Der Bulle und der König von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 15: Bequeme Lügen ------------------------- Takashi hatte kaum mitbekommen, wie er aus eigener Kraft zurück in die Zelle gegangen war. Sein Kopf war noch immer nicht klar, im Gegenteil, Yamais Zärtlichkeit hatte ihn zusätzlich verstört. Aber nun saß er da auf seinem Futon und glotzte durch ein paar zerzauste schwarz-blonde Strähnen hindurch ein Loch in die Luft. Er wich nicht aus, als Yamai sich neben ihn setzte und ihm einen Arm um die Schulter legte. „Takashi“, begann er unbehaglich, „Ich glaub, ich bin dir eine Entschuldigung schuldig. Dass du keine Drogen verträgst, haben sie von mir.“ Takashi sah ihn kurz an, schien sich aber nicht wirklich zu kümmern. „Und ich, ich hab’s von Makoto.“ Das ließ Takashi aufhorchen. Yamai grinste innerlich. In dem Zustand konnte er ihm alles weismachen. Die guten Vorsätze, Takashi nicht länger zu quälen, waren längst vergessen. „Weißt du, wenn Makoto dich besuchen kommt, wartet er erst immer kurz an der Rezeption auf mich. Die Drogen gibt er dann mir, damit ich sie an Hebi und Matsuura weitergebe, so verdächtigst du ihn nicht. Makoto meint’s nicht so gut mit dir, wie er vielleicht tut.“ Takashi kämpfte verbissen gegen die Zweifel, die Yamai ihm da gerade einredete. Doch sein Verstand war benebelt. Verzweifelt versuchte er, das gleichgültige Grinsen zu behalten, doch es begann, immer stärker zu zucken. „Er ist dich leid“, fuhr Yamai fort, „Findest du es nicht komisch, dass er dich ohne Mätzchen verhaftet hat, nur weil Yokoyama dabei war? Normalerweise geht er doch sofort auf ihn los, anstatt wegen ihm seine Freunde zu verraten. Erinner dich mal, wie sehr Makoto Yokoyama verachtet hat! Meinst du, der war der Grund, weshalb Makoto dich verknackt hat?“ Takashi wollte sich die Ohren zuhalten, aber seine zerschundenen Hände konnten sich nicht oben halten und so musste er es sich anhören, was Yamai da über Makoto erzählte. „Überleg doch mal! Immer, wenn du ihn brauchtest, war Makoto bei Hikaru, obwohl er sich doch immer beschwert hat, wie lästig sie ist? Sie war nicht seine große Liebe, sondern seine große Ausrede, um dich im Stich zu lassen!“ Sein Verstand schrie ihn an, Yamais Worten nur ja keinen Glauben zu schenken. Leider wurde der Verstand, der noch nie Takashis stärkste Eigenschaft war, vom Kokain, das ihn noch immer von der Realität trennte, übertönt und Takashi spürte ein Ziehen in der Brust, eines, das er kannte. Er hatte es oft gespürt, wenn Makoto ihn fallen ließ. Er hatte es gespürt, als Makoto nicht darauf einging, als er ihm erzählte, dass man ihm nach dem Leben trachtete, hatte es gespürt, als Makoto, mit einem Black Angels Anhänger um den Hals, ihm seinen Beistand verweigerte. So oft und öfter, hatte Makoto ihm schon das Herz gebrochen. Um des lieben Friedens willen und um sich nicht unnötig zu quälen, hatte er diesen Schmerz immer wieder unterdrückt und sich ein Grinsen aufs Gesicht gemalt, nein, mit Nadeln festgesteckt. Yamai streckte seinen linken Arm aus und griff Takashis Kopf, um ihn an sich heran zu ziehen. Ein triumphales Grinsen breitete sich auf seinen Lippen aus, als er spürte, wie Takashi sich dieser falschen Geborgenheit überließ und sich widerstandslos weitere böse Lügen über Makoto einreden ließ. „Wenn du willst, beschütz ich dich vor ihm. Und vor allen anderen. Wir haben bisher zusammengearbeitet, er wird mir weiterhin vertrauen. Alles, was ich im Gegenzug von dir verlange, ist ein bisschen Abwechslung...