The waves of time von MorgainePendragon (Eine Geschichte von Liebe, Schmerz und Tod. Und von Wiedergeburt…) ================================================================================ Kapitel 10: Trinity - Past, present & future -------------------------------------------- Die folgenden viel zu kurzen Wochen waren wie ein wunderschöner Traum. Während es draußen immer kälter wurde brannte das Feuer in mir immer heller und wärmer. Noch nie zuvor in meinem Leben war ich so erfüllt, so glücklich gewesen. Was er mir schenkte war mit Worten nicht zu beschreiben. Es war so viel größer als es Worte je sein konnten. Allumfassender und tiefer als der Ozean. Ich verlor mich in ihm ohne mich dabei selbst aus den Augen zu lassen, immerzu erstaunt darüber, wie ich reagierte oder was ich und wie ich es empfand. Es war sehr interessant mich selbst zu beobachten. So kannte ich mich gar nicht. Alles war so schnell gegangen und doch hatte ich keinerlei Zweifel an der Aufrichtigkeit und Tiefe unserer Gefühle zueinander. Wir ergänzten uns, schenkten uns Trost und leidenschaftliche Liebe. Ich wollte ihn niemals wieder gehen lassen. Doch im innersten meiner Seele war mir von Anfang an klar gewesen, dass es auch wirklich nichts anderes war als dies: Ein Traum. Und aus jedem Traum muss man irgendwann einmal wieder aufwachen. Es kam nun immer häufiger vor dass ich bei Kenshin übernachtete. Natürlich fiel das nicht nur Gladys auf, die mit mir ein Zimmer teilte, sondern auch den anderen Kommilitoninnen, mit denen ich sonst öfter zu tun hatte. Ich gebe zu, ich vernachlässigte auch meine Studien, gab mich völlig meiner Liebe hin. Gladys selbst feixte zwar und ließ nicht eine Gelegenheit aus mich damit aufzuziehen, aber sie genoss es auch – konnte sie so doch immer häufiger mit Mei Lin gemeinsam die Nacht verbringen. Wir arrangierten uns. Und es war in Ordnung. Von mir aus hätte dieser Herbst niemals enden können. Von mir aus hätte er auch niemals in den Winter übergehen sollen. Ich war so glücklich und wollte den Moment mit beiden Armen umschließen, ihn festhalten und einfrieren lassen in der Zeit. Und Kenshin? Wir redeten so viel in jener Zeit. Noch nie hatte ich mich mit einem Menschen so austauschen können, noch nie zuvor so sehr ich selbst sein können. Ich blühte auf. Ich denke, auch wenn er über Gefühle nicht allzu gerne sprach so konnte ich dennoch deutlich spüren, dass er ebenso tief empfand wie ich. Und ich FÜHLTE es auch. In jeder seiner Berührungen, wann immer wir uns liebten. Ich hatte den Eindruck, dass er glücklich war. Für eine kurze Zeit war es also auch dem Wanderer vergönnt zu rasten und Glück zu empfinden. Dass dies nur an mir lag konnte ich mir nicht vorstellen. Der Gedanke kam mir absurd vor. Ich räumte ein, dass ich einen Teil dazu beitrug – aber ich denke, dass er zu jener Zeit damit begann sich selbst endlich und wirklich zu vergeben. Und dies ermöglichte es ihm die Vergangenheit loszulassen und in der Gegenwart aufzugehen. Ich genoss es ihm dabei zuzusehen. Und liebte ihn nur noch inniger. Kenshin trainierte viel. Seine Art des Schwertkampfes glich einem zeitlosen und unendlich formvollendeten Tanz, tödlich und doch faszinierend schön. Wenn ich morgens aufwachte in jener Hütte im Wald, dann war er manches Mal bereits aufgestanden und trainierte draußen auf der Lichtung. Ich liebte es mich dann in die Decke zu kuscheln und mich auf die