Auf Diät von caladriuss (Setox Joey) ================================================================================ Kapitel 23: Eine Chance? ------------------------ Die Frau ging auf Seto zu und drückte ihm einen leichten Kuss auf die Stirn, wofür ich sie am liebsten gleich gegen eine Wand geklatscht hätte. Was fiel ihr ein, meinen Liebsten zu küssen? Hinter ihrem Rücken zauberte sie eine rote Rose hervor. Dann setzte sie sich auf die Bettkante und strahlte Seto an. „Sorry, dass ich erst jetzt komme, aber ich musste meinen Sohn noch untersuchen lassen, ob es ihm wirklich gut geht. Dank dir ist er aber wohlauf“ „Dann war das dein Sohn?“, fragte Seto verwundert. Dann schlug er sich mit der flachen Hand gegen die Stirn „Oh Mann! Dich habe ich total vergessen. Tut mir Leid“ „Schon gut, Süßer. Vielmehr sollte ich mich dafür entschuldigen, dass dieser Unfall überhaupt passiert ist. Wie fühlst du dich?“ „Den Umständen entsprechend“ „Dann hole ich mal meinen Sohn, damit er sich bei dir bedanken kann“, schnell sprang sie auf und eilte aus dem Zimmer. Wurde aber auch Zeit. Die sollte ja nicht wiederkommen! Eines stand fest: NIEMAND AUßER MIR DURFTE SETO SÜß NENNEN! Sollte sie das noch einmal wagen würde ich sie erwürgen! Oh ja, ich würde sie platt machen! „Krieg dich mal wieder ein!“, murrte Seto ungeduldig. Anscheinend hatte man mir meine Wut überdeutlich angesehen. „Das ist doch nur Sheena, Rikus ältere Schwester – und macht euch keine Hoffnungen. Sie ist verheiratet“, das war wohl mehr an uns alle gerichtet, denn die anderen drei – selbst Mokuba – hatten die Frau mehr als begeistert angestarrt, wohingegen ich... wie eine eifersüchtige Furie gewirkt haben musste. „Tschuldige“, murmelte ich. „Warum versucht ihr drei nicht, sie ein bisschen zu beeindrucken?“, schlug Seto vor. Anscheinend verstanden sie die Anspielung. Sie nickten nur und folgten Sheena dann nach draußen. Jetzt waren wir allein. Ich ahnte nichts Gutes dabei, denn Seto schaute so ernst drein. „Wie hast du dir vorgestellt, soll es jetzt weitergehen?“, fragte er. „Keine Ahnung“, gestand ich. Ich war vielmehr damit beschäftigt gewesen, mich um ihn zu sorgen, als über unsere Beziehung nachzudenken. „Dachte ich mir schon“, ein trauriges Lächeln umspielte seine Lippen, „Du denkst nie besonders weit, nicht wahr?“ „Naja“, da hatte er eigentlich Recht, „Stimmt wohl. „Wie soll das nur weitergehen?“ Ich seufzte ergeben, „Wenn es dir unangenehm ist, lass uns doch einfach so tun, als wäre das nie geschehen und weitermachen wie bisher“ Er sah mich überrascht an „Das geht nicht. Du würdest nur darunter leiden“ „Ist doch unwichtig. Hauptsache, wir können uns noch in die Augen sehen“ „Und du meinst, wenn du dein Geständnis einfach wieder zurücknimmst, wäre alles wieder im Lot?“ „Ich weiß nicht, was ich sonst tun soll“, meinte ich verzweifelt. Das hatte ich noch gar nicht berechnet bei all meinen Überlegungen. Ich hatte mir immer eingeredet, dass es ein Hintertürchen geben würde, das ich nur noch finden müsste, um dieser prekären Lage zu entfliehen. Aber erst jetzt wurde mir klar, dass es da keines gab. Die Situation war aussichtslos, es gab kein Entkommen. Also musste ich mich wohl oder übel jetzt entscheiden. Nachdenklich musterte ich Joey. Er hing wie ein Schluck Wasser auf seinem Stuhl, als würde er gleich davon runtergleiten, sich zu einer Kugel zusammenrollen und hemmungslos losheulen. Und das nur, weil ich nicht wusste, wie ich mich entscheiden sollte. Aber man musste mir zugute halten, dass es sich hier nicht um eine lapidare