“ Abwechslung, was für Abwechslung? Wie sollte er ihn „abwechseln“? Es war Takashi auch eigentlich egal, als sich eine fürchterliche Übelkeit in ihm breit machte. Hätte er nicht in Yamais Armen gelegen, wäre er wohl gestürzt, so schwindelig war ihm plötzlich. Yamai hatte es tatsächlich geschafft, fast fünfzehn Jahre inniger Freundschaft mit wenigen Worten in eine Lüge zu verwandeln und Takashi ein Gefühl völliger Verlassenheit einzuflößen. Nach seinem Vater und Jessie – und der längst abgehakten Cathy - war Yamai tatsächlich der erste Mensch, der ihn so liebevoll in den Arm genommen hat. Von Makoto konnte er eine solche Geste nicht so schnell erwarten und so gab er den Kampf um den Glauben an Makoto auf und ließ Yamai gewähren. Yamai war sein neuer – sein einziger – Freund. Yamai hoffte nur, dass diese Illusion sich nicht zusammen mit der Wirkung des Kokains verflüchtigen würde. Takashis Rache könnte sonst furchtbar sein. Der Tag verstrich schneller und aufregender als gewohnt. Im Rausch, wenn er diesen gewähren ließ, erlebte Takashi eine ganz neue Realität. Er betrachtete Yamai auf einmal von einer ganz anderen Seite: während er früher, trotz des frappanten Größenunterschieds, auf ihn herabgeschaut hatte, schaute er jetzt zu ihm empor. Er war groß, muskulös, ruhig. Außerdem sah er weiß Gott nicht schlecht aus. Yamai war alles, was ein Mann sein musste, um Geborgenheit und Kraft auszustrahlen. Zumindest sah er für Takashi nun so aus. Zwei starke Arme, die ihn daran hinderten, sich selbst zu verletzen, ein Herz, das schlug, um ihn zu beruhigen und genug Körperkraft, um ihn vor sich selbst und anderen zu schützen. Nachdem er Takashi genügend Misstrauen gegen Makoto eingeredet hatte, hatte es nicht lange gedauert, bis Takashi sich ihm völlig unterwarf und ihn mit sehnsüchtigen Augen, die einen neuen Strohhalm suchten, an den er sich klammern konnte, ansah. Er ließ sich alles gefallen, diese menschliche Nähe durfte noch so aufdringlich, noch so intim und noch so brutal sein, solange diese beiden Arme ihn nur nicht losließen. Nun lag er da, in Yamais starken Armen und seine zerschundene Hand spielte mit seinen feuchten Lippen und fühlte an der verkrusteten Wunde, die Saotome ihm am Mund zugefügt hatte. Ein seltsames aber irgendwie angenehmes Kribbeln, das er bis in die Ohren spürte, begleitete ihn schon seit Stunden. Sein Gesicht glühte, doch die Scham, von der diese Röte kam, vermischte sich mit dem Verlangen nach mehr Gründen, sich zu schämen. Yamai schien zu schlafen und auch Takashi hatte nicht vor, noch einmal aufzustehen und sich aus dieser Geborgenheit zu befreien. Ungefähr so hatte er es sich einmal mit Makoto vorgestellt: sich ihm den ganzen Tag gefügig hinzugeben um dann irgendwann in seinen Armen einzuschlafen, das war der Traum, den er immer mit viel Mühe unterdrückt hatte, wenn er mit Makoto allein war. Doch Makoto war abgehakt, Yamai war seine neue Fantasie, nein, seine neue Wirklichkeit, deren Nachgeschmack noch immer in seinem Mund klebte. Yamais linkes Bein lag schräg über ihm und war ein weiteres Argument, liegen zu bleiben. Außerdem tat ihm der Hintern wirklich grausig weh. Sechs Uhr und die Tür ging auf. Noch immer lag Takashi in Yamais Armen, von denen einer unter seinem Hemd steckte. Der Wärter verzog erst das Gesicht, grinste dann. „Na, Köter“, lachte er, „Hast ‘ne Hure gefunden, was? Lässt mich auch mal?” Yamai schien nicht ganz so tief zu schlafen, stand auf, schloss seinen Kuhstall und blieb keine zehn Zentimeter vor dem kleineren Mann stehen. „Lass deine dreckigen Finger von ihm“, knurrte er und pustete dem Wärter ins Gesicht. „Der gehört mir, kapiert?