Globetrotter von -Soul_Diver- (Wir brauchen keine Chemie, keinen Kompass, keinen Reiseführer, keine Landkarte... und kein Viagra!) ================================================================================ Kapitel 20: Oodinium Pillularis - 4 ----------------------------------- Es war unerhört. Der gepflegte graue Haarschnitt des leitenden Managers bebte förmlich vor Begeisterung, als wir zu dritt die Eingangshalle des Aufnahmestudios betraten, durch deren weitläufigen Fenster die Sonne des frühen Mittags einfiel und den gesamten Raum in weiches, ruhiges Licht tauchte. „Aaaah, hier ist ja meine Prinzessin!“, rief der sonnengebräunte Mann mit einem Lächeln, das seine gepflegten Zähne nur so blitzen ließ, und nahm Mizuki bei der Hand, „Und unsere beiden Retter in der Not hat sie auch mitgebracht! Kommen Sie, meine Herren, hier entlang, immer hier entlang! Ich bringe Sie zu unserer Diva!“ „Mit dem größten Vergnügen!“, erwiderte ich gut gelaunt, indes Kurogane nur eines seiner undefinierbaren Brummlaute hören ließ, die mich immer an einen missgelaunten Kodiakbären denken ließen, und verschränkte wohlgemut die Arme auf dem Rücken, während wir Tsuzukikatsu senior durch den Eingangsbereich in einen hohen, leicht abgedunkelten Gang folgten. Im Gegensatz zu dem Foyer entbehrte er jeglicher unnötiger Einrichtungsgegenstände, sondern beherbergte zahllose, unter schweren, schwarzen Tüchern verborgene Gerätschaften, manchmal nur faustgroß, manchmal von den Ausmaßen einer jungen Giraffe. „Arbeitsmaterial“, erläuterte Tsuzukikatsu, des Eigenlobes niemals müde, „Ausfahrbar, tragbar, und für unsere Fotografen unersetzbar. Hier bei F.I.E.S arbeiten wir nur mit den effizientesten Apparaten, um für unsere Kunden die größtmögliche Aufnahmequalität zu erzielen, was Bildschärfe und Farbenfülle anbelangt. Sie können sich äußerst glücklich schätzen, normalerweise dulden unsere Fotografen bei ihrer Arbeit nicht die geringste Unterbrechung…“ „Woran arbeiten Sie zurzeit?“, dämpfte Kurogane mit gnadenlos trockener Rationalität die Begeisterung unseres selbsternannten Führers. „Zurzeit nehmen wir an dem interkontinentalen Fotografiewettbewerb ‚Die wundersame Welt des Meeres‘ teil“, erklärte der Manager, während wir vor einer niedrigen, gebeizten Tür zum Stehen kamen und er in seinen Jacketttaschen nach dem passenden Schlüssel wühlte, „Zu diesem Zweck haben wir unser größtes Aufnahmestudio in ein Aquarium umfunktioniert und zwanzig verschiedene Arten von Meereskreaturen aus dem Kayionobannan hier einquartieren lassen, weil Fotoarbeiten auf hoher See unseren Kostenrahmen gesprengt hätte.“ „Wir haben natürlich streng darauf geachtet, jedes unserer Fotomodelle artgerecht zu halten und zu ernähren“, fügte Mizuki hinzu, „Und bisher gab es auch keinen einzigen Fall von Krankheit, bis auf…“ „Bis auf die Nemopilema“, ergänzte ich und rieb mir nachdenklich die Nase, „Nun, dann werde ich mir die Unterkunft wohl ebenfalls ansehen müssen. Ich hoffe, ich habe hierfür Ihr Einverständnis?“ „Aber natürlich, Doktor“, meinte Tsuzukikatsu mit einem weiteren zuvorkommenden Lächeln, während er die Tür aufschloss und uns durchwinkte, „Kommen Sie! Ich bin mir sicher, dass Ihnen unsere kleine submarine Ausstellung gefallen wird!“ Und das tat es auch. Kaum, dass wir hinter dem leitenden Manager die langgezogene, von kühlem Meerwasser- und Seetangduft erfüllte Galerie betraten, war ich bereits vollständig davon eingenommen. Der gesamte Boden war mit glatten, opalblau glänzenden Fliesen ausgelegt, ebenso wie die Wände, in die in regelmäßigen Abständen mächtige Aquarien eingelassen waren, in denen das Meerwasser in einem künstlichen Gezeitenrhythmus wogte und unter Saugen und Schmatzen gegen das verstärkte Glas klatschte. Ein einziges Geflecht von schillernd hellen Reflexionen tanzte an der bogenförmig geschwungenen Decke hoch über unseren Köpfen und spiegelte sich in den Fliesen und auf unseren Kleidern. Doch das war noch lange nicht das Interessanteste, denn in jedem Aquarium schwebte, tanzte, glitt und trieb eine einzige Arten- und Farbenpracht der verschiedensten Meeresbewohner. In einem Becken glitt mit geblähten Brustsegeln eine ganze Schule arcobalenischer Feuerfische an uns vorbei, deren langgezogene, geschmeidige Schuppenleiber wie lebendig gewordenes Magma glühten, während am Aquariumsboden tief tintenschwarze Gründlerwelse auf Steinen und zwischen Wasserpflanzen