EXANIMATIO - Die Angst von gluecklich (Der letzte Schritt: Teil I) ================================================================================ Kapitel 1: Freunde ------------------ Ein weiteres angefeuchtetes Papierkügelchen traf die Parkbank und blieb an ihr kleben. »Mir’s langweilig«, flötete Benjamin Vince. »Ich weiß, Benny, mir auch«, knurrte sein Freund Richard Jarvis, riss einen weiteren Streifen Papier aus seinem Block und hielt ihn Benny hin. »Aber ich sag es deshalb nicht ständig.« »Mir’s langweilig.« Richie knurrte etwas Unverständliches und hämmerte seine Stirn gegen den Rasen, auf dem er bäuchlings lag. »Frau Kallwass«, stöhnte er gedehnt, »mein Psychopath wiederholt sich!« »Mir’s langweilig. Guck mal, da vorne ist Lisa.« Richie sah auf. »Stimmt. Mit wem redet die?« »Keine Ahnung. Sieht aber danach aus, als würde sie das arme Ding grad ziemlich runtermachen.« »Jaah…« Richie lachte. »Das ist Lisa live! Noch eine letzte Beschimpfung, eine Drehung um hundertachtzig Grad auf dem Absatz und sie stolziert mit pompösem Arschgewackel davon!« »Und die andere steht immer noch da.« »Die sieht aus wie ’ne Mischung aus uns beiden.« »Hä?« »Meine Frisur und dein Kleidungsstil.« »Sie hat nicht deine Frisur. Sie hat rote Haare und du orange.« »Ich hab auch rote Haare. Ihre sind feuerwehrautorot und meine sind karottenrot.« »Karotten sind orange.« »Karotten sind blau, du Eimer.« Richie war aufgestanden. »Und jetzt komm mit, wir gehen zu ihr. Sie sieht ziemlich deprimiert aus.« »Natürlich sieht sie deprimiert aus, sie hat gerade ein Gespräch mit der Dorfschlampe hinter sich«, grummelte Benny, während er sich ächzend aufrichtete. »Was sollen wir denn bei ihr? Wir kennen die gar nicht. Ich will nicht in den Sommerferien noch mehr Arschlöchern über’n Weg laufen.« »Sei doch nicht so voreingestellt. Ich find, sie sieht nicht aus als wär’ sie so schlimm. Immerhin war sie Lisa offenbar schon unsympathisch. Ist doch ein Punkt für uns.« Benny zuckte bloß mit den Schultern und blieb dann mit Richie vor dem Mädchen stehen. Sie war tatsächlich ähnlich gekleidet wie er, ein schwarzes Bandshirt trotz der Sonne, diverse Nietenarmbänder, Halbfingerhandschuhe, bunte Chucks – der einzige Unterschied bestand in Bennys schwarzer Hose und ihren zerrissenen Jeans. Und ebenso wie Richie hatte sie schulterlanges Haar, mit dem Unterschied, dass Richies gekämmt war. »Hi«, grinste Richie. Etwas überrascht musterte sie die beiden. »Ähm… Ja. Tag.« »Wir hatten das Gefühl, wir sollten uns für Lisa entschuldigen«, begann Richie, wurde dann jedoch von Benny unterbrochen. »Die stinkt«, nickte er. »Dorfmatratze.« Das Mädchen lächelte. »Ja, dachte ich mir schon. Ich wollte sie eigentlich auch bloß fragen, ob sie meinen Bruder gesehen hat. Irgendwas scheint sie gestört zu haben daran.« »Lisa mag keine Leute, die ab Februar keine Miniröcke tragen«, sagte Richie. Benny sah langsam an sich herunter. »Da liegt also unser Fehler…«, murmelte er. Sie lachte. »Ihr klingt netter. Habt ihr zufällig ’nen elfjährigen Jungen gesehen, der größer ist als ich, ’n wenig rund, mit ’nem fetten Grinsen im Gesicht und einem Umzugskarton mit meinen Büchern darin unterm Arm durch die Gegend rennt?« »Wir haben uns bisher nur die Parkbank angesehen«, sagte Richie. »Warum trägt dein Bruder deinen Karton mit sich rum?