“ Der Wärter kapierte, informierte die beiden, dass es Abendessen gab und sah zu, dass er Land gewann. Yamai war ein imposanter Mensch. Takashi sah nicht, wie Yamai grinste. Es konnte ihm reichlich egal sein, wer noch alles mit Takashi schlief, AIDS hatte er wahrscheinlich sowieso schon und wenn nicht, würde er doch gehängt. Allerdings war es immer nützlich, Takashi das Gefühl zu geben, bei ihm sicher zu sein und den fehlgeprägten Welpen so an sich zu binden. Takashi schien schnell zu lernen: im Knast half Selbstständigkeit und eine große Klappe nicht, hier ließ man sich besser von Stärkeren beschützen, anstatt sie zu provozieren. Sanft stieß er Takashi an und forderte ihn auf, mit ihm essen zu gehen. Takashi lächelte verlegen und stand auf, was ihm nicht gerade leicht fiel. Yamai half ihm auf die Beine. In der Kantine angekommen, trafen sie einige seltsame Blicke. Hatte der Wärter etwas gesagt? Ein paar der Männer grinsten, als sie Takashi beim „Laufen“ zusahen. Im Gefängnis gab es nun mal kein Gleitmittel, wie viele von ihnen bereits am eigenen Leib erfahren hatten. Als Takashi sich dann aber freiwillig neben Yamai setzte und völlig sorglos sein Abendessen – kalter, ungewürzter Reis mit einem traurigen Fisch, dessen Augen ähnlich glasig waren, wie Takashis - in sich hineinschaufelte, glotzten sie ihn nur noch mit hängenden Kinnladen an. Ein ängstliches Tier frisst nicht in der Gegenwart des Feindes, das wusste jeder. Nur den Fisch ließ er liegen, als er seinen Teller zur Seite schob und mit einem Seufzer den Kopf auf die Arme legte. Yamais linker Arm streckte sich über Takashis Kopf, um den Fisch, den nur Takashi von ihm trennte, zu stibitzen und die anderen Männer sahen fassungslos zu, wie Takashi nicht einmal zuckte. „Hey, hey“, stammelte Matsuura Hebi an, „Ich dachte, der war voll auf dem Horrortrip, oder? Das is jawohl eher wie frischverliebt, oder was!“ „Du kapierst nix, was?“, zischte Hebi und fuhr sich durch das fettige Haar. „Yamai hat ihn aus dem Horrortrip rausgeholt, aber high is der Kleene immer noch. Wenn einer total fertig ist, musst du ihn nur high machen und ihm dann ein bisschen Süßholz raspeln, so kriegste fast jeden!“ „Meinst du, ich krieg den auch mal?“ „Frag Yamai, ist seine Hure!“, lachte Hebi und mehr zu sich selbst als zu Matsuura murmelte er: „Aber der is wirklich niedlich mit seinen großen Augen und den blonden Zotteln... Den will ich mir auch mal reinziehen...“ Irgendwann in der Nacht wurde Yamai von einem Husten geweckt, der nicht sein eigener war. Als seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten, konnte er Takashi erkennen, der sich mit den Armen aufstütze und sich im Bett übergab. Er bemerkte Yamai und seine Augen funkelnden ihn zornig an. Das weiße Unterhemd gab ihm etwas vom „alten“ Takashi zurück, dem „gefährlichen“ Takashi von Ikebukuro. „Alles okay?“, fragte er mit gespielter Besorgnis, „Soll ich jemanden rufen?“ „BLEIB MIR VOM LEIB!!“ brüllte Takashi ihn an und Yamai verzog alarmiert das Gesicht. War er also wieder nüchtern? „Hey hey, nur die Ruhe“, versuchte Yamai, ihn zu beschwichtigen und kroch zu ihm rüber. „Ich tu dir nichts.