Cas - Die Geschichte eines Irken von abgemeldet (...der aus dem Kollektiv ausgegliedert wurde) ================================================================================ Kapitel 7: Selbstmord --------------------- Der Masri, der in diesem Inhaliergeschäft saß, war ein ganz typischer, dessen Aussehen jeder Beschreibung spottete. Segg ging geradewegs auf ihn zu, während ich mich an der gegenüberliegenden Wand positionierte, von wo ich alles im Blick hatte und selbst nicht gesehen wurde, weil es hier noch dunkler war als im übrigen Raum. Ich fühlte nach, wie die Atmosphäre war und spürte die gewohnten Wellen von Frustration, Hunger und groben Verlangen nach Blut und Rache. Würde ich über einen Sinn für das besitzen, was mir Khan in einer stundenlangen Diskussion als „Ästhetik“ zu beschreiben versuchte, etwas in seiner gesamten Struktur stimmiges, so hätte ich sie in diesem heruntergekommenen Ort des kollektiven Wahnsinns vielleicht festgestellt. Die Eindrücke, die ich durch die verschiedenen Sinne gewann, hatten alle das gleiche, abweisende Muster. Die Gefühle, die ich wahrnahm, passten zu den braunroten Krewuu-Tischen, die gedrungen wie ein Rudel Zidas im Raum standen, ihre Oberfläche so unregelmäßig wie die Gesichter der Kreaturen, die hier verkehrten. Die Wände waren einst metallisch glänzend und doch relativ warm gewesen, doch hier waren sie von einer klumpigen Schicht bedeckt, die ich lieber nicht näher definieren möchte. Ich blickte zu Segg hinüber. Anscheinend wurde er von einem benebelten vierbeinigen Rektota aufgehalten, der Geld für einen neuen Dnetwotie wollte, für ihn jedoch nicht gefährlich werden konnte, sodass ich es für besser hielt, zunächst nicht einzugreifen. Ebenso benebelt wie die Kunden war auch die Luft, sodass es mir schwer fiel, nicht über meinen Atmosphärentransmitter, der in meinem Pak integriert war, froh zu sein, der einen Großteil der unangenehmen und desorientierenden Partikel herausfilterete. Der einzige im Raum, der mich zu dieser Zeit nicht umbringen wollte, schien die Luft einige Probleme zu bereiten, da sein Energiehaushalt extrem von der Atmung abhing. Immerhin hatte er den Rektota abwimmeln können. Die wenigen Worte, die gewechselt wurden, waren auf das Nötigste beschränkt, unhöflich und oft kaum zu verstehen. Unweit von mir drängte ein Drakk an die Theke, an der er sich ein Stück hochzog, um größer zu wirken. „Flasssssszzzzu!“ Der Verkäufer ignorierte die Bestellung zunächst und fragte auf vortisch, der verbreitetesten Sprache nach irkisch, auf das man aber denkbar ungern zurückgriff: „Hasse überhaupt Kohle?“ Obwohl seine flatternde Zunge ihn eigentlich daran hätte hindern müssen, sprach die Kreatur, die feucht zu glänzen schien, recht deutlich, auch, wenn er sich sehr umgangssprachlich verständigte. Der Drakk legte den Kopf schief. Offensichtlich waren seine Sprachfertigkeiten sehr begrenzt oder sein Geisteszustand schon in mitleidenschaft gezogen. Oder beides. Dann knallte er zwei Münzen auf den Tisch und zischte. „Flassszzzuuuuu!“ Sein Gegenüber musterte kritisch die Metallplättchen und hob sie dabei in die Höhe. Meine Augen weiteten sich. Diese Kreatur versuchte, mit irkischem Geld zu handeln! Hastig warf ich einen Blick auf Segg, der in das Gespräch mit dem Masri vertieft war, dann wieder auf den Verkäufer, der nun offenbar dieselbe Erkenntnis gewonnen hatte. Ich merkte, dass mein Atem sich beschleunigt hatte. Wenn er sehr dumm war oder ein anderer das Eigentum des Irkenimperiums erkannte, konnte es zu einer Schlägerei kommen, die bei derart berauschten Kreaturen extrem ungünstig werden konnte. Ein einzelner Impuls der Unsicherheit waberte zu mir herüber, den ich nur deshalb wahrnahm, weil ich mich so auf dessen Verursacher konzentrierte. Leg sie weg...leg sie einfach weg, das wäre besser für uns...du hast doch sicher die richtigen Quellen, verkauf sie...steck sie ein, eine Schlägerei bringt dir nichts... Die Kreatur blickte nachdenklich durch den Raum und es kostete mich all meine Beherrschung, wegzublicken, damit ich ihm nicht auffiel. Nach ein paar Augenblicken spähte ich wieder zum Tresen. Ganz langsam ließ er die Münzen in seine Tasche gleiten. Dann stockte er und hob den Kopf. „Hey! YOG!“ Ich ging leicht in die Knie, bereit zum Sprint. Segg musste sehen, wie er klarkam, ich musste raus hier, sobald das I-Wort ertönte. „Gib ma das Fleausu! Hab nix mehr davon.“ Hatte ich mich eben bemühen müssen, noch nicht wegzurennen, musste ich mich nun zurück halten, dem Verkäufer an den Hals zu springen und seine Zunge auszureißen, mindestens. Während ich schnaufend dastand, nahm ich plötzlich eine Präsenz unmittelbar hinter mir wahr. Ich fuhr herum, die Monbesdawa auf halber Höhe meines Brustkorbs. „Segg! Bist du lebensmüde?!