verborgen lagen, die schleierförmigen Flossen eng an den breiten Rücken gezogen. In einem anderen Becken jagten sich vier spielende Nixenkinder mit weißsilbrig schillernden Fischkörpern und fast hüftlangem, seidig schimmerndem Haar durch das Wasser und ließen sich vergnügt in der Tide treiben – Kurogane zerrte mich energisch weiter, als ich meine Nase an die Scheibe drückte und ihnen zuwinkte -, mächtige Tritonschnecken saugten sich gemächlich an den gläsernen Aquariumswänden entlang und stellten uns ihr farbenprächtiges Gehäuse zur Schau, Teufelsrochen zogen in anmutigem Segelflug in einem Becken ihre Bahnen, das in der Decke eingelassen war, ein Rudel speerdünner Katzenhaie mit scharf geschnittenen Brustflossen und kleinen, weißen Bärten kreuzte unseren Weg, ganze Schwärme winziger, schillernd bunter Schiffshalter tanzten ihren schwerelosen Tanz, stoben jäh auseinander und sammelten sich wieder, in einem Rhythmus, den allein sie wahrnehmen konnten. Mizuki bemerkte meine wortlose Begeisterung und lächelte flüchtig. „Es hat uns sehr viel Zeit und Mühe gekostet, unsere Modelle unbeschadet hierher zu transportieren und komfortabel unterzubringen.“ „Aber das ist Ihnen dafür auch nach Strich und Faden gelungen!“, lobte ich die blasse, junge Frau überschwänglich, „Das ist ja nahezu haarsträubend lebensecht! Wenn das schon hier so wunderbar aussieht, wie werden dann erst die Aufnahmen aussehen?“ „Wir tun, was wir können“, meinte Tsuzukikatsu mit einem werbungsreifen Lächeln, ehe er in einer grandiosen Geste die Arme ausbreiteten, „Und hier haben wir sie, unsere Divenhalle!“ Noch während er sprach, verließen wir den Gang, der nun eine langläufige, trapezförmige Halle überlief, deren Innenraum stark abgedunkelt worden war und durch ein einziges, gigantisches Aquarium fast vollständig eingenommen wurde. Und in diesem Aquarium schwebte… „Whoooow!“, rief ich impulsiv aus und musste unwillkürlich den Reflex unterdrücken, beide Arme in die Luft werfen zu wollen, „Das ist ja gigantisch!“ Ein besseres Wort konnte es einfach nicht geben, denn das gewaltige Lebewesen, das da in dem ausladenden Rund des Aquariums schwebte wie eine Königin auf ihrem Thron, war genau das. Durch die samtige Dunkelheit, die die gesamte Halle ausfüllte, war der mächtige, gelatinös durchscheinende Korpus der Tiefseequalle in einen weichen, milchig bläulichen Schimmer getaucht, der sie ganz zu überziehen schien wie eine Aura. Ausgehend von der riesenhaften, pilzförmigen Kuppel ihres Hauptschirmes über ihren fast endlos lang wirkenden, von flachen gallertartigen Auswölbungen umkränzten Magenstiel bis hinab zu den langen, fangarmartigen Tentakeln, die ihren gesamten Körper umgaben wie ein Spiel aus zahllosen transparenten Bändern, musste sie mindestens zwanzig Meter messen. Durch sanftes, wellenförmiges Zusammenziehen ihrer Schirmlippen glitt die gigantische Qualle wie in Zeitlupe durch das dunkle Becken, während sich die blütenartigen Endlappen ihrer Tentakel in einem endlosen, bizarr anzusehenden Rhythmus öffneten und wieder schlossen. Bei jedem Öffnen glommen zwischen den Endlappen winzige, aber deutlich in der Finsternis erkennbare Lichtpünktchen auf. „Biolumineszenz“, flüsterte ich meinem Begleiter zu, „Die Fähigkeit, selbst oder mithilfe eines Symbionten Licht hervorzubringen. In der Tiefsee benutzt diese Quallenart diese Eigenschaft zum Anlocken von Beutetieren. Anschließend lähmt sie ihr Opfer mithilfe des Giftes ihrer Nesselzellen und führt sie zu ihrer Mundöffnung, die sich ganz unten am Magenstiel befindet. Ist sie nicht wunderschön?“ „Hmmh“, brummte Kurogane, ohne den Blick von der Qualle abzuwenden, „Ganz schön dick.“ Selbst in der Dunkelheit konnte ich die verdutzten Blicke unserer beiden Auftraggeber spüren, und unterdrückte nur mühsam ein empörtes Aufjapsen. „Also, Kuro-nyan! Quallen wie diese sind allenfalls groß, aber doch nicht dick!“ „Ach ja?“ „Ja! Ein Bär ist dick, eine Hummel ist dick, und vielleicht ist auch ein Mensch dick, aber eine Qualle? Ich dachte, das mit dem Differenzieren hättest du schon längst drauf!“ Ein abfälliges Seufzen. „Tsss. Ich bin auch nicht dick.“ „Habe ich auch niemals behauptet!“ „Aber Sie haben gerade gesagt-…“ „Ausnahmen bestätigen nun mal die Regel!“ „Ha! Wer lässt denn jetzt wen hier nicht ausreden?“, fuhr mir Kurogane schadenfroh in die Parade. „Ich bin Arzt, ich darf das!