“ Takashi stieß seine Hand weg und sprang auf. Er war fest entschlossen, Yamai auf Distanz zu halten – oder ihn umzubringen. Er versuchte, ruhig zu bleiben, sich nichts anmerken zu lassen, aber dafür war Yamai – und er selbst, was viel schlimmer war – zu weit gegangen. Er bebte vor Wut und Ekel über sich selbst. Im Dunkeln konnte Yamai Kratzer auf Takashis Armen und Beinen erkennen, die er sich selbst zugefügt haben musste. „Ich krieg deinen Schweiß einfach nicht von mir runter“, stammelte Takashi und unterdrückte einen erneuten Brechreiz, „Ich stinke nach dir, mein eigener Mund schmeckt nach dir, wie konnte ich nur...“ „Jetzt beruhig dich mal wieder“, lachte Yamai, „Keine Droge der Welt wirkt so lange, wie du mir nur einen geblasen hast!“ Für diese Bemerkung bekam Yamai einen Tritt ins Gesicht, den er gerade noch mit dem Arm abfangen konnte. Takashi wollte das linke Bein wieder auf den Boden bringen, um diesmal mit dem Rechten anzugreifen, doch Yamai hielt ihn am Knöchel fest. „Überleg dir jetzt genau, was du tust, Takashi-chan. Wenn du dich bewegst, brichst du dir den Knöchel und dann muss ich dich nicht mehr erst zudröhnen.“ Trotzig zog Takashi seinen Fuß zurück und signalisierte seinem Gegenüber so, dass er ihn bedenkenlos loslassen konnte. Und sofort sprang er ihn an, um ihm einen Kinnhaken zu verpassen, doch auch den konnte Yamai abwehren und ehe er sich versah, lag Takashi wieder unter Yamai, der seine Hände hinter seinem Rücken festhielt. Jetzt fühlten sich die siebzig Kilo Mann auf ihm nicht mehr so gut an. „Du kannst mich nicht mehr besiegen“, lachte Yamai, „Nicht in deinem Zustand. Find dich endlich damit ab, deine Ära ist vorbei. Gute Nacht.“ Mit diesen Worten packte Yamai Takashi am Schopf und leckte ihm übers Gesicht, ehe er ihn losließ und ihm sorglos den Rücken zudrehte um sich wieder hinzulegen. Takashi blieb noch lang aufgebracht mitten in der Zelle liegen und war so damit beschäftigt, sich zu verfluchen, dass er keine Zeit mehr zum Schlafen fand. Am nächsten Morgen erschien Yamai allein zum Frühstück. Erst eine Viertelstunde später kam Takashi in die Kantine, wo er sofort von spöttischem Gelächter und gemeinen Zurufen empfangen wurde. „Schlampe“, „Arschficker“ sowieso, aber auch originellere Ausdrücke wie „Hundewichser“ und „Wärmflasche mit Wichsfüllung“ fielen. Scheinbar ungerührt winkte er ein Primo-Zeichen und nahm sein Tablett mit an einen leeren Tisch. Lustlos stocherte er im Reis herum, bekam keinen Bissen runter. Warum sollte er auch? Bald würde er eh gehängt werden. Essen war entweder Überleben oder Genuss. Kalten Reis konnte man kaum genießen und überleben musste er hier auch nicht wirklich: Makoto hatte ihn im Stich gelassen, stattdessen hatte er gestern den halben Tag lang artig für Yamai die Beine breitgemacht und sich dabei auch noch wohlgefühlt. Er hatte sich somit zum Gespött des ganzen Knasts gemacht. Er konnte hören, wie sie hinter seinem Rücken tuschelten und Yamai ausfragten, wie „die platte Schlampe“ denn so war, was „sie“ taugte, für wie viel Gramm er „sie“ vermieten würde und ob man „sie“ schlagen oder nur anlächeln musste, damit „sie“ schluckte. „Durch die Haare wuscheln reicht“, hörte er Yamai spotten und wieder schluckte er den Mageninhalt, der seinen Rachen empor kroch und teils aus Substanzen bestand, die weder in den Magen, noch in den Enddarm gehörten. Seine Hände begannen zu zittern. Ängstlich sah er sie an: war er süchtig, war dies eine Entzugserscheinung? Oder war es nur seine endlose Wut und die Erniedrigung? Erst jetzt merkte er, wie er schon die ganze Zeit ein gewisses Verlangen nach einem neuen Rausch hatte. Jetzt, wo es endlich seine Aufmerksamkeit hatte, ließ es ihn nicht mehr los und mit der Absicht, sich abzulenken, stand er auf und drehte