Dämonen, Engel und ein Drache von goldenchie (Fortsetzung zu "Enthüllungen und Geständnisse") ================================================================================ Kapitel 45: Wendepunkt ---------------------- „..........“ = wörtliche Rede >.........< = Gedanken kursive Worte sind betont ___________________________________________________________________________ ... Ren überfliegt die wenigen Zeilen kurz und sieht Kyokos Betreuerin dann ernst an. „Das nimmt langsam mehr als ernste Formen an.“, sagt er stirnrunzelnd, „Vor allem, weil er auf der Beziehung zwischen mir und Kyoko herumreitet; ganz so als sei Kyoko sein Eigentum.“ „Ich finde, wir sollten es ihr sagen.“, sagt Rina ernst. „Ja, du hast Recht. Ich rede mit ihr. – Was sagt Takarada-san?“ „Er hat noch keine konkrete Spur.“, meint Rina bedauernd und schüttelt den Kopf. „Aber er hat sie Sicherheitsmaßnahmen verstärkt und noch mehr Detektive auf den Fall angesetzt.“ „Das heißt zwar, dass die Zeit gegen diesen Stalker arbeitet“, überlegt Ren laut, „aber eigentlich macht mir diese ‚Überraschung’ im Moment am meisten Sorgen...“ „Es wird uns nichts anderes bleiben, als aufmerksam und stets auf dem Sprung zu sein....“, seufzt Rina finster. ___________________________________________________________________________ Wendepunkt „Alles in Ordnung?“, fragt Ren besorgt nach einem Blick in den Rückspiegel. Sie sind auf dem Weg, mit einigen Leuten der „Crazy Alliance“-Crew eine Location für das Making Of zu besichtigen. „Ja“, antwortet Kyoko leise seufzend, „ich frag mich nur, wie es Rina-san jetzt geht.“ „Frag doch einfach Yuhihito-kun.“, schlägt Ren grinsend vor und wirft einen kurzen Seitenblick auf seinen Betreuer im Beifahrersitz, der daraufhin verdächtig verlegen aus dem Fenster schaut. Einen Moment hält der junge Manager die erwartungsvolle Stille aus, dann seufzt er leise. „Es geht ihr auf jeden Fall schon wesentlich besser.“, meint er. „Ich denke, spätestens übermorgen wird sie nichts mehr im Bett halten; eher morgen...“ Genervt verdreht er die Augen. „Ich bin jedenfalls froh, wenn sie wieder da ist“, findet Ren, „auch wenn wir diese Woche sowieso alle gemeinsam unterwegs sind....“ „Ich frag mich bloß, woher sie diese schlimme Erkältung hat.“, überlegt Kyoko laut vor sich hin. „Sie meint, sie hätte sich auf dem Rückflug bei Sho-kun angesteckt.“, erklärt Yukihito. „Und das nasskalte Wetter in Tokio hätte ihr dann den Rest gegeben.“ „Komisch, dass es Sho-kun nicht schlimmer erwischt hat...“, rätselt Kyoko schulterzuckend. „Wieso hat der sich überhaupt verkühlt?“, fragt Ren neugierig in Kyokos Überlegungen hinein. Kyoko grinst breit. „Er hatte ein nächtliches Rendez-vous mit Kanae-chan am Strand ... und als es kühl wurde, hat er ihr seine Jacke aufgedrängt.“ „Apropos Sho-kun“, fällt Yukihito plötzlich ein, „dein Vater hat versucht, mich über ihn auszuhorchen, Ren. Hast du ihm irgendwas über diese unschöne Geschichte zwischen ihm und Kyoko-chan erzählt?“ „Hmm, nicht direkt“, druckst Ren verschmitzt herum, „ich hab nur angedeutet, dass sein Verhalten ihr gegenüber nicht immer ganz koscher war. Aber ich hab auch gesagt, dass er sich dafür entschuldigt hat.“ „Gib’s zu, du wolltest verhindern, dass er ihn quasi adoptiert!“, stöhnt Kyoko und murmelt ein wenig versöhnlicher ein „Na ja, mir soll’s recht sein...“ hinterher. Ren grinst nur breit, enthält sich jedoch ansonsten jeglichen weiteren Kommentars. Yukihito beobachtet den jungen Schauspieler ein Weilchen von der Seite, dann kichert er leise. „In der Beziehung unterscheidet er sich nicht großartig von seinem Vater; sie haben beide einen ausgeprägten Beschützerinstinkt.“, meint er und dreht sich grinsend zu Kyoko um. „Du hättest Hizuri-sans Blick sehen sollen, als er mich über Sho-kun ausfragen wollte! – Das war fast exakt der gleiche Blick, den Ren-kun im Gesicht hatte, als er von diesem Stalker in Kariuzawa erfahren hatte.