The Nightmare before Halloween von Phantom (The Nightmare before Christmas Ⅲ) ================================================================================ Kapitel 1: Rettung in letzter Sekunde ------------------------------------- Der nächste Morgen mutete um einiges friedlicher an. Einsam und verlassen wirkte der Marktplatz. Hier und dort standen einige Kisten mit Halloween-Überraschungen herum. Eine schwarze Katze schlich am Springbrunnen vorbei, doch sonst traf man hier keine Seele an. Viele werkelten nun in ihren Häusern und Grabstätten. Die Vier-Monster-Kapelle (einer davon wohnte im Kontrabass) probte im Rathaus unter Aufsicht des Bürgermeisters. Zombie Behemoth mit der Axt im Kopf kümmerte sich pflichtbewusst um sein Kürbisfeld, schließlich war das Gemüse Hauptbestandteil des nahenden Festes. Dr. Finkelstein und dessen Assistent Igor waren mit irgendwelchen neuen Erfindungen beschäftigt. Und Jack Skellington? Er und Kinderleiche saßen auf dem Dach seines Turms und diskutierten gerade über die äußerst wichtige Frage, ob alte Schokoweihnachtsmänner vor Ostern tatsächlich zu Schokoosterhasen gemacht werden und umgekehrt, als Kinderleiche endlich mit seiner wahren Absicht herausrückte: „Komm schooon: Jetzt erzähl mir doch endlich von deinem Plan!“ Jack hatte die Bitte kommen sehen. „Also gut – ich sage es dir, aber verrate es niemandem weiter: An diesem Halloween werde ich fliegen!“ „Fliegen?“, echote der Kleine ungläubig. Jack nickte. „Sobald die Stunde meines Auftrittes geschlagen hat, erscheine ich wie aus dem Nichts im Himmel, in Begleitung der Fledermäuse, und lande nach einer kleinen Flugeinlage auf dem Brunnen, der in exakt diesem Moment zu brennen beginnt!“ Beim Sprechen veranschaulichte er den gesamten Weg – oder eher: Flug – enthusiastisch mit seinen Skeletthänden. „Dann werde ich aus dem Feuer treten, und beim Ausbreiten meiner Flügel erlischen die Flammen.“ Kinderleiche konnte die Vorfreude in Jacks Gesicht sehen. „Welche Flügel?“, hakte er nach. „Groooße, schwarz gefiederte Flügel! Sie werden beeindruckend sein! Aber natürlich nicht echt“, fügte Jack hinzu und zwinkerte. „Und wie willst du fliegen?“ „Der hier wird mir dabei behilflich sein.“ Zero apportierte eine alte, trübe Glasampulle herbei. Als Jack sie öffnete, sprang etwas grünes Glibberndes heraus und wickelte sich um sein Handgelenk. Kinderleiche staunte nicht schlecht. „Wooow… Ist das nicht…?“ „Mein Seelenfänger, exakt! Er eignet sich hervorragend als Waffe, aber ebenso auch als universell einsetzbares Werkzeug.“ Der längst grauhäutige, aufgedunsene Junge erinnerte sich wieder, den Seelenfänger schon einmal an Jacks Arm gesehen zu haben – damals, als er Halloween Town vor dem hinterhältigen Kartoffelsack Oogie Boogie rettete. „Darf ich auch mal?“, fragte er, als er Jack damit hantieren sah. „Gerne, aber gib gut acht! Der Seelenfänger kann ziemlich widerspenstig sein!“ Und schon – als hätte der Kürbiskönig es ihm befohlen – sprang das wabbelige Bungee-Seil von seinem Arm und wickelte sich stattdessen um den von Kinderleiche. Dieser stand gleich auf und wirbelte es wild herum. Er hatte schrecklichen Spaß dabei! Jack folgte seinen Bewegungen zufrieden, als jemand nach ihm rief: „Jaaack? Jaaaaack! Wir haben die Mixtur fertig, genau wie du es gewünscht hast!“ Unten auf dem Hof standen die beiden hässlichen Hexenschwestern mit einem Krug, der bis oben hin gefüllt war mit einer dickflüssigen, schwarzen Substanz. „Sobald die Säure Kontakt mit einem erhitzten Untergrund hat, fängt sie an zu brennen, aber nur eine halbe Minute lang!“ „Diese Zeit müsste dir genügen, oooder?