Diener der Nacht von myrys84 ================================================================================ Kapitel 10: Kapitel 10 - Der Jäger und seine Beute -------------------------------------------------- Tagchen, zusammen. Dieses Kapitel ist all jenen gewidmet, die, ebenso wie ich, fast vergessen haben, dass Jérôme ein Vampir ist. ^^ Viel Spaß damit Myrys +++++++++++++++ Kapitel 10 Der Jäger und seine Beute Ein paar Tage später traf das Drehbuch ein, zusammen mit den Verträgen zum einen für Gabriel wegen der Rolle und zum anderen für den Soundtrack, jeweils in doppelter Ausführung. Aus dem Vertrag entnahm Gabriel, dass der Film den prägenden Titel "Noches del Sangre" trug, "Nächte des Blutes". Ganz toll. Klang sehr wie ein billiges B-Movie. 'Oh, Jérôme, wo hast du mich da bloß reingeritten?', dachte er und überflog die erste Seite des Drehbuchs. Die Aufstellung der Charaktere. Einer der Namen ganz oben war grün unterlegt, was wohl bedeutete, dass dies seine Rolle war. Der Knilch, den er spielen sollte, hieß prägender Weise Noir. Toller Name. Er fläzte sich auf die Couch und begann, das Drehbuch durchzulesen. Vorher blätterte er es kurz durch und fand erstaunlich viel Grün. 'Mann, dieser Noir hat ja echt viel zu sagen', überlegte er. Ehe er sich versah, hatte er sich tief in die Story hineingelesen. Der Stoff war zwar nicht weltbewegend neu, jedoch glaubte er, dass der Film echt gut werden könnte, wenn der Regisseur ihn einigermaßen in Szene setzte. Bei genauerer Analyse seiner Rolle huschte ein Grinsen über sein Gesicht. Er spielte den Bösen, den charismatischen Anführer der "Schwarzen Bruderschaft", gegen die sich der tragische Held zur Wehr setzen musste. Dieser erinnerte ihn doch sehr stark an Louis aus "Interview mit einem Vampir". Ständig am Hadern mit seinem Schicksal und richtig schön sauer auf den, der ihn gemacht hatte. Fast ein wenig wie Jérôme. Er grinste. Würde sich wohl keiner auch nur ansatzweise träumen lassen, dass ausgerechnet er ein lebendes Objekt der Spezies Blutsauger zu Hause hatte. Alles gut und schön, doch wie spielte man eigentlich einen bösen Vampir, und das dann noch, ohne ihn allzu unsympathisch rüberkommen zu lassen? In seinen Gedanken reifte ein Plan… Bei Tino war die Hölle los und Gabriel fragte sich, ob er überhaupt noch mal nach Hause kommen würde. Während einer kurzen Verschnaufpause rief er zu Hause an und hinterließ Jérôme eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter, nicht aus dem Haus zu gehen, bevor er nicht zurück war. Um kurz nach Mitternacht betrat er endlich seine Wohnung, doch seine Nacht war noch lange nicht vorbei, zumindest, wenn es nach ihm ging. Jérôme saß auf dem Sofa und las in Gabriels Textbuch. Als sein Mitbewohner ins Wohnzimmer kam, sagte er: "Meine Güte, was für eine Rolle. Na ja, die werden schon wissen, warum sie ausgerechnet dich wollten…" Er legte seine Lektüre zur Seite und schaute Gabriel erwartungsvoll an. "Also, was ist es, das du mir sagen möchtest bevor ich die geheiligten Hallen unserer Unterkunft verlasse?", erkundigte er sich. "Nimm mich mit", antwortete Gabriel knapp. "Wie bitte?" "Du hast mich schon richtig verstanden. Ich will mitkommen. Wenn ich die Rolle, die mir zugedacht ist, gut spielen soll, dann muss ich doch am lebenden Objekt üben können, oder?" "Mag ja sein", gab Jérôme zu, "aber deswegen glaube ich nicht, dass das eine gute Idee ist…" "Warum nicht? Ich meine, einen Vampir in Action zu sehen ist mal was ganz Neues für mich. Außerdem hab ich überhaupt keine Ahnung, wie ich an das Ganze rangehen soll. Ich brauch 'ne Inspirationsquelle und wer wäre da besser geeignet als du?" "Ein Vampir in Action? Ich denke, du hast vergessen, wie wir uns kennen gelernt haben, mein lieber Gabriel. Aber wenn du möchtest, helfe ich deinem