“ „Das glaub ich unbesehen.“, lacht Kyoko. „Ich hab gesehen, wie Kuu-san Julie vor einem Pulk Verehrer gerettet hat. Das hatte schon frappierende Ähnlichkeit mit Rens Verhalten.“ „Ich finde überhaupt, dass sie sich erstaunlich ähnlich sind.“, meint Yukihito nachdenklich. „Ich frag mich ja ernsthaft, wie er so lange verbergen konnte Kuu Hizuris Sohn zu sein; man muss eigentlich nur ein bisschen genauer hinsehen.“ „Da ist was dran.“, findet Kyoko. „Schon allein ihre Art zu arbeiten. Dass da noch nie einem Regisseur Parallelen aufgefallen sind... Sie geben beide immer 100% oder mehr bei der Arbeit und sind absolute Perfektionisten ... und immer unterstützen sie ihre Mitspieler, wenn das nötig ist ... und zwar mit einer wahren Engelsgeduld. Mal abgesehen davon, dass sich ihre Gestik durchaus ähnelt.“ „Jepp.“, stimmt Yukihito eifrig zu. „Außerdem sehen sie sich eigentlich verblüffend ähnlich, auch wenn Ren-kun natürlich auch viel von seiner Mutter hat.“ „Oh und beide lernen so schnell Bewegungsabläufe, dass es schon richtig unheimlich ist.“, fügt Kyoko noch hinzu. „Stimmt. Allerdings bin ich ganz froh, dass es auch ein paar Unterschiede gibt.“, sagt Yukihito grinsend. „Ich finde es zum Beispiel ausgesprochen angenehm, dass Ren-kun nicht so überdreht und exzentrisch ist ... und – ganz ehrlich – wenn Ren-kun so unglaublich viel essen würde, würde ich durchdrehen. Da passe ich doch lieber auf, dass er nicht zu wenig isst.“ „Na, danke auch.“, mischt sich Ren plötzlich wieder ins Gespräch ein. „Ist ja schön, dass ihr euch so einig sein, aber mir wäre trotzdem lieber, wenn ihr nicht über mich reden würdet, als sei ich nicht anwesend.“ Kyoko greift postwendend durch die Lücke in der Kopfstütze in Rens Haaransatz und krault ihn sanft. „Als ob ich dich jemals vergessen könnte...“, sagt sie leise in sein Ohr. „Hi, zusammen.“, begrüßt Sho die drei als sie das kleine Kinotheater betreten. „Lustige Hütte. Ziemlich old-fashioned, sogar fast ein bisschen runtergekommen, ... aber ... es hat was.“ „Vielen Dank für deinen überaus wertvollen Kommentar.“, meint Ren sarkastisch. „Da wären wir auch noch selber drauf gekommen.“ „Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?“, gibt Sho ein wenig eingeschnappt zurück und wendet sich an seine Sandkastenfreundin. „Wieso bist du überhaupt mit ihm hergekommen?“ „Weil du kleines Genie dafür gesorgt hast, dass meine Betreuerin mit einer fiebrigen Erkältung im Bett liegt.“, antwortet Kyoko wie aus der Pistole geschossen. „Oh.“, macht Sho verblüfft. „Das tut mir Leid. – Aber du hättest ruhig auch mich anrufen können.“, fügt er kleinlaut hinzu. „Ich hätte dich auch abgeholt.“ „Nicht nötig“, winkt Ren mit einem angedeuteten Gentlemanlächeln ab, „es lag für mich ja sowieso auf dem Weg.“ Sho seufzt kleinlaut. „Ach so.“ „Sind schon alle da?“, unterbricht Yukihito die doch etwas angespannte Stimmung. „Äh, nein, Kanae-chan ist noch nicht da; sie wurde aufgehalten und kommt wohl etwas später. Kurozaki-san will trotzdem schon mal anfangen.“ „Oh.“, macht Kyoko überrascht. „Wo treffen wir uns eigentlich?“ „Drüben im Zuschauerraum. Kurozaki-san will noch kurz erläutern, was er sich bei der ganzen Aktion gedacht hat.“ „Na, worauf warten wir dann?“, meint Ren und schiebt Kyoko sachte mit der Hand an der Schulter vor sich her zum Treffpunkt. „Schön, dass Sie alle da sind.“, begrüßt Ushio Kurozaki seine Leute, als endlich alle einen Platz in den vorderen Reihen des Zuschauerraums gefunden haben. „Einige haben ja schon gehört, dass wir uns überlegt haben, hier in diesem kleinen Theater einige Interviews für das Making Of zu drehen. Vielleicht fällt uns heute bei der Besichtigung dazu auch schon das eine oder andere Extra ein, das wir dafür verwenden können. Ich setze da sehr auf Ihre Mithilfe und Ideen, schließlich haben wir Sie alle bei diesem Filmprojekt als kreative, kompetente Schauspieler und Crew-Mitglieder erlebt. Nach der Besichtigung werden wir uns hier wieder zusammensetzen und erste Ideen und Vorschläge sammeln. Aber natürlich ist jeder eingeladen, mir oder meinem Regieassistenten auch später noch Ideen mitzuteilen. - So, dann würde ich vorschlagen, wir gehen ein Mal gemeinsam durch das ganze Haus.