Pirates of the Caribbean - Herz der See von Elynn ================================================================================ Kapitel 1: Das Herz der See --------------------------- Das Holz an den Wänden ächzte und knarrte, als sich tosende Wellen gegen die pechschwarzen Seiten des Schiffes warfen. Dunkle, zerschlissene Segel zitterten im Sturm und selbst die kleinen funkelnden Sterne verkrochen sich tief in der Finsternis des Himmel, der wie ein Leichentuch über der See lag. Eine einzige Fackel auf Deck bot der Schwärze Widerstand. Wankend, aber verlässlich ankerte die Pearl und wartete auf neue Kursanweisungen. Unter Deck in einem kleinen Gefängnis aus verrosteten Stäben, umgeben von Fässern gefüllt mit Rum und Schießpulver, saß eine junge Frau auf einem winzigen Schemel und lauschte der Melodie ihrer Spieluhr. Nebst ihr auf dem Boden stand eine helle, weiße Kerze, die als einzige Lichtquelle diente. Aus ihrem Leib züngelten unstet drei Flammen, die die Dunkelheit flackern ließen und in abstruse Formen gossen. Das Wachs tropfte auf die alten Dielenbretter und verklebte sie. Wie gebannt blickte sie auf das schimmernde Medaillon in ihrer Hand. Lange schon hörte sie diese Melodie. Schon seit über zehn Jahren. Selbst wenn die Spieluhr geschlossen war, tanzte es in ihrem Kopf. Ständig schwirrte das Lied durch ihre Gedanken, verwob sie und mochte es ihr unmöglich, sich zu lösen. Zu lösen von Dingen, die waren. Jedes mal, wenn sie diese zarte Weise hörte, holte die Vergangenheit sie ein. Das Schmuckstück erinnerte sie an Lust, Leichtigkeit, Liebesschwüre und die ewige Jugend, die sie besaß. Jedes mal aufs Neue schlich der Kummer in ihr Herz, das sie verwahrte, gut verschlossen und versteckt in den Untiefen ihrer Brust. So gut versteckt und abgeschirmt dieses Herz auch lag, immer fand die eiserne Klaue des Schmerzens es und umklammerte es, presste es und hielt es fest umschlungen. Es biss, stach, wehrte sich und schmerzte unendlich tief. Unsäglicher Verrat. Mit dem Daumen fuhr sie sorgsam über den Rand des Medaillons, klappte es zu und die Musik erstarb. Leicht senkte sie den Blick, erheitert über die Unbeständigkeit ihrer Laune. Plötzlich erklang die Musik erneut und führte die Weise fort, erklomm ihren Nacken, schlüpfte in ihr Ohr und wanderte aufs Neue durch unergründliche Gedanken. Neugierig und wissend wandte sie den Kopf. Sie wusste, woher die Musik stammte. Sie wusste, wer sie besuchte. Und sie wusste, dass der Schmerz gleich wieder erwachen würde. Zögernd erhob sie sich, die Spieluhr sicher verwahrt in ihrer Hand. Ihr Blick fiel in die gegenüberliegende Ecke des Raumes, erhellt von dem trüben Licht einer schmierigen Öllampe. Zärtlich griff sie nach den Gitterstangen, schmiegte sich an sie und beobachtete mit ihren großen dunklen Rehaugen die Gestalt, die sich ihr langsam näherte. „Mein Liebster,“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein Hauch, eine Brise auf hoher See, „du kommst um mich zu holen.“, sagte sie hoffend. Sie klang zaghaft, aber innerlich jubilierend. Ihre dunkle Haut schimmerte bronzefarben im Antlitz der Kerzenflammen. Die Bemalung in ihrem Gesicht war verwischt durch die Strapazen, die sie während dieser Reise erdulden musste. Die zierlichen Punkte unter ihren Augen mündeten in verschwommenlängliche Striche, die das schummrigen Licht wie schwarze Tränen erschienen ließ. Der Boden knarrte bei jedem schwerfälligen Schritt auf dem schmatzenden Untergrund. Als die Gestalt ins Licht trat, glänzte das goldene