Stufen vor dem Haus zu setzen, um ihm zuzusehen. An klaren, wunderbar hellen Herbsttagen, die zwar kalt aber geradezu leuchtend daherkamen, konnte ich seinen und meinen Atem als leichte Dunstwolken vor unseren Gesichtern aufsteigen sehen. Die Morgensonne strahlte durch das bunte Herbstlaub, das vereinzelt noch an den Bäumen hing, jedoch größtenteils wie ein leuchtender Reigen im Wind um uns herum zu Boden ging. Und Kenshin tanzte. Seine Bewegungen erinnerten mich an die Biegsam- und Geschmeidigkeit seines Körpers während des Liebesspiels – und ich erschauerte jedes Mal, völlig ergriffen von dem was ich sah. Trotz der Kälte trug er meist nicht mehr als seine Hakama. Er schwitzte und feinste Schweißperlen glitzerten in der orangefarbenen Morgensonne, wenn er sich wirbelnd um sich selbst drehte; sein langes, dunkelrot schimmerndes Haar folgte getreulich jeder seiner Bewegungen. Das Spiel der schmalen Muskeln unter seiner Haut wurde durch die Schatten deutlich, die die letzten wärmenden Sonnenstrahlen des Jahres auf seinen Körper warfen und wandern ließen. Er atmete jedoch nicht wirklich schneller. Für ihn war das Training auch Entspannung. Die blanke Schwertklinge des Sakabatou fing die Lichtstrahlen blendend ein und warf sie zurück. Er ließ die Waffe um sich kreisen, ließ sie über seinen Kopf wirbeln, griff an und parierte. Die Art wie er das Schwert zog, blitzschnell und unendlich präzise, ließ mich schwindeln. Er verneigte sich jedes Mal ehrerbietig vor dem nicht vorhandenen Gegner, wenn er sein Training aufnahm oder es beendete. Manches Mal ging er auch seinen Tai-Chi-Übungen nach. Dies war nun wirklich unglaublich anziehend und erotisch zu beobachten. Die langsamen, grazilen Bewegungen, die konzentriert geschlossenen Augen wenn er die Hände, ineinander gelegt, langsam voranstreckte und tief aus- und einatmete, wie er leicht in die Hocke ging und sich in ihr drehte, sich erhob, die Arme streckte und auf einem Bein stehend ausbalancierte… Es war so unendlich schön. ER war so unendlich schön. Ab und zu überredete er mich dazu mitzumachen. Es fiel mir jedes Mal unendlich schwer mich zu konzentrieren. Aber ich hatte einen geduldigen Lehrmeister. In jeder Hinsicht. Das Sakabatou in den Händen zu halten war ein sehr merkwürdiges Gefühl für mich. Doch ich wusste, mit diesem Schwert hatte er noch nie ein Leben genommen. Er hatte nur Leben geschützt. Und ich hatte keine Skrupel es zu führen. Das Katana war wunderschön. Es lag schwer in meinen Händen. Wenn ich es nicht richtig hielt trat Kenshin vorsichtig hinter mich, griff mit beiden Armen um mich herum und zeigte mir, wie ich es richtig machen musste. Dabei sah er mir über die Schulter und ich konnte seinen warmen Atem einmal mehr in meinem Nacken spüren. Wenn er mir so nah war konnte ich nicht mehr denken. Dann war alles unwichtig außer ihm. Nicht selten kam es dann vor, dass das Training ein abruptes Ende fand und wir einander küssten. Manchmal liebten wir uns dann mitten auf der Lichtung, der weite Himmel überspannte uns und der Wind umschmeichelte unsere aneinander geschmiegten Körper. Dann spürte ich die Kühle des Herbstes nicht mehr. Das Schwert bedeutete alles für Kenshin. Eines Abends saßen wir wieder einmal eng umschlungen am Feuer in seiner Hütte. Der Tag war kühl und leicht regnerisch gewesen und wir hatten ihn größtenteils drinnen und damit verbracht, Kalligrafien anzufertigen. Es