“ Murmelnd und sich leise unterhalten erheben sich die Anwesenden nun von den Klappsitzen und scharen sich neugierig um Kurozaki und Saioji, seinen Regie-Assistenten, die sich offenbar schon einen groben Überblick über die Örtlichkeiten verschafft haben, als Kanae plötzlich polternd und keuchend den Saal betritt. Kyoko stutzt einen Moment irritiert und geht ihr dann freudig lächelnd entgegen. „Prima, dass du es doch rechtzeitig geschafft hast.“, meint sie und verkneift sich mühsam, ihr begeistert um den Hals zu fallen, wofür ihr Kanae außerordentlich dankbar ist. „Schon gut, schon gut“, gibt ihre Freundin zurück, während sie sich hektisch umschaut und schließlich den Blick des Regisseurs trifft, der ihr freundlich zulächelt. „Gott sei Dank, er scheint nicht sauer zu sein.“, murmelt sie dann und atmet erleichtert auf. „Hab ich was Wichtiges verpasst?“ „Eigentlich nicht. Nur dass Kurozaki-san sich nach der Besichtigung Vorschläge für das Making Of von uns erhofft.“, antwortet Kyoko grinsend. „Na dann, ... machen wir doch unsere Arbeit.“, kichert Kanae. „Lasst euch nicht stören, Ladys“, mischt sich plötzlich Ren ein, der mit seinem Betreuer unbemerkt zu ihnen gestoßen ist, „aber halte dich bitte immer in meiner Nähe auf, Kyoko, ja?“ „Natürlich.“, antwortet die junge Schauspielerin ernst. „Wegen dieser ominösen Briefe?“, hakt Kanae leise nach. „M-hm.“, nickt Kyoko. „Vorgestern kam wieder einer. Diesmal nur ganz kurz. Von wegen ’jetzt dauert es nicht mehr lang’. – Ehrlich, so langsam werde selbst ich nervös.“ „Na gut, dann werde ich jetzt mal Sho-kun für die nächste Stunde beschäftigen gehen“, meint Kanae plötzlich grinsend, „dann habt ihr wenigstens den vom Hals ... und er kommt obendrein nicht auf dumme Gedanken.“ Ein kurzes Augenzwinkern und ein aufmunterndes Lächeln später ist sie auch schon verschwunden. „Dann folgen wir mal der Herde.“, sagt Kyoko grinsend zu ihrem jungen Ehemann, der sich – trotz redlicher, gegenteiliger Versuche – den besorgten Blick nicht ganz aus dem Gesicht wischen kann. „Ich komm mir vor, als würden wir eine Touristenattraktion besichtigen.“, kichert Kyoko. „Na ja“, gibt Ren zurück und plötzlich ist doch Lächeln auf seinen Lippen, „wer weiß, ob das Gebäude nach der Premiere nicht noch zu einer wird.“ Lachend machen sich die Beiden mit Yukihito auf den Weg. Doch so ungezwungen und unbeschwert sie auch auf die meisten Außenstehenden wirken, so angespannt suchen die beiden Männer heimlich mit den Augen die Umgebung nach möglichen Gefahrenquellen ab. Auch als sie sich dem Ende der Besichtigungstour nähern, hat sich daran noch nichts geändert. Inzwischen sind sie auf der kleinen Bühne angekommen und die meisten Kollegen stehen bereits in kleinen Grüppchen zusammen, um zu diskutieren, während die beiden Männer neben Kyoko immer noch aufmerksam die Umgebung scannen. Auch Kyokos Blick schweift ein wenig vom eigentlichen Geschehen des Nachmittags ab, während sowohl Ren als auch Yukihito sich einige Schritte von ihr entfernen, um die dunklen Ecken ein wenig näher in Augenschein zunehmen. Mit einem Mal fesselt ein kurzes, metallisches Aufblitzen über ihnen Kyokos Blick und als sie mit leicht zusammengekniffenen Augen genauer hinsieht, erstarrt sie buchstäblich vor Entsetzen. Über ihr in der bescheidenen Lichtgalerie des kleinen Kinotheaters steht eine nur allzu bekannte, unverschämt selbstbewusst grinsende, männliche Gestalt, die – Kyoko mag es kaum glauben – eine kleine Armbrust in