Wenn Legenden wahr werden... von Noctifera ================================================================================ Kapitel 4: 4. Traum oder Wirklichkeit? -------------------------------------- Als ich im Wohnzimmer das Licht anmachte, zuckte mein Begleiter unmerklich zusammen. Ach ja stimmt, wie war das? Vampire mögen kein Licht? Was soll’s, ich brauchte die Beleuchtung, ob sie ihn nun störte oder nicht. „Setz dich“ zeigte ich ihm auf das Sofa. „Du musst vorher aber deinen Mantel ausziehen“ Mit sichtlichen Widerwillen entledigte er sich des Kleidungsstückes und ließ sich auf die Couch nieder. Er hatte ein schwarzes Hemd an, in einem Stil, der mich in etwa an das Mittelalter erinnerte. Ich trat vor ihn und knöpfte es vorsichtig auf. Die Wunde müsste im oberen Bereich seiner Brust in der Nähe seiner rechten Schulter liegen. Als ich schließlich das Hemd aufmachen und zur Seite ziehen konnte, musste ich erstmal scharf nach Luft schnappen. Es handelte sich tatsächlich um eine ziemlich übel aussehende Wunde, die aber meine Vorstellung bei Weitem überschritt. „Du musst ja sofort ins Krankenhaus!“ war das erste, was ich aus mir brachte. „Wenn das alles ist, was du mir sagen kannst, sind wir auch schon fertig“ gab er spöttisch zurück. Doch ich muss wohl ziemlich schlimm ausgesehen haben, denn dann milderten sich seine Züge und die Stimme wurde freundlicher. „Keine Sorge, es sieht schlimmer aus, als es ist. Bei uns haben Verletzungen eine andere Bedeutung. Nur die wenigsten können wirklich gefährlich werden und außerdem heilen sie um vieles schneller, als ihr Menschen es kennt.“ „Ich dachte, Vampire sind unsterblich“ ich versuchte die Wunde vorsichtig zu untersuchen, obwohl die Aussicht, dass ich da was ausrichten könnte, ziemlich schlecht war. Es war eine blutrote Masse, die Tiefe schien zwar nicht bis zum Knochen zu reichen, aber es war nicht schwer zu erkennen, dass die Muskeln beschädigt wurden. °Das muss ihm doch höllische Schmerzen bereiten° dachte ich nicht ohne Mitleid. An der Wunde konnte man allerdings eine Art Muster erkennen, eine Spur, die Stark an Kratzer von einer Klaue erinnerte. Von einer überdimensionalen Klaue. „Unsterblich – ja, aber nicht unverwundbar. Zumindest könnte man uns bei dem, was ihr als Lebensmaß habt, wirklich als unsterblich bezeichnen. Auch wenn es natürlich Methoden gibt, einen Vampir zu töten.“ „Wer (oder eher was) hat dir das zugetragen?“ Ich stand auf und überlegte, was ich am besten für Verbandsmaterial verwenden soll. Sein Grinsen ließ mich nichts Gutes ahnen. „Tja, du lagst mit deiner Vermutung vorhin gar nicht so falsch. Es gibt tatsächlich Werwölfe, nur dass wir sie nicht als Haustiere halten.....zumindest nicht immer.......sondern sie bekämpfen. Und zwar mit allen Mitteln.“ „Dann willst du also sagen, dass das hier„ ich nickte auf die Wunde „von einem...einem Werwolf stammt?“ Die Sache wurde ja immer schöner. „Und von einem hinterhältigen noch dazu.“ Für eine Sekunde konnte ich einen Funken des Zorns in seinem Gesicht erkennen, dann aber wich es schon wieder seinem gewohnten sachlichen Ausdruck. „Ich werde die Wunde verbinden, damit du nicht mehr so viel Blut verlierst. Etwas anderes kann ich nicht machen. Ich würde dir aber trotzdem empfehlen, dich ärztlich versorgen zu lassen.“ „Bist du denn zu einem Arzt gegangen?