The waves of time von MorgainePendragon (Eine Geschichte von Liebe, Schmerz und Tod. Und von Wiedergeburt…) ================================================================================ Kapitel 3: Clumsiness --------------------- Der neue Referendar war äußerst beliebt. Ich beziehe mich hier nicht nur auf die weiblichen Mitglieder der Akademie, sondern durchaus auf ALLE meine Kommilitonen, männlich und weiblich. Auch das Kollegium schien sehr angetan von ihm. Er unterrichtete nicht wirklich. Er war Gast-Referendar und würde für ein paar Monate hier sein, um die Ästhetik und Kunstfertigkeit japanischer Kalligrafie vorzuführen – und um diverse Kampftechniken zu zeigen und gegebenenfalls auch zu lehren. Das reichte vom klassischen Kendo, das mit Bambusschwertern trainiert wurde, bis hin zu Thai-Chi, dem so genannten „Schattenkampf“. Ich selbst bekam nur wenig von ihm zu sehen. Ich war… weder erfreut noch traurig über diesen Umstand. Zu jener Zeit war ich mir meiner Gefühle einfach nicht sicher. Meine eigene Reaktion in der Mensa vor einigen Tagen hatte mich selbst wohl am meisten überrascht. Ich versuchte, die Ursprünge hiervon zu ergründen – und fand einfach keine. Dazu kam, dass ich tatsächlich in einer Art von „Schaffenskrise“ steckte und meine Verwirrung sicher nicht dazu beitrug, hieraus einen Ausweg zu finden. Was also sollte ich tun? Tage, Wochen vergingen. Ich lieferte ständig nur noch befriedigende Leistungen ab. Das machte mich wütend – und schien nur noch mehr dazu zu führen, dass ich meine Inspiration verlor und nirgends wiederfand. Frustrierend. So nennt man diesen Zustand wohl. Ich telefonierte dieser Tage oft mit meiner Schwester – was meine Telefonrechnung unglaublich in die Höhe schnellen ließ. Aber ich brauchte das einfach. Sie war… so erfrischend direkt. „Sprich ihn halt mal an.“, sagte sie eines Abends lakonisch. „Wenn dir der Kerl so sehr im Kopf rumspukt, dann musst du einfach mal selbst rangehen. Die Initiative ergreifen.“ „Ich bin nicht der Typ, der…“ „Ja, ich weiß, das sagst DU.“, fiel sie mir ins Wort – schon mehr als brüsk. „Hast du’s denn je versucht?“ „Und was soll ich ihm sagen?“, fragte ich. „Naja, dir wird schon was einfallen. Sag doch, dass du dich für… Kendo oder so was interessierst und gern mal beim Training zusehen würdest – wenn du schon nicht mitmachst. Dafür ist er doch an die Uni gekommen, oder?“ Nun ja, da war was dran. Es sagte sich jedoch so einfach. Dazu kam… Nun… Es GAB natürlich auch Mädchen, die sich BESONDERS für ihn zu interessieren schienen. Sie umlagerten den hübschen, androgynen jungen Mann wie ein Schwarm Motten das Licht. Klar. Er war schon eine „Attraktion“, etwas Besonderes, in dieser steifen, englischen Atmosphäre. Er war… so ANDERS. Es war nur natürlich, dass man sich angezogen fühlte. Frau. Dass vor ALLEM frau sich angezogen fühlte. Ich seufzte. Und verschob die Entscheidung, was ich tun sollte – wieder einmal – auf später. Der Zufall sollte mir eines Tagen zuhilfe kommen. Oder vielmehr, meine eigene, vielbesagte Ungeschicklichkeit… Meine Schwester könnte davon ein Lied singen… Das Wetter hatte sich in den letzten zwei Wochen dann doch noch entschieden sich zu verhalten, wie es das im Hochsommer auch gewöhnlich zu tun hatte, und es war deutlich wärmer geworden. Es regnete auch weniger. Das war eine erhebliche Steigerung für englisches Wetter. Ich wollte eine Staffelei zurück ins Lager bringen und ging auf der Galerie in Richtung Haupthalle. Von der Galerie, die offen hin zu Hof war, hatte man einen