“, verteidigte ich mich sofort, „Und das war gerade ein Oxymoron, mein Bester!“ „Häh?!! Was für’n Ochse??“ Ein dezentes Hüsteln vonseiten des leitenden Managers unterbrach uns in unserem kleinen Disput. „… Meine Herren…?“ „Aber ja doch!“, brachte ich mich schleunigst auf den Boden der Tatsachen zurück und verschränkte beflissen die Hände vor der Brust, „In Ihrem Telegramm, Tsuzukikatsu-san, haben Sie geschrieben, dass Sie mit Details erst vor Ort aufwarten würden. Wenn ich Sie nun bitten dürfte, mir diese Details zu nennen? Es würde die Untersuchungen um einiges erleichtern.“ Der Mann nickte. „Mizuki-chan?“ „Nun, einige Wochen, nachdem wir die Nemopilema hier auf dem Firmengelände untergebracht hatten, fiel uns auf, dass sie sich zunehmend weniger bewegte und auch kaum mehr etwas zu sich nahm“, erläuterte Mizuki gehorsam. „Apathie und Appetitlosigkeit“, murmelte ich und zupfte an meiner Unterlippe, um meine grauen Zellen in Gang zu bringen, „Darf ich fragen, womit Sie sie füttern?“ „Mit Lebendfutter“, erklärte die junge Frau, „Fische, Schnecken, kleinere Quallen. Wir haben uns von einem Meeresbiologen beraten lassen, wie sich diese Quallenart in freier Wildbahn ernährt, und haben uns weitgehend danach gerichtet.“ „Verstehe… aber das normale Beutefangverhalten ist noch vorhanden?“ „Ja“, erwiderte Mizuki mit einem Nicken, „Sie fängt und betäubt ihr Futter noch immer, aber der Verzehr ist seit drei Wochen bereits ausgeblieben.“ „Und haben Sie die Qualle selbst schon untersuchen lassen?“ „Nein. Das nötige Hilfsmaterial ist allerdings vorhanden.“ Ich nickte wohlgemut und dehnte meine Fingerknöchel, dass es nur so krachte. Sehr schön. Endlich wieder etwas zu tun. „Einverstanden, dann wird es mir ein Vergnügen sein, mich persönlich darum zu kümmern!“ Mein Bodyguard starrte mich von der Seite an, als wäre mir soeben ein zweiter Kopf gewachsen. „Sie wollen was?!“ „Na, in das Becken, wohin sonst?“, gab ich im lautersten Unschuldston zurück, „Solange ich die Nemopilema nicht untersucht habe, kann ich keine Diagnose anstellen!“ „Sind Sie jetzt völlig übergeschnappt?!“, wetterte Kurogane augenblicklich los, „Das Vieh wird Sie fangen und mit Gift zupumpen, sobald Sie ihr zu nahe kommen!“ Mit großen Augen sah ich zu meinem erzürnten Reisebegleiter empor. „… Du musst dir keine Sorgen um mich machen, Kuro-rin.“ Der Kopf meines älteren Gegenübers erglühte bis unter die Haarwurzeln. „Sie-…!!“, stieß er heftig hervor, blieb jedoch bereits im Anlauf stecken und wandte sich schließlich gereizt ab. Mizuki sah ihm milde irritiert dabei zu. „Es gibt einen speziellen Blocker, den man auf die Haut auftragen kann und der verhindert, dass die Nesselfäden in die Haut eindringen und das betäubende Sekret injizieren können“, erklärte sie, wie um ihn zu besänftigen, „Und wir können selbstverständlich auch eine Sauerstoffmaske zur Verfügung stellen. Flourite-san wird nichts zustoßen, haben Sie keine Angst.“ „Mmmhhh“, murmelte Kurogane nur dumpf und starrte hartnäckig in eine andere Richtung, während die Tochter des Managers sich still entfernte. „Es wird nicht lange dauern“, versicherte ich unserem Auftraggeber, indes ich mich unter seinen skeptischen Blicken bis auf die Unterhose entkleidete, „Sobald mich die Nemopilema eingefangen hat, komme ich ihr nahe genug, um eine hinreichende Untersuchung durchzuführen.“ „Haben Sie das denn schon einmal gemacht?“, erkundigte sich Tsuzukikatsu doch etwas argwöhnisch, während seine Tochter mit einer großen, gelben Tube sowie einer Tauchmaske zurückkam und mir beides sogleich überreichte. „Oh ja, während meiner Promovationszeit“, erwiderte ich fröhlich und rieb mich sorgfältig mit dem Blocker ein – eine transparent durchscheinende, jedoch wachsdicke Masse, die sich starr und zäh wie Siegellack um meine Haut schloss, „Zwar an einem etwas kleineren Exemplar, doch ich denke mal, dass ich mit diesem Kaliber auch noch zurechtkommen werde. Also dann!“, ich stemmte beide Hände unternehmungslustig in die Seite und warf beide Beine für einige Aufwärmübungen in die Luft, „Darf man sich erkundigen, wo es hier ins Becken geht?“ „Gleich da hinten ist eine Leiter für das Personal, das sich um den Wasserwechsel kümmert.“ Rasch warf der Manager einen Blick auf seine Handuhr. „… Sieht so aus, als wäre es wieder Zeit für mich. Mizuki-chan, du bleibst hier, falls die Herren eine Frage haben. Ich muss wieder zurück ins Verwaltungszentrum. Viel Erfolg Ihnen, Doktor.