurde, doch er hatte gelernt, auf so etwas nicht allzu auffällig zu reagieren. Immer wieder musterte er ganz beiläufig seine Umgebung, und so bemerkte schon bald die schwarz… und ziemlich knapp bekleidete Frau, die sich ihm näherte. Es war keine Frage, dass sie verdächtig wirkte. Trotzdem blieb er an seinem Platz vor dem wundersamen Verkaufsstand und wartete ab. Zunächst schien es, als ob die Unbekannte einfach an ihm vorübergehen würde. Doch dann kam sie unweit von ihm zum Stehen und betrachtete einen Stand, an dem riesige, frisch gefangene Fische verkauft wurden, deren Schuppen silbrig bis rötlich in der Sonne schimmerten. Sie verharrte dort einen Augenblick lang und schlenderte dann weiter, sehr nah an ihm vorbei. „Komm mit“, flüsterte sie, so leise, dass es nur an ihn gerichtet sein konnte. Natürlich. Er spürte immer noch, dass sie ihn anstarrte, obwohl ihr Gesicht von einer Kapuze verborgen war und er es somit nicht sehen konnte. Es wäre ein ziemliches Armutszeugnis für ihn gewesen, wenn er es nicht bemerkt hätte! Einen Moment lang stritten Zweifel und Neugierde in seiner Brust, dann hob er kurz die Schultern, wartete noch ein bisschen und nahm unauffällig die Verfolgung der seltsamen Fremden auf. Diese schritt zielstrebig an einem Mann in Priesterkleidung vorbei – Sai erinnerte sich, ihn bereits auf dem Schiff gesehen zu haben – und folgte einer finsteren Seitenstraße, bis sie schließlich vor einer recht schäbigen, aber trotzdem irgendwie charmanten Gaststube zum Stehen kam. Sai stellte mit wachsender Verwirrung fest, dass der Mann in der grauen Kutte ihnen ebenfalls gefolgt war. Die Frau in Schwarz blieb kurz vor dem Eingang der Herberge stehen – ein schmuckloses weißes Haus wie viele andere, mit einem flachen Dach, von dem aus Wäscheleinen zum gegenüberliegenden Gebäude gespannt waren. Mit einer unmissverständlichen Kopfbewegung deutete sie, ihr in die Gaststätte zu folgen, und trat auch prompt selbst ein. Sai beeilte sich und konnte noch sehen, dass sie die über eine helle Steintreppe ins Obergeschoss hinaufstieg. Dort wartete sie an einer etwas schiefen Tür, bis ihre Gefolgschaft zu ihr aufgeschlossen hatte, und trat dann in den dahinterliegenden Raum. „Sieht so aus, als würde diese Nacht angenehmer werden als die auf dem Schiff“, hörte Sai eine Stimme hinter sich murmeln. Natürlich, der Priester. Er schenkte ihm keine weitere Beachtung, sondern suchte sich lieber einen strategisch günstigen Platz in dem staubigen Halblicht des schmucklosen Zimmers, von dem aus er das ganze Geschehen überblicken konnte. Die Fremde setzte sich auf eines der Betten. Dort streifte sie ihren Umhang ab und gab so nicht nur den Blick auf ihr bildschönes Gesicht, sondern auch auf ein überaus tiefes Dekolleté frei. Sie winkelte eines ihrer Beine an und stützte sich mit dem Arm darauf, doch trotz dieser vermeintlich entspannten Haltung ließ die kühle Wachsamkeit in ihrem Blick Sais Instinkte Alarm schlagen. „Ich habe dich bei Inari und Kotoko gesehen“, sagte sie dann ganz unvermittelt. „Gut möglich“, antwortete Sai mit einem Schulterzucken. „Vor allem, wenn man nicht von der Tatsache absieht, dass wir zusammen gereist sind. Dich habe ich allerdings noch nie gesehen. Wer bist du?“ „Ihr wart auf demselben Schiff, ich weiß, aber das bedeutet noch nichts.“ Die Blauhaarige zückte einen ihrer zwei prächtigen Kampfdolche und vollführte damit einige nahezu spielerisch anmutende Bewegungen. „Und natürlich hast du mich noch nie gesehen. Dummchen. Ich stehe auf deiner Seite, belassen wir es dabei. Eigentlich sogar auf eurer Seite, aber ich hatte bislang noch keine Lust darauf, mich mit diesen… Kindern zu unterhalten.