der Hand hält, mit der sie ihr nun seltsam gut gelaunt zuwinkt, während sie den Zeigefinger der anderen Hand lächelnd auf die Lippen legt. Breit grinsend wirft der Kerl ihr eine Kusshand zu und zwinkert dann verschmitzt, ganz so, als wolle er sagen, dass er jetzt alles in Ordnung bringe. Noch immer ist Kyoko wie gelähmt und aus ihrem Gesicht ist beinahe alle Farbe gewichen. Doch erst, als die dunkel gekleidete Gestalt die Armbrust anlegt und sie mit einem heimtückischen Grinsen auf Ren Tsurugas Rücken anlegt, schreckt die junge Schauspielerin endlich aus ihrer Starre hoch. „Der Beagle!“, flüstert sie entgeistert. Einen quälend langen Moment dauert es noch, bis sie endlich wieder die Gewalt über ihren Körper hat ... und dann geht alles ganz schnell. Atemlos stürmt sie auf ihrem Mann los, stößt ihn brutal aus der Schusslinie ... und wird im nächsten Moment wuchtig von den Füßen gerissen, während in ihrer rechten Schulter ein stechender Schmerz geradezu zu explodieren scheint. Hart schlägt ihr Kopf auf den Boden und noch während sie nach Luft schnappend registriert, dass der Schmerz in ihrer Schulter nicht nur erneut heftig aufflammt, sondern sich noch ausbreitet und vervielfacht, vernebelt sich ihre Sicht, bis ihr schließlich schwarz vor Augen wird. Gerade gibt Ren Tsuruga seinem Betreuer durch eine knappe Geste zu verstehen, dass er sicherheitshalber auch die Kulissen kontrollieren soll, da trifft ihn unerwartet ein grober Stoß derart brutal in die Körpermitte, dass er sofort das Gleichgewicht verliert und mehr als unsanft auf „den Brettern, die die Welt bedeuten“ landet. Irritiert schaut er sich nach der Ursache seines plötzlichen Sturzes um ... und erstarrt vor Entsetzen, als er Kyoko blutend und offensichtlich bewusstlos am Boden liegen sieht. „Kyoko!“, hört er sich selbst erschrocken schreien, während er auf allen Vieren zu seiner jungen Frau kriecht und angespannt Puls und Atmung prüft. Erleichtert stellt er fest, dass beides erstaunlich kräftig und gleichmäßig ist, in Anbetracht der Tatsache, dass sich der hellrote Blutfleck an ihrer Schulter für seinen Geschmack viel zu schnell ausbreitet. Jetzt erst registriert er, dass es ein Armbrustbolzen ist, der in ihrer Schulter steckt. Die Stirn in tiefe Falten gelegt, zieht er seine Jacke aus, um sie, sorgfältig zusammengelegt, sehr vorsichtig unter ihrem Nacken und Kopf zu platzieren. Inzwischen sind auch die anderen aufmerksam geworden und so bildet sich schnell ein Kreis um sie, in dem die Kollegen bestürzt mehr und mehr von ihrer Gesichtsfarbe verlieren. Sho und der Regisseur gar sind derart verstört, dass sie nur mit offenem Mund und irritiertem Blick wie versteinert dastehen und gebannt auf Kyokos sich hebende und senkende Brust starren. Kanae hingegen hat sich ebenfalls auf die Knie neben ihre beste Freundin begeben und sieht Ren blass und fragend an. „Was ist passiert?“, flüstert sie entgeistert. Ren sieht überrascht auf; bisher hatte er noch gar nicht bemerkt, dass er nicht mehr allein mit seiner Frau ist. „Ich weiß es nicht genau. Irgendwer muss geschossen haben.“ „Ja, das seh ich...“, gibt Kanae fassungslos zurück, während sie fieberhaft überlegt, was genau sie nun tun muss, um effektiv erste Hilfe zu leisten. Als ihr Blick zuerst auf Shos Füße und dann weiter oben in sein bleiches Gesicht fällt, weiß sie es plötzlich wieder. „Ruf einen Krankenwagen!“, schreit sie ihn barsch an und haut ihm nachdrücklich auf den Unterschenkel. „Ich... Ja, natürlich.“, antwortet der Junge beinahe schon automatisch und greift nach seinem Handy, um einen Moment später die Notrufnummer einzugeben. „Na also.