“ „Besten Dank!“ Ich warf meinem noch immer beleidigten Leibwächter sowie unseren beiden Auftraggebern ein neckisches Winken zu, ehe ich mich dem Aquarium näherte und mich leichtfüßig auf die metallene Leiter schwang, die hinauf zum Beckenrand führte. Tief und von dem sanften Wogen der künstlichen Tide erfüllt tat sich das Wasser vor mir auf und schloss mich in eine kühle Umarmung, als ich die Tauchmaske aufsetzte und mich mit einem Hechtsprung hineinstürzte. Myriaden winziger Luftbläschen rauschten an mir vorbei. In langsamen Schwimmzügen stieß ich mich von der gepanzerten Glaswand ab und ließ mich in die Dunkelheit des Aquariums hinabsinken. Gewaltig und von gespenstisch bläulichem Licht erfüllt wie ein mächtiger Dom empfing mich die Riesenqualle mit dem sonderbar kalten Blinken und Funkeln ihrer Tentakel. Zeit, das Opfer zu spielen. Spornstreichs supste ich eine der geöffneten, weit ausgestreckten Tentakel an, die mir entgegenwuchs wie eine Blüte aus Glas, und drehte mich mehrmals rasch um meine eigene Achse. Wenige Sekunden später lösten sich auch schon zwei der kalt leuchtenden Fangarme aus ihrer Starre und glitten langsam auf mich zu, legten sich wie in Zeitlupe um meinen Rücken und zogen mich Stück für Stück tiefer, Richtung Magenstiel. Bald schon fand ich mich an den gelatinösen, glitschig weichen Leib der gewaltigen Wasserkreatur gepresst wieder, ihre giftigen Tentakel um mich gewunden wie in einer Umarmung. Tödlich fest, und gleichzeitig auf groteske Weise zärtlich. An meinem gesamten Körper spürte ich das hauchfeine Prickeln der unzähligen, haardünnen Nesselharpunen, die wieder und wieder aus ihren Zellen herauskatapultiert wurden, um sich in meine Haut zu graben, und dabei an der dicken Blockerschicht abprallten. Dicht unter meinem Bauch konnte ich die ‚Haut‘ des Magenstiels fühlen – eine kaum mehr als fingerdicke, gallertartige Membran, die jeder noch so kleine Fisch hätte durchbeißen können. So eine gewaltige Kreatur, und gleichzeitig so zart. Verletzlich. Ich spürte mein Herz flattern und saugte tief den komprimierten Sauerstoff in meine Lungen, um mich zu konzentrieren. Vorsichtig, denn ich wollte die Magenmembran des Tieres nicht verletzen, rutschte ich um ein Weniges aus der schleimigen Umarmung der Qualle heraus, um mir die Auswölbungen ihres Magenstiels näher zu besehen – und stutzte. Der gesamte Leib der Qualle war von winzigen, kaum erkennbaren Pünktchen übersät. Gelblich-weiß und körnig wie winzige, kreisförmig angeordnete Kokosflocken hoben sie sich von ihrer transparenten Körperhülle ab. Sofort untersuchte ich die fingerdünnen Tentakeln, die sich mittlerweile um meinen Fuß gewunden hatten – sie wies keine Anomalie auf. Unruhig warf ich einen Blick zum Kopfschirm des Tiers hinauf. Gelbe Verfärbungen überall. Aus der Ferne waren sie wegen der Biolumineszenz kaum zu erkennen, doch aus der Nähe waren sie deutlich sichtbar. Apathisch, appetitlos, grießartige Sprosse und gelbliche Verfärbungen am Körper. Wenn meine Vermutung stimmte, konnte es eigentlich nur noch eins sein. Wie um mir die nötige Bestätigung einzuholen, warf ich einen Blick zu den bauchigen Wänden des Aquariums, wo Kurogane noch immer mit Mizuki stand. In der Dunkelheit konnte ich sein Gesicht nicht erkennen, doch seltsamerweise wäre es genau das gewesen, was ich mir gewünscht hätte. Ich warf hin und wieder einen Blick zum Aquarium herüber – nicht dass die Qualle den Arzt doch noch fraß. Nun – wahrscheinlich wäre es zu spät, wenn ich das bemerken würde, aber ich wollte dann zumindest aus Prinzip darauf achten, dass das nicht passierte. Der Aufstand wegen den paar Fischen eben hätte er sich ja auch sparen können, obwohl es zugegebenermaßen eindrucksvoll war, was sie hier geschaffen hatten. „Wir werden versuchen, Farbfotos zu entwickeln….“, erklärte Mizuki gerade. Farbfotos waren weitaus schwieriger, selbst schwarzweiß war schon kompliziert und eben nicht immer gestochen scharf. Und dann auch noch bei sich bewegenden Objekten… Doch die F.I.E.S-GmbH hatte da schon immer eine Menge Selbstvertrauen gehabt, weswegen sie wohl auch so erfolgreich waren. Fye untersuchte die Unterseite der Qualle, zwischen den Tentakeln, und der Blocker und auch die Maske schienen zu helfen, denn er soff weder ab, noch wurde er von der Qualle gefressen. Er schien eine Menge Spaß zu haben und sehr fasziniert zu sein, den Eindruck hatte ich zumindest. „Willst du reden?