Vermisst von Mono-chan (letztes Kapitel ist hochgeladen :-)) ================================================================================ Kapitel 1: Kojiros Besuch ------------------------- Kapitel 1: Kojiros Besuch Es war ein heißer Tag im Hochsommer. Die Luft flirrte in der Sonne, und wer irgendwie die Gelegenheit dazu hatte, verkroch sich im Schatten oder an einem kühlen Ort und verbrachte die Zeit damit, sich möglichst wenig zu bewegen. So kam es auch, dass nach Schulschluss das Gelände der Nankatsu-Schule wie leer gefegt war. Schließlich waren alle wichtigen Sportturniere bestritten, und es gab keinen Grund, sich bei dieser Hitze abzumühen. So dachten zumindest die meisten. Einzig auf dem Fußballplatz herrschte Hochbetrieb. Die Stammmannschaft trainierte ungeachtet des heißen Wetters mit heller Begeisterung, und ihre Zurufe hallten über den ganzen Platz. Sanae saß auf einer Bank im Schatten eines großen Kirschbaumes und beobachtete das Treiben mit einem leichten Lächeln. Zu ihren Füßen stand eine große Kühlbox mit Getränken. Die anderen beiden Betreuerinnen und sogar der Trainer Kutami hatten es heute ebenfalls vorgezogen, den Tag anders zu verbringen, offiziell fand das Training gar nicht statt. Dennoch hatte sich die Nankatsu-Elf – und auch Sanae – in stummer Absprache auf dem Fußballplatz getroffen. Unwillkürlich suchte sie Tsubasa im Getümmel. Natürlich war er so ziemlich am aktivsten, hatte gerade einen Pass zu Kisugi geschossen und dirigierte gleichzeitig die Abwehr, um den drohenden Angriff abzuwehren. Als Sanae ihn beobachtete, konnte sie nicht verhindern, dass Wehmut in ihr aufflackerte. Er war erst seit wenigen Wochen wieder voll einsatzfähig, es hatte lange gedauert, bis seine Verletzungen auskuriert waren. Offiziell hatte er immer noch die Anweisung, sich zu schonen, aber natürlich hielt er sich nicht daran. Seine Teamkameraden wußten noch nicht einmal etwas davon, er hatte es nur Sanae erzählt. Sie wusste, dass er es genoss, wieder richtig auf dem Feld zu stehen und vor allem das halbe Jahr bis zu seiner Abreise gemeinsam mit seinen Freunden spielen zu können. Umgekehrt war es natürlich genauso – die Nankatsu-Mannschaft war froh, ihren Kapitan wieder zu haben. Kein Wunder, dass heute alle mit so viel Begeisterung spielten, genau wie die ganzen letzten Wochen. Sanae seufzte unwillkürlich. Der Gedanke an den Abschied von ihm tat weh, obwohl – oder gerade weil – sie das Gefühl hatte, dass er mehr in ihr zu sehen begann als nur eine gute Freundin. Sanae straffte sich innerlich. Trauern brachte nichts, besser sie konzentrierte sich auf die Gegenwart. „ACHTUNG!“ Sanae zuckte zusammen, hob den Kopf – und sah gerade noch einen Fußball auf sich zurasen. Mit einem erschrockenen Quietschen warf sie sich zur Seite und fiel dabei von der Bank. Der Ball prallte an den Baumstamm und löste einen Blätterregen aus. Die Anderen unterbrachen ihr Training und liefen zu ihr hinüber. „Alles in Ordnung, Sanae?“ „Ja ja.“ Sanae rappelte sich wieder auf und funkelte ihre Freunde wütend an. „Und welcher Idiot hat mich mit einem Tor verwechselt?“ Alle traten einen Schritt zurück – alle bis auf Ryo, der plötzlich mehrere Zeigefinger auf sich gerichtet sah. „Äh....“ Er räusperte sich und kratzte sich verlegen. „Sorry?“ Sanae holte tief Luft und wetterte los. „Von wegen sorry! Na warte!!!“ „Uah!“ Ryo ergriff die Flucht, und Sanae folgte ihm unter allgemeinem Gelächter. „Ich glaube, dass wird sich nie ändern.“ „Armer Ryo...“ „Selber Schuld, wenn er nicht zielen kann.......“ Auch Tsubasa musste lachen. Szenen wie diese würde er sicher vermissen. „Bekommt Ishizacki wieder ein Spezialtraining?“ Verdutzt wandten sie sich um. „Kojiro? Was machst du denn hier?“, fragte Tsubasa verdattert. In der Tat, Kojiro schlenderte gemütlich zu ihnen hinüber. „Dachte ich's mir doch, dass ihr keine Trainingspause macht heute. Bei allen Schulen ist im Moment Sport-Flaute, das ist richtig langweilig.“ Tsubasa lächelte leicht. „Ihr seid wahrscheinlich auch nicht gerade faul, oder?“ „Richtig geraten.“ Kojiro grinste. „Schließlich wollen wir euch das nächste Mal richtig besiegen, ein unentschieden kommt kein zweites Mal in Frage.“ „Da haben wir aber auch noch ein Wörtchen mitzureden!“, japste Ryo im Vorbeirennen, der den letzten Satz Kojiros gehört hatte. Sanae war ihm immer noch schimpfend und zeternd dicht auf den Fersen. „Hm...“ Taki grinste ebenfalls. „Irre ich mich, oder hat Sanae eine verdammt gute Kondition?“ „Jahrelanges Training.“, kommentierte Kisugi trocken, und erneutes Gelächter war die Folge. „Das ist gemein!“, protestierte Ryo, als er erneut an seinen Freunden vorbei rannte. „Hilfe! Aua!“ Sanae hatte ihn erwischt, am Kragen gepackt und eine Kopfnuss gegeben. Dann ließ sie den jammernden Jungen stehen und kam ebenfalls zu den Freunden hinüber. „Hallo, Kojiro! Was machst du hier? Willst du bei uns mittrainieren, weil es dir in Toho nicht mehr gefällt?“, meinte sie mit einem herausfordernden Lächeln. „Wohl kaum.“ Kojiro nahm ihr diesen Scherz nicht übel. Es hatte eine Zeit gegeben, wo sie nicht gut miteinander ausgekommen waren, aber seit dem letzten Schulturnier hatte sich einiges geändert. Er wandte sich wieder an Tsubasa. „Wie sieht's aus? Lust auf ein Freundschaftsspiel?“ „Was?“ Tsubasa blinzelte verdutzt. „Du hast schon richtig verstanden. Ein Freundschaftsspiel, zwischen Nankatsu und Toho. Ich habe die ganze Zeit darauf gewartet, dass du wieder fit bist! Unser Leistungsvergleich steht noch aus!“ „Tut er das?“, mischte sich Ryo frech ein, der sich von seiner Kopfnuss erholt hatte und sich nun zu den Anderen gesellte. „Meiner Meinung nach sind wir euch haushoch überlegen. Immerhin haben wir euch gut in Atem gehalten, obwohl Tsubasa verletzt war. „Dann habt ihr ja nichts zu befürchten.“, konterte Kojiro mit einem überlegenen Lächeln, bevor er wieder Tsubasa ansah. „Also, was ist?“ Tsubasa tauschte kurz einen Blick mit seinen Freunden aus, bevor er ebenfalls lächelte und Kojiros Hand ergriff. „Einverstanden. Wann?“ „In zwei Tagen auf dem Fußballplatz, wo ihr früher immer trainiert habt. Natürlich nur, wenn es euch nichts ausmacht, direkt hier in Nankatsu zu verlieren.“ „Das werden wir noch sehen. 17.00 Uhr?“ Kojiro nickte zufrieden. „Dann bis übermorgen!“ *** „Irgendwie überrascht es mich nicht, dass Kojiro aufgetaucht ist.“ Tsubasa verschränkte die Hände hinter dem Kopf. „Er ist viel zu ehrgeizig, um ein Unentschieden auf sich sitzen zu lassen.“ Sanae lächelte. „Dir passt die Herausforderung aber auch ganz gut, oder?“ Tsubasa wurde für ein paar Sekunden verlegen, hatte sich aber schnell wieder im Griff. „Stimmt schon. Immerhin habe ich so die Chance, noch mal mit den anderen gegen Toho zu spielen. Das letzte Mal....na ja, es war spannend, aber nicht wirklich angenehm.“ Sanae nickte, ohne zu antworten. Es war angenehm kühl geworden, es dämmerte bereits. Die Beiden befanden sich auf dem Heimweg, wie immer in letzter Zeit alleine. Die Anderen schlichen sich jedes Mal unter irgendwelchen Vorwänden davon. Tsbuasa vermisste die gemeinsamen Spaziergänge, aber auf der anderen Seite genoß er die Zeit, die er mit Sanae alleine verbringen konnte. „Sind zwei Tage nicht etwas kurz, um sich auf das Spiel vorzubereiten?“, meinte Sanae jetzt und riß ihn damit aus seinen Gedanken. „Nein, das glaube ich nicht. Wir waren die letzten Tage nicht gerade faul, und ich denke auch nicht, dass sich Kojiro ausgeruht hat. Er wäre nicht hergekommen, wenn er nicht vorbereitet wäre.“ „Und du fühlst dich auch wieder fit genug?“ „Sicher. Oder habe ich die letzte Zeit den Eindruck gemacht, dass ich nicht fit bin?“ „Nein. Aber das will nichts heißen bei dir.“ Tsubasa musste lachen. „In Ordnung, 1:0 für dich. Aber ich kann dich beruhigen, mir geht’s wirklich wieder gut.“ Sanae musste ebenfalls kichern, dann wechselte sie das Thema. „Ist deine Mutter eigentlich schon abgereist?“ „Ja, heute morgen, ziemlich früh. Sie hat eine ellenlange Liste dagelassen mit Sachen, die ich erledigen soll.“ „Also nichts mit extra lang auf dem Fußballplatz bleiben und trainieren, hm?“, neckte Sanae. „Nein, leider nicht.“ Tsubasa seufzte. „Das wäre mir wesentlich lieber.“ „Glaube ich dir sofort.“ Sanae lachte. „Aber ich denke, allzu viel wird sie dir schon nicht aufgehalst haben.“ „Na ja, viele Kleinigkeiten eben.“ „Wenn du willst, kann ich ja bei Gelegenheit vorbei kommen und dir helfen.“ Im nächsten Moment hätte sie sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Verlegen blickte sie zur Seite. Was redete sie denn da? Sich einfach so selber einladen.... Tsubasa sah sie überrascht an. „Würdest du das wirklich machen? Ich meine....“ Er brach ab, jetzt ebenfalls verlegen geworden. „Na ja, ich hab dich eigentlich sowieso fragen wollen, ob du Lust hast, morgen abend vorbei zu kommen. Das Haus ist so leer, und......also versteh das nicht falsch, nicht wegen dem Haushalt oder so....“ Er brach erneut ab. Was redete er da überhaupt für einen Schwachsinn?! Sanae hatte sich wieder im Griff, auch wenn ihr Herz so heftig gegen ihre Rippen schlug, dass es schmerzte. „Wann passt es dir denn? So um acht? Aber ums Essen kümmerst du dich, klar?“ Tsubasa lächelte erleichtert. „Wenn's weiter nichts ist.....ich meine, wenn du wirklich mit dem zufrieden bist, was ich zustande kriege....“ „Solange es nicht giftig ist.“ Sanae lachte. „So, aber ich muss jetzt hier lang. Wir sehen uns dann morgen in der Schule, ja?“ „Geht klar. Bis morgen!“ „Bis morgen!“ Sanae lächelte ihn glücklich an, dann lief sie davon. Tsubasa blickte ihr einen Moment lang hinterher, um zu begreifen, was gerade passiert war. Erst dann setzte er seinen Weg fort. Am liebsten wäre er vor Freude gerannt, aber er beherrschte sich. Er hatte bereits am Morgen mit dem Gedanken gespielt, Sanae einzuladen – nein, genau genommen seit er wußte, dass seine Mutter für drei Wochen seinen Vater in England besuchen würde. Aber dass er sich wirklich traute, dieses Vorhaben auch in die Tat umzusetzen.... Er lächelte glücklich. Jetzt musste er nur noch alles organisieren für morgen abend..... In diesem Moment hörte er Schritte hinter sich. Nanu? Hatte Sanae etwa was vergessen? Tsubasa wollte sich gerade umdrehen, als er auch schon einen heftigen Schlag gegen die Schläfe bekam. Er konnte nicht einmal schreien. Stechender Schmerz zuckte durch seinen Kopf, er fiel und spürte gerade noch den harten Aufschlag, bevor es dunkel um ihn herum wurde. Kapitel 2: Ein Poster --------------------- Kapitel 2: Ein Poster Sanae wachte auf und fühlte sich glücklich. Sie lag in ihrem Bett und lächelte die Zimmerdecke an. Sie konnte nicht mal sagen, wieso. Sie war einfach – glücklich. Natürlich glitten ihre Gedanken sofort zu der Verabredung am Abend. Und natürlich war sie genau mit diesem Gedanken eingeschlafen und hatte sich mehrmals selbst überzeugen müssen, dass alles kein Traum war. Zwei Mal hatte sie gestern abend noch Yukari angerufen und mit ihr ausführlich darüber geredet, so lange, bis ihre Freundin ihr schließlich ins Wort fiel. „Sanae, du tust gerade so, als wärst du noch nie bei Tsubasa zuhause gewesen!“, meinte sie leicht genervt, aber auch mit einem Hauch Belustigung in der Stimme. „Ja, aber er hat mich noch nie eingeladen – na ja, nicht so, zumindest!“ „Ich weiß, das hast du mir ungefähr hundert Mal erklärt! Trotzdem würde ich jetzt gerne schlafen. Wir können morgen ausführlich darüber quatschen, so lange du willst, aber ich für meinen Teil wäre gern beim Unterricht einigermaßen wach.“ „Aber ich kann jetzt nicht schlafen, Yukari!“ „Nein? Dann willst du morgen beim Fußballtraining einpennen, ja? Was meinst du, was Tsubasa da von dir denkt?“, neckte sie. Sanae schwieg kurz, dann seufzte sie theatralisch. „Gute Nacht.“ Sie schnitt Yukaris Gelächter ab, in dem sie auflegte, und konnte sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen. Und jetzt lag Sanae seit gut zehn Minuten wach in ihrem Bett und lächelte verträumt die Zimmerdecke an. Sie lächelte so lange, bis es energisch an ihre Tür klopfte. „Sanae! Bist du auf? Du kommst zu spät zur Schule!“ „Ja ja.“, meinte Sanae abwesend. „Komme gleich.“ „Beeil dich!“ „Ja ja....“ Sanae kam plötzlich ein neuer Gedanke. Sie blickte auf die Uhr. Kurz nach sieben. Das bedeutete, dass Tsubasa wahrscheinlich wie immer bereits auf dem Fußballplatz war und trainierte. Er war immer als erster da, und die letzten Tage hatte Sanae immer die Chance genutzt, um ebenfalls zu früh zu kommen und auf diese Weise ein paar Minuten mit ihm allein zu sein. Heute würde sie das wohl nicht schaffen, aber dafür sah sie ihn ja heute abend. Heute abend .... Ihr Herz begann wieder schneller zu schlagen beim Gedanken daran. Mit plötzlicher Motivation schlug sie die Bettdecke zurück und stand auf. In ihr war ein Entschluss gereift. Es hatte eh keinen Sinn, sich jetzt noch zu beeilen, um mit Tsubasa allein sein zu können, die anderen würden wesentlich schneller da sein als sie. Warum also diese Hektik? Sie würde zur Abwechslung gemütlich frühstücken und dann genauso gemütlich zur Schule laufen. Dann würde sie den Rest des Fußballtrainings beobachten, sich so gut wie möglich auf den Unterricht konzentrieren und direkt wenn sie zuhause war ihre Hausaufgaben machen. Und danach blieb sogar noch Zeit für ein entspannendes Bad, bevor sie zu Tsubasa ging. Sanae schmunzelte, als sie daran dachte, dass sie vielleicht noch einen Flyer vom Pizza-Dienst mitbringen sollte. Sie hatte noch nie mitbekommen, dass Tsubasa kochen konnte. Gut gelaunt marschierte sie zum Kleiderschrank, klemmte sich ihre Klamotten unter den Arm und ging unter die Dusche. *** 45 Minuten später betrat Sanae nach wie vor gut gelaunt das Schulgelände. Sie schlängelte sich an ihren Mitschülern vorbei Richtung Fußballplatz. Schon von weitem war das Geschrei der Nankatsu-Elf zu hören, ab und zu noch von Herrn Kutamis Anweisungen übertönt. Und noch jemanden erkannte Sanae sofort – Kumi. Ihre Anfeuerungsrufe waren so schrill und aufgedreht wie eh und je. Normalerweise ärgerte sie sich darüber, aber heute war es ihr egal. Die Vorfreude auf die Verabredung mit Tsubasa überschattete alles. „Guten Morgen, Sanae!“ Sie zuckte zusammen, als ihr jemand eine Hand auf die Schulter legte, und wandte den Kopf. „Oh, guten Morgen, Yukari!“ Ihre beste Freundin musterte sie prüfend und begann zu lachen. „Dachte ich's mir doch! Du strahlst wie ein Honigkuchenpferd.“ „Tue ich gar nicht!“ „Schon mal in den Spiegel gesehen?“ „Bäh!“ Sanae streckte ihr die Zunge heraus und beschleunigte ihre Schritte.Yukari musste sich beeilen, um zu ihr aufzuholen. „Hey, warte auf mich!“ „Wie komme ich denn dazu?“ Sanae grinste, und auch Yukari musste lachen. Im nächsten Moment blieb Sanae abrupt stehen, so dass ihre Freundin beinahe gegen sie geprallt wäre. „Hey, pass doch auf! Was ist denn?“ Sanae ließ den Blick verwundert über den Fußballplatz wandern. „Tsubasa ist nicht da.“ „Was?“ Yukari blinzelte verdattert und sah sich ebenfalls suchend um. „Stimmt. Zumindest sehe ich ihn nicht.“ In der Tat war die Fußballmannschaft fleißig am trainieren – nur Tsubasa fehlte. Sanae hatte plötzlich keine gute Laune mehr. Sie ging zum Trainer hinüber. „Herr Kutami?“ „Oh – da bist du ja. Guten Morgen! Wir haben uns schon gefragt wo du bleibst.“ „Haben Sie Tsubasa gesehen?“ Herr Kutami schüttelte den Kopf. „Nein, heute morgen noch nicht. Wir haben uns auch schon gewundert, aber wir haben gedacht, vielleicht kommt er mit dir zusammen.“ Sanae tauschte einen Blick mit Yukari auf. „Ich habe ihn auch nicht getroffen heute. Ich dachte, dass er wie immer um sieben schon auf dem Platz ist und spielt.....“ Herr Kutami zuckte mit den Schultern. „Vielleicht hat er verschlafen. Hey, Izawa, pass besser auf wo du hinschießt! Und früher passen!“ Sanae zog Yukari ein Stück zur Seite. „Das passt überhaupt nicht zu Tsubasa!!“ „Was? Das er verschläft?“ Yukari schmunzelte. „Nein, da hast du recht. Normalerweise ist er hier immer pünktlich oder zu früh, und pennt dafür im Unterricht ein.....“ Normalerweise hätte Sanae über diesen Scherz gelacht – vor allem weil es stimmte, sie hatte Tsubasa mehr als einmal unauffällig angeschubst, um ihn aufzuwecken – aber heute war ihr nicht danach zumute. „Hier stimmt was nicht, Yukari!“; meinte sie beeunruhigt. „Vielleicht ist er krank, oder.....“ „Sanae, reg dich ab! Selbst so ein Super-Spieler wie Tsubasa kann mal verschlafen. Wahrscheinlich taucht er innerhalb der nächsten Viertelstunde total abgehetzt hier auf. Du hast doch selber gesagt, dass seine Mutter nicht da ist, da kann es doch sein dass er den Wecker überhört hat.“ „Aber es geht um Fußball!“ „Ja, es geht um Fußball, aber ich denke Tsubasa hat gestern bewiesen, dass er erkannt hat, dass es auch noch andere Dinge im Leben gibt.“ Yukari blinzelte ihr zu. „Wer weiß – vielleicht ist er auch dabei, euren Abend zu planen, und hat deswegen keine Zeit.“ Sanae wurde leicht rot. „Unfug!“; meinte sie ungehalten. „Das kann gar nicht sein.....er würde niemals ein Training ausfallen lassen.....“ „Jetzt mach dich nicht verrückt. Du wirst sehen, in ner halben Stunde fragst du dich, warum du dir überhaupt Sorgen gemacht hast. Und jetzt komm, wir können noch die Trikots waschen, bevor der Unterricht anfängt. Die werden sie morgen im Spiel brauchen.“ Ohne ihr eine Chance zum Protest zu lassen, hatte sie ihre Freundin bereits am Arm gepackt und zog sie mit sich. Sanae wehrte sich nicht. Wahrscheinlich hatte Yukari recht, aber das ungute Gefühl wollte beim besten Willen nicht verschwinden. Was, wenn Tsubasa doch wieder Probleme mit seiner Schulter oder seinem Bein hatte? Oder wenn er überraschend krank geworden war? Sie schob den Gedanken energisch zur Seite. Keine Panik! Bestimmt war Tsubasa bald hier!! *** Das Training war vorbei, und Tsubasa war nicht aufgetaucht. Langsam wunderten sich auch seine Mannschaftskameraden. Nachdem sie sich umgezogen hatten, gingen Ryo und Izawa zu Sanae und Yukari hinüber, die damit beschäftigt waren, die Trikots zum Trocknen aufzuhängen. „Habt ihr eine Ahnung, wo Tsubasa steckt?“, wollte Ryo wissen. Yukari schüttelte den Kopf. „Nö. Ist er immer noch nicht da?“ „Nein – Sanae, weißt du was?“ „Nein.“ Sanae biss sich auf die Lippen. „Ich habe eigentlich gehofft, dass er sich wenigstens bei euch gemeldet hat....“ „Fehlanzeige.“ Izawa kratzte sich verwundert. „Komisch. Ich glaube, er hat noch nie ohne triftigen Grund ein Training ausfallen lassen.“ „Na, daraus müssen wir wohl schlußfolgern, dass er einen triftigen Grund hat.“, grinste Ryo. „Tsubasa hat noch überhaupt nie ein Training ausfallen lassen.“; widersprach Sanae. „Zumindest nicht, wenn er gesund war. Und schon gar nicht, wenn morgen ein Spiel statt findet!“ „Jetzt wartet doch erst mal ab.“, dämpfte Yukari. „Mich würde es wirklich nicht wundern, wenn er einfach nur verschlafen hat und erst zum Unterricht kommt. Das passiert hier schließlich öfter, warum soll es auch nicht mal Tsubasa passieren?“ „Weil er Tsubasa ist.“; meinte Izawa trocken. Er blickte Sanae an. „Weißt du was, ob seine Verletzungen wirklich wieder in Ordnung sind? Vielleicht hat er's gestern wieder übertrieben mit dem Training und kann deswegen heute nicht kommen.....“ Sanae zuckte hilflos mit den Schultern. „Nein – er hat gesagt, dass es ihm gut geht, und ich hatte eigentlich auch nicht den Eindruck, dass er Probleme hat.“ „Hm.....seltsam.“ „Wir müssen auf alle Fälle die Trikots weiter aufhängen und dann zum Unterricht.“, beendete Yukari die Diskussion. „Ich wette mit euch, dass Tsubasa bereits im Klassenzimmer auf euch wartet!“ *** Yukari verlor die Wette. Als Sanae kurze Zeit später das Klassenzimmer betrat, war sein Platz leer. Die Anderen von der Fußballmannschaft waren bereits alle da und augenscheinlich auch etwas beunruhigt. Sie tuschelten untereinander und blickten immer wieder zu dem leeren Stuhl in der dritten Reihe hinüber. Sanae wäre am liebsten aus dem Raum gerannt, um bei Tsubasa zuhause anzurufen, aber leider kam im diesen Moment der Mathelehrer in das Zimmer. Sie setzte sich auf ihren Platz – direkt hinter Tsubasas – und starrte wie hypnotisiert auf die Stuhllehne vor sich. Wo zum Teufel steckte er nur? Schule war ihm zwar nicht wichtig, aber das Training zu schwänzen und dann auch noch den Unterricht zusätzlich, passte überhaupt nicht zu ihm. Eigentlich passte schwänzen generell überhaupt nicht zu ihm. Sie wünschte sich, Yukari bei sich zu haben, die sie wenigstens etwas beruhigen konnte, aber ihre Freundin besuchte leider eine Parallelklasse. Die Blicke aus den Augenwinkeln, die Tsubasas Teamkameraden immer wieder zur dritten Reihe warfen und die zeigten, dass sie die ganze Sache auch nicht verstanden, waren nicht wirklich aufbauend. Sanae erlebte den längsten Schultag ihres Lebens. In jeder Pause stürmte sich nach draußen und rief bei Tsubasa zuhause an. Sie erreichte jedes Mal dasselbe Ergebnis, nämlich nichts. Es nahm keiner ab. Als die Anderen das mitbekamen, wuchs ihre Unruhe in gleichem Maße. Der letzte Strohhalm, an den sich alle klammerten, war, dass er sich irgendwo einen Trainingsplatz für ein Solo-Training gesucht hatte. „Immerhin ist Kojiro vor dem letzten Spiel auch einfach abgehauen.“, meinte Taki vor der letzten Stunde zum hundersten Mal. „Aber Tsubasa ist nicht wie Kojiro.“; widersprach Sanae genau wie die Male zuvor. „Für ihn ist Teamplay doch immer am wichtigsten gewesen.....da muss irgendwas passiert sein!“ „Hör auf, dich noch mehr da reinzusteigern!“, wurde sie von Yukari beruhigt, die sich in der Pause zu ihnen gesellt hatte. „Das macht das alles nicht besser! Du darfst nicht immer vom Schlimmsten ausgehen!“ „Aber er ist nicht zuhause, und er ist nicht hier.....wo sollte er sonst noch sein?“ „Beim Einzeltraining! Oder ganz andere Idee: er ist zuhause und nimmt einfach nicht ab.“ „Warum sollte er?“ „Weil er mit Vorbereitungen beschäftigt ist?“, startete Yukari einen Versuch, ihre Freundin aufzuheitern, aber sie erreichte genau das Gegenteil. Sanae schickte ihr einen bösen Blick. Neugierige Fragen oder Witze von den Anderen wollte sie jetzt auf gar keinen Fall. Zu ihrer Erleichterung überhörten sie Yukaris letzte Äußerung. Statt dessen diskutierten sie weiter die Möglichkeit, dass Tsubasa es vorgezogen haben könnte, alleine zu trainieren. So unwahrscheinlich das auch war, es war immerhin eine Erklärung. Sanae konnte es kaum abwarten, bis die letzte Stunde endlich ebenfalls überstanden war und sie zurück zum Fußballplatz laufen konnte. Nahezu die komplette Fußballmannschaft folgte ihr, und unterwegs gabelten sie auch Kumi auf. Sie war die einzige, die den ganzen Morgen ziemlich unbeschwert gewesen war, aber sie hatte ja auch nicht mitbekommen, dass Tsubasa auch im Unterricht gefehlt hatte. Deswegen konnte sie die ganze Aufregung nicht wirklich nachvollziehen, trottete den Anderen aber dennoch hinterher. Sanae erreichte den Platz als erste und blickte sich erwartungsvoll um. Ihre Miene wandelte sich erst in Enttäuschung, dann in Besorgnis. Tsubasa war nicht da. „Er könnte woanders hingegangen sein zum trainieren.“, meinte Izawa halbherzig, als er sie gemeinsam mit den anderen erreicht hatte. „Wir müssen ihn suchen! Und wenn wir ihn gefunden haben, machen wir ihm die Hölle heiß, weil er uns nichts gesagt hat!“ beschloss Ryo. „Äh – Leute!“ Kisugi kratzte sich verwirrt. „Haben wir ein Poster an unserer Umkleidekabine?“ „Nein, warum?“ „Da hängt was.“ Die Anderen folgten seinem Blick. In der Tat, an der geschlossenen Tür schien etwas zu hängen,. Als sie näher kamen und erkennen konnten, was es war, stockte ihnen der Atem. „Ach du sch****!“, meinte Izawa heiser in die Stille hinein. Sanae war nicht in der Lage, etwas zu sagen. Sie starrte das Foto im DINA 4 Format an, dass jemand an die Tür gepinnt hatte. Es zeigte Tsubasa. Er lag mit auf den Rücken gefesselten Händen auf irgendetwas, das grau und schmuddelig aussah. Seine Augen waren geschlossen, ein Klebestreifen knebelte ihn, und die Jacke seiner Schuluniform war ziemlich mitgenommen. Was seine Freunde jedoch am meisten erschreckte, war die blutende Platzwunde an seiner Schläfe. Kapitel 3: Die Forderung ------------------------ Kapitel 3: Die Forderung „Das....das ist ein schlechter Scherz, oder?“, meinte Kisugi fassungslos und starrte das Foto geschockt an. „Wenn, dann ist es ein ziemlich geschmackloser Scherz.“ „Eine Fälschung vielleicht?“ „Wer sollte so was denn machen?“ Sanae hatte die ganze Zeit kein einziges Wort gesagt. Mit weit aufgerissenene Augen blickte sie die Fotografie an. Kumi neben ihr schluchzte erstickt und rannte plötzlich davon. Keiner achtete auf sie. „Das kann nicht sein.“, meinte Sanae heiser. „Das darf einfach nicht sein.....“ Ihr Blick klebte an der Platzwunde an Tsubasas Stirn fest. „Gestern abend sind wir doch noch zusammen nach Hause gegangen!“ Yukari legte ihr die Hand auf die Schulter, aber sie registrierte sie nicht. Izawa schluckte, dann löste er das Foto von der Tür. Es war mit Tesafilm befestigt worden, und es war nicht ganz leicht zu entfernen, aber endlich hielt er es in den Händen und zwang sich, genau hinzusehen. „Nach einer Fälschung sieht das nicht aus, leider....“, meinte er düster. „Anscheinend hat ihn irgendjemand niedergeschlagen.....“ „Hinten steht irgendetwas....“, meinte Ryo plötzlich. Er nahm ihm das Bild ab und drehte es um. Tatsächlich hatte jemand mit schwarzem Filzstift eine Botschaft auf die Rückseite geschrieben. WENN IHR MORGEN GEWINNT, IST ER SO GUT WIE TOT! KEIN WORT ZU IRGENDJEMANDEM! Jetzt wurde es endgültig totenstill. Shingo fand als erster die Sprache wieder. „D....das ist doch nicht wahr......die wollen ihn ernsthaft ..... ?“ „Ich hätte gleich wissen müssen, dass da was nicht stimmt!“, murmelte Ryo finster. „Tsubasa lässt nicht freiwillig ein Training ausfallen....“ Izawas Hände krampften sich um das Foto. „Wer zum Teufel macht nur so was?! Es ist nur ein verdammtes Freundschaftsspiel!!“ „Meint ihr....dass jemand von Toho.....?“, meinte Taki zögernd. „So ein Schwachsinn! Kojiro ist ein Idiot, aber fair!“, erboste sich Ryo. „So was würde er niemals machen! Davon abgesehen, er wollte doch unbedingt gegen Tsubasa spielen!“ Sanae konnte das alles nicht länger mit anhören. Während ihr stumme Tränen die Wangen hinunter rannen, wirbelte sie herum und rannte davon. Sie achtete nicht darauf, dass die anderen ihr hinterher riefen, noch bemerkte sie, dass Yukari ihr folgte. Das Foto hatte sich in ihr Gedächtnis eingebrannt, zusammen mit den Worten, die sie wie ein Mantra vor sich hinbetete. „Nur ein Scherz....nur ein Scherz.....nur ein Scherz....“ Sie musste sofort zu Tsubasa nach Hause und die Sache aufklären. Bestimmt war das Foto gefälscht, und er war seelenruhig daheim, und mit irgendwas wichtigem beschäftigt..... Sanae konnte sich später nicht mehr erinnern, wie sie zu Tsubasas Adresse gekommen war. Irgendwann stand sie vor der Tür und klingelte Sturm. Wieder und wieder. Niemand öffnete, und je länger es im Innern des Hauses still blieb, desto größer wurde Sanaes Panik. Sie begann, an die Tür zu hämmern und nach Tsubasa zu schreien, auch das blieb ohne Erfolg. Irgendwann hatte Yukari sie eingeholt und packte sie an den Armen. „Sanae, er ist nicht da! Das bringt nichts....“ „Doch, er ist da! Er muss da sein!“, widersprach Sanae unter Tränen und befreite sich aus ihrem Griff, um erneut auf den Klingelknopf zu drücken. „Er muss einfach da sein!!“ „Sanae...“ Yukari blieb hilflos neben ihrer Freundin stehen. Sie wußte nicht, was sie tun sollte. Schließlich riß sie Sanae fast gewaltsam von der Tür weg und schloss sie in die Arme, ungeachtet ihres Protestes. Das wirkte. Sanae hörte nach ein paar Sekunden auf, sich zu wehren, und weinte hemmungslos. „Mach dir keine Sorgen.“, meinte Yukari leise und wußte selbst, wie leer ihr Gerede klang. „Es wird bestimmt alles gut....“ „Wir waren doch verabredet heute abend.“; wimmerte Sanae erstickt. „Wir waren verabredet....“ Yukari strich ihr behutsam über den Kopf und sagte nichts mehr. Erst nach ein paar Minuten wurde Sanae wieder ruhiger. „Komm, wir müssen zurück zu den Anderen. Vielleicht haben sie schon einen Plan gefaßt, was wir machen sollen.“, meinte Yukari behutsam, sobald sie sicher sein konnte, dass sich ihre Freundin wieder einigermaßen im Griff hatte. Sanae nickte und wischte sich mit dem Ärmel die Tränen ab, bevor sie sich aus der Umarmung löste. „Packst du das?“, vergewisserte sich Yukari zur Sicherheit, und Sanae nickte wieder. „Wenn ich dieses Schwein in die Finger kriege, drehe ich ihm den Hals rum!“, meinte sie finster, und trotz der ernsten Situation musste Yukari lächeln. „Das klingt ganz nach der alten Sanae. Komm, gehen wir.“ Sie hakte sich bei ihr unter, und gemeinsam machten sie sich auf den Weg zurück zur Schule. Als sie die Stelle erreichten, an der sich Sanae gestern abend von Tsubasa getrennt hatte, verlangsamte sie ihre Schritte. „Hier haben wir uns gestern noch gesehen.“; meinte sie leise. Yukari befürchtete schon einen neuen Tränen-Ausbruch, aber statt dessen stieß Sanae plötzlich einen kleinen Schrei aus. „Da liegt was! Da drüben, im Gras!“ Und bevor Yukari reagieren konnte, hatte Sanae sich bereits aus ihrem Griff befreit und stolperte die Böschung hinunter. In der Tat, im hohen Gras lag etwas dunkles. Sollte etwa....? Plötzlich genauso aufgeregt hastete Yukari hinterher. Vielleicht hatte man nur ein Foto von Tsubasa gemacht und ihn dann wieder frei gelassen..... „Tsubasa?!“ Sanae schob das Gras zur Seite und erstarrte. Kein Tsubasa. Sie schluckte und hob die dunkle Lederschultasche auf, bevor sie sich zu ihrer Freundin umwandte, die atemlos hinter ihr stehen geblieben war. Stumm zeigte sie ihr das Fundstück. „Oje....“ Yukari blickte die Schultasche bestürzt an. „Das ist Tsubasas, oder?“ Sanae nickte und kämpfte die Tränen zurück. „Ja. Sie müssen ihn hier erwischt haben....“ Sie drückte die Tasche wie einen kostbaren Schatz an sich. *** An Training dachte nun natürlich keiner mehr. Sie tischten Herrn Kutami eine Ausrede auf und erreichten tatsächlich, dass sie den restlichen Tag frei bekamen, um sich „mental“ auf das Spiel morgen vorzubereiten. Er wunderte sich zwar, ging dann aber schulterzuckend nach Hause. Immerhin hatten die Jungs gestern komplett durchtrainiert, dafür hatten sie sich heute nachmittag ruhig eine Pause verdient. Kaum war er verschwunden, holten die Freunde das Foto aus dem Schrank, wo sie es beim Erscheinen des Trainers versteckt hatten. „Also, was machen wir jetzt?“, meinte Kisugi hilflos und blickte auf das Foto hinab, nachdem sie sich um den Tisch versammelt hatten und das Poster für alle sichtbar in der Mitte lag. „Die Polizei holen?“ „Bist du verrückt?!“, fuhr ihn Taki an. „Du hast die Botschaft doch gelesen! Kein Wort zu irgendjemandem! Was glaubst du, was passiert, wenn wir ausgerechnet zur Polizei gehen?“ Kisugi schwieg betreten. „Viele Möglichkeiten haben wir ja nicht.“, meinte Izawa düster. „Es ist schließlich nur ein Freundschaftsspiel....“ „Absichtlich verlieren?“ Ryo lachte bitter auf. „Wunderbare Lösung! Ich darf gar nicht dran denken, was Tsubasa dazu sagen wird....“ „Es geht immerhin um sein Leben, ich denke da sieht er das nicht so eng!!“ „Trotzdem, das wäre wie Verrat!“ „Dann mach einen besseren Vorschlag!“ „Was wohl, wir finden ihn! Und dann machen wir den- oder diejenigen zur Schnecke!“; meinte Ryo grimmig. „Toller Plan!“, grummelte Kisugi. „Und wie willst du das anstellen? Wir haben absolut keine Anhaltspunkte....“ „Doch, einen haben wir.“ Izawa tippte auf das Foto. „Zumindest über den Zeitpunkt. Er hat die Schuluniform noch an, also es muss es ihn entweder auf dem Heim- oder Hinweg erwischt haben.“ „Und ich weiß auch wo.“, erklang Sanaes Stimme von der Tür her. Verdattert wandten sie sich um. Die beiden Betreuerinnen waren wieder da, und ihern Freunden fiel sofort die Schultasche ins Auge, die Sanae schützend an ihre Brust gedrückt hielt. „Die haben wir im Gebüsch gefunden.“, erklärte Yukari in die Stille hinein. „Am Wegrand, nicht weit weg von seinem Haus. Und daheim ist auch niemand, wir haben mehrmals geklingelt.“ Sanae blickte ihre Freundin dankbar an – zum einen, weil sie das Erklären übernommen, und zum anderen, weil sie ihren Hysterie-Ausbruch verschwiegen hatte. „Damit ist es also offiziell.“, meinte Shingo niedergeschlagen. „Es ist kein Scherz.....“ *** Das erste, was durch die Dunkelheit sickerte, war der Schmerz. Er durchzuckte seinen Kopf und verdrängte alles andere. Tsubasa stöhnte erstickt. Hatte er schon wieder einen Fußball an den Schädel geknallt bekommen? Wenn ja, hatte es ihn dieses Mal übel erwischt. Sein Kopf fühlte sich an, als würde er in einem Schraubstock stecken, und ihm war übel. Sein restlicher Körper fühlte sich völlig taub an. Wo war er überhaupt? Auf der Krankenstation anscheinend nicht....er lag nicht auf dem Rücken, sondern auf der Seite, und der typische Geruch nach Desinfektionsmitteln fehlte. Im Gegenteil, es roch eher modrig. Tsubasa zwang sich, die Augen zu öffnen..... und sah immer noch nichts. Nach dem ersten Schock wurde ihm bewußt, dass der Raum, in dem er sich offensichtlich befand, schlicht und ergreifend stockdunkel war. Was zum Kuckuck ging hier nur vor? Er versuchte sich aufzurichten, aber abgesehen davon, dass die Bewegung einen Orkan in seinem Kopf auslöste und seine Übelkeit verstärkte, wurde ihm bewußt, dass er sich nicht rühren konnte. Seine Handgelenke waren mit Klebestreifen auf den Rücken gefesselt, und auf dieselbe Art und Weise waren auch seine Fußgelenke zusammen geschnürt. Ein weiteres Klebeband knebelte ihn. Das erklärte natürlich das taube Gefühl in seinem Körper. Schwer atmend und gegen die Übelkeit ankämpfend ließ er sich wieder zurück sinken. Der Schlag gegen seinen Kopf musste stark gewesen sein, wenn er nicht einmal den Knebel bemerkt hatte. Da er sich immer noch nicht daran erinnern konnte ,was überhaupt passiert war, kam er schließlich zu dem beruhigenden Schluss, in einen sehr realistischen Albtraum geraten zu sein. Genau – nur ein Albtraum. In Wirklichkeit war er beim Fußballtraining ausgeknockt worden und würde jeden Moment im Krankenzimmer seiner Schule aufwachen. Der Knebel existierte nicht, die Fesseln existierten nicht......nichts davon war real. Tsubasa klammerte sich an diesen tröstenden Gedanken und sank zurück in eine wohltuende Bewußtlosigkeit. Kapitel 4: Dunkelheit --------------------- Kapitel 4: Dunkelheit Das nächste Mal kam er zu sich, als jemand mit einem scharfen Ruck den Knebel abriss. Er zuckte zusammen und öffnete die Augen, schloss sie aber gleich wieder, als er geblendet wurde. „Sieh an, du lebst ja doch noch!“, meinte eine Stimme verächtlich. „Ich dachte schon, dass du nicht mal einen kleinen Klaps verträgst! Ziemlich enttäuschend.“ Tsubasa öffnete die Augen wieder, dieses Mal langsamer. Er konnte kaum etwas sehen. Durch die offene Tür fiel so grelles Licht, dass es schmerzte. Eine Gestalt kniete direkt vor ihm, durch den Schatten in eine unscharfe Silhouette verwandelt. Der Stimme nach zu urteilen war es ein junger Mann, nicht viel älter als er – zumindest so weit er das in seinem benommenen Zustand beurteilen konnte. Tsubasa fühlte sich immer noch elend, und er hatte immer noch Kopfschmerzen, aber sein Verstand hatte sich so weit geklärt, dass er eines sicher wußte: das hier war kein Albtraum! Irgendjemand hatte ihn niedergeschlagen, anscheinend der Typ, der ihm jetzt Gesellschaft leistete. Die Frage war nur, wann, wo – und vor allem, warum! Sein Gedächtnis war immer noch wie leer gefegt..... „W....was willst du von mir?“, fragte er benommen. „Oh, keine Sorge, das hab ich schon.“ Anscheinend grinste der Mann. „Du hast eigentlich nur noch zur Aufgabe, keine Probleme zu machen.“ „Aber.....ich verstehe nicht.....“ „Hätte mich auch sehr gewundert, du verstehst schließlich nie irgendwas! Aber zerbrich dir mal nicht den Kopf – dieses Mal musst du das auch nicht.“ Sein Entführer erhob sich. „Den Knebel erspare ich dir gnädigerweise, sonst erstickst du mir noch, und das wäre mir im Moment eigentlich sehr unrecht.“ Seine Stimme triefte förmlich vor Freundlichkeit, und Tsubasa bekam eine Gänsehaut. Offene Feindschaft wäre ihm lieber gewesen, das konnte er besser einschätzen. Denn dass dieser Mann ihn hasste, war ziemlich offensichtlich.....aber warum?! „W....warte!