“, murmelt Kanae kaum hörbar und wendet sich erneut Ren zu, der gerade versucht, Kyoko wieder zu Bewusstsein zu bringen. Das Erste, was Kyoko wieder wahrnimmt, ist eine tiefe, sanfte Stimme, die ihrem Ohr merkwürdig nahe ist und seltsamerweise äußerst besorgt klingt. Mit einiger Mühe schafft sie es schließlich, ihre Augen zu öffnen, nur um sie gleich wieder zu schließen, denn das Licht der Scheinwerfer erzeugt unerwartet ein schmerzhaftes Stechen in ihrem Kopf. Tapfer versucht sie noch einmal, blinzelnd ihre Augen zu öffnen und als sie es schließlich fertig bringt, registriert sie verwundert die Gestalten, die sich um sie herum versammelt haben. Angestrengt bemüht sie sich, klarer zu sehen, doch vorerst bleibt alles reichlich verschwommen, selbst das Stimmengewirr, das nun auf sie einzustürmen scheint; es ist ihr nicht einmal möglich, einzelne Stimmen zu unterscheiden. Angestrengt versucht sie, sich zu erinnern, was passiert ist und langsam, ganz langsam erscheint ein immer klarer werdendes Bild von einer männlichen Gestalt vor ihrem inneren Auge, die ganz in Schwarz gekleidet ist und ein äußerst gemeines Grinsen im Gesicht hat. Schlagartig rast ihr Puls und sie stöhnt keuchend auf. „Koon!“, bringt sie heiser heraus. „Wo ist er? Ist er in Ordnung?“ Panisch versucht sie, ihren Blick zu fokussieren. Eine große, warme, sehr vertraute Hand auf ihrer Wange beruhigt sie schließlich ein wenig, jedoch nur für einen Moment. Mühsam rafft sie alle Energie zusammen, um sich zu konzentrieren und wenigstens wieder einigermaßen klare Gedanken zu fassen, was ihr mit geradezu unmenschlicher Anstrengung endlich auch gelingt, allerdings um den Preis, dass ihr Kopf, ebenso wie ihr gesamter Oberkörper, von einer derart starken Schmerzwelle überschwemmt wird, dass es ihr zunächst den Atem raubt. Erst ein paar forcierte Atemzüge später ist sie in der Lage zu sprechen. „Ren“, flüstert sie, froh ihn endlich klar erkennen zu können, „es war der Beagle! Er wollte auf dich schießen. Bist ... du ... okay?“ „Beagle?!“, keucht Sho entsetzt auf. „Reino?!“ „Keine Sorge, bis auf ein paar blaue Flecke bin ich in Ordnung.“, beantwortet Ren erst die drängende Frage seiner jungen Frau, bevor er sich stirnrunzelnd an Sho wendet. „Wer ist Reino?“ „Der Frontmann von Vie Ghoul, falls dir das was sagt.“, gibt der junge Sänger düster zurück. „Der Typ hat Kyoko-chan schon mal in Karuizawa belästigt. Allerdings konnte ich rechtzeitig dazwischen gehen.“ „Ich schätze, ihr habt euren Briefschreiber.“, stellt Kanae düster fest, während sie ihren eigenen Mantel zusammenrollt, um ihn unter Kyokos Füßen zu platzieren. Mühsam hebt Kyoko indessen ihre linke Hand, tapfer gegen die Schmerzen in ihrem Oberkörper ankämpfend und ergreift schließlich wie im Zeitlupentempo Rens Ärmel, um kraftlos daran zu ziehen. „Ren“, bringt sie ächzend heraus, „er wollte dich treffen! Nicht mich! Er ist immer noch da... Er... Er war ... oben ... zwischen den Scheinwerfern.“ Der ebenso zärtliche wie besorgte Blick ihres Mannes verändert sich daraufhin schlagartig. Seine Augen verengen sich zu schmalen Schlitzen und seine Aura verdunkelt sich dermaßen, dass der Kreis von Menschen um Kyoko unwillkürlich ein wenig weiter wird. Kyoko meint gar, einen riesigen, mächtigen Drachen hinter ihm erkennen zu können. Seltsamerweise beruhigt sie dieser Eindruck ein wenig, ... im Gegensatz zu den umstehenden Personen, die noch ein wenig mehr zurückweichen. Kyokos Mundwinkel umspielt ein angedeutetes Lächeln; allerdings nur kurz, denn der pochende Schmerz in ihrer Schulter und das Dröhnen in ihrem Kopf holen sie schnell wieder in die derzeit überaus harte Realität zurück. Stöhnend schließt sie die Augen. Ren stupst sie unsanft an. „Nicht einschlafen!“, sagt er barsch, doch sein Blick spricht eher von Panik und Besorgnis als von Strenge. Kyoko zieht scharf die Luft ein und öffnet erschrocken wieder ihre Augen, während sie ihr Gesicht zu einer schmerzverzerrten Grimasse verzieht. „Entschuldige, das war wohl zu fest“, meint Ren ein bisschen zerknirscht „aber versuch wenigstens so lange wach zu bleiben, bis der Notarzt da ist.