Der Bulle und der König von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 8: Gesellschaft ----------------------- Das einzige, das er spürte, als er unter den Armen gepackt und vom Boden hochgezerrt wurde, war, dass sein Gesicht nicht mehr auf dem kalten Steinboden lag und dass man ihn von der Tür, durch die er Makoto nicht hatte einholen können, wegbrachte. Irgendwann wurde er auf einen Stuhl gedrückt und seine Hände wurden jeweils an eines der hinteren Stuhlbeine, gerade oberhalb der Sitzfläche, gebunden. “Was hast du auf dem Flur gemacht?“ Er konnte die Stimme nur dumpf wahrnehmen. Was irgendwelches Personal ihm zu erzählen hatte, interessierte ihn im Moment nicht. Gedanklich stolperte er noch immer die Treppen hinunter, hinter Makoto her, während er in Wirklichkeit nur vor sich hinstarrte. Zwischen seinen Beinen konnte er unscharf einen dunkelgrauen Betonboden erkennen. Der Boden der Krankenstation war mit grünem Linoleum belegt, er musste wieder in irgendeiner Zelle oder zumindest einem weniger angenehmen Raum des Gefängnisgebäudes sein. Makoto war also tatsächlich gegangen und hatte ihm seinem Schicksal überlassen. „WAS DU AUF DEM FLUR VERLOREN HAST, FRAG ICH DICH!!!“ brüllte ihn die verschwommene Gestalt vor ihm erneut an. Er war Makoto hinterhergelaufen, den er kurz zuvor mit einer unmöglichen Nummer aufgebracht und vergrault hatte, für die er sich gern entschuldigt hätte, wenn er auch nicht so recht wusste, wie... und warum. „Hat deine Mutter dir nicht beigebracht, zu antworten wenn man dich was fragt?“ knurrte der Wärter ihn an und verpasste seiner rechten Gesichtshälfte einen Abdruck, der zu dem auf der Linken passte. Es tat nicht wirklich weh. Was wehtat, war, wie ihn dieser Schlag an den erinnerte, den er zuvor nicht ganz zu unrecht von Makoto kassiert hatte. Während der Wärter weiter auf ihn einredete, drohte Takashi allmählich an dem Kloß, der in seinem Hals immer dicker wurde, zu ersticken. „Na gut,“ gab der Mann irgendwann nach, „Wenn du nicht mit mir reden willst, dann schweig doch grad den Boden an, scheint dir ja Spaß zu machen!“ Er verließ den stickigen Raum und warf die Eisentür ins Schloss. Als Takashi endlich allein war und aufatmen konnte, konnte er sich nicht länger zusammenreißen und brach in Tränen aus. Hätte er die Hände nicht hinterm Rücken gefesselt gehabt, hätte er sich wohl selbst geschlagen. Was war bloß – wieder – in ihn gefahren? Warum musste er so impulsiv sein? Es hatte ihm bisher nur Ärger gebracht. Vom Rollstuhl ins Gefängnis, wo er dann seinen besten Freund ein für alle mal abgeschreckt hatte. Aber zum Einsehen von Fehlern war es nun zu spät. Aus Fehlern zu lernen, war ohnehin nie seine Stärke gewesen. Er kannte Makoto. Wenn der eingeschnappt oder wütend war, mied er den „Feind“ eine Zeit lang. Tage vergingen, Tage, in denen Takashi nichts von Makoto hörte. Apathisch ließ er sich von den Wachen herumschubsen und schikanieren, ihm war alles egal. Noch mehr als den Mord an Kyoichi, bereute er den „Mord“ an seiner Freundschaft mit Makoto. Es schien ihm alles zu entgleiten, sogar die Gedanken an Jessie und die G-Boys wurden immer blasser, immer unwichtiger. Was sollte er sich auch Sorgen um sie machen? Sie kamen schon klar, jetzt, wo er sie nicht mehr in irgendwelche krummen Dinger verwickeln konnte. Zwar hatte er einst Endanger als potentiellen Nachfolger erwähnt, doch ob der sich dieser Rolle tatsächlich würdig fühlte, war zweifelhaft. Er hatte zwar „Jawoll!