Entscheidung, welches Hemd man anzog, sondern um etwas viel Schwerwiegenderes ging. Nämlich in welche Richtung sich die Beziehung zwischen Joey und mir entwickeln sollte. Ich konnte wirklich nicht auf Joey als Vertrauensperson verzichten, aber die Frage war, wie ich das in mein Leben einbauen sollte. Wenn ich Joey als Freund behalten wollte, würde ich wohl oder übel mein Liebesleben auf Eis legen müssen, um ihn nicht in den Selbstmord zu treiben, und das würde nicht lange gut gehen. Ich brauchte meinen Spaß. Das machte die ganze Sache noch viel vertrackter. Also musste ich eigentlich nur Joey und Liebesleben kombinieren. Moment...! Das klang irgendwie... nicht so wie es klingen sollte. Ich wollte Joey nicht IN meinem Liebesleben. Aber wie sollte ich es denn sonst machen? Ich könnte Joey ja auch mit jemand anderen verkuppeln, auch wenn das echt fies wäre. Wenn ich ihn schon nicht in mein Liebesleben ließ, dann konnte ich doch nicht auch noch in seines mischen. „Das geht nicht. Das geht einfach nicht!“, fluchte ich. Scheiß Liebe! „Was genau stört dich daran?“, fragte er patzig. Anscheinend schien er der ganzen Situation langsam überdrüssig zu werden, denn er sah mich dermaßen verbittert an, dass ich eine Gänsehaut bekam „Dass du einen Mann lieben müsstest?“ „Nein Unsinn! Natürlich nicht. Auf gar keinen Fall. Ich meine, ach was. Eigentlich nicht. Oder vielleicht ein winziges bisschen? Ach keine Ahnung“, nachdenklich fuhr ich mir über die Augen, „Es ist irgendwie ein seltsamer Gedanke“ „Ein abartiger Gedanke?“ Ich rollte mit den Augen „Nein, das habe ich doch auch nicht gesagt, oder? Es ist nur ungewohnt, weil ich noch nie über so etwas nachgedacht habe“ „Also schließt du es nicht vollkommen aus?“, fragte er jetzt hoffnungsvoll. „Keine Ahnung“, dachten wir doch mal logisch über die Sache nach und taten so, als ob Joey eine Frau wäre. Eine schöne junge Frau mit seidigen blonden Haaren, die Joeys Charakter hätte. Sie wäre temperamentvoll, witzig, ein wenig anhänglich und ungemein liebenswert. Ja, wenn er eine Frau wäre, könnte ich mir eine Beziehung verdammt gut vorstellen. „Wow. Ich bin ganz schön oberflächlich, oder?“ Joey sah mich verwirrt an „Ich kenne dich zwar verdammt gut, aber ich weiß doch nicht, worauf du so achtest.“, er senkte den Blick und sah zerknirscht zu Boden, „Aber wenn ich an die drei Mädchen denke, von denen du erzählt hast, könnte man schon meinen, du wärst oberflächlich“ „Bitte?“, überrascht starrte ich ihn an. Welche drei Mädchen? Oh... die drei Mädchen, mit denen ich in den letzten zwei Wochen geschlafen hatte. Daran konnte Joey sich erinnern? Das hatte ich doch nur nebenbei erwähnt und jetzt hielt er es mir auch noch vor. Man war der nachtragend. Das war doch nur ein bisschen Spaß für zwischendurch gewesen. „Du wirst wohl kaum nach der großen Liebe gesucht haben, oder?“ „Stimmt schon, aber...“, nachdenklich fuhr ich mir durchs Haar, „das war eher Vergnügungssucht. Dabei ging es niemals um etwas Ernstes.“ „Ist das nicht oberflächlich?“ „Ja...“, ich seufzte ergeben. Da hatte er Recht, „Dann bin ich wohl wirklich ziemlich oberflächlich“ Scheiß drauf. Hab ja nie gesagt, dass ich die Unschuld vom Lande wäre. „Unsinn!“, er winkte ab, „Du bist nimmst alles nur so... leichtfertig hin. – Egal. Also wieso solltest du oberflächlich sein?“ „Nur so“ „Sag schon“ „Weil...