Melancholy Requiem von Flordelis ================================================================================ Kapitel 10: Unhappy Carousel ---------------------------- Sherry lief langsam durch den Park. Es war wieder dunkel geworden, aber sie hatte keine Kopfschmerzen. Und Monster waren auch keine zu sehen. Als ob nur noch Alessa und sie in dieser Stadt existieren würden. Und hoffentlich auch noch Walter. Obwohl sie in den Stunden, die sie in dieser Stadt verbracht hatte, emotional gewachsen war, war sie sich nicht sicher, ob sie es ohne ihn bis zum Ende durchhalten würde – wenn es überhaupt ein Ende gab. Sie wusste immerhin nicht, wer ihr wirklicher Feind war. Dämonen, Götter, Monster... Bisher hatte sie das alles für Bestandteile einer erfundenen Geschichte gehalten. Hätte nicht einmal zu träumen gewagt, dass sie selbst ein Teil einer solchen Geschichte werden würde. Nur in ihrem Fall war es ein Horrormärchen und niemand würde dazu kommen, es irgend jemandem zu erzählen – also musste sie überleben, damit zumindest sie es mit jemandem teilen könnte. Auch wenn ihr mit Sicherheit niemand glauben würde. Aber das waren Märchen nunmal: Sie waren unglaubwürdig und einfach erfundene Geschichten, die man Kindern erzählte. Ihr hatte nie jemand Märchen erzählt, ihre Adoptiveltern hatten ihr nur die Geschichten des Ordens weitergegeben. Alle Märchen, die sie kannte, hatte sie später selbst irgendwo gelesen. Während sie ihren Gedanken nachging, merkte sie nicht, wie ihre Füße automatisch den Weg zum Karussell anschlugen. Es war ein altmodisches Gerät. Weiße Pferde waren im Kreis an Stangen befestigt. Aber allen Pferden fehlte der Kopf, dafür waren sie voller Blut, als ob ihre Wunden wirklich geblutet hätten... Es sah alles irgendwie unglücklich aus, nicht mehr wie der einstmals fröhliche Platz, der es einmal gewesen sein musste. Sherry strich vorsichtig über eines der Pferde und ließ dann wieder ihren Blick umherschweifen. Ein Rollstuhl stand ebenfalls hier, darin saß Alessa und starrte sie an. „Du bist also zurück gekommen?“ Die Schwarzhaarige wandte sich ihr zu und verstärkte ihren Griff um das Skalpell. „Wo ist Walter?“ „Wir kamen darin überein, dass es nichts bringt, unsere Kräfte miteinander zu messen. Deswegen ist er losgezogen, um dich zu suchen. Über kurz oder lang wird er bestimmt auch hier auftauchen.“ Neben dem Karussell entdeckte Sherry plötzlich einen weiteren Rollstuhl. Darin saß ein älter Mann mit einem braunen Trenchcoat, er schien tot zu sein, zumindest bewegte er sich nicht. Alessa folgte ihrem Blick. „Das ist Douglas Cartland... ein Privatdetektiv. Wegen ihm ist das alles passiert. Wegen ihm bin ich jetzt hier.“ „Warum hast du seine Leiche...?“ „Er war der einzige, der sich um mich um meiner Selbst willen gekümmert hat – außer meinem Dad. Und wenn ich Douglas ansehe, habe ich das Gefühl, dass ich stärker sein kann als das andere Wesen.“ „Das andere Wesen?“ Alessa richtete sich mühevoll auf und lief ein wenig steif umher. „Ich weiß nicht genau, was es ist, ich denke, niemand weiß das wirklich. Aber es ist schon lange hier. Ich glaube, es existiert schon länger als diese Stadt, vielleicht sogar länger als die Menschheit.“ „Der Kern dieses Übels...