guten Blick hinunter in den Garten – wenn man dies so nennen konnte. Es gab ein paar Grünflächen, einen Springbrunnen und ein paar steinerne Bänke, auf denen ein paar Studenten in der Sonne saßen und schwatzten. Der eigentliche Park der Akademie war riesig und erstreckte sich weit hinter dem verzweigten Gebäude, beinhaltete sogar kleine Wälder und einen – wie gemunkelt wurde – verwunschenen, alten Friedhof. Flüchtig warf ich nun einen Blick in den Hof – und mein Schritt verlangsamte sich beinahe ohne mein Zutun. Der neue Referendar stand am Fuße der großen, aus hellem Sandstein gefertigten Treppe, und unterhielt sich mit einer jungen, hübschen Studentin, die durchaus nett wirkte – wenn sie nicht andauernd so breit grinsen und ihr Haar von einer Seite zur anderen werfen würde… Nun... Was zum Teufel ging es mich an? Mit einer solchen Situation sah ich mich nicht zum ersten Mal konfrontiert. Ich musste wieder hinschauen. Verdammt. „Also, ich werde da sein. Um neunzehn Uhr am Waldrand. Ich freu mich schon auf das Training im Freien.“, sagte die Blondine gerade und ließ strahlendweiße, makellose Zähne blitzen. Ich schaute weg. Ich hatte gute Zähne. Ich war zufrieden mit meinen Zähnen. Herrgott, noch mal! Blöde Kuh. Wieso fühlte ich mich neben ihr wie ein grob gezimmerter Holzklotz? Jetzt sah er die Treppe hinauf, hatte schon einen Fuß auf die unterste Stufe gesetzt, während er einige Abschiedsworte an das Mädchen richtete. Wer war sie überhaupt? Kannte ich sie? Hatte ich sie überhaupt schon mal hier gesehen? Oh, mein Gott! Er sieht zu mir hoch! Er hat mich angesehen! Und ein Lächeln huschte über seine Züge. Klar, dachte ich. Er lächelt ihr zum Abschied zu. Wieso sieht er dabei mich an? Mir wurde plötzlich… seltsam. Meine Knie… Waren die immer schon so wacklig gewesen? Himmel noch eins, ich war eine erwachsene Frau! Und benahm mich wie ein verknallter Teenie… Mir war nicht zu helfen. Das Mädchen beugte sich nun vor und flüsterte etwas in sein Ohr. Wieso? Warum machte sie so etwas? Waren sie so vertraut miteinander? Sie lachte – und es war wie ein Pfeil, der durch mich hindurchging. Hastig – und viel zu fahrig – setzte ich mich in Bewegung, wollte schnell an dem oberen Treppenabsatz vorbeigehen, nur weg von hier, bevor ich mich vollends blamieren würde. Die Staffelei entglitt meinen zitternden Händen... Laut polternd klapperte das hölzerne Gestell die Treppe hinunter, ein paar Stifte kullerten hinterdrein. Alles sah zu mir herüber. Jeder. Ich wurde puterrot. Wie benommen stakste ich die paar Stufen hinunter, erleichtert darüber, dass ich mich bücken musste, um die Sachen hastig wieder aufzusammeln. Keiner sagte etwas. Alle starrten nur. Außer… Ich hörte Schritte. Nicht hinschauen, Mado. Gott, bloß jetzt nicht hinsehen. Dein Gesicht hat im Augenblick so ungefähr die Farbe eines Hydranten. Bloß nicht nervös werden. Das kommt alles Mal vor. Das erste was ich sah als ich in die Hocke ging waren seine Hände. Schmal und feingliedrig. Sie hielten mir die Staffelei entgegen, während ich weiterhin krampfhaft nach verlorenen Stiften suchte, die es nicht mehr gab. Ich hatte bereits alle wieder in der Hand… Jetzt musste ich wohl doch hinsehen. Strähnen seines dunkelrot schimmernden Ponys fielen lang über dunkelblaue, mandelförmige Augen. Ein warmer Ausdruck war darin zu sehen. Ich hatte… nicht damit gerechnet. Ich war perplex – und einige Sekunden lang unfähig mich zu rühren. Mit was HATTE ich denn gerechnet? Ich wusste es nicht. Ich wusste gar nichts mehr. „Die Staffelei ist leider nicht mehr zu gebrauchen…“, sagte er nun in gebrochenem Englisch. Es klang… exotisch. Ein leichtes Kribbeln entstand in meinem Nacken. Seine Stimme war angenehm, tief und von einer leichten Rauheit, die ich ebenfalls nicht erwartet hatte. Meine Gedanken rasten: ‚Hallo. Ich bin Madoka. Aber wer bist DU nur?’ Wir erhoben uns. Ich nahm die Staffelei entgegen. Sie war zerbrochen. „Das… das tut mir leid…“, meinte ich stumpfsinnig. „Das ist doch nicht weiter tragisch.“, sagte er nun. Er lächelte aufmunternd. „So etwas kann man heutzutage doch überall günstig nachkaufen.“ Ein Schauer nach dem anderen jagte meinen Rücken hinunter. Ich benahm mich wie ein kompletter Idiot. Meine Schwester würde sich totlachen wenn sie das hier sehen könnte, dachte ich bitter. „Ich… Ich bringe sie ins Archiv und melde den Verlust an. Danke für… die Hilfe.“ Ich wollte mich herumdrehen und die paar Stufen zurücklaufen. Doch seine Stimme ließ mich noch einmal innehalten. „Du heißt Sakurai, oder? Sakurai Madoka?“ Er sprach mich auf japanische Weise mit Namen an. Wieder war es, als… wäre mir das so vertraut. Als würde in mir ein entferntes Echo nachklingen. Seltsam… Ich schüttelte den Kopf, um den Gedanken loszuwerden, wurde mir dann jedoch bewusst, dass er dies als Verneinung auffassen musste und nickte gleich darauf hastig. Na schön, JETZT hält er mich wirklich für bescheuert… Doch er lächelte nur leicht. „Himura. Himura Kenshin.“ Er neigte leicht (wie formvollendet und höflich!), den Kopf. „Hast du nicht Lust heute Abend auch beim Training zuzusehen?“ Wieso? Warum? Ich staunte. Entweder war ich sehr leicht zu durchschauen – oder aber er konnte Gedanken lesen. Ich vermutete eher, dass es das erste war… Verlegen lächelnd schüttelte ich wieder den Kopf. 'Ja bin ich denn blöd? Was MACHE ich denn hier? Er lädt mich ein und ich?' „Es werden nicht so viele Leute kommen. Ich bin froh, wenn ich ein paar Interessierte zusammenbekomme. Also, was ist? Ich brauche eine Daseinsberechtigung an dieser Akademie – sonst kann ich nämlich bald wieder abreisen. Dabei habe ich mich gerade eingelebt. Würden sie mir helfen, hier bleiben zu können?“ Auch wenn in dem, was er sagte, permanent ein leises Lächeln mitzuschwingen schien, so erkannte ich doch auch, dass er mich soeben ein zweites Mal, und sehr viel eindringlicher, gebeten hatte, zum Training zu kommen. „Also schön. Ich werde da sein.“ Und bevor ich es verhindern konnte entschlüpfte mir: „Neunzehn Uhr, richtig?“ Er blinzelte. „Ja, richtig. Woher… Ich hatte es noch nicht ausgehängt.“ Doch noch bevor ich etwas antworten konnte, und mich womöglich noch tiefer reinritt, fuhr er fort: „Nun ja, wir haben ja auch laut genug gesprochen. Ist ja kein Geheimnis. Also, ich freu mich, Madoka. Ich darf Sie doch so nennen?“ Tja, was Madoka anging… Meine Gesichtsfarbe wechselte soeben von karmesinrot zu sandfarben bis weiß… Meine Lippen zitterten, mein ganzer Mund war plötzlich sehr trocken. Ich konnte kaum schlucken. „Am Waldrand.“, flüsterte ich. „Ich werde dort sein…“ Und endlich, endlich konnte ich mich herumdrehen und mit dem letzten, kümmerlichen Rest von Würde, der mir noch verblieben war, den Schauplatz meiner Tollpatschigkeit verlassen. Was, so fragte ich mich fieberhaft und zum hundertsten Mal, WAS zum Teufel hatte dieser Mann an sich, das mich selbst wie ein Kleinkind verhalten ließ, das mich so durcheinander brachte und verwirrte? Und wieso wurde ich das Gefühl nicht los, diese Empfindungen zu KENNEN? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)