“, meinte Tsubasa matt, als sich der Entführer zum gehen wandte. „Die Fesseln....es tut weh, und ich krieg keine Luft.....“ „Ach?“ Der Mann lachte wieder, dieses Mal mit kaltem Spott in der Stimme. „Das hätte ich nicht von dir erwartet. Du bist doch der große Held, der alle Schmerzen erträgt und niemals aufgibt, oder etwa nicht?!“ Tsubasa schloss stumm die Augen. Er war zu erschöpft, um mit diesem Irren zu streiten, und er hatte auch keine Lust dazu. Seine auf den Rücken gefesselten Arme und Hände schmerzten tatsächlich, und er hatte leichte Atemprobleme, aber er würde nicht so weit gehen, um Hilfe zu betteln. In diese Moment wurde er plötzlich am Kragen gepackt und nach oben gezerrt, er konnte gerade noch einen erschrockenen Schrei unterdrücken. „Ich will mal nicht so sein.“, meinte der Entführer nach wie vor spöttisch, während er ihn in eine sitzende Position brachte und ziemlich unsanft an die Wand lehnte, damit er Halt fand. Tsubasa kniff die Augen fest zusammen, während er darauf wartete, dass die Welt aufhörte, sich zu drehen. Durch die abrupte Bewegung war ihm wieder schlecht geworden, ein neues Gewitter tobte in seinem Kopf. Es klapperte, ein Geräusch, dass er erst nicht einordnen konnte. Anscheinend suchte der Mann igendetwas. In der nächsten Sekunde spürte er plötzlich, dass ihm kaltes, klares Wasser eingeflösst wurde. Sein erster Impuls war, sich dagegen zu wehren, aber dann merkte er, dass es ihm gut tat. Seine Sinne klarten etwas weiter auf, die Übelkeit ließ nach. Er verschluckte sich und hustete. Sein Entführer lachte wieder. „Du hast Glück, ich bin heute wirklich gut gelaunt.“ Als Tsubasa die Augen öffnete, konnte er sehen, dass der Unbekannte – dessen Gesichtszüge er mittlerweile wenigstens erahnen konnte – das Glas mit dem restlichen Wasser und eine Aspirinschachtel, die er irgendwoher gezaubert hatte, direkt vor ihn legte. „Bedien dich.“, meinte er gelassen und verließ den Raum. „Halt!! Warte....wie soll ich denn.....hey!!“ Zu spät. Die Tür fiel mit einem lauten Knall ins Schloss, der Schlüssel wurde umgedreht. Tsubasa war wieder allein im Dunkeln. Erschöpft lehnte er den Kopf an die kühle Wand und schloss die Augen wieder. „Mistkerl.....“ *** In der Kabine herrschte mehrere Minuten lang Schweigen. Taki räusperte sich schließlich. „Ich glaube, Ryo hat recht. Wir können nicht absichtlich verlieren. Tsubasa würde uns das nicht verzeihen.Wir müssen wenigstens versuchen, ihn zu finden! Wenn wir es nicht schaffen, haben wir immer noch die Möglichkeit, ein mieses Spiel abzuliefern.“ Shingo meldete sich zögernd. „Und wenn wir das Spiel absagen? Ich meine, wenn wir nicht spielen, können wir nicht gewinnen....das war doch die Forderung....und wir würden nicht absichtlich schlecht sein....“ „Das ist viel zu riskant!“, brach es aus Sanae heraus, die sich mittlerweile gemeinsam mit Yukari zu den anderen gesetzt hatte und die Schultasche immer noch an sich drückte. „Wir müssen tun, was auf dem Foto steht, sonst wird Tsubasa....“ Sie brach ab, und Yukari legte ihr den Arm um die Schultern. Izawa nickte finster. „Für mich klingt das auch eher nach absichtlich verlieren. Irgendjemand scheint uns und besonders Tsubasa wie die Pest zu hassen.....“ Daraufhin sagte ein paar Sekunden wieder niemand etwas. Alle starrten das Foto in der Mitte des Tisches an und stellten sich dieselbe Frage. Wie schwer war Tsubasa verletzt? „In Ordnung, am besten verlieren wir keine Zeit mehr.“, meinte Kisugi endlich. Er blickte in die Runde. „Wie stellen wir das an?“ „Wir haben ja nur einen einzigen Anhaltspunkt, dem wir nachgehen können.“ Izawa blickte zu Sanae hinüber. „Zeigst du mir die Stelle, wo ihr die Tasche gefunden habt? Vielleicht ist da noch mehr, was uns hilft, oder vielleicht hat irgendjemand was gesehen. Es kann ja nur gestern abend oder heute morgen passiert sein.“ „Gestern abend war leider niemand in der Nähe, an den ich mich erinnern könnte.“, antwortete Sanae niedergeschlagen. „Niemand außer uns.....“ „Und dir ist nichts aufgefallen?“ „Nein. Wir haben uns getrennt wie immer....ich bin nach Hause und er auch.“ Sanae biss sich auf die Lippen. „Dachte ich zumindest.“ „Vielleicht ist er das ja auch.“, meinte Yukari beruhigend. „Wie gesagt, es kann genauso gut heute morgen passiert sein, das wissen wir nicht. Fang jetzt ja nicht an, dir Vorwürfe zu machen, du hättest nichts ändern können.“ „Ja, schon, aber....“ „Sie hat recht, Sanae, das bringt nichts. Zeig uns am besten, wo die Stelle war, an der du die Tasche gefunden hast, und dann trennen wir uns auf und suchen die Umgebung ab.“; entschied Izawa. „Und was ist, wenn wir beobachtet werden?“, wandte Shingo ein. „Nicht, dass Tsubasa unseretwegen noch mehr verletzt wird....“ „Stimmt.“ Taki runzelte die Stirn. „Das heißt, dass nicht alle suchen dürfen. Ein paar müssen hier bleiben oder zumindest nach Hause gehen, oder....“ „Oder einfach nichts tun, was nach suchen aussieht, wir haben verstanden.“, unterbrach ihn Ryo ungeduldig. „Und das tun wir am besten so, dass man sehen kann, dass wir nicht suchen! Also bleiben einige von uns hier und trainieren.“ „Trainieren?! Hast du sie nicht alle? Wie sollen wir in so einer Situation denn trainieren?“ „Es ist das einzige, bei dem alle beobachtet werden können.“, widersprach Ryo. „Und damit eins klar ist, ich bleibe nicht hier! Ich kenne Tsubasa am längsten, und ich werde nicht Fußball spielen, während er verletzt irgendwo liegt und Hilfe braucht!“ Er blickte die anderen herausfordernd an und verschränkte die Arme vor der Brust. „Schon gut, schon gut.“, schlichtete Taki.„Ich finde die Idee eigentlich klasse, und ich für meinen Teil bleibe freiwillig hier. Vielleicht hat auch irgendjemand gesehen, wer das Poster an unsere Tür gehängt hat.“ „Stimmt, das könnte auch wichtig sein.“ Izawa runzelte nachdenklich die Stirn. „Ich denke, Sanae und Yukari sollten auch suchen helfen, wenn die Betreuerinnen fehlen fällt das nicht auf. Und ansonsten können wir noch ein oder zwei Leute entbehren, ohne dass es offensichtlich wird. Wer geht?“ „Ich denke, das losen wir am besten aus.“, meinte Shingo und winkte Ryos Einwand ungeduldig ab, der schon zum Protest ansetzte. „Schon klar, Ryo, du bist ausgenommen. Hat jemand Papier und Stift da? Diejenigen, die einen Zettel mit nem Kreuz ziehen, gehen mit.“ Kapitel 5: Suchen ----------------- Kapitel 5: Suchen Das Los hatte entschieden. Ryo und Izawa machten sich gemeinsam mit Sanae und Yukari auf die Suche. Eigentlich war Shingo noch mit von der Partie gewesen, aber er hatte sich nach einigem Hin und Her dann doch entschieden, zu bleiben. Nankatsu hatte zwei Reservespieler, wenn so viele fehlten, war das am unauffälligsten. „Da unten.“ Sanae deutete auf das hohe Gras in der Böschung, in der anderen Hand immer noch die Schultasche sicher verwahrt „Und ein paar Meter weiter hinten haben wir uns getrennt, ich bin dann nach links die Straße runter nach Hause.“ Izawa blickte sich um. „Na ja, die Strecke kennen wir ja alle zu genüge. Ab hier muss Tsubasa immer alleine nach Hause, wir anderen biegen ja immer vorher schon ab und die letzte Zeit....“ Er erntete einen Rippenstoß von Ryo und brach gerade noch rechtzeitig ab. Beinahe hätte er sich verplappert. Sanae lächelte traurig. „Die letzte Zeit habt ihr uns eh immer absichtlich alleine heim laufen lassen, oder?“ „Äh....“ Izawa und Ryo wurden beide leicht verlegen, Yukari dagegen musste kichern. „Ertappt.“ Sanae lächelte wieder, aber das Lächeln verflog sofort, als sie sich dem kalten Leder in ihrer Hand bewußt wurde. Die Situation war nicht zum Scherzen geeignet, sie durften keine Zeit mehr verlieren. Izawa räusperte sich. „Na ja, was ich eigentlich sagen wollte: es ist schon ein Zufall, dass er ausgerechnet hier entführt worden ist. Entweder, er wurde verfolgt und man hat ihm dann hier aufgelauert, oder man hat ihn länger beobachtet.....“ „Länger beobachtet?“, wiederholte Yukari und blickte sich unwillkürlich um. „Aber wir haben nie irgendwas bemerkt.“, meinte Sanae unsicher. Ihre Freundin stupfte sie in die Seite und beugte sich zu ihr hinüber. „Ihr wart ja auch immer mit euch selber beschäftigt.“, wisperte sie so leise, dass nur Sanae sie hören konnte. Als sie rot wurde wie eine Tomate, wurde den beiden Jungen klar, was Yukari gesagt hatte, aber sie schwiegen. Ryo kletterte die Böschung hinunter zu der Stelle, auf die Sanae gezeigt hatte. „Hier ist nichts weiter, leider – nur niedergetrampeltes Gras. Wahrscheinlich ist ihm die Tasche aus der Hand gefallen – oder jemand hat sie weggeworfen.“ „Und absichtlich liegen lassen?“ „Das ist die Frage.“ Ryo kletterte die Böschung wieder empor und ging zu Sanae hinüber. „Darf ich sie mal sehen?“ Sanae nickte zögernd. Sie gab die Schultasche nur ungern aus der Hand, sie war die einzige Verbindung, die sie im Moment zu Tsubasa hatte. Ryo zwinkerte ihr zu, als hätte er ihre Gedanken gelesen. „Keine Angst, du bekommst sie sofort wieder. Ich will sie mir nur kurz ansehen.“ Sanae wurde leicht verlegen und hielt ihm die Schulmappe hin. Ryo nahm sie und ließ die Schnallen aufschnappen. Dann erstarrte er leicht. „Und?“ Izawa linste ihm über die Schulter und wurde ebenfalls blass. Auf die Innenseite hatte jemand mit roten roten Buchstaben VERLIEREN! geschrieben. „Ist das Blut?“, wollte Yukari besorgt wissen, nachdem die Mädchen die Botschaft ebenfalls gesehen hatten. Ihre eigentliche Frage – ob es sich um Tsubasas Blut handeln könnte – traute sie sich mit Rücksicht auf ihre Freundin nicht zu stellen. Izawa schüttelte den Kopf. „Nein, Farbe – es soll nur wie Blut aussehen, schätze ich.“ Sanae nahm die Tasche stumm wieder an sich, schloss sie und drückte sie erneut wie einen kostbaren Schatz an ihre Brust. Auch sie war bleich, aber in ihren Augen funkelte Wut. Auch Ryo war stinksauer. Er atmete tief durch und ballte die Hände zu Fäusten. „In Ordnung, die Tasche liegt absichtlich da. Wenigstens wissen wir das jetzt. Ich schlage vor, wir hören uns mal bei den Nachbarn um, vielleicht hat wirklich jemand etwas beobachtet.“, meinte Izawa betont vernünftig. Auch in seinem Inneren brodelte es. „Damit wir ihn nicht unnötig gefährden, sollten wir uns allerdings eine Ausrede einfallen lassen. Ich hoffe, das machen die Anderen auch.“ *** Die verbliebene Nankatsu-Elf hatte noch nie ein so schlechtes Training abgeliefert. Jeder war mit seinen Gedanken weit weg. Shingo hielt keinen einzigen Ball, aber das war auch nicht nötig, weil eh keiner das Tor traf. Pässe wurden verschossen und Annahmen verschlafen. Die Bälle kullerten öfter ins Aus, als sie im Feld waren. Aber das bot auch ausreichend Gelegenheit, mit den Schülern, die vorbei kamen und über das Spektakel nur den Kopf schüttelten, ins Gespräch zu kommen. Tsubasas Verschwinden wurde mit keinem Wort erwähnt. Jeder, der nach sich nach seinem Fehlen erkundigte – und das waren viele – erhielt die Antwort, dass er krank war und zuhause im Bett lag. Dafür stellten die Freunde im Gegenzug die Frage, ob die Anderen während des Unterrichts jemanden auf dem Sportplatz gesehen hatten. Die Begründung dafür war einfach und entsprach der Halbwahrheit: Irgendjemand hatte ein selbstgestaltetes Poster als Geschenk an die Tür der Kabine gehängt und jetzt wollten sie sich bei demjenigen für die gelungene Überraschung bedanken. Die meisten schafften es sogar, fröhlich zu klingen. Aber die Auskünfte, die sie erhielten, waren enttäuschend. Niemand hatte etwas gesehen. Dafür kursierte nun das Gerücht, dass Nankatsu so arrogant und überheblich geworden war, dass sie die Aussicht auf einen neuen Fan vom Training ablenkte und wie blutige Anfänger spielen ließ. Als sie nach Trainingsschluß Richtung Kabine zurück gingen, war die Stimmung am Tiefpunkt. „Heute habt ihr euch nicht wirklich mit Ruhm bekleckert!“ Erschrocken fuhren sie herum. Wie gestern kam Kojiro lässig zu ihnen herüber geschlendert. „Macht euch das Spiel so eine Angst?“, neckte er grinsend und blickte sich um. „Wo ist Tsubasa?“ Die Anderen sahen sich unsicher an. „Äh.....“ Kisugi räusperte sich. „Er ist krank und zuhause....“ „Krank?“ Kojiro brach in Lachen aus. „Guter Witz! Tsubasa und krank! Im Ernst, wo ist er?“ „Krank.“, wiederholte Kisugi stur und biss sich auf die Lippen. Auch die Anderen schwiegen. Alle hatte den gleichen Gedanken. Zu niemandem ein Wort, zu niemandem ein Wort, zu niemandem ein Wort, zu niemandem ein Wort, zu niemandem ein Wort, zu niemandem ein Wort........ Kojiro musterte sie einen Moment lang prüfend. „Aha.“; meinte er dann nur ernst. „Aha was?“, wiederholte Kisugi leicht erschrocken. Wußte der Kapitän von Toho etwa irgendwas?! Ein leichtes Lächeln glitt über Kojiros Gesicht. „Er ist also alleine trainieren gegangen und hat euch sitzen gelassen, hm?“ Die Anderen atmeten erleichtert auf. „Äh....ja, sieht danach aus. Er nimmt dich morgen eben ernst als Gegner.....“ „Das sollte er auch.“ Kojiro grinste. „Nebenbei habe ich ihm schon dutzendmal gesagt, dass er sich mal ein Sondertraining gönnen sollte, das bringt mehr als immer nur in der Mannschaft. Ich bin gespannt, ob es ihm morgen etwas nützt.“ „Und was machst du hier? Willst du uns ausspionieren?“ „Na ja, viel zu spionieren gab es heute nicht wirklich bei euch, so schlecht wie ihr gespielt habt.“ Ohne ihnen eine Chance zur Erwiderung zu lassen, redete Kojiro weiter. „Eigentlich wollte ich nur fragen, ob wir das Spiel vorverlegen können. Auf 12.00 oder so. Ich muss abends arbeiten.“ „Du hast wieder einen Job?“, fragte Taki mechanisch. „Du sagst es, ich kann mich nicht nur auf Toho verlassen. Also, 12.00?“ Die Anderen tauschten erneut einen unsicheren Blick. Das bedeutete weniger Zeit um Tsubasa zu suchen. „Das geht nicht.....wir haben Schule bis um drei oder so....“ Kojiro zog die Augenbrauen hoch. „Morgen ist Samstag. Nur so nebenbei....“ „Achso....ja.....na dann.....“ „Irgendwie seid ihr komisch heute.“ Kojiro zuckte mit den Schultern. „Na ja, ist nicht mein Problem. Richtet Tsubasa aus, dass er sein Training hoffentlich äußerst gründlich durchgezogen hat, er wird es gegen mich brauchen.“ Damit schlenderte er wieder davon. Die Anderen sahen sich erneut an. „12.00 – wir haben viel weniger Zeit!“ „Was jetzt?“ „Hallo.“ Sie schraken wieder hoch. Kumi kam zu ihnen herüber gelaufen. Als sie näher kam und vor ihnen stehen blieb, konnte man sehen, dass sie die letzte Zeit offensichtlich mit Heulen zugebracht hatte. „Habt.....habt ihr was von Tsubasa gehört?“, fragte sie unsicher und blickte die Nankatsu-Elf bange an. Statt einer Antwort öffneten sie die Tür und betraten das Innere der Kabine, Kumi folgte ihnen. Erst, als sie sicher sein konnten, dass keiner zuhörte, erzählten sie dem Mädchen, was sie beschlossen hatten. „Izawa, Ryo, Sanae und Yukari suchen in der Nachbarschaft nach Hinweisen, und wir haben hier trainiert und dabei die Leute ausgehorcht. Aber keiner hat irgendetwas gesehen.“, meinte Shingo niedergeschlagen. Kumi blickte zu dem Foto hinüber, dass wieder auf dem Tisch lag, und holte tief Luft. „Ich habe etwas gesehen.“ „Was?!“ Alle starrten sie an. „Mein Klassenzimmer liegt so, dass ich den Sportplatz immer im Blick habe. Ich sitze ja auch am Fenster, und....“ „Ja, ja, Kumi, aber was hast du gesehen?!“; unterbrach Taki sie ungeduldig. „Einen Mann....ziemlich jung, aber ohne Schuluniform. Er ist über den Fußballplatz gelaufen. Ich hab mich noch gewundert, was der da macht, aber ich hab mir nichts schlimmes dabei gedacht.....“ „Und warum sagst du das erst jetzt?!“ „Woher sollte ich denn wissen, dass der Typ das Poster aufgehängt hat?“, verteidigte sich Kumi. In ihren Augen standen bereits wieder Tränen. „Ich habe einfach nur gesehen, wie er über den Platz gelaufen ist....es ist nicht mal sicher, ob er es war!“ „Wie hat er ausgesehen?“, fragte Shingo begierig. „Sag schon!“ „So viel hab ich aus der Entfernung gar nicht erkennen können. Er hatte Jeans an und ein blaues T-Shirt, und er hat dunkle Haare....“ „Na toll, das hilft uns in Japan unheimlich viel.“, seufzte Kisugi. „Noch was?“, wandte sich Taki wieder an Kumi. „Nicht wirklich. Er war groß, das weiß ich noch, und er hatte es ziemlich eilig.“ „Das ist immerhin etwas!“ Sie schöpften wieder Hoffnung. „Wir müssen den Anderen Bescheid sagen, mit der Beschreibung können sie vielleicht leichter suchen. Auch wenn es nicht viel ist.....“ *** Tsubasa bereute es bitter, etwas wegen den Fesseln gesagt zu haben. Er konnte zwar im Sitzen leichter atmen, aber seinem geschundenen Kopf gefiel diese Position auf Dauer überhaupt nicht. Am liebsten hätte er sich wieder hingelegt, aber alleine schaffte er das wohl nicht, ohne die Kopfschmerzen noch schlimmer zu machen. Und dann noch der quälende Durst. Das Wissen, dass das Wasser direkt neben ihm stand und trotzdem unerreichbar war, war schlimmer als jede Folter. Tsubasa lehnte den Kopf wieder an die kühle Wand und schloss die Augen, als ihm wieder schwindelig wurde. Er musste an etwas anderes denken, irgendwas......ob die Anderen sich große Sorgen machten? Wie lange war er überhaupt bewußtlos gewesen? Hatte das Spiel schon statt gefunden? Tsubasa lächelte bitter. Das war doch krank! Auch in so einer Situation hatte er nur Fußball im Sinn.... Sanae hatte ihn schon so oft aufgezogen damit. Sanae..... Tsubasa öffnete die Augen wieder. Sanaes Gesicht tauchte plötzlich klarer denn je vor ihm auf. Sie lächelte. „Sanae....“ Nichts, nur Dunkelheit, natürlich. Sanae war nicht da. Niemand war da. Niemand außer ihm..... Unwillkürlich begann er wieder an seinen Fesseln zu zerren, genau wie er es die ersten Minuten getan hatte, nachdem der Unbekannte wieder verschwunden war. Natürlich erfolglos. Nur seine gerade verheilte Schulter begann zu schmerzen und das Dröhnen in seinem Kopf verstärkte sich. Müde lehnte er sich wieder zurück. „So viel zum Thema „großer Held“....“, schoss es ihm bitter durch den Kopf, während er sich umsah. Dunkelheit, Dunkelheit, Dunkelheit. Er konnte nicht mal irgendwelche Konturen ausmachen. Das einzige, was er erahnen konnte, war das halbvolle Wasserglas direkt vor ihm. Wieder wurde er sich seiner ausgetrockneten Kehle bewußt. In diesem Moment wurde die Tür aufgerissen und Tsubasa wandte das Gesicht geblendet ab. Bevor er sich irgendwie orientieren konnte, wurde er bereits erneut unsanft am Kragen gepackt und etwas in die Höhe gezerrt. „Deine sauberen Freunde stellen verdammt viele Fragen!“; meinte der Unbekannte wütend. Offensichtlich kochte er innerlich. Tsubasa konnte sich eine gewisse Schadenfreude nicht verkneifen. „Tun sie das?“ Er blinzelte gegen das Licht an und versuchte, das Gesicht seines Entführers zu erkennen, aber umsonst. Statt dessen wurde er gerüttelt und stöhnte leicht auf. So wurden seine Kopfschmerzen nie besser. „Du wirst ihnen jetzt Bescheid sagen, dass sie damit aufhören sollen!“, meinte der Unbekannte drohend leise. „Kapiert?“ „Träum weiter!“ Der Mann schnaubte wütend und kam ganz dicht an Tsubasas Gesicht heran. Er roch nach billigem Rasierwasser. Unwillkürlich wurde ihm wieder übel. „Durstig?“ Tsubasa erstarrte. Der Unbekannte lachte hämisch. „Dachte ich's mir doch. Wenn du Wasser haben willst, dann wirst du für mich diese Nachricht schreiben!!“ Tsubasa biss wütend die Zähne zusammen, dann nickte er schließlich widerwillig. Kapitel 6: Nacht ---------------- Kapitel 6: Nacht „Nichts! Nichts, nicht, nichts!“ Frustriert starrte Ryo auf den Stadtplan, den sie auf dem Tisch ausgebreitet hatten. „Wir haben alle Nachbarn angeklingelt, und keiner hat irgendetwas gesehen! Das gibt’s doch nicht!“ „Was erwartest du?“ Izawa seufzte niedergeschlagen. „Du kennst doch die Gegend, wenn wir abends heimlaufen! Da ist außer uns kein Schwein auf der Straße!“ „Ja, aber dass wirklich keiner auch mal nur zum richtigen Zeitpunkt aus dem Fenster gesehen hat.....“ „Vielleicht hätten sie sich beim Erinnern mehr Mühe gegeben, wenn wir die Wahrheit gesagt hätten.“, meinte Yukari nachdenklich. „Unsere Ausrede war nicht wirklich glaubhaft.“ „Aber das können wir nicht!“, widersprach Sanae heftig. „Das würde Tsubasa nur noch mehr in Schwierigkeiten bringen.“ „Ich weiß, aber wir haben nicht mehr viel Zeit – und mal im Ernst, würdet ihr jemandem glauben, der an die Tür klopft und sagt „Entschuldigung, wir wollen einen Freund besuchen und wissen nicht mehr wie er heißt und wo er wohnt, aber er sieht so und so aus Haben Sie ihn zufällig gestern abend oder heute morgen gesehen?““ Ryo rollte mit den Augen. „Ja, ich geb's zu, wir hätten uns was besseres ausdenken können, aber du hattest auch keinen anderen Vorschlag! Im Übrigen haben wir wirklich keine Zeit mehr, wie du selber festgestellt hast, jetzt erst recht, wenn das Spiel schon um zwölf statt findet.“ „Manchmal kommt eben wirklich alles zusammen.“; meinte Izawa deprimiert, während er den Kopf aufstützte und erneut den Stadtplan musterte. „Jetzt ist es auf alle Fälle zu spät, um noch irgendwo zu klingeln. Es ist längst dunkel draußen und noch mal machen die uns vermutlich auch nicht die Tür auf.“ Sanae starrte ebenfalls auf den Plan, dann sah sie zu Tsubasas Schultasche hinüber, die auf ihrem Bett lag. Nachdem sie mehrere Stunden lang die Gegend abgeklappert hatten, waren sie zu Sanae nach Hause gegangen und hielten jetzt in ihrem Zimmer Krisensitzung. „Was machen wir denn jetzt?“, wollte Ryo hilflos wissen und blickte in die Runde. „Ich weiß, was wir nicht machen.“, meinte Sanae leise, bevor sie den Kopf hob. „Aufgeben! Wir müssen ihn einfach finden!“ „Schon, aber wie?“ Yukari seufzte. „Wir haben doch alles versucht....“ Sanae lächelte traurig. „Ihr wisst doch, was Tsubasa sagen würde, oder? Bis zum Schlusspfiff ist nichts verloren. Und unser Schlusspfiff kommt erst, wenn das Spiel morgen anfängt.“ Ein paar Sekunden starrten die anderen sie verdutzt an, dann begannen sie zu ebenfalls zu lächeln. „Stimmt, da hast du recht. Wir müssen weiter überlegen.“ Sanae nickte, dann stand sie auf und trat ans Fenster. Es war eine klare Nacht, ein paar vereinzelte Sterne funkelten am Himmel. Hoffentlich ging es Tsubasa wenigstens einigermaßen gut..... Schnell verdrängte sie die Erinnerung an das Foto wieder in den hintersten Winkel ihrer Gedanken. Im nächsten Moment erstarrte sie. „Da unten ist jemand.“ „Ja, und?“, meinte Izawa abwesend, der bereits wieder mit dem Stadtplan beschäftigt war. „Nein, da ist jemand direkt vor der Haustür, und er hat ein blaues T-Shirt an.“ „Was?!“ Die anderen sprangen wie von der Tarantel gestochen auf und stürzten zum Fenster. In der Tat, im Licht der Straßenlaterne konnten sie sehen, dass jemand die Einfahrt zu Sanaes Haus empor pirschte, der auf Kumis Beschreibung passte. „Das gibt’s doch nicht!“ Ryo fluchte und rannte die Treppe nach unten, dicht gefolgt von Izawa und den beiden Mädchen. Als er die Haustür aufriß, war die Gestalt bereits wieder am Gartentor. Sie spurtete sofort los, sobald sie die vier entdeckte. „Warte gefälligst!“, brüllte Ryo wütend und rannte hinterher, Izawa ebenfalls. Sanae wollte es ihnen gleich tun, aber Yukari packte sie am Arm. „Sieh mal.“ Sie deutete nach unten. Als Sanae ihrem Blick folgte, entdeckte sie, dass ein zusammengefaltetes Stück Papier auf der Türschwelle lag. Die Angst war sofort wieder da. Das konnte nichts gutes bedeuten..... Als sie sich nicht rührte, gab sich Yukari einen Ruck und hob den Zettel auf. Langsam faltete sie ihn auseinander. HÖRT BITTE AUF, ÜBERALL NACH MIR ZU FRAGEN... Schweigend starrten die beiden Mädchen die Botschaft an. Es war eindeutig Tsubasas Schrift, aber sie war kaum lesbar. Anscheinend hatte er große Probleme beim Schreiben gehabt. Unwillkürlich dachte sie wieder an die Fesseln an seinen Händen. „Er wurde bestimmt gezwungen, das zu schreiben.“, meinte Yukari leise. „Die Frage ist nur, mit was.....“ Sanae nickte betäubt. „Der Typ muss irgendwie die ganze Zeit in unserer Nähe geblieben sein.“, redete Yukari weiter. „Er weiß, was wir den ganzen Tag gemacht haben.......“ Sanae nickte wieder. Sie nahm Yukari den Zettel ab und blickte erneut auf die zittrigen Schriftzeichen. Ryo und Izawa kamen zurück, beide völlig außer Atem. „Er ist weg. Abgehauen.“, keuchte Izawa. „Was wollte er hier?“ Sanae hielt ihm stumm den Zettel hin. „Freiwillig hätte Tsubasa das nie geschrieben.“, meinte Ryo wütend, als er die Nachricht ebenfalls gelesen hätte. „Das heißt ja Aufgeben!“ „Er weiß, wo ich wohne.“, flüsterte Sanae belegt. „Ich glaube, er muss uns wirklich schon lange beobachtet haben, sonst hätte er nicht gewußt, wo er Tsubasa am besten niederschlagen kann, ohne dass ihn jemand sieht, und meine Adresse rauskriegen....“ „Vielleicht hat er sie auch von Tsubasa bekommen....“ „Das glaube ich nicht!“; widersprach Yukari. „Und vor allem, wie hätte er dann wissen sollen, dass wir heute abend alle hier sind? Er muss uns beobachtet haben, den ganzen Tag über, und wir haben nichts mitbekommen....“ „Und ihm wurde offensichtlich der Boden zu heiß.“, stellte Izawa fest. „Sonst hätte er uns nicht durch Tsubasa die nächste Drohung gegeben. Wir waren irgendwie auf dem richtigen Weg.....irgendwas, das wir heute getan haben, hat ihm nicht gepasst. Das heißt, das wir erst recht weitermachen müssen!“ „Aber dann tut er Tsubasa womöglich etwas an.“, meinte Sanae unsicher. Izawa legte ihr beruhigend die Hand auf den Arm. „Wir werden vorsichtiger sein, keine Sorge. Morgen reden wir erst mal mit den Anderen, und dann sehen wir weiter.“ „Und bis dahin ruhen wir uns alle etwas aus.“, entschied Yukari. „Es war ein verdammt langer Tag. Wenn wir alle vor Müdigkeit einschlafen, hilft es Tsubasa auch nicht.“ „Aber ich....“ Yukari schnitt Sanae durch ein Kopfschütteln das Wort ab. „Gerade du solltest ein paar Stunden schlafen, du siehst aus wie ein Gespenst.“ Izawa und Ryo nickten zustimmend. „Wir treffen uns morgen früh um neun mit den Anderen, auf dem Fußballplatz. Ich denke, in der Kabine müssten wir ungestört reden können. Heute abend können wir eh nichts mehr tun.“ Sanae sah ein, dass Widerspruch sinnlos war. Niedergeschlagen fügte sie sich. *** Als ihre Freunde gegangen waren, zog sich Sanae ihr Nachthemd über und ging zurück in ihr Zimmer. Auf dem Bett lag immer noch Tsubasas Schultasche. Sie schluckte und trat an den Tisch, wo die letzte Nachricht des Entführers lag. Mit der Suche aufhören.....das war wie aufgeben. Nein, Tsubasa hätte das niemals freiwillig geschrieben. Womit war er gezwungen worden? Hoffentlich hatte man ihm nicht noch mehr wehgetan. Sanae stockte. Moment....da stand ja nicht „Hört auf, mich zu suchen“, sondern „Hört auf, nach mir zu fragen“. Tsubasa wollte nicht, dass sie aufgaben. Sie mussten nur die Methode ändern.... Nur wie? Sanae setzte sich auf ihr Bett und blickte die Ledermappe an. Sie war todmüde, aber wie sollte sie in dieser Situation schlafen können? Unwillkürlich packte sie die Schultasche und kippte sie aus. Schulbücher und Hefte, zwei Fußballmagazine, Stifte. Nichts besonderes...was hatte sie auch erwartet? Sanae blätterte die Sachen durch. Ein Foto rutschte zwischen den Seiten heraus. Verwundert hob sie es hoch und drehte es um. Dann musste sie leicht lächeln. Es zeigte sie und Tsubasa gemeinsam bei irgendeinem Schulausflug, das war schon mindestens ein Jahr her. Der Tag damals war sehr schön gewesen....einer der wenigen Augenblicke, bei denen sie zum ersten Mal das Gefühl gehabt hatte, dass Tsubasa neben Fußball noch andere Dinge wichtig waren. Sicher, ein guter Freund war er immer gewesen, aber auf diesem Ausflug... Sanae wußte nicht, was genau, aber irgendetwas in seinem Verhalten war anders gewesen, und es hatte ihr gefallen. Danach hatte er sich jedoch wie immer benommen, bis zu dem letzten Schulturnier....die Art und Weise, wie er sie angesehen hatte, als sie vor der Verlängerung zu ihm aufs Feld gelaufen war.... Sanaes Lächeln verflog. Sie legte das Foto zurück und packte alles wieder in die Tasche. Wenn sie daran dachte, dass sie eigentlich den ganzen Abend gemeinsam hatten verbringen wollen.....und jetzt saß sie hier alleine und machte sich wieder einmal tierische Sorgen. Mit einem traurigen Seufzen drückte Sanae die Schulmappe wieder an sich und rollte sich auf dem Bett zusammen. Sie atmete tief ein und glaubte, neben dem Duft nach Leder auch Tsubasas Geruch wahrnehmen zu können. Es tröstete sie. Nach ein paar Minuten übermannte sie die Erschöpfung und sie sank in einen unruhigen Schlaf. Kapitel 7: Countdown -------------------- Kapitel 7: Countdown Tsubasa hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Er wußte nicht, wie lange er hier schon eingesperrt war – es hätten genauso gut Monate sein können. Seit dem letzten Besuch hatte sich der Unbekannte nicht mehr hier blicken lassen. Er war wütend gewesen. Die Nachricht zu schreiben, war Tsubasa sehr schwer gefallen. Immerhin waren seine Hände stundenlang gefesselt gewesen, er hatte kein Gefühl in den Fingern und hatte kaum den Stift halten können. Schließlich hatte der Mann entnervt den Brief auf eine einzige Zeile reduziert und Tsubasa war es wenigstens gelungen, es unbemerkt so umzuformulieren, dass er ziemlich sicher sein konnte, dass seine Freunde weitersuchen würden. Danach hatte er jedoch dummerweise einen großen Fehler begangen und den Fremden, der wegen des Zeitverlustes eh gereizt gewesen war, durch einen miserablen Fluchtversuch erst recht wütend gemacht. Damit das Blut schneller wieder in seine Arme zurück floss und er schreiben konnte, hatte sich der Entführer dazu überreden lassen, auch seine Füße loszubinden, damit er wenigstens ein paar Schritte laufen konnte, um seinen Kreislauf wieder in Schwung zu bringen. Er hatte Tsubasa unterschätzt, und Tsubasa hatte seine körperliche Verfassung überschätzt. Das Ende vom Lied war, dass er sich einen erneuten Schlag ins Gesicht eingefangen hatte und wieder gefesselt auf der Matratze saß, die sein Lager bildete. Der Unbekannte war kurz davor gewesen, ihn auch wieder zu knebeln, hatte aber wegen dem Erstickungsrisiko dann doch davon abgesehen. Dafür hatte Tsubasa nur einen einzigen Schluck Wasser bekommen. Das erneut gefüllt Glas stand wieder so, dass er die Umrisse direkt sehen musste, trotz der Finsternis, die ihn umgab. Die letzten Stunden – oder Minuten? - hatte er in einer Art Dämmerzustand verbracht, unfähig, Träume und Realität irgendwie voneinander zu trennen. Die Fesseln schienen noch fester zu sein, wie beim ersten Mal, der erneute Schlag ins Gesicht hatte seinen Kopf wieder in eine Baustelle zu verwandelt, und seine Gedanken kehrten immer wieder zu dem Glas zurück, dass in geringer Entfernung neben ihm stand, gemeinsam mit den erlösenden Aspirin-Tabletten, und ihn höhnisch anzugrinsen schien. Grinsende Gläser.....hoffentlich verlor er hier nicht noch den Verstand. Ab und zu war ihm, als hörte er seine Freunde nach ihm rufen, aber er fühlte sich zu erschöpft, um zu antworten. Seine Eltern tauchten auf und verkündeten fröhlich, den England-Urlaub abgebrochen zu haben, Kojiro schimpfte wütend, weil er das Spiel verpasste, und Sanae saß neben ihm und erzählte irgendetwas von einem Schulausflug. Sanae...immer wieder Sanae. Sanae, wie sie morgens gut gelaunt auf dem Fußballplatz auftauchte, wenn er alleine trainierte, Sanae, wie sie ihn bei ihrem letzten Treffen glücklich angelacht hatte, und Sanae, wie sie ihm nach dem morgendlichen Training ohne viele Worte eine Getränke-Dose zuwarf. Tsubasa öffnete die Augen und blickte das Glas an. Es grinste immer noch. In einem plötzlichen Wutanfall stieß er es mit den Füßen um. Es klirrte, als es auf dem Boden aufschlug und außer Sichtweite kullerte. Dann wurde es still. Tsubasa spürte, wie seine Wut sich in Entsetzen verwandelte. Jetzt war das Wasser endgültig weg – verteilt auf dem Fußboden und zu weit entfernt, um es irgendwie erreichen zu können. Er zwang sich zur Ruhe und schloss die Augen wieder. Nicht durchdrehen! Ja nicht durchdrehen.....es konnte nicht mehr lange dauern, bis er hier raus kam! Seine Freunde würden ihn finden, ganz sicher! *** „Das kann nicht euer Ernst sein!“ Sanae starrte die Anderen entsetzt an. „Ihr wollt aufhören?!“ „Wir haben doch gestern schon alles versucht.“, verteidigte sich Taki. „Wir haben alle befragt, und du hast doch selber gesagt, dass wir nichts tun dürfen, was Tsubasa gefährdet! Ich will nicht wissen, was der Mistkerl mit ihm gemacht hat, damit er diese Nachricht schreibt! Das beste ist, wir geben nach und verlieren dieses verdammte Spiel. Hauptsache, Tsubasa kommt heil wieder zurück.“ Sanae traute ihren Ohren nicht. Sie ballte die Hände fest zu Fäusten und setzte schon zu einem neuen Protest an, aber Ryo kam ihr zuvor. „Das können wir nicht machen! Tsubasa hat nicht geschrieben „Sucht mich nicht“, sondern „Fragt nicht länger“. Er will, dass wir nicht aufgeben! Verdammt noch mal, Leute, ihr könnt doch nicht ernsthaft die Flinte ins Korn werfen....“ „Wir wollen Tsubasa nur nicht unnötig in Gefahr bringen! Was ist denn daran so schlimm?“ „Das wir ihn im Stich lassen, das ist schlimm!“ Izawa knallte die Hand auf die Tischplatte. „Wir dürfen jetzt einfach nicht mit der Suche aufhören.“ „Wenn das Spiel vorbei ist, wird er bestimmt frei gelassen.“ „So?“ Ryo beugte sich etwas vor. „Und was, wenn nicht? Habt ihr da schon mal dran gedacht,hm? Was, wenn er irgendwas falsches gesehen hat und deswegen...“ „Hör auf, du hast zu viele schlechte Krimis gelesen!“ „Wir sind in einem schlechten Krimi.“, entgegnete Ryo finster. „Macht doch, was ihr wollt, ich werde jedenfalls weiter suchen!“ Damit verließ er wutentbrannt die Kabine. Sanae zögerte, dann folgte sie ihm. Izawa musterte die Anderen stumm. „Ihr solltet vielleicht wirklich einfach hier bleiben und trainieren, bis das Spiel anfängt, sonst ist es noch auffälliger. Aber stellt keine Fragen mehr.“, meinte er schließlich, bevor er sie ebenfalls stehen ließ. Yukari erhob sich. „Ich helfe auch weiter.“ Nachdem sie gegangen waren, blickten sich die Anderen betreten an. „Irgendwie fühle ich mich mies.“; meinte Shingo betreten. „Da bist du nicht der einzige. Aber ich will nicht daran schuld sein, dass Tsubasa etwas zustößt. Wir haben gestern schon genug angerichtet, sonst hätte er nicht diese Nachricht geschrieben.“ Kumi saß stumm und bleich in einer Ecke und starrte auf den Boden. „Vielleicht hätte ich gestern mehr beobachten sollen.“, murmelte sie leise. „Wenn ich genauer hingesehen hätte....“ Kisugi winkte ab. „Zerbrich dir nicht den Kopf, Kumi. Du hast uns gesagt, was du weißt, das ist das wichtigste.“ Kumi nickte stumm und blinzelte die Tränen zurück. „Hoffentlich passiert Tsubasa nichts.“, wimmerte sie leise. Die Anderen schwiegen. „Fangen wir am besten mit dem Training an.“ *** Sanae kochte vor Wut. „Sie geben auf! Sie geben wirklich auf!“ „Sie machen sich eben auch nur Sorgen um Tsubasa.“, wurde sie von Yukari beschwichtigt. „Und ihre Argumente geben Sinn, das musst du auch zugeben. Wir haben gestern alles getan, was wir können.“ „Also willst du auch aufgeben, ja?“, fauchte Sanae deprimiert. „Nein, will ich nicht! Aber wir müssen höllisch aufpassen.“ „Vielleicht ist es ja sogar besser, wenn wir zu viert weitersuchen und die anderen aufhören.“, meinte Izawa nachdenklich. „Aber wie sollen wir ihn zu viert in zwei Stunden finden? Es ist schon zehn, und er könnte überall sein! Vielleicht haben sie ihn sogar aus Nankatsu rausgebracht.....“, antwortete Ryo niedergeschlagen. Izawa schüttelte den Kopf. „Das glaube ich nicht. Dazu hätte der Typ ein Auto gebraucht, und das wäre dann glaube ich doch aufgefallen.“ „Wieso? Schlag auf den Kopf, in den Kofferraum, und weg.“, meinte Ryo bitter und ignorierte die schockierten Blicke, die Sanae ihm zuwarf. „Ryo, es ist auf dem Radweg passiert. Wenn Tsubasa wirklich mit einem Auto entführt worden wäre, hätten sie ihn erst mal zur Straße tragen müssen, und das ist ein ziemlich weites Stück. Etwas auffällig, oder?“, entgegnete Izawa ruhig. „Das heißt, er ist doch irgendwo in der Nähe?“, meinte Sanae hoffnungsvoll. Izawa nickte. „Ich tippe schon. Aber wir können keine Fragen mehr stellen. Am besten versuchen wir, den Typen mit dem blauen T-Shirt zu erwischen.“ „Und wie?“, wollte Yukari wissen. „Wenn er heute kein blaues, sondern ein rotes T-Shirt an hat, haben wir schon ein Problem. Wir kennen sein Gesicht nicht.....“ „Eine andere Chance sehe ich trotzdem nicht. Am besten beobachten wir die anderen unauffällig beim Training und hoffen, dass wir ihn auch beim beobachten kriegen. Irgendwie muss er schließlich gemerkt haben, dass wir alle Fragen gestellt haben.