“ Seine Augen ruhten forschend auf mir. „Ähm...nein. Aber ich wurde auch nicht von einem überdimensionalen Hund...entschuldige, Wolf, angegriffen“ ich blickte etwas unsicher „Die sehen doch wie Wölfe aus, oder?“ „Na ja, so kann man sie in etwa beschreiben“ lachte er. Ich ging ins Bad, um mein erste Hilfe-Kästchen zu holen. Beim Vorbeigehen warf ich einen Blick in den Spiegel und wurde mir plötzlich der Verrücktheit der ganzen Situation bewusst. Da sitze ich um etwa 2 Uhr morgens mit einem völlig fremden Mann im Wohnzimmer, der mir erzählt dass er ein Vampir ist, und versuche eine Verletzung zu versorgen, an der jeder anderer Mensch schon längst verblutet wäre und die angeblich von einem Werwolf zugeführt wurde. Ich lächelte. Jetzt fehlt nur noch, dass hier ein paar Engel auftauchen, dann wäre das Bild perfekt. Erst jetzt fiel mir ebenfalls auf, dass ich mit meinem Pyjama doch relativ spärlich bekleidet bin und außerdem noch ein recht amüsantes Bild abgebe. Hastig warf ich mir einen Morgenmantel (ein Glück, dass ich beim Ausverkauf damals doch zugegriffen habe) über und kehrte zurück ins Wohnzimmer. „Und du bist dir sicher, dass eine Wunde dieser Art ohne Nachfolgen verheilen wird?“ fragte ich immer noch skeptisch. „Na ja, vielleicht wird eine kleine Schramme bleiben, vielleicht auch nicht, aber es wird nicht weiter stören“ Während ich meinen „Patienten“ verband (ich fand, dass ich mir angesichts meiner nicht gerade reichhaltigen medizinischen Kenntnisse ziemliche Mühe gab) kamen wieder all die Fragen zurück, die mein Gehirn noch vor einiger Zeit überfluteten. „Wie heiß du eigentlich?“ Wie reizend mir die Bezeichnung „geheimnisvoller Fremder“ auch erschien, würde ich seiner Gestalt doch gerne eine persönlichere Note geben. „Mein Name würde dir in deiner menschlichen Sprache nicht viel sagen“ er lächelte mich von der Seite schief an „Aber du kannst mich Raphael nennen.“ Ein Lächeln huschte über meine Lippen. Ausgerechnet ein Name, bei dem mir gleich ein Erzengel einfiel. Noch verschiedener könnten die beiden ja kaum sein. „Sag mal...woher wusstest du, wo ich wohne?“ Diese Tatsache machte mir seit gestern am meisten zu schaffen. Er hob eine Augenbraue und sah mich leicht verwundert an. „Ich bin zwar ein Vampir, aber schließlich lebe ich hier und bin mit eueren menschlichen Bräuchen nicht ganz unvertraut. In der Innentasche deiner Jacke war ein Ausweis, dem Foto nach zu urteilen deiner. Und in der anderen Tasche fand ich Schlüssel. Mehr braucht man, um in eine Wohnung zu kommen, nicht, oder?“ Wären meine Hände nicht mit dem Verbandszeug beschäftigt, würde ich mir kräftig vor die Stirn schlagen. Natürlich! Mein Ausweis. Klar. Aber... „Wie bist denn heute rein gekommen? Soweit ich weiß, liegt mein Schlüssel an seiner Stelle.“ „Durch den Balkon“ „Aber...“ mein Blick fiel auf die fest verschlossene Balkontür „die Tür ist doch zu!“ Er grinste mich verschwörerisch an. „Wer sagt denn, dass sie offen sein muss?“ Ich starrte ihn ein paar Sekunden an, entschied mich dann aber, dass ich langsam aufhören sollte, mich zu wundern. „Und du heißt Selin, oder?“ „Wenn man nicht gleich annimmt, dass mein Ausweis gefälscht ist, ja“ ich grinste. „Ein ungewöhnlicher Name für diese Gegend...und Zeit“ „Ich weiß. Manchmal frage ich mich, was meine Eltern sich dabei gedacht haben und wessen Idee das war. Als Kind habe ich sie das mal gefragt und bekam irgendeine verwirrte Ausrede als Antwort. Aber an sich ist es mir auch egal.