“ Dann wendet er sich übergangslos an Kanae. „Halt deinen Finger hier drauf und versuch, die Blutung zu stoppen.“, erklärt er und zeigt ihr die entsprechende Stelle. „Achte darauf, nicht zu nah an ihr Schlüsselbein zu kommen, vermutlich ist es gebrochen und sieh zu, dass sie bei Bewusstsein bleibt.“ Kanae folgt seinen Anweisungen kommentarlos, auch wenn Kyoko unter der Berührung erneut ächzend zusammenzuckt. Inzwischen steht kalter Schweiß auf ihrer Stirn und ihr Blick ist wieder ein bisschen glasiger geworden, was auch Kanae besorgt registriert. „Was soll ich mit diesem Ding machen?“, fragt sie Ren und deutet auf den Bolzen, der immer noch in Kyokos Schulter steckt. „Am besten lässt du die Finger davon.“, sagt Ren ernst. „Das Wichtigste ist, die Blutung zu stoppen und sie möglichst bei Bewusstsein zu halten, alles andere macht besser der Notarzt. Ich werde in der Zwischenzeit versuchen, dieses verdammte Schwein zu erwischen; weit kann er noch nicht sein, ich hab mitgekriegt, wie Saionji-san kurz nach deinem Eintreffen alle Türen verschlossen hat, damit wir keinen ungebetenen Besuch von Paparazzi bekommen.“ „Ich geh mit.“, bietet Sho resolut an und auch die meisten anderen Männer aus dem Team sind fest entschlossen, den Attentäter möglichst schnell zur Strecke zu bringen. Kyoko hingegen greift erneut erschrocken nach Rens Ärmel und stöhnt mühsam beherrscht auf. „Ren...“, beginnt sie stockend, kleine Tränen in den Augenwinkeln. „Bitte... Sei vorsichtig. Ich will nicht, dass...“ „Keine Sorge“, besänftigt Ren sie leise, „ich pass auf mich auf. Aber ich kann auch nicht zulassen, dass er damit durchkommt.“ Sachte streichelt er über ihre Wange und wischt eine Träne aus dem Augenwinkel. „Und du sieh zu, dass du wach bleibst.“ „Ich geb mir Mühe.“, nickt sie schwach ... und bereut sofort, dass sie ihren Kopf bewegt hat. Wieder stöhnt sie schmerzerfüllt auf. „Bleib einfach ruhig liegen und lass dir was von Kanae-chan erzählen.“, meint Ren und nickt ihr so aufmunternd zu, wie seine Sorge es zulässt. Dann erhebt er sich, wendet sich an die Kollegen und beginnt, sie ohne viel Federlesen in Gruppen aufzuteilen und an verschiedene strategische Punkte des Gebäudes zu schicken. Seine Aura ist dunkler denn je und alle, die in der Lage sind, den bedrohlichen, feurigen Drachen in seinem Rücken wahrzunehmen, halten gebührenden Abstand zu dem jungen Schauspieler. Minuten später schon haben sie das gesamte Kinotheater durchsucht und sich gegenseitig per Handys informiert, dass keiner von ihnen – außer der kleinen Armbrust, die jemand hinter der Bühne neben dem Aufgang zur Lichtgalerie entdeckt hat - eine Spur des Attentäters finden konnte. „Warte mal!“, meint Sho plötzlich, als Ren gerade wieder eine Rückmeldung per Telefon entgegennimmt. „Ich glaub, die Tür ist vorhin erst geöffnet worden. Hier sind deutliche Spuren im Staub zu erkennen. Soweit ich mich erinnere, sind wir bei der Besichtigung nicht hier vorbei gekommen.“ Ren kommt stirnrunzelnd näher und nickt düster. „Stimmt.“, sagt er nachdenklich, „allerdings könnte es schon sein, dass trotzdem jemand neugierig war. – Lass uns einfach nachsehen.“ Sho nickt entschlossen und drückt vorsichtig die Klinke herunter, während sich Ren bereits in Position begibt, um gleich durch den Ausgang zu preschen, wenn er offen ist. Sho reißt mit einem Ruck die schwere Eisentür auf und Ren ist mit einem Satz draußen, schaut sich sofort konzentriert um und kriegt gerade noch mit, wie eine dunkle Gestalt um die Ecke verschwindet. „Da!