“ „Du stehst also auf unserer Seite.“ Sai warf der Frau einen zweifelnden Blick zu und nahm ebenfalls auf einem der Betten Platz – allerdings ohne auch nur eine Sekunde lang das Zimmer aus den Augen zu lassen. „Und worüber wolltest du dich unterhalten?“ „Genau darüber.“ Kaum hatte Sai sich hingesetzt, erhob sich die Fremde und schlenderte dem Fenster entgegen, das genau genommen nur ein halbkreisförmiger Durchbruch in der Lehmwand war. Sie wandte ihm den Rücken zu, aber Sai konnte spüren, dass sie ihn aus den Augenwinkeln beobachtete. „Unsere Mission. Unsere Aufgabe. Wir werden noch heute Nacht aufbrechen und in die Stadt Melkaba ziehen. Dort werden wir den König treffen und ihn um Mithilfe bitten. Ach, und…“ Sie blickte über die Schulter und verzog ihre bleichen Lippen zu einem kühlen Lächeln. „Ich traue Euch nicht. Darum habe ich Euch das übrigens auch alles erzählt. Wenn Ihr jetzt eine Dummheit begeht, kann ich Euch wenigstens guten Gewissens töten.“ „Ich verstehe“, antwortete Sai, begleitet von einem leisen Seufzen. „Mein kurzfristiges Auftauchen erscheint eben verdächtig, da kann man nichts machen, ne? Allerdings habe ich dich nicht darum gebeten, mir das zu erzählen. Weil es mich nicht interessiert. Zu meiner Aufgabe gehört es lediglich, mit euch bis nach Baharah zu reisen, dort trennen sich unsere Wege. Ihr habt Eure Aufgabe, ich habe meine.“ „Man hat mich nicht über dein Kommen in Kenntnis gesetzt, das ist der springende Punkt.“ Die Blauhaarige sah ihm nun ganz genau in die Augen. „Und glaube mir, du wirst uns folgen, mein Hübscher. Ich kann doch nicht zulassen, dass du zu deinem Auftraggeber zurückkehrst. Wer schickt dich eigentlich? Das würde mich doch wirklich brennend interessieren.“ Sai erwiderte ungerührt ihren Blick. „Wenn du mich dabei störst, meine Aufgabe auszuführen, widersetzt du dich direkt dem Befehl von Tadao. Von ihm habe ich diese Aufgabe nämlich bekommen. Beziehungsweise natürlich nicht von ihm persönlich. Einer seiner Männer hat mir den Befehl übertragen, du weißt ja selbst, was für ein Geheimnis er um seine Person macht.“ „Ah. Dann kann Tadao-sama ja auch persönlich zu mir kommen und mich für dieses Vergehen bestrafen.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich bin mir sicher, dass er mein Handeln verstehen wird. Ich spreche viele Sprachen, auf denen ich es ihm erklären kann. Uns nach Melkaba zu folgen, ist für dich nur ein lächerlicher kleiner Umweg, kaum mehr als zwei oder drei Tagesreisen. Im Gegensatz dazu könnte ich all unsere Pläne gefährden, wenn ich dich jetzt gehen lasse. Welches Vergehen, glaubst du, wiegt schwerer?“ Sie war während dieser Worte wieder zu ihrem jüngst erst dazu auserkorenen Bett geschlendert. Dort legte sie sich ihren schwarzen Umhang um die weißen Schultern und blickte kalt auf Sai herab. „Hm“, machte der, „das hört sich tatsächlich verzwickt an. Dann versuche ich wohl weiterhin, meine Aufgabe auszuführen, während du versuchst, mich zu überprüfen und mich somit daran zu hindern. Denn eine Verspätung macht den ganzen Plan zunichte. Aber natürlich“, fügte er hinzu, und bei diesen Worte trat ein nachsichtiges Lächeln auf seine Lippen, „hätte ich an deiner Stelle genauso gehandelt, und wahrscheinlich wird auch Tadao dafür Verständnis haben.“ „Du kannst mir ja später mehr über deinen Plan berichten, und dann liegt es an mir, ihn für gut zu befinden.“ Sie stieß ein leises, seltsames Lachen aus, dann schlenderte sie wieder zum Fenster hin und kletterte auf den steinernen Sims. Dort hielt sie noch einmal inne und wandte sich zu Yan um. „Pass gut auf ihn auf, mein Hübscher!