“ Die Anderen nickten zustimmend, jetzt mit neuer Hoffnung erfüllt. Vielleicht fanden sie Tsubasa doch noch rechtzeitig vor Spielbeginn. Kapitel 8: Mut -------------- Kapitel 8: Mut Sanae kochte immer noch vor Wut, als sie sich kurze Zeit später von den Anderen getrennt hatte und sich einen Beobachtungsposten suchte. Aufgeben! Wie konnten sie nur aufgeben und Tsubasa einfach im Stich lassen? Nach all den Jahren, die sie zusammen auf dem Feld gestanden hatten, und der Zeit, in der er sie immer wieder zum Durchhalten motiviert hatte? „Verdammt!“ Sanae schlug mit der flachen Hand gegen einen Baumstamm. Ein einzelnes Blatt löste sich. Leicht außer Atem beobachtete sie, wie es zu Boden segelte. Ihre Wut verrauchte und machte einer gähnenden Leere Platz. Dann musste sie plötzlich lachen. „Sanae?“ Aha. Yukari war ihr wieder gefolgt. „Ist doch verrückt, oder?“ Sanae wandte sich um und lehnte sich an den Baumstamm. „Ich denke schon fast genauso oft an Fußball wie Tsubasa.“ „Äh....“ Yukari wirkte verwirrt, aber Sanae fühlte sich zu müde, um es zu erklären. „Meinst du, es geht ihm wenigstens einigermaßen gut?“, wollte sie statt dessen leise wissen. Yukari zögerte, dann kam sie vollends zu ihr hinüber. „Hör zu, Sanae. Als ich mir meinen Platz zum Beobachten gesucht habe, bin ich den Anderen noch mal über den Weg gelaufen und hab mit ihnen geredet. Sie haben mir erzählt, warum sie partout nicht weitersuchen wollen.“ Sanae hob den Kopf. „Und? Was für eine neue Ausrede haben sie aufgetischt?“ Yukari zögerte erneut, aber dann holte sie ein zusammen gefaltetes Stück Papier aus der Hosentasche. „Das hing heute morgen wieder an der Kabinentür. Sie haben es abgenommen, weil sie dich nicht beunruhigen wollten. Aber ich glaube, du solltest es auch sehen.“ Sanae riß ihr das Blatt förmlich aus der Hand und strich es glatt. Es war ein neues Foto. Dieses Mal saß Tsubasa mehr oder weniger aufrecht, also musste er zwischen durch wach gewesen sein. Aber man konnte ihm ansehen, dass es ihm nicht allzu gut ging. Er war sehr blass geworden, die Platzwunde und das mittlerweile geronnene Blut hoben sich deutlich von seiner Haut ab. Anscheinend war er noch einmal geschlagen worden oder hingefallen, wie der blaue Fleck an seiner linken Wange bezeugte. Im Moment war er wohl wieder bewußtlos oder schlief – zumindest hatte er definitiv nichts vom Foto mitbekommen, seine Augen waren wieder geschlossen. Sanae fror plötzlich trotz der warmen Sonne. „Sie machen sich wirklich nur Sorgen.“, erklärte Yukari leise. „Vielleicht wurde er geschlagen, damit er diesen Brief schreibt, und dann wären wir daran schuld.... Ich kann verstehen, dass sie Angst haben.“ Sanaes Hände krampften sich um das Foto. „Trotzdem, gerade jetzt.....wir müssen ihm helfen! Ryo hat es doch gesagt, selbst wenn sie das Spiel verlieren, wer garantiert denn, dass er gleich frei gelassen wird? Er muss endlich richtig medizinisch versorgt werden!“ Yukari nickte. „Ich weiß, aber... Sanae? Sanae! Wo willst du denn hin? Warte auf mich!“ Ihre Freundin hörte sie nicht. Sie marschierte zum Fußballplatz zurück, wo die Anderen am Trainieren waren. Yukari hatte keine andere Wahl, als ihr zu folgen. Als sie die beiden Mädchen bemerkten, unterbrachen sie ihr Training und blickten ihnen leicht verwirrt und ängstlich entgegen. „Darum wollt ihr also aufgeben, ja?“ Sanae funkelte sie wütend an und streckte das Foto in ihre Richtung. „Ihr seid noch feiger, als ich dachte!“ „Sanae....“, setzte Shingo an, aber sie unterbrach ihn. „Gerade deshalb müssen wir weitersuchen, die Zeit drängt! Er braucht unsere Hilfe, verdammt noch mal!“ „Aber unsere Hilfe hat alles noch schlimmer gemacht, sieh ihn dir doch an!“, entgegnete Kisugi. „Wir können ihm nur helfen, wenn wir der Forderung nachkommen....“ „Und absichtlich verlieren, ja?“ Sanae lachte bitter. „Habt ihr eine Ahnung, was ihr Tsubasa damit antut? Was wird er wohl denken, wenn er erfährt, dass Nankatsu sich seinetwegen bis auf die Knochen blamiert hat?“ „Aber es geht doch um sein Leben...“ „Ja, es geht um sein Leben, und Fußball ist ein wichtiger Teil davon!“ Sanae holte tief Luft. „Bei den Meisterschaften habt ihr euch doch auch nicht darum gekümmert, was für „Forderungen“ gestellt wurden! Dr. Nahkata und Herr Kutami haben beide darauf bestanden, dass Tsubasa aus dem Finale aussteigt, und ihr habt euch dafür eingesetzt, dass er bleiben kann, obwohl es seiner Gesundheit geschadet hat! Und warum? Nur weil ihr auf sein Talent nicht verzichten wolltet, oder was?!“ Mittlerweile schrie sie beinahe, Tränen rannen ihr die Wangen hinunter. „Was...?“, meinte Taki perplex. „Nein!! Nein, nein, das stimmt nicht! Wir kannst du so was nur denken? Es ging uns nicht um sein Talent, er konnte gegen Ende doch kaum noch stehen...“ „Was soll ich denn denken? Wenn es euch in den Kram passt, unterstützt ihr ihn, und wenn er ernsthaft in Schwierigkeiten steckt und euch sogar noch um Hilfe bittet, dann ignoriert ihr es?“, fauchte Sanae herausfordernd. „Warum zur Hölle habt ihr es damals gemacht? Ihr meint, ihr könnt das Foto nicht ertragen, aber habt ihr eine Ahnung, wie es mir ging, als ich auf der Tribüne mit ansehen musste, wie er sich quält? Also, warum?“ Die darauffolgende Stille schien wie eine Zentnerlast ihnen allen zu liegen. Sanae wußte, dass derjenige, der hinter dem Ganzen steckte, möglicherweise jedes Wort der Unterhaltung mitanhörte, aber das störte sie nicht, im Gegenteil. Er konnte ruhig wissen, dass sie sich nicht länger einschüchtern ließ! „Er....er wollte es so.“, meinte Shingo leise und blickte auf den Boden. „Tsubasa wollte unbedingt dabei bleiben, bis zur letzten Minute....und wir....“ Er stockte. „Wir wollten gemeinsam gewinnen.“, vollendete Taki den Satz. „Gemeinsam, als Mannschaft....und als Freunde.....“ Sanae nickte grimmig und hielt ihnen wieder das Foto hin. „Wir wären keine Freunde, wenn wir wirklich kampflos aufgeben würden!“, meinte sie schlicht. Wieder senkte sich Schweigen über die Gruppe. „Wer hilft?“, fragte Yukari schließlich leise, die sich unbemerkt zu ihnen gesellt hatte, und nach kurzem Zögern hoben alle die Hand, einschließlich Kumi, die ebenfalls stumm weinte und noch den Lappen umklammerte, mit dem sie Fußbälle geputzt hatte. Sanae lächelte erleichtert und wischte sich mit dem Arm die Tränen ab. „Halt durch, Tsubasa....Halt nur noch ein bisschen durch.....“ Kapitel 9: Kampf ---------------- Kapitel 9: Kampf Wasser. Wasser, Wasser, Wasser, Wasser. An etwas anderes konnte Tsubasa nicht mehr denken. Er spürte weder das Hämmern in seinem Kopf, noch das taube Gefühl in seinen Armen und Beinen, noch die Schürfwunden vom Klebeband an Hand-und Fußgelenken. Der Durst überschattete alles. Er bereute es, das Glas umgestoßen zu haben, vielleicht hätte er es doch noch irgendwie erreichen können. Wieder versuchte er, sich etwas aufzurichten, um irgendwie erkennen zu können, wo es hingerollt war, und wie bei den vorhergehenden Bemühungen gab er auf, als der Schwindel mit voller Wucht zurück kam. Erschöpft lehnte er sich wieder an die Wand. Es war eh hoffnungslos. Das Glas war schließlich leer, und es war zu dunkel, um etwas sehen zu können. Tsubasa spürte, wie die Gleichgültigkeit wieder von ihm Besitz ergriff, er wurde schläfrig, und er wehrte sich nicht dagegen. Er konnte eh nichts tun. Um Hilfe rufen hatte er bereits versucht, aber schnell gemerkt, dass es nichts brachte. Er war zu erschöpft dafür und der Durst wurde davon nur noch schlimmer. Gut möglich, dass der Unbekannte ihm genau aus diesem Grund kein Wasser gegeben hatte. Das einzige, was gegen den quälenden Gedanken an das umgefallene Glas und sein dunkles Gefängnis half, war der Schlaf, der ihn immer öfter übermannte. Wenn er schlief, bekam er nichts von all dem mit, und dann war er auch nicht alleine. Tsubasa wusste nicht, wer, er sah niemanden, aber er spürte es: irgendjemand war dann bei ihm. So wie jetzt... Er wurde äußerst unsanft in die Realität zurück gerissen, als ihm jemand einen wütenden Tritt in die Seite versetzte. „Hey! Aufwachen!“ Tsubasa machte sich nicht mal die Mühe, die Augen zu öffnen. „Was willst du dieses Mal?“, fragte er tonlos „Was hast du deinen Freunden geschrieben?!“, zischte der Unbekannte wütend. „Hast du es etwa nicht gelesen? Dann bist du selber schuld.“, antwortete Tsubasa dumpf und wurde im nächsten Moment erneut getreten. Er stöhnte. „Auch noch frech werden, oder wie?“ Die Stimme seines Entführers zitterte vor Zorn. „Deine bescheuerten Freunde suchen schon wieder nach dir! Und das, obwohl ich persönlich eine zweite Botschaft hinterher geschickt habe! Ich frage dich noch einmal: was hast du ihnen geschrieben?“ „Du hättest es lesen sollen.“, wiederholte Tsubasa müde. Der Unbekannte trat ihn wieder, aber dieses Mal spürte er es kaum. Hatte er sich etwa daran gewöhnt? Ein makabrer Gedanke, er hätte fast darüber lachen können. Aber nur fast „Ich – habe – es – gelesen!“, meinte der Mann mit zusammen gebissenen Zähnen, offenbar darum bemüht, nicht die Beherrschung zu verlieren. „Du hast geschrieben, dass sie keine Fragen mehr stellen sollen, und trotzdem suchen sie weiter! Warum?! Womit hast du ihnen gesagt, dass sie nicht aufhören sollen?“ Tsubasa spürte, wie die Schläfrigkeit langsam von ihm wich. Seine Freunde suchten nach ihm, sie hatten nicht aufgehört – erst jetzt verstand er, was das bedeutete. Er kam bald hier raus.... „Stellen sie weiter Fragen?“, wollte er wissen und öffnete endlich die Augen. Wieder wurde er von dem Licht, dass aus der Tür fiel, geblendet, und er konnte nichts sehen. Sicher auch Absicht.... „Wa....?“ „Stellen sie weiter Fragen?“, wiederholte Tsubasa ungerührt. Kurze Zeit herrschte Schweigen. „Nein.“, antwortete der Unbekannte dann gefährlich leise. Tsubasa lächelte leicht. „Warum beschwerst du dich dann? Genau das habe ich geschrieben....und sie halten sich dran.“ Wieder Stille. Tsubasa konnte förmlich spüren, wie sein Entführer fassungslos darüber nachdachte, was er gerade gesagt hatte. Er begann innerlich von zehn abwärts zu zählen, und als er bei null angekommen war, wurde er von einem erneuten Schlag ins Gesicht zurück geschleudert und prallte gegen die Wand. Der Schmerz explodierte in seinem Kopf, und er schmeckte Blut, anscheinend hatte er sich gebissen. Aber das war unwichtig. Seine Freunde suchten weiter.....dieser Albtraum war bald vorbei..... Der Unbekannte beugte sich dicht über ihn, er roch wieder dieses furchtbare Rasierwasser. „Du wirst einen neuen Brief schreiben!“, meinte er mit mühsam beherrschter Stimme. „Und zwar dieses Mal eindeutig! Wenn sie weiter suchen, dann....“ „Bekomme ich Wasser?“, schnitt ihm Tsubasa das Wort ab, als das Pochen wieder nachließ und er reden konnte. Das brachte den Unbekannten anscheinend endgültig aus der Fassung. „Was?!“ „Bekomme ich Wasser?“ „Nein!“ „Dann verzieh dich!“ Wieder senkte sich Stille über den Raum. „Was hast du gerade gesagt?!“, meinte der Unbekannte schließlich heiser. „Du sollst abhauen!“ Tsubasa schloß die Augen und lehnte den Kopf wieder gegen die kühle Wand hinter ihm. „Ich werde nichts schreiben.“ „Zum Teufel noch mal, du wirst gefälligst tun, was ich dir sage, sonst.....“ „Sonst was? Willst du mich wieder schlagen oder treten? Mach ruhig, tu dir keinen Zwang an. Schlimmer kann es eh nicht mehr werden.“ „Du verdammter.......!“ Der Entführer war kurz davor zu schreien. „Du wirst diesen Brief schreiben!“ „Nein.“, antwortete Tsubasa schlicht. „Und jetzt hau ab! Ich will schlafen!“ Ein paar Sekunden hörte man nur das heftige Atmen des Mannes vor ihm, der mühsam versuchte, die Fassung zu bewahren. Mit so etwas hatte er offenbar nicht gerechnet. Tsubasa war das egal. Er würde nicht mehr nachgeben! Seine Freunde waren auf der Suche nach ihm, und wenn sie nicht aufgaben, durfte er das auch nicht. „Ich warne dich ein letztes Mal! Schreib diesen Brief!“ Die Stimme des Unbekannten war jetzt gefährlich ruhig. Tsubasa schüttelte müde den Kopf. „Vergiss es! Wie gesagt, schlag ruhig, wenn du willst. Aber du solltest aufpassen. Wenn du mich wieder ausknockst, kann ich nichts mehr schreiben – nur so als Hinweis. Im selbst Nachdenken bist du ja nicht besonders gut.“ Das war anscheinend endgültig zuviel. Mit einem wütenden Knurren wurde er erneut an seinem Hemd gepackt und heftig empor gerissen, ihre Gesichter waren nur wenige Zentimeter voneinander entfernt, und Tsubasa wurde von dem Geruch wieder übel. Er wandte sich so gut es ging davon ab. „Glaub mir, das wirst du noch bereuen!“ Der Unbekannte sprach leise und beherrscht, aber Tsubasa hörte die kalte Drohung deutlich heraus. Aber er hatte keine Angst davor. Der Albtraum war bald vorbei.... Er wurde wieder zurück gestoßen, so dass er mit dem Kopf gegen die Wand schlug. Sterne tanzten vor seinen Augen, und er kämpfte dagegen an, ohnmächtig zu werden. Mit einem lauten Knall fiel die Tür ins Schloß, er war wieder allein. Tsubasa lächelte schwach. Gewonnen....er hatte gewonnen...... Mit diesem tröstenden Gedanken gab er der Dunkelheit nach, er spürte nichts mehr. Kapitel 10: Anpfiff ------------------- Kapitel 10: Anpfiff Noch zwanzig Minuten bis Spielbeginn. Nach einer neuen Diskussion hatten sie beschlossen, sämtliche Tarnungen sein zu lassen und die Suche aufzunehmen – ohne Fragen zu stellen. Ohne es auszusprechen, hatten sie dem Unbekannten im blauen T-Shirt den Krieg erklärt. Ryo und Izawa hatten erneut die Böschung und den Radweg nach Spuren untersucht, Sanae und Yukari versuchten auf den Fotos irgendetwas zu erkennen, dass ihnen etwas über den Aufenthalt Tsubasas verraten konnte - leider sahen sie nichts außer einem Stück Wand bzw. einen Teil des Lagers, auf dem man ihn gefesselt hatte - und die restliche Fußballmannschaft hatte sich in zwei Gruppen aufgeteilt, um zum einen das Schulgelände, zum anderen die Umgebung der Stelle, an der Tsubasa verschleppt worden war, näher unter die Lupe zu nehmen. Es war alles umsonst. Weder fanden sie eine Spur von Tsubasa noch von dem Kerl mit dem blauen T-Shirt, der eventuell kein blaues T-Shirt mehr trug. Als sie sich um 11.15 Uhr wieder an der Kabine trafen, war die Stimmung sehr niedergeschlagen. Jetzt hatten sie nicht mehr viele Optionen übrig: entweder das Spiel absagen oder verlieren. Dieses Mal mussten sie nicht lange darüber nachdenken. Das Spiel würde statt finden. Erstens wäre eine Absage wie eine Flucht, dass wäre erst recht nicht in Tsubasas Sinne, und zweitens bestand die geringe Chance, dass der T-Shirt-Typ auftauchte, um sich die Blamage anzusehen. Es wurde beschlossen, dass einer der Ersatzspieler gemeinsam mit den drei Betreuerinnen vom Publikum aus die Gegend beobachten sollte. Gesagt, getan. Um 11.40 befand sich die Nankatsu-Elf auf dem Platz und spielte sich unter den Augen der ersten neugierigen Zuschauer warm. Nur wer genau hinsah, konnte erkennen, dass sie bedrückt wirkten und sich offenbar nicht auf das Spiel freuten. Es dauerte erstaunliche zehn Minuten, bis den ersten auffiel, dass Tsubasa fehlte. Als nach und nach mehr Leute auftauchten – das Spiel hatte sich offenbar herum gesprochen – kam neugieriges Gemurmel auf. „Tsubasa ist nicht da.“ „Komisch – im Training gestern hab ich ihn auch nicht gesehen.“ „Er war auch nicht in der Schule, ich bin in seiner Klasse!“ „Die Anderen haben gesagt, er ist krank....“ „Ob das stimmt? „Vielleicht ist er auch wieder verletzt....“ Sanae biss die Zähne zusammen und zwang sich, die Kommentare auszublenden, und statt dessen die Umgebung aufmerksam, aber unauffällig zu mustern. Groß gewachsen, schwarze Haare, blaues T-Shirt. Es war nicht viel, aber alles, was sie hatten. Zwischendurch suchte sie immer wieder Kumi in der Menge, die sich auf der anderen Seite des Feldes postiert hatte. Wenn jemand unter den vielen Besuchern, die zufällig ein blaues T-Shirt trugen, den Entführer erkennen konnte, dann sie. Yukari dagegen stand nicht weit von Sanae entfernt, und sie fand es äußerst beruhigend, ihre Freundin in der Nähe zu wissen. Ihre Nerven lagen blank, und sie war dankbar, dass noch niemand auf die Idee gekommen war, sie wegen Tsubasas Fehlen anzusprechen. Es war 11.55 Uhr, als die Toho-Mannschaft eintraf. Die Anderen unterbrachen ihr Aufwärmtraining und blickten ihren Gegnern mit gemischten Gefühlen entgegen. Das Gemurmel im Publikum wurde noch größer. „Cool, sie sind endlich da.“ „Jetzt geht’s bald los.“ „Das wird öde, ohne Tsubasa haben sie nicht viel Chancen....“ „Ach, Schwachsinn, sie spielen alle gut!“ „Vielleicht kommt er auch noch.“ Sanae schluckte und blickte wieder zu Kumi hinüber, die sich aber anscheinend eine bessere Stelle zum Beobachten suchte, sie stand nicht mehr am selben Platz. Sanae kam nicht dazu, sie weiter zu suchen, das Gerede um sie herum lenkte sie wieder ab. „Vielleicht hat Tsubasa ja auch keine Lust?“ „Keine Lust?! Hast du ne Meise? Wir reden hier von Tsubasa!“ „Kojiro sieht auf alle Fälle nicht begeistert aus.“ Unwillkürlich wandte Sanae den Kopf. In der Tat, Kojiro wirkte verärgert. Sein siegessicheres Lächeln war verschwunden, er blickte sich suchend um, und lief schließlich mit finsterer Miene zu den Anderen hinüber. „Hey! Wo ist Tsubasa?!“, herrschte er Kisugi an. „Warum kommt er zu spät?“ „Ich....äh....“ Kisugi blickte sich hilflos um. Izawa trat einen Schritt vor. „Tsubasa kann nicht kommen. Er... er ist krank.“ „Was?! Willst du mich verarschen, oder wie?? Tsubasa kann nicht krank sein!“ „Er ist es aber.“, entgegnete Izawa so ruhig wie möglich. „Gestern schon....die Anderen wollten es dir ja erklären...“ „Sie haben gesagt, er ist beim Sondertraining!“ „Nein, du hast es gesagt. Sie wollten dir nur nicht widersprechen. Wir haben auch gehofft, dass er bis heute wieder einsatzfähig ist.“ Kojiro starrte ihn wütend an, und Izawa erwiderte den Blick bleich, aber gefasst. „Das ist beleidigend.“, meinte Kojiro schließlich drohend leise, bevor er sich umwandte und zu seinen Teamkameraden zurück ging. Sanae unterdrückte ein Seufzen. Wenn sie Tsubasa doch nur gefunden hätten, dann könnten sie Toho wenigstens alles erklären! Ihre Gedanken kehrten wieder zu Tsubasa zurück. Hoffentlich ging es ihm gut, hoffentlich hoffentlich hoffentlich..... Sie sehnte sich danach, ihn zu sehen. Das Foto in seiner Schultasche fiel ihr ein, der Ausflug, sein Lächeln an dem Tag.... Plötzlich stockte sie. Einen Moment..... Sie wurde bleich. Dann wandte sie sich abrupt um und schob sich durch die Menge davon. Yukari rief ihren Namen, aber Sanae reagierte nicht. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Wenn sie wirklich recht hatte, dann..... „Tsubasa.....“ „Sanae, warte auf mich!“ Kumi versuchte ebenfalls, sich den Weg freizukämpfen, aber da das Spiel in diesem Moment angepfiffen wurde und niemand auf sie achtete, fiel ihr das nicht wirklich leicht. „Sanae!!“ Ihre Freundin hörte sie bereits nicht mehr. Sie rannte so schnell sie konnte zu sich nach Hause, stürmte die Treppe nach oben, an ihrer verdutzten Mutter vorbei, und in ihr Zimmer. Völlig außer Atem warf sie die Tür hinter sich ins Schloss und rannte zu Tsubasas Schultasche hinüber, die immer noch auf ihrem Bett lag. Ihre Hände zitterten, und es dauerte ein paar Sekunden, bis sie die Schnallen öffnen konnte. Als sie es endlich geschafft hatte, kippte sie den Inhalt der Tasche auf die Decke. Fieberhaft schob sie die Bücher und Hefte zur Seite, ließ sie achtlos auf den Boden fallen. Sie öffnete das Mäppchen und verstreute die Stifte auf dem Bett, schüttelte es, um ganz sicher zu gehen. Dann nahm sie sich die Schulmappe erneut vor, durchsuchte jedes einzelne Fach, hielt sie über Kopf und rüttelte sie ebenfalls. Wieder nichts. Sanae warf die Mappe zu den restlichen Sachen auf das Bett und kümmerte sich nicht darum, dass sie nicht richtig traf und die Tasche auf den Boden polterte. Sie hastete zurück zur Tür, riß sie auf, und rannte unter den Augen ihrer immer noch verwirrten Mutter wieder aus dem Haus. Draußen kam ihr Yukari völlig außer Atem entgegen. „D....da bist du ja!“; japste sie. „Ich hab dich überall gesucht! Was ist...?“ „Keine Zeit für Erklärungen, Yukari! Ich muss mich beeilen!“ „Aber....wohin gehst du denn? Ich dachte, wir wollten....“ „Planänderung!“, meinte Sanae knapp. „Bleib du bei den Anderen, ich melde mich so bald wie möglich!“ „Was?! Du spinnst ja, ich komme mit!“ „Nein, tust du nicht! Jemand muss das Spielfeld beobachten, falls ich mich irre, zwei Leute sind zu wenig. Der Typ darf uns nicht entwischen! Na los, lauf schon!“ “Ja....aber....“ „Bis später!“ Damit ließ Sanae ihre verdutzte Freundin erneut stehen und rannte weiter. Sie durfte nicht noch mehr Zeit verlieren...... Kapitel 11: Licht ----------------- Kapitel 11: Licht Sanae hatte ihr Ziel fast erreicht. Sie verlangsamte ihre Schritte und gestattete sich eine kurze Pause. Völlig außer Atem stützte sie sich an einer Hauswand ab und blickte die Straße entlang. Es waren vielleicht noch 500 Meter bis zu Tsubasas Adresse, sie konnte das Dach seines Hauses bereits sehen. Mit einem Mal kamen Zweifel in ihr auf. Ob sie wirklich recht hatte? Was, wenn sie sich irrte und sie den T-Shirt Typen nicht fanden, weil sie auf ihrem Beobachtungsposten gefehlt hatte? Sanae schüttelte sich etwas und drängte diesen Gedanken in den Hintergrund, bevor sie ihren Weg fortsetzte. Jetzt gab es kein Zurück mehr, sie musste sich einfach davon überzeugen. In der nächsten Sekunde erstarrte sie plötzlich. Mittlerweile konnte sie auch den Garten und die Einfahrt sehen. Die Haustür wurde gerade geöffnet. Sanae reagierte und huschte in eine Gasse, bevor sie einen vorsichtigen Blick um die Ecke riskierte. Der Typ mit dem blauen T-Shirt – nun ja, mittlerweile trug er tatsächlich ein grünes – aber die restliche Beschreibung stimmte. Groß, dunkle Haare, Jeans.... Wieder drängte Sanae ihre Zweifel in den Hintergrund und beobachtete, wie der Mann die Haustür hinter sich zuzog und in entgegengesetzter Richtung die Straße entlang ging. Sein Gesicht hatte sie dummerweise nicht sehen können, aber das war ihr im Moment egal. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, und sie spürte eine Mischung aus Freude und Angst. Auch wenn die Beschreibung auf jeden zweiten Menschen hier in Nankatsu passte, was für einen Grund sollte es geben, dass ein Fremder plötzlich aus Tsubasas Haus kam?! Sanae musste sich beherrschen, um nicht sofort loszurennen. Sie musste nach wie vor vorsichtig sein...... In diesem Moment huschte aus einer Häuserlücke nicht weit von ihr entfernt eine zweite Gestalt. Sanae starrte sie verdattert an. Kumi?! Sie zögerte kurz und beobachtete, wie das Mädchen die Einfahrt zu Tsubasas Adresse empor hastete und an der Haustür rüttelte. Dann trat sie aus ihrem Versteck hervor und rannte ebenfalls zu dem Haus. „Kumi? Was machst du hier?“ Kumi unterdrückte einen erschrockenen Schrei und wirbelte herum. Mit aufgerissenen Augen starrte sie Sanae an. „Ach...du bist's....hast du mich erschreckt!“ „Was machst du hier?!“, wiederholte Sanae ungeduldig. „Du solltest doch beim Spiel sein und den anderen suchen helfen!“ „Du doch genauso!“ Ein paar Sekunden starrten sich die Beiden stumm an, dann seufzte Sanae. „Tsubasas Hausschlüssel ist nicht da.“ „Hä?“ „In seiner Schultasche. Sein Schlüssel fehlt. Und darum dachte ich, dass......“ Sie brach ab. Mit einem Mal klang das so lächerlich. Was, wenn sie sich wirklich irrte? Er konnte den Schlüssel auch im Laufe des Tages irgendwo verloren haben.... Kumi schluckte. „Ich habe den Typen auf dem Spielfeld gesehen, dachte ich zumindest. Und er ist plötzlich weggelaufen, und ich bin hinterher, und..... Es tut mir leid, dass ich euch nicht Bescheid gesagt hatte, aber ich hatte Angst, ihn wieder aus den Augen zu verlieren....“ „Du bist ihm bis hierher gefolgt?“ „Ja.“ Sanaes Herz begann wieder schneller zu schlagen. Das bedeutete..... „Komm mit!“ Sie packte Kumis Arm und zerrte sie hinter Haus in Richtung Terrasse. „Tsubasa hat mir vor kurzem erzählt, dass ein Fenster kaputt ist, es lässt sich nicht mehr hundertprozentig schließen. In den nächsten Tagen sollte ein Handwerker kommen und das in Ordnung bringen.“ Sanae schluckte. „Tsubasa sollte darauf achten, dass der Typ ordentlich arbeitet, das war eine von den Aufgaben, die er von seiner Mutter bekommen hat, solange sie weg ist.“ Kumi schwieg und betrachtete Sanae von der Seite. „Hier ist es.“ Sanae blieb vor dem Wohnzimmerfenster stehen. „Das sieht aber nicht kaputt aus.“, zweifelte Kumi. „Ist es aber trotzdem. Siehst du?“ Sie drückte gegen die Scheibe, und in der Tat – das Fenster ließ sich leicht öffnen. „Frau Ozora war ziemlich erleichtert, dass man von außen wenigstens nichts sieht. Komm jetzt.“ Sie zog sich am Fenstersims hoch und kletterte in den Raum, Kumi folgte mit einiger Mühe. Sanae blickte sich um. Das Wohnzimmer sah aus wie immer. Wie oft war sie jetzt schon hier gewesen? „Tsubasa?“ Nichts, das Haus blieb still. Kumi und Sanae tauschten einen Blick, bevor sie es erneut versuchten. „Tsubasa, bist du hier irgendwo?“ „Wir sind's!“ Wieder keine Antwort. Entweder Tsubasa hörte sie nicht, oder er konnte nicht antworten.........oder er war nicht hier. Sanae schob die Gedanken wieder zur Seite und betrat die Küche. Ihr stockte der Atem. Hier herrschte ein heilloses Durcheinander, anscheinend hatte es sich jemand in der letzten Zeit gemütlich gemacht. Essensreste und schmutziges Geschirr stapelten sich auf der Anrichte und dem Tisch, Müll lag auf dem Fußboden, sämtliche Schränke waren aufgerissen und augenscheinlich durchsucht worden. Der Kühlschrank stand offen, er war leer. Sanae schloß ihn geistesabwesend. Wer auch immer hier gewesen war, er hatte die ganzen Vorräte vernichtet..... „Ich hab in alle Zimmer gesehen, auch oben.“, japste Kumi, die in diesem Moment in die Küche gestolpert kam. „Er ist nirgends!“ Sanae schluckte. Ihr Blick fiel auf die Kellertür. „Eine Möglichkeit haben wir noch....“ Kumi sah sie verwundert an, dann folgte sie ihrem Blick und wie in stummer Übereinkunft begannen die beiden Mädchen zu laufen. Sanae erreichte die Tür als erste, sie rüttelte an der Türklinke. Abgeschlossen. „Tsubasa?!“ Kumi hämmerte gegen das Holz. „Tsubasa, wir sind's! Tsub....!“ „Bist du verrückt?!“, fauchte Sanae erschrocken und riß sie zurück. „Was, wenn der Typ nicht alleine arbeitet?!“ Kumi erstarrte. „Oh.....“ Sanae ließ sie los und blickte sich suchend um. „Lass mich mal überlegen, irgendwo hier ist der zweite Schlüssel....“ „Aber hier wurde doch alles durchsucht.....“ „Ich weiß, aber trotzdem....“ Sanaes Miene hellte sich auf, als sie sich wieder erinnerte. „Ah,da!“ Sie rannte zum Fenster hinüber und reckte sich, um die Vorhangsstange zu erreichen. „Tsubasas Mutter ist immer kreativ, was solche Verstecke angeht.“ Sie löste den Schlüssel aus einer Vorhangsfalte. „Du kennst dich hier sehr gut aus.“, meinte Kumi leise. „Na ja...“ Sanae lächelte leicht. „Ich hab Tsubasa in den letzten vier Jahren oft besucht..... Beste Freunde, sozusagen.“ Ihr Lächeln schwand. Beste Freunde..... Kumi musterte sie mit einem seltsamen Blick, aber Sanae achtete nicht darauf. Sie riß sich zusammen und kam mit dem Schlüssel zurück. Er passte und ließ sich leicht im Schloss drehen. Die Tür ging auf. Eine Treppe führte nach unten, der eigentliche Kellerraum wurde noch einmal von einer Tür getrennt. Sanae tastete nach dem Lichtschalter, und als die Lampe aufflackerte, stockte ihr der Atem. Da waren Blutstropfen auf der Treppe. Nur wenige zwar, aber sie führten eindeutig nach unten. Sie tauschte einen neuen Blick mit Kumi aus, bevor sie nach unten stiegen, ohne ein Wort zu sagen. Die Tür war erneut abgeschlossen, aber der Schlüssel passte auch hier, und Sanae drückte die Klinke nach unten. Als sie in den Raum sehen konnten, unterdrückten sie beide einen Aufschrei. Das Licht vom Gang fiel genau auf Tsubasa, der auf einer alten Matratze an die Wand gelehnt saß, Arme und Beine gefesselt. Er war halb zur Seite gesunken und rührte sich nicht. „Tsubasa!!“ Sanae rührte sich zuerst. Sie rannte zu ihm hinüber und fiel neben ihm auf der Matratze in die Knie. „Tsubasa! Tsubasa, sag doch was!! Tsubasa!!!“ Sie faßte ihn an den Schultern und rüttelte ihn leicht, aber er reagierte nicht. Er sah noch blässer aus wie auf dem Foto, ein zweiter Bluterguss hatte sich an seinem Kinn gebildet. „Tsubasa!“ Auch Kumi löste sich aus ihrer Erstarrung und hastete zu den Beiden. „Ist er....?“ Sanae schüttelte den Kopf. „Nein, nur bewußtlos..... Mach mal das Licht an, Kumi.“ Das Mädchen zögerte, aber dann gehorchte sie. Die Glühbirne an der Decke flammte auf. Sanae sah sich sprachlos um. Alle Wände waren mit schwarzen Stoffen abgehängt, vermutlich damit Tsubasa nicht erkannte, wo er war. Irgendjemand hatte sich verdammt viel Mühe gemacht..... Wut kroch in ihr hoch, aber sie wurde abgelenkt, als Tsubasa mit einem matten Stöhnen den Kopf zur Seite wandte. „Tsubasa! Tsubasa, hörst du mich?“ Sie packte ihn wieder an der Schulter, und dieses Mal zuckte Tsubasa leicht zusammen. Er öffnete mühsam die Augen, und Sanae sah ihn erleichtert an. Ihre Freude schwand jedoch, als sie den leeren Ausdruck in seinem Blick bemerkte. Er erkannte sie nicht. „Kumi, lauf schnell nach oben und ruf einen Arzt, und dann läufst du zurück zum Fußballplatz und sagst den Anderen, dass wir Tsubasa gefunden haben und dass sie normal spielen können.“ „Was....? Aber Sanae, ich will nicht....“ „Los, Kumi, mach schon!“, schnitt ihr Sanae ungeduldig das Wort ab. „Wir haben keine Zeit, du siehst doch, dass es ihm nicht gut geht.“ Kumi preßte die Lippen zusammen, dann wandte sie sich auf dem Absatz um und rannte wieder nach oben. Sanae ließ Tsubasa los und versuchte statt dessen, die Fesseln an seinen Hand- und Fußgelenken zu lösen. Es war nicht leicht, der Typ hatte eine ganze Menge Klebeband verwendet, aber schließlich hatte sie es geschafft. Tsubasas Kopf war wieder zur Seite gesunken, er hatte das Bewußtsein wohl wieder verloren. Sanae hatte das Gefühl, als würde jemand eine Klammer um ihre Brust langsam zuziehen. Hatte er noch mehr Verletzungen, die jetzt nicht sichtbar waren? Hoffentlich kam der Arzt bald..... In diesem Moment fiel ihr Blick auf das umgestoßene Wasserglas, dass ein paar Meter entfernt lag. Es hatte eine Spur aus verschüttetetem Wasser hinterlassen, der Boden war nass, und in einer anderen Ecke stand eine halbvolle Flasche. In Sanae keimte ein furchtbarer Verdacht auf. Sie packte die Flasche und hob die Öffnung an ihre Nase. Es roch zumindest wie normales Wasser, aber trotzdem..... Sie rannte die Treppe wieder nach oben, suchte in dem ganzen Chaos in der Küche ein sauberes und nicht zerbrochenes Glas, füllte es und stürzte damit wieder nach unten. „Hier, Tsubasa, trink das.“, meinte sie außer Atem, während sie sich wieder neben ihn auf die Matratze kniete. „Komm schon...“ Sie hob seinen Kopf etwas an und setzte ihm das Glas an den Mund. Er zuckte unter ihrer Berührung wieder leicht zusammen, und es hatte den Anschein, als wollte er sich wehren, aber dann registrierte er das Wasser. Er trank es so hastig, dass er sich prompt verschluckte und von einem heftigen Hustenanfall geschüttelt wurde. „Langsam.“, meinte Sanae leise. Beim Klang ihrer Stimme zuckte er erneut zusammen,dann öffnete er die Augen. Ungläubig blickte er sie an. „S....Sanae?!“ Sanae nickte erleichtert. Sie wußte nicht, worüber sie sich mehr freute – dass es Tsubasa doch nicht so schlecht ging wie zuerst angenommen, oder dass er sie wieder erkannte. Am liebsten hätte sie angefangen zu weinen. „Dieses.....dieses Mal bist du aber wirklich.....wirklich da, oder?“ „Was?“ Sanae starrte ihn verdutzt an. „Klar bin ich da.....“ Tsubasa lächelte schwach und lehnte den Kopf wieder an die Wand. „Ihr.....ihr habt euch ziemlich....Zeit....Zeit gelassen.....“ Sanae musste ebenfalls lächeln. „Tut mir leid.....“ Ihr Blick wurde wieder besorgt, als sie bemerkte, dass Tsubasas Blick wieder etwas glasig wurde, er schien Mühe zu haben, wach zu bleiben. „Hey.“ Sie faßte sein Gesicht mit beiden Händen und drehte es behutsam so, dass er sie ansehen musste. „Du darfst nicht einschlafen. Bleib hier bei mir, okay? Der Arzt ist jeden Moment da.“ Kapitel 12: Sorge ----------------- Kojiro war nicht mehr schlecht gelaunt. Er war wütend. Rasend wütend. Das Spiel lief seit 15 Minuten und war eine einzige Farce. Es stand bereits 7:0 für Toho, Shingo machte sich nicht mal richtig die Mühe, die Bälle zu halten. Ein Tor hatte Nankatsu sogar durch eigene Schuld kassiert, Yamamori hatte das Leder aus Versehen hinter die Linie befördert. Einen Angriff hatte es von ihrer Seite noch nicht ein einziges Mal gegeben, verteidigt wurde nur halbherzig. Die meiste Zeit standen die Spieler mehr oder weniger betreten auf ihren Plätzen. Die ersten Zuschauer buhten bereits, einige verließen das Feld unter enttäuschtem Gemurmel. „Verdammt noch mal, was soll denn das?!“, explodierte Kojiro, als Takeshi bereits mit einem laschen Schuss das achte Tor erzielte. Er marschierte zu Ryo hinüber, der gerade in seiner Nähe stand, und packte ihn am Kragen, den Protest des Schiedsrichters ignorierend. „Warum spielt ihr nicht richtig?! Nehmt ihr uns nicht ernst, oder was?“ Ryo schwieg und wich seinem Blick aus. Kojiro widerstand dem Drang, zuzuschlagen. Er stieß den Jungen von sich weg. „Ist das alles ein Spiel von Tsubasa?“, fauchte er wütend. „Will er mich lächerlich machen?“ „So ein Unsinn!“, entfuhr es Izawa. „Das stimmt nicht....“ „Aha? Und wo ist er dann? Das Märchen das er krank ist könnt ihr sonst jemandem erzählen! Er war noch nie krank, seit ich ihn kenne noch nicht!“, antwortete Kojiro finster. Er wandte sich um und ging in seine Spielfeldhälfte zurück. „Und ich dachte, wir wären so was wie befreundet.....“ Izawa tauschte einen verzweifelten und ratlosen Blick mit den Anderen aus. Just in diesem Moment schob sich Kumi atemlos durch die Menge und stolperte mitten auf das Feld. „Wir haben ihn“, japste sie erschöpft. „Wir haben Tsubasa gefunden.....“ Ein paar Sekunden herrschte Stille. Alle – auch die Mannschaft von Toho und die letzten verbliebenen Zuschauer (die meisten hatten sich mittlerweile verkrümelt) – starrten sie verdutzt an. Izawa realisierte als erster, was sie gesagt hatte. „Er ist in Sicherheit?“, vergewisserte er sich hastig. Kumi nickte und stützte außer Atem die Hände auf die Knie. „Ja.....“ „Was zur Hölle ist hier überhaupt los?!“, fragte Kojiro drohend leise, während die Nankatsu-Mannschaft erleichtert aufatmete. „Das....das erklären wir dir später.“, meinte Ryo ausweichend. Er blickte zu den Anderen hinüber und stellte fest, dass sie wohl dasselbe dachten wie er. „Sorry – aber wir müssen ne kurze Pause machen, ja? Danach geht’s richtig los – wenn du willst, auch von vorne. Wartet hier!“ Und damit ließ er den verdatterten Kojiro und seine Mannschaft einfach stehen, packte die immer noch erschöpfte Kumi am Handgelenk und zog sie mit sich, gefolgt von seinen Freunden. „Das gibt’s doch nicht.“, meinte Takeshi perplex und blickte Kojiro an. „Was haben die denn auf einmal?“ Kojiro schwieg finster. „Geht nach hause.“, meinte er schließlich leise. „Das Spiel ist abgeblasen! Ich komme bald nach.“ Er wandte sich auch an das verbliebene Publikum. „Habt ihr gehört? Es gibt nichts mehr zu sehen, das Spiel findet nicht statt! Verzieht euch!“ Damit beeilte er sich, der Nankatsu-Mannschaft zu folgen. *** Er holte die Anderen ein, als sie gerade die Straße von Tsubasas Haus einbogen. Auch Kumi und Yukari waren dabei. Ohne auf ihre verdutzten Blicke zu reagieren, ging er zu Izawa und Ryo nach vorne. „Ihr schuldet mir nachher eine verdammt gute Erklärung.“, meinte er knapp. Izawa und Ryo starrten ihn einen Moment lang irritiert an, kamen aber nicht dazu, noch etwas zu sagen. Alle hatten den Krankenwagen, der einige hundert Meter entfernt parkte, gleichzeitig gesehen, und begannen zu rennen. Drei Sanitäter schoben eine Trage aus der geöffneten Haustür, einer hielt beim Laufen eine Infusion in die Höhe. Eine reglose Gestalt war darauf festgeschnallt und in mehrere Decken eingehüllt. Als die Anderen das Haus endlich erreichten, konnten sie gerade noch Tsubasas bleiches Gesicht sehen, bevor einer der Sanitäter zu ihm in den hinteren Teil des Wagens stieg und die Türen geschlossen wurden. Mit Blaulicht und Sirene fuhr das Auto ab. Izawa und seine Freunde starrten ihm geschockt hinterher und wandten sich dann zu Sanae um, die das Haus mittlerweile ebenfalls verlassen hatte. Sie sah ziemlich blass und mitgenommen aus. „Was ist mit Tsubasa? Wo bringen sie ihn hin?