Gedächtnis gerne wieder auf die Sprünge." Er stand auf und kam langsam näher, wobei er sein Gegenüber mit kühlem Blick musterte. Gabriel wich instinktiv zurück, sodass er bald an der Wand des Flurs anlangte. "Du willst also wissen, wie es ist, der Jäger zu sein", raunte Jérôme und stützte sich mit beiden Händen neben Gabriels Kopf an der Wand ab. "Du willst wissen, wie es ist, seine Beute in die Ecke zu drängen, sie zu umkreisen und zu umgarnen, bis sie sich freiwillig ausliefert? Du willst sehen, wie sie ihr Leben in den Fängen des Jägers aushaucht? Bist du dir absolut sicher?" Er war so nah, dass Gabriel seinen Atem in seinem Gesicht spüren konnte. Er wusste, wie es war, er hatte es schon einmal gesehen, doch damals hatte er zu sehr unter Schock gestanden. Diesmal war es anders. Er war auf das vorbereitet, was da kommen mochte. Er nickte bestimmt. "Gut, dann komm mit. Aber ich warne dich, es wird nicht leicht für dich sein", antwortete der Vampir und stieß sich von der Wand ab. Ein eiskalter Wind umwehte sie, als sie das Haus verließen. "Wo gehen wir jetzt hin?", fragte Gabriel interessiert. "Wir stürzen uns ins Nachtleben", antwortete Jérôme schlicht. Obwohl es mitten unter der Woche war, war der Club, den sie soeben betreten hatten, gerammelt voll. Laute Musik dröhnte ihnen entgegen und Gabriel hatte Mühe, Jérôme zu verstehen, sodass sich dieser zu ihm hinunter beugte und ihm ins Ohr sagte: "Wart am besten an der Bar auf mich. Ich misch mich unter die Leute und geb' dir dann ein Zeichen." "Aber ich will doch bei jeder Phase dabei sein", beschwerte sich der Musiker. "Denkst du allen Ernstes", gab Jérôme zurück, "dass sich irgendjemand anbaggern lässt, wenn wir gleich im Doppelpack auftauchen? Das hier sind fast ausschließlich Heteros, also wird's sowieso schon schwierig genug. Außerdem dachte ich, du willst nur stiller Beobachter sein." "Na gut, na gut. Ich warte an der Bar", lenkte Gabriel ein. Insgeheim fand er die Vorstellung, wie Jérôme mit anderen flirtete sowieso nicht besonders prickelnd. Er schlenderte nachdenklich zum Tresen und bestellte sich einen Drink. Keinen sonderlich starken, nur gerade ein bisschen Alkohol, um nicht ganz nüchtern sein zu müssen. Gedankenverloren spielte er mit seinem Strohhalm und hielt nach Jérôme Ausschau. Tatsächlich stach der Vampir überall heraus. Seine groß gewachsene Gestalt und der hellblonde Haarschopf waren einfach nicht zu übersehen. Wie es aussah, hatte er bereits Erfolg, denn er unterhielt sich angeregt mit einem jungen Mann, kaum älter als Gabriel, eher noch jünger. Er stand nah bei ihm, lässig gegen die Wand gelehnt und berührte ihn immer wieder wie zufällig. Der Junge lachte auf und Gabriel fühlte sich, als müsse er tausend Nadeln schlucken, die sich allesamt beharrlich in sein Herz bohrten. Angesäuert biss er in seinen Strohhalm und blies frustriert kleine Blubberblasen in sein Getränk. Dann legte Jérôme einen Arm um den Jungen und dirigierte ihn durch die Menschen auf der Tanzfläche hindurch auf den Ausgang zu. Er bedeutete Gabriel mit dem Daumen-Hoch-Zeichen, ihm zu folgen. Der Sänger sprang wie von der Tarantel gestochen auf und hechtete hinterher. Draußen schlug ihm sofort wieder der kalte Wind entgegen. Ein heiteres Lachen erklang und er erblickte seinen Mitbewohner mit seiner Beute, die um die Ecke in Richtung Hinterhof bogen. Er beeilte sich, hinterher zu kommen. Am Ziel angekommen drehte sich Jérôme noch einmal kurz um, um sich davon zu überzeugen, dass Gabriel zwar versteckt war, jedoch trotzdem alles mitbekam. "Was ist los?", wollte sein junger Begleiter wissen. "Nichts", antwortete Jérôme mit einem Lächeln, von dem Gabriel sofort erkannte, dass es falsch war. "Ich wollte nur sichergehen, dass uns niemand gefolgt ist." Gabriels Herz zog sich schmerzhaft zusammen, als sich Jérôme dem Jungen näherte, seine Hand in dessen Haar schob, ihn nahe zu sich heranzog und küsste. Nach seiner Selbsteinschätzung müssten sie etwa die Farbe von Kohle haben. Es war wohl doch keine gute Idee gewesen mitzukommen, das wurde ihm jetzt klar. 