war faszinierend ihm beim Zeichnen und Malen der wunderbar künstlerischen Schriftzeichen zuzusehen. Lachend hatte er mir erklärt, dass er früher eine sehr furchtbare Handschrift gehabt hatte, was seine Freunde auch nie müde wurden zu betonen. Doch über all die Jahre seiner ruhelosen Wanderschaft durch die Zeiten hatte er auch dies nun endlich zur Perfektion gebracht. Ich konnte es sehen. Die Schriftzeichen waren wunderschön und sehr geheimnisvoll. Sie flüsterten mir zu, erzählten mir Geschichten aus ferner Zeit und es gab auch nicht eines das dem anderen glich. Ein jedes war ein kleines Kunstwerk für sich. Er brachte es mir bei. Mit großer Freude beobachtete ich an mir, wie ich diese Art der Kunst verinnerlichte und auch tatsächlich umsetzen konnte. Ich war vielleicht ein hoffnungsloser Fall im Schwertkampf. Aber Kalligrafie lag mir. Das mochte auch an meinem ohnehin vorhandenen Zeichentalent liegen. Ich hatte mich auch an diesem Abend einfach nicht satt sehen können an der so leicht aussehenden, schwungvollen Bewegung seines Handgelenks, wenn er den Pinsel über das Papier gleiten ließ. Konzentriert hatte er sich vorgebeugt, sein langes, weiches Haar war ihm nach vorn über die Schulter gefallen. Zärtlich hatte ich es zurückgestrichen, damit es ihn nicht beim Zeichnen behinderte. Das Feuer der Herdstelle ließ eine Hälfte seines Gesichtes strahlen, die andere lag im Schatten. Nur die Augen funkelten gleichermaßen hell und wachsam. Er hatte die Eigenart manchmal die Unterlippe zwischen die Zähne zu nehmen, wenn er so konzentriert arbeitete. Ich liebte das. Mein Herz zog sich zusammen und Zärtlichkeit schien mich jedes Mal zu überrollen, wenn ich dies sah. Ich hatte mich leicht an ihn gelehnt und zugeschaut wie er malte, hatte meine Hand sanft über seinen Rücken gleiten lassen und sanfte Küsse in seinen Nacken und sein Haar gehaucht, bis er seine Arbeit einstellte und zu mir kam. Auch an jenem Abend hatten wir uns wieder geliebt und saßen nun zusammen. Ich blickte hinüber zu seinem Sakabatou, das auf einem eigens für es angefertigten Schwertständer ruhte. Es stand am Kopfende seines ausgerollten Futon und das Licht der Flammen fing sich matt im Stichblatt. Kenshins Blick folgte dem meinen. „Unsere Schwerter hatten einst große Macht.“, sagte er leise. Ich liebte es sehr, seiner weichen, dunklen Stimme zu folgen, was auch immer er mir erzählen mochte. Geschichten aus seiner Heimat ließen mich oft Zeit und auch Raum vergessen und ich war dort. Fasziniert legte ich den Kopf zur Seite und lauschte. Er berührte kurz mit den Lippen meinen Nacken, dann mein Ohr, bevor er fortfuhr: „Sie eigneten sich dazu böse Geister zu bannen. Beim Tode eines Samurai wurden seine Schwerter an seinem Lager aufgebahrt und auch bei der Geburt eines Kindes hatten sie immer ihren Platz im Zimmer. Schwerter wehrten die bösen Geister ab, welche Sicherheit und Glück der verstorbenen oder ankommenden Seele bedrohen konnten. Man sagt auch heute noch, dass die Dämonen, wenn man die Waffe den bösen Mächten entgegenhält, sich diese wie in einem Spiegel in seiner Klinge sehen und die Flucht ergreifen.