Verzweiflung, Trauer und ein klein wenig Hoffnung von Kyo-chi ================================================================================ Kapitel 4: Erinnerungen an dich ------------------------------- Dai lag schon einige Minuten in seinem Bett und versuchte zu schlafen. Jedoch gelang es ihm nicht. Er drehte sich immer wieder von einer Seite zur anderen, mummelte sich tiefer in die Decke, damit die Kälte nicht zu sehr an ihm riss. Denn er hatte sein Fenster offen gelassen, damit endlich einmal frische Luft in seine Wohnung kam. Nur war es Mitte Oktober und nicht gerade warm. Dazu kam, dass es eine sternklare Nacht war und diese waren ja bekanntlich noch kälter als Nächte, in denen kein Stern zu sehen war. Er drehte sich erneut um, hielt seine Augen dabei geschlossen. Am besten nicht mehr öffnen, das half sicher. Wenn er sie öffnete würde er wieder in das helle Mondlicht blicken, da er mit seinem Gesicht genau in Richtung Fenster lag. Das Licht würde ihm sicher auch nicht helfen besser zu schlafen. Eher im Gegenteil. Wahrscheinlich wäre er dann munterer, als er es jetzt gerade war und das wollte er nicht. Er wollte schlafen, einfach nur mal eine Nacht durchschlafen. Schon lange hatte er das nicht mehr gekonnt. Um genau zu sein, seit Tooru weg war. Und falls er wirklich einmal einige Stunden durchgeschlafen haben sollte, lag das meistens daran, dass er so erschöpft war, weil er die Tage und Nächte davor nur geweint hatte und nicht schlafen konnte. Also an richtigen und erholsamen Schlaf war nicht zu denken. Als er sich schließlich erneut umdrehte, versuchte er es mit Schäfchenzählen. Er stellte sie sich bildlich vor, wie sie langsam, eines nach dem anderen, über einen kleinen braunen Zaun sprangen, dabei leise Geräusche von sich gaben. Erst ein weißes Schaf, dann ein schwarzes, danach wieder ein weißes. So ging es einige Zeit lang, bis er bei dreiunddreißig ankam. Denn genau dieses Schaf war weder weiß noch schwarz. Es war gelb! Oder eher gesagt blond, wenn man von einer Haarfarbe ausging. Er schreckte auf, raufte sich kurz seine feuerroten Haare, bevor er sich wieder zurückfallen ließ und versuchte sich zu beruhigen. Jetzt dachte er schon beim Schäfchenzählen an Tooru. Wie weit war es schon mit ihm gekommen? Was hatte bitte ein Schaf, was der Sänger hatte? Blonde Haare, in diesem Fall. Aber deshalb sah ein Schaf noch lange nicht aus wie er. Er knurrte leise, doch verstummte er sofort, als er ein Geräusch vernahm. Es klang, als würde seine Haustür aufgeschlossen. Als würde jemand eintreten, irgendetwas ablegen und schließlich in einem anderen Zimmer verschwinden. Doch das konnte nicht real sein. Wer bitte sollte in seine Wohnung kommen? Niemand hatte einen Schlüssel. Nur der kleine Blonde besaß einen. Doch er konnte nicht wieder da sein. Und selbst wenn, was sollte er bitte hier? Warum sollte er zu Dai kommen? Zu demjenigen, den er noch nicht einmal erzählt hatte, wo er hingegangen war? Er stöhnte genervt auf, vergrub sich wieder tiefer in seiner Decke und versuchte nicht mehr daran zu denken. Jetzt halluzinierte er schon, oder wie sollte er sich das erklären? Niemand konnte einfach so in seine Wohnung ohne Schlüssel. Und ein Einbrecher würde nicht gerade hier einbrechen. Hier, in einem der heruntergekommensten Wohnblöcke, die es in der Gegend gab. Nicht, dass Dai es störte, dass er hier wohnen musste. Er hatte sich damals, vor gut drei Jahren, als er mit zwanzig von zu Hause ausgezogen war, diese Wohnung ausgesucht. Und das nicht, weil sie so billig war - gut, deswegen auch -, hauptsächlich wegen dem tollen Ausblick. Eigentlich hatte er sich ja vorgenommen gehabt hier auszuziehen, wenn er genügend Geld hatte, was schon nach einem Jahr der Fall gewesen war. Allerdings gab es ja noch Tooru, der die Wohnung so sehr liebte, vor allem den tollen Ausblick. Der Blondschopf war damals überglücklich gewesen, als Daisuke von zu Hause ausgezogen war. Denn Dai's Eltern konnten den Kleineren nicht leiden. Weil er eben anders war, unter Stimmungsschwankungen litt und auch Depressionen ihn ab und an heimsuchten. Ohne Daisuke's nervige Eltern, ging es dem Sänger sogar besser und er besuchte den Rotschopf fast täglich. Bei diesen Gedanken, Erinnerungen musste Dai leise seufzen. Er kannte Tooru nun seit fast vier Jahren. Er hatte ihn damals mit den anderen kennengelernt. Der Blonde saß allein auf einer Parkbank und irgendwelche Spinner fanden es lustig ihn mit allen möglichen Sachen zu bewerfen. Dreck, Müll und was sie noch so fanden. Tooru hatte sich nicht gewehrt, saß nur total verstört auf der Bank und hatte es über sich ergehen lassen. Kaoru, Toshiya und Shinya hatten nur zugesehen, doch Dai war zu ihm gegangen, hatte ihm geholfen. Schließlich hatte er ihn von dem ganzen Dreck befreit und ihn in den Arm genommen. Der Kleine hatte gezittert wie Espenlaub, obwohl es Mitte August und nicht gerade kalt gewesen war. Nachdem er sich von seinen Freunden verabschiedet hatte, hatte er ihn mit zu sich genommen, ihn etwas aufgewärmt und ausgefragt. Zwar dauerte es einige Zeit, aber irgendwann antwortete Tooru ihm, wenn es auch nicht viel war. Die war damals noch achtzehn gewesen, der Kleine gerade mal fünfzehn. Doch das hatte ihn wenig gestört und Tooru scheinbar auch nicht, denn nach einiger Zeit wurden sie beste Freunde. Er riss sich von seinen Erinnerungen los, wollte einfach nicht mehr daran denken und erhob sich, schaute sich ein wenig im Raum um. Es war wirklich recht hell. Und das verdankte er dem Mond, der mal wieder Lust hatte in seiner vollen Größe zu posieren. Dai schüttelte bei diesem irrsinnigen Gedanken den Kopf, verließ mit leisen Schritten den Raum. Es wunderte ihn, dass auf dem Flur Licht brannte. Hatte er das vorhin nicht ausgeschaltet? Er zuckte kurz mit den Schultern. Vielleicht hatte er es ja vergessen. Er verschwand im Badezimmer, stellte sich dort vor den Spiegel. Dai betrachtete sich eine Weile, wandte seinen Blick jedoch wieder ab. Er sah grausig aus. Sein Gesicht wirkte abgemagert, da er in letzter Zeit kaum etwas gegessen hatte und seine vielen Augenringe waren auch schon lange nicht mehr normal. Nachdem er noch schnell auf der Toilette war, lief er müde durch den Flur, kratzte sich am Hinterkopf. Schließlich fiel sein Blick auf einige Reisetaschen, die mitten auf dem Flur lagen. Wirklich begreifen konnte er es nicht, denn sein Gehirn war schon längst abgeschaltet und versuchte zu schlafen. Das Einzige, was er noch zu Stande brachte, war den Weg zum Wohnzimmer einzuschlagen, obwohl er eigentlich in die Küche wollte. Doch irgendetwas sagte ihm nicht dorthin zu gehen. Er lief noch einige Schritte nach vorn, schaute dann nach rechts durch die geöffnete Wohnzimmertür, genau auf eine kleine Person, die auf seiner Couch saß und rauchte. Und plötzlich fuhren seine Gedanken Achterbahn. War es möglich? Konnte es sein? Saß wirklich ER da? War er wieder zurück? War Tooru wieder da? Er musterte die Person kurz. Ohne es zu wollen, entkam ihm eine leise Frage, die nur einen einzigen Namen enthielt. „Tooru...?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)