“, wollte Taki hastig wissen. „Ins Krankenhaus.“ Sanae schlang die Arme um den Oberkörper. „Es geht ihm nicht wirklich gut, der Typ hat ihm anscheinend nicht nur einmal auf den Kopf geschlagen. Ich hatte Mühe, ihn irgendwie wach zu halten, bis der Arzt kommt.......teilweise hat er mich gar nicht erkannt.“ Sie holte tief Luft. „Wenn ich das richtig verstanden habe, wollen sie ihn richtig untersuchen, um Gehirnblutungen oder einen Schädelbruch auszuschließen....“ Schweigen senkte sich über die Gruppe. Die Freude darüber, dass der Albtraum erst mal ausgestanden war, verflog so schnell wie sie gekommen war. Kojiro rührte sich als erster. Seine Stimme klang belegt. „Was meint ihr mit Gehirnblutungen und Schädelbruch? Und wer hat ihm auf den Kopf geschlagen? Was zum Teufel ist hier überhaupt los?!“ Izawa übernahm das Erklären. In knappen Worten schilderte er, was seit der Herausforderung geschehen war, und Sanae ergänzte um das Wenige, was sie von Tsubasa erfahren hatte. „Er hat kein Wasser bekommen? Zwei Tage lang?“, wiederholte Shingo fassungslos. Kojiro ballte beide Hände fest zu Fäusten, so dass seine Knöchel weiß hervor traten. „Wenn ich dieses Schwein in die Finger kriege.....“, knirschte er wütend. Sanae fühlte sich zu ausgelaugt, um zornig zu werden. „Ich fahre zu Tsubasa in die Klinik.“; meinte sie leise. „Es ist sicher besser, wenn jemand bei ihm ist, wenn er aufwacht......“ Sie erinnerte sich an seinen geschockten Gesichtsausdruck, als er registriert hatte, dass er die ganze Zeit über in seinem Zuhause festgehalten worden war. Kurz darauf hatten jedoch die Medikamente des Arztes angefangen zu wirken....Sanae bezweifelte, dass er ab diesem Zeitpunkt wieder irgendetwas mitbekommen hatte. „Wir kommen auch mit.“, meinte Kisugi hitzig, und auch die Anderen nickten zustimmend. Sanae registrierte es gar nicht richtig. Sie bekam nur mit, dass Yukari sich durchdrängelte und sich bei ihr einhakte. „Kopf hoch.“; murmelte sie leise, während sie ihre Freundin die Straße entlang führte. „Tsubasa ist schon mit vielen Verletzungen fertig geworden, in Nullkommanichts ist er wieder auf den Beinen.“ Sanae brachte nur ein klägliches Lächeln zustande. Der leere Ausdruck in Tsubasas Augen hatte sich in ihr Gedächtnis eingebrannt, genauso wie das geronnene Blut an seiner Schläfe und die tiefen Schürfwunden an Hand- und Fußgelenken. Hoffentlich war nicht schwer verletzt.....hoffentlich, hoffentlich, hoffentlich...... Eine Stunde später erreichten sie das örtliche Krankenhaus und erhielten dort die Auskunft, dass Tsubasa immer noch untersucht wurde. Also setzten sie sich in eine Besuchergruppe und begannen gemeinsam zu warten. Kumi suchte sich einen Platz etwas abseits und heftete den Blick wie gebannt auf die Doppeltür, über der das Schild „Notaufnahme“ hing. Sanae tat es ihr gleich, sie bekam nicht einmal mit, dass Yukari sich neben sie setzte und ihre Hand faßte. Die Anderen verteilten sich auf die restlichen Stühle und Sessel. Keiner sprach. Kojiro war ebenfalls mitbekommen, niemand wunderte sich darüber oder stellte Fragen. Es sprach überhaupt niemand, während die Sekunden zu Minuten wurden und die Minuten zu Stunden, ohne dass es Neuigkeiten gab. Kapitel 13: Wache ----------------- Mittlerweile warteten sie bereits fünf Stunden. Izawa hatte zwischendurch die Polizei gerufen und sie zu Tsubasas Haus geschickt, ein Beamter war außerdem hier gewesen und hatte Fragen gestellt. Als klar wurde, dass sie ihm wenig sagen konnten, und nachdem sie die Fotos übergeben hatten, hatte er sich einen Arzt geschnappt, der in diesem Moment vorbei gekommen war, und hatte sich ein paar Minuten lang gedämpft mit ihm unterhalten. Die Wortfetzen „nicht vernehmungsfähig“ und „weiß nicht genau, wann“ waren zu ihnen durchgedrungen. Danach waren beide wieder gegangen, und Tsubasas Freunde wußten immer noch nicht mehr. Die Atmosphäre war zum Zerreissen gespannt. Ausgerechnet heute war in der Notaufnahme generell die Hölle los, ständig rannten Ärzte und Krankenschwestern umher, trafen neue Notfälle ein. Sanae versuchte sich einzureden, dass nur deshalb alles so lange dauerte, aber jedes Mal, wenn sie das Wort „Notoperation“ hörte und ein neuer Trupp Krankenhauspersonal an ihr vorbei hastete, zuckte sie zusammen. Ihre Hände verkrampften sich in ihrem Schoß. Endlich – nach fast sechs Stunden – kam ein Arzt zielstrebig auf die Gruppe zu. Sanae sprang sofort auf, und Yukari, die mittlerweile eingenickt war, folgte ihrem Beispiel. Auch die Anderen erhoben sich augenblicklich, sobald sie den Mann bemerkten. „Wie geht es Tsubasa?“, wollte Sanae sofort wissen, bevor er auch nur ein Wort sagen konnte. Der Arzt blickte sie ernst an. „Ihr seid Freunde von ihm, nehme ich an?“ „Ja.“ „Irgendwelche Verwandte?“ „Nein, aber....“ „Tut mir leid, dann kann ich euch nichts sagen. Wisst ihr, wie wir seine Eltern erreichen können?“ Sanae nickte, schüttelte aber gleich darauf den Kopf. „Sie sind im Ausland, ich glaube die Nummer ist bei ihm zuhause neben dem Telefon...... Aber können Sie uns denn wirklich nichts näheres sagen?“ „Nein, tut mir leid!“ „Aber....“ Ryo mischte sich ein. „Bitte, wir machen uns alle Sorgen! Wir wollen doch nur wissen, ob er schwer verletzt ist!“ „Tut mir leid, wir dürfen nur Familienangehörigen Auskünfte geben.....“ „Ach, halten Sie doch den Rand!“ Stille kehrte ein. Die Anderen waren nicht weniger überrascht als der Arzt. Verdutzt starrten sie Kojiro an, der sich einen Weg nach vorne bahnte und sich vor dem Mann aufbaute. „Sie haben doch absolut keine Ahnung! Wir haben dafür gesorgt, dass er überhaupt endlich Hilfe bekommen hat, und wir haben hier den ganzen Nachmittag gewartet! Ich bin möglicherweise gefeuert deswegen, weil ich nicht bei meinem Job aufgetaucht bin! Und deshalb lassen sie endlich dieses arrogante Gerede und sagen uns zum Teufel noch mal, was los ist!“ Wütend funkelte er den Arzt an. „Wird's bald?!“ „Äh...“ Der Mann blinzelte verdutzt. „Nun ja......wisst ihr, ich bin nun mal an die Schweigepflicht gebunden, und wenn ich nicht das Einverständnis seiner Eltern habe oder von ihm selbst, dann....“ „Na und?!“, wurde er von Kojiro ungeduldig unterbrochen. „Wir haben nur eine ganz einfache Frage: Geht es ihm gut, ja oder nein? Das hat doch nichts mit Schweigepflicht zu tun, keiner interessiert sich für den ganzen medizinischen Schnickschnack!“ Kurze Zeit sagte keiner etwas. Dann glitt ein leichtes Lächeln über das Gesicht des Arztes. „Hm, unter diesem Gesichtspunkt....“ Er blickte sich kurz um, aber inzwischen hatte sich die Notaufnahme geleert und niemand stand mehr in direkter Hörweite. „Also schön. Tsubasa geht es den Umständen entsprechend gut, er hat Glück gehabt und ist mit einer Gehirnerschütterung davon gekommen. Allerdings ist er noch nicht wach und war die meiste Zeit über auch nicht ansprechbar, es wird wohl ein paar Tage dauern, bis er wieder fit ist.“ Keine schlimmen Verletzungen? Die Anderen atmeten auf. Kumi begann vor Freude zu weinen, und Sanae bekam vor Erleichterung weiche Knie. Sie musste sich an Yukari festhalten, die ihre Hand aufmunternd drückte. „Kann ich......ich meine, können wir ihn sehen?“, wollte Sanae unsicher wissen. Der Arzt schüttelte den Kopf. „Nein, besser nicht. Er braucht absolute Ruhe, das ist es jetzt das wichtigste. Geht am besten nach Hause, vielleicht könnt ihr ihn morgen besuchen.“ „Aber ich....“ „Kopf hoch, Sanae.“ Izawa legte ihr die Hand auf die Schulter. „Es war ein langer Tag für uns alle und wahrscheinlich helfen wir Tsubasa wirklich am besten, wenn wir ihn ausruhen lassen. Morgen früh können wir ja alle wieder kommen, dann geht es ihm bestimmt schon besser.“ Die Anderen nickten zustimmend, und Sanae schwieg niedergeschlagen. „Denkt dran, ich habe euch absolut nichts erzählt – außer dass es ihm gut geht.“, meinte der Arzt mit einem Augenzwinkern. „Und ich wäre euch dankbar, wenn ihr uns noch die Nummer seiner Eltern zukommen lassen könntet, damit wir sie verständigen können.“ Damit setzte er seinen Weg fort, und die Anderen verließen die Klinik. Sanae folgte ihnen notgedrungen. Aber als sie bereits im Freien waren, blieb sie plötzlich stehen. „Tut mir leid, aber ich kann nicht.“ Verwirrt wandten sie sich zu ihr um. Sie preßte die Lippen zusammen. „Ich kann nicht nach Hause gehen. Wir sehen uns morgen!“ Damit wandte sie sich um und rannte ins Krankenhaus zurück. „Sanae!“ Kumi wollte ihr hinterher, aber Yukari packte sie am Arm. „Lass sie, Kumi! Ich denke, es ist okay.“, meinte sie mit ruhig, und auch die Anderen lächelten leicht. „Wenn irgendjemand heute abend hier bleiben sollte, dann sie.....“ „Aber....“ Kumi blickte den Krankenhauseingang verzweifelt an, musste sich dann aber von Yukari mitziehen lassen. *** Als der Arzt kurze Zeit später zurück in die Notaufnahme ging, erwartete ihn eine Überraschung. Sanae saß wieder in einem der Sessel in der Nähe der Doppeltür und wartete. „Nanu? Ich dachte, du wolltest nach Hause gehen.“ Sanae schüttelte den Kopf, ohne ihn anzusehen. „Nein, ich wollte nicht, das waren Sie. Ich werde hier bleiben.“ „Was? Aber das geht nicht, die Besuchszeit ist lange vorbei, und Tsubasa braucht Ruhe.....“ „Ich werde nicht gehen.“, beharrte Sanae und blickte ihn nun direkt an. „Ich weiß, dass Tsubasa jetzt nicht alleine sein kann. Er war zwei Tage lang im Dunkeln eingesperrt, was glauben Sie, wie er reagieren wird, wenn er irgendwann in einem dunklen fremden Zimmer aufwacht und sich nicht daran erinnern kann, wie er dorthin gekommen ist?!“ Der Arzt schwieg und musterte sie nachdenklich. „Bitte.“, meinte Sanae flehend. „Ich will nur bei ihm bleiben, mehr nicht.....können Sie nicht eine Ausnahme machen?“ „Du bringst mich ganz schön in Schwierigkeiten, weißt du das?“ Sanae biß sich auf die Lippen und sagte nichts. Der Arzt musterte sie erneut durchdringend, dann lächelte er schließlich. „Komm mit.“ Ohne ein weiteres Wort ging er den Gang zurück.. Sanae war so überrascht, dass sie beinahe vergaß, ihm zu folgen. Hastig stand sie auf und stolperte ihm nach. Der Arzt führte sie zielstrebig in ein Büro und setzte sich hinter den Schreibtisch. „Wie schon erwähnt, die Besuchszeit ist lange vorbei, und ich kann dich nicht einfach so zu ihm lassen.“ „Aber ich...“ „Was hältst du von Verdacht auf Blinddarmentzündung?“ „Äh.....was?“ Sanae starrte ihn perplex an. Der Mann war bereits dabei, ein paar Notizen auf ein Blatt Papier zu kritzeln. „Wobei, nein....das ist vielleicht doch etwas zu übertrieben. Ich denke, phasenweise Übelkeit und starke Bauchschmerzen dürften ausreichen. Oder bist du auf irgendwas allergisch?“ „Äh......nein......keine Ahnung.......was soll das alles?“ Der Arzt beendete seine Notizen und lächelte sie verschmitzt an. „Besuch ist verboten, aber wie du mitbekommen hast, war hier heute abend die Hölle los, deshalb haben die Untersuchungen auch so lange gedauert. Das zweite Bett in Tsubasas Zimmer ist noch frei. Bei dem Chaos heute dürfte es nicht weiter auffallen, wenn du als Notfall dort übernachtest, der zur Beobachtung bleiben soll. Außerdem kenne ich die Krankenschwester sehr gut, die heute Nachtdienst hat, und ich selbst stehe ebenfalls auf Abruf. Es dürfte also keine Probleme geben. Irgendwelche Einwände?“ Sanae hatte erleichtert zu lächeln begonnen und schüttelte nur den Kopf. „Gut.“ Der Arzt holte ein neues Blatt Papier. „Dann brauche ich nur noch ein paar personelle Angaben von dir.“ Zehn Minuten später waren die Formalitäten erledigt und Sanae konnte kurz zu sich nach Hause, um sich ein paar Sachen zu holen, die sie über Nacht brauchte, und ihren Eltern Bescheid zu sagen. Allerdings verschwieg sie ihnen, dass sie im Krankenhaus schlafen würde, statt dessen reduzierte sie ihre Aussage darauf, bei Tsubasa zu übernachten – das entsprach ja auch mehr oder weniger der Wahrheit. Sie ignorierte das wissende Lächeln ihrer Mutter, als Tsubasas Name fiel, packte ihren Rucksack und beeilte sich, zurück in die Klinik zu fahren. Der Arzt erwartete sie bereits. „War Tsubasa denn mittlerweile schon wach?“, wollte Sanae atemlos wissen, während sie ihm einen weiteren Gang entlang folgte. Der Mann schüttelte den Kopf. „Nein, aber das wundert mich auch nicht. Er ist sehr geschwächt, und wir mussten ihm für die Untersuchung zusätzlich noch ein Beruhigungsmittel geben.“ „Was....?! Warum?“ „Er ist im Computertomographen kurz zu sich gekommen und in Panik geraten, weil er nicht wußte, wo er ist und die Röhre zu diesem Zeitpunkt noch dunkel war.“ Sanae schluckte. Der Arzt blickte sie von der Seite an. „Daher glaube ich, dass es wirklich keine schlechte Idee ist, wenn du bei ihm bleibst. Bist du seine Freundin?“ „Äh....“ Sanae wurde rot bis unter die Haarwurzeln. „Ich....nein.......also......“ Der Arzt lächelte wissend – genau wie ihre Mutter. Sanae wurde noch röter. „Ich verstehe. Ja ja, die Liebe....hier sind wir.“ Sanae war dankbar für den Themenwechsel, als sie vor einer weißen Zimmertür stehen blieben. Der Arzt öffnete sie und ließ sie eintreten. Im Raum herrschte Dämmerlicht, und sie brauchte ein paar Sekunden, bis sich ihre Augen umgewöhnt hatten. Dann konnte sie die reglose Gestalt sehen, die in dem Bett nahe am Fenster lag. Ihr Rucksack landete achtlos auf dem Boden, und sie hastete zu Tsubasa hinüber. Seine Stirn war verbunden, die Blutergüsse in seinem Gesicht und die Schürfwunden an seinen Handgelenken hoben sich deutlich von seiner blassen Haut ab. Durch eine Infusionsnadel tropfte irgendein durchsichtiges Mittel in sein Blut. Sanae schluckte, dann wandte sie sich zu dem Arzt um, der ihr langsamer folgte. „Ist er...immer noch bewußtlos?“ „Ich glaube nicht, er schläft nur. Wie gesagt, seine Verletzungen sind nicht schwerwiegend. Allerdings wird er wegen der Gehirnerschütterung ein paar Tage im Bett bleiben müssen.“ „Und...die Infusion?“ „Das ist eine Nährstoff- und Flüssigkeitslösung, er war ziemlich dehydriert. Deswegen hat im ersten Moment auch alles so schlimm ausgesehen. Du hast bei ihm zuhause genau richtig reagiert, als du ihm Wasser gegeben und versucht hast, ihn wach zu halten.“ Sanae wurde wieder leicht rot. „Woher wissen Sie, dass ich.....?“ „Ich habe mit den Sanitätern gesprochen.“ Der Arzt lächelte wieder. „Ich muss jetzt dann wieder zurück, die Pflicht ruft. Wenn du irgendetwas brauchst, sag einer Krankenschwester Bescheid, damit sie mich holt. Mein Name ist Sudo.“ „Sanae.“, antwortete sie automatisch, ohne den Blick von Tsubasa abzuwenden. Das Lächeln Dr. Sudos vertiefte sich, bevor er sich ohne ein weiteres Wort aus dem Zimmer zurück zog. Sanae bemerkte es nicht einmal. Sie zog sich einen Stuhl herüber und setzte sich dicht neben Tsubasas Bett. Nach kurzem Zögern tastete sie nach seiner Hand.....und zu ihrer Überraschung schlossen sich seine Finger nach ein paar Sekunden fest um ihre. Er wandte den Kopf.....und öffnete die Augen. Es schien ein paar Sekunden zu dauern, bis er Sanae erkannte. Sie lächelte ihn aufmunternd an, und Tsubasa erwiderte das Lächeln erschöpft, aber dankbar, bevor ihm die Augen wieder zufielen und er wieder einschlief. Kapitel 14: Wärme ----------------- Es wurde eine lange Nacht. Sanae fühlte sich todmüde, aber sie traute sich nicht, Tsubasas Griff um ihre Hand zu lösen. Zum einen wollte sie nicht riskieren, ihn so aufzuwecken, zum anderen hatte genoß sie es einfach – und bei diesem Gedanken wurde sie unwillkürlich wieder etwas rot. Zum Glück sah das niemand.... Es war weit nach Mitternacht, als sie sich endlich einen Ruck gab und versuchte, ihre Hand behutsam zurück zu ziehen. Es ging nicht. Tsubasas Griff war so fest, dass es beim besten Willen nicht möglich war, ihre Finger frei zu bekommen, ohne wirklich das Risiko eingehen zu müssen, ihn dabei aufzuwecken. Sanae starrte perplex auf die ineinander verschränkten Hände, dann glitt ihr Blick aufwärts zu Tsubasas Gesicht. Er sah im Moment völlig ruhig und entspannt aus, aber das konnte auch täuschen, so wie er ihre Finger fest hielt..... Sanae zögerte kurz, dann stand ihr Entschluss fest. Kein Bett heute nacht. Dass Tsubasa Schlaf fand und sich erholen konnte, war wichtiger. *** Sanae war nicht die einzige, die noch wachte. Kojiro saß in seinem Zimmer im Schneidersitz auf dem Boden und starrte aus dem Fenster. Hinter ihm herrschte ein heilloses Durcheinander. Die Wut darüber, dass er um sein Freundschaftsspiel betrogen worden war, hatte er an der Einrichtung ausgelassen. Nun konnte er sich morgen beim Aufräumen wenigstens ablenken. Während er nach draußen starrte, verhärteten sich seine Gesichtszüge erneut. Gleichzeitig schämte er sich. Es gab wichtigeres als das versäumte Spiel. Tsubasa hätte bei der ganzen Sache sterben können, und wofür? Für Fußball?! Vielleicht wäre das alles gar nicht passiert, wenn Kojiro ihn nicht herausgefordert hätte. Aber solche Gedanken brachten jetzt auch nichts mehr. Im Moment wollte er nur eines: Rache! Dafür, dass er jetzt möglicherweise vor Tsubasas Abreise keine Chance mehr hatte, sich mit ihm zu messen, und dafür, dass Tsubasa über zwei Tage lang wegen ihm eingesperrt gewesen war. Gleich morgen musste er mit ihm reden und versuchen, etwas über den Typen in Erfahrung zu bringen, damit er ihn zur Schnecke machen konnte. Unwillig zog er die Augenbrauen zusammen. „Na warte.“; knurrte er wütend. „Wenn ich dich in die Finger kriege!! Keiner geht so mit meinen Freunden und Rivalen um!“ *** Als Tsubasa am nächsten Morgen von grellem Licht geweckt wurde, war sein erster Gedanke, dass er alles nur geträumt hatte. Er war immer noch in diesem dunklen Loch, das Licht stammte von der offenen Tür, und jeden Moment kamen wieder irgendwelche Tritte oder Schläge..... Er wandte den Blick ab, um nicht mehr geblendet zu werden, aber zu seinem Erstaunen blieb es so hell. Außerdem war irgendetwas anders. Es dauerte ein paar Sekunden bis er herausfand, was. Er spürte seine Arme und Beine wieder, er war nicht mehr gefesselt, und er lag irgendwo. Und zu allem Überfluss lag irgendein Gewicht auf seinem rechten Handgelenk. Jetzt öffnete Tsubasa die Augen doch – und riss sie überrascht auf. „Sanae?!“ In der Tat, Sanae saß dicht neben ihm und war anscheinend eingeschlafen, den Kopf auf seinem Arm. Beim Klang seiner Stimme zuckte sie zusammen und schlug die Augen auf. Als sie bemerkte, dass er wach war, richtete sie sich sofort auf und begann zu strahlen. „Endlich bist du aufgewacht!“ „Was....?!“ Erst jetzt wurde Tsubasa bewußt, dass er ihre Hand fest hielt. Sofort ließ er sie los, als hätte er sich verbrannt, und hoffte, dass er nicht rot wurde. Sanae ließ sich nichts anmerken, sie lächelte erleichtert. „Wie geht’s dir?“ „Ich.......keine Ahnung..... was machst du hier?!“ „Dr. Sudo hat mir ausnahmsweise erlaubt, hier übernachten zu dürfen.“ Sanae wurde jetzt doch leicht verlegen, riß sich aber zusammen. „Fühlst du dich besser?“ Tsubasa verstand immer noch nichts. Verwirrt blickte er sich um. Das Zimmer, in dem er sich befand, war komplett weiß, genau wie das Bett, in dem er lag. Durch das Fenster fiel helles Sonnenlicht, dass ihn vorhin geweckt hatte. Er bemerkte die Infusionsnadel in seiner Hand und blickte den Schlauch entlang zu der leeren Infusion selbst, die am Bettgestell aufgehängt war. Er befand sich offensichtlich im Krankenhaus.......schon wieder! „Ich.....ich kapiere gar nichts.“; meinte er benommen. „Wie komme ich hierher?“ „Kannst du dich nicht daran erinnern?“ „Nein.....“ Tsubasa wollte sich aufrichten, gab den Versuch aber gleich wieder auf, als der vertraute Orkan wieder in seinem Kopf zu toben begann. „Au...“ „Bleib ruhig liegen. Dr. Sudo hat gesagt, dass du eine Gehirnerschütterung hast.....“ Gehirnerschütterung?! Tsubasa tastete unwillkürlich nach seiner Stirn und bemerkte den Verband. Seine Augen weiteten sich etwas, als die Erinnerung langsam zurück kam. „Das heißt......ich habe nicht geträumt? Du warst wirklich da, und ich war wirklich.....“ Er brach ab. Sanae nickte ernst. „Wir haben uns alle Sorgen um dich gemacht. Eigentlich wollten dich die Anderen auch besuchen, aber der Arzt hat verboten....ich musste ihn auch überreden, damit ich hier bleiben durfte.Du hast die ganze Zeit geschlafen....“ Tsubasa hörte ihr kaum zu. Sein Blick ging ins Leere. Er war wirklich die ganze Zeit über in seinem eigenen Zuhause im Keller eingesperrt gewesen?! „Tsubasa?“ Er zuckte zusammen, als er Sanaes Berührung auf seinem Arm spürte, und wandte den Kopf. Sie blickte ihn besorgt an. „Geht's dir gut? Ich kann auch den Arzt holen, wenn du willst.....“ „Nein.....nein, schon okay.“ Tsubasa lächelte schwach. „Ich fühle mich ein bisschen wie in einer unbequemen Kiste, aber es geht mir schon besser, wirklich. Nur mein Kopf dröhnt.....“ „Das ist auch kein Wunder.“ Sanae erwiderte sein Lächeln. „Warst.....warst du die ganze Nacht über hier?“, wollte Tsubasa zögernd wissen. „Ja, wie gesagt, ich durfte hier übernachten....“ „Das meine ich nicht. Ich wollte wissen, ob du die ganze Zeit hier sitzen geblieben bist. Du musst doch auch schlafen....“ Sanae wurde kurz verlegen, hatte sich aber schnell wieder im Griff. „Mach dir darüber mal keine Gedanken, das war schon okay. Ich bin nicht müde.“, schwindelte sie und stand auf. „Ich sage doch besser mal Dr. Sudo Bescheid, dass du aufgewacht bist, ja?“ Ohne ihm eine Chance zum Antworten zu lassen, verließ sie das Zimmer. Tsubasa starrte ihr einige Sekunden lang hinterher und dann auf seine Hand. Er glaubte fast, Sanaes warmen Griff immer noch zu spüren. Kapitel 15: Fragen ------------------ Der Arzt kam wenige Minuten später und verordnete Tsubasa nach einer erneuten kurzen Untersuchung (während der Sanae draußen warten musste) wiederholt strenge Bettruhe. „Wir behalten dich ein paar Tage noch zur Beobachtung hier, bis die Gehirnerschütterung abgeklungen ist. Aber ich denke, Ende der Woche kannst du nach Hause. Deine Eltern werden heute noch verständigt, wir haben ihre Nummer bisher noch nicht. Du weißt sie vermutlich auch nicht auswendig, oder?“ Tsubasa schüttelte vorsichtig den Kopf. Normalerweise hätte er sich gegen die Bettruhe gewehrt, aber heute war ihm das sogar ganz recht. Er fühlte sich zwar bereits wesentlich besser, aber die Baustelle in seinem Schädel war immer noch da und er hatte ein schwaches Gefühl im Körper. Ausruhen war da genau das richtige. Nach der Untersuchung konnte er Sanae mit Mühe und Not überreden, nach Hause zu gehen und sich selber etwas auszuruhen. Es wäre ihm natürlich am liebsten gewesen, wenn sie hier geblieben wäre, aber ihr blasses Gesicht und die Ringe unter den Augen zeigten, dass sie nicht ehrlich gewesen war, was ihre Müdigkeit anging. Sie versicherte, so bald wie möglich zurück zu kommen, und für ein paar Sekunden hatte es den Anschein, als wolle sie ihn umarmen. Aber dann lächelte sie ihn nur aufbauend an, schnappte sich ihren Rucksack und verließ das Zimmer. Mit einem leisen Klicken schloss sich die Tür hinter ihr. Tsubasa starrte ihr noch ein paar Sekunden hinterher. Die Stille schien sich sofort wie ein bedrückendes Tuch über den Raum zu legen. Er schloss die Augen, riß sie aber sofort wieder auf. Das beklemmende Gefühl, dass sich mit der Dunkelheit über ihn gelegt hatte, verschwand nur langsam. In diesem Moment klopfte es laut und vernehmlich an der Zimmertür, und Tsubasa zuckte erschrocken zusammen. Bevor er dazu kam, irgendetwas zu sagen, stand Kojiro auch schon im Raum. „Hi. Sorry, dass ich hier so reinplatze.....habe ich dich geweckt?“ „Äh....“ Tsubasa starrte ihn verblüfft an. „Nein, schon gut.....was machst du hier?“ „Nach was sieht es denn aus, hm? Dich besuchen natürlich!“ Kojiro zog sich den Stuhl heran, auf dem schon Sanae gesessen hatte. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass du ganz alleine bist, aber umso besser – ehrlich gesagt wollte ich dich sehen, bevor deine Freunde hier auftauchen. Wie geht’s dir?“ „Wird schon.“ „Kopfschmerzen?“ „Es ist schon wesentlich besser, keine Sorge.“ Kojiro nickte. „Ne andere Antwort habe ich von dir nicht erwartet.“ Er lächelte flüchtig, wurde aber gleich wieder ernst. „Zuallererst mal: dass du wegen mir in die ganze Sache reingerutscht bist, tut mir leid! Wer hat dich niedergeschlagen? Wenn ich den Typen in die Hände kriege, mache ich ihn fertig, verlass dich drauf!“ Tsubasa zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ich habe kaum was von ihm gesehen, weil er mich immer geblendet hat....“ „Und als er dich niedergeschlagen hat, ist dir auch nichts aufgefallen?“ „Ich kann mich nicht mal daran erinnern, wann und wo er mir aufgelauert hat.“ Kojiro wirkte enttäuscht. „Und du hast auch keine Idee, wer...?“ „Nein, ich weiß nicht mal warum. Was hast du damit gemeint, ich bin deinetwegen da reingerutscht?“ Jetzt war Kojiro überrascht. „Wie, du weißt nicht, worum es diesem Irren ging?“ „Nein. Er wollte nur, dass ich den Anderen einen Brief schreibe, damit sie nicht mehr nach mir suchen......“ Der Mannschaftskapitän von Toho zögerte kurz, aber dann berichtete er alles, was er wußte. Tsubasas Augen weiteten sich ungläubig. „Es ging nur um Fußball?! Um dieses Freundschaftsspiel?! Aber.....“ Er brach hilflos ab. Kojiro musterte ihn ernst. „Immer noch keine Idee, wem wir das alles zu verdanken haben?“ Tsubasa schüttelte schwach den Kopf und wandte den Blick ab. Das war jetzt schon die zweite Nachricht, die er erst mal verdauen musste. Nicht nur, dass man ihn in seinem eigenen Zuhause eingesperrt hatte, jetzt stellte sich auch noch heraus, dass das alles nur wegen diesem blöden Freundschaftsspiel passiert war? Was kam als nächstes? Kojiro zögerte. „Hör mal, tut mir leid, dass du das von mir erfahren hast, aber....“ Er brach ab und holte tief Luft. „Wenn dir noch irgendetwas einfällt, dann sag mir bitte sofort Bescheid. Ich schnappe mir den Kerl und glaub mir, der wird noch bereuen, dass er so mit dir umgegangen ist!“ Tsubasa reagierte nicht. Nach ein paar Sekunden stand Kojiro auf. „Ich glaube ich gehe besser, damit du dich weiter ausruhen kannst. Wenn irgendetwas sein sollte, meld dich einfach, in Ordnung?“ Er zögerte kurz. „Und ich meine jetzt nicht nur, wenn dir etwas einfällt.....“ Tsubasa nickte, ohne ihn anzusehen. „Danke.“ Kojiro wollte erst noch etwas sagen, ließ es dann aber bleiben. Er drückte kurz aufbauend Tsubasas Schulter, dann wandte er sich um und verließ das Zimmer. Tsubasa war wieder allein. Er starrte weiterhin aus dem Fenster, ohne etwas zu sehen. Fußball. Es ging nur um Fußball.....die Kopfschmerzen, der Durst, die Finsternis...wie lange überhaupt? Erst jetzt wurde ihm bewußt, dass er keine Ahnung hatte, welcher Wochentag heute war und wie lange er im Keller gesessen hatte. Und Sanae hatte gesagt, dass er lange geschlafen hatte..... Tsubasas Hände ballten sich zu Fäusten. Wut kochte in ihm hoch, während er gegen die erneute Beklemmung ankämpfte, die bei der Erinnerung an das Eingesperrtsein wieder Besitz von seinem Körper ergriff. Gleichzeitig wünschte er sich, Sanae doch nicht nach Hause geschickt zu haben. *** Über Langeweile musste sich Tsubasa nicht beklagen. Nur kurze Zeit nach Kojiros Besuch tauchten seine Mannschaftskameraden auf. Nicht alle auf einmal. Sie schienen sich abgesprochen zu haben, und um ihn nicht gleich zu überlasten, hatten sie sich in zwei Gruppen aufgeteilt von je 5 – 6 Leuten. Die Ersten kamen eine knappe halbe Stunde, nachdem Kojiro gegangen war, und Tsubasa war dankbar dafür, erst recht als er bemerkte, dass sie ihn nicht mit irgendwelchen Fragen bedrängten, die er sowieso nicht beantworten konnte. Sie schienen nur erleichtert zu sein, dass er das alles einigermaßen unbeschadet überstanden hatte. Nach ungefähr einer Stunde tauchte eine Krankenschwester auf und scheuchte alle aus dem Zimmer. Yukari jedoch schlich sich jedoch noch einmal kurz zurück, als die Anderen schon gegangen waren. „Sanae schafft es heute wohl nicht mehr, ihre Mutter hat mir erzählt dass sie schläft wie ein Murmeltier.“, meinte sie mit einem Augenzwinkern. „Aber morgen kommt sie sicher gleich wieder, und es kann auch gut sein, dass sie noch anruft. Ach ja, und Kumi taucht heute nachmittag wahrscheinlich mit den Anderen auf – nur zur Vorwarnung.“ Das waren wunderbare Aussichten..... Tsubasa hatte nichts gegen die jüngste Betreuerin, aber gerade in letzter Zeit ging sie ihm verstärkt auf die Nerven, und gerade heute wäre es ihm lieber gewesen, seine Ruhe vor ihr zu haben. Bevor jedoch die Anderen auftauchten, bekam er Besuch von einem Polizeibeamten, der ihm ungefähr dieselben Fragen stellte, die er von Kojiro bereits gehört hatte. Er gab dieselben Antworten. Zusätzlich wollte der Mann jedoch noch wissen, ob er das Gefühl hatte, in letzter Zeit beobachtet worden zu sein, oder ob ihm generell irgendetwas seltsames aufgefallen war. Tsubasa verneinte. Ihm war absolut gar nichts aufgefallen – er hatte auch nicht auf solche Dinge geachtet. Warum auch?! Nie im Leben wäre er auf so eine Idee gekommen! Die Befragung dauerte zum Glück nicht lange, allmählich bekam er doch wieder Kopfschmerzen. Der Polizist informierte ihn noch darüber, dass seine Eltern mittlerweile informiert waren und sich um einen Flug zurück nach Japan bemühten. Wegen der Urlaubszeit war jedoch alles total überlaufen und es konnte bis nächste Woche dauern, bis sie es zurück schafften. Aber das passte insofern ganz gut, als dass das Haus im Moment sowieso noch versiegelt war wegen der Spurensicherung und man es gar nicht vertreten konnte. Nicht lange nachdem der Polizist gegangen war, erschienen seine restlichen Freunde, so dass er gar keine Möglichkeit hatte, über das Gehörte nachzudenken. Kumi war zu Tsubasas Erleichterung nicht dabei, ihr war etwas wichtiges dazwischen gekommen. Als sich die Anderen nach einer erneuten Stunde ebenfalls verabschiedeten, war er zur Hälfte erleichtert darüber. Sein Kopf dröhnte mittlerweile wieder ziemlich durch den ständigen Lärmpegel und er sehnte sich nach etwas Schlaf. Sobald die Tür jedoch hinter ihnen zugefallen war und sich wieder Stille über das Zimmer senkte, war ihm klar, dass er nicht würde schlafen können. Dazu waren die Erinnerungen an den dunklen Kellerraum viel zu stark. Er lag wach im Bett und starrte an die Zimmerdecke. Die Gedanken drehten sich in seinem Kopf und er versuchte, irgendwie Ordnung in das Chaos zu bringen. Er war über zwei Tage verschwunden gewesen, das wußte er mittlerweile, und der Typ musste ihm auf dem Heimweg irgendwo aufgelauert haben. Er war nicht viel älter wie er, benutzte ein ziemlich übles Rasierwasser und hasste ihn aus irgendwelchen Gründen, was inzwischen auf Gegenseitigkeit beruhte. Hass......eigentlich ein sehr seltsames Gefühl. Tsubasa konnte sich nicht erinnern, in seinem bisherigen Leben irgendjemanden gehasst zu haben, bis zu diesem Zeitpunkt. Und alles nur wegen Fußball...... Es dauerte mehrere Stunden, bis er schließlich doch in einen unruhigen Schlaf fiel. Kapitel 16: Heimkehr -------------------- Tsubasa musste ganze vier Tage im Krankenhaus bleiben. Seine Freunde besuchten ihn weiterhin, und anscheinend hatten sie das Gefühl bekommen, ihn direkt nach dem Aufwachen doch etwas viel zugemutet zu haben. Sie kamen in kleineren Gruppen, maximal 2-3 Leute, und versuchten es so einzurichten, dass er über den ganzen Nachmittag verteilt Gesellschaft hatte. Möglicherweise hatten sie sich aber auch so abgesprochen, um ihn abzulenken. Obwohl er sich nach außen hin selten etwas anmerken ließ, spürten sie doch, dass ihm die Erinnerung an das ganze Geschehen ziemlich stark zu schaffen machte. Besonders Sanae schien dafür einen siebten Sinn zu entwickeln. Sie verlor kein Wort darüber, aber sie wich kaum von seiner Seite und hätte den behandelnden Arzt am liebsten auch um eine weitere Übernachtungsmöglichkeit gebeten. Tsubasa wirkte häufig übermüdet, und sie hatte den Verdacht, dass er äußerst schlecht schlief, traute sich aber nicht, ihn direkt danach zu fragen. Am Abend des zweiten Tages rief seine Mutter bei ihm an. Sie klang aufgelöst, weil sie erst einen Flug für das kommende Wochenende ergattert hatte, was bedeutete, dass Tsubasa noch eine ganze Woche alleine zurecht kommen musste. Es gelang ihm etwas, sie zu beruhigen, indem er ihr versicherte, dass es ihm schon wieder ganz gut ging, und er musste ihr versprechen, sich jeden Tag bei ihr zu melden. Auch die Polizei besuchte ihn noch öfters, aber die Ermittlungen liefen schleppend. Obwohl der Typ die halbe Küche auseinander genommen hatte, gab es kaum Spuren, er schien die ganze Zeit Handschuhe getragen zu haben. Die letzte Hoffnung waren die Essensreste, die gerade im Labor untersucht wurden, aber ohne einen Verdächtigen nützten DNS oder DNA-Spuren ebenfalls herzlich wenig. Am Tag der Entlassung war die Gehirnerschütterung so gut wie abgeklungen. Die Platzwunde verheilte gut, der Verband war mittlerweile durch ein großes Pflaster ersetzt worden, und die Blutergüsse verheilten ebenfalls. Dr. Sudo war zufrieden. Tsubasa durfte nach dem Versprechen, sich die nächste Zeit noch zu schonen, nach Hause. Seltsamerweise konnte er sich nicht darüber freuen. Er hatte sich zwar danach gesehnt, so schnell wie möglich hier raus zu kommen, aber erst jetzt wurde ihm bewußt, was das bedeutete. Er musste zurück in das leere Haus, zurück zu dem Keller...... Bei dem Gedanken bekam er eine Gänsehaut. Es war 10.00 Uhr, als er das Gebäude verließ. Tsubasa hatte niemandem erzählt, dass er an diesem Tag entlassen wurde. Womöglich hätten sie ihn trotz Schule abgeholt, und das wollte er nicht – er befürchtete, dass sie seine Furcht entdecken könnten, und das wäre ihm mehr als unangenehm. Wer hatte schon Angst vor seinem eigenen Zuhause?! Kaum hatten sich die Glasschiebetüren jedoch hinter ihm geschlossen und sich seine Augen an das Sonnenlicht gewöhnt, erwartete ihn eine Überraschung. Sanae kam den Kiesweg entlang gerannt und blieb atemlos vor ihm stehen, sie strahlte. „Hallo! Da habe ich dich ja gerade noch erwischt, ich dachte schon, du wärst weg, bevor ich komme.“ Tsubasa starrte sie perplex an. „Woher....?“ Sanae lächelte leicht verlegen. „Ich habe meine Quellen. Wie geht’s dir?“ „Gut soweit.....denke ich.“ „Fein. Willst du direkt nach Hause? Ansonsten könnten wir einen Umweg über den Park machen. Nur, falls du Lust hast, natürlich...“ „Warum bist du nicht in der Schule?“ Sanae zuckte mit den Schultern. „Heute ist nichts wichtiges, ich wollte dich lieber abholen.“ Mehr sagte sie nicht, und Tsubasa sah sie immer noch leicht verwirrt an. „Was ist? Willst du in den Park?“, fragte Sanae schließlich nach ein paar Sekunden. Tsubasa zögerte, dann glitt ein leichtes Lächeln über sein Gesicht und er nickte. „Nichts lieber als das.“ *** Der Park war fast völlig ausgestorben, was wohl an der frühen Uhrzeit lag. Vom Wetter her würde am Nachmittag sicher viel los sein, die Sonne schien, aber es war bei weitem nicht so heiß wie die Tage zuvor. Tsubasa und Sanae sprachen nicht viel. Schweigend liefen sie nebeneinander den geharkten Weg entlang, der Kies knirschte unter ihren Schuhen. Das Wasser das nahe gelegenen Sees glitzerte im Sonnenlicht. „Wann kommt deine Mutter wieder?“, wollte Sanae schließlich leise wissen. Tsubasa zuckte mit den Schultern. „Ihr Flug geht nächsten Samstag. Ich schätze, spätestens Sonntag sind sie wieder da.“ „Sie?“ „Ja, mein Vater kommt auch mit.“ „Wirklich?“ Sanaes Miene hellte sich auf. „Das ist super! Wie lange war er denn dieses Mal weg?“ „Fast ein Jahr.“ „Dann freust du dich sicher, ihn zu sehen, nicht?“ „Mhm.“ Sanae blickte ihn von der Seite her an. „Kommst du so lange noch alleine zurecht?“ Diese Frage warf Tsubasa leicht aus der Bahn. Sanaes Fähigkeit, seine Gedanken zu lesen, war manchmal richtig gespenstisch. „Ich......es geht schon irgendwie. So arg viel alleine bin ich ja gar nicht, ab morgen gehe ich wieder in die Schule.“ „Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist?“ „Warum nicht? Immer noch besser als die ganze Zeit alleine zuhause zu hocken.“ Sanae zögerte. „Na ja, die ganze Sache hat auf jeden Fall ziemlich für Wirbel gesorgt, die ganze Schule redet darüber. Ich weiß nicht, ob du....“ Tsubasa lächelte schwach. „Danke für die Warnung, aber Gerede über mich bin ich ja gewohnt....“ „Stimmt auch wieder.“ Sanae erwiderte sein Lächeln und streckte sich genüßlich. „Die Sonne ist herrlich!