“ Ich schwieg. Das klang mysteriös, zugleich aber auch schön und irgendwie tröstlich. Ich kuschelte mich in seine Arme. Ich konnte nicht wissen, dass diesen Worten auch für mich selbst so viel mehr Bedeutung beiwohnte, als ich es mir je hätte vorstellen können. *** In jener Nacht hatte ich einen Traum. Zumindest war mir im Nachhinein klar, dass dies ein Traum gewesen sein musste, auch wenn er auf mich sehr realistisch wirkte. Ich befand mich auf einer von dutzenden Kirschbäumen gesäumten Allee. Die Bäume standen in voller Blüte und um mich herum gingen tausende und abertausende von zart rosafarbenen Blättern hernieder, die von einem sanften, warmen Wind auseinandergetrieben wurden. Zu meiner Rechten erkannte ich eine niedrige, weiße Stadtmauer, gesäumt von dunklen Ziegeln. Zur Linken konnte ich das Glitzern eines Baches ausmachen, der sich durch grünes Gras wand. Überall lagen die Blüten und alles glich einem Meer aus hellrosafarbenem Schnee. Doch ich fror nicht. Ich fühlte mich geborgen. Ich fühlte mich… daheim. Es war ein sehr seltsames und zugleich doch beruhigendes Gefühl. Ich war zu Hause. Nirgendwo wollte ich lieber sein als hier. Doch irgendetwas… fehlte. Teilweise war das Treiben der Blütenblätter im Wind so dicht, dass ich kaum noch etwas erkennen konnte, das weiter entfernt als eine Armspanne war. Doch dann… ganz plötzlich… glaubte ich in all dem Durcheinander vor mir eine Gestalt zu erkennen. Sie war schlank, beinahe zierlich, und schien bei jedem Schritt zu wanken, als würde sie gleich fallen und so schwach sein, dass sie kaum laufen konnte. Die Gestalt kam näher, wurde deutlicher. Und mit einem Mal wusste ich, was mir gefehlt hatte. Wie hatte ich es auch nur eine Sekunde lang vergessen können? Ich breitete die Arme aus. ‚Mein Liebster! Mein Geliebter ich bin hier, ich warte auf dich! Schon so lange warte ich auf dich!’ Kenshin. Es war ganz eindeutig Kenshin, der dort auf mich zukam. Doch wie sah er aus… Mein Herz weinte und schrie. Er war unendlich blass. Sein Körper bandagiert. Seine Schritte waren fahrig und schwach und er taumelte, als würde er bei jedem weiteren Schmerzen empfinden. Seine Augen blickten stumpf und voller Qual. Und doch konnte ich auch die Sehnsucht in ihnen erkennen, die ihn immer noch weiter vorantrieb. Sein einst wunderschönes, kastanienfarben schimmerndes Haar lag matt, glanzlos und feucht an seinem fiebernden Körper. Er hustete. Jetzt war er ganz nah. Ich streckte die Arme nach ihm aus um ihn aufzufangen, ihn zu stützen. „Willkommen daheim, Shinta…“, flüsterte ich glücklich, den Namen auf den Lippen, den ihm seine Eltern einst gegeben hatten und der sein wirklicher war. Der Name, unter dem ich versprochen hatte ihn willkommen zu heißen. Doch dann… …flackerte das Bild. Es gab keine bessere Beschreibung für das, was geschah. Die Szene war dieselbe. Ich war noch immer auf dieser Allee, umgeben von Kirschbäumen. Doch es war nicht mehr Kenshin, der vor mir stand. Die Zeit stand still. Die Blütenblätter, mitten im Fallen begriffen, erstarrten, als wäre die Zeit für einen Moment eingefroren. Und vor mir stand Tomoe. Ich wusste ganz ohne Zweifel dass sie es war, begegnete sie mir doch nicht zum ersten Mal im Traum. Ich war nicht erschrocken. Nur milde überrascht. Und plötzlich konnte ich spüren, dass auch hinter mir jemand war. Ich drehte mich zur Seite und gewahrte ebenfalls ohne wirkliche Überraschung, dass es Kaoru war, die Mutter von Kenshins Sohn. Es konnte nur sie sein. Beide Frauen blickten ernst und ruhig inmitten des erstarrten Blütensturmes auf mich. Dann lächelte Kaoru mir zu. Es war ein sehr warmes, herzliches und wunderbares Lächeln. Ich hatte geglaubt, diese