Der letzte Leopard von Gela-The-Heda ================================================================================ Kapitel 1: Eines Abends ----------------------- Unter einem Baum saß eine junge Frau mit spitzen Ohren. Ihr Kleid schimmerte vom Glanz der Sonne in einem strahlenden Grün. Auf ihrem Schoß lag ein Tári, ein Katzenähnliches Geschöpf mit drei buschigen Schwänzen und einem silberschimmernden Fell. Elemmírë liebte dieses Tier. Es war ihr einziger Freund, den sie hatte. Natürlich waren alle Tiere ihre Freunde. Aber dieser Tári war ganz besonders. Es verband Elemmírë mit ihrer Familie, die es nicht mehr gab. Jedes Familienmitglied war tot. Plötzlich wurde Elemmírë gerufen. „Elemmírë! Wo bist du?“ „Ich bin hier am Maibaum.“ Ein groß gewachsener Elf kam auf sie zu. Er sah nicht sehr glücklich aus. Als er schließlich bei Elemmírë ankam, musste er einige Male tief einatmen, bis er endlich sagte, was los war. „Die Königin will dich sprechen. Es geht um Aegnor...“ „Was hat er jetzt schon wieder getan? Die Kleider der Königin angezogen?“ „Noch schlimmer! Er hat sie verbrannt.“ Elemmírë blickte den Elfen an. „Wiederhol das noch mal, Maglor! Er hat die Kleider der Königin verbrannt? Aber warum?“ „Das musst du schon selbst herausfinden. Und wenn ich es wüsste, dürfte ich es dir eh nicht sagen.“ Die junge Elfe stand auf und nahm den Tári auf den Arm. „Ja, ja! Ich weiß schon! Sag nie etwas der Unglückseligen! Bla, bla, bla...“ Mit schnellen Schritten überquerten beide die große Wiese. Zu jeder Jahreszeit grünte sie im tiefsten Grün. Abends flogen kleine Feen über die Wiese, um die letzten Pollen erhaschen zu können. Dann schimmerte es immer bläulich. Elemmírë und Maglor erreichten einen rötlich schimmernden See, den Lessien, was Feuersee übersetzt bedeutet. Die junge Elfe war die Erbin des Sees. Jeden Tag pflegte sie ihn und pflanzte rote Steine hinein. Dadurch schimmerte er so rötlich. Eine Weile blieb sie davor stehen. Dann schritt sie wieder mit Maglor zum Schloss. „Sag mal, Elemmírë, warum lässt du nicht mal deine Haare wachsen? Dauernd schneidest du sie ab. Und dann diese geflochtenen einzelnen Zöpfe...“ „Musst ja nicht hinschauen, wenn es dich stört.“ „Ich mein ja nur... dann wärest du bestimmt viel hübscher mit deinen roten Haaren.“ Elemmírë blieb stehen. „Hör zu, Maglor. Deine Schmeicheleien kannst du dir sparen. Ich höre Mitleid aus deinen Worten. Lass es lieber. Das ist so besser für mich und für dich. Verstehst du das? Jeder würde nur noch über mich lästern, was ohnehin schon jeden Tag passiert. Lass es nicht darauf ankommen, dass sie auch noch über dich lästern.“ Maglor blickte Elemmírë an. Sie hatte Recht. Wer sich mit ihr blicken ließ, konnte schon die Sprüche anderer hören. Aber was kümmerte ihn das? Ihm war es gleich, was diese hübsche Elfe an sich hatte, worüber jeder sprach. Neulich hörte er, wie eine alte Bäckerin über sie herzog. Sie meinte, Elemmírë würde mit jedem das Bett teilen und dass sie selbst in ihrer Familie nicht halt gemacht hatte. Inzucht nannte die Bäckerin dies. Wahrlich, was sich alte Tratschweiber so ausdachten. Wie sich die Elfen doch verändert hatten. „Maglor? Kommst du nun?“ „Was? Ja, ja... ich komme schon.