“, ich kaute auf meiner Unterlippe herum, „Weil ich mir eine Beziehung mit dir vorstellen könnte, wenn du eine Frau wärst“ „Oh“, sein Blick sank Richtung Boden, „Aber du kannst dir keine mit einem Mann vorstellen“ „Keine Ahnung“, war da eigentlich ein Unterschied, abgesehen von... naja... den Geschlechtsmerkmalen? Vielleicht war es ja gar nicht so anders. Nachdenklich musterte ich Joey. Er hatte eigentlich nichts Abschreckendes an sich – zumindest, wenn er bekleidet war. Vielleicht sollte ich es einfach mal versuchen. „Joey“, betrübt sah er mich an. Den Moment nutzte ich. Ich beugte mich vor und küsste ihn vorsichtig auf die Lippen. So unangenehm wie ich gedacht hatte, war es gar nicht. Um ehrlich zu sein war es auch nicht anders als eine Frau zu küssen. Es war wirklich angenehm, auch wenn ich jetzt mit Sicherheit wusste, dass Joey wirklich keine Erfahrung hatte. Er riss ungläubig die Augen auf und hing wie ein Schluck Wasser an meinen Lippen, total erstarrt. Aber dann schloss er sie zufrieden seufzend wieder und erwiderte den Kuss. Mein erster Kuss! Mein erster RICHTIGER Kuss! Oh mein Gott, das war ja so viel besser, wenn beide Beteiligten mitmachten. Alles vorher waren ja nur einseitige Bemühungen meinerseits gewesen, das zählte wohl kaum als wirklicher Kuss. Aber das hier ließ keinen Zweifel mehr daran, wie sich ein echter Kuss anfühlen musste. Ich musste an mich halten, um nicht vor Begeisterung zu zerfließen. Diese weichen, zarten Lippen mit dem feinen süßlichen Geschmack machten aber auch süchtig. Ganz vorsichtig tasteten wir uns ab, knabberten zaghaft an den Lippen des anderen und genossen einfach nur die Berührungen. Und Seto war ein verdammt guter Küsser. Zum Glück war wenigstens er erfahren, was das anging, dadurch konnte er mich sehr gut leiten. Ich wollte mich nie wieder von diesen warmen Lippen trennen, aber irgendwann ließ er doch von mir ab, um Luft zu holen. Stimmt. Erst jetzt fiel mir auf, dass meine Lungen bereits verzweifelt nach Sauerstoff schrien. Mir war gar nicht aufgefallen, wie lange wir aneinander gehangen hatten. Aber das war auch egal, solange wir das nur so schnell wie möglich wiederholten. Ich sah Seto ungläubig an. Er hatte mich freiwillig geküsst, obwohl ich fast schon überzeugt gewesen war, dass keine Chance mehr für uns bestand. Aber bestand jetzt denn wirklich eine Chance? Durfte ich mir Hoffnungen machen? Ich musste es wissen. „Was bedeutet das?“, fragte ich ängstlich. Wenn er mir jetzt einen Korb gab, würde ich auf der Stelle tot umfallen. „Ich weiß nicht“, er fuhr mit dem Finger über seine köstlichen Lippen, wobei er mich nachdenklich musterte. „Siehst du eine Chance?“, fragte ich leise. Da schenkte er mir ein warmes Lächeln „Ich brauche etwas Zeit, um mich daran zu gewöhnen, aber ich denke, wir könnten es versuchen.“ Ich hätte heulen können vor Freude. Er gab mir eine Chance, eine echte Chance „Du kannst dir so viel Zeit nehmen, wie du willst“, rief ich überglücklich. „Ich will deine Freude ja nicht dämpfen aber wir sollten das wirklich ganz ganz langsam angehen“ „Macht doch nichts“, ich würde ihm alle Zeit der Welt lassen, wenn er nur bei mir blieb. Es musste für ihn wirklich eine große Überwindung gewesen sein, einem Versuch zuzustimmen und ich war ihm unendlich dankbar. Diese Chance war noch keine Garantie dafür, dass wir tatsächlich eine Beziehung Zustande bekamen, aber ich würde alles tun, damit es funktionierte. Ich würde ihm jeden Wunsch von seinen wundervollen Augen ablesen, damit er sich wohl fühlte. „Gib mir einfach etwas Zeit, bevor wir uns annähern“, bat ich. Mehr brauchte ich nicht „Versprochen“ Abrupt wurden wir von den anderen unterbrochen, die Sheena mit hängenden Köpfen hinterherliefen. Dahinter tauchte ein Mann mit einem Kind an