“ Tsubasa nickte abwesend und schrak aus seinen Gedanken hoch, als Sanae plötzlich weiterredete. „Das heißt, wir haben noch ein paar Tage, um deine Einladung nachzuholen.“ „Einladung?“ Perplex blickte er sie an. „Ja, sicher. Du hast mich doch zu dir nach Hause eingeladen, weißt du das nicht mehr?“ Tsubasa blinzelte verwirrt. „Was habe ich?! Wann?“ Sanae blieb stehen. „Na, Donnerstag abend.......als wir zusammen nach Hause gegangen sind...“ Die Fröhlichkeit aus ihrer Stimme war verschwunden. Tsubasa starrte sie an und konnte ihr förmlich ansehen, wie sich ihre gute Laune in ungläubiges Staunen und Enttäuschung verwandelte. Und langsam dämmerte ihm ebenfalls, welchen Zeitpunkt sie meinte. Die Erkenntnis kam für beide gleichzeitig. „Sanae......ich.......es tut mir leid......“ „Schon gut, du kannst nichts dafür.“ Sanae brachte ein schwaches Lächeln zustande und setzte ihren Weg fort. Tsubasa folgte ihr nach ein paar Sekunden. Es tat ihm weh, dass er sie unabsichtlich so verletzt hatte, besonders nachdem sie in den letzten Tagen ständig in seiner Nähe gewesen war und jetzt sogar die Schule geschwänzt hatte, um ihn abholen zu können. „Du kannst dich an den Abend absolut nicht erinnern?“, wollte Sanae nach ein paar Minuten wissen, die sie wieder schweigend verbracht hatten. Tsubasa nickte niedergeschlagen. „Das letzte, das ich weiß, ist das Kojiro mittags in der Schule aufgetaucht ist....danach ist alles weg....“ Er holte tief Luft. „Das ich das mit der Einladung vergessen habe, tut mir leid, wirklich.....“ „Schon gut, Tsubasa, du hast schließlich nicht darum gebeten, niedergeschlagen zu werden.“, wurde er erneut von Sanae unterbrochen. „Ich bin dir nicht böse deswegen, im Gegenteil.....ich hätte selber dran denken müssen. Du hast uns ja schließlich erzählt, dass du dich nicht erinnern kannst, wann und wo es passiert ist......nur dass du den ganzen Abend nicht mehr weißt, habe ich nicht erwartet....“ Tsubasa antwortete nichts. Dann blieb er schließlich wieder stehen. „Na ja, ich könnte dich noch mal einladen.“ „Was?“ Verdutzt starrte sie ihn an, aber er wich ihrem Blick aus. „Wenn ich mich an die alte Einladung nicht mehr erinnern kann, muss ich dich eben noch einmal einladen. Ist doch einfach, oder? Voraus gesetzt, du willst immer noch kommen...“ Sanae lächelte glücklich und hätte ihn am liebsten wieder umarmt. Aber sie beherrschte sic. „Wann?“ „Wann du willst....ich habe ja nichts zu tun....nur die Küche aufräumen....“ Tsubasa brach wieder ab bei dem Gedanken daran, seine Miene verschloß sich. Sanae wurde ebenfalls wieder ernst und kam zu ihm zurück. „Wir könnten das zusammen erledigen.“, schlug sie leise vor. „Dann geht es schneller. Vermutlich ist es eh nicht so gut, wenn du dich gleich so in die Arbeit hängst, ein paar Tage Ruhe tun dir sicher noch gut. Einverstanden?“ Tsubasa nickte nach kurzem Zögern und lächelte schwach. „Danke.“ „Keine Ursache.“ Sanae räusperte sich und gemeinsam setzten sie ihren Weg fort. Sie hoffte inständig, dass sie nicht rot geworden war, ihr Herz schlug schmerzhaft gegen ihre Rippen. Tsubasa hatte sie genauso angesehen wie damals auf dem Schulausflug und während des Finales gegen Toho, und genauso wie letzte Woche, als er sie eingeladen hatte.... Sie warf ihm einen Seitenblick zu und ihre gute Laune verflog fast sofort wieder. Er wirkte wieder still und in sich gekehrt. Die Erinnerung an die verwüstete Küche schien ihm die gute Laune für's erste wieder ausgetrieben haben. Sanae zögerte ein paar Sekunden, dann gab sie sich einen Ruck und faßte wieder nach seiner Hand. Er zuckte zusammen und blickte sie verwirrt an, aber dann wurden seine Gesichtszüge weicher und er erwiderte den Händedruck, bevor sie weitergingen, die Finger fest ineinander verschränkt. Keiner der beiden bemerkte den Schatten hinter einem Baum, der sie beobachtet hatte und sich nun wieder zurück zog. *** Sanae wählte absichtlich eine andere Route als sonst für den Heimweg. Tsubasa achtete nicht darauf. Der Spaziergang tat ihm gut, für kurze Zeit gelang es ihm wirklich die ganze Entführungs-Geschichte aus seinem Kopf zu verdrängen. Nach einer Weile jedoch verabschiedete sich Sanae schweren Herzens. Sie hatte ihrer Mutter erklärt, warum sie heute nicht zur Schule wollte, und tatsächlich eine offizielle Erlaubnis bekommen – allerdings nur ausnahmsweise und nur, wenn sie versprach, dafür im Haushalt zu helfen. „Ich komme heute nachmittag zu dir rüber, sobald ich daheim alles erledigt habe, ja? Solange kannst du dich ja noch etwas ausruhen.“ Mit diesen Worten drückte seine Hand ein letztes Mal aufmunternd und bog dann in eine andere Straße ein. Tsubasa blickte ihr ein paar Sekunden lang hinterher, bevor er seinen Weg fortsetzte. Jetzt hatte er wohl keine Ausrede mehr..... Eine halbe Stunde später stand er vor dem Haus und blickte die Einfahrt hinauf. Seinen Schlüssel hatte er mittlerweile zurück bekommen und die offizielle Erlaubnis, dass Haus wieder zu betreten. Die Spurensicherung war mit ihrer Arbeit fertig..... Tsubasa gab sich einen Ruck und ging zur Haustür. Dann erstarrte er. Jemand hatte einen Zettel direkt neben die Klingel gehängt. GLAUB JA NICHT, DASS WIR SCHON FERTIG SIND! Ein paar Sekunden starrte Tsubasa die Nachricht fassungslos an. Es war kein Zweifel möglich, von wem er diesen netten Willkommensgruß erhalten hatte. Ein plötzlicher Schmerz in seinen Handflächen machte ihm bewußt, dass er die Hände unbewußt so fest zu Fäusten geballt hatte, dass sich seine Fingernägel in die Handflächen bohrten. Er zwang sich tief durchzuatmen und seine Hände wieder zu entspannen. „Du hast recht, wir sind wirklich noch nicht fertig miteinander!“, meinte er heiser und riß den Zettel ab. „Glaub ja nicht, dass ich so was noch mal mit mir machen lasse!“ Er öffnete die Tür und knüllte das Blatt Papier auf dem Weg in sein Zimmer zusammen, bevor er es auf den Schreibtisch warf und sich dann auf sein Bett setzte. Jetzt nicht durchdrehen! Wenn er sich schon durch so etwas aus der Bahn werfen ließ – keine zwei Minuten, nachdem er nach Hause gekommen war – wie sollte er dann erst die nächsten Tage alleine durchhalten? Sein Blick glitt wieder zu dem Papierknäul auf der Schreibtischplatte und neben der Wut flackerte Angst in ihm auf. Ärgerlich schob er sie zur Seite und stand wieder auf. Am besten er fing doch gleich mit dem Aufräumen an, er konnte sich nicht nur auf Sanae verlassen. Der Zustand der Küche übertraf jedoch seine schlimmsten Erwartungen. Die Polizisten hatten nichts verändert, wie es aussah. Als er von den Sanitätern aus dem Keller gebracht worden war, hatte er bereits unter dem Einfluss der Medikamente gestanden und kaum etwas mitbekommen – außer der Tatsache, dass er die ganze Zeit in seinem Elternhaus gewesen war. Das hatte bereits gereicht. Aber als er jetzt im Türrahmen stand und fassungslos das Chaos anstarrte, dass sein Entführer hinterlassen hatte, konnte er es kaum glauben. Die sonst so ordentliche und gemütliche Küche war in ein einziges Schlachtfeld verwandelt worden. Er wollte gar nicht daran denken, was seine Eltern sagen würden, wenn sie das sehen könnten. Zum Glück kamen sie erst in ein paar Tagen! Tsubasa hob einen Scherben auf, der direkt vor seinen Füßen lag und früher mal ein Teller vom Lieblingsgeschirr seiner Mutter gewesen war. Wieder kochte Ärger in ihm hoch. Wütend schmetterte er den Scherben wieder auf den Boden zurück, wo er unter lautem Klirren in tausend Teile zersprang. Ein paar Sekunden starrte er die Scherben außer Atem an, dann wandte er sich abrupt um, um sich mit Mülltüten und Besen auszustatten. Wieder erwarten kam er mit dem Aufräumen ziemlich gut voran. Er zwang sich, sich nur auf seine Arbeit zu konzentrieren und alles andere auszublenden. Obwohl sein Kopf zwischendurch wieder zu dröhnen anfing, gönnte er sich keine Pause, bis die Küche wieder halbwegs aktzeptabel aussah. Drei große Müllsäcke stapelten sich neben der Tür. Tsubasa knotete den letzten zu und fuhr sich dann mit einem Arm über die Stirn. Die körperliche Arbeit hatte ihm gut getan, seine Wut war zum größten Teil wieder verraucht. Jetzt blieb nur noch der Keller zum Aufräumen...... Tsubasa zögerte. Er hatte die ganze Zeit den Blick auf die Kellertür vermieden, aber jetzt gab es wohl kein Zurück mehr. Nach einem kurzen Blick auf die Uhr stellte er fest, dass es nicht mehr lange dauern konnte, bis Sanae auftauchte. Wenn er sich beeilte, wurde er vielleicht noch vorher fertig, dann konnte er die Zeit mir ihr gemeinsam auf angenehmere Art und Weise verbringen. Außerdem war es vielleicht wirklich besser, wenn er das alleine erledigte – er konnte schließlich nicht für immer vor dem Keller flüchten. Er schob seine Bedenken zur Seite und drückte die Klinke nach unten. Lautlos schwang die Tür auf und gab den Blick auf die Kellertreppe frei. Als das Licht aufflackerte, fielen ihm gleich die kleinen dunklen Blutflecken auf dem weißen Stein auf. Tsubasa schloß kurz die Augen, dann faßte er seinen Mut zusammen und stieg die Stufen nach unten. Auch die zweite Tür ließ sich leicht öffnen, der Schlüssel steckte noch im Schloß. Zögernd betrat er den Raum und drückte auf den Lichtschalter. Die Glühbirne flackerte auf und gab den Blick auf die schwarzen Stoffe und die Matratze frei. Auch hier war nichts verändert worden. In einer Ecke lag noch das umgestürzte Wasserglas, vor dem Matratzenlager konnte er die Aspirin-Tabletten ausmachen, die Klebestreifenreste lagen noch herum. Plötzlich glaubte er, die Stimme des Unbekannten hören zu können, er spürte wieder die engen Fesseln an seinen Händen, um ihn herum wurde alles dunkel...... Plötzlich ging das Licht aus. Tsubasa zuckte erschrocken zusammen und wirbelte herum. „Wa.....?!“ Bevor er irgendwie reagieren konnte, fiel bereits die Tür hinter ihm ins Schloss, und der Schlüssel wurde herum gedreht. Kapitel 17: Kriegsrat --------------------- Sanae erledigte die Hausarbeiten in Rekordzeit. Dennoch war es tatsächlich Nachmittag, bis sie sich auf den Weg zu Tsubasa machen konnte. Insgeheim hatte sie gehofft, es etwas früher zu schaffen, aber ihre Mutter hatte ihr jede Menge Arbeit aufs Auge gedrückt und sie damit zurück gehalten. Als sie sich darüber beschwert hatte, hatte Frau Nakazawa ihr nur ungerührt ein Staubtuch in die Hand gedrückt. „Abmachung ist Abmachung, junge Dame. Außerdem solltest du Tsubasa auch ein bisschen Zeit lassen, sich daheim auszuruhen, er braucht sicher auch ein paar Minuten für sich.“ Sanae war da anderer Meinung. Irgendwie hatte sie kein gutes Gefühl, und sie hoffte, dass Tsubasa in den vergangenen Stunden alleine zuhause zurecht gekommen war, aber diese Gedanken äußerte sie ihrer Mutter gegenüber nicht. Statt dessen hatte sie sich extra beeilt und konnte sich jetzt endlich auf den Weg zu Tsubasas Adresse machen. Als sie ihr Ziel schon fast erreicht hatte, blieb sie wie angewurzelt stehen. Ein fremder Mann rannte aus der Tür, ein hämisches Lachen auf dem Gesicht, und verschwand um die andere Straßenecke. Groß gewachsen, schwarze Haare......dieses Mal gelbes T-Shirt. Ein paar Sekunden lang fühlte sich Sanae wie gelähmt, dann begann sie ebenfalls zu rennen. Die Haustür war nur angelehnt. „Tsubasa?!“ Keine Antwort, aber ihr war so, als......? Ohne weiter nachzudenken rannte sie Richtung Küche. Und sie hatte sich nicht getäuscht, jetzt konnte sie den Lärm ganz deutlich hören. Tsubasa schrie und schlug anscheinend immer wieder gegen die Kellertür. „Rauslassen!! Lasst mich raus!!!!“ Sanae gefror das Blut in den Adern. Sie stürzte die Treppe nach unten und drehte den Schlüssel um, der zum Glück nach wie vor im Schloss steckte. Kaum hatte sie die Klinke nach unten gedrückt, als die Tür auch schon aufflog und sie beinahe mit Tsubasa zusammen geprallt wäre, der ihr entgegen stolperte. Für den Bruchteil einer Sekunde starrte er sie geschockt an. Sanae registrierte besorgt, dass er leichenblass wirkte. Seine Augen wirkten unnatürlich weit aufgerissen, und er war völlig außer Atem. „Was....“ Ist passiert, wollte sie eigentlich fragen, aber sie konnte nicht ausreden. Tsubasa packte sie am Handgelenk, zog sie zu sich, und in der nächsten Sekunde hielt er sie plötzlich im Arm. Sanae war so überrascht, dass sie sich gar nicht rührte. „T.....Tsubasa....?“ Er reagierte nicht. Sanae wußte nicht, was sie tun sollte. Sie spürte, wie ihr Herz schneller zu schlagen begann bei seiner Berührung, aber gleichzeitig merkte sie auch, dass er unkontrolliert zitterte. Das machte ihr Angst. So hatte sie ihn noch nie erlebt. „Ist.......ist alles okay....?“, wollte sie unsicher wissen. „I....ich dachte, er......er hätte dich auch erwischt.....“ Sanae erstarrte leicht. Dann erwiderte sie Umarmung nach kurzem Zögern. „Schon gut.....er ist weg.“ Ein paar Minuten rührte sich keiner der beiden, bis Sanae spürte, dass Tsubasa wieder ruhiger wurde. Am liebsten wäre sie ewig noch so stehen geblieben, aber wahrscheinlich war es besser, wenn sie erst mal etwas Abstand zwischen sich und dem Kellerraum brachten.... In diesem Moment räusperte sich jemand laut und vernehmlich. „Sorry – stör ich irgendwie?“ Tsubasa und Sanae fuhren erschrocken auseinander. Kojiro stand in der Küche und blickte die beiden fragend, aber auch leicht amüsiert an. „W......was machst du denn hier?“, fragte Sanae verdattert und versuchte, ihr glühendes Gesicht zu ignorieren. Tsubasa ging es nicht viel anders. „Ich wollte Tsubasa im Krankenhaus besuchen und hab erfahren, dass er schon wieder zuhause ist. Und da wollte ich mal vorbei schauen, und die Tür war offen.....“ Unwillkürlich musterte Kojiro Tsubasa etwas genauer. „Aber so wie du aussiehst, hätte ich dich nicht wirklich entlassen, um ehrlich zu sein. Ist irgendwas passiert?“ *** „Wie bitte?! Dieser Typ war wieder hier?“, entfuhr es Kojiro geschockt. „Das darf ja wohl nicht wahr sein! Wann? Und wie ist er ins Haus gekommen?!“ „Er hat sich wohl einen Nachschlüssel machen lassen.“, meinte Tsubasa dumpf und umklammerte seine Teetasse mit den Händen. Sie hatten sich ins Wohnzimmer zurück gezogen, und Sanae hatte darauf bestanden, dass er mit Kojiro sitzen blieb, während sie zunächst Tee gekocht hatte und jetzt die einigermaßen wieder aufgeräumte Küche nach Keksen oder irgendetwas anderem essbaren durchsuchte. „Deswegen hat er meinen auch einfach so hier rumliegen lassen. Die Polizei hat ihn gefunden und mir zurück gegeben. Ich hab mich schon gewundert.....“ Kojiro musterte ihn ernst, ohne etwas zu sagen. Tsubasa ignorierte den Blick und konzentrierte sich lieber wieder auf den dunkelroten Tee in seiner Tasse. Es war ihm unangenehm, dass der Mannschaftskapitän von Toho ausgerechnet jetzt hier aufgetaucht war. Zum einen fühlte er sich immer noch zittrig und hatte ein dumpfes Pochen im Hinterkopf, zum Anderen gefiel es ihm nicht, dass er ausgerechnet von seinem stärksten Rivalen in diesem Zustand gesehen wurde. Wenigstens ließ sich Kojiro nichts anmerken. „Und du bist dir sicher, dass es derselbe Typ war?“, vergewisserte er sich jetzt. Tsubasa lächelte bitter. „Wer sollte es denn sonst gewesen sein? Ich habe die Haustür hinter mir zugemacht, da bin ich mir ganz sicher, und ich wüßte nicht, wer noch einen Schlüssel haben könnte. Außerdem......“ Er brach ab. „Außerdem was?“ Tsubasa zögerte, aber dann berichtete er schließlich von der Botschaft, die er an der Türklingel gefunden hatte. Kojiro zog finster die Augenbrauen zusammen. „Dieser Mistkerl......Hat er ernsthaft geglaubt, dass er dich wieder da unten einkerkern kann?!“ Tsubasa schwieg. „Er wollte mich nicht wieder einsperren, er wollte mir Angst machen.“, meinte er dann leise. „Ich glaube, er hat gewußt, dass Sanae vorbei kommt.....sonst wäre er nicht abgehauen. Und er muss gewußt haben, wann ich entlassen werde....“ „Hast du denn irgendjemandem davon erzählt?“ „Nein.“ „Dann muss er euch gefolgt sein.“ Tsubasa nickte nur und hielt sich weiter an der Teetasse fest, um das leichte Zittern seiner Hände zu verbergen. Der Schreck saß ihm immer noch tief in den Knochen. Die ersten paar Sekunden im Keller hatte er sich sogar noch relativ gut gehalten, er hatte es geschafft, nicht durchzudrehen. Aber dann war ihm auf einmal eingefallen, dass Sanae auf dem Weg hierher war, und ab diesem Moment hatte er vor Panik, dass sie möglicherweise auch angegriffen werden könnte, nicht mehr klar denken können. Die Dunkelheit und die Erinnerung an die letzten Tage hatten ihr übriges getan. Im Moment bezweifelte er, dass er den Raum überhaupt jemals wieder betreten konnte. „Ist dir auf dem Weg hierher denn irgendetwas aufgefallen?“, riss ihn Kojiro aus seinen Gedanken. Er beugte sich etwas mehr zu Tsubasa hinüber. „Ich wollte dich sowieso fragen, ob deine Gedächtnislücke wieder weg ist und du dich an den Abend erinnern kannst.......vielleicht hast du ja irgendetwas gesehen.“ „Nein, mir ist nichts aufgefallen, und nein, ich kann mich nicht erinnern.“, antwortete Tsubasa niedergeschlagen. Kojiro lehnte sich enttäuscht wieder zurück. „Das darf alles nicht wahr sein! Dann haben wir immer noch nichts in der Hand, um diesen Irren zu finden.....“ „Doch, haben wir.“ Sanae kam zurück. Sie hatte tatsächlich noch eine Schachtel Kekse gefunden und stellte sie auf den Tisch, bevor sie sich neben Tsubasa setzte. „Ich habe sein Gesicht gesehen.“ Stille. Die beiden Jungen sahen sie verdattert an. „Was?!“ „Er ist abgehauen, als ich gerade hierher gekommen bin. Ich habe sein Gesicht deutlich sehen können, wenn auch nur kurz.“ Kojiro begann zu strahlen. „Genial! Dann weiß ich genau, was wir machen! Kann irgendjemand in eurem Bekanntenkreis gut zeichnen?“ Tsubasa schüttelte den Kopf, aber Sanae wußte Rat. „Yukari. Sie ist ziemlich begabt, auch wenn sie das leugnet.....“ „Perfekt! Ruf sie an und bestell sie hierher, sobald wie möglich, ja?“ Kojiro wandte sich an Tsubasa. „Und du rufst deine Freunde an. Wir starten eine Razzia!“ „Razzia? Bist du jetzt völlig durchgeknallt?“; meinte Tsubasa skeptisch. „Ganz im Gegenteil. Yukari soll eine Skizze von seinem Gesicht machen, und das kopieren wir. Eine geht an die Polizei, damit sie fahnden können, und die anderen Exemplare behalten wir.“ Kojiro grinste. „Wir durchkämmen die ganze Gegend, bis wir ihn haben!“ „Ja, sicher! Hast du überhaupt eine Ahnung, wie groß Nankatsu ist?! Wir sind zwar eine Kleinstadt, aber so klein auch wieder nicht! Davon abgesehen, woher willst du wissen, dass er hier wohnt?“ „Dann willst du dir das alles gefallen lassen?“ Kojiro musterte ihn ernst. „Der Schlag auf den Kopf war wohl doch heftiger, als ich dachte! Der Tsubasa, den ich kenne, würde nicht so leicht aufgeben.“ Tsubasa biß wütend die Zähne zusammen und sagte nichts. Kojiro betrachtete ihn erneut, dann begann er zu lächeln. „Dachte ich's mir doch. Also, rufst du deine Freunde an?“ „Das kann ich mir sparen. Sobald sie merken, dass ich nicht mehr im Krankenhaus bin, kommen sie so oder so vorbei, schätze ich.“ „Stimmt, damit könntest du recht haben.“ Kojiro wandte sich an Sanae, die sich bisher noch nicht gerührt hatte. „Worauf wartest du denn noch? Wir brauchen Yukari!“ Kapitel 18: Hilfe ----------------- Yukari kam sofort, und nach Sanaes Angaben entstand ein halbwegs brauchbares Phantombild. Kojiro beobachtete den Fortgang der Arbeit ungeduldig, Tsubasa saß mehr oder weniger teilnahmslos daneben und sah aus dem Fenster. Der Himmel hatte sich zugezogen, es würde sicher bald zu regnen beginnen. Ob die Anderen noch beim Training waren? „Hey.“ Tsubasa zuckte zusammen und wandte den Kopf. „Hm?“ Yukari hielt das Bild hoch. „Wir sind fertig.“ „Kennst du den Typen?“, fragte Kojiro begierig. Tsubasa betrachtete die Skizze genauer, dann zuckte er mit den Schultern. „Nie gesehen.“ „Aber er könnte der Irre sein, den wir suchen?“ „Wie oft soll ich das denn noch sagen, ich habe sein Gesicht nicht gesehen. Er hat dafür gesorgt, dass ich immer geblendet war. Aber von der Kopfform her könnte es passen. Davon abgesehen, er kam aus meinem Haus hier raus! Ein ziemlich eindeutiger Hinweis, oder?“, entgegnete Tsubasa unwillig. Er hatte diese ganzen sich ständig wiederholenden Fragen so satt..... „Hm.“ Kojiro runzelte die Stirn und warf nun ebenfalls einen genaueren Blick auf das Bild. „Mir kommt er aber definitiv irgendwoher bekannt vor.... Sicher, dass du ihn nicht kennst?“ „Ja!“ „Seltsam. Er kennt dich aber anscheinend ziemlich gut......und er hat was gegen dich....“ „Ach, wirklich?“ Kojiro runzelte bei dieser Antwort irritiert die Stirn und öffnete schon den Mund, um etwas zu sagen, als das Telefon klingelte. Sanae machte automatisch Anstalten, aufzustehen, aber Tsubasa kam ihr zuvor. „Lass nur, ist okay. Immerhin wohne ich hier.....“ Er verließ das Wohnzimmer, froh über die paar Minuten alleine. Er wußte, dass er die Drei ziemlich vor den Kopf stieß mit seinem Verhalten, er verstand sich im Moment ja sogar selbst nicht. Alles war so chaotisch....er konnte sich nicht erinnern, sich schon einmal so gefühlt zu haben, nicht einmal früher, als er keine Freunde gehabt hatte außer Yayoi..... Das Telefon klingelte nach wie vor beharrlich. Tsubasa nahm ab und kam gar nicht dazu, etwas zu sagen. „Warum zum Teufel hast du uns nicht erzählt, dass du heute entlassen wirst?!“, meckerte sein Gesprächspartner so laut los, dass er den Hörer ein Stock vom Ohr weghalten musste. Tsubasa lächelte schwach. „Hallo, Ryo.“ Ryo schnaubte. „Von wegen Hallo! Wir sind tierisch erschrocken, weißt du das?! Kommen in das Zimmer rein und keiner da! Wir haben schon gedacht, du wärst wieder verschwunden....bis wir dann endlich Dr. Sudo gefunden haben und ihn fragen konnten! Warum hast du uns denn nicht Bescheid gesagt?“ „Es war relativ kurzfristig. Tut mir leid.“ „Kurzfristig, so so. Und? Geht’s dir wenigstens gut?“, fragte Ryo wieder einigermaßen ausgesöhnt. „Wir können auch noch kurz vorbei kommen, wenn du magst, dann sitzt du nicht den ganzen Nachmittag alleine rum...“ Tsubasa zögerte, dann stand sein Entschluss fest. „Es ist alles bestens, keine Sorge. Ihr müsst nicht vorbei kommen, ich habe euch die letzten Tage schon genug Umstände gemacht. Außerdem sind Kojiro, Sanae und Yukari schon da.....“ „Wie bitte?! Kojiro? Was macht der denn bei dir?!“ „Er wollte mich auch besuchen und hat sich gewundert, warum ich nicht mehr im Krankenhaus bin.“ „Aha. Sicher, dass alles okay ist? Irgendwie klingst du anders..... “ „Ich bin nur müde, der Tag war ziemlich anstrengend. Darum wäre es mir auch lieber, wenn ich mich bald hinlegen könnte.“ „Klar, das kann ich verstehen. Dann sag ich den Anderen Bescheid..... Kumi wird ziemlich enttäuscht sein, sie hätte heute nämlich auch endlich Zeit gehabt, dich zu besuchen.“ „Sie wird es überleben, denke ich.“ Ryo lachte. „Mit viel Geheul, aber ja, das wird sie. Du hättest sie die letzten Tage mal sehen sollen, sie war völlig von der Rolle, weil sie es nie zu dir ins Krankenhaus geschafft hat. Völlig still und häufig am heulen, wenn sie denkt, dass sie niemand sieht. Wenn das nicht Liebe ist, hm?“ „Hör auf damit!“ „Ach ja, richtig, ganz vergessen – du hast ja eher an jemand anderem Interesse, nicht?“ Tsubasa konnte seinen Freund am anderen Ende der Leitung förmlich grinsen sehen. Seltsamerweise machte ihn das wütend. „Ich habe gesagt, dass du aufhören sollst!“ „Komm, das musst du doch nicht leugnen, und peinlich sein muss es dir auch nicht. Es wissen doch eh alle....“ Bevor sich Tsubasa bewußt wurde, was er tat, hatte er bereits den Hörer auf die Gabel geknallt. Er wußte, dass Ryo das nicht böse gemeint hatte, solche Kabbeleien waren innerhalb der Mannschaft an der Tagesordnung. Umso irritierender war es, dass er dieses Mal so wütend geworden war. Leicht außer Atem starrte er den wehrlosen Apparat an, während der Zorn verrauchte und einer tiefen Resignation Platz machte. Wunderbar, wirklich wunderbar....jetzt stieß er auch noch seine besten Freunde vor den Kopf, und das, nachdem sie tagelang alles getan hatten, um ihm zu helfen. Er überlegte kurz, Ryo zurück zu rufen und sich zu entschuldigen, ließ es dann aber bleiben. Statt dessen holte er das Telefonbuch aus der Kommode. Fünf Minuten später kam er wieder zu den Anderen ins Wohnzimmer zurück. Sanae hatte mittlerweile neuen Tee gekocht und stellte die Kanne auf den TIsch, Yukari und Kojiro brüteten immer noch über dem Foto. Alle hoben den Kopf, als er den Raum betrat. „Und? Wer war's?“ „Ryo.“ Tsubasa setzte sich wieder. „Und danach habe ich noch den Schlüsseldienst angerufen, damit sie das Schloss auswechseln.“ „Perfekt! Und, wann kommen die Anderen vorbei?“, fragte Kojiro. Tsubasa holte tief Luft. „Gar nicht.“ „WAS?! Aber wir haben doch entschieden, dass....“ „Ich habe gar nichts entschieden, das warst du!“, fiel ihm Tsubasa ins Wort. „Ja, aber....“ „Ich weiß, dass du das alles nur gut meinst, aber ich will es nicht! Ich will nicht, dass die Anderen noch mehr in die Sache verwickelt werden, und ich werde auch nicht in jedem Haushalt in Nankatsu klingeln und nach diesem Typen fragen!“ „Dann willst du ihn also wirklich einfach davon kommen lassen?“, fragte Kojiro fassungslos. „Das glaube ich einfach nicht! Du gibst doch sonst nicht so einfach auf, ich dachte....“ „Das hat absolut nichts mit Aufgeben zu tun! Aber was für einen Sinn soll es haben, die Nadel im Heuhaufen zu suchen?“ Tsubasa lächelte bitter. „Ich schätze mal, dass wir nur warten müssen. Der Typ kommt wieder.“ Nach diesen Worten herrschte Schweigen. Kojiro blickte ihn ernst an. „Verstehe.“, meinte er schließlich langsam. „Ich hätte nie gedacht, mal so was von dir zu hören. Du willst es also mehr oder weniger alleine durchziehen? Ausgerechnet du, wo du doch immer so viel Wert auf Teamwork legst?“ „Wir sind hier nicht auf dem Fußballfeld, verdammt noch mal! Das ist kein Spiel!“ Tsubasa spürte, dass er wieder wütend wurde. „Es reicht mir schon, dass er mich alleine im Visier hat, ich will nicht, dass noch jemand da reingerät!“ „Wir sind aber alle schon mit drin, Tsubasa.“; meinte Yukari leise. „Ich glaube, Kojiro hat recht. Du kannst das nicht alleine machen....“ „Ich werde es auch nicht alleine machen! Die Skizze kommt zur Polizei, die sollen sich darum kümmern!“ Kojiro blickte ihn immer noch ernst an. „So kenne ich dich gar nicht, Tsubasa. Ich kann zwar verstehen, was in dir vorgeht, aber....“ „So, kannst du das?!“ Tsubasas Hände ballten sich zu Fäusten. „Den Teufel weißt du!“ Seine Stimme war gefährlich leise und etwas in seinem Blick ließ seine Freunde erneut verstummen. Yukari war es schließlich, die das Schweigen wieder brach. „Ist es dir lieber, wenn wir gehen und dich für heute in Ruhe lassen?“, wollte sie leise wissen. „Wir können ja auch morgen weiter überlegen, was wir unternehmen.....das müssen wir nicht heute entscheiden.“ Nach ein paar Sekunden nickte Tsubasa nur, ohne etwas zu sagen, und vergrub das Gesicht in den Händen. „In Ordnung.“ Kojiro stand auf. „Aber denk noch mal darüber nach! Der Typ wird dafür bezahlen, so oder so, verlaß dich drauf.“ Damit verließ er das Haus, gefolgt von Yukari, die Sanae einen aufbauenden Blick zuwarf. „Soll......soll ich auch gehen, Tsubasa?“, fragte sie leise und erhob sich bereits. Tsubasa schüttelte nur den Kopf, ohne aufzublicken. Also setzte sie sich wieder, und ein paar Minuten lang sagte keiner etwas. „Tut mir leid.“, meinte Tsubasa schließlich dumpf. Sanae starrte ihn überrascht an. „Was?“ „Für eben. Es tut mir leid.“ „Ist schon okay....“ „Nein, ist es nicht. Ihr habt es nur gut gemeint, und ich hatte nicht das Recht, so wütend zu werden....“ Sanae lächelte leicht. Das klang jetzt wieder mehr nach dem Tsubasa, den sie kannte. Sie legte ihm die Hand auf den Arm. „Doch, es ist okay, Tsubasa. Es ist völlig normal, dass du jetzt erst mal durcheinander bist, und Kojiro hätte dich nicht so unter Druck setzen sollen, besonders nachdem....“ Sie brach ab. „Nachdem der Typ mich wieder überrascht und in den Keller gesperrt hat?“, vollendete Tsubasa den Satz, nach wie vor ohne aufzublicken. Sanae nickte und bemerkte zu spät, dass er das im Moment nicht sehen konnte. „Warum hast du denn mit dem Aufräumen nicht auf mich gewartet?“ „Weil ich mich ablenken wollte. Ich musste mich irgendwie beschäftigen....“ Unwillkürlich kam Sanae der Gedanke, dass es eigentlich typischer für ihn gewesen wäre, sich seinen Fußball zu schnappen und sich durch Spielen abzulenken. Aber dann dachte sie an die gerade verheilte Gehirnerschütterung und war erleichtert, dass er es nicht getan hatte. Und dass er nicht durch die chaotische Küche an alles erinnert werden wollte, war auch nur zu gut verständlich. Sie zögerte. „Wann kommt denn der Schlüsseldienst?“ „Morgen früh. Ich muss vorher noch mit meinen Eltern sprechen wegen dem Geld, so viel habe ich nicht da. Und zur Schule kann ich dann auch noch nicht....“ „Das ist sicher auch besser so. Es schadet nicht, wenn du erst übermorgen wieder hin gehst, bis dahin fühlst du dich sicher auch ingesamt wieder wohler.“; meinte Sanae aufbauend. „Und wegen heute abend....“ Sie zögerte erneut, gab sich dann aber einen Ruck. „Willst du nicht lieber mit zu mir nach Hause kommen?“ „Was?“ Jetzt hob Tsubasa doch den Kopf und blickte sie verdutzt an. „Es ist nicht sicher, wenn du alleine hier im Haus bleibst, nicht wenn der Typ einen Schlüssel hat und jederzeit reinkommen kann.“, meinte Sanae schnell und hoffte, dass er ihr den eigentlichen Grund für ihren Wunsch nicht ansah. Es behagte ihr nicht, ihn die ganze Nacht allein hier zu lassen, nicht nach dem kleinen Desaster am Nachmittag. Dass er sich psychisch nicht gerade in optimaler Verfassung befand, war nicht zu übersehen. „Meine Eltern haben sicher nichts dagegen, wenn du bei uns übernachtest, wir haben ein Gästezimmer. Bitte, denk wenigstens darüber nach, ja? Ich glaube es wäre besser...“ Tsubasa schwieg kurz und starrte auf seine Hände. „Nur, wenn es deinen Eltern wirklich nichts ausmacht....“, meinte er schließlich leise, ohne sie anzusehen. „Und ich muss vorher noch meine Mutter anrufen, wenn sie es hier probiert und ich nicht da bin flippt sie aus....“ Sanae traute ihren Ohren nicht. Sie lächelte erleichtert. „Klar. Es muss ja auch nicht jetzt sofort sein, du kannst heute abend rüberkommen.... und bis dahin bringen wir die Küche endgültig auf Vordermann. Und den Keller übernehme ich dieses Mal.“ Kapitel 19: Trost ----------------- Der Regen prasselte an die Scheibe. Sanae zog die Vorhänge zu und wandte sich dann um. Tsubasa lag auf dem Bett und schlief tief und fest. Im Moment sah er ganz ruhig aus.... Sanae lächelte leicht. Er war nicht einmal dazu gekommen, sich die feuchten Sachen auszuziehen, nur die Schuhe standen vor dem Bett. Er hatte die kleine Reisetasche ins Zimmer bringen wollen und war dann fast eine halbe Stunde lang nicht mehr aufgetaucht. Als Sanae ihm schließlich gefolgt war, hatte sie ihn bereits schlafend vorgefunden. Vermutlich hatte er sich nur ein paar Sekunden ausruhen wollen.....schließlich war ja erst halb acht. Aber wenn man in Betracht zog, dass er zum ersten Mal seit fast einer Woche wieder so lange auf den Beinen gewesen war und er bei weitem keinen einfachen Tag hinter sich hatte, war es nicht verwunderlich, dass er so fertig war. Sanae holte eine Decke aus dem Schrank und faltete sie auseinander. Fast den ganzen Nachmittag hatten sie gemeinsam damit verbracht, die Küche vollends in Ordnung zu bringen, danach war Sanae alleine in den Keller nach unten gegangen und hatte dort weiter aufgeräumt. Zum Glück war Tsubasa solange freiwillig in sein Zimmer, um die paar Sachen zu suchen, die er über Nacht brauchte. Anschließend hatte er mit seiner Mutter gesprochen und ihr Bescheid gesagt. Sanae breitete die Decke über ihm aus – und erstarrte leicht. Einer seiner Ärmel war etwas hochgerutscht, und an seinem Handgelenk waren immer noch die Spuren seiner Fesseln zu sehen, die Schürfwunden hatten nur langsam zu heilen begonnen. Sie schluckte, bevor sie ihn vollends zudeckte. Tsubasa rührte sich etwas, wurde aber nicht wach. Leise löschte Sanae das Licht und zog sich dann wieder nach unten zurück. Ihre Mutter war in der Küche mit kochen beschäftigt. Ihr Ehemann hatte heute länger in der Firma zu tun, darum gab es das Abendessen erst spät. „Nanu? Wollte Tsubasa nicht mitkommen?“, wollte sie verdutzt wissen, als ihre Tochter alleine auftauchte. „Er schläft schon, und ich wollte ihn jetzt nicht wecken.“ Sanae setzte sich an den Tisch. Ihre Mutter runzelte leicht die Stirn. „Kein Abendessen? Na – so wird er wohl kaum wieder vollends zu Kräften kommen. Er wirkt immer noch blass um die Nase. Aber auch kein Wunder, wenn sich zuhause niemand um ihn kümmert. Wenn ich seine Mutter wäre, hätte ich alle Hebel in Bewegung gesetzt, um zurück zu kommen! Verantwortungslos, den Jungen jetzt alleine zu lassen....“ „Sie haben es doch versucht!“, meinte Sanae etwas heftiger als es gemeint war. „Seine Eltern haben alles probiert, um so schnell wie möglich wieder hier zu sein, aber es gab keinen früheren Flug.“ „Meiner Meinung nach ist es sowieso unverantwortlich, ein Kind in diesem Alter....“ „Wir sind keine Kinder mehr, Mama!“ Sanae wurde laut. „Lass das endlich, ja? Dass so etwas passiert, hat niemand ahnen können! Seine Mutter hatte ein Recht auf diesen Urlaub, und Papa und du wart auch schon mal so lange verreist!“ Frau Nakazawa seufzte und widmete sich wieder dem Kochen. „Ich meine ja nur.....“ Sanae schwieg und drehte eine Serviette zwischen ihren Fingern. Insgeheim wußte sie ganz genau, dass ihre Mutter nur deshalb so rechthaberisch war, weil sie sich über das Zu-Spät-Kommen ihres Mannes ärgerte. Zum Glück hatte Tsubasa nichts von der schlechten Laune Frau Nakazawas mitbekommen. „Und du willst ihn sicher nicht wecken?“, redete sie jetzt weiter. „Etwas warmes zu essen tut ihm sicher gut.“ „Ja, ja, aber erst in einer halben Stunde, wenn Papa auch wirklich da ist. Bis dahin kann ich ihn ruhig noch schlafen lassen, er hatte ja die letzte Zeit selten wirklich seine Ruhe.“ Ein leichtes Lächeln glitt über Frau Nakazawas Gesicht. „Na ja, daran bist du aber nicht ganz unschuldig. Du bist ihm ja kaum von der Seite gewichen....“ Sanae wurde rot. „Das ist etwas ganz anderes!“, meinte sie heftig. „Ich habe mir nur Sorgen gemacht....“ „Das weiß ich doch. Ich an deiner Stelle hätte wohl genau dasselbe getan, Aber früher oder später wird er wohl mit der ganzen Sache alleine klar kommen müssen. Immerhin wohnt er noch zuhause, ich nehme nicht an, dass seine Eltern extra deswegen umziehen werden.“ Sanae nickte. „Ja, ich weiß.......“ Sie brach ab. Ein neuer, schmerzhafter Gedanke war ihr gekommen. In der Tat, Tsubasa musste noch in seinem Zuhause zurecht kommen, aber vorerst nur ein halbes Jahr. Dann saß er im Flugzeug nach Brasilien und war weg..... *** Als Tsubasa aufwachte, dauerte es ganze fünf Minuten, bis er wußte, wo er war. Benommen richtete er sich auf und blickte die Decke mit gerunzelter Stirn an, die über ihm ausgebreitet gewesen war. Dann sah er sich um. Das Zimmer hier war fremd, aber es kam ihm dennoch vertraut vor. Das Krankenhaus war das definitiv nicht, aber bei sich zuhause befand er sich offensichtlich auch nicht. Draußen donnerte es leise, Regentropfen prasselte gegen die Fensterscheibe. Tsubasa wurde sich bewußt, dass sein Sweatshirt ziemlich durchnässt war. Gleichzeitig erinnerte er sich wieder. Er war bei Sanae zuhause, sie hatte ihm angeboten hier zu übernachten. Auf dem Weg war das Gewitter aufgezogen und beide hatte es ohne Schirm ziemlich erwischt. Und dann.....dann musste er hier im Gästezimmer eingeschlafen sein. Richtig – er hatte seine Tasche nach oben gebracht und hatte sich müde auf das Bett gesetzt. Unwillkürlich warf er einen Blick auf die Uhr. Fast eine Stunde hatte er geschlafen – hatte sich Sanae nicht gewundert, wo er blieb? Die Decke fiel ihm ein. Und ob sie sich gewundert hatte, wo er blieb..... Typisch. Tsubasa lächelte leicht. Seltsamerweise fühlte er sich fast wieder richtig gut. Die Kopfschmerzen, die über der Aufregung den ganzen Nachmittag wieder in seinem Schädel rumort hatten, waren weg, und er hatte das Gefühl, zum ersten Mal seit Tagen wieder richtig geschlafen zu haben. Was eine Stunde doch alles bewirken konnte.... Er schwang die Beine über die Bettkante und stand auf, langsam, mit Rücksicht auf seinen Kopf. Hastige Bewegungen konnten sich nach wie vor böse bemerkbar machen. Noch während Tsubasa sich ein trockenes Shirt überzog, klopfte es an der Tür. Dann steckte Sanae ihren Kopf in das Zimmer. Sie lächelte, als sie bemerkte, dass er auf den Beinen war. „Oh, du bist wach, sehr gut. Dann kann ich mir das Wecken sparen. Hast du Hunger? Mein Vater ist grad nach Hause gekommen, es gibt Abendessen.....