Frauen zu hassen oder doch zumindest sie nicht zu mögen, ich hatte geglaubt meine Eifersucht auf ihren Platz in Kenshins Herz wäre unüberwindlich. Aber dieses Lächeln… Ich empfand nur Wärme und Geborgenheit. Ich befand mich unter Freundinnen, drei Frauen, die dieselbe Liebe in ihren Herzen trugen. Es verband uns. Auch durch die Zeiten. Ich konnte Kaorus Stimme hören auch wenn ich nicht sah, dass sie die Lippen bewegte. „Hab keine Angst. Auch nicht vor dem, was vor dir liegt. Es wird gut sein. Denn mit dir wird es enden. Sein Leid…wird endlich ein Ende finden.“ Ihre Stimme verklang im nicht vorhandenen Wind, wurde leiser. Dann machte Tomoe eine leichte Bewegung und ich blickte zu ihr hin. Sie griff behutsam in den Ärmel ihres Kimonos und holte etwas hervor. Sie legte es auf ihre flachen Hände und hielt es mir dann mit einer ehrfurchtsvollen und sehr bedächtigen Geste hin. Auf ihrem Gesicht war kein Lächeln zu sehen. Und doch war ich mir sicher, dass auch sie mir nichts Böses wollte und unsere Sympathie auf Gegenseitigkeit beruhte. Ich erstarrte jedoch innerlich zu Eis, als ich erkannte, was dort auf ihren kleinen, weißen Handflächen ruhte. Es war ein Dolch. Einer von jenen schmalen, filigran gearbeiteten und dennoch äußerst tödlichen Waffen, welche die Frauen in Japan gelegentlich bei sich getragen hatten. Ebenfalls leicht gebogen und in seiner Form an die kleinere Version eines Katana erinnernd, lag die Klinge dort und fing das Licht dieses Traumes ein. Der Griff war aus feinstem Elfenbein und Jade angefertigt. Ich starrte auf die Waffe hinunter und rührte mich nicht. Was wollten sie von mir das ich tat? Ich war ein wenig ratlos. Und nun kam doch eine leichte Spur von Angst in mir auf. Ich ahnte es. Auch wenn ich es nicht hören wollte. Ich ahnte, was ich tun sollte. Was ich tun MUSSTE… Tomoe hob die Hände noch etwas höher. „Nimm ihn. Und bringe es zu Ende. Du wirst wissen, wann der Zeitpunkt gekommen ist.“ Auch ihre Stimme klang wie aus weiter Ferne zu mir herüber. Und auch ihr Gesicht blieb unbewegt, während sie sprach. „Wir sind leidvolle Vergangenheit, immer gesuchte Gegenwart und gefundene Zukunft ein und desselben Mannes, einer Seele, die verflucht wurde und niemals Ruhe hatte finden dürfen. Doch mit dir wird es enden. Vertraue uns.“ „Wir werden bei dir sein.“, flüsterte Kaoru. „Immer.“ Ich weinte. Ich merkte es erst, als ich mein eigenes Schluchzen gewahrte und davon erwachte. Die Vision verblasste. Das Bild blieb. Tief eingebrannt in meinem Herzen und in meiner Seele. Und irgendetwas tat furchtbar weh. Es war ein sehr konkreter, körperlicher Schmerz, der mich da auch aus dem Schlaf geholt hatte. Als ich mich nun verstört aufsetzte und Tränen mein Gesicht hinabströmen fühlte, da gewahrte ich das Blut auf meiner Decke und an meinen Händen. Und den Dolch, den ich so fest umklammert hielt, dass ich mich selbst schnitt…. Mit einem Schrei sprang ich auf und schleuderte die Waffe von mir. Das war… doch einfach nicht MÖGLICH! Es war ein TRAUM gewesen! Es war völlig unmöglich, dass dieser Dolch… Wie kam er hierher? Wie zum Teufel kam er HIERHER? Ich war unendlich dankbar dafür, dass Kenshin nicht hier war. Er schien draußen zu sein oder vielleicht unterrichtete er ja auch bereits. Ich hatte keine Ahnung wie spät es war, aber es war bereits hell draußen und zu dieser Jahreszeit mochte dies von fortgeschrittener Stunde künden. Ich atmete