“ Alessa nickte. „Genau. Die Leute bezeichnen es als Gott, ich würde es eher als Dämon bezeichnen. Wobei auch dies das falsche Wort ist. Ich habe gelernt, dass es mit der Zeit stirbt, nur um wiedergeboren zu werden und dann die Form anzunehmen, die sein Wirt haben will. Und am meisten Freude macht es ihm, wenn er dabei Menschen quälen darf.“ So machte es irgendwie Sinn... ihre Adoptiveltern hatten ihr erzählt, dass Gott nur geboren wird, wenn die Menschen in Zeiten größter Not waren. Vielleicht gab es zwei verschiedene Götter? Einer brachte den Menschen Not, dann wurde ein anderer Gott geboren, welcher die Menschheit glücklich machte und dann dann starb, woraufhin der böse Gott wieder erwachte... Es schien ein unendlicher Kreislauf zu sein. „Hat dieses Etwas auch einen Namen?“ Alessa schloss ihre Augen und schien zu überlegen, schließlich nickte sie. „Samael...“ Der Name sagte ihr etwas... sie hatte ihn bereits in einem ihrer Träume gehört. Aber in welchem Zusammenhang war das nur gewesen? „Für mich ist es bereits zu spät“, seufzte Alessa. „Ich bin bereits so weit gegangen, dass ich nicht mehr zurück kann. Aber du solltest diese Stadt verlassen, solange du noch kannst.“ „Du würdest mich gehen lassen? Macht es dir Spaß, die Märtyrerin zu spielen?“ „Märtyrerin?“ Sherry schnaubte. „Du spielst dich auf, als würdest du dich für alle aufopfern wollen, um die Menschen zu beschützen, obwohl du ihnen allen den Tod wünschst. Warum gehst du nicht zu Samael und bekämpfst ihn?“ „Weil es sinnlos ist. Er wird immer wieder geboren, solange die Menschheit existiert.“ „Unsinn! Nichts kann ewig leben, auch kein Gott. Warum sonst sollte der Orden einen Gott anbeten, der zuerst von einer Sterblichen geboren werden muss? Ich bin sicher, dass dann auch ein Sterblicher diesen Samael töten kann – vor allem weil ich ohnehin nicht an seine Macht glaube.“ Alessa schien ernsthaft über diese Worte nachzudenken, aber schließlich schüttelte sie doch ihren Kopf. „Ich denke nicht, dass das funktionieren wird.“ „Dann werde ich es eben selbst tun!“ Sherry erblickte eine Tür hinter dem Karussell, sie wollte darauf zugehen, aber Alessa trat ihr in den Weg. „Ich fürchte, das kann ich nicht zulassen.“ „Bitte geh mir aus dem Weg. Ich will dich nicht verletzen.“ Alessa zog wieder ihr Messer aus ihrer Weste. Sherry seufzte. „Muss das wirklich sein?“ „Wenn du in die Kirche willst, ja. Ich stelle es dir ein letztes Mal frei zu gehen. Du kannst die Stadt verlassen und dein normales Leben weiterführen, niemand wird dich mehr hierher bringen.“ „Nein, ich bin genau wie du. Ich bin bereits so weit gegangen, dass ich nicht mehr zurück kann. Wenn ich mich dem Kern nicht stelle, werde ich ohnehin nicht mehr normal leben können.“ Alessa lächelte. „Vielleicht war es vorherbestimmt, dass wir uns heute treffen – auch wenn ich nicht wirklich an das Schicksal glaube.“ Sie hob das Messer, kampfbereit. „Lass uns anfangen.“ Alessa versuchte sie zu umrunden, aber jeden Schritt, den sie tat, glich Sherry mit einem eigenen Schritt wieder aus. Ihre Hände waren nass und glitschig geworden, das Skalpell drohte ihr immer wieder aus der Hand zu fallen. Hinter ihrer Stirn spürte sie wieder ein Pochen, ihr Gegenüber versuchte erneut, auf ihre Gedanken zuzugreifen, aber das würde sie nicht zulassen. Sherry machte einen Ausfallschritt, das Skalpell verfehlte Alessas Gesicht nur um wenige Millimeter. Die Blonde holte grimmig lächelnd aus. Sherry schrie auf und ließ das Skalpell fallen, welches aus ihrer Reichweite schlitterte. Schluchzend ließ sie sich auf die Knie fallen. Dunkles Blut strömte aus ihrem rechten Unterarm, in den ihre Gegnerin das Messer gerammt hatte. Alessa sah überheblich grinsend auf sie hinunter. „Denkst du immer noch, dass du eine Chance gegen Samael hast, wenn du schon gegen mich verlierst?