“ Tsubasa nickte und erwiderte ihr Lächeln. „Bin gleich da.“ „Prima.“ Sanae verschwand und schloss die Tür leise hinter sich. Tsubasas Lächeln schwand. Er ging zum Fenster hinüber und zog die Vorhänge zur Seite. Draußen regnete es nach wie vor, aber der Himmel wurde bereits heller. Er hatte Glück gehabt, dass er sich zuhause noch etwas wärmeres übergezogen hatte, nur im T-Shirt wäre auch die kurze Strecke zu Sanaes Adresse unangenehm geworden. Die Temperatur war deutlich nach unten gegangen. Normalerweise kümmerte er sich nicht um so etwas, aber er hatte keine Lust, nach seinem Klinikaufenthalt gleich wieder krank zu werden – ganz zu schweigen davon, dass seine Mutter sonst mit Garantie einen Nervenzusammenbruch bekommen würde. Seine Gedanken kehrten wieder zum Nachmittag zurück. Es schien bereits Wochen her zu sein..... Tsubasa tastete nach dem Pflaster an seiner Schläfe. Mittlerweile hatte er wenigstens den Schock, dass der Typ tatsächlich noch einmal bei ihm zuhause aufgetaucht war, einigermaßen verdaut. Jetzt fühlte er sich kräftig genug, um die Kriegserklärung anzunehmen. Wenn er sich nur an den Abend der Entführung erinnern könnte....vielleicht hatte er doch irgendetwas gesehen. Tsubasa erschrak leicht, als es wieder an der Tür klopfte. „Wo bleibst du denn?“, erklang Sanaes Stimme von draußen. „Bist du wieder eingeschlafen?“ „Nein....komme sofort!“ *** „Und? Fühlst du dich jetzt wieder besser?“, wollte Sanae später am Abend wissen, als sie gemeinsam in ihrem Zimmer saßen. Tsubasa nickte und drehte das Glas Wasser in seinen Händen. „Ja, um einiges. Danke.“ Sanae lächelte. „Da gibt es nichts zu danken....“ „Doch, gibt es.“ Tsubasa hob den Kopf und blickte sie direkt an. „Das wollte ich die ganze Zeit schon machen.“ „Was?“ „Mich bei dir bedanken. Ryo hat mir erzählt, dass die Anderen ohne dich vermutlich gar nicht weitergesucht hätten, und dass du es warst, die rausgefunden hat, wo ich bin....und ich weiß nicht, wie ich die Sache heute mittag ohne dich überstanden hätte.“ Sanae wurde wieder leicht rot. „Na ja, ich......ähm......das habe ich gerne gemacht....“ Sie beeilte sich, das Thema zu wechseln. „Weißt du schon, was du als nächstes tun willst?“ Tsubasa zögerte. „Du....du kennst die Stelle, an der mich der Typ überfallen hat, oder?“ Sanae wurde schlagartig wieder ernst. „Warum?“ Tsubasa holte tief Luft. „Kannst du mich morgen bitte hinbringen?“ Kurze Zeit herrschte Schweigen. „Wieso?“, fragte Sanae schließlich fassungslos. „Was versprichst du dir davon?“ „Ich will rausfinden, was an dem Abend passiert ist....“ „Das halte ich für keine gute Idee! Was soll das denn bringen? Wir haben die Stelle schon abgesucht, da gibt es keine Hinweise oder so was, und.....“ „Sanae, der ganze Abend ist weg! Ich habe das Gefühl, als hätte ich ein riesiges schwarzes Loch in meinem Kopf!“ Sanae schwieg ein paar Sekunden. „Meinst du nicht, es wäre besser, noch etwas damit zu warten?“, fragte sie dann leise. „Ich meine, nach der ganzen Sache heute und wenn es dir gerade wieder gut geht....“ Sie brach ab. Tsubasa schüttelte den Kopf. „Je schneller, desto besser.“ Sanae schwieg erneut, dann stand sie auf. Tsubasa beobachtete verwundert, wie sie ihren Schrank öffnete. Als sie zu ihm zurück kam, hielt sie seine Schultasche in den Händen und hielt sie ihm ohne ein weiteres Wort hin. „Wo hast du die denn her?“, fragte er verdutzt, während er das Glas wegstellte und ihr die Tasche abnahm. „Wir haben sie gefunden.....hat Ryo dir das nicht erzählt?“ Tsubasa schüttelte den Kopf und strich mit der Hand über das kalte Leder. „Ich konnte mich nicht mal daran erinnern, sie verloren zu haben....“ „Der Typ hat deinen Hausschlüssel daraus geklaut und sie dann weggeworfen, und er hat....“ Sanae zögerte, redete dann aber weiter. „Und er hat die Tasche benutzt, um uns eine zweite Nachricht zu schicken.“ Sie nahm ihm die Mappe ab und öffnete sie. Als Tsubasa die mit roter Farbe geschmierte Drohung entziffern konnte, flackerte erneut Wut in ihm hoch. „Ich schätze mal, du wirst dir eine neue kaufen müssen, die Farbe geht nicht mehr raus.“, meinte Sanae leise. Tsubasa antwortete nicht sofort. Er starrte die Botschaft an. „Es ist eigentlich verrückt, oder?“, meinte er schließlich dumpf. „Mein ganzes Leben lang hat sich immer alles um Fußball gedreht, und jetzt auch noch so was.....“ Sanae bereute es, ihm die Tasche gezeigt zu haben. Sie schloss sie wieder und legte sie vor das Bett, bevor sie sich neben Tsubasa setzte. „Stimmt eigentlich die Geschichte, dass dir der Ball mal das Leben gerettet hat?“, wollte sie so unbeschwert wie möglich wissen. Zu ihrer Erleichterung ging Tsubasa auf den erneuten Themenwechsel ein. Er nickte. „Ja. Ich kann mich nicht daran erinnern, aber meine Mutter erzählt es mir bei jeder Gelegenheit. Der Ball ist auf die Straße gekullert und ich bin hinterher gelaufen, um ihn zu holen, und dann ist dieser LKW anscheinend aufgetaucht. Wenn ich den Ball nicht als Dämpfer gehabt hätte, hätte ich das wohl nicht überlebt oder wäre zumindest schwer verletzt worden.“ Er lächelte schwach. „Ich war immer dankbar dafür. Aber wenn ich jetzt so drüber nachdenke, ist der Ball überhaupt schuld an der ganzen Sache gewesen......es ist eher so, als hätte er es wieder gut machen wollen. Genau wie jetzt.....“ „Was meinst du damit, genau wie jetzt?“, wiederholte Sanae alarmiert. „Nichts, vergiß es. Ist nicht so wichtig....“ Den Eindruck hatte Sanae nicht wirklich, aber sie wußte nicht, was sie sagen sollte. Der Themenwechsel war nach hinten losgegangen.....Tsubasa sah jetzt wieder ziemlich ernst aus. „Also, bringst du mich morgen hin?“, wollte er schließlich wissen. Sanae musste nicht nachfragen, was er meinte. Sie nickte niedergeschlagen. „Wenn du unbedingt willst.....“ Kapitel 20: Vertrauen --------------------- Mitten in der Nacht fuhr Tsubasa im Bett hoch, schweiß gebadet und völlig außer Atem. Ein paar Sekunden lang starrte er in die Dunkelheit vor ihm, dann tastete er nach dem Lichtschalter. Als die Nachttischlampe aufflackerte, verschwand die Klammer, die sich um seine Brust gelegt hatte, fast sofort. Dennoch dauerte es noch eine ganze Weile, bis sich seine Atmung wieder beruhigte. Zu seiner eigenen Überraschung stellte er fest, dass er am ganzen Körper zitterte, und unwillkürlich verkrampften sich seine Hände in die Bettdecke. Wie er diese Albträume hasste! Eigentlich hatte er gehofft, hier endlich mal wieder eine Nacht durchschlafen zu können, nachdem er sich am späten Nachmittag so wohl gefühlt hatte, aber da war das Zimmer auch noch hell gewesen. Jetzt, im Dunkeln, konnte er absolut keine Konturen mehr ausmachen, und er kannte den Raum nicht.....es war fast genauso wie im Keller. Deprimiert ließ er sich wieder ins Kissen zurück fallen. Wie zum Teufel sollte das weitergehen? Wenn er sich schon nicht zuhause wohl fühlte und woanders auch nicht.....? Hoffentlich wurde alles besser, wenn seine Eltern aus dem Urlaub da waren, dann fühlte er sich vielleicht zumindest in seinem eigenen Zimmer wieder sicher. Unwillkürlich blickte er auf die Uhr. Halb drei! Na wunderbar.....mitten in der Nacht! Irgendwie hatte er das Gefühl, dass er jetzt nicht mehr viel Schlaf finden würde. Wenn es wenigstens gegen sechs gewesen wäre, dann musste Sanae bald zur Schule und wäre vielleicht schon wach gewesen. Er sehnte sich nach ihrer Nähe. Aber jetzt wecken konnte er sie auf gar keinen Fall. Im Nachhinein bereute er es bitter, die Nachttischlampe nicht von Anfang an angelassen zu haben. Aber dafür war es zu spät, jetzt war er wach. Nach ein paar Sekunden schlug Tsubasa die Bettdecke zurück und stand auf. Eigentlich war es unhöflich, in fremden Häusern einfach so rumzulaufen, aber er brauchte etwas Bewegung. Hier liegen und die Zimmerdecke anstarren machte ihn noch wahnsinnig. Leise verließ er das Zimmer und zuckte prompt wieder leicht zusammen. Der Gang war auch dunkel, natürlich. Damit hätte er eigentlich rechnen müssen. Ärgerlich über sich selbst setzte er seinen Weg etwas schneller fort. Zum Glück kannte er sich einigermaßen aus, immerhin hatte er Sanae in der Vergangenheit schon oft besucht. Ihre Zimmertür war noch geschlossen, das ganze Haus war still. Kein Wunder um diese Uhrzeit. Insgeheim musste er sich jedoch eingestehen, dass er gehofft hatte, in ihrem Zimmer Licht zu sehen, aber alles blieb dunkel. Tsubasa schüttelte über sich selbst den Kopf und tastete sich die Treppe nach unten. Was war denn in letzter Zeit nur mit ihm los? Er fühlte sich völlig durcheinander, und das nicht erst seit der Entführung – obwohl es seitdem noch stärker geworden war. Gerade, als er völlig in seine Gedanken vertieft um die Ecke bog, prallte er mit jemandem zusammen. Es schepperte, Glas klirrte auf dem Boden, und sein Gegenüber schrie erschrocken auf. Tsubasa fuhr zurück. Diese Stimme....? „Sanae?“ „Tsubasa! Meine Güte, hast du mich erschreckt.....“ Das Licht flammte auf, und in der Tat sah sich Tsubasa Sanae gegenüber, die genauso geschockt aussah wie er selbst. „Was machst du denn hier um diese Uhrzeit?“, wollte er perplex wissen und ignorierte sein heftig hämmerndes Herz. „Dasselbe könnte ich dich fragen.“ Sanae atmete tief durch. „Ich wollte nur ein Glas Wasser aus der Küche holen....und du?“ Ihr Blick wurde besorgt. „Hast du wieder schlecht geträumt?“ Woher zum Teufel wußte sie das schon wieder?! „Ich....ja.....ist halb so wild, ich konnte nur nicht mehr schlafen.“, wich er aus. „Warum hast du kein Licht gemacht?“ „Das mache ich nie, ich hab mir schon früher den Spaß gemacht und bin im Dunkeln durchs Haus geschlichen.“ Sanae lächelte leicht. „Das war immer ein riesiges Abenteuer....“ Tsubasa konnte sich das fast bildlich vorstellen – Sanae als kleines Kind mit einer Taschenlampe und aufgeregt leuchtenden Augen. Er unterdrückte ein Lächeln. „Ja, das passt zu dir.“ Sanae räusperte sich und bückte sich, um die Scherben aufzusammeln. Tsubasa wurde sich bewußt, dass sie seinetwegen anscheinend das Wasserglas hatte fallen lassen. „Oje.....tut mir leid.“ „Schon gut, ist nicht so schlimm....Wollen wir uns ins Wohnzimmer setzen? Ich kann Tee machen. Nach dem Schrecken bin ich erst mal wach.“ Tsubasa zögerte. „Und die Schule? Ich will nicht, dass du meinetwegen auch noch übermüdet bist....“ „Quatsch. Erstens ist da mit Garantie nichts interessantes, und zweitens bin ich jetzt wach, wie gesagt. Geh du schon mal vor, ich komme gleich nach. Oder willst du lieber wieder ins Bett?“ Tsubasa schüttelte stumm den Kopf, und Sanae lächelte. „Dachte ich's mir doch.“ Sie trug die Scherben in die Küche, und Tsubasa blickte ihr einen Moment lang gedankenverloren hinterher. Dann folgte er ihrer Anweisung und ging ins Wohnzimmer. Lange warten musste er nicht, es dauerte nur wenige Minuten, bis Sanae sich zu ihm gesellte, ein Tablett mit zwei Tassen, einer Teekanne und Gebäck vor sich herbalancierend. „So. Jetzt können wir es uns gemütlich machen.“ Sie stellte das Tablett ab und setzte sich neben ihn. „Ist schon ewig her, dass ich um die Uhrzeit hier unten war.“ „Warum? Hast du das auch immer gemacht als Kind?“ „Nur wenn meine Eltern unterwegs waren und ich oben nicht schlafen konnte.“ Sanae reichte ihm eine der dampfenden Tasse. „Hier habe ich mich fast immer sicherer gefühlt als in meinem Zimmer, weil ich dann gleich gehört habe, wenn sie nach Hause gekommen sind.“ Tsubasa nickte und wärmte sich die Hände an dem heißen Tee, antwortete aber nicht. „Vor was hattest du Angst als Kind?“, wollte Sanae neugierig wissen. „Keine Ahnung, so wirklich kann ich mich nicht daran erinnern. Ich weiß nur, dass ich häufig mitten in der Nacht wach geworden bin, weil ich mir eingebildet habe dass mein Vater heim kommt. Dann hab ich meine Mutter geweckt und keine Ruhe gegeben, bis sie mit mir gemeinsam nachgesehen hat.“ Sanae blickte ihn von der Seite an. „Du hast ihn oft vermisst, oder?“ „Unterschiedlich. Ich meine, ich kenne es gar nicht anders.....er war meistens über sechs Monate unterwegs und dann ein – zwei Wochen zuhause. Eigentlich bin ich es ja gewohnt.“ Sanae nickte und ein paar Sekunden schwiegen beide. „Die wievielte Nacht kannst du jetzt meinetwegen nicht schlafen?“, wollte Tsubasa dann leise wissen, und Sanae hätte beinahe ihren Tee verschüttet. „Was?“ „Ich sehe dir an, dass du müde bist. Du bleibst nur meinetwegen auf, oder?“ „Ähm....“ Sanae wurde rot. „Es ist kein Problem....wirklich nicht. Ich finde es schön....“ Sie brach ab und trank hastig von ihrem Tee. Tsubasa schwieg, und Sanae gab sich nach kurzem Zögern einen Ruck. „Wovon hast du geträumt?“, wollte sie unsicher wissen. Tsubasa reagierte zuerst nicht, und einen Moment lang befürchtete sie schon, eine Grenze überschritten zu haben, aber dann stellte er seine Tasse auf den Tisch. „Dasselbe wie immer.“; meinte er leise, ohne sie anzusehen. „Ich bin in einem dunklen Raum, kann mich nicht bewegen und nicht schreien, und jemand wirft ziemlich laut eine Tür ins Schloss....und dann ist gar nichts mehr. Oft wache ich auch von dem Türknall dann auf....“ Sanae wußte nicht wirklich, was sie darauf antworten sollte. Genau genommen war sie ziemlich überrascht, dass er ihr das einfach so erzählt hatte. Nach kurzem Zögern stellte sie ihre Tasse auf den Tisch und tastete erneut nach seiner Hand. Im ersten Moment zuckte er leicht zusammen, dann erwiderte er den Händedruck, und sie stellte verwundert und besorgt fest, dass er wieder leicht zitterte. „Ich weiß gar nicht, was ich die letzten Tage ohne dich gemacht hätte.“, meinte er nach wie vor leise und brachte sie damit erst aus der Fassung. Zum Glück sah er sie immer noch nicht an, sonst hätte er jetzt wohl gesehen, dass ihr Gesicht die Farbe einer überreifen Tomate annahm. „Das habe ich dir doch heute abend schon einmal gesagt.“; meinte sie schließlich und schaffte es, ihre Stimme halbwegs normal klingen zu lassen. „Du musst dich nicht dafür bedanken, ich habe es gerne gemacht....“ „Gerade deswegen.“ Sein Griff um ihre Hand verstärkte sich, und Sanae zwang sich, ruhig zu bleiben. Hoffentlich merkte er ihr nichts an.... „Ich würde mir an deiner Stelle nicht zu viele Gedanken um diese Träume machen.“; meinte sie hastig. „Das legt sich bestimmt wieder....“ „Wenn es nur die Träume wären....“ „Was?“ Sanae blickte ihn verwirrt, dann besorgt an. „Was meinst du damit, Tsubasa?“ „Ich komme mir vor wie ein Feigling. Nicht nur, dass ich plötzlich Angst im Dunkeln habe, ich traue mich ja auch kaum in die Nähe von unserem Keller....“ „Du bist kein Feigling!“, meinte Sanae entsetzt. „So was darfst du nicht mal denken! Ich meine, das alles ist doch völlig normal in deiner Situation....ich weiß nicht mal, ob ich mich an deiner Stelle überhaupt schon in das Haus getraut hätte.“ Sie ließ seine Hand los, packte ihn statt dessen an den Schultern und zwang ihn, sie anzusehen. „Du bist kein Feigling.“, meinte sie eindringlich. „Glaub mir, Tsubasa!“ „Sanae....“ Ein paar Sekunden lang schien die Zeit still zu stehen.....dann fuhren beide erschrocken zusammen, als es von der Tür her leise klingelte. „Was....?“ Sie wandten sich um und entdeckten eine kleine getigerte Katze, die sich durch den Türspalt gezwängt hatte und sich nun neben einer großen Bodenvase ausgiebig putzte. Das kleine Glöckchen um ihren Hals hatte das Geräusch verursacht. „Genau das meine ich.“, meinte Tsubasa leicht bitter. „Quatsch, ich bin genauso erschrocken wie du.“ Sanae stand auf und hob die Katze auf den Arm, bevor sie wieder zu Tsubasa zurück kam und sich neben ihn setzte. „Ich hab auch ganz vergessen, dir zu erzählen, dass wir einen neuen Mitbewohner haben. Meine Eltern haben sie vor drei Wochen adoptiert, und sie ist noch ziemlich scheu, so dass sie sich gerne irgendwo versteckt. Darf ich vorstellen: Yoshi.“ Yoshi schnurrte wohlig, als Sanae sie hinter den Ohren kraulte, und auch Tsubasa streckte die Hand aus, um sie zu streicheln. Nach ein paar Sekunden musste Sanae plötzlich kichern. „Ich habe übrigens geträumt, ich wäre eine Maus.“ „Eine Maus?“, wiederholte Tsubasa perplex und starrte sie an. „Ja, eine Maus. Mit einer roten Schleife um den Hals. Und ich bin auf Yoshi geritten....“ Tsubasa konnte nicht anders, er musste lachen. „Das ist nicht dein Ernst, oder?“ „Na ja....nicht ganz. Die Schleife war erfunden.“, gestand Sanae grinsend. *** Tsubasa wurde geweckt, als das Sonnenlicht durch das große Wohnzimmerfenster direkt auf das Sofa fiel. Er blinzelte benommen und rieb sich über die Augen – und wurde sich im nächsten Moment bewußt, dass Sanae direkt neben ihm saß und sich im Schlaf an ihn gekuschelt hatte. Prompt erstarrte er leicht. Au weia.....anscheinend waren sie beide irgendwann auf dem Sofa eingeschlafen. Was jetzt? Er konnte sich nicht rühren, ohne zu riskieren, dass sie dabei aufwachte. Genau genommen wußte er auch nicht, ob er sich überhaupt rühren wollte. Es war bei weitem nicht unangenehm.... In der nächsten Sekunde rief er sich zur Ordnung. Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass es bereits kurz vor sieben war, und ab halb acht konnte der Schlüsseldienst auftauchen. Er musste nach Hause, und Sanae würde zu spät zur Schule kommen......wobei, wäre das so schlimm? Immerhin hatte sie sich seinetwegen die halbe Nacht um die Ohren geschlagen, da war es sicher besser, wenn er sie schlafen ließ. Wenn sie rechtzeitig zum Unterricht wach wurde, in Ordnung, wenn nicht, dann war es Schicksal und sie konnte sich dann den Tag über ausruhen. Blieb nur noch die Frage, wie er aufstehen konnte, ohne sie dabei zu wecken. Er sollte sich auch besser beeilen, sonst wurden womöglich noch ihre Eltern wach und er wollte sich nicht vorstellen, was die sagen würden, falls sie sie zu zweit auf dem Sofa entdeckten. Vorsichtig löste er sich aus ihrer Umklammerung und schaffte es tatsächlich nach mehreren Minuten, aufzustehen. Dann schob er ihr behutsam ein Sofakissen unter den Kopf und blickte sich suchend um, bis er schließlich eine dünne Wolldecke entdeckte, die er über ihr ausbreitete. Sanae kuschelte sich etwas mehr zusammen und schlief dann seelenruhig weiter. Tsubasa lächelte und trug das Tablett noch in die Küche, bevor er so leise wie möglich zurück ins Gästezimmer ging, um seine Sachen zu holen. Er musste sich beeilen, damit er noch Geld von der Bank holen konnte. Zum Glück hatten seine Eltern ihm die Scheck-Karte dagelassen..... Er schrieb Sanae eine kurze Nachricht, damit sie Bescheid wußte, und legte sie auf den Couchtisch. Unwillkürlich blickte er wieder zu ihr hinüber. Sie schlief nach wie vor tief und fest und sah richtig zufrieden aus. Nach kurzem Zögern strich er ihr behutsam ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht und bemerkte, dass sich bei seiner Berührung ein kleines Lächeln über ihrem Gesicht ausbreitete. Er spürte, dass sein Herz schneller zu schlagen begann, riß sich aber zusammen. Rasch hob er seine Tasche vom Boden auf und verließ leise das Haus. Auf halbem Wege begann er bereits zu rennen. Die Bewegung und die frische Morgenluft taten unheimlich gut und machten ihn munter. Erst jetzt wurde Tsubasa bewußt, wie sehr ihm in den letzten Tagen der Sport gefehlt hatte. Aber Fußballtraining kam im Moment noch nicht in Frage, dazu musste er erst einmal wieder seine Gedanken ordnen. Das wichtigste war, dass er diesen Typen zur Rechenschaft ziehen konnte, alles andere musste warten. Hoffentlich hielt Sanae ihr Versprechen und führte ihn am Nachmittag zu der Stelle, an der alles passiert war..... Als Tsubasa sein Haus erreichte, verlangsamte er seine Schritte. Das mittlerweile vertraute beklemmende Gefühl kroch wieder in ihm hoch. Hoffentlich erwartete ihn nicht wieder irgendeine böse Überraschung wie beim letzten Mal. Aber zumindest hing kein Zettel an der Türklingel, und die Haustür sah geschlossen aus. Als Tsubasa die Einfahrt empor ging und dabei bereits seinen Schlüssel suchte, stolperte er jedoch plötzlich über etwas und wäre beinahe hingefallen. „Was zum....?“ Verwirrt blickte er sich nach der Ursache um. Auf der geteerten Einfahrt lag ein faustgroßer Stein. Wo kam der denn her?! Gestern war er definitiv noch nicht da gewesen. Verwirrt hob er ihn auf und drehte ihn um. Dann erstarrte er. Auf einer Seite klebte getrocknetes Blut. Kapitel 21: Zweifel ------------------- Fassungslos starrte Tsubasa den Stein in seiner Hand an, während ihm langsam bewußt wurde, WAS er da in der Hand hielt. In seiner Schläfe begann es unangenehm zu hämmern, unwillkürlich tastete er wieder nach dem Pflaster. Kein Wunder hatte er sich so mies gefühlt – die Übelkeit, die Kopfschmerzen, die Gehirnerschütterung.....dieser Mistkerl hatte ihn mit einem Stein niedergeschlagen! Da war er ja noch richtig glimpflich davon gekommen..... Wütend biss Tsubasa die Zähne zusammen, steckte den Stein in die kleine Reisetasche und ging weiter zur Haustür. Falls der Typ ihn immer noch beobachtete, wollte er ihm nicht zeigen, wie er sich fühlte. Es dauerte ein paar Sekunden, bis er es schaffte, den Schlüssel ins Schloss zu stecken und die Tür zu öffnen. Innen warf er die Tasche achtlos in eine Ecke und ging mechanisch ins Wohnzimmer, um nach der Scheck-Karte zu suchen. Warum zum Teufel musste jedes Mal, wenn er sich gerade gut fühlte, wieder so was passieren?! Was zur Hölle bezweckte dieser Typ damit?! Tsubasa verdrängte jeden weiteren Gedanken daran zusammen mit seiner Wut in die hinterste Ecke in seinem Kopf, während er sämtliche Schubladen öffnete, um die Karte zu finden. Erst nach ein paar Minuten wurde ihm klar, dass er sie nicht suchen musste, seine Mutter hatte sie ihm vor der Abreise bereits gegeben und sie befand sich in seinem Geldbeutel. Und der Geldbeutel war in der Schultasche, und die Schultasche.....war bei Sanae. Na wunderbar! Müde lehnte er sich an eine Kommode und fuhr sich mit einem Arm über die Stirn. In diesem Moment klingelte es an der Tür. Tsubasa zuckte zusammen und stieß dabei eine kleine Vase um, die von der Kommode kullerte und auf dem Boden zerbrach. Auch das noch – das war ein Lieblingsstück seiner Mutter gewesen. Dabei hatte der Tag so gut angefangen..... Es klingelte wieder, und Tsubasa riss sich zusammen. Kurz bevor er die Tür öffnete, zögerte er jedoch plötzlich wieder. Was, wenn das dieser Typ war?! Im nächsten Moment hätte er sich selber ohrfeigen können. Erstens hatte der Mistkerl nach wie vor einen Schlüssel und würde wohl kaum klingeln, und zweitens – umso besser! Dann könnte er wenigstens direkt mit ihm abrechnen. Er öffnete die Tür. Wie erwartet stand der Schlüsseldienst in Form eines recht gelangweilt aussehenden Mannes im Overall. Er musterte Tsubasa abschätzend. „Guten Morgen. Hast du uns gestern bestellt?“ „Ja, habe ich. Hallo....“ „Sind deine Eltern da?“ „Ja....nein, sind sie nicht. Aber es ist abgesprochen...“ „Und wo sind sie, wenn ich fragen darf?“ „Im Ausland. Was soll das werden, ein Kreuzverhör?!“ Der Mann lächelte kühl. „Tut mir leid, aber allzu oft kommt es nicht vor, dass wir von einem Kind angerufen werden. Nicht, dass da ne krumme Sache läuft....“ „Ich bin kein Kind mehr! Und ich mache keine „krummen Sachen“!“; meinte Tsubasa wütend. „Sie können meine Eltern anrufen und fragen, wenn Sie wollen! Die Nummer ist drinnen....“ „Schon gut, schon gut. Aber dir ist hoffentlich klar, dass wir nicht billig sind.“ Tsubasas Zorn verschwand schlagartig. „Ja....ähm......da gibt es ein kleines Problem.“ Der Blick des Mannes wurde misstrauisch. „Nämlich?“ „Na ja...“ Tsubasa zögerte, aber dann gab er sich einen Ruck und schilderte knapp das Dilemma mit der verschwundenen Scheckkarte. „So so.“; meinte sein Besucher kühl. „Nun, da gibt es dann eigentlich nur eine Lösung. Ich gehe und komme zum nächstmöglichen Termin wieder her, das wäre dann in zwei Tagen, frühestens. Und natürlich wird auch die Ausfall-Pauschale für heute berechnet.“ „Was?!“ Tsubasa erstarrte. „Aber in zwei Tagen ist viel zu spät, ich brauche das neue Schloss heute noch...“ „Das ist dein Pech, dann hättest du dich eben darum kümmern müssen, dass das Geld da ist!“ „Aber ich...“ „Hey, was geht denn hier ab?“ Tsubasa zuckte zusammen und wandte den Kopf. Ryo kam die Einfahrt herauf und musterte die Auseinandersetzung mit großen Augen. Irgendwie hatten im Moment alle die Angewohnheit, unangemeldet und zu den interessantesten Augenblicken bei ihm aufzukreuzen. Aber Tsubasa hatte keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Ryo hatte die Beiden mittlerweile erreicht und blickte den Schlüsseldienst-Menschen neugierig an. „Du willst das Schloss auswechseln lassen?“ „Ja....es geht nicht anders.“ „Und wo ist dann das Problem?“, hakte Ryo mit einem neuen Blick auf die griesgrämige Miene des Mannes nach. „Das Problem lässt sich ganz einfach erklären.“, meinte dieser nach wie vor kühl, bevor Tsubasa antworten konnte. „Er kann das Schloss nicht bezahlen.“ „Hä?“ „Ich KANN es bezahlen, sobald ich die Scheckkarte wieder habe, wie oft denn noch!“ Langsam hatte Tsubasa genug. Warum konnte nicht ein einziges Mal etwas reibungslos funktionieren?! „Aha! Verstehe.“ Ryo wirkte nachdenklich, dann hellte sich seine Miene auf. „Ich hab's! Warten Sie bitte noch ein paar Minuten, ja? Ich darf doch mal, Tsubasa, oder?“ Und ohne seinem Freund eine Chance zum Protest zu lassen, schob er ihn kurzerhand zur Seite und betrat das Haus. Tsubasa war so perplex, dass er ihm nur hinterher starrte. Ryo ging zielstrebig zum Telefon und wählte. Wenige Sekunden später begann er heftig zu diskutieren, mit wem und worüber, konnte Tsubasa nicht verstehen. Aber es dauerte nicht lange, bis sein Freund mit einem zufriedenen Grinsen wieder zurück kam und sich direkt an den Schlüsseldienst-Mann wandte. „Sie können anfangen! Das Geld kommt in ein paar Minuten, meine Mutter bringt es vorbei.“ „WAS?!“ Tsubasa starrte ihn entsetzt an. „Ryo....!“ Ryo ignorierte ihn und redete weiter. „Wie lange werden Sie brauchen?“ Der Mann musterte ihn abschätzend und schien zu dem Schluss zu kommen, dass er der ganzen Sache vertrauen konnte. „Nicht lange, eine halbe Stunde vielleicht.“ „Gut. Dann warten wir solange drinnen, ja?“ Damit packte er Tsubasa am Arm und zog ihn mit sich, zum Glück nicht zur Küche, sondern ins Wohnzimmer. „Kannst du mir mal verraten, was das gerade sollte?“, wollte Tsubasa wissen, kaum dass sie außer Hörweite waren. „Warum hast du einfach so deine Mutter angerufen und sie um Geld gebeten, ohne mich zu fragen?!“ „Hättest du vor dem Deppen da draußen etwa nocht großartig darüber diskutieren wollen?“ Ryo ließ sich auf das Sofa fallen und wirkte äußerst zufrieden mit sich selbst. „Ist doch alles kein Problem. Du hast gesagt, dass du wieder Geld hast, sobald die Scheckkarte zurück ist, und dann kannst du meiner Mutter heute noch alles wieder geben.“ Er zwinkerte. „Alles ganz einfach.“ Tsubasa starrte ihn nach wie vor an und wußte nicht, ob er wütend oder erleichtert sein sollte. Schließlich entschied er sich für letzteres und setzte sich neben seinen Freund. „Danke.“ „Kein Problem. Erklär mir lieber, warum du das Schloss austauschen lassen willst. Hat das was mit dem Mistkerl zu tun, der dich eingesperrt hat?“ Tsubasa nickte. „Er hat einen Nachschlüssel.“ „WAS? Seit wann weißt du das?“ „Seit gestern.“ Dieses Mal war es an Ryo, ihn entgeistert anzustarren. „Deshalb warst du am Telefon gestern so komisch, stimmt's?“ „Ja....tut mir leid, dass ich dich so vor den Kopf gestoßen habe.“ „Ach, vergiß es.“ Ryo winkte ab. „Genau genommen bin ich hier, weil ich mich für meine Sticheleien gestern entschuldigen wollte. Und ich hab mir Sorgen gemacht, weil bei dir den ganzen Abend niemand mehr ans Telefon gegangen ist, ich wollte dich noch mal anrufen.... Wo warst du denn?“ Tsubasa wich mit einer Gegenfrage aus. „Und warum bist du nicht in der Schule?“ „Weil die erste Stunde ausfällt. Die Anderen trainieren noch. Wir haben eigentlich gehofft, dass du heute auch wieder kommst.....“ Tsubasa schüttelte den Kopf, dankbar für den Schlüsseldienst als Ausrede. „Das ging nicht, ab halb acht wollte der Typ hier sein....“ „Klar.“ Ryo zögerte. „Tsubasa, warum hast du mir gestern nichts davon erzählt? Dass der Typ einen Nachschlüssel hat, meine ich – und wie hast du's heraus gefunden?“ Tsubasa wich der Antwort erneut aus, indem er aufstand und damit begann, die Scherben der Vase zusammen zu suchen, die er vorhin runter geworfen hatte. Aber Ryo ließ nicht locker. „Wir machen uns alle ziemliche Sorgen um dich! Wenn du was gesagt hättest, dann....“ „Dann was? Wärt ihr auch vorbei gekommen und hättet mich zusammen mit Kojiro überreden wollen, ganz Nankatsu nach dem Mistkerl abzusuchen?“ „Hat er das?“ „Ja.“ „Und warum....“ Ryo brach erneut ab. Tsubasa legte die Scherben auf die Kommode und drehte sich zu seinem Freund um. „Weil ich nicht nachgeben werde. „Nachgeben?!“ „Ja, nachgeben. Ich werde diesem Idioten nicht zeigen, wie er mich unter Druck setzt, und ich werde nicht zulassen, dass ihr noch mehr in diese Sache verstrickt werdet. Es reicht mir schon, dass er mir weiter nachsetzt, dass muss er nicht auch noch mit euch machen.“ Ryo starrte ihn sprachlos an. „Das ist nicht dein Ernst, oder?“, meinte er schließlich entsetzt. „Tsubasa, es geht bei dieser Sache nicht nur um dich! Der Typ hat dich angegriffen, und damit sind wir schon betroffen! Wir sind nicht nur eine Mannschaft, wir sind Freunde, oder etwa nicht?“ „Gerade deshalb will ich nicht, dass....“ „Es geht hier nicht mehr darum, was du willst! Glaubst du im Ernst, dass wir dich im Stich lassen, nur weil du das sagst? Da müsstest du uns aber besser kennen nach all den Jahren.“ „Das weiß ich, und genau deshalb habe ich euch auch nichts erzählt.“ Tsubasa seufzte. „Ryo, versteh mich nicht falsch – ich weiß wirklich zu schätzen, was ihr die letzte Zeit für mich getan habt, aber ich will wirklich nicht, dass ihr weiter in die Sache verwickelt werdet! Ich will nicht, dass irgendjemandem etwas passiert, und ich will auch nicht, dass noch mehr Druck dazu kommt. Wenn ich weiß, dass ihr ständig in der Nähe seid und helfen wollt, kann ich irgendwann nicht mehr atmen. Ich brauche Zeit für mich, aber allein sein ist genauso schwer. Deshalb weiß ich im Moment gar nicht, was ich tun soll! Verstehst du das?“ Ryo musterte ihn ein paar Sekunden stumm, dann nickte er. „Du musst mir aber eines versprechen, Tsubasa.“ Er holte tief Luft. „Wenn du Hilfe brauchst, dann sagst du uns sofort Bescheid! Und ich meine, wirklich sofort! Wenn ich rausfinde, dass du versucht hast, alles alleine hinzukriegen und es nicht schaffst, dann kriegst du höllischen Ärger mit mir! Und mit den Anderen garantiert auch. Kapiert?“ Tsubasa lächelte leicht. „Ja, verstanden.“ „Gut.“ Ryo wirkte erleichtert. „Dann habe ich die Nachricht verstanden und wir lassen dich mehr in Ruhe. Du weißt ja, wie du uns erreichen kannst. Kommst du bald wieder in die Schule?“ „Ja, vielleicht morgen schon.“ „Und ins Training?“ Tsubasa zögerte, dann nickte er. „Ja, wahrscheinlich.“ „Gut, dann sehen wir uns dann! Bis später!“ „Bis später....“ Nachdem Ryo gegangen war und sich auch der Schlüsseldienst verzogen hatte – Frau Ishizacki hatte tatsächlich das Geld gebracht und Tsubasa hatte ihr versprochen, es ihr zurück zu zahlen, sobald er wieder im Besitz seiner Schultasche war – holte er wieder den Stein aus der Reisetasche und drehte ihn in den Händen. Warum hatte der Mistkerl ihn auf die Einfahrt gelegt? Um ihm klar zu machen, dass er es ernst gemeint hatte? Um ihm seine Gewaltbereitschaft zu zeigen? Oder ihn einzuschüchtern, damit er den Mund hielt? Wußte er, dass Tsubasa sich an nichts erinnern konnte von dem Abend? Vielleicht hatte er doch etwas gesehen und der Typ hatte nun Angst, dass Tsubasa der Polizei etwas falsches erzählen könnte. Oder ging es immer noch um dieses bescheuerte Freundschaftsspiel? Ein Wiederholungstermin war nicht angesetzt, also hatte er sein Ziel, die Nankatsu-Mannschaft am Gewinnen zu hindern, erreicht. Oder etwa nicht? Sie hatten schließlich nicht wegen einer blamierenden Niederlage und einem schlechten Spiel verloren, sondern die Nachricht über seine Entführung und seine Befreiung hatten das schlimmste verhindert. Worum ging es diesem Irren eigentlich? Tsubasa starrte auf den Blutfleck auf dem Stein und ignorierte das dumpfe Pochen, dass wieder in seinem Kopf aufflackerte. Was war an dem Abend passiert? Hatte er den Typen gesehen oder nicht? Wie lange war er bewußtlos gewesen, bevor er das erste Mal wieder zu sich gekommen war? Hoffentlich hielt Sanae ihr Versprechen und führte ihn nach der Schule zu dem Platz, an dem er anscheinend überrascht worden war. Anscheinend der Ort, an dem er sie eingeladen hatte.... Die Einladung. Er war immer noch nicht dazu gekommen, sie wahr zu machen, wieder hatte ihm der Mistkerl dazwischen gefunkt..... Aber auf der anderen Seite wäre er ansonsten nicht heute morgen neben ihr auf dem Sofa aufgewacht. Er schüttelte diesen Gedanken ab. Dankbarkeit gegenüber dem Typen wollte er auf gar keinen Fall empfinden, auch wenn es ihm gefiel, dass die Aktionen auch einen positiven Effekt für ihn gehabt hatten und das dem Mistkerl definitiv nicht in den Kram passte. Tsubasa stand auf und ging in sein Zimmer, nachdem er die Tasche geholt hatte. Er warf sie achtlos aufs Bett. Das Pochen in seinem Kopf war stärker geworden, aber er ignorierte es weiterhin. Statt dessen fiel sein Blick auf eine Landkarte direkt über dem Schreibtisch. Brasilien. Er hatte sie nach dem Finale aufgehängt und Sao Paolo mit einer roten Stecknadel markiert. Sao Paolo – Roberto war jetzt da. Gedankenverloren stricht Tsubasa mit der Hand über die Karte. Brasilien war seit Jahren sein großer Traum gewesen..... Er zögerte kurz, dann kletterte er auf den Schreibtischstuhl, um die Stecknadeln, mit denen er das Poster befestigt hatte, aus der Wand zu lösen und das Plakat abzuhängen. Er faltete es sorgfältig zusammen und legte es in die oberste Schublade seines Schreibtisches. Das Hämmern in seinem Kopf war unerträglich geworden, er massierte sich mit einer Hand die Schläfe und zwang sich, den Schmerz weiterhin zu ignorieren. In diesem Moment hatte er plötzlich das Gefühl, einen dumpfen Schlag zu bekommen, jemand lachte. Tsubasa taumelte und setzte sich unfreiwillig auf sein Bett. Was....?! Irritiert starrte er die gegenüberliegende Wand an, dann blickte er sich um, eine Hand immer noch auf der Schläfe. Außer ihm war niemand hier. Also konnte ihn auch niemand geschlagen haben. Eine Einbildung? Hatte ihm seine überreizte Fantasie einen Streich gespielt, oder war das etwa....? Tsubasa wurde unwillkürlich bleich. Dann sprang er auf und verließ das Haus. Er dachte gerade noch daran, den Stein mitzunehmen. Er musste unbedingt zur Schule und Sanae finden, sie musste ihm sofort zeigen, wo alles passiert war...... Kapitel 22: Flashback --------------------- Es war einer jener Momente, in denen Tsubasa dankbar war, Fußballer zu sein. Doch trotz seiner Kondition war er völlig außer Atem, als er das Schulgelände erreichte, so dass er sich erst einmal an einer Mauer abstützen musste und darauf wartete, dass das heftige Seitenstechen und das Hämmern in seinem Kopf nachließen. Was eine Woche Trainingspause doch bewirken konnte....obwohl, die ganze Strecke von ihm zuhause bis hierher durchzusprinten, hätte ihn wohl auch in Höchstform an seine Grenzen gebracht. Ein lockeres Dribbling war da doch etwas ganz anderes. „Tsubasa?!“ Tsubasa zuckte zusammen und wandte sich um. Kumi starrte ihn mit großen Augen an. „Was machst du denn hier? Ich dachte, du bist zuhause....ich wollte gerade....“ Sie brach ab und biss sich auf die Lippen. „Warum bist du nicht im Unterricht?“, wollte Tsubasa immer noch etwas außer Atem wissen, ohne auf ihre Frage einzugehen. „Die zweite Stunde hat doch schon längst angefangen, oder?“ „Ja, aber ich gehe nicht hin. Ich wollte......“ Kumi brach erneut ab, aber Tsubasa ahnte, was sie hatte sagen wollen. Warum schwänzten im Moment ständig irgendwelche Leute seinetwegen die Schule? Es war wirklich einiges verdreht zur Zeit...... „Das musst du nicht, mir geht’s gut. Und außerdem bin ich ja hier. Also kannst du genauso gut auch zum Unterricht gehen, sonst kriegst du nur Ärger.