der Hand auf, der die drei strafend ansah. „Ah, das ist dann wohl dein Mann“, rief ich grinsend. Ich konnte erkennen, dass Leo, Akito und Mokuba wohl eine kräftige Abfuhr bekommen hatten. Sheena nickte. Sie packte ihren Mann bei der Hand und führte ihn ans Bett, damit ich ihn begutachten konnte. „Das ist Kato. Und meinen Sohn, Heiji, kennst du ja schon“ Ich nickte flüchtig, aber mein Blick haftete auf dem kleinen Jungen, der sich ein wenig hinter seinem Vater versteckte. Er hatte dunkles Haar und dunkle Augen, die mich neugierig betrachteten. Irgendwie erinnerte er mich wirklich sehr stark an Riku. „Bist du verletzt?“, fragte ich vorsichtig. Der Kleine schüttelte den Kopf und fixierte mich weiter mit seinen großen dunklen Augen. „Er ist ein bisschen schüchtern. Aber Dank dir sind wir noch einmal mit dem Schrecken davon gekommen“, antwortete Kato stattdessen. Er beugte sich zu mir runter und nahm sich so plötzlich in den Arm, dass ich vor Schreck nach Luft schnappte. Der Kerl war ganz schön kräftig und er drückte mir vor lauter Dankbarkeit schmerzhaft auf die Rippen. „Schon gut“, presste ich hervor. Ich hoffte nur, dass er bald losließ, bevor er mir auch noch die restlichen Rippen brach. Diesmal war ich wirklich dankbar, als Joey dazwischen ging. Sanft aber bestimmt, zog er Kato von mir weg, damit ich wieder frei durchatmen konnte. Kraftlos ließ ich mich zurück in die Kissen sinken. Diese ganzen Leute waren so anstrengend mit ihrer Fürsorge und ihrer Dankbarkeit. Sie meinten es zwar gut, aber eigentlich wäre etwas Schlaf so langsam auch nicht so verkehrt. Müde fuhr ich mir über die Augen. „Willst du nicht mal etwas essen?“, fragte Joey plötzlich, „Immerhin musst du doch Hunger haben“ „Nein. Ich bin eigentlich nur müde“, meinte ich wahrheitsgemäß. „Oh, in Ordnung“, Joey richtete sich an die anderen, „Vielleicht solltet ihr gehen, damit Seto sich ein wenig ausruhen kann“ Kato nickte „Na gut.“, er führte seinen Sohn näher ans Bett, „Sag auf Wiedersehen“, und tatsächlich streckte der schüchterne Junge mir die Hand entgegen „Auf Wiedersehen“, sagte er leise. Ich nahm die kleine Hand in meine und schüttelte sie vorsichtig „Auf Wiedersehen“, ich schenkte ihm ein warmes Lächeln, das er sogar erwiderte. Ja, er war Riku wirklich ähnlich. Er war nämlich auch so schüchtern gegenüber allen Fremden gewesen. Aber wenn man wusste, wie man ihn anpacken musste, konnte man sein Herz ziemlich schnell erweichen. Dann kam Sheena noch zu mir und gab mir einen Kuss auf die Wange „Dann erhol dich mal gut, mein Süßer“ „Hey!“, ihr Mann sah relativ entrüstet drein und auch Joey stellten sich dabei sichtlich die Nackenhaare auf. „Keine Sorge. Er ist süß wie ein kleiner Bruder. Aber du bist süß wie mein Mann“, lachte Sheena. „Stimmt, ich stehe außer Konkurrenz“, nickte ich. Sie winkte noch einmal kurz, bevor sie mit ihrer Familie nach draußen verschwand. „Ach, uns willst du auch rauswerfen?“, fragte Akito entrüstet, „Starkes Stück“ „Seto braucht seine Ruhe. Also raus!“ „Und du störst wohl nicht, oder was?“, murrte Mokuba. Leo nickte bekräftigend. „Einer muss ja hier bleiben und aufpassen und ich bin bereit, dieses Opfer auf mich zu nehmen.“ „Wie aufopfernd von dir“, spöttelte ich, „Aber wenn es euch nicht stört, hätte ich gerne meine Ruhe, ohne im Schlaf angestarrt zu werden“ „Im Klartext, alle raus!“, Akito packte Joey am Kragen und schleifte ihn mit den anderen beiden nach draußen, „Dann schlaf aber gefälligst auch!