“, fragte ich Mizuki unvermittelt, da wir momentan allein in diesem Raum waren – genau genommen war das Aquarium ja ein Raum für sich allein und durch das Glas und das Wasser konnte uns Fye sicherlich nicht hören. Mizuki sah mich ein wenig überrumpelt an und stockte in ihrer Erklärung, was es für F.I.E.S. bedeuten würde, diese Fotos nicht binnen einer Woche gemacht, entwickelt und gedruckt hätten. Und sie wirkte mittlerweile nicht mehr so nervös und angespannt. „Bist du deswegen hier…?“, fragte sie leise. Ich schüttelte den Kopf. „Nein, dieses Mal ist es Zufall. Ich mach den Job von früher nicht mehr“, antwortete ich. „Aber es interessiert mich trotzdem, ob alles in Ordnung ist.“ Sie schien zu überlegen, nur ganz kurz. „Es ist alles in Ordnung“, sagte sie. „Es…es ist nicht wieder vorgekommen, seit damals…“ Ich sah sie forschend an, aber es schien zu stimmen, also nickte ich. „Das ist gut.“ „Ja, das ist es. Du hast mir sehr geholfen. Und ich konnte mich noch nicht dafür bedanken. Ich bin froh, dass ich es jetzt kann.“ Zögernd griff sie nach meiner einen Hand und drückte sie kaum merklich. „Danke.“ „Keine Ursache.“ Ein schwaches Lächeln huschte über ihr Gesicht und sie schien auf gewisse Weise erleichtert zu sein und sah weit weniger unglücklich aus – auch wenn es sich nicht unbedingt in ihrem Gesicht abzeichnete. Es war eher innerlich, und vielleicht fiel es auch nur mir auf, da man wirklich genau hinsehen musste. Und es war eher ein Fühlen als direkt ein Sehen. Ein Plätschern und ein Prusten lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf das Becken. Fye war wieder aufgetaucht und schwamm jetzt zu der Treppe, um aus dem Becken zu steigen. Und ich wusste, dass er herausgefunden hatte, an was die Qualle litt – sein zufriedenes Gesicht konnte man bereits von hier aus erkennen. Tropfend schwang er sich von der Leiter und griff nach dem Handtuch, das Mizuki bereitgelegt hatte, in das er sich einwickelte und zu uns herüber kam. „Und?“, fragte ich, als er da war. „Oodinium pillularis – die Samtkrankheit!“, sagte er und setzte seinen Lexikon-Blick auf, „Oodinium pillularis ist ein bei Zierfischen und bestimmten Arten von Salzwassertieren ziemlich häufig auftretender Erreger und ein pflanzliches Geiseltier – und das Beste kommt noch, es sind Parasiten. Das parasitäre Stadium ist im ausgewachsenen Zustand nicht mal einen Zehntelmillimeter lang. Sie setzen sich auf der Haut des Fisches fest und wandeln sich zu birnenförmigen Parasiten um und wachsen dort ziemlich schnell heran. Oodinium pillularis kann auch in das Bindegewebe eindringen und dort Entzündungen hervorrufen.“ Er drehte sich zur Qualle um und breitete schwungvoll die Arme aus. „Von hier kann man es nicht sehen, wegen der Biolumineszenz und weil sie so klein sind, aber von Nahem kann man den gelblichen Hautbelag sehen. Und wenn man genauer hinschaut, kann man sogar erkennen, dass dieser sich schon in kleine Knötchen auflöst. Die befallenen Fische scheuern sich oft an Steinen oder Blättern und haben ausgefranste Flossen – bei dieser Qualle hier sieht man es nicht so sehr, da sie sich wegen ihrer Tentakel nicht scheuern kann. Aber stellenweise hat sich die Haut schon abgelöst… ach ja, und die von Ihnen beschrieben Apathie und Appetitlosigkeit passen perfekt ins Bild, das sind zwei der klassischen Symptome. Wären mehrere Tiere in dem Becken, würde eines nach dem anderen verenden.“ Mizuki sah sehr schockiert drein. „Sie wird sterben?“, fragte sie entsetzt und sah zu der Riesenqualle, die immer noch elegant durchs Becken schwebte und alles andere als krank aussah. „Aber nein! Die Krankheit lässt sich behandeln und da sie allein in diesem Becken ist, brauchen wir auch nur sie zu behandeln“, beruhigte der Arzt die junge Frau, „Ich empfehle ein Dauerbad mit Trypaflavin – das ist ein Antiseptikum, das auch in der Humanmedizin zur Desinfektion eingesetzt wird. Ich kann nicht garantieren, dass danach die Krankheit nicht wieder ausbricht, aber ich denke, wenn Sie die Behandlung ein wenig länger als vorgeschrieben durchführen, müsste es funktionieren.“ Er legte Mizuki die Hand auf die Schulter. „Keine Sorge, das Medikament lässt sich ganz schnell und sehr einfach herstellen.“ „Dann bin ich aber froh!