“ Kumi schwieg. Sie sah ziemlich bleich aus und hatte rote Augen, als hätte sie viel geweint in letzter Zeit. Ryo hatte also richtig beobachtet. Tsubasa zögerte, entschloss sich dann aber, besser nicht nachzufragen. „Weißt du, ob die anderen wieder in der Klasse sind? Oder trainieren sie noch?“ Ab und zu hatte die Nankatsu-Elf Sondertrainingsstunden bekommen und war dafür vom Unterricht befreit gewesen. Meistens zwar nur direkt vor den Meisterschaften, und auch dann nur selten, aber trotzdem.....hoffen konnte man ja. Wider Erwarten nickte Kumi. „Soweit ich weiß sind die meisten noch da. Die zweite Stunde ist bei euch auch ausgefallen.“ Richtig! Freitag, Doppelstunde Mathe in den ersten beiden Stunden! In der ganzen Aufregung hatte Tsubasa das wohl völlig vergessen – und Ryo hatte für seinen Besuch schließlich nur die erste Stunde gebraucht. „Perfekt, danke! Und Sanae, ist die auch da?“ Das hätte Tsubasa wohl besser nicht gefragt. Kumi wurde noch bleicher, als sie es ohnehin schon war, und ihre Hände ballten sich zu Fäusten. „Willst du schon wieder zu ihr?“ Tsubasa starrte sie perplex an, kam aber gar nicht dazu, etwas zu sagen. „Es ist nicht fair!“ Plötzlich schrie Kumi beinahe. „Ich habe dich gefunden, hörst du, ich!! Nicht sie!! Ich war zuerst da!!!“ Tränen rannen ihr die Wangen hinunter, dann wandte sie sich auf dem Absatz um und stürzte davon. Tsubasa starrte ihr fassungslos hinterher. Er war so verblüfft, dass er für ein paar Sekunden völlig vergaß, warum er hier war. So hatte er Kumi noch nie erlebt. Sie war fröhlich – gut, oft etwas nervig – aber trotzdem immer gut gelaunt. Und jetzt das.....? Er musste nachher unbedingt noch mal mit ihr reden, aber vorerst gab es wichtigeres. Tsubasa gab sich einen Ruck und rannte weiter zum Fußballplatz. Einem plötzlichen Impuls folgend, bremste er jedoch gerade noch rechtzeitig ab und blieb hinter einem Mauervorsprung stehen, so dass er nicht gesehen wurde. Er wußte nicht genau, warum er das tat, aber die Vorstellung, sofort mit Fragen bombardiert zu werden und auch noch erklären zu müssen, warum er nur gekommen war, um Sanae zu suchen, gefiel ihm nicht. Behutsam linste er aus seinem Versteck hervor. Das Training war in der Tat in vollem Gange. Herr Kutami entdeckte er nirgends, und zu seiner Enttäuschung war auch Sanae nicht da. Anscheinend hatte sie doch verschlafen und war nicht gekommen..... Dafür entdeckte Tsubasa jemand anderen und traute seinen Augen kaum. Kojiro!! Da drüben trainierte doch tatsächlich Kojiro Hyjuga gemeinsam mit der Nankatsu-Mannschaft...... Noch während Tsubasa sprachlos zu seinem Rivalen hinüberstarrte, nahm er aus den Augenwinkeln eine andere Bewegung war. Ryo kam aus derselben Richtung gerannt, aus der auch Tsubasa vorhin gekommen war. Anscheinend war er bei den Umkleiden gewesen. Noch hatte er ihn nicht entdeckt. Tsubasa dachte nicht lange nach. Er hastete zu seinem Freund hinüber, der erschrocken zusammenfuhr, als er plötzlich wie aus dem Nichts vor ihm auftauchte. „Hey!! Was....?!“ Weiter kam er nicht, Tsubasa schüttelte nur unwillig den Kopf, packte ihn am Arm und zog ihn mit sich hinter den Mauervorsprung. „Kannst du mir verraten, was hier vor sich geht?“, wollte er dann ohne Umschweife wissen. „Was hat Kojiro beim Training verloren?!“ „Ähm....na ja, er hat gesagt sein Platz wird renoviert und dass er keine Lust hat, wie seine Kameraden ein paar Tage frei zu nehmen, und dann wollte er wissen ob er hier mitmachen kann.....“ „Und ihr glaubt das auch noch?!“ „Es kam uns schon ein bisschen komisch vor, aber es ist ja nichts schlimmes dabei, oder?“ Ryos Blick wurde neugierig. „Erzähl mir lieber, warum du doch hier bist! Und warum versteckst du dich?“ „Weil ich keine Lust habe, die ganze Zeit Fragen zu beantworten, ganz einfach.“ Tsubasa zögerte. „Ich habe Sanae gesucht.“ „Sanae? Warum das denn?“ „Weil ich etwas wichtiges brauche.“ „Und was?“ „Genau das meinte ich.“ „Hä?“ Ryo starrte ihn verwirrt an, und Tsubasa seufzte. „Vergiss es. War Sanae heute schon hier?“ „Ja, und sie hat ziemlich abgehetzt ausgesehen. Wenn Unterricht gewesen wäre, wäre sie auch sicher zu spät gekommen. Und als sie gemerkt hat, dass die ersten zwei Stunden ausfallen, ist sie mit Yukari in die Stadt gegangen, ein paar Kleinigkeiten besorgen. Sie müsste bald wieder zurück sein, du kannst auf sie warten, denke ich. Was ist denn jetzt so wichtig?“ Tsubasa schüttelte nur den Kopf und blickte wieder zum Trainingsplatz hinüber. Die Zurufe der anderen waren nicht zu überhören, gerade flog der Ball in hohem Bogen quer über den ganzen Platz. „Willst du nicht mitmachen?“, riss ihn Ryo aus seinen Gedanken, de seinen Blick bemerkt hatte. „Wenn du eh warten musst und schon mal hier bist...?“ Tsubasa zuckte leicht zusammen. „Besser nicht.“ „Warum? Ich dachte, dir geht’s gesundheitlich wieder gut.“ „Stimmt auch.“ „Wo liegt dann das Problem?“ „Ich glaube einfach, dass das keine gute Idee ist.“ „Keine gute Idee?! Tsubasa, wir reden hier von Fußball! Was ist denn los mit dir?“ Ryo verschränkte die Arme. „Wenn ich drüber nachdenke, habe ich dich auch schon Ewigkeiten nicht mehr mit Ball gesehen. Ich meine, du bist zwar noch nicht lange entlassen, aber normalerweise verlässt du doch ohne Fußball nicht das Haus, und trotzdem bist du jetzt ohne hier und zeigst dich nicht mal den Anderen.“ „Ich hatte es eilig, zum Kuckuck noch mal! Hör auf, so ein Theater darum zu machen!“ „Warum wirst du denn so aggressiv?“ Tsubasa stockte, dann seufzte er schließlich. „Tut mir leid. Aber ich denke, es ist wirklich noch keine gute Idee. Vor allem sind die Lehrer sicher nicht begeistert, wenn ich beim Training mitmache und noch nicht zum Unterricht gehe.“ „Und seit wann kümmerst du dich um so was? Komm schon, Tsubasa. Es tut dir sicher gut. Sanae kommt ja auch sicher bald, es wäre also nicht lange.“ Tsubasa blickte erneut zum Fußballfeld hinüber. Dann nickte er schließlich zögernd. „Na schön....“ *** „Er hat also wirklich bei dir übernachtet?“, hakte Yukari nach. Sanae nickte. „Ja, ich hatte irgendwie kein gutes Gefühl bei dem Gedanken, dass er die ganze Nacht alleine bei sich klar kommen muss.....“ „Kann ich gut verstehen. Hast du ihn noch mal auf das Phantombild angesprochen?“ „Nein.....ich wollte ihn damit erst mal in Ruhe lassen. Hast du es schon zur Polizei weitergeleitet?“ Yukari schüttelte den Kopf. „Kojiro hat mich überredet, noch zu warten. Er wollte die Sache noch mal mit Tsubasa ausdiskutieren....“ „Habe ich fast befürchtet.“ Sanae seufzte. „Ich glaube aber auch nicht ,dass es was bringt, wenn wir in ganz Nankatsu rumrennen und den Typen suchen....“ „Klar. Aber mehr können wir nicht machen....“ „Die Skizze muss auf jeden Fall zur Polizei! Vielleicht können sie wenigstens verhindern, dass der Irre noch mal ins Haus einbricht und Tsubasa weiter beobachtet.“ Yukari nickte. „Der Meinung bin ich auch. Wie gesagt, Kojiro hat mich gestern überredet....“ Sie brach ab. „Ach, sieh mal einer an.“ Sie deutete nach vorne. „Schau mal, Sanae...“ Verwundert folgte Sanae der Aufforderung. Mittlerweile hatten sie den Fußballplatz erreicht – und zu ihrer Überraschung entdeckte sie, dass Tsubasa beim Training dabei war. „Ich dachte, er will heute noch nicht zur Schule.“; meinte sie perplex, und Yukari lachte. „Von Schule redet ja auch keiner. Er ist nur beim Fußball. Typisch – ich hab mich schon gefragt, wie lange er es ohne Training aushält.“ Sie verschränkte die Arme. „Das beruhigt mich fast.“ Sanae war alles andere als beruhigt. „Ich glaube, er hätte damit noch warten sollen.“ „Hey, wenn er nicht wieder gesund gewesen wäre, hätten sie ihn ja wohl kaum entlassen, oder?“ „Ja, aber er sollte sich doch schonen....“ Yukari kicherte. „Du kennst ihn doch! Und sieh mal genau hin – ich glaube, es tut ihm gut! Er wirkt fast so wie früher.“ Sanae schwieg und ließ ihren Blick über das Feld schweifen. Sie teilte Yukaris Ansicht nicht, Tsubasa wirkte nicht wie früher. Jemandem, der ihn nicht gut kannte, wäre wohl kaum ein Unterschied aufgefallen, aber Sanae hatte den Eindruck, dass er nicht mit dem gleichen Eifer bei der Sache war und das Spiel nicht so genießen konnte, wie er es sonst tat. Er wirkte.....irgendwie bei den Gedanken nicht ganz bei der Sache. Ob seinen Mannschaftskameraden das auch bemerkten? Sanae wunderte sich, dass Yukari das nicht auffiel..... Aber bevor sie ihre Freundin danach fragen konnte, redete diese bereits weiter. „Ich hätte gerne gesehen, wie Tsubasa reagiert hat, als er Kojiro gesehen hat..... Meinst du, er hat wie die anderen das Märchen vom renovierten Fußballplatz geglaubt?“ Sanae schüttelte den Kopf, ohne den Blick von Tsubasa abzuwenden. „Sicher nicht..... Kojiro hätte aber auch wenigstens uns erzählen können, warum er wirklich hier ist. Zu glauben, dass wir darauf reinfallen, obwohl wir gestern dabei waren und wissen, wie versessen er darauf ist, den Typen zu finden.....“ Yukari nickte. „Allerdings....“ In diesem Moment wurde Tsubasa auf die beiden Mädchen aufmerksam. Er blieb stehen und blickte zu ihnen herüber. In der nächsten Sekunde ging alles ganz schnell. *** Das Training dauerte noch nicht allzu lange. Tsubasa stand erst 20 Minuten auf dem Feld, aber er merkte, dass er doch noch hätte damit warten sollen. Seinem Kopf gefielen die hastigen Bewegungen noch nicht wirklich.....das dumpfe Pochen war wieder stärker geworden. Tsubasa ignorierte es. Der Ehrgeiz hatte ihn gepackt – wenn er jetzt aufhörte, würde er seinen Freunden erstens erklären müssen, warum – und zweitens wäre es eine Niederlage. Er hatte das ungute Gefühl, dass es dann lange dauern würde, bis er wieder spielen konnte. Trotzdem.....hoffentlich kam Sanae bald. Und wenn dann die Freistunde vorbei war, ergab sich hoffentlich eine Gelegenheit, wieder nach Hause zu gehen. Unterricht kam bei den Kopfschmerzen definitiv noch nicht in Frage. Außerdem hätte er sich unabhängig davon definitiv nicht auf Englisch oder Physik konzentrieren können....... In diesem Moment bemerkte er aus den Augenwinkeln eine Bewegung. Er wandte den Kopf und blieb stehen. Sanae und Yukari standen in etwas weiterer Entfernung und beobachteten anscheinend das Training, beide hatten Einkaufstüten in der Hand. Warum kamen sie nicht näher? Noch während er überlegte, wie er sich am unauffälligsten verabschieden konnte, hallte auf einmal ein erschrockener Schrei über den Platz. „Tsubasa!!!! Achtung!!!“ Er zuckte zusammen und fuhr herum – zu spät. Er sah gerade noch den Ball auf sich zurasen, dann explodierte der Schmerz in seinem Kopf. Das nächste, was er mitbekam, war ein Fluchen. Die Stimme kam ihm bekannt vor, aber um ihn herum war alles dunkel. Er mochte die Stimme nicht. Jemand fesselte seine Hände auf den Rücken, und Tsubasa versuchte, sich zu wehren. Die Stimme fluchte wieder, der Versuch wurde aufgegeben. Er öffnete die Augen und sah, dass sich ein Mann über ihn beugte. „Verdammt.....“ Das Gesicht verschwand aus seinem Gesichtsfeld, und noch während Tsubasa überlegte, was hier überhaupt vor sich ging, tauchte der Mann erneut auf. Er hielt einen Stein in den Händen und schlug zu. Schon wieder dieser stechende Schmerz, Dunkelheit..... „Tsubasa!!!!“ Er wurde an der Schulter gerüttelt. Als er die Augen öffnete, blickte er direkt in die Gesichter seiner Freunde, die sich besorgt über ihn gebeugt hatten – inklusive Sanae, Yukari und Kojiro. Er lag auf dem Fußballfeld, der Fußball direkt neben ihm. Das Hämmern in seinem Kopf war immer noch da. „Alles in Ordnung?“, wollte Taki schuldbewußt wissen. Anscheinend war er der Schütze..... Tsubasa antwortete nicht, statt dessen richtete er sich etwas mühsam und äußerst vorsichtig auf, eine Hand an der Schläfe, und verzog das Gesicht, als das Pochen wieder stärker wurde. Alles drehte sich..... „Tsubasa?“, fragte Sanae unsicher. „Geht schon....keine Sorge.“ Er versuchte aufzustehen, aber hätte ihn Kojiro nicht an den Armen gepackt und ihm geholfen, wäre er wohl kläglich gescheitert. „Tut mir wirklich leid.“, meinte Taki geknickt. „Ich hab nicht damit gerechnet, dass du den Pass nicht annimmst.....“ „Es war nicht deine Schuld, ich habe nicht aufgepasst......“ Tsubasa hielt sich nach wie vor die Schläfe. Seine Gedanken waren immer noch bei der Stimme und der Gestalt, die sich über ihn gebeugt hatte. Nur langsam dämmerte ihm, was gerade passiert war..... „Ist wirklich alles okay?“, hakte Ryo besorgt nach, als er den abwesenden Gesichtsausdruck seines Freundes bemerkte. „Oder sollen wir dich zur Schulschwester bringen?“ „Quatsch. Das war nicht der erste Ball, den ich an den Schädel gekriegt habe, und bestimmt nicht der letzte....“ „Aber der erste nach einer Gehirnerschütterung.“, murmelte Kisugi leise, und die anderen nickten. Tsubasa ignorierte sie. „Mir geht’s gut!“ Das entsprach nur zur Hälfte der Wahrheit. „Aber ich glaube, mit dem Training war's das für heute.“ Die Anderen atmeten unwillkürlich auf. Obwohl es sie irritierte, dass er freiwillig darauf verzichtete, waren sie froh, ihn nicht zum aufhören zwingen zu müssen. „Das ist sicher besser......aber du meldest dich heute mittag, ja?“ Tsubasa nickte und blickte Sanae an. „Du musst mir noch meine Schultasche geben.“ „Oh.“ Sanae blinzelte irritiert, dann nickte sie und blickte auf die Uhr. „Jetzt?“ „Wenn es für dich okay ist.....“ Sanae zögerte, aber dann gab sie ihrem Gefühl nach und nickte erneut. „Klar.“ Sie wandte sich an die Anderen. „Sagt nachher einfach, dass mir schlecht war und dass ich nach Hause gegangen bin.“ Allgemeines Nicken. Als Tsubasa und Sanae den Sportplatz verließen, hatte keiner mehr Lust auf Training. Während die verbliebene Nankatsu-Elf in die Kabine ging, um sich umzuziehen, bemerkte keiner, dass Kojiro sich ebenfalls aus dem Staub machte. Kapitel 23: Konfrontation ------------------------- Bereits auf dem Rückweg wurde Sanae bewußt, dass Tsubasa nicht an seiner Schultasche interessiert war. Sie hatte keine Ahnung, warum, aber plötzlich wußte sie es einfach. Sie blickte ihn von der Seite an. Er sah immer noch blass und ziemlich abwesend aus. „Bist du sicher, dass wir nicht bei einem Arzt vorbei schauen sollen?“ Tsubasa zuckte zusammen, als hätte er ihre Anwesenheit vergessen. Verwirrt blickte er sie an. „Was?“ „Ein Arzt.“, wiederholte Sanae geduldig. „Wegen dem Unfall auf dem Fußballplatz.“ „Ach, das.....nein......mir geht’s bestens.“ „Du siehst nicht nach bestens aus, und du warst ein paar Sekunden lang anscheinend wieder weg.....“ „Mir geht’s gut.“ Sanae seufzte und gab auf. „Was hast du da überhaupt gemacht?“ „Fußball gespielt. Hat man das nicht gesehen?“ Wider Willen musste Sanae leicht lächeln. „Ich meinte, warum du da warst.“ Tsubasa antwortete nicht sofort. „Ich habe dich gesucht.“ „Und wieso?“ „Wo lang müssen wir?“ Sanae stockte, dann wurde ihr klar, was Tsubasa meinte. Sie seufzte. „Du willst also immer noch unbedingt dahin, wo es passiert ist?“ „Ja.“ „Und das kann nicht mal warten, bis die Schule aus ist?“ „Es ist wichtig.“ Sanae seufzte wieder. „In Ordnung, dann komm mit. Im Prinzip müssen wir den ganz normalen Schulweg lang...“ Tsubasa nickte. „Das habe ich mir fast gedacht.“ Danach sagte er nichts mehr, und Sanae verdrängte den Gedanken daran, dass ihm der Treffer an den Kopf doch mehr zu schaffen machte als er zugab – wie immer. Genauso versuchte sie das Gefühl zu ignorieren, einen Fehler zu machen. Tsubasa benahm sich ziemlich seltsam. Warum war es plötzlich so wichtig, dass er extra zur Schule kam, nur um sie zu suchen? *** Eine Viertelstunde später waren sie am Ziel. Zu Sanaes Überraschung musste sie gar nichts sagen. Tsubasa blieb von alleine stehen und blickte sich um. „Hier?“ Sanae nickte. „Ja. Woher....?“ Ihre Augen weiteten sich. „Du kannst dich erinnern?“ Tsubasa antwortete nicht sofort. Er ließ den Blick gedankenverloren über den Radweg schweifen. „Ich war zwischendurch wach.“, meinte er schließlich leise. „Als er mich fesseln wollte, bin ich zu mir gekommen.....und dann hat er noch mal zugeschlagen.“ „Du kannst dich also wirklich erinnern!“, meinte Sanae aufgeregt und besorgt. Tsubasa schüttelte leicht den Kopf. „Nein, nicht richtig – es ist immer noch alles verschwommen. Ich weiß nur, dass er mich fesseln wollte und dass ich zu dem Zeitpunkt wach war, viel mehr nicht.“ „Aber du hast die Stelle erkannt!“ Tsubasa zuckte nur mit den Schultern. „Der restliche Abend – das, was zwischen Kojiros Besuch und dem Überfall passiert ist – fehlt immer noch.“ „Ja, aber es ist immerhin ein Anfang! Und es erklärt, warum der Typ dich immer noch unter Druck setzt, er hat Angst, dass du ihn da erkannt hast.“ Tsubasa antwortete nichts. Es stimmte, die ganze Sache war eine Erklärung dafür, warum er immer noch verfolgt wurde, aber das war sicher noch nicht alles. Und was er Sanae nicht erzählen konnte, war, dass ihm die wichtigste Erinnerung immer noch fehlte. Er wußte immer noch nicht, dass er sie an dem Abend zu sich nach Hause eingeladen hatte..... „Alles in Ordnung?“, riß ihn Sanaes Stimme aus seinen Gedanken. „Du siehst so abwesend aus.“ „Schon okay, mir dröhnt nur immer noch etwas der Kopf.“ „Also doch! Wenn du einmal nicht so stur wärst....“ „Keine Sorge, so schlimm ist es auch wieder nicht. Ich gehe nicht schon wieder zum Arzt, dass musst du gar nicht erst vorschlagen. Mit eine Aspirin nachher kommt das sicher wieder in Ordnung.“ Sanae verbiß sich einen Kommentar und blickte sich ebenfalls um. „Warum kannst du dich plötzlich wieder erinnern? Hast du mich deshalb gesucht, um dich zu vergewissern?“ „Ja.....fast. Ich....“ Tsubasa zögerte, aber dann entschloss er sich, die Wahrheit zu sagen, und berichtete ihr von dem Stein, den er bei sich zuhause auf der Einfahrt gefunden hatte und den er jetzt beim Fußballplatz der Schule hatte liegen lassen. „Das hat deine Erinnerung ausgelöst?“ „Ja, das und der Schlag gerade eben.“ „Tsubasa, du musst unbedingt zur Polizei! Yukari hat doch auch noch das Phantombild......“ „Hat sie es noch nicht weitergeleitet?“ „Nein....Kojiro wollte das nicht, er....“ „Schon klar.“ Tsubasa seufzte. „Er will immer noch selber nach dem Typen suchen.“ Sanae schwieg kurz. „Und was willst du?“, fragte sie dann schließlich leise. „Wenn ich das wüßte.....“ Ein lauter Schrei ließ beide zusammenfahren. Entsetzt blickten sie sich an. Das war doch.....? Ohne ein weiteres Wort rannten sie los, weiter den Weg entlang in die Richtung, aus der sie den Schrei gehört hatten. Normalerweise wäre Tsubasa um einiges schneller gewesen, aber aufgrund seiner Verfassung konnte Sanae relativ gut mit ihm Schritt halten. Dennoch war sie völlig außer Atem, als sie das Ende des Radwegs erreichten. „Wolang jetzt?“, keuchte sie. Tsubasa blickte sich gehetzt um. „Keine Ahnung....“ Die Lösung kam nur wenige Sekunden später, als sie erneut jemanden schreien hören konnten – dieses Mal wurde der Ruf abrupt erstickt und von einer wütenden Stimme unterbrochen. „Verdammt noch mal, halt endlich die Klappe!“ Tsubasa gefror das Blut in den Adern. Diese Stimme würde er überall erkennen...... Ohne sich nach Sanae umzusehen rannte er erneut los. Nur wenige Meter entfernt kam eine kleine Gasse, und als er sie erreichte, blieb er so abrupt stehen, dass Sanae fast mit ihm zusammengeprallt wäre. Fassungslos starrten sie auf das Bild, dass sich ihnen bot. Kumi drückte sich schluchzend und mit tränenverschmierten Wangen an die Wand, und der Typ, der sie am Kragen gepackt hatte und sich drohend über sie beugte – war der Unbekannte im T-Shirt, heute gelb-grün gestreift. Als er die Beiden bemerkte, richtete er sich auf und begann zu grinsen, ohne Kumis Kragen loszulassen. „Sieh an, sieh an. Lange nicht gesehen.“ Tsubasa ballte unbewußt wieder die Hände zu Fäusten. „Was soll das hier?“ „Was?“ Der Typ tat erstaunt, dann riß er Kumi unsanft am Kragen zurück, die versucht hatte, sich zu befreien. „Ach, das.“ Er grinste wieder. „Was kümmerts dich?“ „Lass Kumi in Ruhe!“ „Ach, ihr wollt der Kleinen hier helfen. Nobel, nobel. Hast du gehört, Kumi? Dein geliebter Tsubasa will dir helfen. Bist du glücklich?“ Kumi unterdrückte ein erneutes Schluchzen und versuchte wieder, sich aus dem Griff des Unbekannten zu winden, erfolglos. Tsubasa hatte sie noch nie so verzweifelt erlebt. „Wir haben die Polizei gerufen.“ Sanae versuchte, ihrer Stimme einen sicheren Klang zu geben. „Also lass sie besser los und hau ab!“ „Ach ja?“ Der T-Shirt-Typ begann zu lachen. „Und wann habt ihr das gemacht? Auf der Strecke zwischen Radweg und hier, während ihr gespurtet seid? Seid ihr in ein Haus eingebrochen und habt das Telefon geklaut?“ Er grinste wieder. „Ihr müsst gar nicht so entsetzt schauen, natürlich habe ich euch beobachtet. Ich beobachte euch schon die ganze Zeit, das wußtest du doch, Tsubasa, oder? Immerhin habe ich dir deutliche Nachrichten geschickt. Und ratet mal, wen ich noch beim spionieren überrascht habe.“ Er rüttelte Kumi, die wieder leicht aufschrie. „Die kleine Heulsuse hier.“ „Lass sie in Ruhe!“ Tsubasas Stimme klang gefährlich leise. „Du meinst also ernst mit deiner Hilfe, hm? Dann hast du es also nicht geschnallt?“ „Was geschnallt?“ Kumi wimmerte, und der Unbekannte grinste wieder. „Na, kein Wunder, dass du nicht selber drauf gekommen bist. Wie gesagt, du verstehst ja eigentlich nie irgendwas. Sanae, wie lange läufst du ihm jetzt schon nach? Hat er es endlich mitgekriegt, dass du ihn liebst?“ Sanae zuckte zusammen und wurde rot, Wut kroch in ihr hoch. „Was soll......!!!“ Weiter kam sie nicht. Tsubasa warf ihr einen kurzen Blick zu und faßte dann nach ihrer Hand. Sie verstummte sofort. „Oho.“ Der Typ lachte wieder. „Er scheint es wirklich verstanden zu haben. Beruht es etwa auf Gegenseitigkeit? So ein Pech, Kumi, dann war deine ganze Aktion ja völlig umsonst!“ Aktion?! Beide, Sanae und Tsubasa, starrten Kumi verwirrt an, die noch mehr zu schluchzen begann. Der Unbekannte hatte offensichtlich Spaß an der Sache. „Tja, wirklich dumm gelaufen. Aber auf der anderen Seite hast du es ja auch verpatzt. Warum musstest du auch zu früh auftauchen? Ohne dich hätte alles wunderbar geklappt!“ Stille senkte sich über die kleine Gasse, nur von Kumis Schluchzen unterbrochen. Schließlich begann der Typ wieder zu lachen. „Na ja, ich habe heute auf alle Fälle meinen großzügigen Tag. Hier habt ihr sie!“ Damit versetzte er Kumi so einen groben Stoß, dass sie mit einem erschrockenen Schrei nach vorne taumelte und prompt mit Tsubasa zusammenprallte. Er wäre von der Wucht fast gestürzt, und ehe er wußte, wie ihm geschah, stand der Unbekannte hinter ihm und hatte ihn im Würgegriff. Sanae schrie auf, und Tsubasas erster Impuls war, sich zu wehren, aber dann spürte er plötzlich ein Messer an seiner Kehle, und er erstarrte. „So.“, meinte der Typ drohend leise. Die Heiterkeit aus seiner Stimme war verschwunden. „Und jetzt bringen wir die Sache zuende, einverstanden?“ Kapitel 24: Hass ---------------- Tsubasa wußte in der ersten Sekunde nicht, was schlimmer war: das Messer an seiner Kehle, oder der Gestank des Rasierwassers, das schon wieder Übelkeit in ihm auslöste. Unwillkürlich versuchte er, den Kopf wegzudrehen, aber als der Druck gegen seinen Hals sich abrupt verstärkte, hörte er damit sofort auf. „Nur eine kleine Warnung.“, meinte der Unbekannte drohend leise. „Wenn du auch nur eine klitzekleine falsche Bewegung machst, bereust du das, klar?!“ Er hob die Stimme. „Dasselbe gilt für euch zwei. Kommt hier nach vorne, wo ich euch sehen kann!“ Ein paar Sekunden lang hörte man nur Kumis unterdrücktes Schluchzen, dann ertönten Schritte. Die beiden Mädchen erschienen in Tsubasas Blickfeld. Kumi wirkte immer noch wie ein Nervenbündel, Sanae dagegen weinte nicht. Ihr Gesicht war zwar kalkweiß, aber keine einzige Träne war zu sehen. Statt dessen funkelte in ihren Augen blanke Wut. Tsubasa hatte gehofft, dass sie sich gemeinsam mit Kumi hätte davon stehlen können, aber als er jetzt ihre Miene sehen konnte, wurde ihm klar, dass das eine reine Utopie gewesen war. Nichts und niemand würde sie dazu bringen, jetzt hier wegzulaufen – und seltsamerweise war er erleichtert darüber. „So ist es brav.“ Der Unbekannte schien die Situation immer mehr zu genießen. „Wenn ihr weggelaufen wärt, hätte euer Schwarm hier teuer dafür bezahlt.“ „Kannst du nicht einfach sagen, was du willst, und mit diesem bescheuerten Spiel aufhören?“, meinte Tsubasa heiser. Er war überrascht, dass seine Stimme ihm überhaupt gehorchte. Der Mann hinter ihm lachte. „Könnte ich, aber das wäre ziemlich langweilig, oder? Nach dem ganzen Ärger, den du mir gemacht hast, muss ich das hier doch jetzt auskosten.“ Er beugte sich etwas zu Tsubasa nach vorne, und ein erneuter Schwall von dem Rasierwasserduft stieg ihm in die Nase. „Aber damit du dieses Mal auch wirklich kapierst, worum es geht, mache ich es sehr einfach. Ich will, dass du nie wieder einen Fuß auf einen Fußballplatz setzt!“ „Es geht immer noch nur um Fußball?“, meinte Sanae fassungslos. „Was soll das alles denn?“ „Klappe halten!“, fuhr sie der Unbekannte an. „Noch ein Wort.......!“ Er ließ den Satz offen, verstärkte aber erneut den Druck. Tsubasa spürte einen brennenden Schmerz, als die Klinge seine Haut aufritzte, aber er schaffte es, nicht zusammenzuzucken. Ein feines Blutrinnsal färbte den Kragen seines Hemdes rot. Kumi schrie auf, aber Sanae hielt ihr kurzerhand den Mund zu. Der Unbekannte lachte. „Alle Achtung, du verstehst schnell, Süße. Aber jetzt zurück zum Text. Was sagst du dazu, Tsubasa? Du hörst auf mit Fußball, und dafür siehst du mich nie wieder.“ „Von wegen.“, meinte Tsubasa mit zusammengebissenen Zähnen. „Du würdest nicht verschwinden. Du musst doch kontrollieren, ob ich mich auch daran halte, oder etwa nicht?“ Kurze Zeit herrschte Schweigen, dann lachte der Unbekannte wieder. „Sieh an, sieh an, du hast mich also durchschaut. Anscheinend bist du doch nicht so dumm, wie ich dachte. Du bist also nicht bereit, mit dem Fußballspielen aufzuhören, richtig? Das habe ich mir fast gedacht. Dann muss ich zu Plan B übergehen. Was meinst du ist besser? Links oder rechts?“ „Was....?“ „Linkes Knie oder rechtes Knie. Du darfst es dir aussuchen.“ Tsubasas Augen weiteten sich geschockt, als ihm klar wurde, was der Unbekannte vorhatte. „Lass mich los! Was soll das alles?!“ „Ts ts. Wie oft soll ich dir das denn noch sagen? Du wirst nicht mehr Fußball spielen, darum geht es. Und da du freiwillig nicht aufhörst, werde ich eben dafür sorgen, dass du es körperlich nicht mehr kannst. Also, linkes Knie oder rechtes Knie?“ Zeit. Er brauchte Zeit....Tsubasa wußte nicht, wofür, aber er wußte, dass er Zeit schinden musste, bis irgendwas passierte....was auch immer. „Und warum soll ich plötzlich gar nicht mehr spielen? Ich dachte, es ging um dieses Freundschaftsspiel....“ „Ging es zuerst auch, aber nachdem du einfach unerlaubterweise abgehauen bist muss ich dich ja irgendwie bestrafen, oder nicht?“ Der Unbekannte kicherte. „Ich finde das nur fair.“ Plötzlich brach gab es einen dumpfen Schlag, das Kichern erstarb. In der nächsten Sekunde merkte Tsubasa, dass sich der Druck des Messer löste, und bevor er überhaupt realisierte, was geschah, spürte er plötzlich, dass der Mann gegen ihn prallte. Er taumelte nach vorne und rang ein paar Sekunden lang um sein Gleichgewicht, bevor er sich umwandte. „Sorry.“ Kojiro warf das Brett achtlos zur Seite. „Ging nicht früher. Alles in Ordnung?“ Tsubasa starrte ihn perplex an und sah dann auf den Boden, wo der Unbekannte bewußtlos auf dem Pflaster lag, das Messer nur wenige Zentimeter neben seiner Hand. „Alles in Ordnung?“, wiederholte Kojiro. Tsubasa nickte nur, ohne ein Wort zu sagen, und tastete unwillkürlich nach seiner Kehle.. Der kleine Schnitt brannte immer noch, und er hatte nach wie vor das Gefühl, den kalten Stahl des Messer spüren zu können. Als er aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr nahm, wandte er den Kopf. Er sah Sanae gerade noch auf sich zurennen, in der nächsten Sekunde fiel sie ihm stumm um den Hals. In der ersten Sekunde war er völlig überrumpelt, aber dann bemerkte er, dass sie zitterte, und die Überraschung wich einer großen Müdigkeit. „Keine Sorge, ich bin in Ordnung.....“, meinte er leise. „Nichts passiert....“ Sanae nickte nur, lockerte ihren Griff aber nicht. Er stellte fest, dass sie jetzt doch zu weinen begonnen hatte, sagte aber nichts. Statt dessen legte er ebenfalls einen Arm um sie und blickte Kojiro an, der damit beschäftigt war, dem Typen mit einer Rolle Klebeband Hände und Füße zu fesseln. „Was machst du hier? Bist du uns vom Fußballplatz aus nachgeschlichen?“ „Du hast mich bemerkt?“ „Nein, aber ich habe mir gedacht, dass du nicht nur zum Vergnügen bei uns mittrainierst.“ Kojiro grinste. „Richtig geraten.“ Er schleifte den Unbekannten zur Wand und lehnte ihn dagegen. „Ich hab mir gedacht, dass der Typ früher oder später in deiner Nähe wieder auftaucht, und hab mich sozusagen undercover unters Volk gemischt.“ „Sehr unauffällig.“, meinte Tsubasa mit einem matten Lächeln. „Hey, beschwer dich nicht.“ „Hatte ich nicht vor.“ Kojiro grinste wieder, dann blickte er den Unbekannten genauer an – und erstarrte. „Kenji?!“ Tsubasa blinzelte irritiert. „Du kennst ihn?“ „Das kann man wohl sagen! Der Typ geht auf meine Schule! Hat schon ein paar Mal wiederholt....“ „Was?!“ „Ich wußte doch, dass ich diese Visage schon mal gesehen habe.“ Kojiro gab Kenji einen unsanften Tritt. „Hey! Aufwachen!!“ Es dauerte ein paar Sekunden, aber dann wandte er mit einem matten Stöhnen den Kopf und öffnete die Augen. Als er Kojiro erkannte, weiteten sich seine Augen ungläubig. „Kojiro?!“ „Ja, in voller Lebensgröße. Kannst du mir erzählen, was das hier soll?“ Kenji wollte aufstehen, registrierte aber er erst jetzt die Fesseln, und blickte Kojiro erneut ungläubig an. „Ja, da staunst du, was? Jetzt weißt du, wie sich solche Fesseln anfühlen. Nicht angenehm, hm? Also, was soll der ganze Mist hier? Wehe, du lügst mich an!“ „Mach mich los!“ „Warum sollte ich? Weil du so lieb und nett bist? Vergiß es, Freundchen. Und jetzt raus mit der Sprache!“ Kojiro packte Kenji am Kragen. „Langsam werde ich ungeduldig!“ Kenji schien immer noch so verdattert, dass er seinen Schulkameraden nur anstarrte. „Ich hab dir doch nur helfen wollen.“; meinte er dann schließlich und klang dabei fast kleinlaut. Tsubasa konnte kaum glauben, dass das derselbe Typ war, der ihn vor fünf Minuten noch bedroht hatte. „Wie bitte?! Mir helfen? Warum das denn?“ Langsam gewann Kenji sein Temperament zurück. „Es ist nicht fair, dass du ständig gegen ihn verlierst!!! Du bist viel besser!“ Kojiro tauschte einen fassungslosen Blick mit Tsubasa aus, bevor er sich wieder Kenji zuwandte. „Du willst mir also ernsthaft erklären, dass du das ganze Theater hier nur veranstaltet hast, weil ich gegen Tsubasa noch nicht gewonnen habe?“ „Nein!“ Kenji starrte zu Tsubasa hinüber. „Ich habe es gemacht, weil es einfach nicht fair ist! Tsubasa hat alles – eine perfekte Familie, ein perfektes Leben. Immer der Beste, immer der Größte! Er weiß überhaupt nicht, was es heißt, hart zu arbeiten, um Geld zu haben!! Du bist derjenige, der von morgens bis abends schuftet, der sich das Stipendium erarbeitet hat, der das Sondertraining durchgezogen hat vor den Meisterschaften, und dazu noch hart trainiert! Du hättest gewinnen müssen, schon lange, weil du trotz allem nie aufgibst! Und dieses Mal wollte ich ihn dafür bezahlen lassen...... Die dumme Kuh dahinten hat mir geholfen!“ Alle Blicke gingen zu Kumi hinüber, die sich mittlerweile wieder zitternd an die Wand gekauert hatte und schluchzend das Gesicht in den Händen verbarg. Kenji lachte gehässig. „Ich hab ihr eingeredet, dass es doch toll wäre, wenn sie ihren heißgeliebten Schatz retten könnte und so endlich seine Aufmerksamkeit bekommt! Über sie hab ich alle Infos gekriegt, die ich brauche, und sie hat mir dann auch während der Aktion immer wieder den Stand der Dinge gesagt. Dummerweise ist dann zu früh aufgetaucht....sie hätte ihn erst nach dem Spiel „finden“ sollen, wenn du gewonnen hast..... Ich hätte wissen müssen, dass sie zu dumm ist dafür!“ Kumi wimmerte erstickt, aber keiner achtete auf sie. Kojiro musste sich zusammenreißen, um Kenji nicht mit dem Kopf an die Wand zu schlagen. Noch niemals war er so wütend gewesen. „Du traust mir also nicht zu, dass ich Tsubasa von meinem puren Können her besiegen kann, ja?“ Kenji starrte ihn perplex an, aber Kojiro ließ ihm keine Gelegenheit, etwas zu sagen. „Du bist kein Fußballer, oder?“ „Äh....nein....“ „Dachte ich mir. Sonst würdest du nämlich wissen, dass Tsubasa und ich Gegner sind, aber auch Freunde. Und weißt du, was ich mit jemandem mache, der meine Freunde so behandelt?“ Kojiro zog ihn nahe an sein Gesicht heran. „Ich habe mir von Ken einige Karate-Tricks zeigen lassen für den Notfall. Soll ich sie an dir ausprobieren, bevor wir die Polizei rufen?“ „Lass das.“ Kojiro wandte überrrascht den Kopf, als Tsubasa ihm die Hand auf die Schulter legte. Nach einem kurzen Blick auf die Miene seines Freundes ließ er Kenji stumm los und trat einen Schritt zurück. Tsubasa ging in die Knie, so dass er dem Gefesselten direkt in die Augen sehen konnte. „Du glaubst, mein Leben ist perfekt, ja?“ Kenji starrte ihn nur wütend und hasserfüllt an, aber Tsubasa hatte auch gar keine Antwort erwartet. „Du denkst, es ist also perfekt, wenn man als Kind beinahe von einem Auto überfahren wird, wenn man jahrelang keine Freunde hat und als Freak und Spinner bezeichnet wird? Was war da noch? Ach ja, du hast ja behauptet, ich hätte eine perfekte Familie. Ich sehe meinen Vater manchmal nur 2 Mal im Jahr, wenn überhaupt. Ist das perfekt? Sonst noch was? Richtig – das wichtigste hab ich ja fast vergessen. Dank dir traue ich mich kaum noch nach Hause. Und die harte Arbeit, die ich in deinen Augen nicht leiste im Vergleich zu Kojiro – hast du eine Ahnung, wie lange ich auf dem Fußballplatz stehe, nur damit Roberto nicht enttäuscht ist, wenn ich ihm nachfliegen kann? Soll ich noch mehr aufzählen oder reicht das?“ Tsubasa klang gefährlich leise. Seine Freunde schwiegen. Keiner hatte Tsubasa bis jetzt so erlebt. Kenji blickte an ihm vorbei zu Kojiro, aber der verschränkte nur die Arme vor der Brust und erwiderte den Blick kühl. Kenjis Wut kehrte zurück. „Jammer doch, so viel du willst! Ich habe trotzdem das Richtige gemacht!!! Kojiro hat den Sieg verdient, und solche Typen wie du sollten vom Fußballplatz geschmissen werden.....“ Weiter kam er nicht. Tsubasas Faust traf ihn mitten ins Gesicht, so dass er mit dem Kopf gegen die Wand knallte und ihm die Luft wegblieb. Tsubasa würdigte ihn keines weiteren Blickes, als er sich wieder aufrichtete und zu Sanae hinüberblickte, die ihn fassungslos anstarrte. „Gehen wir nach Hause?“ Nach kurzem Zögern nickte sie und ging wieder zu ihm hinüber. „Ich warte noch hier, bis die Polizei auftaucht. Ich bin sicher, die Nachbarn haben nichts gegen einen kurzen Telefonanruf....“; meinte Kojiro trocken, und Tsubasa nickte nur. „Was ist mit Kumi?“, wollte Sanae leise wissen und blickte zu dem Mädchen hinüber, dass immer noch zitternd und weinend an der Wand kauerte. „Auch zur Polizei?“ Tsubasa wirkte plötzlich ziemlich müde, als er mit den Schultern zuckte. „Ich weiß es nicht....“ „Ich glaube nicht, dass sie wollte, dass du verletzt wirst.“, meinte Kojiro ernst. „Wahrscheinlich dachte sie, alles ist harmlos.... „Harmlos?! Und wie hat sie sich das Einsperren vorgestellt? Dass er mich freundlich darum bittet?“ Tsubasa blickte wieder zu Kumi hinüber, dann schüttelte er nur den Kopf und verließ die Gasse ohne ein weiteres Wort. Kapitel 25: Chaos ----------------- Tsubasa war sehr schweigsam auf dem Heimweg, und auch Sanae sprach nicht viel. Irgendwie hatte sie im Gefühl, dass es keine gute Idee war, Tsubasa zu einer Unterhaltung bewegen zu wollen. Jedes mal, wenn sie ihn von der Seite ansah, wurde ihr wieder bewußt, dass sie ihn noch nie so schweigsam und verschlossen erlebt hatte. Aber das war auch kein Wunder – der Schreck über die letzte halbe Stunde saß auch ihr noch tief in den Wochen. Sanae zögerte, dann blieb sie schließlich stehen. „Ich...ich habe etwas vergessen.“ „Hm?“ Tsubasa hielt ebenfalls an. „Was denn?“ „Ein....ein Termin. Meine Mutter hat einen wichtigen Termin beim Arzt, und ich musste ihr versprechen, mitzukommen....