« »Wir sind gerade umgezogen und die Kackbratze macht sich einen Spaß daraus, mir meine Sachen zu klauen und dann abzuhauen.« »Kleine Brüder sind doch für’n Arsch«, sagte Benny. Das Mädchen zuckte mit den Schultern. »Meiner ist eigentlich ganz okay. Nur manchmal etwas hyperaktiv. Und dann klaut er anderer Leute Kartons… Aber ihr habt ihn nicht gesehen?« Richie schüttelte den Kopf. »Er könnte zum Spielplatz gegangen sein. Aber den findest du bestimmt eh nicht mehr.« »Jetzt halt mal den Ball flach, Richie«, lachte Benny. »Ich weiß schon, was als nächstes kommt. Der Typ will sich unbedingt an dich ranschmeißen, weil du die traurige Ehre hattest, Lisa kennen zu lernen.« »Hey!« Richie hob verteidigend die Hände. »Sie braucht ’nen Ausgleich, oder? Und wenn sie umgezogen ist, dann braucht sie sowieso jemanden, an den sie sich halten kann.« Benny lachte lauthals. »Sie soll sich an zwei Loser halten, die keiner ausstehen kann?« »Da, wo ich davor gewohnt hab, hat mich auch keiner ausstehen können«, sagte das Mädchen, dessen Grinsen während der Diskussion merklich breiter geworden war. »Macht also nichts. Ihr seid sowieso lustig. Besser ihr als diese Lisa. Wer seid ihr denn überhaupt?« »Ich bin Richie Jarvis und das hier ist mein kleiner Schoßpsychopath.« »Ich bin nicht klein, du bist nur groß«, sagte Benny. »Und mit deinem Schoß will ich bitte niemals in Berührung kommen. Niemals nie.« Er hielt dem Mädchen eine Hand hin. »Benny Vince mein Name.« »Aber du kannst ihn auch Zwerg nennen«, grinste Richie. »Kannst du machen«, sagte Benny achselzuckend. »Aber dann bist du ziemlich schnell tot.« Das Mädchen nahm seine Hand und schüttelte sie mit gespielter Vorsicht. »Schon verstanden«, sagte sie. »Ich kenn das Problem. Ich bin Sid Wilcox und selbst das jüngste Familienmitglied ist größer als ich.« »Willkommen in unserer Selbsthilfegruppe!«, flötete Benny. »Klein, unverstanden und … von der Gesellschaft ausgeschlossen…« Richie grinste. »Schön gesagt.« Es dauerte nur wenige Minuten, bis Sid die beiden Jungen zu sich nach Hause einlud, um ihr beim Auspacken einiger Kartons zu helfen. Dort fanden sie schließlich auch ihren kleinen Bruder Shannon, mit Hilfe ihres großen Bruders Luc (»Brüder wie Sand am Meer«, hatte Richie gemurmelt.) schafften sie es, ihre Bücher wieder zurückzuerobern. Der Tag verging schnell, als es langsam dunkel wurde, verabredeten sich die drei bereits für die nächsten Mittage. So kam es, dass Sid kaum eine Woche später eine weitere unangenehme Bekanntschaft machen durfte. Es war ein brütend heißer Samstagmittag, sie, Benny und Richie kamen gerade aus der Drogerie, in einer Tüte die erstandenen roten und schwarzen Haarfärbungen. Sie wollten sich bei Sid treffen um ihr Badezimmer »einzuweihen«, wie Benny es genannt hatte, ergo um ihr und ihm die Haare nachzufärben. Sid legte den Kopf schief, als sie die Einkaufsstraße hinuntertrabten, um auf schnellstem Wege ins kühle Haus zu kommen. »Sag mal, Benny«, sagte sie langsam, »was ist eigentlich deine Naturhaarfarbe? Ich kann den Ansatz gar nicht erkennen.« »Das weiß keiner so wirklich«, antwortete Richie prompt. »Man sagt, sogar seine Mutter und Gott haben es vergessen. Ist lange her, dass man die mal gesehen hat.« »Die weiß nur der Teufel«, grinste Benny. »Ach, mein Chef«, nickte Sid und schob die Hände in die Taschen ihrer Shorts. »Dann frag ich den mal.