“ „Jaja, versprochen“, da würde er sich keine Sorgen machen müssen. Ich war sowieso total erschöpft und dieses Bett war auf einmal unglaublich bequem. Kaum schloss ich die Augen, da schlief ich auch schon ein. Und so vergingen auch die nächsten zwei Tage im Krankenhaus ziemlich ereignislos. Ich verbrachte jede freie Sekunde bei Seto – auch wenn er meistens nur schlief. In letzter Zeit hatte er wirklich ein ausgeprägtes Schlafbedürfnis. Aber das machte nichts, denn er sah unglaublich süß aus, wenn er schlief. Die Kratzer in seinem Gesicht waren schon kleiner geworden und er sah sowieso schon fitter aus. Seit dem Kuss waren wir uns nicht mehr näher kommen, denn Seto wollte erstmal ein bisschen Abstand und das respektierte ich. Jeden Tag kamen auch die anderen Mal vorbei, aber sie blieben nie lange, weil Seto den vielen Besuch und den Trubel um seine Person nervig fand und sie meist schnell wieder elegant rauswarf. Nur Sheena und ihre Familie durften ab und zu etwas länger bleiben, wenn sie kamen. Mich störte das nicht mehr, denn ich wusste ja, dass da nichts zwischen Seto und Sheena lief. Aber es war interessant, zu sehen, wie er es schaffte, dass sich Heiji ihm gegenüber immer mehr öffnete. Der Junge war allen außer seinen Eltern von Anfang an extrem schüchtern gegenübergetreten und er hatte nie auch nur ein Wort mit uns gewechselt. Aber Seto hatte ihn geknackt. Inzwischen setzte sich der Kleine immer auf das Bett und schwatzte munter vor sich hin. Allerdings nur bei Seto. Uns ignorierte er weiterhin. Momentan war Seto ausnahmsweise mal wach. Er hatte sich inzwischen angezogen, weil er es Leid war, den Schlafanzug des Krankenhauses zu tragen. Zum Glück war er nicht schüchtern, was seinen Körper anging. So kam ich wenigstens in den Genuss, ihn noch einmal zu betrachten, während er sich umzog. Seine schlanke Figur wirkte noch zerbrechlicher als sonst, weil er in den letzten Tagen wieder nicht besonders viel gegessen hatte. Wie denn auch, wenn er die meiste Zeit verschlief? Aber seine Haut sah immer noch so schön weich aus, dass es eine Freude sein musste, darüber zu streicheln. Seto stellte sich noch etwas ungeschickt beim Anziehen an, vor allem, weil er mit seinem Fuß kaum in die Hose kam. Doch letztendlich hatte er es doch geschafft. Jetzt saß er auf dem Bett und wippte und geduldig mit dem gesunden Fuß, wobei er konzentriert die Tür fixierte. „Was machst du da eigentlich?“, fragte ich verwundert. „Ich warte auf den Arzt“ „Wieso?“ Seufzend ließ er den Kopf in die Kissen sinken „Wenn er mich nicht sofort entlässt, werde ich noch wahnsinnig“ „Warum? Außer Schlafen machst du doch eh nicht besonders viel.“, stichelte ich. „Weil es hier ja nichts zu tun gibt! Ich fall noch um vor Langeweile.“ Ich überlegte einen Moment „Soll ich dich vielleicht unterhalten? Ich könnte dir Geschichten erzählen oder so“ „Geschichten erzählen? Ich will lieber etwas Sinnvolleres machen. Durch die Gegend laufen oder so. Hauptsache, ich kann mich bewegen“ „Macht sich mit einem gebrochenen Fuß bestimmt super.“, meinte ich sarkastisch. „Angeknackst. Er ist nur angeknackst“ „Trotzdem“, meinte ich etwas sanfter, „Du musst dich schonen, wenn du wieder gesund werden willst“ Schnaubend verschränkte er die Arme vor der Brust. „Dann sterbe ich eben vor Langeweile!“ „Warum gehst du nicht einfach zum Arzt, anstatt hier ewig zu warten?“ „Wie soll ich denn gehen?“ „Also erst willst du durch die Gegend laufen und jetzt traust du dir nicht mal mehr zu, den Gang runterzuhumpeln?