“ „Fantastisch!“, lobte Jack sie. „Ich danke euch beiden!“ Die Tür des Rathauses flog auf, und der Bürgermeister trat hinaus. Er grüßte die Hexen und winkte Jack und Kinderleiche zu, als er sie bemerkte. Allmählich füllte sich das Zentrum der Stadt wieder: Die Musiker ließen sich blicken, die Vampire erschienen, Behemoth und Werwolf kamen vom Kürbisfeld und der Galgenbaum mit seinen fünf gehängten Skeletten vom Friedhof. Vermutlich hatten sie ihre Arbeiten für heute erledigt. Auch die kleine, einäugige Mumie war hier und sah hinauf zu Kinderleiche. Der bemerkte den neidischen Blick. „Schau mal, was ich habe!“ Noch immer wirbelte er den Seelenfänger umher, lachte laut und vernachlässigte dabei seine Vorsicht – und plötzlich geschah es: Der Seelenfänger geriet außer Kontrolle, rutschte von Kinderleiches Arm und landete direkt in der Fratze einer Hexenschwester! Die Kettenreaktion war unausweichlich: Der Topf mit der entzündlichen Säure stürzte zu Boden, die Flüssigkeit verteilte sich, und auf den von der Kürbissonne erwärmten Pflastersteinen loderte ein Feuer auf! Die Bürger erschraken. Doch damit nicht genug: Kinderleiche verlor sein Gleichgewicht, schlitterte vom Dach und fiel – trotz Jacks Versuch, ihn noch zu erwischen – hinunter, direkt in die rasselnden Flammen! Der Bürgermeister konnte gar nicht hinsehen und schlug sich beide Hände vor das bleiche Gesicht. Die anderen hingegen konnten gar nicht wegschauen, allerdings auch nichts unternehmen, um Kinderleiche zu retten, so geschockt waren sie! War das sein Ende? Doch dann ging ein Raunen durch die Menge. Irgendetwas sprang dazwischen, fing Kinderleiche einen Meter über den Flammen auf – so geschwind, dass die Bürger ihm kaum zu folgen vermochten – und landete plötzlich vor ihnen. Kurz darauf erlosch das Feuer; die dreißig Sekunden waren um. Bis dahin in fassungsloser Stille gefangen, brachen nun alle in Jubel aus und klatschten heftig. Der Retter war kein anderer als ihr Kürbiskönig Jack Skellington! Er war selbst überrascht (wusste er doch nicht, wie ihm das gelungen war), trotzdem verneigte er sich vor dem begeisterten Publikum. Dann sah er auf Kinderleiche hinab, der sicher in seinen Armen lag. „Danke, Jack…“ Er ließ ihn hinunter. „…und tolle Flügel!“ Jack blinzelte. Flügel? Er wollte etwas erwidern, doch da war Kinderleiche bereits in die Arme seiner Mutter getorkelt und der Bürgermeister auf ihn zugetreten. „Eine Rettung in letzter Sekunde!“, hauchte er erleichtert aus. „Ein Glück, dass du hier warst!“ „Eine tolle Leistung!“, stimmten die Bürger ihm zu, auch wenn sie noch immer erstaunt waren. Der Kürbiskönig überraschte sie immer wieder! Dieser sorgte sich gerade um die Hexe, die vom Seelenfänger angefallen worden war. „Es tut mir Leid – ich hätte ihn nicht damit spielen lassen sollen“, gab er schuldbewusst zu, während sich der Schleim um seinen Arm schlängelte. „Ach, das ist schon vergeben“, krächzte die Hexe, „ich lebe ja noch. Allerdings ist der Brenntau ausgelaufen. Wir werden neuen herstellen und ihn in unserem Hexenhäuschen aufbewahren. Schau doch heute Abend vorbei!“ Jack grinste. „Danke! Ihr seid die besten Hexen!