« »Der wird dir das sicher nicht sagen«, sagte Benny. Richie nickte zustimmend. »Das wohlgehütetste Geheimnis - nach dem Aufenthaltsort von Lisas Hirn.« »Na ja.« Sid zuckte mit den Schultern. »Ihr könntet es mir auch einfach verraten.« Benny sah sich flüchtig in der Straße um, dann lehnte er sich zu ihrem Ohr. »Neongrün«, raunte er. »Wie alle auf meinem Heimatplaneten… Aber auf der Erde sage ich vorsichtshalber, sie sind dunkelblond.« »Ah.« Sid nickte. »Eine Blondine. Willkommen im Club. Auf meinem Heimatplaneten haben sie alle regenbogenfarbene Haare.« Richie stöhnte. »Ihr werdet euch ja immer ähnlicher… Ehrlich, das macht mir Angst.« Benny setzte zu einer Antwort an, da traf ihn etwas im Rücken. »Au…«, machte er langgezogen. »Ich will mich nicht umdrehen, kann mir jemand anders bestätigen, dass Wichsfresse uns hinterherläuft?« »Dreh du dich mal um, Sid«, sagte Richie und grinste. »Dich kennt er noch nicht.« Sid hob die Augenbrauen und warf einen Blick über die Schulter. Ein Junge mit einer Menge Gel in seinen blond gefärbten Haaren zeigte zwei Reihen schiefer Zähne durch sein breites Grinsen. »Habt ihr Freaks tatsächlich ’ne Freundin gefunden, ja?«, rief er. Sid drehte sich wieder nach vorne. »Ach so«, machte sie nur. »Das ist Alec«, sagte Richie. »Alec Lawrence. Der geht uns schon seit der Fünften auf’n Sack.« »Er ist der Meinung, wir sind Abschaum«, sagte Benny achselzuckend. »Hat wohl was gegen Außerirdische.« Ein weiterer Kiesel traf sein Kreuz. Benny verdrehte die Augen. »Alec«, knurrte er gedehnt. »Verpiss dich oder steck dir wenigstens deine dummen Steine in den Arsch, aber lass uns in Ruhe.« »Ihr habt meine Frage nicht beantwortet«, sagte Alec nur. Die drei blieben stehen und drehten sich um. »Was war die Frage noch schnell? Ob ihr eine Freundin gefunden habt, oder?«, sagte Sid. Benny schüttelte den Kopf. »Wie kommt der Junge bloß immer auf solche Ideen. Als ob Leute wie wir Freunde finden könnten.« »Sie ist keine Freundin, sie ist unsere Geisel«, sagte Richie. »Wir planen nämlich jetzt schon an unserem Amoklauf für nach den Ferien. Wir bringen uns danach auch selbst um, wie du’s uns empfohlen hast.« Sid legte den Kopf schief. »Und ich dachte, ihr wolltet mir helfen, mein Raumschiff wieder zu finden. Ihr habt mich hintergangen!« »Tja, so läuft das mit uns Freaks. Wir wollen immer nur Aufmerksamkeit. Und Gewalt. Und so«, sagte Benny, der mit sichtlich wachsender Belustigung die Enttäuschung in Alecs Gesicht über seinen fehlgeschlagenen Angriff beobachtete. »Jedenfalls werden wir nie Freunde finden«, sagte Richie sachlich. »Um mal deine Frage zu beantworten, Alec. Aber eigentlich weißt du das ja am besten.« Er drehte sich zu Sid. »Alec weiß bescheid über uns Dreckspunks, mhm. Er weiß alles. Im Gegensatz zu uns, wir tun nur so. Und jetzt komm mit, wir müssen dich noch fesseln, knebeln, Videobotschaften aufnehmen, ins Internet stellen, und natürlich Waffen besorgen. Da reichen die Sommerferien nur ganz knapp.« »Bevor du stirbst, zeig ich dir meine Naturhaarfarbe. Versprochen«, grinste Benny. Sie drehten sich um, hörten Alec fluchen und drohen, und begannen zu rennen. »Ab nach Hause!«, rief Richie. »Sonst geht Wichsfresse nämlich zu Wackersteinen über.« Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)