“ gebrüllt, aber wer täte das nicht angesichts einer solchen Ehre? Die Ehre, einen Idioten zu vertreten... Teilnahmslos starrte er auf die nassen Kacheln vor seiner Nase, an denen das lauwarme Wasser tropfenweise hinunterlief und sich zwischen seinen Füßen im Abfluss zu einem kleinen Strudel sammelte. Der Duschraum war voll, so beachtete niemand seine klägliche Gestalt, die schon seit etwa drei Minuten bewegungslos und schlaff unterm Duschkopf stand und das Wasser auf sich niederprasseln ließ. Irgendwo im Hinterkopf erinnerte er sich daran, dass vor seiner Nase ein Block Seife lag und seine Hand steuerte lustlos darauf zu. Das glitschige Ding flutschte durch seine Finger und fiel auf den Boden, wo es ein Stück weit nach links rutschte. Noch zwei Minuten, bis er, ob eingeseift oder nicht, wieder herauszitiert werden würde. Irgendein glitschiges Objekt rammte seinen Knöchel und kaum interessiert, sah er auf den Boden, um es zu identifizieren. Es war ein Fuß. Wenige Zentimeter davon entfernt, lag das Stück Seife, das er zuvor hatte fallen lassen. Noch anderthalb Minuten. „Andoh,“ fuhr der am Boden liegende Mann ihn an, während er sich aufrappelte und erneut ausrutschte, „Findest du dich witzig, hä!?“ Takashi wusste nicht, was er darauf antworten sollte und ignorierte den Kollegen. „Ey Andoh,“ grölte es aus einer rechten hinteren Ecke, „Yamaguchi hat dich was gefragt! Ob du dich witzig findest!“ Takashi verzog das Gesicht. Noch eine Minute. Noch etwa dreißig Sekunden, bis irgendwelche Wachen die fünf nackten Männer von ihm runterzerren und sie allesamt zurück in ihre Zellen schleifen würden. Irgendwie hatte sich aus Takashis Schweigen eine Art Schlägerei ergeben, jedenfalls sah es von außen so aus. Takashi wusste nicht, wieso er sich für das Fallenlassen einer Seife hätte entschuldigen sollen und so stürzten sich kurz nacheinander Yamaguchi, Saejima, Arata, Eda und Kawada auf ihn, stolperten über ihre eigenen Füße und die der anderen, rutschten aus, kollidierten miteinander und brachen so in einem Sechs-Mann-Knäuel auf dem nassen Boden zusammen, wo sie zwar vor allem auf Takashi, aber im Chaos auch auf einander einschlugen. Hier rutschte eine nasse Faust auf einen eingeseiften Brustkorb ab, dort trat ein Fuß das eigene Gesäß. Ganz unten im menschlichen Haufen lag Takashi, erstickend, ertrinkend, zerquetscht und ohne den Bewegungsraum, den er brauchte, um kräftig ausholen zu können. Die Durchsage, die das Ende der Duschzeit ankündigte, ertönte aus wasserdichten Lautsprechern und übrig blieb Takashi, der nach Luft schnappend unter der noch immer laufenden Dusche lag. Das Wasser, das an einer Seite in seinen Mund hineinlief, lief an der anderen Seite wieder heraus und es dauerte ein wenig, bis er sich verschluckte und so endlich wieder in die Gegenwart zurückgeholt wurde. Als sein Hirn die Umgebung wieder als solche registrierte, musste er kurz grinsen. Hätte er etwas schneller reagiert, anstatt sich unter den anderen Männern begraben zu lassen, hätte er die Gelegenheit wunderbar ausnutzen können, um sich mal wieder so richtig auszutoben. Während er etwas ungeschickt aufstand, ausrutschte und mit der Schulter an die Duschmontur schlug, nahm er sich vor, in zehn Tagen, beim nächsten Duschen, wieder ein Stück Seife fallenzulassen. Noch immer unwillkürlich grinsend, betrat er den Umkleideraum, wo ein frischer Anzug auf ihn wartete. Doch auch ohne Schweißgeruch sahen die graue Hose und das graue Hemd reichlich ausgetragen aus. „Na Andoh,“ rief Yamaguchi ihm zu, „Tut das blöde Grinsen nicht langsam weh? Komm her, ich wisch’s dir von der Visage!