sich zu den anderen um. Er setzte noch schnell ein falsches Lächeln auf, das er mit Gewalt auf den Lippen hielt. Er ging rüber zu dem Tisch, an dem Yamai und ein paar andere saßen, die sich gerade von ihm Takashis Schreie, Quieken, und Seufzer beim Sex nachahmen ließen und sich vor Lachen kaum halten konnten, als Yamai ihnen glaubhaft schilderte, dass Takashi zur lauten Sorte gehörte. „Oooh jaaa“, stöhnte es plötzlich theatralisch neben Yamai und ein Fuß stampfte auf dem Tisch, genauer gesagt in Yamais Reis, auf. Mit einem bösen Lächeln stand Takashi mit einem Fuß auf dem Boden und einem Fuß im Reis, neben Yamai und die fröhliche Tafelrunde verstummte. „Wie ihr seht, kann ich mich wieder ganz gut bewegen“, warnte er. Innerlich fluchte er über die starken Schmerzen, die diese Pose verursachte und hoffte, dass keine Blutflecken auf seiner Hose zu sehen waren. „Wer was von mir will, wartet lieber, bis man mir wieder das Essen vergiftet hat oder so.“ „Nanu“, tönte einer unbeeindruckt, „Yamai, hast du dir ne Domina angelacht, oder was?“ „Nein, nein“, winkte Yamai ab, „Im Gegenteil, der freut sich, wenn du ihn so richtig rannimmst!“ „Ist das so“, grinste ein anderer, der sich Takashi von hinten genähert hatte und ungeniert seinen Hintern betatschte. Eine Gänsehaut ließ Takashis Miene zucken und seine Haare richteten sich auf. „Dürfen wir ihn dir mal entwenden, Yamai?“ „Für ein achtel Gramm bläst er dir einen“, versprach Yamai, ohne Takashi um seine Meinung zu fragen. Um so überraschter war er, als Takashi, wenn auch mit einem äußerst betretenen Gesicht, sich neben Yamai auf die Bank setzte und mit zitternden Händen die Hose des Mannes griff. Es wäre auch zu untypisch, wenn Takashi einem Verlangen widerstünde. „Der ist ja voll lieb“, entzückte sich der Mann und winkte Hebi zu, „Hey, krieg ich ein Gramm Schnee?“ „Wenn ich ihn auch mal krieg, gibt’s zwei“, zischte Hebi zurück und schickte Matsuura mit einem Gramm Kokain hinüber zu Takashi. Der schüttete sofort die Hälfte davon auf den Tisch und voller Selbsthass zog er es durch die Nase ein. Er konnte nicht mehr anders, der Drang war wie damals, wenn er einen unerträglichen Heißhunger auf Zucker bekam und so lange deprimierte und auf Leute einschlug, bis er endlich etwas Süßes zwischen die Zähne bekam. Nur schlimmer. Viel schlimmer. Es fühlte sich an, als hätte man ihn in ein eisernes Korsett gesteckt, das sich immer enger zuzog und nur eine Nase voll Koks schien das Korsett noch lockern zu können. Er war nervös, aggressiv, kurz davor, den Verstand zu verlieren. Er brauchte es. Der Mann nahm Takashi am Handgelenk und verließ die Kantine. Dem Wärter, der ziemlich verdutzt darüber war, den sonst so bockigen Takashi schlaff und hängenden Hauptes an der Hand eines Fremden daherschlurfen zu sehen, sagte er, Takashi müsse sich übergeben und er brächte ihn aufs Klo. Das tat er auch. Im Klo angekommen, setzte er sich auf die Schüssel und befahl Takashi, in die Knie zu gehen. Bei Takashi fing die Droge allmählich an zu wirken und so hatte wenigstens sein Körper Lust auf diesen Gräuel. Der Mann packte ihn bei den Haaren und schüttelte ihn durch. „Jetzt mach schon, oder bin ich dir zu alt?“ Als Takashi gerade nachgeben wollte, klopfte es an die Klotür. „Aufmachen!“ „Tut mir leid, der Kleine kriegt’s nicht richtig raus!“ „Red keinen Scheiß“, rief der Wärter, dem die beiden schon am Ausgang der Kantine aufgefallen waren, „Ihr seid keine kleinen Mädchen, die zusammen aufs Klo müssen! Und wieso setzt du dich vor ihm auf das Klo, in das er kotzen soll, hä? Los, raus!