“ In der Nacht, als die Rathausuhr zwölf schlug und Dr. Finkelstein, der nach dem Rechten gesehen hatte, gerade ihre Zimmertür hinter sich schloss, setzte sich Sally an ihren Tisch und holte eine ihrer langen Haarklammern aus der Schublade hervor. Sie veränderte sie ein wenig, pinselte sie weiß an und klemmte einen zusammengefalteten Brief darin ein. Dann stand sie auf, ihre kleine Bastelei fest in den Händen haltend, und taumelte zum Fenster. In Jacks Zimmer brannte kein Licht, aber sie glaubte nicht, dass er bereits schlief. Eher war er zum Spiralberg gegangen – so wie er es immer tat, wenn er nachdenken wollte. Und er dachte nach. Der Vorfall, der heute geschehen war, ließ ihn nicht mehr los. Nicht die kritische Rettungsaktion an sich, sondern der Satz der Kinderleiche. "Tolle Flügel"… Ob sie sich das in ihrer Angst eingebildet hatte? Ja, so musste es sein. Vielleicht hatte sie auch auf etwas anderes antworten wollen, auf die Idee mit den gebastelten Flügeln zum Beispiel. Nein, das war unlogisch… Jack legte den Zeigefinger an sein Kinn und sah in die Ferne. Vom sich wie eine Spirale windenden Zipfel des Hügels aus hatte er einen tollen Ausblick: Vor ihm lag die im Mondschein ungeheuer schauerromantisch wirkende Steppe, darauf folgte das Hinterland, ein seltsamer, geheimnisvoller Wald, dessen Wege noch weitgehend unergründet waren. Wo sie wohl alle hinführten…? Plötzlich riss Jack etwas aus seinen Gedanken. Er hörte ein leises, aber nicht natürliches Geräusch und sah sich um. War er etwa nicht allein hier? Zero konnte es nicht sein; der Kleine hatte bereits tief geschlafen, als Jack sein Haus verlassen hatte. Und doch kam jemand näher. Er richtete sich auf und wartete ab. Bestimmt würde sich der- oder diejenige gleich offenbaren und ihn fragen, über was er wieder grübelte. Aber hoffentlich waren es nicht die drei dunkel gekleideten Mr. Hydes. Bei denen wusste man nämlich nie, was sie für sich behielten und was sie ausplauderten, und ob – wenn der eine Mr. Hyde nichts verriet – es vielleicht der Mr. Hyde in seinem Hut oder der Mr. Hyde im Hut des im Hut von Mr. Hyde sitzenden Mr. Hydes tun würde. Doch zu Jacks doppeltem Glück waren es nicht die Hydes, sondern Sally, die just in diesem Augenblick am Fuße des Berges stand und unschuldig zu ihm hinauf blickte. Was hatte sie da in ihren kleinen, bläulichen Händen? Das Skelett winkte die Lumpenpuppe zu sich, und sie humpelte hinauf. Als sie in greifbarer Nähe war, fasste es ihre Hand und half ihr bei den letzten Schritten. Als nur dürftig zusammengeflicktes Püppchen hatte sie noch immer Schwierigkeiten mit ihren Bewegungen und gab beim Gehen einen armseligen, mitleiderregenden Anblick ab. Oben angekommen, sah sie ihn mit einem lieblichen Lächeln an und begann zu singen: „Bloß eine Ahnung führt mich her Dass auch Du hier bist, freut mich sehr“ Und Jack ließ sich auf ihr Lied ein: „Und alles and’re zählt kaum mehr“ Dann sangen sie gemeinsam: „Weißt Du denn, wie lang Diese Nacht sein kann? Was sie uns bringt Ist das, was so schön klingt Mein Herz Dir davon singt“ ("Sallys Lied - Reprise") „Ich habe deine Aktion heute Morgen beobachtet.“ „Oh ja?“ Jack senkte seinen Blick. „Ist dir… dabei irgendetwas Komisches aufgefallen?“ „Nein… Warum fragst du?“ „Ach, schon gut…“ „Stimmt etwas nicht?“ „Nein, nein, alles in Ordnung!“, beschwichtigte er sie schnell. Er sah Sally an, dass sie ihm nicht glaubte, also wollte er sie vom Thema ablenken: „Warum bist du eigentlich hier?“ Jetzt öffnete sie ihre Hand. „Das musst du verloren haben, als du Kinderleiche rettetest.“ „Hoppla!“, rutschte Jack heraus, als er den Knochen erkannte. Er nahm ihn entgegen und schaute an sich hinab, tastete sein Gestell ab. „Er wird wohl schon nachgewachsen sein.“ „Lass mich dir helfen“, bot Sally an, und ohne auf eine Antwort zu warten, fasste sie Jacks Hand und nahm aus ihr den schmalen Knochen, der eigentlich nur ihre präparierte Haarklammer war. Mit der Konzentration eines Chirurgen befestigte sie diese an Jacks echtem Schlüsselbein, aber kaum berührte sie eine seiner Rippen, begann er zu kichern. Für ein Skelett war er ziemlich empfindlich, bemerkte Sally schmunzelnd. Abrupt jedoch zuckte er zusammen, und sie ließ sofort von ihm ab. „Habe ich dir wehgetan?