Pendant umschlungen von einer Hand, aus Tentakeln geformt. Das kleine Zahnrad drehte sich rasch und unaufhaltsam im Werk, das so zerbrechlich da lag. Vor der Zellenwand baute sich zu voller Größe ein Mann auf, der versteckt unter schuppiger Haut, sein Leben in einem fischähnlichem Körper fristen musste. Sein Bart aus Tintenfischfangarmen wippte bei jeder Geste, bei jedem Schritt und ließ seine Gestalt noch abscheulicher erscheinen. Seine Mimik lag verschlossen unter einer kalten Fassade. Ausgemergelt und glasig erschien der trübe Blick seiner Augen. Seine Haltung verriet, dass er bereits kapituliert hatte. Kapituliert vor ihr. Sein Stolz ließ nicht zu, Schwäche zu zeigen. Dabei war sie der einzige Grund, wieso er zu dem wurde, was heute voller Ekel für sich selbst weilt. „Du hast mich also erwartet.“ Seine Stimme klang düster, bedrohlich, doch sie kannte ihn besser. Rasch antwortete sie, legte Schmerz und Sehnsucht in ihre Worte, die wie ein Gebet klangen. „Das war die schlimmste Folter. Eingesperrt in diesem erdrückenden Körper,“ Voll Abneigung blickte sie an sich herab „abgeschnitten von der See - von Allem, was ich liebe... von dir.“ Wie einen Kuss überbrachte sie den letzten Teil ihrer Nachricht. Verletzbar klammerte sie sich ans Gitter, brachte Worte süß wie Honig auf ihren schwarzen Lippen zur Welt. Unbeirrt für er fort: „Zehn Jahre habe ich mich der Aufgabe gewidmet, die du mir aufgetragen hast. Zehn Jahre habe ich mich um Jene gekümmert, die auf See ihr Ende fanden...“ Sie neigte schuldbewusst den Blick, in ihren Augen glänzte Trauer. „... und schließlich als die Zeit kam und wir wieder hätten vereint sein können, warst du nicht da.“ Keineswegs versuchte er den Groll gegen sie zu verhehlen. Mit einer ruckartigen Bewegung ließ er sein Gegenstück zu ihrem Medaillon laut zuschnappen. Er war ihr Gesicht nur noch im Halbprofil, voll Kummer entstellt. „Warum warst du nicht da?“, fragte er sie. „Das ist meine Natur.“ Sie biss die Zähne aufeinander. Ihre Lippen verengten sich. „ Würdest du mich lieben, wenn ich etwas anderes wäre, als ich bin?“ Sie schüttelte sanft den Kopf, versuchte sich zu entschuldigen, sich selbst zu akzeptieren. Mit einer schnellen Bewegung wandte er sich ab und wich zurück. Kaltherzig entgegnete er: „Ich liebe dich nicht.“ Seine Worte sollten wie Speere sein, sollten sie treffen, ihr wehtun. Zu gleich bereute das Gesagte. Er war auf ewig an sie gebunden. Und das wusste er auch. Tia Dalma. Calypso. Seine Göttin. „Du warst vieles Davy Jones – aber niemals grausam.“, sagte sie, die sie seine Lüge durchschaute. Sie wanderte am Käfig entlang und suchte seinen Augenkontakt. Ihre Stimme wurde hart. „Du hast deine Aufgabe verraten.“, warf sie ihm vor. „Und somit dich selbst.“ Ihre Stimme bröckelte und ließ einen Teil der Kälte verschwinden, die sie eigentlich aufbringen wollte. „Und du hast das versteckt, was immer mein hätte sein sollen.“ Sie streckte eine Hand durchs Gitter, berührte seine Brust. Ihre Fingernägel glitzerten golden. Sein Atem ging keuchend, nur noch stoßweise. Die Fangarme an seinem Kinn begannen zu schrumpfen, es schmerzte, als seine Klaue einer menschlichen Hand wich. Erschrocken von ihr, aber auch von sich selbst, stand er da. Davy Jones, Geliebter und Liebender der wechselhaften See. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie sein menschliches Gesicht erblickte. Sie hatte beinahe vergessen, wie schön er war und wie viel Gefühl in seinen Augen lag. Sie berührte sein Gesicht. Ihre schmalen Finger fuhren zärtlich über seine Haut. Er schloss die Augen. Jede ihrer Berührungen brannte und der Kontakt ihrer Fingerspitzen schmerzte ihn. Sich das Herz herauszuschneiden, hatte nichts geholfen. Er tat es, um nicht mehr an sie denken zu müssen. Loslassen zu können. Sie nicht mehr lieben zu müssen. Es half nichts. Er spürte sie; spürte seine eigenen Gefühle für sie. Er fasste Mut und schob seine Hand vorsichtig in ihr Gefängnis, berührte mit den Fingerkuppen ihren dunklen Teint. Er streichelte ihre Wange. „Calypso“, flüsterte er. Reflektionen des Mondlichts, das durch ein Bullauge ins innere der Pearl fiel, tanzten in hellblauen Kleidern Myriadenfach an der Decke. Entschlossen blickte sie ihn an. „Ja, ich werde frei sein. Und wenn ich das bin, werde ich dir mein Herz schenken.“ Sie seufzte. „ ...Und wir wären vereint für immer. Wenn auch du ein Herz hättest, das du verschenken könntest.“ Sie ließ ab von seinem Gesicht, das sie eben liebkost hatte. Während ihre Finger sanken, verwandelte er sich in sein altes Antlitz. Seine Haut legte sich in Falten, wurde schuppig und hatte nichts gemein, mit dem Davy Jones, der eben vor ihr stand. Gekränkt stand er vor ihr, gekränkt über die Anschuldigung, die sie ihm entgegenbrachte. Jedoch, hatte er etwas anderes begehrt? Keineswegs. Wieso fühlte er sich nun schrumpfen, unbedeutend werden, vor ihrem Angesicht? Mit einer blitzschnellen Bewegung schlossen sich die Zangen seiner Pranke um ihren Hals, ließen sie röcheln. Ihr Augen weiteten sich und traten aus ihren Höhlen hervor, ihre Lippen bebten. Calypso spürte keine Angst, sie spürte Trauer und Enttäuschung. „Wieso bist du gekommen?“, brachte sie unter Anstrengung hervor. Warum besuchte er sie? War er gekommen um ihr Retter zu sein? Sie ermahnte sich selbst, ihre Gefühle im Zaum zu halten, kühl und distanziert zu wirken. Davy Jones fühlte ihr warmes Blut, welches durch die Hauptschlagader ihres Halses floss, selbst durch die Panzerung seiner Krabbenschere. Entsetzt über sich selbst und seine Handlung, entsetzt über die Zerbrechlichkeit Tia Dalmas irdischen Körpers, ließ er sie los. Hastig zog er die Schere zurück, doch sie blieb in dem viel zu kleinen Gitter stecken. Für den Bruchteil einer Sekunde schloss er die Augen, wünschte sich weit fort. Weit fort, wo er ihr nicht weh tun konnte. Er zog noch einmal, diesmal deutlich stärker. Schwielen und Risse taten sich auf der rauen Oberfläche auf und es knackte deutlich. Der Schmerz, den er erduldete, als seine Knochen barsten, verheimlichte er unter der Fischfratze, die er so lange schon trug. Am liebsten hätte er sich den Arm selbst herausgerissen, nur um fort zu sein. Ihr wehleidiger Blick brannte schlimmer als Hohn oder Spott. Mit ihren Augen sah sie nicht Davy Jones, den Missgestalteten, den Teufel der Meere. Sie sah Davy Jones, ihr Herz, ihren Kummer, ihre Liebe. Sie fragte sich, was bloß aus ihm geworden sei. Wieso, er sich und sie verriet. Warum hatte er sie verraten und in diesen menschlichen Körper sperren lassen? Sie versuchte ihn zu verstehen. Für einen kurzen Augenblick tat sie es sogar. Begriff, wieso er dies alles für sie beide tat und wieso er so litt. Er atmete aus, trat durch das Gitter und drängte sie bei Seite. Je näher er trat, umso weiter wich sie vor ihm zurück. Sie wollte den sicheren Abstand zwischen ihnen wahren, denn selbst sie, die Göttin der Meere, wusste nicht, wozu ein vom Leben verratener Kapitän fähig war. Voller Stolz und Anmut bot sie ihm die Stirn, sie bereute ihre Schritte zurück, ihren Anflug von Furcht. Selbst jetzt hörte sie noch die Melodie ihrer beiden Spieluhren, die sie für Ewigkeit aneinander banden. „Und welches Schicksal hast du für deine Peiniger vorgesehen?