“ „Na schön“, mühsam richtete er sich auf und setzte sich an die Bettkante, „Gibst du mir die Krücke? Sie steht hinter dir“ Ich reichte sie ihm. Geduldig wartete ich, bis er halbwegs sicher stand, bevor ich ihm die Tür öffnete und ihn durch den Gang dirigierte. Seto stellte sich dabei noch ein wenig unbeholfen an. Seine Schritte waren klein und ein wenig wackelig, aber immerhin kam er voran. Er brauchte definitiv noch etwas Übung mit der Krücke. „Warte hier“, meinte ich zu ihm, als wir an ein paar Stühlen vorbeikamen, „Ich hole den Arzt für dich“ Mit einiger Mühe setzte er sich. Ich klapperte derweil die Gänge ab, bis mir endlich mal ein Doktor über den Weg lief, den ich zu Seto schleifen konnte. Und dann war es glücklicherweise auch noch der behandelnde Arzt. Der arme Kerl wusste gar nicht, wie ihm geschah, als er sich plötzlich vor Seto wiederfand. „Was ist los?“, fragte er verwirrt, „Haben Sie Schmerzen?“ „Nein, mir geht es blendend“, versicherte Seto. „Wieso... haben Sie mich dann hierher zitiert?“ „Ich will nach Hause“ „Bitte?“ „Wir wollen, dass Sie ihn entlassen“, erklärte ich ruhig. Der Arzt überlegte einen Moment „Wir müssen noch einen letzten Test machen. Wenn Sie den bestehen, können morgen nach Hause, wenn Sie das wollen. Das war sowieso geplant“ Na das waren doch gute Nachrichten. „Ich will aber jetzt nach Hause“, jammerte Seto. „Ich denke nicht, dass das sinnvoll ist“ „Ach kommen Sie. Ich hab mich doch die letzten Tage gut gehalten“ Der Arzt seufzte resignierend „Folgen Sie mir in ihr Zimmer“, er ging voraus, während Seto hinterher humpelte und ich immer neben ihm herlief, darauf bedacht, ihn jederzeit abfangen zu können, falls er stürzte. Aber wir kamen ohne Zwischenfälle an. Ich half Seto, sich auf das Bett zu setzen. Erwartungsvoll sahen wir den Arzt an, der nun mit ernster Miene zu erklären begann: „Der Grund, warum Sie noch hier sind, hat eigentlich nichts mit Ihren Verletzungen zu tun, sondern mit ihren Gewicht. Sie wiegen bei einer Größe von 1,86 gerade mal 60 Kilo. Das ist starkes Untergewicht. In vielen Fällen handelt es sich dabei sogar um Magersucht. Deshalb müssen Sie unbedingt mit einem Psychologen reden.“ „Ich bin nicht magersüchtig!“, knurrte Seto. Er hatte sich gut unter Kontrolle, so dass man nicht merkte, wie aufgebracht er war, aber in seinen Augen pulsierte unermessliche Wut. „Das wird der Psychologe dann feststellen müssen“, meinte der Arzt. „Aber wenn ich es Ihnen doch sage!“ „Ist ja schön und gut, wenn Sie das sagen, aber keiner gibt es freiwillig zu, wenn er an Magersucht leidet, ja meistens kriegen sie es nicht mal mit.“ „Ich. Bin. Nicht. Krank!“, sagte Seto laut und voller Zorn. Wieder dieses leidige Thema. Wieso ließen sie ihn nicht einfach in Ruhe? Natürlich war mir aufgefallen, dass Seto noch dünner geworden war, aber er war deshalb noch lange nicht krank. Ich hatte ihn nie gesehen, wie er Kalorien gezählt oder sich den Finger in den Hals gesteckt hatte. „Was, wenn der Psychologe feststellt, dass Seto nicht magersüchtig ist? Können wir dann heute noch gehen?“, fragte ich diplomatisch. „Ja, dann können Sie gehen“ „Wann soll der Test sein?“ Der Arzt sah auf die Uhr „In ein zwei Stunden dürfte unser Psychologe Zeit haben. Ich werde ihn dann zu Ihnen schicken“, er nickte uns kurz zu, bevor er sich wieder an die Arbeit machte. Ich griff nach Setos Hand, um ihn zu zwingen, mich anzusehen und um ihn zu beruhigen, denn ich war mir sicher, er wäre auf den Arzt losgegangen, wenn sein Fuß ihn nicht daran gehindert hätte „Siehst du? Den Test schaffst du locker und dann bist du hier raus“ Mühsam beherrscht nickte er. Am liebsten wäre er bestimmt an die Decke gegangen. Ich musste ihn unbedingt beruhigen, bevor der Psychologe kam, sonst würde das hier nicht gut enden. „Der wird dich schon nicht für krank halten.