“, brüllt er und hechtet auch schon hinter dem mutmaßlichen Stalker her. Sho ist geistesgegenwärtig genug, Rens Handy aufzufangen, das er in seinem Drang, den Übeltäter zur Rede zu stellen, einfach hat fallen lassen. Hastig gibt er der Person am anderen Ende, die immer noch dran ist, die wichtigsten Informationen durch, während er dem jungen Schauspieler bereits hinterherhetzt. Es dauert nicht lange, dann hat er ihn eingeholt und das Bild, das sich ihm nun bietet, verblüfft ihn so sehr, dass er sich ein schadenfrohes Grinsen nicht ganz verkneifen kann. Ren hat Reino bereits erwischt und dieser kniet nun mit blauem Auge, blutender Nase und sich laut stöhnend den Bauch haltend vor dem großen, sehr bedrohlich wirkenden Mann, der ihn immer noch am Kragen hat und drauf und dran ist, ihn nach allen Regeln der Kunst zu verprügeln, ... jedenfalls wenn man nach der Miene des jungen Schauspielers geht. Reino wimmert panisch um Gnade, doch Ren ist dermaßen in Rage, dass er kaum gewillt scheint, von dem jungen Sänger abzulassen. „Du wirst dich nie wieder an ihr vergreifen!“, zischt er dem schwarz gekleideten Jungen zu, der darauf immer weiter in sich zusammensinkt. Sho hat beinahe Mitleid mit dem Frontmann von Vie Ghoul, allerdings nur beinahe... Dafür kommt ihm plötzlich ein anderer Gedanke. Langsam und mit betont hörbaren Schritten nähert er sich den Beiden und räuspert sich, als er neben Ren ankommt. „Was?!“, fragt dieser ihn ungehalten. „Ich wusste gar nicht, dass Kyoko-chan dir so viel bedeutet.“, sagt er ruhig. Ren Tsuruga funkelt den Sänger so düster an, dass Sho eiskalte Schauer über den Rücken laufen. „Du hast keine Ahnung.“, grummelt Ren leise. Sho seufzt leise. „Kann sein.“, gibt er so ruhig wie möglich zurück. „Aber wenn du ihn weiter prügelst, setzt du einiges aufs Spiel; Polizei und Krankenwagen sind sicher jeden Moment hier. Ich denke, es wäre besser, ihn in einem Stück abzuliefern.“ Rens Griff lockert sich ein wenig und Reino sinkt winselnd zu Boden. „Wenn du willst, übernehme ich die Verantwortung hierfür.“, bietet Sho grinsend an. „Passt eh besser zu meinem Image als zu deinem.“ Ren kann sich nicht verkneifen, ihm ein schräges Grinsen zuzuwerfen. „Das wird kaum nötig sein.“, meint er – nun wesentlich ruhiger, „das hier läuft durchaus noch unter ‚Selbstverteidigung’ und ‚Gefahr im Verzug’ ... und außerdem werde ich ab morgen wohl größere Hindernisse zu überwinden haben.“ Leise seufzend strafft er sich und tritt einen kleinen Schritt zurück. „Lass ihn uns nach vorne zur Straße schaffen, damit die Gesetzeshüter sich ihn kümmern können.“ „Gerne.“, grinst Sho und wirft einen kurzen, abfälligen Blick auf den eingeschüchterten, jungen Mann am Boden. „Danke, Sho-san“, bringt dieser immer noch wimmernd heraus und macht Anstalten, sich vor seinem Erzfeind in tiefem Kotau in den Dreck zu werfen. Sho winkt angewidert ab. „Freu dich nicht zu früh“, verkündet er finster, „ich hab eigentlich auch noch ein Hühnchen mit dir zu rupfen. Ich denke, wir werden dich schön zwischen uns nehmen, um dich abzuliefern. Wir wollen ja nicht, dass du dich aus dem Staub machst. Und ich werde dabei ganz bestimmt nicht zimperlich sein.“ Als wären sich die Beiden noch nie uneinig gewesen, greifen Sho und Ren jeder ausgesprochen roh einen Arm von Reino und reißen ihn brutal auf die Füße, sodass dieser vor Schmerz kurz aufschreit. „Stell dich nicht so an!“, fordert Sho unbarmherzig, „als du Kyoko-chan angeschossen hast, hat es dich auch nicht gekümmert, jemandem weh zu tun.“ „Oder ihn umzubringen.“, ergänzt Ren zähneknirschend und nur mühsam beherrscht. Mit finsteren Mienen machen sich Ren und Sho auf den Weg, Reino seiner – hoffentlich gerechten – Strafe zuzuführen. Von Weitem sind bereits Sirenen zu hören. Gleichzeitig mit der Polizei trifft ein Krankenwagen ein und während Ren und Sho, unterstützt vom Regisseur und einigen anderen Kollegen, den Beamten die Ereignisse schildern, schweifen Rens Gedanken immer wieder sorgenvoll zu Kyoko ab. Als sie endlich fertig sind und Reino in Handschellen gelegt und sicher im Polizeiwagen verstaut ist, kommen auch die Sanitäter mit Kyoko auf der Bahre aus dem etwas heruntergekommenen Gebäude. Sie scheint kaum noch bei Bewusstsein und murmelt ständig nur bruchstückhaft verständliches Zeug vor sich hin, von dem die Sanitäter eigentlich nur die Worte ‚Koon’ und ‚Ren’ deutlich hören. Ren macht sich hastig auf den Weg zu seiner Frau, wird jedoch kurz vor dem Krankenwagen vom Notarzt aufgehalten. „Was wollen Sie?