“, wies sie den Priester zwar laut, aber dennoch in einem vertraulichen Flüsterton an. Dann sprang sie mit einem Satz aus dem Fenster. Einen Moment lang musste Sai sich beherrschen, seine Lippen nicht zu einem triumphierenden Lächeln zu verziehen. In genau diesem Augenblick hatte er den schwierigsten Teil seiner Mission bereits hinter sich gebracht, da war er sich so sicher, wie er nur irgendwie hätte sein können. Und glücklicherweise fiel es ihm als Gharither ja auch nicht allzu schwer, sich zusammenzunehmen und eine gleichmütige Miene zur Schau zu stellen. Ein ausdrucksloses Halblächeln, das alles und nichts hätte bedeuten können. Es war die perfekte Maske für seinen Beruf. „Das gefällt mir gar nicht“, murmelte er, und dabei klang er durchaus ein wenig besorgt. „Sie behauptet, auf unserer Seite zu stehen, aber sie weiß nichts von Tadaos dringendsten Befehlen? Ich kann nur hoffen, dass sie Inari und Kotoko nichts antut. Mehr kann ich wohl nicht tun, denn…“ – und bei diesen Worten seufzte er – „denn ich darf diesen Raum darf ja nicht mehr verlassen.“ Er warf Yan einen bedauernden Blick zu, und dann verzog er die Lippen zu einem scheinbar erzwungenen, die Sorge überspielenden Lächeln, das er als durchaus befreiend empfand. Eizawa no Sai, der in Kürze wieder Kagezaki Shôtoku sein würde, lehnte sich gegen die Wand und wartete ruhig, aber gespannt ab, ob seine Worte auf fruchtbaren Boden gefallen waren. Es war wirklich deprimierend – da war Inari einmal in einer so schönen und ihm gänzlich unbekannten Stadt, die förmlich danach schrie, erkundet zu werden, aber ein missgelaunter Mensch an seiner Seite machte jeden derartigen Plan erfolgreich zunichte. Kotoko steuerte zielstrebig geradeaus. Jeder Schritt in Richtung eines Standes, jeder Blick auf das reichhaltige, vielfältige, faszinierende Angebot der Händler schien bereits zuviel zu sein und wurde mit einem strafenden Grummeln und einem wütenden Pfeilschuss aus zwei dunklen Augen quittiert. Dass in diesen kurzen Momenten der strafenden Unachtsamkeit durchaus der eine oder andere Passant angerempelt wurde, schien Kotoko herzlich wenig zu interessieren. „Wir sollten uns beeilen, zur Herberge zu kommen, dass wir bald aufbrechen können“, erkläre er missgelaunt. Seine seltsame Unruhe machte auch Inari ganz nervös. Schon wieder fühlte er sich beobachtet. Das Bewusstsein, verfolgt zu werden, war so greifbar, so erdrückend, dass Inari nicht einmal mehr zusammenfuhr, als er dann auch tatsächlich eine Stimme hinter sich hörte – eine Frauenstimme, so kalt wie Eis. Inari wusste sofort, dass es die Stimme der Fremden in Schwarz sein musste, die sie schon am Anlegeplatz aus der Menge heraus angestarrt hatte. „Andere haben den Weg zur Herberge längst gefunden, Kindchen.“ „Du?!“ Kotoko wandte der Frau ruckartig seinen Kopf zu und musterte sie eindringlich von Kopf bis Fuß. „Was… was soll das heißen?“ „Ich?“ Die Unbekannte ahmte auf unglaublich spöttische Weise Kotokos Tonfall nach. „Das klingt ja beinahe so, als würdest du mich kennen.“ Inari konnte förmlich hören, wie sich ihre Lippen, verborgen vom Schatten ihrer Kapuze, zu einem Lächeln verzogen. „Und ich will dir damit genau das sagen, was ich gesagt habe: Du wirst auf dem Hotelzimmer bereits jemanden antreffen, Kindchen, und zwar deinen hübschen kleinen Freund von Schiff.“ „Sai?“ Kotoko fixierte die Fremde mit eiskalten Augen. Dann verzog er die Lippen zu einem Grinsen. „Was kümmert es mich? Hast du mir vielleicht auch was Interessantes zu sagen, Süße?“ „Ja“, antwortete die Fremde und gab… ein noch viel kälteres Lachen von sich. „Von genau dem spreche ich. Vorausgesetzt, ihr kennt nicht noch mehr von dieser Sorte.