“ Der Gedanke an meine Eltern erinnerte mich an das letzte Gespräch mit meinem Vater und an meinen einsamen „Spaziergang“ durch die Straßen. „Sag mal......nicht dass es mich stören würde, aber...wieso hast du mich gerettet?“ Ob er das wirklich nur aus Ehrgefühl getan hat... „Tja...Ich habe den Kerl schön längere Zeit beobachtet.“ Ich blickte ihn verwundern an. „Es ist etwas komplizierter...Auf jedem Fall hatte ich ihn bereits im Visier und in der besagten Nacht war ich hinter ihm her. Es ist nur ein Zufall, dass du dazu gekommen bist, der Typ gehörte mir und ich habe nur meine Aufgabe erledigt. Es hat nichts mir dir persönlich zu tun, wenn du das meinst“ Sein Grinsen gewann immer mehr an spöttischem Ausdruck. Ich widerstand der Versuchung, meine Unerfahrenheit beim Verbandanlegen tatkräftig unter beweis zu stellen. „Du willst aber nicht sagen, dass wenn es jemand anders gewesen wäre, du nichts unternommen hättest?“ „Warum sollte ich mich einmischen? Ihr Menschen geht mich nichts an. Der Typ war das Einzige, was mich beschäftigte. Und außerdem...“ Er sah mich schelmisch an „...hatte ich Hunger“ Bei dem Gedanken, wie die gestrige Nacht hätte ausgehen können, lief es mir kalt den Rücken runter. „Und dennoch hast du mich nach Hause gebracht. Du hättest mich auch liegen lassen können“ „Es wäre unfair zu sagen, dass ich es nicht in Erwägung gezogen habe. Aber deine Anwesenheit beim Fund der Leiche hätte vielleicht Missverständnisse nach sich ziehen können. So wird der Fall ziemlich schnell in Vergessenheit geraten.“ Endlich fertig mit meiner Arbeit, richtete ich mich auf und betrachtete skeptisch den Verband. „So. Das sollte für eine Weile halten. Und wenn die Wunde wirklich schnell verheilt, wird es schon ausreichen.“ Er bewegte probeweise die Schulter und den Arm. „Das war zwar wirklich nicht nötig gewesen, aber...danke.“ Mit einer bestimmten Bewegung griff er nach seinem Mantel. „Na dann, ich schätze mal, wir sehen uns nicht wieder“ war das eine Spur von Erleichterung, die ich aus seiner Stimme raushörte? Ohne noch etwas zu sagen (oder vielleicht um mir keine weitere Möglichkeit zu geben, noch etwas zu fragen) machte er sich in Richtung Eingangstür auf. „Ich schätze mal, für dich waren es genug Überraschungen für eine Nacht, so nehme ich lieber den etwas herkömmlicheren Weg zu verschwinden“ grinste er mich zum Abschied noch mal an. „Und such dir in der Zukunft besser aus, wo dich rumtreibst.“ Tja, wo er Recht hat... „Danke noch mal“ war wohl alles, was ich noch sagen konnte. Die Tür fiel ins Schloss. Eine Weile stand ich noch im Flur, versunken in die verschiedensten Gedanken, die immer noch wie ein Haufen Fliegen in meinem Kopf herum schwirrten. Langsamen Schrittes ging ich dann wieder ins Zimmer zurück. °War das alles gerade wirklich passiert?° Die Stille, in die die Wohnung wieder getaucht war, legte ihren Schleier um alles Geschehene. Nur mein Erste-Hilfe-Kasten lag immer noch offen auf dem Sofa als stummer Zeuge dafür, dass nichts von dem Ganzen eine Einbildung war. °Was soll’s...° machte ich das Kofferchen gedankenverloren zu. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)