“ Leise fluchend, zog der Mann sich die Hose wieder hoch. Takashi ließ er auf dem Boden sitzen. Als er über ihn stieg, stieß er ihm mit dem Knie an den Kopf, kam aber nicht auf den Gedanken, sich zu entschuldigen. Wütend drängelte er sich an dem Wärter vorbei, doch der packte ihn im Gesicht und schlug ihn rabiat mit dem Hinterkopf gegen die Tür des benachbarten Klos. „Perverse Drecksau“, knurrte Makoto und stieg über den am Boden liegenden Mann in die Klokabine, in der Takashi saß und niedergeschlagen auf den Boden schaute. „Hey, Takashi. Ich hab mich mit Saru und Kazunori unterhalten. Was die dir hier geben...“ „Kokain, na und?“, murmelte Takashi gleichgültig, „Was bringt’s dir, dass zu wissen? Hast du nichts zu tun oder kommst du deine Impotenz behandeln lassen? Das musst du über Yamai regeln, der ist ab sofort mein Zuhälter.“ „Hä?“ Takashi drehte sich zu Makoto um, ohne aufzustehen. „Die letzten Tage hab ich viel gelernt. Und ich konnte es erst überhaupt nicht glauben, aber sag mal... du kümmerst dich doch sonst nicht um Yokoyama-sans Meinung, warum hast du dich so verpflichtet gefühlt, mich zu verknacken, bloß weil der dabei war?“ Ohne ein weiteres Wort zu sagen, stand Takashi auf und ging an Makoto vorbei, dem er noch ein Primo-Zeichen zuwinkte. Makoto sah ihm fassungslos nach, wie er die Toiletten verließ und den Flur entlang zurück in die Kantine ging. Er folgte ihm heimlich und traute seinen Augen kaum, als er sah, wie Takashi, scheinbar wieder völlig high, sich mit dem Gesicht zu Yamai auf dessen Schoß setzte und Makoto über Yamais Schulter einen provokanten Blick zuwarf. „Makoto!“, rief Yamai ihm zu, „Du siehst doch, dass der nix mehr von dir will! Lass ihn in Ruhe, ich hab ihm alles über dich erzählt! Da fällt mir ein, Makoto... Hikaru und Takashi kommen beide zu mir, wenn sie von dir enttäuscht sind, ich glaub, ich könnte bald eine Anlaufstelle für von Makoto Majima enttäuschte Leute eröffnen!“ „Du eröffne nur dein Testament“, blökte Makoto ihn an und eilte zu ihm hinüber um ihn sich vorzuknüpfen, doch Takashi wollte nicht von Yamais Schoß hinuntergehen. Im Gegenteil, seine Hände strichen durch Yamais halblanges schwarzes Haar und er schmunzelte Makoto an, als wolle er sagen: du wirst hier nicht mehr gebraucht. Makotos Kinnlade hing so tief wie nie zuvor, als er das Schauspiel vor seiner Nase verfolgte. Er betete innerlich, dass das Ganze nur eine Nummer war, die Takashi da abzog und dass der Junge wusste, was er tat, dass Yamai es war, der hier veräppelt wurde. Yamai legte eine tröstende Hand auf Takashis Kopf, der sich genüsslich in diese Hand hineindrückte, wie eine Katze. Als Takashi dann auch noch begann, an Yamais Unterlippe zu knabbern, platzte Makoto der Kragen. Er machte auf dem Absatz kehrt und verließ den Saal. Das konnte er sich beim besten Willen nicht länger reinziehen, ob Takashi nun unter Drogeneinfluss handelte, oder ob er es tat, um ihn zu beleidigen, das war einfach zu viel. Er war gekommen, um ihn zum Arzt zu bringen und das Drogenproblem anzusprechen, außerdem hatte er sich für einige Dinge der Vergangenheit entschuldigen wollen. All das erschien ihm nun so wahnwitzig, so lächerlich. Als die Tür mit einem Krachen zuflog, glaubte Takashi für einen kurzen Moment, einen ähnlichen Laut in seiner linken Brust zu hören, doch er achtete nicht weiter darauf und arbeitete weiter fleißig daran, jeglichen Selbstrespekt zu verlieren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)