“ Sie umrundete Kotoko langsam, schleichend, wie ein lauerndes Raubtier. „Hm“, murmelte sie, „habe ich dir sonst noch etwas zu sagen?“ Sie hielt kurz inne, und dann zückte sie ganz plötzlich und unvermittelt einen Dolch und zog ihn mit einer beinahe sanft anmutenden Bewegung über Kotokos Arm. Die Klinge hinterließ nur einen hauchfeinen Schnitt. Ein dünner Blutfaden sickerte aus der verletzten Haut. „Ja, mein Kindchen. Und zwar, dass diese Waffe mit einem hochwirksamen Nervengift bestrichen ist, das dich binnen fünf Stunden langsam und qualvoll töten wird.“ Kotoko starrte abwechselnd Ceara und die Wunde an. Sein Blick war nach wie vor wie gefroren, aber ansonsten verwundete es Inari, wie ruhig er blieb. „Es wird mich töten?“, fragte er mit einer ganz eigentümlichen Stimme. „Wieso? Was willst du von mir?!“ „Ja, töten.“ Nun konnte Inari die blassen Lippen der Frau erkennen, und er sah, dass sie amüsiert lächelte. Er wollte eigentlich etwas sagen, wollte entsetzt und empört hochfahren aber der Anblick dieses Lächelns ließ ihm jedes Wort im Hals stecken bleiben. „Dieses Gift tötet alles, Dämonen, Menschen, Elben. Red Eve. Ein hübscher Name für so ein hübsches Ding. Und was ich will? Dich natürlich, Kindchen. Euch. Sonst wäre ich nicht hier. Immerhin stehen wir auf derselben Seite.“ „Und deshalb willst du mich gleich umbringen?“ Kotoko zog die Augenbrauen hoch. „Welch ein Empfang! Aber vielleicht… sollten wir nicht hier reden.“ „Dummchen!“ Die Frau lachte wieder, und diesmal ganz besonders kühl und abfällig. „Ich will dich nicht umbringen, sondern in der Hand haben. Zu beinahe jedem Gift gibt es ein Gegengift. Und außerdem mag ich es nicht, wenn man mich/ Süße nennt, Kleiner.“ „In der Hand haben?“, knurrte Kotoko und sah die Fremde verächtlich an. „Das werden wir ja sehen…“ „Ja, das…“, antwortete sie – und erstarrte. Nicht nur, dass sie mitten im Wort stockte, ihr ganzer Körper schien zu einer Statue aus Eis zu werden. Ihre Lippen öffneten sich leicht, und ein heftiger Schauer auf seiner Haut verriet Inari, dass zu der Kälte in ihrem verborgenen Blick noch etwas ungleich Tödlicheres getreten war. „Was um alles in der Welt macht Ihr hier?!“ Bei diesen Worten fixierte sie weder Inari noch Kotoko. Eine weitere Gestalt war hinter sie getreten – ein großer Mann, gehüllt in eine schlichte graue Priesterkutte. Auch er hatte eine Kapuze vor das Gesicht gezogen, aber es war noch genug von seinem Gesicht zu erkennen, um zu sehen, dass er warm und freundlich lächelte. „Also hatte er Recht“, sagte er ganz ruhig. „Ihr hattet tatsächlich nichts Gutes im Sinn…“ Die Fremde schnaubte verächtlich. Dann zog sie sich mit einem Ruck ihre Kapuze zurück und spießte den Neuankömmling mit ihren eisblauen Augen förmlich auf. „Nein“, entgegnete sie scharf, „ich hatte Recht! Und dieses eine Mal wünschte ich, dass es nicht so gewesen wäre. Ihr habt Ihn entkommen lassen!“ „Ich habe ihn im Zimmer eingesperrt“, antwortete Yan unbeeindruckt. „…das ein offenes Fenster hat!“ Die junge Frau warf sich einen ihrer hellblonden Zöpfe über die Schulter und presste ihre Lippen einen Moment lang sehr fest aufeinander. „Wenn wir zurückkehren, ist das Zimmer leer. Und das nur, weil Ihr unbedingt selbst Shinobi spielen und mich beobachten musstet! Oh, man wird Euch noch dafür rühmen, glaubt mir! Einen Verräter ziehen zu lassen, ist wirklich ein großes Verdienst… wenn Ihr nicht sogar auf seiner Seite steht.