'Scheiße, Jérôme, hör auf, sonst dreh ich durch', flehte er in Gedanken. Jérôme spürte ganz deutlich Gabriels Eifersucht. 'Gut so', dachte er und beschloss, noch ein wenig weiter zu gehen. "Du bist wunderschön", flüsterte er dem Jungen zu, was diesen erschauern ließ. Er spürte Gabriels Blicke wie Dolchstöße in seinem Rücken, doch das freute ihn nur auf eine unbestimmte Art und Weise. Seine Blicke und Berührungen wurden eindeutiger. Wie so oft wurde der Junge in seinem Arm zu Gabriel und sei es auch nur für wenige Augenblicke. Seine Lippen wanderten den schlanken Hals hinab bis zum Schlüsselbein während seine Hände ihn sanft streichelten. Plötzlich fing er einen verzweifelten Gedanken von Gabriel auf und hielt inne: "Hör auf, bitte!" 'Also gut, Schluss mit den Spielchen', beschloss er. Er löste sich von der samtweichen Haut und schaute fest in die Augen seines Opfers. "Hör zu…", sagte er mit einer Stimme, gegen die das ewige Eis noch warm erschien, "… wenn du noch ein paar letzte Worte hast, dann sag sie jetzt, ansonsten sag der Welt Leb wohl." Sein Gegenüber starrte ihn verwirrt an. "Was ist denn plötzlich in dich gefahren?", hauchte er. "War das alles, was du zu sagen hast?", hörte Gabriel den Vampir sagen. Seine Stimme troff nur so vor Hohn und Kälte und er erinnerte sich gut daran, wie er zum ersten Mal mit ihm gesprochen hatte. Derselbe Tonfall. Nur zu deutlich sah er Jérômes Augen vor sich, so kalt wie Eis. Anscheinend hatte auch der Junge begriffen, dass es aus war, denn ein entsetzter Schrei wollte sich aus seiner Kehle winden, wurde jedoch von einem harten, lieblosen Kuss unterdrückt. Gabriel musste wegsehen. Dieses Gesicht von Jérôme mochte er gar nicht. In solchen Augenblicken war er einfach nur der grausame Killer für den er ihn am Anfang gehalten hatte. Hätte er nicht ganz genau gewusst, dass er tief in seinem Herzen ein unheimlich netter, liebevoller Kerl war, er wäre aus Angst vor ihm davon gelaufen. Abscheu und eine tiefe innere Kälte erfüllten ihn und er zitterte. Sein Herz schlug so schnell, dass er meinte, es würde im nächsten Moment zerspringen. Ein saugendes Geräusch drang an sein Ohr. Schnell presste er die Hände über seine Ohren um es nicht hören zu müssen. Im nächsten Augenblick war alles vorbei. Gabriel lehnte an der Wand, die Augen zusammen gekniffen und die Hände über den Ohren. Eine sanfte Berührung an seiner Schulter ließ ihn zusammen fahren. Als er die Augen öffnete, trafen sich seine und Jérômes Blicke. "Ich hab dir gesagt, dass es keine gute Idee ist, denn jetzt hast du Angst vor mir", erklärte der Vampir. "Stimmt nicht, ich hab keine Angst", widersprach Gabriel wider besseren Wissens. "Es scheint grausam, ja", gab Jérôme zu und fing den Blick seines Mitbewohners ein, "doch es ist notwendig, um zu überleben. Glaub nicht, dass ich seinen Schmerz nicht teile. Ich habe mit ihm gelitten, wie ich es immer tue. Was du heute Nacht gesehen hast musst du immer im Hinterkopf behalten, wenn du vor der Kamera stehst, verstanden?" Gabriel schaffte es nur, zu nicken. Tränen liefen über sein Gesicht. Natürlich, er war eifersüchtig gewesen und er hatte gewusst, dass der Junge sterben würde, doch plötzlich hatte er solches Mitleid mit ihm, dass er nicht anders konnte, als um ihn zu weinen. "Ich hab ihn nicht getötet", sagte Jérôme leise. "Hatte keine Lust dazu. Komm, wir gehen nach Hause." Er legte beschützend einen Arm um Gabriel und gemeinsam machten sie sich auf den Weg durch die Nacht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)