“ Das war eine erbärmliche Lüge, und Sanae spürte sofort, dass Tsubasa ihr nicht glaubte. Er lächelte schwach. „Ich bin im Moment kein angenehmer Gesprächspartner, oder?“ Sanae wurde rot. „Nein...nein, das ist es nicht, wirklich – ich dachte nur, dass du....“ „Dass ich lieber alleine sein will?“ Sanae nickte niedergeschlagen. „Ja....glaube bitte nicht, dass ich nicht gerne bei dir bin, aber....nach all dem...ich dachte.....“ „Keine Sorge, Sanae. Das weiß ich.“ Tsubasa lächelte wieder und kam zu ihr zurück. „Wahrscheinlich hast du wie immer recht und alleine sein tut uns beiden ganz gut. Und du hast vermutlich auch noch andere Sachen zu tun als wieder Mal auf mich aufzupassen.“ „Bitte versteh das nicht falsch, ich....“ Weiter kam sie nicht. Tsubasa umfaßte ihr Gesicht behutsam mit beiden Händen und gab ihr einen sanften Kuss auf den Mund. „Danke für alles.“, meinte er leise, sein Gesicht so nah an ihrem, dass sie seinen Atem spüren konnte. Erst dann ließ er sie los und ging ohne ein weiteres Wort davon. Sanae blieb wie erstarrt stehen. Die nächsten Sekunden schienen sich zu einer Ewigkeit auszudehnen. Erst als Tsubasa längst außer Sichtweite war, begann sie sich wieder zu rühren. Ihre Finger zitterten leicht, als sie über ihre Lippen strich. *** Mit einem lauten Knall fiel die Tür ins Schloss. Tsubasa lehnte sich mit dem Rücken an das Holz und atmete erst mal tief durch. Was zum Teufel hatte er sich dabei schon wieder gedacht?! Sanae hielt ihn jetzt mit Sicherheit für einen Vollidioten, und das wohl auch zu recht. Vollidiot, Vollidiot, Vollidiot...... Sein Kopf schmerzte immer noch. Tsubasa preßte sich die Hand auf die Stirn und schloss die Augen. Das dumpfe Pochen hatte ihn seit dem Unfall auf dem Fußballplatz verfolgt und wurde jetzt noch stärker – kein Wunder nach diesem Nachmittag. Die Ruhe des Hauses tat unheimlich gut, aber gleichzeitig bedrückte sie ihn auch. Vielleicht hätte er Sanae doch bitten sollen, noch mitzukommen, aber den Gedanken verscheuchte er sofort wieder. An Sanae zu denken war im Moment ein großer Fehler, das verstärkte nur das wirre Chaos in seinem Schädel und damit auch die Kopfschmerzen. Am besten wäre jetzt wohl wirklich ein paar Stunden Schlaf, und falls das auch nichts half, Aspirin. War überhaupt noch welches da? Zur Apotheke laufen kam gar nicht in Frage...oh weia, noch mehr Gedanken. Wann hatte das ganze Gefühlschaos eigentlich angefangen? Erst jetzt? Vor der Entführung? Nein, es musste früher gewesen sein, vor den Meisterschaften....und währenddessen, als Sanae wegen seiner Verletzung ständig für ihn da gewesen war, genauso wie sie es jetzt getan hatte. Genau genommen war er sich sicher, dass er die letzten Tage ohne sie gar nicht überstanden hätte, wahrscheinlich wäre er durchgedreht oder noch schlimmeres......Tsubasa wollte gar nicht erst darüber nachdenken. Die Erinnerung an den heutigen Tag war schlimm genug. Und alles nur wegen Fußball! Wegen dieser dummen Rivalität, die irgendein durchgeknallter Fan auf sich persönlich übertragen hatte – wenn Tsubasa das gewußt hätte, hätte er eine Anzeige in die Zeitung gesetzt, um deutlich zu machen, dass er und Kojiro im wirklichen Leben keine Feinde waren. Fußball. Immer wieder Fußball, Fußball, Fußball....ob es einen Tag in seinem Leben gegeben hatte, an dem er nicht an Fußball gedacht hatte? Wieviele Stunden hatte er damit schon verschwendet? Das Pochen schwoll erneut an, und Tsubasa verbannte endgültig sämtliche Gedanken, die sich nicht mit Schlaf oder Aspirin befassten, in die hinterste Schublade. Erst mal musste er etwas gegen diese Kopfschmerzen unternehmen. Er richtete sich wieder richtig auf, musste sich aber weiterhin an der Tür abstützen, als ihm schwindelig wurde. Na wunderbar, auch das noch. Hatten die Ärzte nicht gesagt, dass die Gehirnerschütterung abgeklungen war und er darum keine Beschwerden mehr haben würde? Von den Kopfschmerzen natürlich abgesehen, bei denen war er schon gewarnt worden, dass er da noch ziemlich anfällig für Streß und Hektik sein würde. Streß und Hektik – eine ziemlich harmlose Umschreibung für die Situation, in der er gesteckt hatte. Ein Messer an der Kehle..... Tsubasa verdrängte wieder jeglichen Gedanken daran und machte sich auf den Weg Richtung Badezimmer, eine Hand nach wie vor an seiner Stirn, die andere zur Sicherheit an die Wand. Aspirin....hoffentlich war noch welches da. „Wenn du willst, kann ich ja bei Gelegenheit vorbei kommen und dir helfen.“ Tsubasa blieb abrupt stehen und blickte sich unwillkürlich um. Begann er jetzt auch noch Stimmen zu hören? Wurde er endgültig verrückt? Oder waren seine Nerven nur überreizt? Wie im Keller – nur die Dunkelheit um ihn herum und die Stimmen....... Er schüttelte leicht den Kopf, um die Gedanken los zu werden. Wahrscheinlich wirklich nur überreizt....immerhin dachte er in letzter Zeit ziemlich oft an Sanae, da war es kein Wunder, dass es ihre Stimme war, die ihm immer wieder durch den Schädel spukte. Also: Aspirin und Schlafen. Immer noch. Und zwar so schnell wie möglich. Er setzte seinen Weg fort, war aber nur wenige Schritte weit gekommen, als der Schmerz für einen kurzen Moment so scharf aufflackerte, dass ihm die Luft wegblieb. Er lehnte sich wieder an die Wand und preßte sich die Hände auf die Schläfen. „Würdest du das wirklich machen? Ich meine.... na ja, ich hab dich eigentlich sowieso fragen wollen, ob du Lust hast, morgen abend vorbei zu kommen. Das Haus ist so leer, und......also versteh das nicht falsch, nicht wegen dem Haushalt oder so....“ „Wann passt es dir denn? So um acht? Aber ums Essen kümmerst du dich, klar?“ „Wenn's weiter nichts ist.....ich meine, wenn du wirklich mit dem zufrieden bist, was ich zustande kriege....“ Der Schmerz ebbte nur langsam wieder ab. Tsubasa hatte das Gefühl, gegen eine Mauer gerannt zu sein. Er ließ sich auf den Boden sinken, nach wie vor mit dem Rücken an die Wand, und vergrub das Gesicht in den Händen. „So war das also.“, meinte er dumpf, bevor er den Kopf gegen die kühle Mauer hinter ihm lehnte. Warum zum Teufel hatte er Sanae nach Hause gehen lassen? Auf der anderen Seite ersparte er ihr so unnötigen Kummer. Himmel, war das schon immer alles so kompliziert gewesen? Wahrscheinlich nicht....oder konnte er sich nur nicht daran erinnern? Im Moment fiel es ihm sehr schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Aber immerhin....seine Gedächtnislücke füllte sich, wenn auch auf nicht sehr angenehme Art und Weise. Tsubasa lächelte schwach, konnte aber auch nicht verhindern, dass ihm Tränen die Wangen hinunterrannen. Er wischte sich mit dem Ärmel über die Augen, und bevor er irgendwie selbst wußte, was er tat, schlug er plötzlich mit der Hand so fest gegen die Wand, dass es fast schmerzte. „Mistkerl. Dieser verdammte Mistkerl......!!!“ *** „Wie bitte?!“ Die Tasse glitt aus Yukaris Händen, und Sanae konnte sie gerade noch auffangen. „Vorsicht!“ Yukari achtete nicht darauf. Sie starrte ihre Freundin mit offenem Mund an, die zweite Tasse zum Glück noch sicher im Griff. Sanae machte sich innerlich trotzdem bereit zum Rettungsmanöver. „Tsubasa hat was?!“ „Er hat mich geküsst.“, wiederholte Sanae geduldig und fragte sich bereits, wie sie es schaffte, nach außen hin so gelassen zu wirken. In ihrem Innern ging es bei weitem nicht so ruhig zu. Mehrere Male war sie kurz davor gewesen, Tsubasa anzurufen oder kurzerhand zu ihm nach Hause zu laufen, so dass sie schließlich zu Yukari gegangen war – niemand konnte sie besser vor irgendwelchen überstürzten Dummheiten abhalten als ihre Freundin. „Wow.“, meinte Yukari verdattert und setzte sich auf einen Stuhl, die Tasse immer noch in der Hand. „Und dann?“ „Nichts und dann. Er ist nach Hause gegangen.“ „Ja, aber wie hast du reagiert?“ „Gar nicht.“ „Was?!“ „Ich bin gar nicht dazu gekommen.“ Sanae stellte die Tasse auf den Tisch, die sie aufgefangen hatte, und setzte sich ebenfalls. „Er hat mich geküsst und ist gleich gegangen....“ Yukari begann zu strahlen. „Aber das ist doch super! Das wolltest du doch die ganze Zeit, oder?“ „Was? Dass er mich küsst und mich dann einfach weggeht?“ Yukari schüttelte ungeduldig den Kopf. „Nein, aber dass er dich küsst! Ich meine, offensichtlicher geht es doch gar nicht mehr, Sanae! Er liebt dich, genauso wie du ihn!“ Sanae nickte, aber sie konnte sich nicht darüber freuen. Nicht so. Yukari stellte ihre Tasse ebenfalls auf den Tisch und beugte sich zu ihr hinüber, so dass sie ihre Hände fassen konnte. „Sanae, was ist los? Ist noch irgendwas passiert, von dem du mir nichts erzählt hast? Das mit dem Kuss kann ja nicht so schlimm gewesen sein.....“ Sanae blinzelte irritiert, aber dann wurde ihr bewußt, dass Yukari wahrscheinlich noch gar nichts von der Begegnung in der Gasse wußte. Woher auch? Sie war mit den anderen in der Schule gewesen. Also schilderte sie ihrer Freundin mit knappen Worten, was geschehen war. Yukaris Augen weiteten sich geschockt, und sie griff sich unwillkürlich mit der Hand an die Kehle. „Oh mein Gott! Ihr habt den Irren gefunden?“ „Ja – oder er uns, wie man es sehen will.“ Sanae drehte ihre leere Tasse auf dem Tisch. Den Tee, den sie eigentlich hatten trinken wollen, stand vergessen auf der Anrichte und wartete darauf, dass man die Teebeutel entfernte. „Und – wie geht’s Tsubasa jetzt? Und wie geht’s dir? Und was hat Kojiro mit dem Typen gemacht?“ „Der Polizei übergeben, hoffe ich. Das hatte er zumindest vor.“ Sanae drehte die Tasse erneut. „Und wie's Tsubasa geht....na ja, das hab ich dir ja erzählt. Er war sehr still, er hat mich geküsst, und dann ist er nach Hause gegangen.“ „Und – mit dir ist auch alles in Ordnung?“ Sanae schwieg. Nach ein paar Sekunden stand Yukari auf und kam zu ihrer Freundin hinüber. Sanae wehrte sich nicht, als sie von ihr in den Arm genommen wurde. Im Gegenteil. „Keine Angst.“, meinte Yukari leise. „Der Albtraum ist jetzt vorbei, endgültig. Du wirst sehen.“ Sanae schluckte und lehnte den Kopf an ihre Schulter. „Ich.....ich habe irgendwie kein gutes Gefühl. Der Kuss....es war eher wie ein Abschied....er hat so traurig ausgesehen....“ Yukari löste sich von ihr und blickte sie fassungslos an. „Was willst du damit sagen?“ „Ich weiß es nicht. Tsubasa war so anders....aber das war er ja in den letzten Tagen sowieso. Hast du ihn ein einziges Mal mit seinem Fußball gesehen?“ „Er war immerhin auf dem Platz heute morgen.“ „Aber ich glaube er hatte keine Freude daran. Nicht so wie früher. Er ist irgendwie – anders eben. Und es tut weh, ihn so zu sehen.“ „Sanae, das ist normal. Es wäre schlimm, wenn es dir nicht weh tun würde, dann wären deine Gefühle für ihn nicht echt. Und dass er dich auch liebt, hat er dir in meinen Augen ziemlich deutlich gezeigt. Du warst doch auch die einzige, die er nicht weggeschickt hat neulich. Gib ihm einfach noch ein bisschen Zeit, wenn er das alles erst mal verdaut hat, wird er bestimmt wieder so wie früher. Und selbst wenn das nicht ganz funktioniert – sei mal ganz ehrlich, fändest du es so schlimm, wenn sich sein Leben nicht mehr 100 % um Fußball dreht und er auch mal Augen für andere Sachen hat? Für dich z.B.?“ Sanae musste wider Willen lächeln. „Nein, so schlimm wäre das wohl nicht.“ Den Gedanken, der ihr in derselben Sekunde durch den Kopf schoss, äußerte sie ihre Freundin gegenüber nicht: falls Tsubasa trotz allem sein fröhliches Wesen zurück bekam, dann könnte sie das mit dem Fußball verkraften. Ansonsten wäre es ihr tausend Mal lieber, den fußballverrückten Tsubasa wieder vor sich zu haben. „Meinst du, ich hätte mit ihm mitgehen sollen?“, fragte sie leise. „Vielleicht geht es ihm wirklich nicht gut, jetzt ist er ja auch wieder in Kellernähe, und gerade heute.....“ Yukari schüttelte den Kopf. „Nein, ich glaube, das war richtig so. Irgendwann braucht er schließlich Ruhe, um das alles zu verdauen, und du auch. Warte ab – vielleicht kommt er morgen sogar wieder in die Schule. Es geht ihm bestimmt bald wieder besser. Und dass du dich besser fühlst, dafür sorge ich!“ „Hä?“ Sanae blickte überrascht auf. Yukari grinste. „Schau nicht so verdattert, auch andere Leute können Hilfe und Aufmunterung gebrauchen, und in deinem Fall bin ich dafür da.“ Sie zwinkerte ihr zu. „Und darum gehen wir zwei jetzt nach oben in mein Zimmer und schauen alle Lieblingsfilme, die wir haben. Dazu trinken wir dann Tee und essen Kuchen und – was hältst du von Pizza?“ Sanae musste lachen. „Du bist unmöglich!“ „Ich weiß, aber es funktioniert. Du lachst.“ *** Yukari behielt nur zum Teil recht. Sanae fühlte sich wirklich wieder besser, als sie sich am späten Abend auf den Heimweg machte. Aber es war ihr nicht gelungen, Tsubasa aus ihrem Kopf zu drängen. Immer wieder waren seine Gedanken zu ihm gewandert, zu dem Kuss, und ob es ihm wohl gut ging.... Der Kuss. Sanaes Finger wanderten wieder zu ihrem Mund. Sie konnte es immer noch nicht glauben. Was bedeutete das? Dass Tsubasa sich bedankte? Dass er sie liebte? Dass er sich von ihr verabschiedet hatte? Wenn ja, warum?! Oder waren sie jetzt ein Paar? Bei dem Gedanken konnte Sanae nicht verhindern, dass sie rot wurde. Es gab wohl nur eine Möglichkeit, eine Antwort zu bekommen: sie musste Tsubasa fragen. Aber allein die Idee reichte aus, um sie noch röter werden zu lassen und das ungute Gefühl in ihrem Bauch zu verstärken. Nein, sie wollte ihn im Moment nicht wieder stören, Yukari hatte sicher recht und er brauchte Zeit für sich. Immerhin hatte er ihr auch heute mittag nicht widersprochen, als sie vorgeschlagen hatte, ihn alleine zu lassen. Sanae blieb abrupt stehen. Jetzt war sie ganz in Gedanken doch zu Tsubasas Haus gelaufen. Sie hatte sogar schon die Hand nach dem Klingelknopf ausgestreckt. Abrupt wandte sie sich um und ging den Weg zurück. Nein! Nein, nein, nein! Sie würde ihn in Ruhe lassen und morgen in der Schule mit ihm reden. Wobei – da hatten die Wände Ohren. Nirgends konnte man da in Ruhe miteinander reden, ohne dass irgendjemand von der Mannschaft in der Nähe stand und daraufhin eigentlich alle anderen auch Bescheid wußten. Na ja, irgendeine Möglichkeit würde sich sicher finden. Hoffentlich kam er auch wirklich – Sanae sehnte sich nach etwas Normalität, und sie fürchtete sich vor der Angst, die sie wieder haben würde, falls sein Platz leer blieb. So wie letzte Woche..... Sie schüttelte die Gedanken ab und suchte nach ihrem Hausschlüssel, während sie die Auffahrt empor ging. Hoffentlich bekam sie keinen Ärger mit ihrer Mutter, weil sie so spät dran war. Als sie kurz darauf im Bett lag und nicht sofort einschlafen konnte, schämte sie sich plötzlich für das Gefühlschaos, dass der Kuss in ihr ausgelöst hatte. Tsubasa war heute von einem Irren mit einem Messer bedroht und fast verstümmelt worden, und alles, woran sie dachte, war dieser bescheuerte Kuss und ob er morgen zur Schule kam. Hoffentlich ging es ihm wirklich gut. Sanae vergrub das Gesicht im Kopfkissen und unterdrückte erneut die Tränen. Falls er morgen nicht in die Schule kam, würde sie erneut schwänzen und ihn zuhause besuchen, um sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung war, auch wenn er sie dann aufdringlich finden würde. Mit diesem etwas tröstenden Entschluss fiel sie schließlich in einen unruhigen Schlaf. Kapitel 26: Angst ----------------- Sanae war völlig außer Atem, als sie Tsubasas Haus erreichte. Ein paar Sekunden gönnte sie sich, um Luft zu holen, dann hastete sie weiter zur Haustür und klingelte Sturm. „Tsubasa? Tsubasa, bist du zuhause?!“ Sie wußte nicht, warum sie schrie, sie merkte es auch erst als sie langsam heiser wurde. Hinter der Haustür blieb alles still. Tsubasa war wieder nicht in der Schule gewesen. Yukari hatte sie daran hindern wollen, gleich zu ihm nach Hause zu laufen, aber Sanae hatte ihr nicht einmal zugehört. Sie war einfach losgerannt. „Tsubasa!!“ Sie ließ den Klingelknopf los und hämmerte mit beiden Fäusten gegen die Tür, genauso wie sie es am Tag nach seiner Entführung getan hatte. Nichts. Ihre Knöchel schmerzten. Leicht keuchend lehnte sie sich an die Haustür, dann rannte sie kurzerhand um das Haus herum. Die Terrassentür – vielleicht war Tsubasa gerade im Wohnzimmer und hörte sie deshalb nicht. Die böse kleine Stimme, die ihr ins Ohr flüsterte, wie zum Teufel er diesen Radau überhört haben könnte, schob sie in den hintersten Winkel ihres Kopfes. Dass Tsubasas Gesicht jedoch immer wieder vor ihrem inneren Auge auftauchte, dieser traurige Blick, mit dem er sich von ihr verabschiedet hatte, konnte sie nicht verhindern– sie hatte ihn noch nie so erlebt. Endlich erreichte Sanae die Terrasse und stolperte die wenigen Stufen nach oben. Außer Atem presste sie die Hände an das große Fenster und bemühte sich, in dem Raum dahinter irgendetwas zu erkennen. Nur langsam gewöhnten sich ihre Augen an das dämmrige Licht, das hinter der Glasscheibe herrschte. Dann hellte sich ihre Miene auf. Sie konnte eine Gestalt auf dem Sofa liegen sehen. Tsubasa schlief, deswegen hatte er sie nicht gehört. Sanae begann wieder gegen die Fensterscheibe zu klopfen und nach ihm zu rufen, aber er reagierte gar nicht. Er blieb ganz still auf dem Sofa liegen. Das schlechte Gefühl kam zurück – wie tief konnte ein Mensch schlafen? Sanae presste das Gesicht erneut gegen die Scheibe – und erstarrte. Vor dem Sofa lag ein umgestürztes Glas, es sah aus als wäre es Tsubasa aus der Hand gefallen, und das da auf dem Tisch – war das eine Tablettenschachtel? „Tsubasa!!“ Sanae begann wieder zu schreien. Jetzt ließ sich die Panik nicht mehr verdrängen. Ehe sie sich richtig bewußt wurde, was sie tat, hatte sie einen Blumentopf vom Boden aufgehoben und schleuderte ihn gegen die Terrassentür. Das Glas zersplitterte in tausende von Scherben – und Tsubasa reagierte immer noch nicht. Sanae kletterte durch den Fensterrahmen und rannte zu ihm hinüber, so hastig, dass sie fast über ihre eigenen Füße stolperte. Als sie ihn endlich erreichte, fiel ihr sofort seine Blässe auf. „Nein.....nein, bitte nicht....“ Sie wollte schreien, aber sie brachte nur ein heiseres Flüstern heraus. Unwillkürlich packte sie Tsubasa an den Schultern und rüttelte ihn, aber er reagierte überhaupt nicht. Als sie seine Hände und danach seine Wangen berührte, fühlte er sich eiskalt an. Unwillkürlich blieb ihr Blick an der Tablettenschachtel hängen. Ein Mittel gegen Kopfschmerzen – anscheinend hatte er alle genommen, das leere Röhrchen lag direkt daneben. „Dummkopf.....“ Paradoxerweise war das alles, was sie sagen konnte. Alles, was ihr in den Sinn kam. Nur dieses eine Wort. Dann kamen die Vorwürfe, gemeinsam mit den Tränen. Warum hatte sie ihn allein gelassen?! Sie legte ihren Kopf auf seine Brust und schluchzte erstickt. Jemand begann an die Haustür zu hämmern, so wie sie es wohl vor wenigen Minuten getan hatte, aber genau wie Tsubasa reagierte sie nicht. Auch nicht als jemand ihren Namen zu rufen begann. „Geht weg....lasst mich in Ruhe.“ Sanae preßte sich die Hände auf die Ohren und kniff die Augen zusammen. Sie wollte hier nicht weg. Sie wollte bei Tsubasa bleiben..... Unwillkürlich tastete sie wieder nach seiner Hand – und hielt plötzlich etwas weiches, plüschiges zwischen den Fingern. Verdutzt riss sie die Augen wieder auf und blickte direkt auf ihre Zimmerdecke. Das Klopfen und Rufen war immer noch da. „Sanae!!! Sieh endlich zu, dass du aus den Federn kommst!! Du bist schon viel zu spät dran.“ Die Stimme ihrer Mutter. Schritte entfernten sich von der Tür, es wurde still. Sanae blieb völlig perplex in ihrem Bett liegen, den Blick immer noch an die Decke gerichtet. Es war nur ein Traum gewesen!! Nichts weiter, nur ein blöder, bescheuerter Albtraum...... Unwillkürlich wurde ihr bewußt, dass sie ihren Teddy immer noch fest umklammert hielt. Ihre Wangen waren nass – hatte sie geweint im Schlaf? Das Herz schlug ihr immer noch bis zum Hals, und sie bemerkte, dass die Angst nicht verschwunden war. Doch dann spürte sie noch etwas anderes: Erleichterung. Es war ein Traum gewesen, nichts weiter.....kein Wunder bei ihren überreizten Nerven. Tsubasa ging es gut, ganz sicher! Und spätestens im Klassenzimmer würde sie ihn treffen, bestimmt! Mit plötzlicher Energie stand sie auf und zerrte ihre Schuluniform von ihrem Schreibtischstuhl. Das Training hatte sie wieder mal verpasst, wie ihr ein Blick auf die Uhr zeigte, aber zur ersten Stunde konnte sie es immer noch pünktlich schaffen. *** Zwei Minuten vor dem Gong erreichte Sanae das Klassenzimmer und wäre beinahe mit Ryo zusammen geprallt, der sich ziemlich ungünstig vor der Tür postiert hatte. „Oh, hoppla. Morgen, Sanae. Wir dachten schon, du kommst nicht mehr.“ „Ich habe verschlafen.“ Sanae linste an Ryo vorbei. Der lächelte traurig. „Nach Tsubasa musst du nicht suchen, der ist nicht da.“ „Was?!“ Sanae erstarrte unwillkürlich. „Yukari hat uns heute morgen beim Training erzählt, was passiert ist. Wir wollen nach der Schule bei ihm anrufen und....“ „Das heißt, beim Training war er auch nicht?“ Izawa, der sich zu den beiden gesellt hatte, schüttelte den Kopf. „Nein – wir haben schon angefangen, uns Sorgen zu machen, aber nach dem was gestern los war – er braucht bestimmt noch ein bisschen Zeit. Ist auch besser so – ich bin eigentlich froh, dass er nicht wieder spielen will, bevor er ganz fit ist.“ „Wie gesagt, wir wollen nachher bei ihm anrufen und wenn es okay ist, mal nach ihm sehen.....Sanae?! Sanae, warte!“ Sanae hatte Ryo nicht zugehört. Sie wirbelte auf dem Absatz herum und rannte wieder nach draußen, an dem verdutzten Lehrer vorbei, der gerade das Klassenzimmer hatte betreten wollen. Die Bilder des Traumes brannten sich wieder deutlicher denn je in ihr Gedächtnis. Sie musste sich einfach sicher sein, dass es Tsubasa gut ging.... *** Sanae war völlig außer Atem, als sie Tsubasas Haus erreichte. Ein paar Sekunden gönnte sie sich, um Luft zu holen, dann hastete sie weiter zur Haustür und klingelte Sturm. „Tsubasa? Tsubasa, bist du zuhause?!“ Sie wußte nicht, warum sie schrie, sie merkte es auch erst als sie langsam heiser wurde. Hinter der Haustür blieb alles still. „Tsubasa!!“ Sie ließ den Klingelknopf los und hämmerte mit beiden Fäusten gegen die Tür, genauso wie sie es am Tag seiner Entführung getan hatte. Nichts. Ihre Knöchel schmerzten. Leicht keuchend lehnte sie sich an die Haustür – und quietschte erschrocken auf, als sie plötzlich den Halt verlor. Sie stolperte nach hinten wäre wahrscheinlich böse gestürzt – wenn sie nicht mit Tsubasa zusammengeprallt wäre, der die Tür geöffnet hatte und sie jetzt verdutzt anblickte. „Sanae? Was machst d.....“ Weiter kam er nicht. Sanae wirbelte herum und fiel ihm kurzerhand um den Hals, so dass er für kurze Zeit um sein Gleichgewicht kämpfen müsste. „Wa...?! Sanae?“ Sanae reagierte nicht. Sie klammerte sich fest an ihn und vergrub das Gesicht in seiner Schulter. Am liebsten hätte sie vor Erleichterung wieder zu weinen begonnen. Nach ein paar Sekunden spürte sie, dass Tsubasa ebenfalls die Arme um sie legte. „Ist alles in Ordnung?“ Sanae brachte ein schwaches Nicken zustande. Ein paar Sekunden lang rührte sie sich nicht – dann wurde ihr plötzlich bewußt, was sie hier tat. Abrupt löste sie sich aus Tsubasas Umarmung und wurde rot. „Entschuldige.“ „Schon gut.“ Tsubasa musterte sie aufmerksam und leicht besorgt. „Sicher ,das alles in Ordnung ist?“ „Ja....ich.....“ Sanae brach ab. Wie sollte sie ihre Angst erklären? Tsubasa würde sie auslachen. „Willst du erst mal reinkommen?“ Sanae zuckte bei dieser Frage leicht zusammen, dann nickte sie jedoch erleichtert. Sie betrat das Haus, und Tsubasa schloss die Tür hinter ihr. „Ich...es tut mir wirklich....“ Tsubasa schnitt ihr nur mit einem Kopfschütteln das Wort ab. „Später, das hat Zeit. Du kannst schon mal hochgehen in mein Zimmer, ich komme gleich nach.“ „Ja...in Ordnung.“ Sie stieg die Treppe nach oben, und Tsubasa blickte ihr kurz hinterher, dann ging er in die Küche und setzte Teewasser auf. So ganz verstand er immer noch nicht, was hier eigentlich vorging. Sanae hatte ihn mit ihrer Klopf- und Klingelaktion buchstäblich aus dem Bett geschmissen. Er war aus dem Schlaf hochgeschreckt und wäre beinahe unsanft auf dem Boden gelandet. Dann hatte es noch einei Sekunden gedauert, bis er begriff, wer da vor dem Haus stand und es anscheinend darauf anlegte, entweder die ganze Nachbarschaft wach zu brüllen oder die Tür einzuschlagen. Aufstehen und sich schnell etwas überzuziehen, hatte erneut kurze Zeit in Anspruch genommen – und dann kippte Sanae auch noch buchstäblich in seine Arme. Der Morgen fing wirklich sehr verworren an. Hoffentlich hatte sie sich wieder etwas beruhigt und gefaßt, wenn er zu ihr nach oben kam. Tsubasa hatte ihr an der Nasenspitze ansehen können, wie unangenehm ihr die Situation war – mit der Grund, warum er ihr die Gelegenheit hatte geben wollen, sich alleine wieder ein bisschen zu sammeln. Als der Tee wenige Minuten später fertig war und Tsubasa mit zwei dampfenden Tassen in der Hand sein Zimmer betrat, stand Sanae vor dem Schreibtisch und starrte die Wand darüber an. „Die Landkarte.“, meinte sie leise, ohne den Blick von der Tapete abzuwenden. „Du hast die Brasilienkarte abgehängt....“ „Ja, und?“ „Aber....warum?“ „Kein besonderer Grund, sie hat mir einfach nicht mehr gefallen.“ Sanae wandte den Kopf und blickte ihn ungläubig an, so dass Tsubasa es vorzog, das Thema zu wechseln. Er hielt ihr eine der beiden Tassen hin. „Hier. Alles wieder in Ordnung?“ Sanae wurde wieder leicht verlegen und nahm ihm den Tee ab. „Danke. Und noch mal sorry wegen der Szene eben – habe ich dich geweckt?“ „Ja, aber das ist nicht schlimm.“ „Dann.....dann geht’s dir wieder besser? Hast du schlafen können?“ „Einigermaßen.“ Tsubasa setzte sich auf sein Bett. „Die üblichen Unterbrechungen eben....“ „Schlimme Träume?“ „Bei dir wohl auch, oder?“ Sanae zuckte leicht zusammen, dann setzte sie sich neben ihn. „Ja....“ Sie zögerte kurz, dann gab sie sich einen Ruck. Immerhin war Tsubasa neulich auch offen ihr gegenüber gewesen. Also schilderte sie kurz, was sie geträumt hatte, auch wenn sie ihr Verhalten etwas – abschwächte. Als sie geendet hatte, blickte Tsubasa sie ungläubig an. „Du hattest wirklich Angst, dass ich.....?“ Sanae starrte in ihre Tasse. „Im Nachhinein weiß ich selber, dass es dumm war – aber du warst die letzten Tage so anders, so......“ Sie brach ab. Was war das richtige Wort dafür? Traurig? Unglücklich? Zurückgezogen? Tsubasa schwieg ein paar Sekunden. „Ich schätze, ich muss mich wieder mal bei dir entschuldigen.“, meinte er dann leise. „Was? Wofür?“ „Für gestern. Ich wollte nicht....“ Er brach ab, als es an der Tür klingelte. „Wartest du auf jemanden?“, wollte Sanae nach ein paar Sekunden Stille wissen. Tsubasa schüttelte den Kopf. „Nein, keine Ahnung wer das ist....“ Es klingelte wieder .Tsubasa seufzte, dann stellte er seine Tasse auf den Nachttisch. „Tut mir leid, ich bin gleich wieder da.“ Sanae nickte, und Tsubasa ging die Treppe nach unten. Als er die Tür öffnete, erstarrte er unwillkürlich. „Kumi?!“ In der Tat stand Kumi vor der Türschwelle und blickte ihn ängstlich an. Sie sah sehr bleich aus, und ihre Wangen waren stark gerötet, anscheinend hatte sie sehr viel geweint in letzter Zeit. „Hallo....“, meinte sie zaghaft. Tsubasa starrte sie fassungslos an, dann wollte er ohne ein weiteres Wort die Tür wieder schließen, aber Kumi hatte mit so etwas anscheinend gerechnet. Sie stolperte vorwärts und ehe er sich versah, hing sie mehr oder weniger an seinem Arm und verhinderte so, dass er die Tür zuschlagen konnte. „Nein, bitte!!! Ich kann verstehen, dass du sauer bist, und ich bleibe auch nicht lange.....nur ein paar Minuten.....“ Tsubasa riss sich von ihr los und wich ein paar Schritte von ihr zurück. „Tsubasa?“ Sanae erschien am Treppenabsatz. Als sie Kumi entdeckte, erstarrte sie ebenfalls. Kumi dagegen schien sich nicht zu wundern, Sanae hier anzutreffen. Sie lächelte kläglich. „Hallo, Sanae.“ „Was willst du hier?“, wollte Tsubasa wissen. Bei seinem Tonfall zuckte Kumi zusammen, und sie fuhr sich noch einmal mit dem Ärmel über die Augen, bevor sie tief Luft holte. „Ich.....Kojiro hat Kenji gestern zur Polizei gebracht, aber er hat nicht gesagt, dass ich .... Kenji natürlich schon, aber ihm glaubt keiner im Augenblick.....“ „Was willst du hier?!“, wurde sie erneut von Tsubasa unterbrochen. Kumi schluckte. „Ich....mich entschuldigen...“ Sie holte erneut tief Luft. „Ich wollte nicht, dass so etwas passiert.....wirklich nicht. Ich hatte nur Angst....ich habe gesehen, wie oft du mit Sanae zusammen warst, und ich..... Kenji muss mich beobachtet haben, und er hat mir versprochen, dass dir nichts passiert. Sobald das Spiel vorbei war, wollte er dass ich zu dir nach Hause komme und dich zufällig finde....aber als ich das Foto gesehen habe....“ Mittlerweile kullerten neue Tränen über Kumis Wangen, und sie wischte sie erneut mit dem Ärmel ab. „Ich wollte nicht, dass du verletzt wirst, das musst du mir glauben, Tsubasa! Ich bin dann früher hin, weil ich dir helfen wollte...ich habe gewußt, dass Kenji sich das Spiel ansehen will, und darum bin ich zu deinem Haus..... Bitte, Tsubasa, du musst mir glauben, ich wollte nicht dass dir was passiert!! Er hat nicht gesagt, dass er dich niederschlagen will....“ Sie begann zu schluchzen. „Es tut mir so leid....“ Tsubasa sagte nichts, er blickte sie nur stumm an. Sanae war langsam die Treppe nach unten gekommen und stand jetzt direkt hinter ihm. Unbewußt griff sie wieder nach seiner Hand. „Meine Eltern nehmen mich von der Schule.“; meinte Kumi, als sie sich wieder einigermaßen im Griff hatte. „Ich habe ihnen gestern alles erzählt.....wir ziehen in den nächsten Wochen um. Ich wollte....ich wollte mich noch verabschieden.“ Sie blickte zu Sanae hinüber und brachte ein klägliches Lächeln zustande. Dann wirbelte sie auf dem Absatz herum und rannte davon. Tsubasa starrte ihr ein paar Sekunden hinterher, dann schloss er langsam die Haustür, bevor er an Sanae vorbei zurück in sein Zimmer ging. Als Sanae ihm nach kurzem Zögern folgte, saß er wieder auf dem Bett und starrte vor sich auf den Boden. Sie setzte sich neben ihn, und kurze Zeit schwiegen beide. „Ich glaube, sie hat die Entschuldigung wirklich ernst gemeint.“, meinte Sanae schließlich leise. Tsubasa nickte nur, sagte aber nichts. „Warum....warum hast du die Landkarte abgehängt?“ „Ist das so wichtig?“ „Ja.“ Tsubasa seufzte, dann fuhr er sich mit den Händen über das Gesicht. „Ich....als ich im Keller eingesperrt war......“ Er stockte, redete dann aber weiter. „Ich weiß nicht, ob ich noch nach Brasilien will.“ Sanae starrte ihn an. „Was....? Warum? Ich dachte, das....“ „Ja, ich dachte auch.“ Tsubasa lächelte bitter. „Aber ich hatte da unten ja jede Menge Zeit zum Nachdenken.“ Er stand auf und ging zum Fenster hinüber. „Seit dem Unfall früher habe ich mich nur noch mit dem Fußball beschäftigt. Meine Mutter hat es mir nicht verboten, aber sie hat versucht, mir bewußt zu machen, dass es auch noch andere Kinder gibt. Sie hat mich ständig rausgeschickt, damit ich mit den anderen spiele, aber das hat nichts genützt. Weil ich mich eben am meisten für Fußball interessiert habe, konnten die anderen nichts mit mir anfangen, und weil sie nichts mit mir anfangen konnten, habe ich mich noch mehr mit Fußball beschäftigt. Es war ein Teufelskreis, sozusagen.....“ Tsubasa lächelte traurig. „Und als meine Mutter erkannt hat, dass es so nicht funktioniert, hat sie meinen Vater zu dem Umzug hierher überredet, damit ich wenigstens über den Fußball Kontakt finde.“ Sanae blickte ihn mit großen Augen an. Nur zu gut erinnerte sie sich an den Tag, an dem Tsubasa in Nankatsu angekommen war. Nicht eine Sekunde lang hatte sie seitdem daran gedacht, dass er bis zu diesem Zeitpunkt sehr einsam gewesen sein musste. Ein Fußball war kein sehr gesprächiger Freund.....und auch kein guter Ersatz. Aber Tsubasa hatte damals so unbeschwert gewirkt......Unwillkürlich erinnerte sie sich, wie er ihr neulich erzählt hatte, dass er nachts wach geworden war und sich eingebildet hatte, dass sein Vater nach Hause gekommen war. „Ich habe es bisher immer so gesehen, dass mir der Ball damals das Leben gerettet hat, aber jetzt.....er war schuld daran, dass ich fast unter ein Auto geraten wäre, und die Geschichte hier habe ich ihm auch zu verdanken. Auch wenn er es jedes Mal irgendwie wieder gut gemacht hat.....“ „Wieder gut gemacht?“, meinte Sanae irritiert. Tsubasa lächelte schwach. „Na ja.....seinetwegen bin ich auf die Straße gelaufen, aber er hat dafür gesorgt, dass mir nichts passiert. Seinetwegen habe ich mich von den anderen Kindern isoliert, und seinetwegen habe ich hier die besten Freunde gefunden, die man sich vorstellen kann. Und seinetwegen....“ Er stockte. „Seinetwegen kann ich jetzt nicht mehr richtig schlafen, aber dafür hat er vielleicht verhindert, dass ich mich schon wieder isoliere.... Ich glaube, er hat mich wachgerüttelt...“ Sanae stand auf. „Du.....du hast Angst, dass du in Brasilien wieder alleine bist?“, meinte sie leise. Tsubasa antwortete nicht sofort. „Vielleicht war es doch richtig, dass Roberto mich damals nicht mit genommen hat....er wird schließlich seine Gründe gehabt haben. Vielleicht hat er gewußt, dass ich besser hier bleiben sollte.....“ Sanae traute ihren Ohren kaum. „Darum....darum bist du dem Fußball aus dem Weg gegangen, oder?“ „Aus dem Weg gegangen?“ Tsubasa lächelte schwach. „Hat das so gewirkt? Dann wird es wohl stimmen." Sanae antwortete nicht, statt dessen stand sie auf und nahm ihn ohne ein weiteres Wort in den Arm. Tsubasa erwiderte die Geste nach ein paar Sekunden. „Willst du aufhören?“, fragte Sanae schließlich. „Nein.....ich weiß nicht, was ich will, aber ich will nicht aufhören, und ich will nicht, dass es so weitergeht wie früher.“ Sanae spürte, wie sich sein Griff um sie etwas verstärkte. „Und ich will nicht nur wegen meinen Freunden nicht weg.....“ Ein leichtes Lächeln glitt über Sanaes Gesicht. „Ich weiß.“ „Das mit gestern tut mir leid.“ „Was tut dir leid?“ „Dass ich dir schon wieder Angst gemacht habe.....“ „Vergiß es einfach. Aber tu mir einen Gefallen, ja?“ „Welchen?“ „Lass dir Zeit mit der Entscheidung. Ich will nicht, dass du es später bereust....“ Sie hob den Kopf. „Versprichst du's?“ Tsubasa nickte. Sanae lächelte erleichtert, und ohne darüber nachzudenken küsste sie ihn sanft auf den Mund. Im ersten Moment war er völlig perplex, aber dann kam er ihr entgegen, und die nächsten paar Sekunden schien die Zeit still zu stehen......bis es erneut an der Tür klingelte. Erschrocken fuhren sie auseinander. „Meine Güte, was ist denn heute morgen los?!“ Wer auch immer vor der Tür stand, war anscheinend sehr ungeduldig und klingelte wieder und wieder. Sanae lächelte. „Wer auch immer, er hat es eilig.“ „Ja, ich merks....“ Tsubasa seufzte und verließ das Zimmer, um zu öffnen. Sanae stützte sich an der Fensterbank ab und blickte nach draußen. Das Herz schlug ihr immer noch bis zum Hals..... Von unten war ein Aufschrei zu hören. „Tsubasa!!! Gott sei Dank, ich hab mir solche Sorgen gemacht!!“ „Mama...?! Ich dachte....uff!! Lass mich los, du erdrückst mich ja!!“ Sanae wurde neugierig. Sie trat auf den Gang. Wie erwartet stand Tsubasa mit seinen Eltern an der Haustür und war im Moment damit beschäftigt, sich aus einer Umarmung seiner Mutter zu befreien, was augenscheinlich nicht ganz einfach war. Sie hielt ihn fest umklammert und weinte vor Erleichterung. Tsubasas Vater wirkte nach außen hin ruhiger, aber auch ihm war deutlich anzusehen, wie froh er war, seinen Sohn gesund und munter vor sich zu haben. „Geht's dir gut?“, wollte Frau Ozora immer noch unter Tränen wissen und löste sich etwas von ihm, so dass sie ihn besser ansehen konnte. Ihr Blick blieb an dem Pflaster an seiner Schläfe hängen. „Ist alles in Ordnung?“ „Ja, keine Sorge.....“ „Wir haben doch noch einen früheren Flug bekommen und haben uns beeilt, um hier zu sein.“, mischte sich Herr Ozora ein. „Leider hatten wir da keine Möglichkeit mehr, dir Bescheid zu sagen....“ „Ich bin so froh, dass dir nichts schlimmeres passiert ist.“ Seine Mutter umarmte ihn erneut, und Tsubasa schnappte unwillkürlich nach Luft. „Aua!!! Mama, du tust mir weh......“ „Entschuldige.“ Sie lockerte ihren Griff wieder etwas, und Sanae musste lächeln, während sie sich an die Wand lehnte und die Szene betrachtete. Mit einem Mal fühlte sie sich völlig entspannt. Vielleicht gab es ja doch noch einen Weg zurück in den Alltag. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)