“, meinte ich sanft, „Außerdem bist du ein Genie, schon vergessen? Du bist noch nie in einem Test durchgefallen“ Er sah mich schief an „Denkst du etwa, das wäre ein Test wie in der Schule? Ankreuzen und durch? Nein, das ist ein psychologischer Test. Da geht es nicht um Wissen“, sein Blick wurde finsterer, „Da testen sie, ob du noch alle Tassen im Schrank hast.“ „Oh“, das war dann schon wieder was anderes. Aber was sollten wir schon machen außer warten? „Kannst du Kana anrufen? Er kann mir vielleicht helfen, wenn er bestätigt, dass ich gesund bin“ „Mach ich“ Kana kam gerade noch rechtzeitig. Er traf im selben Moment bei uns ein, wie der Psychologe und er durfte beim Test anwesend sein. Im Gegensatz zu mir. Mich setzten sie einfach vor die Tür. Also wartete ich geduldig, bis die Befragung zu Ende war. Es dauerte über zwei Stunden, bis sie endlich fertig waren. Aber als sich dann die Tür öffnete, kamen mir nicht nur die beiden Doktoren sondern auch Seto entgegen und er lächelte vor lauter Erleichterung. „Hast du bestanden?“, fragte ich hoffnungsvoll. „Ja, ich bin gesund.“, rief er glücklich, „Lass uns schnell von hier verschwinden“ „Einfach so?“ „Der Arzt hat doch gesagt, wenn ich bestehe, kann ich gehen. Ich nehme ihn nur beim Wort“, er humpelte schon mal voraus, „Kana kann die Entlassungspapiere unterzeichnen“ Ich sah kurz zu Kana, der bestätigend nickte, bevor ich Seto hinterher eilte. Ich holte ihn schnell ein und umarmte ihn stürmisch vor lauter Erleichterung. Seto ließ mich machen. Sanft strich er über meinen Rücken, während ich mich mit aller Kraft an ihn krallte und seinen Duft einatmete. Endlich konnten wir hier raus und der Alptraum war vorbei. Ich war so unendlich froh, denn dieses Krankenhaus machte einen auf die Dauer echt krank. „Komm schon. Gehen wir“, meinte Seto sanft. Ich nickte und ließ ihn wieder los. „Erzählst du mir, was sie dich gefragt haben?“, fragte ich glücklich. „Ach alles mögliche über Essen.“, meinte er, während er Richtung Ausgang humpelte, „Wie ich dazu stehe, worauf ich achte, was und wie viel ich esse. Und noch ein paar Fragen, um zu sehen, ob ich auf mein Gewicht fixiert bin oder psychisch labil bin und so“ „Und was haben sie gesagt?“ „Sie sind sich jetzt sicher, dass ich keine Magersucht habe. Aber sie meinten, wenn ich nicht schnell anfange, ernsthaft zu versuchen, zuzunehmen, sperren sie mich trotzdem in eine Klinik. Kana soll ein bisschen darauf achten“, meinte er leichtfertig. „Und das stimmt dich so fröhlich?“, fragte ich entgeistert. Für mich klang das gar nicht nach einem erfolgreichen Gespräch. „Naja, ich weiß, dass ich langsam doch etwas zu wenig auf den Rippen habe und ich will selbst versuchen ein bisschen zuzunehmen. Nicht viel, aber immerhin genug, damit ich meine Rippen nicht mehr sehen kann, wenn ich vor dem Spiegel stehe“ Ich sah ihn aus großen Augen an. Er hatte es eingesehen. Er hatte endlich eingesehen, dass er zunehmen musste. Das, was ich ihm die ganze Zeit versucht hatte, klar zu machen, hatte er letztendlich selbst erkannt. Das war einfach nur großartig. Jetzt war ich mir sicher, dass unsere Zukunft einfach nur großartig werden würde, wenn alles so funktionierte, wie ich mir das erhoffte. Seto würde vollkommen gesund werden und wir würden zusammen kommen. Perfekter könnte es gar nicht laufen. Und ich würde alles tun, um dieses Ziel zu erreichen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)