“ Ich sparte mir die Liste unzitierbarer Flüche für später auf. Ich wollte endlich hier raus. „Woher soll ich denn wissen, dass du so schreckhaft bist?“, gab Segg zurück. Dann änderte er seinen Gesichtsausdruck und eine dunkle Welle ging plötzlich von ihm aus, sodass ich fast zurück gewichen wäre. „Ich weiß, wo Khan sein müsste.“ Mit diesen Worten ging er schnell hinaus, damit wir nicht zusammen gesehen wurden. Ich wartete beunruhigt, dann ging ich hinterher. Im Gewimmel konnte ich ihn zunächst nicht ausmachen, dann stand er plötzlich vor mir. Ich ließ mich von der Menge voran schieben, bis er in einer Seitengasse verschwand. Auch ich bog ab. „Und?“, fragte ich, während auf der Hauptstraße weiterhin die Kreaturen vorüber zogen und uns nicht beachteten. Auf Leta tat man gut daran, sich nicht allzu gut umzusehen. Segg knurrte. „Vor zwei Tagen war Khan hier und hat nach einem guten Pflanzenhändler gefragt. Irgendein Mischlingswesen hat ihn zu Kubo geschickt.“ Ich zuckte zusammen. „Zu Sagd Kubo?! Bist du sicher?“ „Natürlich bin ich das!“, fuhr er mich unwirsch an. „Und das heißt, das Khan diesmal in wirklichen Schwierigkeiten ist. Im Idealfall.“ Er begann fluchend in der Gasse umherzulaufen. „Aber wir brauchen ihn! Wir verfügen über nicht halb so große Heilkräfte wie er!“ „Ihn zu retten wäre reiner Selbstmord!“ Ich stellte mich direkt vor ihn, sodass er gezwungen war, ebenfalls zu halten. „Was auf diesem Planeten ist nicht Selbstmord?“ Seine Flügel zuckten gereizt, doch nach einigen Augenblicken seufzte er resignierend. „Wenn wir uns mal vorstellen, ich würde mich tatsächlich auf dieses irrsinnige Vorhaben einlassen, welche Informationen haben wir überhaupt, die wir nutzen können?“ „Rein hypothetisch?“ „Wenn du´s so ausdrücken willst.“ „Nun gut, ich denke, wir wissen das Selbe über ihn, die kursierenden Gerüchte, auf die man sich jedoch nie voll und ganz verlassen sollte.“ „Und die wären? Spuck einfach die Datei aus und-“ „Behandle mich nicht, als wäre ich eine Maschine!“, fauchte ich, bemüht, es bei stechenden Blicken zu belassen, während Segg mich heimtückisch beobachtete. „Was war eigentlich eben los im Inhaliergeschäft?“ „Nichts, das hier von Bedeutung wäre.“ Er wartete. Ich ließ es nicht darauf ankommen und rief tatsächlich in meinem pak die Datei zu Kubo auf. „ Sagd Kubo ist einer der einflussreichsten Bewohner Letas, der über viele Handlanger verfügt und sich zur Zeit als Händler verdingt. Allerdings ist er nicht gerade für seine fairen Geschäfte bekannt. Da die Lebenserwartung auf Leta recht gering ist, zählt er zu den älteren Bewohnern. Er konnte sich in Zeiten, in denen der Planet noch nicht in den bewohnbaren Regionen so übervölkert gewesen war, ein festes Domizil erschließen, das auch heute noch als solches geduldet wird. Die Zugehörigkeit ist nicht bekannt, ebenso wenig der Grund seiner Verbannung.“ Segg nickte. „Weiter?“ Ich schloss kurz die Augen, dann fuhr ich fort: „Er ist dafür berüchtigt, jeden in seinen Keller sperren und verhungern zu lassen, der es wagt, ihm in die...Augen zu...blicken...verflucht.“ Entgeistert brach ich meinen Monolog ab. Eine von Khans unangenehmen Eigenschaften war, einem beim Sprechen direkt in die Augen zu sehen, was ihn an einem Ort wie diesem nicht unbedingt zu Beliebtheit verhalf. „Ja.“, sagte Segg düster. „Vermutlich ist das aber auch von Vorteil, denn so ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass unser werter Kollege noch lebt.“ Ich legte meine Hand an die Stirn. Was muss ich jetzt tun? Ich brauche einen Plan... Ich sollte zunächst die Basis orten. Behände stieg ich auf einen Mülleimer und stieß mich schnell wieder davon ab, bevor mein Fuß zu tief in der undefinierbaren Masse versank. Ich zog mich auf das Dach und legte mich sogleich darauf, um nicht von der Straße aus gesehen zu werden. An dieser orientierte ich mich jetzt und ließ meinen Blick suchend über die flachen, meist notdürftig reparierten Dächer des Stadtplaneten gleiten, bis er das gesuchte Objekt gefunden hatte. „Nun?“, fragte Segg, als ich wieder neben ihm auf dem Boden gelandet und dabei eine kleine Staubwolke verursacht hatte. „Es ist nicht allzu weit von hier. Bei Dunkelheit sind wir da.“ „Dann wollen wir mal.“, seufzte er. „Rein hypothetisch, natürlich.“ Bevor Segg etwas entgegnen konnte, war ich schon hinter der nächsten Biegung verschwunden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)