“ „Nein“, antwortete er knapp, konnte sich den kurzen Schmerz allerdings nicht erklären. Sie behielten den entstandenen Abstand bei und schwiegen einander an. Bis Sally die Stille brach: „Ich… sollte vielleicht gehen. Es ist schon spät.“ „Ja, vielleicht. Und… danke.“ „Kein Problem.“ Sie lächelte – nicht ganz ehrlich, denn ihre Augen verrieten ihm, dass sie beschämt war. Ohne ein weiteres Wort drehte sie sich um und stolperte rasch davon. Jack sah ihr nach – etwas niedergeschlagen. Das Treffen mit Sally hätte anders verlaufen sollen. Er verdammte sich selbst für seine unfreiwillige Reaktion auf den leichten Schmerz, welcher sie wohl verschreckt hatte, dann machte auch er sich auf den Weg zurück in seinen Turm. Beim Betreten der morschen Treppe versuchte Jack möglichst leise zu sein, um Zero, der in seinem Körbchen schlummerte, nicht zu wecken. Bevor er seinem guten Beispiel folgen wollte, um morgen in voller Frische wieder zur Tat schreiten zu können, stellte er sich vor seinen Spiegel, der so hoch war, dass selbst eine so lange Gestalt wie Jack sich fast vollständig darin sehen konnte. Vielleicht entdeckte er ja die Ursache des Schmerzes? Er drehte sich hin und her, doch erst bei ganz genauem Hinschauen erkannte er die grauen Schrammen auf seinem Rücken. Wie waren die denn passiert? Er vermochte sich nicht zu erinnern, sich irgendwo gestoßen zu haben. „Wie Er auch darüber nachdenkt: Hier wird Er die Antwort nicht finden.“ Huch?! Jack wirbelte herum, da er die Stimme vernahm. „Wer ist da?“ Zero schlief noch immer, als sein Herrchen furchtlos durch den runden Raum stelzte und nach der Herkunft der unbekannten Stimme forschte. „Wage Er einen Blick hinaus…“ Weil er nichts fand, folgte er diesem Vorschlag und öffnete das Doppelfenster. Das, was er zu sehen bekam, ließ seinen Atem – wenn er denn einen hätte – stocken. „Das glaube ich nicht!“ Er festigte den Griff seiner langen Finger um das Fensterbrett. Der ganze Fallbeil-Platz stand in lichterlohen Flammen! Jack beugte sich weiter hinaus; viel erkennen konnte er nicht, denn der dichte, dunkle Rauch stieg ihm in die Augenhöhlen. Doch was war das? Dort lagen Gestalten zwischen den hungrigen Feuerzungen – und nicht nur irgendwelche: Es waren seine Freunde! Dort lag Kinderleiche – da der Bürgermeister! Schreie waren zu vernehmen, und darunter: „Jack!“ Sally! „Ich komme, Sally!“, rief er entschlossen, doch als er sich umdrehte, standen ihm Harlekin-Dämon und Mr. Hyde im Weg. Er wollte etwas sagen, aber beim Anblick ihrer gänzlich gefühllosen Gesichter blieb ihm die Stimme im Hals stecken. Überraschend trotteten sie auf ihn zu und hievten ihn mit einem Mal aus dem Fenster! Es gelang ihm nicht, sich noch irgendwo festzuhalten, und so stürzte er und schlug nach Sekunden des Fallens schmerzvoll auf den Boden auf. Seine Knochen knackten, und es gelang ihm nicht mehr, sich aufzurichten. Wie sollte er jetzt bloß Sally helfen? Was ging hier eigentlich vor sich? Ein Schatten legte sich über ihn, als jemand im Schein des großen Mondes vor ihm stand. Er blinzelte auf. Es war Sally; sie war in Sicherheit! „Ein Glück“, seufzte er, etwas erleichtert. „Aber die anderen…!“ Dann jedoch weiteten sich seine Augenhöhlen beim Anblick ihres sonst so reizenden Antlitzes. „Auch du…?“ Es war das Letzte, was er sagen konnte, ehe Sally ausholte und ihm irgendetwas Hartes gegen den Schädel schlug. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)