“ Yan stieß das Ende seines Stabes geräuschvoll gegen den Steinboden und neigte seinen Kopf etwas zur Seite, wobei ihm sein grauer Zopf über die Schulter fiel. „Oh, Ihr kränkt mich, werte Lady“, sagte er, aber er klang bei diesen Worten schlichtweg amüsiert. „Ob ich einen wirklich dummen Fehler begangen habe, werden wir dann sehen, wenn wir unser Herbergszimmer tatsächlich leer und verlassen vorfinden. Aber selbst wenn, Ihr dürft doch nicht gleich schlussfolgern, ich würde Euch verraten. Seid Euch bewusst, dass ich ganz auf Eurer Seite stehe, auch wenn wir gewiss unterschiedliche Methoden haben, unsere Ziele zu verfolgen.“ „Und deshalb habt Ihr mich auch beobachtet, hm?“ Die junge Frau stieß abfällig die Luft zwischen ihren Zähnen hervor. „Dass wir unterschiedliche Methoden haben, das stimmt aber auf jeden Fall. Zu meinen Methoden gehört es nicht, aus purer Dummheit, Unachtsamkeit oder was auch immer mein Ziel zu gefährden! Unser Plan mit der Übernachtung ist jedenfalls gestorben. Wir dürfen keine Zeit mehr verlieren. Wer weiß, wen und vor allem wann diese Nachricht denjenigen erreichen wird…“ „Jetzt sehen wir erst einmal nach, ob er wirklich abgehauen ist“, entgegnete der Priester, und dabei wirkte er so zuversichtlich, so positiv wie eh und je. „Und natürlich verspreche ich Euch, dass mir in Zukunft keine derartigen Fehler mehr unterlaufen werden!“ „Aber…“ Endlich wagte es Inari wieder, sich zu Wort zu melden, zwar nicht sonderlich laut, aber doch irgendwie empört. „Was… was ist denn jetzt mit dem Gegengift?“ „Das Gegengift gebe ich euch beizeiten“, erwiderte die Blauhaarige, und jetzt lächelte auch sie wieder, auf ihre unbeschreiblich kalte Art und Weise. „Versteht mich nicht falsch, es ist nichts Persönliches. Ich will nur nicht zweimal denselben Fehler begehen.“ „Ja, aber…“, wollte Inari ein zweites Mal aufbegehren, doch der Priester fiel ihm einfach lächelnd und unglaublich freundlich ins Wort. „Und was gedenkt Ihr dann zu tun, werte Lady?“ „Euer Gedächtnis scheint nicht das Beste zu sein“, erwiderte die Frau, und ihre Stimme triefte förmlich vor kaltem, unverhohlenem Spott. „Ich sagte doch bereits, dass unser Ziel der Königspalast von Melkaba ist. Aber wie solltet Ihr Euch das merken, wenn Euch selbst mein Name stets zu entfallen scheint?“ Sie wandte sich um und blickte über die Schulter zu ihren mehr oder weniger freiwilligen Mitstreitern zurück. „Ich hoffe, Ihr könnt reiten? Es dürfte schwierig sein, den Palast zu Fuß zu erreichen. Ah, und… eine werte Lady bin ich schon lange nicht mehr!“ Dann ging sie mit ihren leichten, eleganten Schritten davon. Yan und Kotoko folgten ihr – der eine lächelnd, der andere schweigend und ganz in sich selbst versunken. Inari schloss sich ihnen an, zögernd und deutlich langsamer. „Ts“, murmelte er fast schon trotzig vor sich hin. „Blöde Ziege…“ Aber seine Wut, die langsam in Resignation und auch in eine unterschwellige Angst umschlug, richtete sich nicht nur gegen die eiskalte Fremde. Jetzt war seine erste Bekanntschaft plötzlich vergiftet und wirkte äußerlich sowieso schon wie tot. Seine zweite Bekanntschaft – dieser wirklich, wirklich nette Mensch! – schien in Wahrheit ein Verräter, ein Spion oder was auch immer gewesen zu sein. Und dann waren da noch dieser ewig freundliche Priester, der ihm auch nicht ganz geheuer war, und eine kaltschnäuzige Killerin. Wunderbare Aussichten! Natürlich klang es einfach herrlich, in ein Schloss zu reisen, ein Wüstenschloss mit Wüstenprinzen und edlen Pferden und Tänzerinnen und all diesen anderen exotischen Dingen, von denen er bislang nur gehört hatte. Trotzdem wurde Inari das bedrückende Gefühl nicht los, dass es nicht einfach nur ein schönes Abenteuer war, das da vor ihm lag. Ende des zweiten Kapitels Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)