schwer, starrte abwechselnd und nahe einer Panik meine blutigen Hände und den Dolch an, der auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers an die Wand geprallt und zu Boden gefallen war. Die Klinge schien mich zu verhöhnen, das Blut an ihr schien mich anzuschreien. Ich konnte es beinahe körperlich spüren. ‚Nein!’, gellte es in meinen Gedanken. ‚NEIN! Das kann ich nicht. Ich WILL es nicht! Das könnt ihr nicht von mir verlangen! Wie kann ich dem Menschen ein Leid antun, den ich am meisten liebe auf der Welt? Wie könnte ich?’ Egal was ich im Traum (Traum?) empfunden hatte, JETZT hasste ich diese beiden Frauen, die mir so eine schwere Bürde auferlegt hatten. Ich sollte seinem Leid ein Ende bereiten? Niemals. Dann war ich eben egoistisch, aber ich wollte ihn nicht gehen lassen. Nicht in diesem und auch in keinem anderen Leben. Etwas schrie und wand sich in mir allein nur bei dem GEDANKEN daran, etwas so Grauenvolles zu tun, wie meinen Geliebten zu verletzen! Ich hörte draußen etwas klirren und gewahrte dann gleich darauf, wie ein Schwert mit leisem, aber charakteristischem Scharren in eine Scheide glitt. Kenshin war also doch hier. Er trainierte wieder. Ich musste… Oh, Gott, ich musste es verschwinden lassen! Er durfte das Messer auf keinen Fall sehen! Ich stürmte hinüber zu der Stelle, wo es lag und raffte es hektisch an mich. Gerade noch rechtzeitig verstaute ich es unter meinem Baumwollkimono, den ich mir von ihm geliehen hatte, und hechtete hinüber zu der Schale mit Quellwasser, die er jeden Morgen für mich hinstellte, damit ich mich waschen konnte. Ich tauchte die Hände in dem Moment in das kalte Wasser ein, als die Tür aufging und er hereintrat. Für einen Moment war es so hell, dass ich seinen Körper nur als schlanken Schatten vor dem Hintergrund wahrnehmen konnte. Er trug ein Handtuch um die Schultern und sein Haar klebte tropfnass und in langen Strähnen in seinem Gesicht. Vielleicht war er auch am Bach gewesen. Er lächelte mich an als er vollends eintrat und die Tür hinter sich schloss, um die kühle Herbstluft nicht hereinzulassen. Ich verkniff mir ein schmerzhaftes Stöhnen, als ich meine Hände nun vom Blut reinigte und die zwar zahlreichen und höllisch brennenden Schnitte begutachtete, die jedoch Gott sei Dank nicht allzu tief zu sein schienen. Als er hinter mir herankam, griff ich nach den zwei Handtüchern neben dem Becken und warf eines davon über das rot gefärbte Wasser, das andere wickelte ich hastig um meine Hände. Ich drehte mich um und nahm dann seinen liebevollen Kuss in Empfang. „Guten Morgen...“, flüsterte er zärtlich. Dann drehte er sich herum und machte sich daran Tee zu kochen. „Hattest du heute Nacht schlimme Träume?“, fragte er scheinbar beiläufig. Ich zuckte zusammen, spürte den Dolch kalt und glatt an meiner Haut liegen. Ich nickte und merkte erst dann, dass er dies ja nicht sehen konnte. „Ja.“, bestätigte ich hastig. „Das habe ich gemerkt. Du warst… unruhig. Und du hast im Schlaf geweint.“ Er hängte den Kessel über das frisch geschürte Feuer der Herdstelle und stand auf, kam auf mich zu. „Du hast mich bei meinem Namen gerufen. Bei meinem richtigen Namen.“ Er er strich mit seinen Fingern sanft über meine Wangen. „Ich habe einmal davon geträumt, dass ich ihn dir gesagt habe. Vielleicht kennst du mich auch besser als ich mich selbst. Habe ich ihn dir je wirklich gesagt? Ich weiß es nicht mehr. Vielleicht… Irgendwann… In einem anderen Leben… Vielleicht auch nicht. Aber du kennst ihn.