“ „Wer sagt, dass ich verliere?“, murmelte Sherry. „Sieh dich doch an. Du kannst nichts anderes als auf dem Boden zu sitzen und zu schluchzen. Ohne Valtiel bist du ein Nichts, ein Niemand! Jemand wie du könnte nicht mal im normalen Leben lange überleben, weißt du das?“ Red du nur, dachte Sherry bei sich. Ihre linke Hand fuhr langsam in ihre Tasche und umfasste den Griff von Reues Messer. Jetzt war der beste Zeitpunkt, um gläubig zu werden. Sie schickte ein Stoßgebet an den Himmel. In einer einzigen ruckartigen Bewegung zog sie das Messer heraus, sprang auf und rammte Alessa die Klinge in den Hals. Ihrer überraschten Gegnerin blieb keine Zeit zur Reaktion mehr. Sie taumelte röchelnd rückwärts, bis sie mit dem Rücken an die Mittelsäule des Karussells stieß. Ein kleines Blutrinnsal lief ihr aus dem Mundwinkel, während sie unter Schmerzen keuchte. Sherry ließ sich wieder fallen und hielt ihr rechtes Handgelenk, welches inzwischen durch ihre Gedankenkraft verheilte. Alessa rutschte erneut röchelnd mit weit aufgerissenen Augen an der Säule herunter und blieb schließlich reglos und still auf dem Boden sitzen. Wie aus dem Nichts kamen plötzlich Walter und Wally angelaufen. Sherry sah beide überrascht an. „Was tut ihr hier?“ Walter kniete sich neben sie, während Wally sich neben Alessa setzte. „Wir sind wegen euch zurück gekommen“, erklärte der Mann. „Ist alles in Ordnung?“ Sie nickte. „Ja, ich bin okay. Aber was ist mit Alessa? Ist sie... ist sie tot?“ „Nicht wirklich“, antwortete der kleine Junge. „Sie ist eine auserwählte Mutter, sie kann nicht einfach so sterben. Mach dir keine Sorgen.“ „Ich wollte nicht, dass jemand stirbt...“, sagte Sherry leise. „Ich wollte doch nur das alles hinter mich bringen...“ Walter legte ihr einen Arm um die Schulter. „Das wird schon alles wieder. Du wirst sehen, gemeinsam werden wir es schaffen.“ „Ja.“ Sie stand auf und wischte sich den Staub von der Kleidung. Wally reichte ihr das Messer, welches er aus Alessas Hals gezogen hatte. „Du wirst es noch brauchen.“ Sie nahm es entgegen. „Danke.“ Ihr Blick fiel auf Alessa. Sie sah so friedlich aus, sie hatte allen Menschen den Tod gewünscht, aber vielleicht nur, weil sie selbst unbedingt hatte sterben wollen... Sherry sah zu Douglas hinüber. Wenn man so viel in seinem Leben verloren hatte, konnte der Tod vielleicht eine Erlösung sein... Sie schüttelte ihren Kopf, um die Gedanken wieder loszuwerden. Es war wichtig, dass sie sich auf ihr nächstes Ziel konzentrierte. Walter nickte seiner kleinen Ausgabe zu. „Du kümmerst dich um Alessa, ich begleite Sherry.“ „In Ordnung“, stimmte Wally zu. Der Mann wandte sich wieder an Sherry: „Also gut, bist du bereit? Das ist deine letzte Gelegenheit zum Abhauen. Keiner würde dir einen Vorwurf machen.“ Sie schüttelte ihren Kopf. „Ich werde das durchziehen. Denn jetzt... möchte ich diesen Samael endlich mal kennen lernen.“ ************************* Hmm, ich glaube, ich habe meinen Wörterdurchschnitt behalten. Nächstes Mal gibt es das erste der alternativen Enden. ^^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)