“ Der Weg zum Schloss führte durch ein kleines Dorf, das nur aus Glas und Edelsteinen bestand. Als die Bewohner Elemmírë erblickten, liefen alle schnell in ihre Häuser und knallten die Fensterläden zu. Der jungen Elfe schien das egal zu sein. Sie würdigte kein Haus mit nur einem Blick. Sie kannte diese Situation. Am Schlosstor angekommen, öffnete die sich sofort. Das ganze Schloss bestand aus Glas. Es schien wie aus Eis gebaut zu sein. Der Glasweg ging durch einige Räume, bis die beiden an große mit Edelstein besetzten Torflügeln kamen. Ohne zu warten, öffnete Elemmírë das Tor. Maglor erschrak ein wenig, denn im Saal der Königin befanden sich nicht nur die Königin Inwë und Aegnor, sondern auch zahlreiche andere Elfen. Elemmírë ahnte, was auf sie zukam. Inwё erhob sich vom Thron. Elemmírë aber verbeugte sich nicht. Sie sah zu Aegnor, der auf das gespannt war, was nun folgen würde. „Nun, Elemmírë, schön, dass du so schnell hergekommen bist. Es geht um Aegnor.“ „Ich weiß schon. Er hat deine Kleider verbrannt. Und was soll ich jetzt machen? Meine Zauberkraft kann keine Kleider wieder beschaffen. Ich kann nur heilen.“ „Für wie einfältig hältst du mich, dass ich das nicht weiß? Ich könnte dich verbannen!“ Elemmírë schnaubte. „Auf wen würde dann Aegnor hören? Auf dich?“, sagte sie spöttisch. Die Königin blickte zornig zu der Elfe. „Ich will, dass du Aegnor bestrafst!“, raunte Inwё. „Na gut. Wenn du es willst.“ „Ich will es nicht, ich befehle es!“, murrte die Königin. Elemmírë verdrehte die Augen. „Und darum sind jetzt so viele Zeugen hier oder was? Es ist schon belustigend mit anzusehen, dass Aegnor nicht auf dich hört, sondern nur auf mich, da ich ja die scheinbar Unglückselige bin! Die verdorbene Seele meiner Familie.“ Inwё stockte der Atem. Wie kann es eine Elfe wagen, so mit ihr zu reden? Nie hätte sich das einer erlaubt! „Aegnor!“, rief Elemmírë, „Komm bitte her.“ Der junge Elf kam auf sie zu gerannt. Er ging ihr bis zu den Schultern, war aber trotzdem sehr reif für sein Alter. Seine langen braunen Haare waren zu einem Zopf geflochten und seine grünen Augen schimmerten. Die junge Elfe gab dem Elfen einen Klaps auf seinen Hinterkopf. „Mach sowas nicht noch einmal! Ist das klar?!“, fragte sie. Aegnor nickte. Elemmírë wollte mit ihm wieder gehen, doch Inwё wollte noch etwas sagen. „Die drei Leoparden werden heute Abend uns Gesellschaft leisten. Aegnor soll bis dahin Manieren haben. Du sollst auch dabei sein.“ Die drei Leoparden waren die Beschützer von Telperiёn. Gelmir, der Leopard des Wassers, Nolofinwë, der Leopard der Luft und Elrohir, der Leopard der Erde. Sie waren starke Elfenkrieger mit mächtigen Kräften. Jeder besaß die Macht eines Elements und alle gehörtem dem Hause des Leoparden an. Vor langer Zeit starb der Leopard des Feuers. Aber bis jetzt scheint er nicht wiedergeboren zu sein. „Ist das ein Befehl?“, wollte Elemmírё wissen. „Ja.“ „Dann muss ich wohl kommen. Bis heute Abend.“ Sie packte Aegnor am Arm und zog ihn mit sich. Maglor folgte den beiden. Als die drei in einen Raum waren, der weit weg von dem der Königin war, ließ Elemmírё Aegnor los. „Ich bestrafe dich nicht. Wieso sollte ich eine gute Tat bestrafen?“ Maglor klappte der Mund auf. „Was?“ Er konnte es nicht fassen. „Aber mach so etwas nie wieder! Hörst du?! Dann muss ich dich wirklich bestrafen.“ „Nein, ich mach das nicht mehr. Meine Mutter war ziemlich geschockt deswegen. Das hättest du sehen müssen, wie sie reagiert hat!“ „Aber sie ist nun mal die Königin. Auch wenn du der Sohn bist, darfst du sowas nicht machen. Das verstehst du doch“, meinte Maglor. „Misch dich nicht in unser Gespräch ein! Du bist nur ein Diener meiner Mutter!