“ Ich lächelte schwach. „Shinta… Was für ein wunderschöner Name.“ Er nickte leicht. „Ja. Ein Name aus meiner Vergangenheit, den ich hinter mir ließ. Ich war und bin Kenshin und…“ „… für mich wirst du es immer sein.“, vollendete ich flüsternd den Satz. Er wandte den Kopf. Seine Augen leuchteten und strahlten mich an. Die Tiefe seiner Gefühle war überwältigend. Er nahm mein Gesicht in beide Hände. Sein Kuss war sehr tief und leidenschaftlich. Wenn ich meine Hände nicht verzweifelt hinter mir verschränkt hätte halten müssen, damit er das Blut nicht sah, dann wäre ich schwach geworden – wie so oft. Ich löste mich stattdessen nach einer Weile atemlos von ihm und lächelte entschuldigend. „Ich… gehe kurz nach draußen an den Bach. Ich will… mich ein wenig frisch machen.“ Kenshin wunderte sich zwar ein wenig, da ich ja augenscheinlich bei seinem Eintreten bereits bei der Morgentoilette gewesen war, doch er sagte nichts. Nur sein Blick… wurde seltsam ernst, beinahe forschend. Ich drehte mich hastig um, nahm die Schale auf und eilte mit ihr und den Handtüchern zur Tür. Erst als ich draußen war und zum Bach ging atmete ich auf. Ich konnte ihm nichts vormachen. Noch wenige Augenblicke und er hätte mich durchschaut – oder ich hätte es ihm gesagt. Ich schüttete das blutige Wasser in den Bach, beobachtete wie es sich träge verteilte und dann auseinander trieb. Dann hockte ich mich ans Ufer, wusch erst die Hände, dann die Handtücher aus. Schließlich griff ich unter den Kimono und holte den Dolch hervor. Seine Klinge hatte die Wärme meines Körpers angenommen. Merkwürdig. Auch wenn dies eindeutig eine Waffe war und die beiden Frauen in meinem Traum keinen Hehl daraus gemacht hatten, was ich damit zu tun hatte, so konnte ich nun doch nichts weiter empfinden als Resignation wenn ich die Klinge betrachtete. Vorhin, beim Erwachen, war ich erschrocken und panisch gewesen. Doch jetzt… Gut, ich hatte diesen Dolch nun. Aber das hieß ja nicht, dass ich ihn wirklich auch benutzen musste. Niemand konnte mir vorschreiben, was ich zu tun oder zu lassen hatte. Es war MEINE Entscheidung, was ich damit tat. Ich tauchte die Schneide ins Wasser, wusch mein Blut von ihr ab. Feine Tropfen perlten auf ihr, als ich sie danach ganz nah ans Gesicht hob um sie zu bewundern. Nichtsdestotrotz war es eine unglaublich wundervolle Arbeit. Ich blickte auf meine Hände hinunter. Das Wasser und auch die Temperaturen hier draußen waren so eisig, dass es bereits aufgehört hatte zu bluten. Ich erhob mich, steckte den Dolch wieder unter meinen Kimono. Während ich zum Haus zurückging verließ mich die neu gewonnene Zuversicht bereits wieder mit jedem schweren Schritt den ich tat. Und ich fragte mich, ob ich wirklich das Recht hatte ihm die Chance zu verwehren, die vielleicht einzige Chance, aus diesem Chaos aus Schmerz und Leid zu entkommen – wenn sie es denn war. Aber ich wollte und konnte ihn nicht gehen lassen. Er bedeutete die Welt für mich. Und ich wollte ohne ihn nicht sein. Niemals wieder. ‚Liebster. Was soll ich nur tun? Ich kann dich nicht einmal fragen. Mit dieser Entscheidung stehe ich allein da. So allein, wie du es in all den vielen Jahren gewesen sein musst. Ich werde versuchen die Kraft in mir zu finden das Richtige zu tun. Mein geliebter Kenshin…’ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)