“, erwiderte Mizuki sichtlich erleichtert. „Die Dosierung beträgt nullkommasechs Gramm auf hundert Liter Wasser“, fuhr Fye fort, „Man mischt das Trypaflavin mit ein wenig Wasser und gibt es ins Becken – allerdings sollten Sie die Temperatur auf Dreißig Grad Celsius erhöhen, und darüber hinaus muss es mindestens zwei Wochen auf das Tier einwirken.“ Mizuki nickte. „Würden Sie uns das aufschreiben, Doktor? Dann vergisst es niemand.“ Sie schien beeindruckt zu sein, dass er das alles im Kopf hatte. Nun – zugegebenermaßen war es das ja auch. Wer merkte sich denn bitte schön solch eine Krankheit, die nur bei Fischen vorkam, wenn man nicht gerade Tierarzt war? Wobei selbst die im Lexikon nachgeschlagen hätten, vermutete ich. „Und wo bekommen wir dieses Tyr….try….“ – „Trypaflavin“, half Fye ihr freundlich nach – „J-ja, bitte entschuldigen Sie… wo bekommen wir das her?“, wollte Mizuki wissen. „In der Apotheke. Ich habe leider keines dabei, ich verwende andere Desinfektionsmittel.“ „Wie viele Liter sind denn in diesem Tank?“, mischte ich mich ein. „Tausend? Zehntausend?“ „Sogar zwanzigtausend“, sagte Mizuki. „Das war gar nicht so einfach, aber die Nemopilema braucht eine Menge Platz.“ „Dann brauchen Sie hundertzwanzig Gramm Trypaflavin, mindestens!“, meinte Fye. „Die Mindestverkaufsmenge ist meist fünf Gramm, ich denke, hundertzwanzig Gramm sind eine ungewöhnliche, aber nicht unmögliche Menge.“ Logisch – wer hatte auch schon Platz für ein Zwanzigtausend-Liter-Aquarium? „Wann wollen Sie anfangen zu behandeln?“, fragte Mizuki, als wir beim Mittagessen saßen. „Sobald das Trypaflavin eingetroffen ist“, erwiderte Fye und versuchte zum wiederholten Male die Nudeln auf dem Weg zum Mund nicht wieder von den Stäbchen zu verlieren. Er schien immer noch Probleme damit zu haben – ich wusste nicht, wie lange er schon in Uranoke Sho lebte, aber man sah deutlich dass er es nicht von Anfang an gelernt hatte, mit Stäbchen zu essen. „Es ist eigentlich gar nicht kompliziert, aber wo wir schon mal da sind, wollen wir schließlich auch was für unser Geld tun.“ Er grinste und machte eine kleine Bewegung mit den Stäbchen. Und wieder verlor er die Nudeln. Wenn das so weiter ging würde er noch beim Essen verhungern. Es war erstaunlich interessant, ihm bei seinen Versuchen zuzusehen. Solange er sich auf die Stäbchen konzentrierte klappte es ganz gut, aber nebenbei noch etwas anderes zu tun, das schien er nicht zu beherrschen. Er schien zu merken, dass mich das amüsierte, denn er sah mich anklagend an. „Lach nicht, Kuro-nyan! Du könntest das sicher auch nicht, wenn du so gut wie nie mit Stäbchen isst!“ „Mhn. Keine Ahnung. Ich kenn’s nicht anders.“ Na ja, zumindest nicht wirklich. Natürlich gab es in andern Ländern Besteck, aber damit klar zu kommen war ja auch wesentlich einfacher. Auch wenn es mir leichter fiel, Stäbchen zu benutzen. „Siehst du! Du könntest mir wenigstens helfen.“ „Was soll ich denn da groß helfen…?“ „Keine Ahnung. Gib mir eben ein paar Tipps oder so….“ Mizuki schien ein wenig irritiert über diese Diskussion aus heiterem Himmel, mischte sich aber auch nicht ein, sondern aß weiter. „Tipps?“ Ich seufzte. „Konzentrieren Sie sich aufs Essen und reden Sie nicht dabei, dann klappt das ja schon ganz gut…“ Aus welchem Grund auch immer brachte ihn das zum Lachen. „Einen Versuch ist es wert. Aber leider bin ich nicht gut darin, schweigsam zu sein. Das kannst du auch viiiiiel besser als ich!“ Wieder schwang er seine Stäbchen wie ein Dirigent seinen Taktstock. „Außerdem unterhalten wir uns immer beim Essen.“ „Wir nicht.“ „Merkt man. Aber du unterhältst dich ja sowieso kaum.“ Es klang, als ob das eine Straftat wäre. „Sie reden ja auch genug“, feuerte ich zurück. „Na, einer muss es ja tun“, meinte er melodramatisch und grinste Mizuki an. „Und deswegen habe ich diese schwere Bürde auf mich genommen.“ „Haha. Schwere Bürde…als ob….“, murrte ich. „Dann kannst du sie mir ja mal abnehmen!“ „Nein.“ „Warum nicht?“ „Weil.“ „Weil…?“ „Weil.“ „Aber!“, empörte er sich. „Das ist doch kein Argument.“ „Doch. Oder können Sie da widersprechen…?“ Ich wollte gerade ein saftiges Gegenargument zurückfeuern, als das Geräusch von eiligen Schritten auf dem Gang vor der Kantine mich aufmerken ließ, sodass ich meine Nudeln prompt erneut von den Stäbchen verlor. Es war Mizukis Vater. Allem Augenschein nach schienen die Dinge im Verwaltungszentrum für ihn sehr gut gelaufen zu sein, denn er pfiff vor sich hin wie ein Kaminfeger, als er die Kantine betrat und in langen Schritten auf unseren Tisch zusteuerte. Offensichtlich musste man auf dieser Insel einfach nur existieren, um zu jeder Uhrzeit von ihm gefunden werden zu können. „Nun, meine Herren!