“, fragte er sie und versuchte über seine eigene Pein hinweg zu täuschen. Ihn tiefes Grollen drang aus seiner Kehle. Er wusste, auch er war ihr Peiniger, verdiente Strafe und unsägliche Schmerzen der Vergeltung. Augenblicklich wurde sie kalt. Ebenso unbeständig wie sie See, war ihr Temperament und ihre Laune. „Du meinst den Hohen Rat?“ Voller Wut und Hass waren ihre Worte und zeigten keinen Funken der Wärme, mit welcher sie sonst zu Jones sprach. Er spürte, wie sich etwas in ihr aufbäumte. Wilde Rage und der Wunsch nach Rache brannten in ihren Augen. Insgeheim war er beruhigt, dass sie keine Rache ihm gegenüber hegte. Dennoch war er sich sicher, würde er keine Reue zeigen, würde sie ihm nie vergeben. Darum bitten, das wollte er niemals. Er wollte es ihr zeigen, in kleinen Zeichen, die sie selber zu deuten hatte. Er vertraute ihr noch immer. Sie wartete nicht auf seine Antwort und wandte sich ab. Sie wollte nicht, dass er ihr vor Zorn verzerrtes Gesicht sah, auch wenn ihre Stimme nur zu gut wiedergab, von welcher Abscheu sie erfüllt war. „Das Letzte, das ein Jeder von ihnen lernen wird,“ Sie schob sich an den beengenden Stangen entlang und fuhr mit den Fingern sanft über den Rost, „ist,...“ Sie machte eine kurze Pause und umkrallte das Gitter mit ganzer Kraft, dass sich die eisernen Späne in ihre Hand bohrten und ihre Flächen verfärbten, „... dass ich sehr grausam sein kann.“ Ihre Stimme war das kratzige Fauchen eines Raubtieres, eingesperrt in einem lächerlichen Käfig und zur Schau gestellt. Er senkte das Haupt und atmete deutlich aus. Davy Jones wandte sich nicht zu ihr um, als er beschloss zu gehen. Sein Holzbein kratzte über die alten Dielenbretter und ließ ihn hinken. Calypso aber wandte sich um. Ihre Wut war ebenso plötzlich verraucht, wie sie zuvor gekommen war. Sie wollte ihn nicht schon wieder verlieren. Nicht nachdem er ihr sagte, er würde sie nicht lieben. Eine kleine Geste, einen Trost, mehr verlangte sie nicht. Sie brauchte nicht viel um die Enge dieser kleinen Kajüte zu ertragen. Noch weniger brauchte sie, um ihren eigenen Körper zu ertragen, wenn sie ihm auf diese Weise nahe sein konnte. „Und was ist mit deinem Schicksal?“, platzte es aus ihr heraus. Sorge verriet nur der Glanz ihrer Augen. „Davy Jones?“ Sie sprach leise, sprach mit seiner menschlichen Seite und nicht mit dem Ungeheuer, das Andere in ihm sahen, wollte sicher gehen, dass er sie hörte und vor allem nicht ignorierte. Er hielt inne, drehte sich aber nicht ganz zu ihr um, als er seinen Namen vernahm. Die Zärtlichkeit, mit der sie sprach und welche wie auf Wellen getragen wurde, verschlag ihm fast den Atem und ließ seinen Geist benebelt taumeln. „Mein Herz hat immer dir gehört.“ Damit ließ er sie stehen. Ließ sie zurück in der fesselnden Kajüte, in ihrem fesselnden Körper. Sie wandte sich wieder um, lächelte und spürte eine innere Wärme in sich aufsteigen. Calypso erinnerte sich daran, wie es war, als sie auf ihn wartete und sich sehnte. Wie sie fast verging vor Sehnsucht und Herzblut. Sie spürte sein Herz in ihrer Brust schlagen. Auch wenn dieses Organ in einer Kiste, verschlossen, verwahrt und beschützt vor der Grausamkeit der Vergänglichkeit lag, fühlte sie die Inbrunst und Leidenschaft, die dieses ewige Pochen verkörperte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)