“ „Sekunde,“ grinste Takashi und trocknete sich flüchtig ab, ehe er in die Gefängniskluft schlüpfte. Dann wandte er sich wieder Yamaguchi zu. „Tut mir leid, dass du auf meiner Seife ausgerutscht bist. Nächstes Mal treff ich höher, versprochen.“ „ANDOH!“ Und schon kam die Fortsetzung des Sechs-Mann-Knäuels, mit dem Unterschied, dass Takashi diesmal stehen blieb und die anderen fünf es waren, die auf verschiedenste Arten und Weisen mit dem Boden kollidierten. Immer wieder standen einige von ihnen auf und andere mischten sich ein, teils um auch mal irgendwo draufhauen zu können, teils, um die Streithähne auseinander zu bringen, und mit jedem Schlag, den Takashi austeilte, wurde sein Gesicht röter. Das Grinsen hatte sich bereits nach dem dritten Tritt ins Vierte Gesicht gelöst, dafür leuchteten Takashis Augen nun mit einer Wut, die er seit gut anderthalb Jahren nicht mehr verspürt hatte. Wieder ging Kawada auf ihn los, holte zum Schlag aus und konnte nur noch stöhnen, als sein Hinterkopf die Kante des Spinds traf. In seiner blinden Raserei merkte Takashi kaum, wie er irgendwann unter den Armen gepackt wurde und mit Tritten zwischen die Füße „gegangen wurde“. Auch die zwei gehässigen Augen, die ihn aus einer fernen Ecke des Umkleideraums anblitzten, bemerkte er nicht. „Was gibt das denn?“ fragte ein Wärter die zwei Kollegen, die ihm auf dem Flur mit Takashi entgegenkamen. „Andoh ist wieder mal ausgerastet,“ antwortete der Eine, „Wir bringen ihn in die Hogobozelle.“ „Schon wieder? Da war er doch vor Kurzem erst. Das Ding verliert seinen Reiz, er soll sich nicht dran gewöhnen.“ „Also zurück in die gewohnte Zelle?“ „Hmmm... Wann kommt der Chef noch mal aus dem Urlaub zurück?“ „In drei Wochen, wieso?“ „Bis dahin können wir hier also noch unseren Spaß haben,“ grinste der Mann. „Kommt mit, ich weiß, wo wir ihn unterbringen. Andoh, ich hab gehört, du liebst Gesellschaft?“ Allein am Blick konnte Takashi schon erkennen, dass der Mann alles andere als nette Gesellschaft meinte. Das Paar Augen, das Takashi zuvor in der Umkleide angeblitzt hatte, starrte gerade die graue Zellenwand an, während das zugehörige Paar Ohren die Schritte mehrerer Personen vernahm, die sich der Zelle näherten. „Chihuahua,“ rief einer der drei Wärter, „Wir haben Gesellschaft für dich, guck mal, wer hier kommt!“ „Vertragt euch,“ lachte der andere, während der Dritte Takashi in die Zelle stieß und die Tür zuschlug. Takashi kam aus dem Schweigen nicht mehr heraus. Ein anderer hätte wohl geschrieen, aber was gab es da für Takashi noch zu schreien? Die Tatsache, die da über einen Meter achtzig groß mit verschränkten Armen vor ihm stand, würde sich durch alles Geschrei nicht ändern. „Hunden sollte man nicht in die Augen starren, das scheinst du zu wissen, was, Takashi?“ „Hunde sollten vor allem ihrem Führer gehorchen.“ „Solange der seiner Rolle würdig ist, vielleicht.“ „Was heißen soll..?“ Yamai musste prusten. „Sieh dich doch mal an, sieht so ein Führer aus? Einer, der sich King nennen lässt?“ „Wie sieht ein Führer, der sich King nennen lässt, denn deiner Meinung nach aus?“ „Ganz anders.“ „Lass mich raten. Dunkelbraune Haare, schwarze Lederhose und tuntiges Lächeln?“ „Zum Beispiel. Aber den hast du ja beseitigt, hab ich gehört.“ „Tja,“ lächelte Takashi bitter, „Es reicht halt nicht, über eins-achtzig und stark zu sein. Das hab ich dir und Kyoichi schon hundert mal bewiesen.“ „Bis zum Galgen haste’s geschafft, gratuliere,“ spottete Yamai, nicht ganz zu unrecht. Takashi ignorierte diese Provokation bewusst. „Jetzt haben wir ja alle Zeit der Welt, uns auszusprechen, was, Yamai-chan?