“, begrüßte uns der Manager mit einem breiten, zähneglitzernden Lächeln und ließ sich am Kopfende des Tisches nieder, um uns alle im Blick haben zu können – klarer Fall von Konferenzkrankheit -, „Wie stehen die Dinge? Ich hoffe doch, dass Sie für das Prachtstück unseres Projekts alles wieder ins Lot bringen können?“ „Keine Sorge, das können wir“, versicherte ich Mizukis Vater wohlgemut und gab es auf, schon wieder mit den Stäbchen nach den Nudeln pieken zu wollen, „Die Nemopilema leidet an der sogenannten Samtkrankheit, soviel ist sicher. Die Krankheit kommt nicht nur bei Zierfischen und Süßwassertieren, sondern auch bei Bewohnern des Salzwassers ziemlich oft und gern vor und wird durch einen Parasiten übertragen, Oodinium Pillularis. Am häufigsten tritt die Krankheit unter Stress und nach Transporten auf, sozusagen das maritime Burnout-Syndrom, wahahahah…! Haha…! Ha…“ Schweigen und Blinzeln von allen Seiten. Ich räusperte mich verlegen. „… Nun, um es auf den Punkt zu bringen, lässt sich diese Krankheit jedoch leicht behandeln, solange man gründlich und gewissenhaft vorgeht“, wich ich sämtlichen wissenschaftlichen Details kurzerhand galant aus, da ich schon wieder Kuroganes Blick wie zwei Hornissenstacheln in meinem Nacken spürte, „Und zwar mithilfe eines Antiseptikums namens Trypaflavin. Die Behandlung wird etwa zwei Wochen dauern, doch es wird keine negativen Nebeneffekte mit sich bringen, das versichere ich Ihnen.“ Keine Antwort. Bei dem Wort ‚Antiseptikum‘ kühlte Tsuzukikatsus joviales Lächeln um einige Grade ab. „… Antiseptikum?“, hakte er mit gerunzelten Brauen nach, „Und wo gedenken Sie dieses Antiseptikum zu besorgen, wenn ich fragen darf? Ich dachte, Sie wären wie jeder andere Auftragsarzt selbst imstande, Medikamente herzustellen, und nicht auf Apotheken angewiesen!“ „Ich bin sowohl befugt als auch in der Lage, Medikamente selbst herzustellen“, erwiderte ich, doch etwas verwundert über den plötzlichen Umschwung seiner Laune, „Aber in einem Fall wie diesem empfiehlt es sich einfach, das Arzneimittel in der Apotheke-…“ „Ach ja?“, fiel mir Tuszukikatsu verärgert ins Wort, „Und wieviel von diesem Trypsaflammin-Zeug beabsichtigen Sie zu bestellen? Allein der Name klingt ja schon schamlos teuer!“ Hinter meinem Rücken spürte ich, wie Kurogane sich in seinem Sitz aufrichtete und Mizuki betreten den Blick senkte. Aha. Daher wehte also der Wind. Es ging mal wieder – schon wieder – ums Geld. „Die Bestellung ist bereits abgeschickt“, gab ich so ungezwungen wie möglich zur Antwort, „Wenn ich Arzneien per Einschreiben bestelle, tue ich das immer bei der Igazenko-Apotheke in Yakitaito. Sie ist sehr gut sortiert und liefert auch für meine Zwecke schnell genug. Die normale Verkaufspackung enthält etwa fünf Gramm Trypaflavin, aber da das Aquarium der Nemopilema knappe zwanzigtausend Liter fasst, habe ich hundertzwanzig Gramm best-…“ „WAS?!“, fuhr der Manager der F.I.E.S.-GmBH fassungslos auf und starrte mich an, als hätte ich ihm soeben gestanden, im neunten Monat schwanger zu sein, „Hundertzwanzig Gramm?! Das sind vierundzwanzig Packungen von diesem Zeug! Wieviel wird diese Gaudi dann überhaupt kosten?!“ „Um den Daumen gerechnet etwa zweihundert Transk-…“ Wieder fuhr mir Mizukis Vater über den Mund, er ließ mich einfach nicht ausreden. So viel also zum pfeifenden Kaminfeger. „Wie bitte?!!“, bellte er mich quer über den Tisch an, „Zweihundert Transkontinental-Dollar?! Wo sind wir hier, bei der Wohlfahrt? Sie sind Auftragsarzt, Himmel nochmal! Sie könnten dieses blöde Antiseptikum problemlos selbst herstellen, aber nein, Sie müssen unser Unternehmen mit so einer wahnwitzigen Bestellung schröpfen! Haben Sie eigentlich den Verstand verloren, Sie Intelligenzbestie, Sie hirnlose?!“ „He, mäßigen Sie gefälligst Ihren Ton, kapiert?“, entgegnete Kurogane kalt und legte mir von hinten eine Hand auf die Schulter, „Er hatte nie im Sinn, Sie zu schröpfen. Er weiß genau, was er tut. Wohl schon wieder vergessen, wer hier wem einen Gefallen tut, was?