“, fragt dieser ihn barsch. „Die junge Dame muss auf dem schnellsten Weg in die Klinik und im Krankenwagen dürfen nur Angehörige mitfahren.“ Sho ist dem jungen Schauspieler gefolgt; einerseits ist er neugierig, was Ren als nächstes tun wird, andererseits würde er ebenfalls gern einen Blick auf seine Kindheitsfreundin werfen, um wenigstens einen kleinen Eindruck davon zu bekommen, wie es ihr inzwischen geht. „Ich bin ein Angehöriger!“, entfährt es Ren ungeduldig; beinahe gewaltsam verschafft er sich Zugang zur Bahre und nimmt Kyokos Hand, worauf das Mädchen sich fast augenblicklich beruhigt, leise ein „Gott sei Dank“ flüstert und wieder einmal vergeblich versucht, ihren Blick zu fokussieren. Der Notarzt beobachtet Ren zunächst skeptisch, doch als er bemerkt, wie sehr seine Patientin sich in seiner Gegenwart beruhigt, ist er zumindest nicht mehr so schroff, als er sich wieder an ihn wendet. „Wer sind Sie?“, fragt er streng, „Ihr Bruder? Oder doch nur ihr Freund?“ Sho, der kaum zwei Meter entfernt steht, hält unwillkürlich die Luft an. „Nein“, antwortet Ren düster und ein wenig zu laut, „ich bin ihr Ehemann!“ Sho klappt beinahe der Unterkiefer auf den kalten, nassen Asphalt. Schlagartig setzen sich kleine Puzzleteile in seinem Gehirn zu einem Ganzen zusammen ... und er versteht. Der Notarzt indessen sieht den jungen Schauspieler für einen Moment verblüfft an und trifft dann seufzend eine Entscheidung. „Na gut, steigen Sie ein.“, sagt er resignierend. „Aber nur ausnahmsweise und weil Sie die junge Dame zu beruhigen scheinen.“ Irritiert sieht der junge Schauspieler den Mann an und will zunächst frustriert protestieren, doch dann besinnt er sich eines Besseren und macht, dass er in den Wagen kommt, damit sie nicht noch mehr Zeit verlieren. Einen Moment später schließen sich die Türen hinter ihm und der Krankenwagen rast mit höchster Geschwindigkeit dem Krankenhaus entgegen. Zurück bleibt ein fassungsloser Sho, dem die Gedanken wirr durch das Gehirn wuseln und der ein wenig verstört dem längst verschwundenen Krankenwagen nachsieht. Sachte legt sich eine Hand auf seine Schulter und eine weibliche Stimme seufzt leise in die kalte Winterluft. Langsam dreht sich der junge Sänger herum und sieht Kanae ernst an. „Sind sie wirklich verheiratet?“, fragt er mit belegter Stimme. Kanae schaut ihn einen Moment lang eindringlich an, dann seufzt sie erneut. „Ja.“, bestätigt sie flüsternd. „Und du wirst das schön für dich behalten.“ „Ich...“, stammelt Sho verwirrt und schüttelt unwillig den Kopf, „ich will Kyoko-chan doch keinen Ärger machen. Ich... Ich ... hätte nur nie gedacht...“ „Schon gut.“, sagt Kanae und gibt ihrem spontanen Impuls nach, ihn einfach in die Arme zu nehmen. Minutenlang stehen sie so in der feuchten Kälte und jeder der Beiden genießt die Wärme, die sie sich gegenseitig spenden, auf seine eigene Weise. ___________________________________________________________________________ Nachwort Ja, ich weiß, ein Cliffhanger. Aber es war ebenso notwendig wie auch logisch, hier eine Zäsur zu machen. Dafür müsst ihr – vermutlich ☺ – auf das nächste Kapitel auch keine drei Wochen warten. Schon merkwürdig übrigens, dass die meisten Szenen dieses und der nächsten Kapitel, die ich ja schon von Anfang an ziemlich genau skizziert hatte, sich doch noch so deutlich verändert haben. – Na ja, vielleicht doch nicht so merkwürdig nach drei (!!) Jahren. ☺ Hey, und keine Sorge! Ihr kennt mich doch, ich bin eine Happy End Junkie! ☺ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)