“ „Außer, dass du ab sofort nicht mehr zu tief schlafen solltest, hab ich dir nix zu sagen.“ „Doch,“ meinte Takashi, „Du hast mir nie gesagt, warum du mich mit allen Mitteln fertig machen wolltest.“ „Zwei Gründe,“ sagte Yamai und setzte sich breitbeinig auf das Futon, das an der Wand unterm Fenster lag. „Erstens: du spielst falsch. Ich hab dich offen herausgefordert und du hast gekämpft wie ein Feigling.“ „Gewonnen hab ich trotzdem.“ „Weil du angegriffen hast, als ich mich noch am vorbereiten war.“ „Tja,“ grinste Takashi schulterzuckend. „Dass man dir das übel nimmt, hättest du dir denken können.“ „Du hättest mich trotzdem besiegen können, wenn du nicht blind um dich geschlagen, sondern mal gezielt zugelangt hättest. Das reicht mir nicht als Argument, mir Drogenhandel und Geschäfte mit der Yakuza anzuhängen. Dann kommt noch der Angriff auf die Pflegerin hinzu, zu dem du Shun gezwungen hast. Das hat du auch auf unser, also auf mein Konto gehen lassen.“ Yamai lachte verbittert. „Das hatte nix mit dir zu tun, glaub mir. Kana Matsui war ihr ein Dorn im Auge und Shun musste sowieso verschwinden, weil er zu viel von ihr gesehen hat.“ „Ihr,“ wiederholte Takashi forschend, „Meinst du Hikaru-chan?“ „Genau die. Und dich konnte sie auch nicht leiden.“ „Ich brech nun mal die Herzen aller Mädchen,“ seufzte Takashi sarkastisch. „Guck mal in den Spiegel, du Idiot. Du bist der letzte, für den Hikaru sich interessieren würde! Aber du hast Makoto zu sehr beansprucht, er hat mehr Zeit mit dir verbracht, als mit ihr.“ „Hat er das?“ Takashis Miene wurde finster. „Jo, ab und zu hat der sich mal zehn Minuten freigenommen, um mich um irgendwelche Gefallen zu bitten, um mit mir über Hikaru zu reden, um mich anzuschreien, mich zu provozieren und mich zu verhaften.“ Yamai sah Takashi mit immer größeren Augen an. Der Blonde wurde immer lauter. „Stimmt schon, ab und zu hat er Hikaru kurz beiseite gelassen um mich dran zu erinnern, dass ich ihm auf den Geist gehe! Wenn hier einer auf den anderen eifersüchtig sein sollte, dann--“ Takashi stockte. Diese „uncoole“ Seite, diese Eifersucht, wollte er eigentlich allerhöchstens Makoto zeigen, aber ganz sicher nicht Yamai. „Jedenfalls,“ räusperte er sich, „Hikaru-chan hatte keinen Grund, auf mich eifersüchtig zu sein. Im Gegenteil, meistens ging’s Makoto doch drum, sich um ihre Probleme zu kümmern, wenn er zu mir kam. Und dann wurdet ihr beide endlich verhaftet, es hätte alles perfekt sein können.“ „Was soll der vorwurfsvolle Ton,“ lachte Yamai hämisch. „Du bist nicht wegen Hikaru oder mir verhaftet worden!“ Takashi verzog wütend das Gesicht und blitzte die Wand neben sich an. Er musste aussehen, wie ein schmollendes Mädchen, das sich selbst eher in die Scheiße hinein als aus ihr heraus gezetert hatte. Yamai war dumm, doch tatsächlich schaffte er es, das, was Takashi sagte, gegen ihn zu verwenden und ihn als Idioten dastehen zu lassen. Sogar Nullhirne wie Yamai waren gerissener als er, wenn es darum ging, einen Feind zu schikanieren. Und mit diesem Nullhirn musste er nun für ungewisse Zeit diese zehn Quadratmeter kleine Zelle teilen? Sie fixierten sich noch eine ganze Weile, bis Takashis Gesicht sich sehr zu Yamais Unbehagen entspannte. Was genau hatte Takashi von Yamai zu befürchten? Egal, wie Yamai ihm bisher das Leben auch schwergemacht haben mochte, meist hatte Takashi doch zuletzt gelacht – und wie. Und egal, was Yamai sich jetzt einfallen ließ – Takashi war sich sicher, er würde wieder das letzte Lachen haben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)