“ Tsuzukikatsu wurde rot bis über beide Ohren hinauf. Man konnte ihm ansehen, dass er bereits zu einer deftigen Erwiderung ansetzte, doch der kühle, berechnende Blick meines Leibwächters genügte, damit ihm der Mund von selbst wieder zuklappte. Lähmendes Schweigen machte sich breit. Mizuki war blass geworden, jedoch war sie damit nicht die einzige. An meinem Innenohr konnte ich meinen Puls wie verrückt hüpfen hören. Kurogane schien es ebenfalls zu bemerken, denn ich konnte spüren, wie sich seine Hand leicht um meine Schulter schloss. Beruhigend. Und überraschend warm. Es irritierte mich, doch gleichzeitig lenkte es mich gerade so weit ab, dass ich das Gewirre meiner Gedanken ordnen und dem Manager ohne Vorbehalte in die Augen sehen konnte. „Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass Ihnen das Wohlbefinden Ihrer Schützlinge wichtig ist, Tsuzukikatsu-san.“ „In erster Linie ist mir das Wohlbefinden unseres Unternehmens wichtig, Doktor“, gab der Manager kühl zurück und erhob sich wieder von dem Tisch, um seine Krawatte zurecht zu rücken, „Die Wirtschaftslage ist auch ohne einen holdnaiven Medikus, der mit dem Geld anderer Leute um sich wirft, für unsere Branche schon hart genug. Es mag sein, dass die F.I.E.S.-GmBH ihren Gürtel straffer geschnallt hält als andere Unternehmen, aber dafür haben wir im Konkurrenzkampf auch die Nase vorne! Und eins sage ich Ihnen, diese Position gebe ich nicht einfach auf, nur weil Sie sich zu fein sind, sich vor den Mörser zu setzen!“ Er warf seiner Tochter einen Seitenblick zu. „Mizuki, du machst sofort diese Bestellung rückgängig. Ich bin nicht gewillt, zweihundert Transkos einfach zum Fenster hinauszuwerfen. Und sieh mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede.“ Scheu hob Mizuki den Blick und sah zu ihrem Vater empor. Für einen flüchtigen Moment glaubte ich, Angst in ihren blassen Augen lesen zu können. „… Ja, Vater.“ „Sehr gut.“ Tsuzukikatsu nickte befriedigt, ehe er sich mir wieder zuwandte. „Und an Sie stelle ich folgende Bedingungen, Doktor – entweder Sie kratzen alle Pflänzchen zusammen, die Sie brauchen und stellen dieses dumme Zeug selbst her, oder Sie packen Ihre Koffer und verschwinden. Einen zweitklassigen Stümper, der nicht einmal in der Lage ist, ein Antiseptikum zusammen zu pantschen, werde ich nicht bezahlen. Und jetzt machen Sie sich an die Arbeit.“ Ohne ein weiteres Wort verließ er die Kantine. Seine Schritte hallten wie Hammerschläge in meinen Ohren nach, während langsam aber sicher Gewissheit in mir emporkroch. Tsuzukikatsu hatte uns belogen. Er hatte uns nicht herbestellt, weil er das Schaffen der Auftragsärzte dieses Landes schätze. Er hatte gehofft, durch uns von einer unnötig hohen Rechnung verschont zu bleiben. „Alles in Ordnung?“, hörte ich unvermutet Kuroganes Stimme hinter meinem Rücken. Als ich mich umdrehte, blickten mich die zinnoberroten Augen ruhig an. „… Ja, ich denke schon“, brachte ich nach einem Augenblick der Verwunderung schließlich hervor und nickte, „Danke.“ „Wofür?“, wollte der Schwarzhaarige wissen. Ich zuckte die Achseln. „Dass du mir… Rückendeckung oder so gegeben hast. Danke.“ „Schon gut. Das ist mein Job“, erwiderte er und nahm seine Hand wieder von meiner Schulter. Ich wusste nicht wieso, doch seine Worte versetzten mir einen leisen Stich. „Und was machen wir jetzt?“, wollte Mizuki zaghaft wissen. Ohne mein willentliches Zutun stieß ich ein Seufzen aus. „… Nun, wenn wir nicht auf die Bedingung Ihres Vaters eingehen, ist damit niemandem geholfen“, stellte ich fest, „Weder uns noch Ihnen, und am allerwenigsten der Nemopilema.“ „Was bedeutet?“, hakte Kurogane mit gerunzelter Stirn nach. „Dass wir die Dinge in die Hand nehmen“, erwiderte ich schon etwas bestimmter, „Ich ertrage ja so manches, aber von einem aufgeblasenen Profitwichtel als zweitklassiger Stümper beschimpft zu werden? Nie, chéri.“ Ich nickte der blassen jungen Frau zu. „Machen Sie die Bestellung rückgängig, Mizuki-san. Und wir kümmern uns in der Zwischenzeit darum, dass alles in die Wege geleitet wird.“ „Und wie wollen Sie das anstellen?“, wollte mein Leibwächter nüchtern wissen, „Etwa auf dieser Insel nach Heilpflanzen suchen?“ Ich spürte, wie das Lächeln auf meine Lippen zurückkehrte, und schüttelte den Kopf. „Oh nein, mein Bester. Sie vergessen, dass wir nicht allein sind.“ Fragend sahen mir Kurogane und Mizuki dabei zu, wie ich in den weiten Taschen meiner hellen Hosen herumkramte, bis ich schließlich fand, was ich gesucht hatte. Unser Funktelefon. Mit einem neckischen Grinsen wedelte ich damit vor Kuroganes Nase herum. „Was meinen Sie? Wollen wir unsere gefiederte Freundin anrufen?“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)