“, prustete der kleine Elf. „Aegnor! Zügle deine Zunge!“ „Ist gut...“ „So und nun müssen wir sehen, was du heute anziehst. Schließlich kommen berühmte Elfen hierher“, sagte Elemmírё. „Aber du sollst auch etwas hübsches anziehen!“, murmelte Aegnor. „Ja! Mach ich doch auch. Komm!“ Die zwei gingen durch einen kleinen Nebengang entlang. Maglor stand da und schaute hinterher. Elemmírё drehte sich um. „Willst du nicht mitkommen, Maglor? Ich könnte deine Hilfe benötigen.“ Maglor nickte und folgte wieder den beiden. Aegnors Zimmer sehr groß. Es war die Hälfte vom Königssaal. Die junge Elfe ging durch eine Tür. Maglor und der jüngere Elf blieben im Zimmer. Aegnor blickte verstohlen zu dem Krieger, der dies bemerkte, sich aber nichts anmerken ließ. Elemmírё kam zurück. In den Händen hielt sie ein hellgrünes Hemd und eine dunkelgrüne Hose. „Zieh noch deine lange braune Weste an. Und vergiss die Kette mit eurem Wappen nicht. Ach ja und bitte kein Barfuß heute. Zieh dir deine Stiefel an.“ Der Elf verschwand mit den Sachen hinter einer Parawand. Die beiden älteren Elfen standen da und sagten nichts zueinander. Hinter der Parawand ertönte Aegnors Stimme. „Elemmírë, wann heiratest du mich?“ Maglor schaute die Elfe an. Sie winkte nur ab. „Du bist mir viel zu jung.“ „Na und? Ich liebe dich.“ „Kann ich das gleiche sagen? Wohl kaum. Außerdem bin ich nicht gut genug für eine Beziehung.“ „Das ist mir egal!“ „Hör mal, Aegnor, ich bin zweihundert Jahre älter als du. Deine Mutter würde das nie zulassen.“ „Seid wann hörst du auf die Königin?“, fragte Maglor flüsternd zu Elemmírë. Sie stieß ihm den Ellenbogen in seine Rippen. Aegnor trat vor. Er sah wie ein stattlicher junger Elf aus. „Bitte, Elemmírë! Heirate mich!“, flehte er. „Nein. Ich bin nur deine Lehrerin. Und jetzt hör auf mit dem Stuss! Bereite dich auf heute Abend vor und wage es dir ja nicht, deine Mutter zu blamieren!“ Damit ging sie aus dem Raum und schlüpfte durch einige Gänge bis zu ihrem Zimmer. Es war nicht so prunkvoll wie von ihrem Schüler, aber es hatte Stil. Wie der Lessien schimmerte der Raum rötlich. Der Tári hatte es sich bereits bequem gemacht und lag auf dem Bett. Mit einem Wink öffnete sich eine Tür und ein etwas kleiner Raum mit Kleidern kam zum Vorschein. Jedoch gefiel Elemmírë kein einziges Kleid, was zu dem heutigen Anlass passen würde. Sie seufzte und setzte sich neben den Tári. „Was soll ich anziehen? Hast du vielleicht einen Vorschlag?“ Der Tári gab einen Laut von sich und drehte sich dabei auf den Rücken. „Ich kraul dich jetzt nicht. Der Abend kommt schnell.“ Da klopfte es an der Tür. „Herein!“ Ein Diener der Königin trat ein. Er übergab der Elfe ein Päckchen. „Von der Königin?“ Der Diener schüttelte den Kopf. „Von wem dann?“ „Das darf ich nicht sagen, Gnädigste. Es ist für heute Abend“, antwortete er. „Danke vielmals!“ Der Diener ging. Elemmírë öffnete das Päckchen und fand ein weißes Kleid darin. Es besaß lange Ärmel und einen tiefen Ausschnitt am Rücken. Vorne waren kleine Stickereien in einem hellroten Farbton zu sehen. Dazu lag ein Gürtel aus Satin in einem roten Farbton. Er war mit weißen Fäden bestickt. Sie konnte es zuerst nicht glauben. Wer hat ihr wohl dieses Kleid geschickt? Bestimmt war es Aegnor. Er umgarnte sie ständig. Er tat ihr leid. Er vergötterte sie regelrecht und sie liebte niemanden. Sie erwiderte nicht die gleichen Gefühle wie er. Armer Aegnor. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)